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Per Anhalter durch Europa, von Bangor in Nordirland nach Bobbio in Italien, auf den Spuren eines keltischen Mönchs, der vor 1400 Jahre lebte - Barry Sloan ist unterwegs durch die Länder, die der Heilige Columban vor so langer Zeit bereiste, um Europa zu missionieren. Dabei schreibt der Nordire, der seit mehr als 15 Jahren in Deutschland lebt, seine Erlebnisse auf: Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Menschen, erhebende und peinliche Momente, friedvolle Natur und trostloser Asphalt. Und immer wieder gerät er auf seinem Weg ins Nachdenken über Gott, über die Men schen, die Gott gebraucht - ob im 7. oder 21. Jahrhundert -, und über seinen eigenen Glauben. Ein ehrliches und mit viel Humor erzähltes Reisetagebuch von einem Wanderer zwischen den Kulturen.
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Seitenzahl: 269
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For Elizabeth„Christ in you, the hope of glory“(Kolosser 1,27)
Peregrinatio – die Wanderung eines Pilgers durch die Welt als »Fremdling für Gott«, ein »Verbannter für Christus«.
Die wichtigsten Orte auf dem Weg des heiligen Columban von Bangor (Nordirland) nach Bobbio (Italien)
Einige Orte, die ich per Anhalter auf dem Weg des heiligen Columban besucht habe
»Ich bin dann mal weg«, schrieb vor Jahren Hape Kerkeling, und man fragte sich zunächst etwas besorgt, ob ein Entertainer und Comedian wohl ein ernsthaftes Buch über die geistliche Erfahrung des Pilgerns zustandebringen würde. Er brachte es zustande. Vier Millionen Exemplare seines Berichts über das Pilgern auf dem Jakobsweg wurden verkauft.
»Pilgern auf Irisch«, schreibt im Jahr 2014 Barry Sloan, und man fragt sich zunächst etwas unsicher, ob ein evangelischer Theologe und methodistischer Pastor wohl ein unterhaltsames und nachdenkliches Buch über eine Reise vom nordirischen Bangor ins italienische Bobbio zustandebringen wird. Er bringt es zustande.
Pilgern ist angesagt. Menschen aus unterschiedlichen Lebenslagen und Berufswelten machen sich auf, einige für ein paar Tage, andere für mehrere Wochen oder Monate, um mit minimalem Gepäck maximale Erfahrungen zu sammeln: mit sich, dem Wandern, der Einfachheit des Lebens, der Natur, alten Kirchen und Klöstern und, ja auch das, mit Gott. Gestresste Manager tun es, Menschen in Übergangssituationen, spirituelle Sucher und langjährige Kirchenchristen. Und nun auch ein Nordire, der seit Jahren in Deutschland seinen Dienst tut. Er tut es, obwohl es, wie er selbst zugibt, »für einen Iren das Allerschwerste ist ... Irland zu verlassen«.
»Pilgern auf Irisch« ist ein Buch voller Humor, in dem kauende Pferde, Monsterwespen und eine geheimnisvolle SMS eine Rolle spielen, aber auch die Psychologie des Angelns.
Es ist ein inspirierender Reisebericht. Die Pilgerreise führt den Autor von Irland über Frankreich, die Schweiz und Österreich bis nach Italien, und er nimmt den Leser und die Leserin auf eine Weise mit, die Lust macht, es ihm nachzutun. Dabei wählt der Pilger eben nicht den bequemen Weg, er ist als »backpacker and hitchhiker« unterwegs und weiß oft morgens nicht, wo er abends sein Haupt hinlegen wird.
Es ist eine spannende Suche auf den Spuren keltischer Mönche, die im 6. Jahrhundert als Wandermönche und Missionare von Irland aus aufbrachen und für unsere Geschichte von kaum zu überschätzender Bedeutung waren. Columban der Jüngere (oder auch Columban von Luxueil) und seine Freunde brachten den Menschen im westlichen Europa das Evangelium und bildeten zugleich Orte, an denen offene Gastfreundschaft, Hilfe und Bildung zueinander fanden. Dass der Ire und Protestant Barry Sloan hier ein kleines Denkmal katholischer Heiliger aufrichtet, ist angesichts jahrhundertelanger blutiger Fehden in Irland keineswegs selbsterklärend – und der Autor selbst staunt nicht wenig über solch neue Perspektiven.
Es ist ein Buch voll wunderbarer Begegnungen, mit hilfsbereiten Autofahrern, den Freunden des heiligen Columban (alles andere als eine heimlich-seltsame Bruderschaft à la Dan Browns »Da Vinci Code«) oder einem Cafébesitzer, der über Fragen des Glaubens reden möchte. Und ja:
Es ist ein Buch über das Leben mit Gott: ganz ungekünstelt kommen immer wieder geistliche Fragen in den Blick. Unser Pilger-Pastor-Autor erlebt, dass außerhalb der Kirchenmauern Menschen relativ schnell und unverkrampft über den Glauben reden. Nachdenklich, nicht vollmundig kommen die kleinen Reflexionen über den Glauben daher – und darum so anregend und einladend. Am Ende steht die Frage »na und?« – und der Leser wie die Leserin wird sich fragen: »Ja, na und, was jetzt?« Oder: Wo stehe ich eigentlich auf meiner Pilgerreise?
Wer also Freude hat an Humor, Geschichte und Geschichten, Reiseberichten, Bildern von wunderbaren und seltsamen Menschen – und der eigenen Suche nach Gott in der Welt, der wird dieses Buch mit der Freude genießen, die ich selbst bei der Lektüre empfand. Ich jedenfalls kann diesem Buch (eigentlich seinem Autor) nur viele Leserinnen und Leser wünschen.
Greifswald, Pfingsten 2014
Michael Herbst
Lieber Pilgergenosse,
liebe Mitpilgerin,
glauben Sie an Zufälle? War es ein Zufall, dass ich Columban, den Heiligen und Missionar aus Bangor, entdeckte, als ich im Internet nach einem geeigneten Projekt für mein Sabbatical suchte? Als ich meine Reise in Bangor begann, hatte ich nicht vor, ein Buch über mein Columban-Abenteuer zu schreiben, aber ich beschloss, Tagebuch zu führen. War das nur ein Zufall? Nachdem ich das Buch geschrieben hatte, begegnete ich bei einer Tagung jemandem, der jemanden kannte, der mein Manuskript dem Neukirchener Verlagshaus vorstellen wollte. Noch ein Zufall? Und das Ergebnis dieser »zufälligen« Begegnung? Sie halten jetzt ein Buch in der Hand, das von einem irischen Christen aus dem sechsten Jahrhundert handelt, der einer der Hauptgründe dafür ist, dass Sie überhaupt etwas über das Christentum in Europa lesen können!
Ist es ein Zufall, dass Sie dieses Buch lesen? Ja, Sie … Sie mit dem blauen Hemd ;-). Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht lesen Sie regelmäßig christliche Literatur, und religiöse Bücher sind Ihr Lieblingsgenre. Oder Sie interessieren sich für keltische Spiritualität und alles Irische. Vielleicht gilt Ihr Interesse auch dem Pilgern, einem beliebten Thema heutzutage, auch bei Menschen, die sich nicht als religiös bezeichnen würden. Vielleicht haben Sie dieses Buch deshalb ausgewählt. Oder vielleicht hat das Buch Sie ausgewählt.
Wer weiß? Meine Hoffnung ist jedoch, dass dieses Buch Ihnen auf irgendeine Weise zum Segen wird. Ich hoffe, es bringt Sie zum Lachen. Oder wenigstens zum Lächeln. Ich hoffe, Sie lernen etwas daraus – nicht nur über europäische Geschichte und übers Trampen, sondern auch über sich selbst und den Gott, der Sie geschaffen hat. Wenn dieses Buches Sie dazu inspiriert, eine positive Kraft der Veränderung in unserer Not leidenden Welt zu werden, dann sind meine Gebete erhört worden.
Sie helfen schon, indem Sie dieses Buch kaufen, denn mein Autorenhonorar kommt zu 100% innovativen sozialen Projekten im kirchlichen Kontext zugute, die Menschen zusammenbringen.
Wenn Sie mich auf dieser Reise begleiten wollen, lade ich Sie herzlich ein, meine Internetseite zu besuchen: www.irish-pilgern.de. Hier können Sie Fragen stellen, Kommentare abgeben, meinen Blog lesen oder einfach schöne Fotos von der grünen Insel genießen.
Barry Sloan
Pfingsten 2014
Als Kind saß ich oft in meinem Zimmer am Fenster und schaute auf die Bucht von Belfast hinaus bis hinüber nach Bangor. Ich verbrachte Stunden damit, die Küste vor der Stadt mit dem Fernglas abzusuchen, und fragte mich, wie weit sie wohl entfernt sein mochte. Ich überlegte, ob es möglich wäre, hinüberzuschwimmen und dabei den Frachtschiffen und Fähren auszuweichen, die auf dem Weg nach Schottland, Liverpool oder zur Isle of Man waren und dabei die Bucht von Belfast durchquerten.
Als Teenager fand ich heraus, dass Bangor ungefähr fünf Meilen entfernt war – Luftlinie, oder besser: Wasserlinie – und dass es möglich war, diese Strecke zu schwimmen. Vorausgesetzt, man war verrückt genug, es zu versuchen. So verrückt wie einer meiner Freunde. An einem Sommertag schwamm Tommy von meiner Heimatstadt Carrickfergus durch die Bucht von Belfast bis nach Bangor. Einfach so, als Mutprobe. Er schaffte die Strecke von fünf Meilen, passierte sicher die Fahrrinnen der Schiffe, war aber, als er in Bangor ankam, so erledigt, dass er keine Kraft mehr hatte, nach Hause zurück zu schwimmen.
Leider war Tommy nicht so intelligent gewesen, sich genau dieses Szenario auszumalen, bevor er die Herausforderung seiner Kumpels annahm. So kam es, dass er auf der anderen Seite der Bucht strandete, mit nichts bekleidet als seiner knappen Speedo-Badehose. Ohne Geld, ohne Telefon – Handys waren noch nicht erfunden – und ohne irgendeine Möglichkeit, jemandem mitzuteilen, wo er war. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zur Polizei zu gehen und dort um Hilfe zu bitten.
Ich kann mir vorstellen, was in den Köpfen der Polizeibeamten vor sich gegangen sein muss, als sie durch die getönten und schusssicheren Fenster ihrer Polizeibaracke schauten und draußen Speedoman erblickten. Sicher ein bizarres Bild. Ähnlich wie die Rätselfragen, die man mit Freunden im Pub löst: Ein Mann mit Rucksack ist tot aufgefunden worden. Er liegt mit dem Gesicht nach unten in der Wüste, kilometerweit entfernt von jeglicher Zivilisation. Was ist passiert?
Vielleicht brachte der seltsame Anblick von Speedoman in diesen verwirrten Beamten den Detektiv zum Vorschein. Möglicherweise wird dieser Vorfall sogar bis heute als Fallstudie in der Ausbildung junger Nachwuchspolizisten behandelt: Ein junger Mann trägt nichts außer einer leuchtend roten Badehose. Triefend nass nähert er sich der Wache. Was unternehmen Sie? Kreuzen Sie bitte die richtige Antwort an:
Ich bitte ihn, sich auszuweisen.Ich fordere ihn auf, seine Taschen zu leeren.Ich führe einen Alkoholtest durch.Ich nehme ihn wegen anstößigen Benehmens fest.Ich frage ihn, ob er die Bucht von Belfast durchschwommen hat.Natürlich wäre es denkbar, dass keine der oben genannten Möglichkeiten zutrifft. Der Mann könnte schlichtweg Räubern zum Opfer gefallen sein. Zugegeben, es hätten sehr verzweifelte Räuber sein müssen, da fast seine gesamte Kleidung fehlte. Aber ein Raub würde wiederum nicht die nasse Badebekleidung erklären. Außer natürlich, sie hätten ihr Opfer (das, nebenbei bemerkt, rein zufällig lieber eine Badehose als Unterwäsche trägt) untertauchen müssen, um an die Pin-Nummer seiner Kreditkarte zu kommen. In diesem Fall wären es wirklich sehr verzweifelte Räuber gewesen.
Aber möglicherweise würden die jungen und viel versprechenden Nachwuchspolizisten auch ein ganz anderes Szenario vorschlagen. Es hätte doch einen Zusammenhang zum Terrorismus geben können. Bedenken Sie: Es war das Nordirland der 1970er-Jahre. Möglicherweise handelte es sich um eine neue Taktik der IRA? (Ich bitte zu beachten, dass ich versuche, jede Art von Hatte-er-eine-Waffe-bei-sich-Witz zu vermeiden.) Aber welche Taktik könnte dahinterstecken, wenn ein junger Mann, der nichts als eine Badehose anhat, zu einem schwer bewaffneten Polizeirevier mitten in einem geschäftigen Stadtzentrum geschickt wird? Seien wir ehrlich: Es ist unwahrscheinlich, dass es sich um einen Selbstmordattentäter handelt, der größere Mengen Sprengstoff an seinem Körper versteckt.
Nein, die einzige logische Erklärung für eine terroristische Badehosenattacke scheint mir, dass die Polizeibeamten in der Ausübung ihrer Pflicht abgelenkt werden sollten. Was ziemlich genau dem entspricht, was geschah, als Speedoman sie mit den nackten Tatsachen konfrontierte – gut halbnackt, aber Sie wissen, was ich meine. Zwei Beamte fuhren ihn schließlich zurück nach Carrickfergus. Die Autofahrt dauerte fünfundvierzig Minuten. Gerade lang genug, um ihm einen Vortrag darüber zu halten, dass man Polizeibeamte nicht von der Arbeit abhalten durfte, und um dem jungen Tommy zu erklären, dass er dringend eine sinnvolle Beschäftigung brauchte.
Als Kind war ich nur am Osterdienstag in Bangor. Genau genommen, war ich an fünf Osterdienstagen hintereinander in Bangor, weil dort die jährliche Osterparade der Jugendabteilung des Oranier-Ordens stattfand. Als Mitglied der Loyal Orange Lodge Nummer 52 freute ich mich immer auf den Osterdienstag, weil ich dann mein nagelneues Hemd, die lilafarbene Krawatte und die weißen Handschuhe anziehen konnte und dazu die orangefarbene Schärpe, durch die ich eindeutig als Mitglied der LOL 52 zu erkennen war. Ich war erst zehn Jahre alt, aber ich fühlte mich viel älter, als ich mit meiner Sippe zum Rhythmus der Trommeln marschierte – einmal rund um unser Wohngebiet, bevor wir mit dem Bus nach Bangor fuhren, wo wir uns mit Dutzenden weiterer Logen und Kapellen für die große Parade trafen.
Ich freute mich darauf, in den »Kampf« zu ziehen, direkt hinter unserer Flötenkapelle, die stolz darauf war, lauter und rüpelhafter zu spielen als die so genannten »Blood and Thunder«-Bands. (In Wirklichkeit waren diese Bands wesentlich öfter »Thud and Blunder«, also Krach und Patzer statt Blut und Donner.) Ich freute mich auf die Zuschauer, die immer sagten: »Wie großartig die Jungs heute aussehen!«; auf den Hamburger-Stand meines Cousins an der Strecke, wo ich die Getränke zum Burger immer gratis bekam (was ihm nicht geschadet zu haben scheint, er ist heute ein millionenschwerer Geschäftsmann in Belfast); auf die Münzautomaten in der Spielhalle in der Stadt; darauf, ein Geschenk für meinen kleinen Bruder zu kaufen; und auf meine Fish and Chips, die ich immer auf dem Nachhauseweg im Bus aufaß, bevor wir eine bestimmte Gegend im Norden Belfasts passierten, in der unser Bus normalerweise von Kindern der »anderen Seite« mit Steinen beworfen wurde.
Ich sollte vielleicht dazu sagen, dass diese Kinder vermutlich genauso so wenig darüber wussten, warum sie uns mit Steinen bewarfen, wie wir verstanden, warum wir eigentlich als Oranier in Bangor marschierten. Wir waren ziemlich naiv und vermutlich damals alle sehr grün – auch die mit den orangefarbenen Schärpen.
Fünfunddreißig Jahre später bin ich wieder auf dem Weg nach Bangor, wieder aus religiösen Gründen. Aber dieses Mal werde ich zum Rhythmus einer anderen Trommel marschieren. Nachdem ich meine ganz persönliche »Reformation« erlebt habe, verstehe ich, was es wirklich bedeutet, »Protestant« zu sein. Es ist für mich kein Begriff mehr, der festlegt, welcher Seite der konfessionellen Kluft eine Person in Nordirland zugeordnet wird. Es ist auch kein Begriff, der automatisch definiert, wo jemand politisch steht. Heute hat Protestantsein für mich etwas damit zu tun, praktizierender Christ zu sein. Es hat etwas damit zu tun, einen lebendigen Glauben an Gott zu bekennen, der auf dieser Erde wandelte, um jedes nur vorstellbare Hindernis niederzureißen und alle Grenzen zu überschreiten, damit Menschen mit seiner lebensverändernden Liebe erreicht werden.
Ich bin als ordinierter methodistischer Pastor auf dem Weg nach Bangor und als Missionar, der die letzten dreizehn Jahre in Chemnitz, im Osten Deutschlands, gelebt und gedient hat. Meine nordirischen Wurzeln und meine Verbindung zu Deutschland machen meine Fahrt nach Bangor noch bedeutsamer. Ich beginne heute eine Reise, mit der ich in die Fußstapfen einer kleinen Gruppe irischer Mönche trete, die im späten sechsten Jahrhundert als Missionare von Bangor zum europäischen Kontinent aufbrachen. Diese zwölf missionarischen Mönche und ihr charismatischer Anführer Columban brachten das Evangelium auch den deutschsprachigen Menschen ihrer Zeit. Das ist es, was die Geschichte dieser Mönche aus Bangor für mich so faszinierend macht, denn ich lebe, arbeite und diene heute in Deutschland. Die Tatsache, dass meine Landsleute schon vor mir dort waren, das alles mitgemacht und das sprichwörtliche T-Shirt gekauft haben – und das vor vierzehnhundert Jahren –, löst in mir den Wunsch aus, heute in ihren Fußspuren zu folgen.
Meine Reise, die mich nach Frankreich, Deutschland, in die Schweiz, nach Österreich und Italien führen wird, ist für mich ein Novum. Zunächst ist es mein erstes Sabbatical, eine dreimonatige Pause von den Anforderungen des Dienstes zur Erholung, Entspannung und zum Aufladen der Akkus. Neu ist für mich auch, dass ich vorhabe, möglichst große Teile der Strecke zu laufen oder per Anhalter zurückzulegen. Ich könnte bequem mit dem Auto oder mit dem Zug fahren und unterwegs in Hotels übernachten, aber das wäre zu einfach. Es wäre nicht wirklich das, worum es mir bei dieser Reise geht. Ob es nun erste Anzeichen einer heraufziehenden Midlifecrisis sind oder nicht, ich finde die Idee, per Anhalter mit dem Rucksack durch Europa zu reisen, ziemlich reizvoll.
Die Route, auf der ich während meines Columban-Abenteuers unterwegs sein werde, ist kein anerkannter Pilgerweg wie der berühmte Camino de Santiago. Der Jakobsweg führt zur Kathedrale von Santiago de Compostela in Nordspanien, in der mutmaßlich der Apostel Jakobus begraben ist. Auf meinem Weg wird es keine offiziellen Pilgerherbergen geben und keine hilfreichen Schilder, die mir den Weg weisen. Mein Plan besteht einfach darin, mich auf die wichtigsten klösterlichen Zentren in Europa zu konzentrieren, die von Columban und seinen Jüngern gegründet wurden: Saint-Coulomb und Luxeuil (beide in Frankreich), St. Gallen (Schweiz), Bregenz (Österreich) und Bobbio (Italien).
Die konkrete Route, auf der ich diese Ziele erreichen werde, ist mir nicht so wichtig. Wahrscheinlich wird sie durch die Mitfahrgelegenheiten, die sich mir bieten, bestimmt werden. Mir reicht es, mich einfach treiben und alles andere auf mich zukommen zu lassen. Mit etwas Glück wird es dieses Mal nicht so nervenaufreibend wie damals, als ich kurz nach den Balkankriegen durch ein ehemaliges Kriegsgebiet in Kroatien fuhr, in dem alle Straßenschilder abmontiert waren, so dass ich am Ende die Fahrtrichtung anhand des Sonnenstands bestimmen musste. Und zumindest habe ich dieses Mal keine Frau und keine kleinen Kinder im Auto.
Das Reisen per Anhalter ist außerdem eine großartige Möglichkeit, Menschen zu begegnen und ein besseres Verständnis für ihre Region und Kultur zu entwickeln. Ich begegne liebend gerne neuen Menschen, das ist sozusagen mein Hobby. Wann immer ich die Möglichkeit habe, nehme ich Anhalter mit. Als ich noch im County Fermanagh nahe der Grenze zur Republik Irland lebte und arbeitete, habe ich oft den Daumen rausgestreckt, wenn ich wegen eines Termins nach Belfast musste – und das, obwohl ich ein eigenes Auto hatte.
Die Mönche von Bangor im sechsten Jahrhundert pflegten zu Fuß zu gehen, weil es auf diese Weise einfacher war, Menschen das Evangelium weiterzusagen. Das Wandern brachte den Missionar mit den Menschen in Kontakt, die er erreichen wollte. Das Fahren per Anhalter kann wohl als die moderne Entsprechung angesehen werden. Zumindest habe ich im Auto ein Publikum, das mir nicht entkommen kann.
Ich bin allerdings bisher weder auf dem europäischen Kontinent per Anhalter gefahren noch habe ich jemals eine Reise angetreten, ohne mein genaues Ziel zu kennen oder wenigstens sicher zu wissen, dass ich ein Bett für die Nacht haben werde. Das ist definitiv neu für mich, aber zugleich eine Aussicht, die ich spannend finde. Ich sehe mich selbst als eine Art modernen Pilger, unterwegs im Geiste jener Mönche des sechsten Jahrhunderts, die alle weltlichen Besitztümer aufgaben, ihren Wohlfühlbereich verließen und sich allein auf Gottes Versorgung mit dem täglichen Brot verließen. Die Romantik dieser Vorstellung zieht mich an. Dennoch habe ich mich entschieden, mein iPhone und zwei Kreditkarten mitzunehmen, für alle Fälle. Das Zweifeln an Gottes Versorgung ist leider nichts Neues für mich.
Aber es gibt noch einen weiteren Grund dafür, dass diese Reise eine neue Erfahrung für mich sein wird. Es ist meine erste Reise in die Geschichte der Mönche von Bangor, die im frühen Mittelalter die religiöse und kulturelle Landschaft weite Teile Europas veränderten. Während meines Studiums der Kirchengeschichte am Theologischen Seminar habe ich mich intensiv mit der Urkirche beschäftigt, die von der Apostelgeschichte bis zur Bekehrung des römischen Kaisers Konstantin reicht. Während der Regierungszeit Konstantins des Großen, zu Beginn des vierten Jahrhunderts, wurde das Christentum offizielle Religion des Römischen Reiches. Es ist faszinierend, wie das Christentum sich trotz scheinbar unüberwindlicher Probleme wie Irrlehren, Heidentum und erbitterter, systematischer Verfolgung ausgebreitet hat.
Ich lernte auch etwas über den heiligen Patrick und die Anfänge des Christentums im Irland des fünften Jahrhunderts. Patrick ist heute vor allem wegen der Legende bekannt, nach der er die Schlangen aus Irland vertrieben haben soll, was entgegen der verbreiteten Annahme nichts mit Tieren zu tun hat. Die Vertreibung der Schlangen bezieht sich auf Irlands Befreiung von den Heiden oder, wie die keltischen Christen sie nannten, den heidnischen Dämonen, die durch Schlangen symbolisiert wurden.
Trotzdem sehe ich immer noch echte Schlangen vor mir, wenn ich an meinen lieben alten Professor für Kirchengeschichte denke und an die Frage, mit der er sein Seminar über den heiligen Patrick begann: »Was sagte St. Patrick zu den Schlangen, als sie aus Irland ausfuhren?« Er gab seinen Studenten eine kurze Pause zum Nachdenken. Dann tat er, als hätte er ein Lenkrad in den Händen, und rief mit schelmischem Blick über die Schulter nach hinten: »Alles OK da hinten, Jungs?«
Wenn Sie mich fragen, kein schlechter Einstieg für ein Seminar. Der gute Mann hatte unsere volle Aufmerksamkeit, als er uns in den übrigen Stunden die wichtigen Dinge beibrachte.
Die Lehreinheiten über die Zeit der Reformation genoss ich ebenfalls sehr, ohne zu diesem Zeitpunkt ahnen zu können, dass ich später in Deutschland arbeiten würde. Um genau zu sein, in Thüringen, also in dem Land, in dem im Jahre 1517 ein Augustinermönch namens Martin Luther seine 95 Thesen an eine Kirchentür nagelte und damit einen Prozess auslöste, der schließlich in die Reformation und die Gründung der protestantischen Kirche mündete.
Während meiner Ausbildung in Irland zum ordinierten Pastor der Methodistenkirche konnte ich nicht umhin, auch die Kirchengeschichte des achtzehnten Jahrhunderts zu belegen, da sie für den Aufstieg des Methodismus und seine erneuernde Kraft für die Kirchen auf den Britischen Inseln sehr bedeutsam ist. Die Methodisten brachten mit ihrem zweifachen Fokus auf soziale Gerechtigkeit und geistliche Erneuerung eine gesunde Ausgewogenheit in eine Kirche zurück, die fast vollständig vom Weg abgekommen war. So gewährleistete sie eine echte Religion mit Hand und Herz, Wort und Tat.
Ja, ich kann aufrichtig sagen, dass mich die Kirchengeschichte faszinierte und mein Studium mir Spaß machte. Allerdings habe ich nie mittelalterliche Kirchengeschichte studiert. Stattdessen hatte ich nämlich »Frühe christliche Lehren« gewählt und daher das Vergnügen, mich mit Irrlehren wie dem Donatismus, dem Gnostizismus und einigen weiteren »ismen« (Theologen lieben diese »ismen«) zu beschäftigen. Und dabei hätte ich in derselben Zeit von den Abenteuern von Columban, Gallus und anderen Mönchen aus Bangor lesen können, die denen von Indiana Jones um nichts nachstehen!
Noch etwas trug dazu bei, dass ich die Geschichte der Missionare aus dem Bangor des sechsten Jahrhunderts so lange ignorierte: Heiligkeit. Natürlich nicht meine eigene. Aber lassen Sie es mich erklären: Heilige, ganz allgemein betrachtet, stehen nicht sehr weit oben auf der protestantischen Hitliste. Anders ausgedrückt: Heilige sind eher eine katholische Angelegenheit. Oder zumindest keine Angelegenheit der Freikirchen, zu denen viele protestantische Kirchen zählen, auch die methodistische.
Der durchschnittliche, zweidimensionale Protestant aus Nordirland, wo Politik und Kirche immer schon schwierige Bettgenossen waren, ist sich zahlreicher bedeutsamer Teile seines nationalen christlichen Erbes nicht bewusst, und zwar deshalb, weil er sie für katholisch hält oder für irisch (also nicht britisch) oder etwas noch Schlimmeres. Darum sind alle, die die Bezeichnung »Heiliger« oder »Sankt« vor dem eigentlichen Namen tragen, höchst verdächtig. Selbst der gute alte heilige Patrick ist einigen der so genannten Protestanten aus Nordirland schon zu katholisch. Sicher können Sie sich vorstellen, wie diese Leute reagieren, wenn sie Namen wie St. Comgall, St. Columban oder St. Gallus hören. Für das geschärfte protestantische Gehör klingt das einfach zu katholisch oder zu papistisch, obwohl diese Jungs alle aus Bangor kamen, das heute paradoxerweise eine überwiegend protestantische Stadt ist.
Ich muss zugeben, dass ich Teile dieser verkehrten und engstirnigen Ansichten aus meiner eigenen Kindheit kenne. Ich bin ein Kind meiner Zeit. Einer Zeit, in der Protestanten und Katholiken in Nordirland aus religiösen Gründen getrennt wurden und auf unterschiedliche Schulen gingen; einer Zeit, in der auf beiden Seiten der religiösen Kluft Angst und Misstrauen den Nährboden für die Saat von Hass und Sektiererei bildeten; einer Zeit, in der die Vergangenheit wichtiger war als die Zukunft; einer Zeit, in der Politik von der Herkunft abhing und Religion von Menschen gemacht wurde, oft ohne Raum für Gott und das Gute. Während meiner Kindheit in einer Siedlung der protestantischen Arbeiterklasse in Carrickfergus hatte ich weder Gelegenheit noch Neigung, mich für ein paar obskure mittelalterliche Heilige mit katholisch klingenden Namen zu begeistern.
Aber heute ist alles anders. Heute fasziniert mich der Gedanke, diese Giganten der Mission kennenzulernen, die unbekannten Helden aus Ulster. Es ist an der Zeit, die Lücken zu schließen und die Punkte auf dem Papier miteinander zu verbinden, damit das ganze Bild zum Vorschein kommt – mitsamt den Heiligen.
Ich kann es kaum erwarten, zu erfahren, was Gott mir durch meine geistlichen Vorfahren des alten Irlands sagen möchte; was sie mich über das Leben und über den Glauben lehren können und darüber, wie man beides auf sinnvolle, bedeutsame Art miteinander verbinden kann, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ich freue mich darauf, überrascht zu werden, wenn ich auf meiner Reise mit den mittelalterlichen Heiligen einigen modernen Heiligen des Alltags begegne.
Ich hoffe außerdem, dass meine Entdeckungsreise auf den Spuren Columbans und seiner zwölf missionarischen Begleiter aus Bangor Licht auf meine eigenen mittelalterlichen Scheuklappen wirft und mir ein paar Fragen beantwortet, die mich zurzeit verwirren – tiefschürfende Fragen, schwerwiegende Fragen, Gottesfragen, Lebensfragen. Fragen, die komplizierter sind als der Fall des Mannes mit dem Rucksack, der mit dem Gesicht nach unten tot in der Wüste lag ... dessen Fallschirm sich schlicht nicht geöffnet hat. Wer weiß? Vielleicht liegen die Antworten direkt vor unserer Nase.
Ich habe mich entschieden, die kurze Strecke von Bangor nach Belfast mit dem Zug zurückzulegen. Nachdem der Zug aus dem Hauptbahnhof ausgefahren ist, passieren wir die Odyssey Arena, die Heimat der Belfast Giants, des einzigen professionellen Eishockeyteams in Nordirland. Keine zwei Kilometer weiter gibt es weitere Giganten von Ulster zu sehen: zwei riesige Kräne mit Kultcharakter, die die Skyline von Belfast dominieren. Sie gehören zu Harland and Wolf, früher die größte Werft der Welt und Wiege der Titanic (Als sie hier ablegte, war sie in Ordnung!). Dann kommt der George Best City Airport, benannt nach einem Typen von hier, der später einer der besten Fußballer der Welt wurde (Falls Sie mir nicht glauben, fragen Sie Brasiliens Pelé!). Der Zug fährt weiter in Richtung Bangor, vorbei an Luxushäusern und schicken Kleinstädten an der »Goldküste« der Bucht von Belfast, die ihren Namen völlig zu Recht trägt.
Man kann sich leicht vorstellen, warum Menschen sich hier niederlassen möchten. Der heilige Patrick sah das offensichtlich auch so. Der Legende nach kamen Patrick und seine Gefährten eines Tages in ein Tal, um sich auszuruhen. Plötzlich wurde das Tal von einer Schar Engel erleuchtet und ein himmlischer Chor sang zur Ehre Gottes. Patrick nannte den Ort Vallis Angelorum. Später wurde dort, im »Tal der Engel«, ein heiliger Ort errichtet, der Irland als das »Land der Heiligen und Gelehrten« bekannt machen sollte. Dieser heilige Ort war Bangor, eine klösterliche Gemeinschaft, gegründet von St. Comgall im Jahr 588.
Während ich aus dem Fenster schaue, wandern meine Gedanken zurück zu dem, was ich in Jonathan Bardons hervorragendem Buch A History of Ulster gelesen habe, als ich mich auf mein Columban-Abenteuer vorbereitete. Nur dadurch konnte ich verstehen, warum Columban und die anderen Mönche von Bangor in der Lage waren, das zu tun, was für einen Iren das Allerschwerste ist – schwerer, als das eigene Leben zu opfern –, nämlich Irland zu verlassen. Ich stellte fest, dass es den Missionaren aus Irland gelungen war, Klöster zu gründen, aus denen bald die europäischen Städte Auxerre, Luxeuil, Bobbio, Würzburg, Regensburg, St. Gallen und Wien entstehen sollten, um nur einige zu nennen. Das Römische Reich – oder dessen Abwesenheit in Irland – und sein Untergang spielen in dieser Geschichte eine bedeutende Rolle. Die Faszination liegt im Detail.
Julius Cäsar marschierte im Jahr 55 vor Christus in Britannien ein und erweiterte damit die Grenzen des Römischen Reiches bis an die westlichen Ränder Europas. Gnaeus Iulius Agricola, damals Statthalter Britanniens und Kommandeur der XX. Legion sowie der Flottille in der Irischen See, hatte sich im Jahr 82 nach Christus bereit gemacht, die Segel in Richtung Ulster zu setzen, um die Insel Irland (Hibernia) für das Reich einzunehmen. Was allerdings nie geschah. Eine in Galloway stationierte Legion deutscher Rekruten meuterte, so dass der römische Kaiser Domitian gezwungen war, seinen Statthalter nach Norden zu senden, um dort den Aufstand niederzuschlagen. Als der Statthalter Agricola zurückkehrte, zeigten sich erste Risse im Römischen Reich und die Römer waren gezwungen, sich bis hinter den Hadrianswall zurückzuziehen, wo sie mit ganz anderen Dingen als einer Invasion in Ulster beschäftigt waren.
Den Deutschen haben wir es also zu verdanken, dass Irland von den Römern nicht besiegt wurde – und dass wir weitere neunzehnhundert Jahre warten mussten, bis wir vernünftige, gerade Straßen bekamen.
Im vierten und fünften Jahrhundert wurde das Römische Reich von deutschsprachigen Völkern aus Mittel- und Nordeuropa angegriffen. Das führte dazu, dass immer mehr Legionen von den Außenposten des Imperiums abgezogen wurden, um Rom zu verteidigen. Das römische Britannien hingegen wurde barbarischen Eroberern als Beute überlassen. Die Pikten griffen aus dem Norden an, die Engländer aus dem Osten, die Iren aus dem Westen. Plündernde irische Stämme brachten Schätze und Gefangene aus dem römischen Britannien mit nach Irland. Einer dieser Gefangenen war ein junger Mann namens Patricius. Nachdem die Römer nicht bis Irland gekommen waren, sorgte er zusammen mit anderen dafür, dass zumindest ihre Religion es schaffte.
Als Sklave hütete Patrick sechs Jahre lang Schafe in einer Gegend, die in Nordirland heute als County Antrim bekannt ist. Er litt ständig unter Kälte und Hunger, wurde aber bei allem durch seinen christlichen Glauben getröstet. Eines Tages gelang ihm auf einem Piratenschiff die Flucht und er kehrte zurück in sein Heimatland Britannien. Aber Gott, der offensichtlich Sinn für Humor hat, erschien Patrick im Traum und rief ihn zurück nach Irland. Dieses Mal sollte er als Missionar dort hingehen, um seinen ehemaligen Entführern den christlichen Glauben zu bringen. Wenn ich daran denke, wie beide Seiten der religiösen Kluft in Nordirland sich heute um den heiligen Patrick streiten und darüber, auf welcher Seite er stehen würde, könnte ich verzweifeln. Ich stelle mir oft vor, wie großartig es wäre, wenn noch mehr Menschen aus Ulster ihren Glauben so erfahren und leben würden, wie Patrick es getan hat. Ein Glaube, der nicht nur dazu befähigt, nach vorn zu blicken und weiterzugehen, sondern auch dazu, zurückzugehen und gerade denen zu dienen, die einem so viel Schmerz und Verletzung zugefügt haben. Denn das ist wahre Bekehrung.
Patrick wurde Mönch und evangelisierte Ulster etwa in der Mitte des fünften Jahrhunderts. Besonders erfolgreich war er in der herrschenden Klasse. Die gälischen Könige – es gab Hunderte von ihnen – spendeten der Kirche oftmals Land und wurden Patrone der neugegründeten Klöster, die nun in ganz Irland aus dem Boden schossen. Einer dieser monastischen Orte war Bangor an der Nordostküste der Insel.
Wie so viele andere begann auch dieses Kloster, aus dem später eine Stadt werden sollte, mit einigen wenigen Mönchen, die in einfachen Bienenkorbhütten lebten. Die Hütten waren um eine bescheidene Kirche gruppiert, daneben gab es weitere Gebäude, die der Landwirtschaft oder dem Handwerk dienten, dazu Wasch- oder Gästehäuser. Da es in Irland bis in das neunte Jahrhundert keine Dörfer oder Städte gab, wurden die Klosteranlagen zu religiösen, kulturellen und wirtschaftlichen Zentren. Bangor war keine Ausnahme. Im sechsten Jahrhundert war als Zentrum der Lehre und des christlichen Zeugnisses nur Iona vergleichbar – gegründet von dem anderen großen irischen Missionspionier, St. Columcille von Derry.
Von einer Gruppe Teenager werde ich unsanft ins einundzwanzigste Jahrhundert zurückgeholt. Mit ihrer unflätigen Sprache und ihrem schlechtem Benehmen terrorisieren sie den ganzen Wagen. Leider ist das Land der Heiligen und Gelehrten nicht frei von Sündern und schlichten Gemütern. Als der Zug in den Bahnhof von Bangor einfährt, beobachte ich die Jugendlichen, die in ihren teuren Fußballtrikots und mit den neuesten Smartphones eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Beim Aussteigen spreche ich ein stilles Gebet für sie, für ihre Eltern und auch für mich selbst. Möge Gott uns alle beständig erkennen lassen, dass die wichtigsten Dinge im Leben eben keine Dinge sind.
Ich verlasse den Bahnhof und gehe die Abbey Street hinauf. Dort stürzen von allen Seiten Versuchungen auf mich ein, und ich muss kämpfen, um ihnen zu widerstehen: Fish-and-Chips-Buden. Einer der Nachteile Deutschlands ist, dass man sich in einem Land befindet, das der Fisch-und-Pommes-Gott vergessen hat. Deshalb übertreibe ich es immer ein bisschen, wenn ich meine Familie in Nordirland besuche. In einem Moment der Schwäche bleibe ich vor »Captain Cod« stehen und quäle mich mit Fantasien von Frikadellen in Bierteig und frittierten Zwiebelringen mit jeder Menge Salz und Essig. Das Fleisch ist willig, aber zum Glück ist der Geist nicht schwach, und so bin ich bald wieder auf dem Weg, die geistliche Heimat Columbans vor Augen, nur ein paar hundert Meter weiter die Straße hinunter.
Das Erste, was mir an Bangor Abbey ins Auge fällt, ist der historische Friedhof. Ich lebe seit dreizehn Jahren in Deutschland und hatte vergessen, wie alt irische Gräber und Grabsteine sein können. In Deutschland gibt es einige Dauergräber, aber die allermeisten Grabstellen sind auf vorübergehende Nutzung angelegt und werden nach nur zwanzig Jahren, wenn (vermutlich?) alle sterblichen Überreste vollständig zerfallen sind, »abgeräumt« und für die Wiederverwendung vorbereitet.