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Ein attraktiver Unbekannter mit dunklen Augen wird in Jacindas Leben treten! Das prophezeit eine Wahrsagerin der jungen Malerin. Als sie in North Carolina den Farmer Dare kennen lernt, fragt sie sich, ob er ihr Traummann sein könnte …
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Seitenzahl: 203
IMPRESSUM
Phantasien werden wahr erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© by BJ James Originaltitel: „The Man With The Midnight Eyes“ erschienen bei: Silhouette Books, New York Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 726 - 1993 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Umschlagsmotive: GettyImages_feedough, Esebene
Veröffentlicht im ePub Format in 04/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733756550
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„Du wirst was?“
Antonia sah Jacinda Talbot über die schmalen Brillengläser hinweg an. Ihr Erstaunen war echt, aber es wirkte sehr theatralisch. Ihr hübsches Gesicht, das von pechschwarzem Haar umrahmt wurde, spiegelte die verschiedensten Gefühle wider, während sie Jacinda fixierte. „Lächerlich!“ Sie schnaubte. Eine wenig elegante Reaktion einer Frau, die mit jeder Äußerung den größten Effekt zu erzielen versuchte. „Du bist viel zu dünn, um schwanger zu sein, und außerdem hast du mit niemandem geschlafen!“
„Antonia, ich sagte, ich erbe ein Baby, ich erwarte keines. Und …“ Jacinda beugte sich vor, damit ihre nächsten Worte von den Leuten an den anderen Tischen in der Nähe nicht gehört werden konnten. „… und du bist gerade erst in Atlanta angekommen, du kannst gar nicht wissen, mit wem ich geschlafen haben könnte.“
„Wie um alles in der Welt erbt man ein Baby?“ Antonias durchdringendes Flüstern klang wie ein Trompetenstoß.
Nur ein einziger Gast im Restaurant drehte sich bei diesen Worten nicht zu ihnen um. Ein breitschultriger Mann, dessen Rücken sich vom dunklen Nachthimmel vor den Fenstern abhob. Eine einsame Gestalt, die mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt war, wie Jacinda dankbar registrierte.
„Und natürlich weiß ich, mit wem du schläfst“, verkündete Antonia, nahm ihre Brille ab und steckte sie in die Handtasche. „Ich muss nicht in der Stadt sein, um das ganz genau zu wissen. Mit niemandem. Es sei denn, du hättest den Avancen dieses schäbigen kleinen Kunstkritikers nachgegeben. Jacinda! Hast du am Ende …?“
Jacinda hätte sich am liebsten unter dem Tisch versteckt. Jetzt schien sogar der einzelne Gast aufzuhorchen. Er hatte sich nicht umgedreht, aber seine Haltung verriet ihr, dass er lachte. Jacinda gestand sich ein, dass sie auch lachen würde, wäre sie nicht selbst Antonias Opfer. Doch jetzt hatte sie große Lust, ihre beste Freundin zu erwürgen.
„Liebste“, fuhr Antonia fort, „du weißt doch, dass dieser Kerl mehr hinter deinem Körper her ist als hinter deinen Bildern.“
Jacinda konnte die neugierigen Blicke der anderen Gäste auf der Haut spüren.
„Ich bin nicht hergekommen, um über mein Liebesleben zu reden.“
„Du meinst über das Fehlen deines Liebeslebens, wie ich hoffe.“
„Sonst hast du immer gesagt, ich sollte eines haben.“
„Nicht, wenn es sich um den Kunstkritiker handelt.“
Jacinda seufzte. Manchmal stellte Antonia ihre Geduld auf eine harte Probe. „Möchtest du nicht hören, was ich dir zu sagen habe?“
Antonia tupfte sich die geschminkten Lippen mit der Serviette ab. „Aber natürlich, es geht um dieses …“
„Das Wort, das du suchst, ist Baby.“
Antonia zuckte demonstrativ zusammen. „Puh. Kleine krabbelnde Kreaturen, die die Figur ihrer Mütter ruinieren. Ich halte es für sehr gut, ein Baby zu erben, wenn man schon eines haben muss.“
„Antonia!“
„Oh, natürlich. Erzähle weiter, Schatz. Ich werde dich nicht mehr unterbrechen.“
„Das glaube ich erst, wenn ich es erlebe.“ Jacinda machte eine Pause. Antonia redete immer so, als stünde sie auf der Bühne und müsste auch noch für den letzten Besucher in der hintersten Reihe gut zu verstehen sein. Sie war einfach durch und durch Schauspielerin. Genau wie sie, Jacinda, in ihrer Malerei aufging – ehe es Tyler gegeben hatte. Sie lächelte, und ihre grünen Augen sprühten Funken. „Tyler ist … der Sohn meiner Stiefschwester.“
„Welcher Schwester?“, erkundigte sich Antonia lässig. „Wie oft ist dein Vater verheiratet gewesen? Sechsmal? Und jedes Mal hat er dich mit neuen Stiefgeschwistern beglückt.“
„Tyler war Melissas Kind.“
Antonia runzelte die Stirn, aber nur ein wenig, um keine Falten zu bekommen. „Ach ja, ich erinnere mich. Wir waren beide neunzehn und hatten unser erstes Jahr am Agnes-Scott-College hinter uns. Ich glaube, das war die kürzeste Ehe deines Vaters. Die kleine Melissa war schnell wieder ohne Daddy. Woher rührt diese enge schwesterliche Verbundenheit? Wie kommst gerade du zu Melissas Kind?“
Jacinda ignorierte die Unterbrechung, um die Geschichte erzählen zu können. „Melissa und ihr Mann Ty kamen bei einem Unfall in Monte Carlo ums Leben. Beide haben keine Angehörigen mehr.“
„Ich verstehe. Es ist niemand sonst da, der den Kleinen aufnehmen könnte. Aber du kannst ja ablehnen.“
„Ich werde es aber nicht. Ich will ihn.“
„Jacinda!“
„Ich will es mehr als alles andere auf der Welt.“ Jacinda beachtete Antonias Protest nicht. Es stimmte. Sie und Melissa waren nur für kurze Zeit Stiefschwestern gewesen, doch sie hatten sich sehr gemocht.
Antonia trommelte ungeduldig mit den langen blutrot lackierten Fingernägeln auf den Tisch. „Das kann nicht dein Ernst sein. Willst du das Kind in deiner Mansardenwohnung aufziehen?“
„Ich werde Atlanta verlassen.“
„Du willst – was?“ Noch nie hatte Jacinda Antonia so tief betroffen gesehen.
„Ich habe einen Job in North Carolina angenommen.“
„Als was denn, um Himmels willen?“ Die perfekt modulierte Stimme der Schauspielerin klang fast schrill. Jetzt drehten sich sogar die gut geschulten Kellner nach ihrem Tisch um, genau wie Madame Zara, die alte Dame, die das Restaurant wie eine Fürstin regierte.
Unwillkürlich sah Jacinda zu dem Tisch mit dem einzelnen Gast hinüber. Er war gegangen.
„Als was?“, verlangte Antonia zu wissen.
„Als Lehrerin für Kunst und Malerei“, antwortete Jacinda geduldig. „Die Kurse fangen Mitte August an, und morgen fahre ich hin, um das Haus einzurichten und einen Babysitter für Tyler zu suchen.“
„Du meinst es offensichtlich ernst!“ Antonia gab ihr blasiertes Gebaren auf und war nur noch die gute Freundin, die seit mehr als zehn Jahren immer wieder kurzzeitig an Jacindas Leben teilnahm. „Du gibst alles hier für ein Leben unter Hinterwäldlern auf?“
Die Loft-Wohnung in Atlanta war ein Geschenk von Paul Talbot und während der vergangenen sieben Jahre Jacindas Heim gewesen. Sie hatte dort oft mittellose Künstler beherbergt, und auch Antonia war dort aus- und eingegangen, ehe sie eine erfolgreiche Schauspielerin geworden war.
„Ich verkaufe die Wohnung ja nicht.“
„Sehr gut. Dann kannst du ja zurückkommen, wenn der Unterricht deine Kreativität unterdrückt. Von der Langeweile in so einem Nest, in dem es nichts als frische Luft gibt, ganz zu schweigen.“
„Ich komme nicht zurück, Antonia. Die Wohnung ist vermietet.“
„An jemanden, den ich kenne?“
Jacinda schüttelte den Kopf. „Terry Dantzic kam nach Atlanta, als du schon fort warst. Er ist Küchenchef in einem Restaurant in der Nähe der Wohnung. Er kennt sich in meiner Küche schon aus.“
„Was du niemals getan hast. Das heißt vermutlich, dass deine Politik der offenen Tür fortgesetzt wird. Du bist der sprichwörtliche Freund in der Not, Jacinda. Aber ist es nicht viel zu riskant?“
„Du bist doch auch ein Risiko eingegangen, als du allein nach New York gefahren bist. Und sieh dich jetzt an. Du bist berühmt und wirst bestimmt bald deinen ersten Oskar bekommen.“
„Vielleicht dauert es noch ein wenig, aber ich kriege ihn, darauf kannst du das Kind verwetten.“
Das bezweifelte Jacinda keine Sekunde. „Du wolltest unbedingt dorthin, und ich will unbedingt mit Tyler nach Madison. Deshalb habe ich dich auch gebeten, deinen Höhenflug für einen Tag zu unterbrechen und hierher zu kommen. Wir haben uns immer alles Wichtige mitgeteilt. Und Tyler ist mir sehr wichtig.“
„Aber du wirst verhungern! Du kannst doch überhaupt nicht kochen!“
„Ich werde es lernen – schon Tyler zuliebe.“
„Und was wird aus deiner Malerei? Du bist in letzter Zeit ziemlich erfolgreich gewesen. Gibst du sie einfach auf?“
Jacinda lachte und winkte dem Kellner. „Gerade noch hast du mir gesagt, dass der Mann, der für meinen Erfolg verantwortlich ist, sich mehr für meinen Körper als für mein Talent interessiert, und jetzt behauptest du das Gegenteil. Ich frage mich, was du schlimmer findest: mich oder meine Bilder.“
„Sei nicht albern. Du hast finanziell zu viel Erfolg gehabt, um dein Talent so einfach wegwerfen zu dürfen. Und die Menge der Männer, die nur zu gern deine Liebhaber geworden wären, zeigt, dass du Sex-Appeal besitzt.“ Jacinda sprang auf. Höchste Zeit zu gehen!
„Sollten wir die Leute hier jetzt nicht ein wenig zur Ruhe kommen lassen, nachdem du ihnen alles von mir berichtet hast?“, fragte sie ihre Freundin. „Ich möchte, dass du Tyler kennenlernst.“
„Ihn kennenlernen?“, wiederholte Antonia ungläubig. „Du hast dieses … Kind bei dir in der Wohnung?“
„Natürlich, wo denn sonst? Terry Dantzic passt auf ihn auf. Er kennt sich mit Babys aus, er hat zwei Schwestern und vier Neffen“, erklärte Jacinda über die Schulter auf dem Weg zur Kasse, hinter der Madame Zara residierte.
„Ist er … ist er stubenrein?“
„Noch nicht, aber wir nehmen Windeln, keine Katzenstreu.“
„Du wechselst Windeln?“
„Aber ja, solange es notwendig ist.“
„Und wie lange ist das?“
„Keine Ahnung“, erwiderte Jacinda freundlich. Als sie zahlte, fiel ihr auf, dass jetzt leise Musik aus dem Lautsprecher perlte. Hätte sie nicht schon früher beginnen und Antonias tragende Stimme dämpfen können?
„Wir werden Sie vermissen, Miss Talbot“, erklärte Madame Zara, während sie Jacinda das Wechselgeld gab.
„Sie haben es gehört? Aber natürlich mussten Sie es hören.“ Jacinda funkelte Antonia an, die wie immer völlig ungerührt war.
„Ihre Aura hat es mir verraten“, erwiderte die alte Frau.
„Meine was?“ Jacinda ließ eine Vierteldollarmünze fallen, die über die Theke rollte und mit dem Kopf nach oben liegen blieb.
„Ein gutes Omen für Ihre Reise“, murmelte Madame Zara, nahm die Münze und drückte sie Jacinda wieder in die Hand. Als Jacinda ihre Hand aus dem Griff lösen wollte, umschloss die alte Frau sie mit beiden Händen. Einen Moment lang herrschte Stille, nur der hohe Ton der Violine war zu hören. Jacinda erschauerte und hatte das Gefühl, eine Geisterhand gleite ihr Rückgrat hinab.
„Es wird Probleme geben in Ihrem neuen Leben.“ Die Worte Madame Zaras verschmolzen mit der Musik. Es war fast ein wenig unheimlich. Die alte Frauenhand umfasste Jacindas Handgelenk. „Sie sind eine tapfere Frau. Eine Kämpferin. Aber Sie werden Hilfe brauchen. Und Sie werden sie bekommen. Vier starke und hilfsbereite Männer werden Ihnen zur Seite stehen.“
„Vier!“ Jacinda lachte unsicher.
Die alte Frau fuhr fort, ohne den Einwand zu beachten. „Sie werden sie alle auf irgendeine Art lieben. Aber einer, ein kluger Mann, der Mann mit den mitternachtsblauen Augen, wird mehr tun, als Ihnen nur Ihre Sorgen abzunehmen.“ Helle Augen schienen durch Jacinda hindurch in eine andere Zeit zu sehen. Ein Lächeln umspielte Madame Zaras Lippen. „Inmitten aller Schwierigkeiten werden Sie großes Glück erfahren. Er wird Sie die Freuden der Leidenschaft lehren und Ihnen immerwährende Liebe schenken.“
Das Musikstück endete mit einem leiser werdenden Ton, und eine lebhafte Melodie begann. Langsam kehrte Madame Zara in die Gegenwart zurück und ließ Jacindas Hand los. Ihr Blick nahm die junge Frau wieder wahr, doch ihr Lächeln blieb. „Das Geschwätz einer alten Frau, mögen Sie jetzt vielleicht denken, aber Ihr Herz weiß es besser. Hören Sie auf Ihr Herz, Miss Talbot, und viel Glück.“
„Vielen Dank“, stotterte Jacinda und wandte sich ab. Ihr Puls raste, und ihr Handgelenk prickelte. Ohne sich noch einmal umzusehen, verließ sie das Restaurant.
„Was soll das eigentlich?“, verlangte Antonia zu wissen, als sie ihre Freundin am Lift wieder einholte.
„Ich weiß nicht.“ Jacinda versuchte unbekümmert zu lachen, doch sie konnte es nicht. „Madame Zara ist so eine Art Hellseherin. Manche glauben, sie kann wirklich in die Zukunft blicken. Das ist natürlich lächerlich, aber schließlich harmlos.“
„So harmlos, dass du weiß wie eine Wand bist.“
Der Aufzug kam, und die Türen öffneten sich. Jacinda ließ Antonia den Vortritt, nicht nur aus Gründen der Höflichkeit, sondern auch, um ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Sie traute sich nicht zu erzählen, dass sie das Gefühl gehabt hatte, ein Strom fließe von Madame Zaras Hand in ihren Arm. Sie spürte ihn immer noch. Sie war so abgelenkt, dass sie mit einem der dünnen, hohen Absätze im Spalt zwischen Stockwerk und Aufzugtür stecken blieb.
„Jacinda!“, schrie Antonia, als sich die Türen zu schließen begannen, und drückte hastig auf alle möglichen Knöpfe, in der Hoffnung, den richtigen zu treffen. „Oh Gott, wo ist meine Brille?“
„Halt!“, befahl eine tiefe Männerstimme Antonia. Eine Hand schoss an ihr vorbei und drückte den richtigen Knopf. Die Türen glitten wieder auseinander, und der Mann kniete sich neben Jacinda auf den Boden und machte sich daran, den Fuß in der Riemchensandalette zu befreien. „Nur keine Panik.“
Dankbar richtete sich Jacinda auf, holte tief Luft und sah auf ihren Retter hinab. Alles, was sie erkennen konnte, war ein breiter Rücken in einem wie angegossen sitzenden Jackett, das ihr ziemlich bekannt vorkam. Seine Hände waren sanft und geschickt, seine Stimme warm und beruhigend, und sein dichtes dunkelbraunes Haar war vor Kurzem perfekt geschnitten worden. Jacinda ging es durch den Kopf, dass es bisher noch keinem Mann gelungen war, Antonia Russell mit einem Wort zum Schweigen zu bringen, und blickte zu Antonia hinüber. Sie fixierte den knienden Fremden gebannt.
„Ihnen ist doch wohl klar, dass Sie mit diesen Schuhen einen Aufpasser brauchen?“
Einen Moment lang erfasste Jacinda den Sinn seiner Worte nicht. Die Stimme des Mannes war tief und hatte eine Spur eines Akzents, den sie nicht einordnen konnte. „Wie bitte?“
„Schuhe wie diese sind tödliche Waffen. Für Sie und andere.“
„Entschuldigung?“
„Ich wundere mich nur, dass Sie sich nicht schon längst Ihren hübschen Hals gebrochen haben. Oder brauchen Sie diese Stilettos, um die vielen Männer abzuwehren, die nur zu gern Ihre Liebhaber wären?“
„Sie haben es auch gehört“, murmelte Jacinda. „Aber Sie waren doch schon draußen!“
„Nur am Telefon“, erklärte er lächelnd.
„Wie? Wer hat was gehört?“ Antonia sah verständnislos von einem zum anderen.
„Sie hat übrigens recht.“ Mit einer Hand bewegte der Mann vorsichtig Jacindas Fußgelenk hin und her.
„Wer?“, fragte nun Jacinda verwirrt.
„Ihre Freundin Antonia.“
„Sie kennen ihren Namen?“
„Warum denn nicht? Sie haben ihn ja oft genug ausgesprochen. Tut das weh?“
„Nein.“
„Sie hat recht“, wiederholte er. „Egal, ob Ihre Bilder gut oder schlecht sind, dieser Kritiker sollte keine Belohnung für seine Beurteilung erwarten dürfen. Sie haben viel zu viel zu bieten, um es an einen solchen Kerl zu verschwenden, Jacinda.“
Jacinda schnappte nach Luft. Wie konnte er beurteilen, was sie zu bieten hatte? Was ging es ihn an, was sie mit Justin Clark machte? Er hatte ihr zwar gerade geholfen, aber das gab ihm nicht das Recht, sich hier einzumischen. Sie wollte ihn zurechtweisen, aber kein Wort kam über ihre Lippen.
„Jacinda.“ Er ging in die Hocke, während er immer noch ihren Knöchel umfasste. „Ein wunderschöner Name für eine wunderschöne Frau“, dachte er laut nach. Dann hob er den Kopf und sah sie zum ersten Mal an.
Jacinda verschlug es den Atem, und sein Grinsen verriet, dass er ihre Reaktion bemerkt hatte. Von vorn war er mindestens ebenso beeindruckend wie von hinten.
Sie hatte nie besonders gut aussehende Männer gemocht, und das war er auch nicht. Er war atemberaubend. Auf eine raue, sehr männliche Weise. Seine Gesichtszüge waren wie gemeißelt, nicht zart. Die Narben über der Augenbraue und an der Unterlippe machten ihn nur noch attraktiver. Unter dem perfekt sitzenden Jackett konnte sie einen Körper erahnen, der zu den rauen Zügen passte. Während Jacinda zu ihm hinuntersah, war sie sich seiner warmen Hand auf ihrer Haut nur allzu sehr bewusst.
„Ich glaube, es wäre leichter, den Schuh auszuziehen.“ Sie fühlte, wie sie errötete. Rasch beugte sie sich vor. „Lassen Sie mich das machen.“
„Nicht nötig.“ Er lachte. Sein Lachen war genauso zauberhaft wie der ganze Mann. „Sie sind frei. Schon seit einigen Minuten.“
„Oh.“ Jacinda fehlten die Worte. In ihrer Verlegenheit sprudelte sie hervor: „Tut mir leid.“
Wieder lachte er, ein kehliges Lachen tief aus dem breiten Brustkorb. „Mir auch. Ich habe unsere kleine Unterhaltung genossen.“
Jetzt stand er vor ihr. Er berührte ihren Arm und führte sie in den Lift. Er drückte auf den Knopf, die Türen schlossen sich, und er sagte etwas zu ihr.
„Wie bitte?“
„Nach unten, nicht wahr?“
Er machte sich über sie lustig. Vom obersten Geschoss aus konnte man nicht gut in die andere Richtung fahren. Jacinda riss sich zusammen und nickte herablassend. „Natürlich.“
„Natürlich.“ Seine Augen funkelten vergnügt.
Eingeschlossen in den kleinen gläsernen Raum, glitten sie langsam an der Außenseite des Gebäudes nach unten. Die Lichter der Stadt glitzerten unter ihren Füßen, sanfte Musik erklang. Jacinda erschien das alles unwirklich.
Unter halb gesenkten Lidern betrachtete sie das Spiegelbild des Mannes vor schwarzem Hintergrund. Er war groß. Nicht außergewöhnlich hoch gewachsen, aber doch sehr viel größer als sie. Sein Lächeln war sehr charmant. Ihr gefiel es, wie es langsam immer strahlender wurde und sich dabei ein Grübchen auf seiner Wange zeigte. Es wirkte ansteckend. Es war entwaffnend. Und es verriet Freundlichkeit.
Gleichzeitig konnte Jacinda spüren, dass er ein entschlossener Mensch war. Sie bezweifelte keine Sekunde, dass er trotz seines Humors halsstarrig und unbeugsam sein konnte.
Sie gab sich einen Ruck, wandte den Blick von ihren Spiegelbildern ab und sah zu den aufblinkenden Zahlen über der Aufzugtür. In dem beunruhigend kleinen Raum, der sie jetzt gefangen hielt, betrachteten die meisten Menschen wohl die Stockwerksanzeige und vermieden es, die Mitfahrer anzusehen.
Doch er hielt sich nicht an dieses ungeschriebene Gesetz. Jacinda spürte, wie er sie ansah, und meinte zu fühlen, dass er amüsiert lächelte. Sie senkte den Kopf und richtete ihren Blick auf ihre fest verschränkten Finger.
Ihre Hände waren blass und zart, seine tief gebräunt und voller Schwielen. Ihre Hände waren die einer Künstlerin, seine zeugten von harter Arbeit. Seiner Bräune nach zu schließen, hielt er sich viel im Freien auf.
Wer war dieser Mann, der im Gegensatz zu seinem wettergegerbten Aussehen einen so eleganten Anzug trug? Und warum hatte seine Berührung sie erschauern lassen, sie wie ein Stromstoß durchfahren? Und warum stand sie hier sprachlos neben ihm im Aufzug und hatte Angst, er könne sie wieder berühren? Oder vielmehr, er könne sie nicht mehr berühren?
Jacinda verspürte plötzlich das Bedürfnis, mit den Fingerspitzen die Linie seines markanten Kinns nachzuzeichnen, und erschauerte wieder. Sie musste wohl den Verstand verloren haben.
Oder lag es an dem zweiten Glas Wein zusammen mit Madame Zaras Prophezeiung, die ihr die Nähe dieses ruhigen Mannes so sehr bewusst werden ließ?
„Es war doch nur das Gerede einer überspannten alten Frau!“, murmelte Jacinda.
„Wie bitte?“ Er beugte sich vor.
„Hm?“ Jacinda zuckte zurück, als sein aufregend herber Duft sie einhüllte.
„Haben Sie nicht etwas gesagt?“
Sie schüttelte energisch den Kopf, als müsse sie nicht nur ihn, sondern auch sich davon überzeugen. „Nein, nichts.“
Der Lift blieb stehen, die Türen öffneten sich. Sie waren in der großen Eingangshalle angelangt. Alltägliche Geräusche umgaben sie jetzt. Jacinda trat aus dem Aufzug, gefolgt von Antonia. Sie war froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, und strebte eilig dem Ausgang zu.
Eine Hand umschloss ihren Arm und hielt sie auf. Die dunklen Augen des Mannes sahen sie ernst, fast feierlich an. Vorsichtig strich er über ihre Wange, nahm eine Locke ihres kastanienbraunen Haars und wickelte sie sich um den Finger. Jacinda sah ihn reglos an und erwartete, dass er sie nun küssen würde. Sie versuchte sich nicht zu befreien.
„Sie brauchen mich nicht so ängstlich anzusehen“, erklärte er mit sanfter Stimme. „Ich verspeise schon lange keine kleinen Mädchen mehr. Eigentlich schade.“ Er ließ die Strähne los und berührte ihre Nasenspitze. „Begnügen Sie sich nie mit weniger als echter Liebe. Vielleicht ist Antonia diesmal klüger, als Sie denken. Viel Glück in Ihrem neuen Leben, Jacinda Talbot. Die wenigen Minuten Ihrer Bekanntschaft waren wirklich ein Vergnügen.“ Mit einem Finger strich er zart über ihre Lippen. „Erinnern Sie sich immer daran.“
Wie gebannt blickte Jacinda ihm nach, als er in der Menge verschwand.
„Jacinda!“ Antonia packte sie am Arm. „Hast du das gesehen?“
„Was gesehen?“, erkundigte sich Jacinda geistesabwesend.
„Seine Augen! Du kannst es nicht übersehen haben!“
„Doch“, log Jacinda und wandte den Kopf zur Seite.
„Also wirklich! Dieser Mann ist dein Schicksal. Wie Madame Zara es prophezeite. Er ist der Mann mit den mitternachtsblauen Augen.“
„Ich habe nicht bemerkt, dass er blaue Augen hatte.“ Jacinda bewegte kaum die Lippen. Für einen ehrlichen Menschen war es nicht leicht, eine Lüge gleich zweimal auszusprechen.
„Aber natürlich.“ Antonias Stimme klang spöttisch. „Und du hast auch nicht bemerkt, dass er einfach umwerfend attraktiv ist.“
Jacinda gab das Lügen auf. „Doch, ich bin ja nicht blind.“
„Nur begriffsstutzig.“
„Und was macht das schon? Ich werde ihn ja doch nicht wieder sehen. Was immer diese alte Frau auch sagen mag, der einzige Mann, den ich in meinem Leben haben möchte, ist achtzehn Monate alt und hat braune Augen. Komm, jetzt gehen wir zu mir. Ich möchte, dass du Tyler kennenlernst.“
„Aber …“
„Was sollen diese Spekulationen? Ich fahre morgen ab und lasse alle Männer mit mitternachtsblauen Augen in Atlanta zurück.“
„Kennst du andere Männer, die so blaue Augen haben?“
„Sei nicht albern. Bestimmt gibt es jede Menge davon.“
„Dann nenn mir mal einen.“
„Also gut.“ Jacinda zuckte aufgebracht die Achseln. „Vielleicht ist er der Einzige. Na und? Wir werden uns nie wieder sehen.“
„Madame Zara sagte, er würde mehr tun, als dir nur die Last von den Schultern zu nehmen. Jacinda, ich fühle es. Dieser Mann ist dein Schicksal.“
„Aber klar. Und du hast nichts Eiligeres zu tun, als alle Leute in unserer Nähe darüber zu informieren!“ Jacinda umklammerte Antonias Arm und zog sie zum Ausgang. „Gehen wir zu Tyler.“
Als sie ins Freie trat, sah Jacinda in den Nachthimmel und fragte sich, ob sie den Mann mit den mitternachtsblauen Augen je vergessen würde. Der nicht Auf Wiedersehen gesagt hatte, sondern Erinnern Sie sich daran.
„Schau, Tyler. Das ist Madison.“ Jacinda deutete auf die Bilderbuchlandschaft vor ihnen. Ihre Begeisterung schwand jedoch, als sie feststellte, dass der Junge kaum reagierte. „Du bist müde, nicht wahr? Aber wir sind bald da. Versprochen.“
Jacinda sah das Kind, das ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt hatte, voller Liebe an. Innerhalb weniger Wochen war er ihr das Wichtigste auf der Welt geworden. Tyler zuliebe hatte sie ihre Karriere aufgegeben und ihr Leben von Grund auf geändert. Bald würden sie in ihrem neuen Heim ankommen.
„Wir werden dort sehr glücklich sein“, versicherte sie sich laut, doch Antonias Zweifel machten ihr zu schaffen. Sie wünschte, Tyler könnte sie in dieser Überzeugung bestärken, aber er war kein Hellseher, nur ein kleiner stämmiger Junge, der zu einem Quell ständiger Freude geworden war. Reichte das nicht?
Lachend zerzauste sie seine schwarzen Locken, die in starkem Kontrast zu ihrem rötlich schimmernden braunen Haar standen. Dann wurde sie ernst. Seine Stirn war ganz heiß. Er hatte Fieber. Mit zitternden Händen lenkte Jacinda den Mietwagen an den Straßenrand und stoppte. Sie schalt sich, nicht schon früher gemerkt zu haben, dass er krank war. Sie hatte es für Müdigkeit nach dem langen Flug gehalten.
Es schnürte ihr den Hals zu. Tränen stiegen ihr in die Augen. Er war so lieb, quengelte nie, und sie dankte es ihm damit, dass sie ihn nicht genug beachtete.
Ein Arzt! In Madison musste es einen Arzt geben.
Sie küsste Tyler tröstend auf die Stirn und fuhr weiter. Vorsichtig steuerte sie den Wagen durch die vielen engen Kurven. Endlich wurde die Straße breiter, die Kurven hörten auf, und inmitten grüner Felder lag Madison vor ihr. Häuser und weiß gestrichene Zäune waren zu erkennen, sie hatte ihr Ziel erreicht.
Wäre sie nicht so besorgt gewesen, hätte das hübsche Bild sie in Begeisterung versetzt. Aber sie wollte nur den nächsten Arzt erreichen. Tyler war in seinem Sitz zusammengesunken, und Jacinda hielt ängstlich nach einem Passanten oder einer Telefonzelle Ausschau. Sie konnte keines von beiden entdecken.