Pilgern ohne Smartphone! Ciao, bella, ciao - Alexander Arnold - E-Book

Pilgern ohne Smartphone! Ciao, bella, ciao E-Book

Alexander Arnold

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Beschreibung

Mitten in einer Lebenskrise, mit Ende 40, kurz vor der Scheidung und beruflich ausgebrannt, begebe ich mich auf den Weg. Fast ein halbes Jahrhundert liegt hinter mir, aber was liegt vor mir...? Lauter Fragen und Themen des Lebens bilden eine größere Last auf meinen Schultern als das leichte Pilger-Gepäck auf meinem Rücken. Der Camino führt von Porto über Santiago de Compostela nach Fisterra, doch letztendlich ist es der Weg zu sich selbst. Es ist ein Abenteuer, ohne Smartphone unterwegs zu sein, mit einer guten Wahrnehmung für die Wunder der Natur. Zu Beginn erweist der Weg sich als sehr holprig und stressig, aber mit der Zeit läuft es ruhiger und runder. Der schweigsame Einzelgänger trifft am Ende des Weges immer wieder auf Pilgerin Tina, und zum Ende der Reise teilen sie nicht nur den gemeinsamen Weg...

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INHALT

Vorwort:

Tag 1/ 30.04.2019: Anreise nach Porto

Karte Portugal

Tag 2: Porto – Vila do Conde

Tag 3: Vila do Conde – Esposende

Tag 4: Esposende – Viana do Castelo

Tag 5: Viana do Castelo – Caminha

Tag 6: Caminha – Valença

Wappen

Karte Spanien

Tag 7: Valença – Mos

Tag 8: Mos – Pontevedra

Tag 9: Pontevedra – Caldas de Reis

Tag 10: Caldas de Reis – Padron

Tag 11: Padron – Santiago de Compostela

Tag 12: Santiago de Compostela – Piaxe (A Pena)

Tag 13: Piaxe (A Pena) – O Logoso

Tag 14: O Logoso – Fisterra

Tag 15: Fisterra – Muxia

Tag 16: Muxia – Santiago de Compostela

Tag 17: Santiago de Compostela – Heimat

„Mein Wappen“

Mal anders lesen – alles darf, nichts muss

Daten und Fakten:

Reiseverlauf:

„Mein Wappen“

mit den Symbolen, die mich auf meinen Weg begleitet haben.

Vorwort:

Ein Prozess des Umdenkens sollte beginnen. Nicht einfach, aber machbar, war ich der Ansicht. Wir werden sehen, wohin es mich führt. Ernährung, Sport, Yoga, ja, der Weg, spiritueller und gesünder zu leben, war der Anfang für ein gefühlt besseres Leben. Ich suchte nach Rat und fand einen Schamanen, den ich ohne Vorurteile besuchte, um zu hören, ob er mir helfen könnte oder vielleicht sagen konnte, wie mein Weg sein sollte. Er erzählte mir sehr viel. Aus meinem früheren Leben (Vergangenheit), aus dem JETZT (Gegenwart) und dem eventuell weiteren Weg (Zukunft). Verrückte, aber auch sehr interessante Behauptungen standen im Raum, die mich packten. Die wichtige Aussage war, dass ich mich auf eine Auszeit vorbereiten sollte. Als Empfehlung gab er mir den Jakobsweg in Spanien und Portugal an die Hand. Es hat etwas in mir ausgelöst. Meine Gedanken gingen nur darum, wie ich das bloß realisieren sollte. Ich hatte einen guten Job. Ich konnte doch auch nicht so einfach alles hinwerfen und meinen Sohn allein lassen. Von langer Hand musste ich es planen. 2021 sollte das Jahr werden, in dem ich den Camino del Norte gehen wollte. „Bis dahin ist es noch sehr lange hin“, dachte ich mir. Nichtsdestotrotz fing es an, viel positiven Stress in mir auszulösen. Als sehr ungeduldiger Mensch sah ich das als meine erste Prüfung. In der Ruhe liegt die Kraft! Viele Dinge im Leben brauchen ihre Zeit. Besonders die, die einem guttun sollen. Die immer schneller werdenden Prozesse, in der immer schneller werdenden Welt, lösen in uns nur Stress aus und machen uns krank. Meine Geduld hält das so lange nicht aus. Ich bin ein Mensch, der Taten sprechen lässt. Was tun? Nach einiger Zeit kam dann auch die Lösung, um meine Ungeduld zu beruhigen. Eine Freundin brachte mich darauf. Sie gab mir den Hinweis, dass ich doch erst mal einen kleineren Camino gehen solle, um zu schauen, ob es mir überhaupt gefällt. Ich fand die Idee super. So plante ich diese Reise, die ich mit einem normalen 2,5-wöchigen Urlaub realisieren konnte. Die Vorbereitungen und das Training für den Camino Portugues konnten beginnen. 4 Monate später ging es los. Meine Abenteuerreise von Porto bis ans alte Ende der Welt in Fisterra.

Tag 1/ 30.04.2019: Anreise nach Porto

Die Tasche ist gepackt und ich habe das Gefühl, nichts vergessen zu haben. Innerlich bin ich sehr angespannt. Ständig laufe ich hin und her, schaue zum dritten Mal nach, ob ich meine Flip-Flops eingepackt habe. Schon seit Tagen merke ich, wie gereizt ich bin. Warum nur?

Um 17:15 Uhr kommt Julian, ein Freund, der mich zum Flughafen bringen soll. Sein Fahrstil gibt meinen Nerven den Rest. Ich kralle mich am Sitz fest und brülle:

„Du fährst wie ein Anfänger! Mal rast du wie ein Verrückter, dann schleichst du wie eine Oma. Oh, Mann …“

Julian schaut mich mit großen Augen an, zuckt mit den Schultern und murmelt nur:

„Alex, du bist urlaubsreif!“

Ich spüre, dass er recht hat, schließe die Augen und schweige.

Warum bist du nur so genervt, frage ich mich. Egal, einfach nur weg! Raus aus diesem Alltag, hinein in mein Abenteuer mit dem Slogan:

Der Weg ist das Ziel!

Um 18:30 Uhr sind wir am Flughafen Weeze, nahe der Grenze zu den Niederlanden. Ich verabschiede mich nur kurz von Julian. Vermutlich ist er froh, mich, die Nervensäge, loszuhaben, denke ich mir. Auch ich bin erleichtert, ohne Nervenzusammenbruch und Massenkarambolage angekommen zu sein. So winke ich ihm kurz nach, auf der Suche nach dem Abflugschalter. Der Ryanair-Check-in ist der ganz normale Wahnsinn. Menschen wuseln kreuz und quer herum. Mit ihren Kopfhörern wirken sie wie ferngesteuert. Alle agieren wie Roboter. Welch trauriges Bild. Die Unruhe der Autofahrt will sich wieder bemerkbar machen. Bitte nicht! Endlich bin ich dran, das Gepäck ist aufgegeben und der Sicherheitscheck geht zügig über die Bühne. Ich habe ausreichend Zeit. Ein tiefer Atemzug beruhigt vorerst mein Gemüt. Vor dem Start kaufe ich mir eine Zeitschrift, ein Wasser und ein Baguette. Reisen macht bekanntlich hungrig und durstig, oder ist das auch Nervennahrung? Ich überlege kurz, das Wasser in einen Rotwein umzutauschen. Lasse es dann aber. Manchmal siegt die Vernunft. Aber nur manchmal. Bevor ich zu stolz auf mich werde, fällt mir wieder ein, was ich fast vergessen habe. Morgen hat mein Sohn ein wichtiges Turnier. Ich zücke das Handy, überlege, was ich sagen soll. Überlege, überlege, kratze mich am Kopf. Dann tippe ich eine SMS:

„Drücke dir alle Däumchen zum bevorstehenden Turnier! Du schaffst das! Ich habe Dich lieb!!“

Nach dem Versenden blicke ich noch einige Zeit auf das Display und frage mich, wie es ihm wohl geht. Wann hast du das letzte Mal mit ihm geredet, so richtig geredet? Ich denke nach und muss länger zurückdenken. Bringt nichts, sage ich mir. Du musst nach vorne blicken. Als ich mich umschaue, sehe ich einige Personen, die danach aussehen, als ob sie auch pilgern wollen. Zumindest wären deren Schuhe und Kleidung nicht für einen Samba-Wettbewerb geeignet. Mal sehen, ob man sich wiedersieht.

Der Flieger ist voll, und wir starten etwas verspätet. Da ist etwas, das ich gar nicht mag bei Ryanair. Die Sitze sind der Horror. Mir tut schon nach fünf Minuten der Hintern weh. Aber das Schicksal meint es gut mit mir, denn erfreulicherweise holt der Flieger die verlorene Zeit wieder rein. Wir landen pünktlich, dafür zieht sich die Gepäckausgabe hin. Ich frage mich, warum die keine Sessel neben das Gepäckband stellen. Die könnte man gut gebrauchen, um ein kleines Nickerchen zu machen. „Scheiß Ryanair!“, flucht einer neben mir. Ich grinse ihm erst zustimmend zu und denke mir: „Was erwartest du bei einem One-way-Flug für 85 Euro inklusive Gepäck?“ Dabei habe ich den erst vor ein paar Wochen gebucht. Was die Sache meist nicht günstiger macht. Immer noch zu teuer für die Leistung? Nein, bei Weitem nicht. Bei dem gesellschaftlichen Motto Geiz ist geil stehen Leistung zu Vergütung in keinem Verhältnis mehr. Nach 30 Minuten startet endlich das Gepäckband. Wie sollte es anders sein, natürlich kommt mein Rucksack erst ganz am Schluss. Immerhin ist mein Sack dabei. Ich atmete tief durch, als ich ihn endlich in Händen halte. Ich hatte vor einigen Tagen mit der Vermieterin der heutigen Übernachtung gemailt und sie informiert, dass ich kein Smartphone, Tablet oder Laptop dabeihaben werde. Nur ein Handy, dass wir also nur telefonieren oder smsen können.

Ganz bewusst habe ich kein Smartphone mitgenommen. Mich nervte es in der letzten Zeit. Ständig bimmelte, blinkte oder brummte es, kamen SMS, E-Mails, WhatsApp-Meldungen, auf die ich reagieren musste. „Ja, bin ich denn der Sklave dieses Dings?“, fragte ich mich, schaltete es ab und ließ es zu Hause. So ganz wollte ich auf die moderne Kommunikation nicht verzichten. Es gab in den 90er-Jahren einen Handyhersteller aus Skandinavien, der war so groß und bedeutend wie heute der Obst-Hersteller aus Silicon Valley oder der Elektronik-Hersteller aus Süd-Korea. Er produzierte Telefone, die aussahen wie Knochen von einem Dinosaurier. Mit diesen unförmigen Dingern konnte man schon damals telefonieren und eine SMS versenden. Das war der Hit, damals. Ich war ganz erstaunt, dass man diese Dinger heute noch kaufen kann. Der Verkäufer erklärte mir:

Man glaubt es kaum, aber es gibt immer noch Menschen, die wollen nur telefonieren oder mal eine SMS verschicken!

Das war genau das, was ich brauchte! Schließlich gab es ja auch ein Leben vor WhatsApp und Co., das machte mir Mut, als ich das digitale Trümmerteil bezahlte. Mein Plan war es ja sowieso, in den Orten vor Ort in einem Internetcafé die Übernachtungen der nächsten Nächte zu buchen. Da würde es bestimmt was geben.

Da ich von den Mehrbettzimmern, auch Pumakäfige genannt, nichts halte oder auch von Schnarchkonzerten in Massen-Schlafräumen, will ich lieber Pensionen und Hotels buchen. Natürlich gibt es auch da Budgetgrenzen. Nicht mehr als 50 Euro die Nacht will ich ausgeben. Gut, das ist eine ganze Ecke mehr als in einer Herberge, die nur circa 6 bis 15 Euro kostet. Der Komfort eines Einzelzimmers ist es mir wert. Die ersten drei Nächte sind ja schon fix, die hatte ich vorgebucht, denn so weit hatte ich planen können. Ein wenig Flexibilität wollte ich mir doch geben. Wer weiß, was alles auf so einer Reise passiert?

Elena, die Besitzerin meiner ersten Pension, hatte mir angeboten, mich für eine Gebühr am Flughafen abzuholen. Das habe ich natürlich gerne angenommen, da ich abends ankommen würde und nicht wusste, wie ich dann zu meiner ersten Übernachtungsmöglichkeit finden würde. Es ist hier nach meiner Ankunft schon 22:00 Uhr und stockduster. So schlendere ich dem Ausgang des Flughafens entgegen. Dabei blicke ich suchend in die Menge der Menschen, die auf ihre Freunde und Angehörigen warten.

Und da sehe ich sie. Ich habe sie sofort erkannt, eine typische Portugiesin: dunkle Haare, dunkle Augen, schulterlanges Haar und genau das nette Lächeln wie auf ihrem Profilbild.

„Alexander?“, fragt sie schüchtern.

Ich nicke, lächle und frage: „Elena?“

Da strahlen ihre dunklen Augen, sie begrüßt mich mit einem lockeren „Olá!“ und stellt mir ihren Freund Ramon vor. Der drückt mir schweigend die Hand und mustert mich von oben bis unten. Ich versuche mein bestes Schwiegersöhnchenlächeln. Anscheinend kommt es gut an, denn er brummt etwas vor sich hin, das ich nicht verstehe. Dabei tippeln wir zum Auto. Dass Elena ihren Freund mitgebracht hat, kann ich nachvollziehen. Sie sieht noch viel besser aus als auf dem WhatsApp-Bild! Wer weiß, was da für Typen kommen, die anonym über das Internet buchen, denke ich bei mir. Elena reißt mich aus meinen Gedanken. Sie spricht sehr gutes Englisch. Wir reden auf dem Weg zu ihrem Auto über meinen Flug, das Wetter in Deutschland und Portugal. Also über belanglose Sachen. Ihr Freund trabt wie ein treuer Hund voraus, der immer mit einem Ohr verfolgt, ob es dem Frauchen gut geht. Nach einem kleinen Fußmarsch zum Parkplatz fahren wir mit ihrem französischen Kleinwagen an den Stadtrand von Porto. Inzwischen ist es dunkel und ich lasse die Lichter der Nacht an mir vorbeiziehen, lausche Elenas Worten, die mir von Porto erzählt, während Ramon schweigend den Wagen durch immer kleiner werdende Straßen lenkt. Es sind über 10 Kilometer zu ihrer Wohnung, erzählt mir Elena. Nach etwa 20 Minuten chauffiert Ramon das Auto in die Tiefgarage. Ein etwas betagter Fahrstuhl bringt uns ratternd in das fast oberste Stockwerk. Die Pension Elena ist eine private Wohnung, keine offizielle Pension. In der kleinen Wohnung hat sie ein Zimmerchen abgezwackt und dazu ein kleines Bad eingerichtet.

„Dein eigenes Reich, Alexander!“, stellte mir Elena mein Zuhause für diese Nacht vor.

Danke! Ein Bett, ein Bad, mehr brauche ich nicht.

Ich bin sowieso morgen früh relativ schnell weg, da Elena kein Frühstück anbietet. Sie drückt mir den Wohnungsschlüssel in die Hand, falls ich wegwill, und erklärt mir noch ein paar Kleinigkeiten für mein Reich. Ramon baut sich mit auf breiter Brust verschränkten Armen vor Elenas Schlafzimmer auf und erklärt ohne Worte, wo mein Reich endet und seines beginnt. Da ich doch etwas geschafft bin, mache ich mich bettfertig und lege mich hin. Beim Einschlafen schrecke ich auf, als mir einfällt:

Morgen ist der 1. Mai, auch in Portugal ist am 1. Mai Feiertag! Wo finde ich da ein Frühstück? Gedanklich werfe ich bereits Google an, da ich ja auf WWW & Co. verzichten will und gewiss nicht der Einzige in Portugal sein werde, der frühstücken gehen möchte, beruhigt mich das wieder. „Da wird es gewiss ganz viele und tolle Cafés oder Bäckereien auf meiner Wanderroute geben“, sage ich leise zu mir selbst, und hoffe: „Die werden doch hoffentlich nicht alle so bekloppt wie wir sein und alle Bürgersteige hochklappen. Vielleicht noch schlimmer, sich sogar verbarrikadieren?“ Als sich meine Gedanken gerade nervlich wieder etwas beruhigt haben und ich fest entschlossen bin, am 1. Mai nicht zu verhungern, jagt ein Donnerhall an meinem Kopfende vorbei. Es klingt, als würde der Niagara durch dieses Zimmer stürzen. Aber es ist nur das Abwasserrohr, das an meinem Kopfteil des Bettes die Ergebnisse der Toilettenspülung weiterbefördert. Ich will schon aus dem Bett springen, als ich merke, dass die nächste Spülung durch das Rohr jagt.

„Zum Glück nur durch das Rohr“, denke ich mir, „und nicht das ganze Zimmer.“ Es ist der Horror!

Der zweite an diesem Tag, wenn man den Fliegersitz mitzählt, und der dritte, wenn man Julians kleine Tour mitberücksichtigt. Die Toilettenspülung läuft die ganze Zeit, mal lauter, mal leiser, mal wie der Niagara persönlich und mal, als würde ein Stehpinkler aus dem 10. Stock in eine Schüssel im Erdgeschoss zielen. Ich gehe ins Bad, suche nach einem Rädchen, wo ich das abstellen könnte. Das einzige auffindbare kleine Wasserrad sitzt bombenfest. Nichts rührt sich. Nur die Spülgeräusche setzen sich durch die Rohrleitungen wie in Verstärkerröhren fort. Ich schlurfe wieder in mein Bett und suche in meinem Gepäck nach den Ohrstöpseln. Sie sind von meinem Arbeitgeber, wir verschenken sie als Give-away. Hoffentlich taugen die etwas, brumme ich vor mich hin und drücke sie fest in beide Ohren. Ich spüre den Druck der beiden Pfropfen und höre trotzdem die Spülung. Auch als ich mir das Kissen über den Kopf auf die Ohren drücke, höre ich die Wasserwellen durch die Leitung toben. Innerlich koche, fluche und schimpfe ich über die Ohrbolzen, die überhaupt nichts taugen. Die rufen nur Druck im Ohr hervor. Ich hoffe inständig, dass die Kunden nicht so sauer auf unsere Firma sind, wie ich es gerade bin. Am liebsten hätte ich sofort eine E-Mail an die Marketingabteilung geschickt, aber ich habe ja keinen E-Mailzugang. So wälze ich mich von einer Seite auf die andere. Nach einiger Zeit schaffe ich es doch irgendwie, vier Stunden am Stück zu schlafen.

Karte Portugal

Tag 2: Porto – Vila do Conde

Es ist schon ein wenig hell, sodass man aufstehen kann; insbesondere, da es merkwürdigerweise in der Spülung ruhiger wurde. 06:30 Uhr, nichts geht mehr! Eine Freude steigt so langsam in mir auf. Erst mal duschen, Füße eincremen und den Toiletten-Terror der letzten Nacht vergessen. Wie vergessen? Ich stutze, lausche und staune. Plötzlich ist das Geräusch ganz weg. Hat einer doch den richtigen Hebel oder Schalter gefunden?! „Hätte er das nicht früher erledigen können?!!“, knurre ich halblaut vor mich hin. „Das ist doch ein blöder Scherz. Will mich da einer verar...?“

Allerdings fällt mir dazu keiner ein, denn ich kenne sonst niemanden hier in Portugal. Daher ist es sinnlos, weiter darüber nachzudenken. Der erste Tag meiner Wanderreise beginnt. Der soll ganz entspannt sein. Ganz ohne Ballast.

Meine Füße creme ich schon seit etwa zwei Monaten ein. Jeden Abend bekommen meine Pedale eine ordentliche Portion Hirschtalg, die ich sorgsam verreibe. Das ist gut für die Haut, um das Wundwerden von Hautstellen wie Blasen zu vermeiden. Nebenbei ist es da, um das Gleichgewicht zu stärken, da die Creme ganz schön glitschige Füße macht. Zu dem abendlichen Eincreme-Ritual kommt jetzt auch noch das morgendliche Kampferspray oder der Fußpuder. Doppelt gemoppelt hält besser. Das Paket an Cremes soll bestens gegen Blasen und Abschürfungen helfen. Ein Verkäufer im Wanderladen hatte mir den Tipp gegeben. Ich hatte ihm versprochen, nach meiner Rückkehr zu berichten. Ich frage mich schon, warum ich ihm berichten soll, ob es geklappt hat. Bisher stelle ich fest, dass die Eincremerei angenehm weiche Füße macht. Das war bisher weder hinderlich noch vorteilhaft. Seitdem ich weiß, dass ich den Jakobsweg gehe, trainiere ich, so oft es geht. Ich laufe also so oft wie möglich mit meinen Wanderschuhen und meinem Rucksack in die Pampa. Ich wollte meinen Körper an die Belastungen gewöhnen. Denn mein Körper war gewohnt, alles im Umfeld von 100 Metern mit seiner lauten Stimme zu erreichen. Für den Rest gibt es schließlich Smartphone und Auto!

Mein Rucksack wiegt inklusive Inhalt etwa 7,5 kg. Wenn dann noch Getränke und Proviant dazukommen, sind es locker 10 Kilogramm. Das trägt man nicht so einfach einen ganzen Tag spazieren. Das war mir sofort klar, als ich mich intensiver mit der Reise beschäftigte.

Ich bin ein Planer durch und durch. Bevor ich einen Schritt mache, plane ich diesen, den nächsten bis zum übernächsten. Daher machte es mir auch Freude, diese Reise so systematisch vorzubereiten. Manchmal denke und plane ich zu viel, ich weiß. Einfach vom Schreibtisch weg drauflos zu stiefeln schien mir naiv, unüberlegt und gefährlich. Es soll ja Leute geben, die einfach drauflosmarschieren, falls ihnen nicht schon nach einem Tag die Puste ausgeht und die Blasen die Samba-Shoes sprengen.

Ich blicke in meinem Reich um mich, alles vorbereitet, eingepackt, ordentlich zurückgelassen, die Übernachtung hatte ich gestern bezahlt. Alles erledigt. So bin ich reisefertig für meinen ersten Tag. Meine Freude ist riesig. Ich schleiche mich aus der Wohnung, keine Spülung dröhnt, nur leise Schnarchgeräusche von Ramon dringen aus Elenas Schlafzimmer. Mit dem Fahrstuhl fahre ich nach unten. Raus aus dem Haus stehe ich auf der Straße. Ich blinzle in die Morgensonne und versuche, mich zu orientieren. Denn im Morgenlicht sieht hier die Welt ganz anders aus. Schnell habe ich mein erstes Ziel gefunden: eine Tankstelle. Ich grüße wie von Elena gelernt mit einem lockeren Olá und kaufe eine große Flasche Wasser. Mit 1,5 Kilogramm mehr auf Rücken schlendere ich in Richtung Meer.

Die frische Luft tut mir gut. Es wirkt belebend. Schneller werden meine Schritte, als ich in 200 Meter Entfernung ein kleines Café entdecke, das geöffnet zu haben scheint, denn Menschen kommen und gehen. Erwartungsvoll öffnete ich die quietschende Tür, setzte mich an einen der freien Plätze. Mit Händen und Füßen bestelle ich ein Käsebaguette mit einem hoffentlich leckeren Milchkaffee. Das geht relativ gut mit meinen drei Fremdsprachen oder zutreffender: mit meinen Bruchstücken aus Portugiesisch und Spanisch. Englisch ist hier nicht so stark verbreitet, stelle ich fest. Niederländisch oder Deutsch versuche ich erst gar nicht.

Es ist mittlerweile 8:00 Uhr. Die Straßen sind fast menschenleer. Wie auch zu Hause in Deutschland an einem Feiertag im Mai. Das Wetter ist ein Traum. Strahlend blauer Himmel. Weit und breit keine Wolke. Nachdem ich Käsebaguette inklusive Milchkaffee verzehrt habe, mache ich mich gestärkt auf den Weg. Es ist schön, so durch die ruhigen Straßen im Vorort von Porto zu wandern. Die grobe Richtung weiß ich. Auch, dass ich eine Brücke überqueren muss. Die Sonne geht ja bekanntlich im Osten auf. Das gibt mir einen wichtigen Anhaltspunkt für meine Geh-Richtung. Kaum bin ich 30 Minuten gemächlich gewandert, sehe ich schon die zu überquerende Brücke. Als ich auf ihr stehe, den Flussverlauf entlang sehe, erblicke ich in der Ferne mein geliebtes Meer und die ersten Pilger. Es ist eine Gruppe aus den Niederlanden, wie sich herausstellt. Weiter geht es durch ein bis zwei Gassen. Wenige Minuten später liegt er ausgebreitet vor mir: der Atlantik. Wie habe ich mich auf dich gefreut, bekenne ich leise und bleibe einen Moment ehrfurchtsvoll stehen, um den Augenblick und den Anblick zu genießen. Menschen, Pilger, viele sportliche Portugiesen wuseln hier herum und gehen ihre eigenen Wege einfach weiter. Alles so, als ob es das Normalste auf der Welt hier ist. Das kann ich nicht, ich muss ein Foto mit Steini machen.

Steini ist mein Reisebegleiter. Er, es, sie oder was auch immer, wurde mir für diese Reise anvertraut. Steini scheint aus Österreich zu kommen. Eine gute Freundin, die mich zu Hause in meiner Trainingsphase begleitet hat, hat ihn mir überlassen. Wir vermuten, dass es ein Granit ist. Klein, rund und sehr schwarz. Etwas größer als eine Murmel. Er soll mir Kraft auf meinem Weg geben. Es wurde auch mir überlassen, zu entscheiden, was mit ihm weiter geschehen soll. Bleibt er bei mir? Will er zu einer anderen Person oder an einen bestimmten Ort? Wer weiß das jetzt schon? Das ist auch jetzt nicht zu entscheiden. Das Prinzip des Hier und Jetzt gilt: Es ist schön, einen Begleiter bei sich zu haben!

Nach einem tiefen Atemzug geht es weiter. Bis zum heutigen Endziel führt mein Weg immer am Meer entlang. Ist das nicht herrlich!?

Ich versuche, alle 15 Minuten mindestens zwei Schluck Wasser zu mir zu nehmen, auch wenn mich der wunderschöne Ausblick immer wieder ablenkt. Blauer Himmel mit herrlichen Temperaturen um die 18 bis 20 Grad mit einer leichten Brise vom Meer. Diese sollte man nicht unterschätzen! Sie ist schon sehr frisch. Ich habe das Gefühl, dass ich im Laufe des Tages immer mehr Gegenwind bekomme. Das macht mir zu schaffen. Schritt für Schritt gehe ich auf ausgeschilderten Pfaden. Meine Gedanken gehen ihren eigenen Weg. Sie beschäftigen sich mit Dingen, die meiner Meinung nach auf meinem Jakobsweg nichts zu suchen haben. Sie lenken mich ab, lassen sich aber nicht weglenken. Mir wird klar, ich muss bei meiner Ankunft am Ziel erst einmal telefonieren. Das hoffentlich zum letzten Mal auf meiner Reise! Ich weiß, ich wollte eigentlich abstinent bleiben und nur im Notfall telefonieren. Eine liebe Freundin sucht einen Job. Ich hatte ihr mitgeteilt, dass bei uns einer frei wäre. Kurz vor meiner Abreise hatte ich deswegen mit meinem Chef gesprochen. Das muss ich ihr unbedingt mitteilen, sonst beschäftigt mich das die ganze Zeit, lenkt mich ab und das nervt mich. Vor lauter Grübelei ist mir gar nicht aufgefallen, dass ich sehr schnell gehe. Ich überhole reihenweise andere Pilger. Vielleicht sind diese einfach zu langsam, überlege ich, oder bin ich doch zu schnell? Egal, ich habe mein Tempo, und das ist gut so. Meine Gedanken streifen schon wieder ab. Soll ich nicht mal ein Buch schreiben? Stoff gibt es genug, sogar für viele Bücher. Viel habe ich erlebt, mehr als mir lieb ist. Vielleicht ist dieses Abenteuer es ja auch wert, in einem Buch festgehalten zu werden? Wir werden sehen ...

Der Weg ist gut ausgebaut. Fast die gesamte Strecke führt ein Holzpfad über den Strand oder durch die Dünen. Es ist faszinierend, wie oft man ruhige Phasen hat, an denen man keine Menschen oder Maschinen hört. Dafür kommen aber viel schönere Geräusche auf einen zu, wenn man es zulässt und wahrnehmen kann. Links das Rauschen des Meeres, rechts das Singen der Vögel. Nach etwa 18 Kilometer ohne Pause merke ich meine Füße und Waden schon etwas mehr. Aufgeben? Nein!

Am Horizont sehe ich schon meine Zielstadt Vila do Conde. Nach insgesamt 24,5 Kilometer erreiche ich meine erste Übernachtungsstation. Es ist noch sehr früh. Wir haben gerade mal 13:00 Uhr. Egal. Rein da und sehen, ob das Zimmer schon frei ist.

Es ist ein schönes altes Gebäude, wie man es von den alten Baustilen der Portugiesen oder Spanier kennt. Ist es koloniale Baukunst? Vielleicht, ich weiß es nicht. Ist es wichtig? Nein. Gefällt es mir? Ja! Es führt eine massive Steintreppe in die erste Etage, und dann stehe ich schon am Empfang. Vor mir sind zwei junge Mädels, die gerade einchecken wollen. Deren Zimmer ist noch nicht fertig, doch sie können ihr Gepäck hinterlassen. Vorsichtig krame ich meine gesammelten Portugiesisch-Kenntnisse zusammen:

„Olá, ... und room ready? Alex is my name! I made a reservation ...“, fahre ich in Englisch fort.

„Olá!“, grüßt die nette Dame, „your room is already done!“ antwortet sie in routiniertem Englisch.