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Beschreibung

Spiele sind durch Produktion, Distribution und Konsumption in politische Strukturen eingebunden. Sie spiegeln nicht nur ihre Umwelt wider, sondern werden auch maßgeblich durch diese geformt. Die Beiträger*innen fragen transdisziplinär nach der Analyse solcher »Politiken des Spiels«: Innerhalb welcher rechtlichen, gesellschaftlichen und politischen Regeln findet das Spiel statt? In welchen Machtverhältnissen stehen die am Spiel beteiligten Akteur*innen? Und wie geht die Branche mit aktuellen politischen Diskursen um? Dabei betrachten sie zahlreiche Formen des Spiel(en)s in diachroner sowie synchroner Perspektive und machen deutlich: Spielen ist ein hochpolitischer Akt.

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Die E-Book-Ausgabe erscheint im Rahmen der »Open Library Medienwissenschaft 2023« im Open Access. Der Titel wurde dafür von deren Fachbeirat ausgewählt und ausgezeichnet. Die Open-Access-Bereitstellung erfolgt mit Mitteln der »Open Library Community Medienwissenschaft 2023«.

Die Formierung des Konsortiums wurde unterstützt durch das BMBF (Förderkennzeichen 16TOA002).

Die Open Library Community Medienwissenschaft 2023 ist ein Netzwerk wissenschaftlicher Bibliotheken zur Förderung von Open Access in den Sozial- und Geisteswissenschaften:

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Arno Görgen, Tobias Unterhuber (Hg.)

Politiken des (digitalen) Spiels

Transdisziplinäre Perspektiven

Förderung durch die Universität Innsbruck, Vizerektorat für Forschung.

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 Lizenz (BYSA). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell, sofern der neu entstandene Text unter derselben Lizenz wie das Original verbreitet wird.

Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.

Erschienen 2023 im transcript Verlag, Bielefeld © Arno Görgen, Tobias Unterhuber (Hg.)

Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld

Umschlagabbildung: »The Unionization of the Games Industry« (Arno Görgen)

Lektorat: Magdalena Leichter

Korrektorat: Sophie Modert

Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar

https://doi.org/10.14361/9783839467909

Print-ISBN: 978-3-8376-6790-5

PDF-ISBN: 978-3-8394-6790-9

EPUB-ISBN: 978-3-7328-6790-5

Buchreihen-ISSN: 2750-3739

Buchreihen-eISSN: 2750-3747

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.

Inhalt

 

Politiken des (digitalen) Spiels zwischen Affirmation und Antagonismus

Eine Topografie

Arno Görgen & Tobias Unterhuber

Analysen

Computerrollenspiele

Ein Missbrauch von Forschungsgerät

Manuel Günther

Wie dem Spielen das Töten beigebracht wurde

Instrumentalisierung von der Sattelzeit bis zur Killerspielzeit

Tobias Unterhuber

»Neue Bedingungen für den Zufall«

Spiel als politische Praxis bei den Situationist*innen um Guy Debord

Regine Strätling

»Nintendo What Nintendon’t«

Sexualisierte Konsolenwerbung, die Maskulinität des Gamers und #Gamergate

Laura Laabs

»Historiker analysieren«

Männliches Expertentum im deutschsprachigen Spielejournalismus

Aurelia Brandenburg

Game Over?

Problematische Symbolik und Sozialadäquanz in digitalen Spielen

Peter Färberböck und Mathias Herrmann

»Are you an Idiot? It’s a freaking videogame!«

Diskursive (Ent)politisierung ds Zweiten Weltkriegs in der ›Gaming-Community‹

Benjamin Kirchengast

Regulationen des Computerspielens in Internetcafés um 2000

Stefan Udelhofen

Spuren auf Papier

Spielerisches Erinnern an vergessene Opfer des Nationalsozialismus

Christian Günther und Robert Parzer

»Do you have a moment to increase world awesome?«

Game-basiertes Engagement für Sozialen Wandel

Lobna Hassan & Elyssebeth Leigh

Miszellen

8 Minuten, 46 Sekunden

Awareness-Politik und toxische »Rockstars« beim amerikanischen Entwicklerstudio Bungie

Martin Göllnitz

Politiken der Spielwirkung

Computerspiele und Indizierung in der Bonner Republik

Nils Bühler

Verschwören, Verwirren, Verleumden

Rechtsextreme Strategien gegen digitale antifaschistische Arbeit und deren Möglichkeit zur Gegenwehr am Beispiel des antifaschistischen Netzwerks »Keinen Pixel dem Faschismus!«

Pascal Marc Wagner

PROJEKT CH+ Spielerische Demokratieförderung

Sophie Walker

Part of the Game

Österreichische Indie-Spiele als politische Kommentare

Lorenz Prager und Alexander Preisinger

Überwachen und Strafen im Online-Gaming?

Überwachungs- und Strafregime im Online-Gaming und ihre Potenziale für interdisziplinäre Regulierungsforschung

Simon Schrör, Ferdinand Müller und Finn Schädlich

The Special Sauce of Total Refusal

In der Triangel Spiel, Kapitalismus und Krieg

Leonhard Müllner

Werkstattbericht zu »Spuren auf Papier«

Wie ein Spiel zur Aufarbeitung der Krankenmorde in der NSZeit entsteht

Anne Sauer

Interviews

»Ich bin überrascht, dass ich überlebt habe«

Ein Gespräch über Sexismus in der Videospielbranche

Nora Beyer, Natalie Lawhead

Rechtsterrorismus und die Gaming-Welt

Zwischen Pauschalisierungen, Polemik und existierenden Verbindungslinien

Mick Prinz, Arno Görgen

»Unsere Vision ist eine Gesellschaft, die alle Potenziale von Games nicht nur kennt, sondern auch einsetzt«

Stiftungsarbeit für digitale Spiele

Çiğdem Uzunoğlu, Arno Görgen

»Ihr wsst schon, dass ihr Künstler seid?«

Digitale Spiele im Deutschen Kulturrat

Olaf Zimmermann, Arno Görgen

»Wenn ein Medium erwachsen wird, muss man auch diskutieren, wie es wirkt«

Digitale Spiele und Politische Bildung

Matthias Thanos, Arno Görgen

Die Autor*innen

Politiken des (digitalen) Spiels zwischen Affirmation und Antagonismus

Eine Topografie

Arno Görgen & Tobias Unterhuber

Einleitung

Sowohl Inhalt und Form des Spiels als auch die Situationen, in denen und die Bedingungen, unter denen gespielt wird, sind Ergebnis einer Verkettung zahlreicher kultureller, ökonomischer und sozialpsychologischer Prozesse. Man könnte auch sagen: Im »schwarzen Kasten« Spiel ereignet sich, ohne daß wir es sonderlich bemerken, Politik.1

Spiele sind politisch. Diese einfache, klare Aussage stand in den vergangenen Jahren im Zentrum nicht nur von letztlich identitäts- und kulturpolitischen Debatten von Spieler*innen, in welchen progressivere Formen der Repräsentation von sozialen Minderheiten und der kritisch-reflexive Umgang von Spielen mit politischen, kulturellen, sozialen und historischen Konfliktfeldern hinterfragt wurden. Dieses Faktum wurde auch im Rahmen von Spielproduktion und distribution aufgegriffen und teilweise in vorauseilender Vorsicht gegenüber den Empfindlichkeiten der Games-Märkte entschärft und für die jeweilig eigenen Produkte verneint.

Geradezu bizarr mutete beispielsweise die Aussage des Game Directors von The Division 2 (2019)2, Terry Spier, an, dass ihr Spiel definitiv keine politischen Aussagen treffe. Zur Erinnerung: In dem Spiel geht es um die Wiedereroberung Washington DCs durch Schläfereinheiten, da die Hauptstadt der USA nach einem bioterroristischen Anschlag an terroristische Milizen gefallen war.3

Gemeint ist mit dem »Politischen« hier zwar die Thematisierung politischer Themen in digitalen Spielen. Solche Diskurse erlangen jedoch allein schon durch die Verschiebung der Diskurse um das Politische in Spielen in die öffentlichen Arenen des Spielejournalismus, der sozialen Medien und der Foren der Spieler*innen hinein einen politischen Gestus, der bis in die Ebenen der staatlichen Gewalten reichen kann. So etwa im Falle von Ghost Recon: Wildlands (2017)4, das durch seine unreflektierte Darstellung Boliviens als Failed State des Drogenhandels den Unmut der bolivianischen Regierung auf sich zog.5

Im Falle eines anderen Ubisoft-Titels, Tom Clancy’s Elite Squad,6 wurde als Symbol der fiktiven Terrororganisation Umbra eine schwarze, geballte Faust verwendet – zugleich ein antifaschistisches Symbol, das zudem zum Synonym für schwarze Protestbewegungen in Amerika geworden ist. Nur vier Tage nach der Veröffentlichung des Spiels entschuldigte sich Ubisoft und entfernte das Symbol aus dem Spiel. Dennoch blieb ein fader Beigeschmack. So hieß es in einem Kommentar:

Ubisoft’s games often evoke current events in an attempt to seem relevant and provocative, but often pretend to do so without being political. The fact that one of the biggest game companies in the world can release a game that essentially compares the Black Lives Matter movement to a secret terrorist organization doesn’t only show that it’s impossible for Ubisoft to be apolitical, but that claims of being »apolitical« can be a fig-leaf for deeply reactionary, toxic politics.7

Repräsentationen von Politik in Spielen speisen sich somit zugleich aus politischen Diskursen und gerinnen dann sukzessive wieder zu politischen Diskursen im Realraum unserer Gesellschaften. Politiken des (digitalen) Spiels hören jedoch nicht bei den Debatten um das Politische in digitalen Spielen auf. Je nachdem, wie inklusiv der Begriff des Politischen definiert wird, fällt auch das Ausgreifen des Politischen auf Spiele und umgekehrt das Ausgreifen digitaler Spiele auf Sphären des Politischen in der Gesellschaft aus. Hinzu kommt eine Metadiskussion um vornehmlich digitale Spiele, die Risiken und Chancen des Spiels abwägt und – nachvollziehbar anhand der »Killerspieldebatten« der 1990er und 2000er Jahre, aber auch der Verquickung von Fankulturen und extremistischen Bewegungen (»Gamergate«, aber auch die Anschläge von Halle und Christchurch sind hier beispielhaft zu nennen) oder der Frage der Suchtgefahr durch digitale Spiele– einer moralischen Bewertung unterzieht, an die oft politische Forderungen geknüpft sind. Schließlich finden Spiele von ihrer Konstruktion im Studio über ihre Distribution bis zur Rezeption innerhalb von politischen und sozialen Rahmungen statt. Sie sind somit – wie alle Medien(produktionen) – das Ergebnis ihrer gesellschaftlichen und historisch wandelbaren Kontexte und in diesem Sinne nicht nur als kulturelle, sondern auch als soziopolitische Artefakte zu verstehen.

Diese weitgestreuten und offenkundig politischen Zusammenhänge bedürfen also zunächst einer kurzen Konzeptionalisierung des »Politischen«, um sie den Analysen, wie sie in diesem Sammelband vorzufinden sind, zugänglich zu machen.

Politikdefinitionen

Auch wenn – und gerade weil – uns der Begriff »Politik« selbstverständlich erscheint, ist es wichtig, zu definieren, was wir darunter verstehen. Um einen Politikbegriff zu verwenden, der der Breite und dem Querschnittscharakter sowohl dieses Sammelbandes, als auch dieser Einführung in die Thematik gerecht wird, sollte diese Definition von Politik möglichst weit angelegt und inklusiv sein. Zudem könnte ein eng geführter Politikbegriff den intersektional und intersystemisch vernetzten politischen Prozessen und Strukturen rund um (digitale) Spiele nicht gerecht werden. Gut operationalisierbar ist dafür die Definition, die sich in Schuberts und Klaus’ Politiklexikon findet. Allgemein bezeichnet Politik hier »jegliche Art der Einflussnahme und Gestaltung sowie die Durchsetzung von Forderungen und Zielen, sei es in privaten oder öffentlichen Bereichen.«8 Zwei Punkte sind in diesem kleinen Satz zentral, zum einen, dass Politik ein sozialer und kommunikativer Aushandlungsprozess ist, der auf die Regelung menschlicher Gemeinwesen abzielt. Darin enthalten ist aber zugleich auch zweitens, dass Politik Beeinflussung von sozialen Verhältnissen und damit die Aushandlung von Machtverhältnissen innerhalb einer Gesellschaft bezeichnet. Vielen Konzepten politischen Handelns liegt hierbei bereits mindestens eine spielorientierte Semantik, teilweise auch ein generelles ludisches Denken zugrunde, das sich in Begriffen wie Player, Nullsummenspiel, Win-Win, Rolle und Akteur und anderen manifestiert. Diese Gamifizierung politischen Denkens ist dabei dem Fakt geschuldet, dass das Spiel simulativ und komplexitätsreduziert soziokulturelle Prozesse und Narrative – Ian Bogost spricht hier von prozeduralen Rhetoriken9 – aufgreift und in Spielmechaniken umsetzt. Es handelt sich hierbei also um zwei aufeinander gerichtete Beobachter (Spiel und Gesellschaft), die nicht nur das Beobachtete des Gegenübers beobachten (Niklas Luhmann lässt grüßen), sondern auch das Beobachten als Form beobachten und spiegeln. Dieses Doppelverhältnis basiert dabei auch auf der Annahme, dass Spiele und Gesellschaften regel- bzw.- gesetzesgeleitete Systeme sind, die ihren Partizipant*innen Agency zusprechen.10

Hervorzuheben ist, dass Spiele durch ihre Verankerung inmitten der Gesellschaft und ihre Fragmentierung und Metastasierung in alle Gesellschaftsbereiche hinein, also ihre ubiquitäre Präsenz unabhängig von Alter, Geschlecht, Klasse, Ethnie etc. und ihre ihnen inhärente Kommunikationsaffinität per se eine Politizität aufweisen, denn: »Jegliche Form der Wissensproduktion hat eine politische Dimension«11, ebenso wie daraus folgend auch jede Form der Wissensdistribution, die auch digitale Spiele als Kulturtechniken betrifft, eine politische Dimension hat: Es werden im Spiel Aussagen über Welt, Gesellschaften, Machtbeziehungen, Kulturen, wiederum: Alter, Geschlecht, Klasse und Ethnie etc. getroffen und ggf. verfestigt oder aufgebrochen. Spiel(en) ist zudem eine zentrale »Technik und Medium für die Erforschung, Erprobung und Gestaltung unserer Selbstverhältnisse«12, also für Subjektivierung. Diese wiederum ist spätestens seit der Sattelzeit eine zentrale Kategorie der Moderne, somit besetzt das Verständnis von Spiel und Spielen »as forms of self-actualization […] a central position in the episteme of modernity«.13 Spiele werden also nicht nur produziert, sie produzieren auch selbst: Menschen.

Diese Aussagen können im Sinne eines präkognitiven und damit vorideologischen Affektraumes apolitisch erscheinen, wirken aber dennoch auf die Rezipient*innen als Teilnehmer*innen und Akteur*innen unterschiedlichster politischer Sphären. Zugleich perpetuieren auch die Produzent*innen digitaler Spiele bewusst oder unbewusst politische Ideen. Ob diese affirmativ oder progressiv gegenüber der bestehenden Gesellschaftsordnung wirken, ist jeweils kontextabhängig. Spielen wohnt somit eine Politizität, ein politischer Gestus, inne, der durch die Tradierung und Rezeption von Wissen die Prozessierung von Politik anstoßen kann.14

Wissens- und Ideologietransfers

Ein wesentliches Element einer politikwissenschaftlich ausgerichteten Analyse digitaler Spiele ist also – eigentlich seit Anbeginn digitaler Spiele – der Einfluss der Produktionssphäre auf die Spiele und im zweiten der Einfluss der Spiele auf die Spieler*innen sowie im Anschluss daran die Wissenstransferprozesse, die mit dem Spiel(en) einhergehen. Die Annahme, dass tatsächlich ein Transfer von Wissen und Weltanschauungen stattfindet, wird dabei als Prämisse gesetzt.15 Tatsächliche Nachweise dieser Prozesse finden sich in medien- und kulturwissenschaftlichen Analysen von Spielen dagegen bisher viel zu selten.

Wissenstransfers sind deshalb wichtige politische Prozesse, weil sie kollektive Frames und Skripte16 beeinflussen, wie die Umwelt wahrgenommen wird und welche Handlungsoptionen aus dieser Wahrnehmung entstehen. Wissenstransfers haben dabei Einfluss auf das individuelle und kollektive Wissen, auf deklaratives (knowledge that – was etwas ist) und prozedurales Wissen (knowledge how – die prozedurale Verortung darüber, wie etwas zustande kommt oder was zu tun ist). Die Effektivität des Wissenstransfers hängt dabei davon ab, ob es sich um explizites, eindeutig nachvollziehbares oder implizites, nur kontextabhängig verstehbares Wissen handelt.17 Wissen bedarf einer bestimmten Validität, um legitimiert und sozial anerkannt zu werden, also als »wahr« zu gelten. Diese Validierung findet im sozialen Austausch nach bestimmten Prinzipien statt, die die Funktionalität des Wissens bestätigen oder verneinen.18 Wissenskulturen sind somit weltanschaulich geprägt, als soziales Konstrukt sind sie immer Ergebnis eines kollektiven, politischen Aushandlungsprozesses, in dem durch »Kultivationseffekte«19 Weltbilder vermittelt werden. Hervorzuheben ist, dass Medien polysemisch wahrgenommen werden, das heißt, falls »ein Produzent eine gewisse Wirkung intendiert, heisst nicht zwingend, dass das Publikum den medialen Text auch dementsprechend liest. Je nach Geschlecht, sozialer Herkunft und Wertegemeinschaft, können Bild und Text gegebenenfalls anders interpretiert werden.«20

Die Effekte solcher Transfers finden zunächst auf einer subtilen, vorideologischen, voremotionalen und affektiven Ebene statt21. Der österreichische Medienwissenschaftler Mathias Fuchs beschreibt dies anhand von Gesten, Körperhaltungen und Bewegungen, die über digitale Spiele vermittelt werden, etwa an der »Take the L[oss]«-Geste, die sowohl im Spiel Fortnite (2017)22 wie auch von Fußballspielern praktiziert werde. Hier gebe es sogar gesellschaftliche Debatten über die Urheberschaft der Geste.23Zwar seien solche kognitiven Prozesse nicht exklusive Faktoren in der Genese eines politischen Bewusstseins, aber »[n]oncognitive – or pre-cognitive – mechanisms like the performativity of disgust, shame before others, the contingency of pain, and many more can lead to collective politics and social alliances. This is the reason why micropolitical rites of youth culture and mass-mediated stereotypes of pop culture should not be underestimated.«24Fuchs kommt zu dem Schluss, dass die Kraft digitaler Spiele darin liege, dass Spiele nicht nur als geschlossene Phänomene zu bewerten seien, sondern über Merchandise, transmediale Adaptionen, Vereinnahmungen durch soziale Gruppen, Lebensstile und Freizeitkulturen der privaten Unterhaltung in die Gesellschaft ausstrahlten.25 So wie Literatur und Film nicht nur als kulturelle Artefakte wirksam werden, sondern darüber hinaus Institutionen, Kulturen und Praktiken ausbilden und proliferieren, die wiederum auf andere gesellschaftliche Subsysteme wirken, bilden auch Spiele diskursive und gesellschaftliche Formationen aus, die weit über das einzelne Spiel hinaus wirken.

Die Fähigkeit der Spieler*innen zum Spielen ist ein zentraler Baustein dafür, dass überhaupt Wissens- und Ideologietransfers stattfinden können. Zugleich ist Spielen als Tätigkeit nicht monolithisch zu verstehen, zu unterschiedlich sind dafür nicht nur die Spiele selbst, sondern auch die Zugänge zum Spiel, die Umstände der tatsächlichen Spielsituation und die Biografien der Spieler*innen. Die simple Unterscheidung in Single Player-Spiele und Multiplayer-Spiele ist dafür nur ein Beispiel: Je mehr Personen an einem Multiplayer beteiligt sind, je höher die Kommunikationsdichte, umso eher fließen auch politische Prozesse in das Spiel mit ein, nicht nur in Form der Regulierungen und Strukturierungen dieser Kommunikation durch Produzenten, sondern auch in Form von unterschiedlichen Weltanschauungen, die hier kollidieren (können). Gerade wenn wir Medien als »Vermittler von Weltanschauungen und Weltbildern« verstehen, wobei »[u]nsere Welt […] erst durch ihre Beobachtung« konstruiert wird, »also Beobachtung« ist,26 werden Medien sowie ihre Verhandlung Austragungs- und Begegnungsort von unterschiedlichen Weltbeobachtungen.

Anhand dieses Einstieges wird bereits deutlich, dass eine Analyse des Politischen in Games nicht ohne eine Kartierung des politischen Kontextes von (digitalen) Spielen stattfinden kann, denn Spiele tangieren auf die ein oder andere Weise Policy, Politics und Polity27. Eine solche Kartierung, eine Topografie des Politischen in Spielen, ist das Ziel dieses Bandes.

Die Politizität digitaler Spiele ist somit intersystemisch, sie findet ausgehend von den technischen Systemen der Spiele mitsamt Spielwelt, Spielregeln, Gameplay etc. a) im Rezeptionsraum der Spieler*innen und b) dem Produktionsraum der Entwickler*innen, Publisher*innen und der weiteren jeweils damit verbundenen Akteur*innen statt. Darüber hinaus sind als eigene Sphäre noch c) diejenigen sozialen Akteur*innen und Systeme zu beachten, die zwar mit Spielen befasst sind oder zu diesen kommunizieren, jedoch nicht in direktem Kontakt zu den Akteur*innen oder den Artefakten der Spiele stehen. Diese Ebene soll hier als metakommunikative Einflusssphäre bezeichnet werden. Schließlich sind d) all diese Gruppen, Strukturen und Systeme auf die eine oder andere Weise gesellschaftlich eingebunden, so dass es auch hier soziale Austauschprozesse und wechselseitige Einflussnahmen zwischen den um das Spiel gruppierten Kernstrukturen und ihrer sozialen Umwelt gibt (sh. Abb. 1). Es ist wichtig, dass die hier genannten Sphären keine vollautonomen Systeme darstellen, sondern es handelt sich um (semi)permeable soziale Felder und Teilsysteme, die sich jeweils entlang ihrer eigenen Agenden gegenseitig beeinflussen, also miteinander Handlungsreichweiten und kompetenzen und im weitesten Sinne Machtverhältnisse verhandeln. Zugleich lässt sich festhalten, dass – zumindest auf den ersten Blick – Spielproduktion und distribution in stärkerem Maße bestehenden technologischen, soziokulturellen und politischen Infrastrukturen und Rationalitäten unterworfen sind, als die Sphäre der Rezeption, allein schon, weil die Komplexität der beiden Ebenen sehr differiert: Letztlich müssen auf der Produktionsebene unzählige Faktoren und Akteur*innen aus unterschiedlichen sozialen Systemen, die an der Produktion eines Spieles beteiligt sind, miteinander kommunizieren, während die Rezeption von Spielen grundsätzlich durch eine Person, die Spieler*in, stattfindet (die im Anschluss aber wiederum ihrer Rezeptionserfahrungen mit anderen Akteuren kommunizieren kann). Einschränkend muss – so profan diese Aussage auch scheint – weiterhin gesagt werden, dass es sich hier um Komplexitätsreduktionen handelt, die ex post zur effektiveren Analyse der Politiken des digitalen Spieles konstruiert werden. Die Wechselprozesse und Schnittflächen dieser Sphären werden also zugunsten einer besseren Nachvollziehbarkeit des Gesamtbildes zum Teil marginalisiert.

Abb. 1: Sphären der Politizität digitaler Spiele

Im Folgenden möchten wir versuchen, skizzenhaft induktiv von der Rezeption und Produktion digitaler Spiele, über deren gesellschaftliche Verhandlung und gesellschaftlichen Einfluss auf die genannten Sphären und ihre Relevanz für die Analyse digitaler Spiele einzugehen. Uns Herausgebern ist dabei (schmerzlich) bewusst, dass wir nur kleine Ausschnitte eines noch viel zu unbeachteten Forschungsfeldes andeuten können – insofern ist dieser Band auch eine Aufforderung zu mehr Aufmerksamkeit und eine Aufmunterung, diese Aufmerksamkeit in Forschung und Analyse zu transformieren, um das politische Apriori des Spiel(en)s in den Blick zu nehmen. Im Anschluss leiten wir daraus eine Struktur ab, anhand derer dieser Band aufgebaut wird.

Doch zunächst bedarf es noch eines kleinen Exkurses zum hier angewandten Spielbegriff, denn auch, wenn bisher und auch im Folgenden vor allem von digitalen Spielen gesprochen wird, beschränkt sich die Politizität des Spiels nicht nur auf seine digitalen Varianten.

Exkurs: Spielbegriffe

Das Deutsche kennt im Gegensatz zu vielen anderen Sprachen keine Unterscheidung verschiedener Formen des Spiels. Alles ist somit tatsächlich Spiel. Dies betrifft auf basaler Ebene Unterscheidungen zwischen paidia und ludus oder zwischen play und game, also zwischen freiem Spiel und geregeltem und geformtem Spiel. Hinzu kommt, dass Spiel sich sowohl auf die Tätigkeit als auch auf das Objekt beziehen kann. Darüber hinaus kann Spiel, gerade ohne Artikel, auch abstraktere Formen oder gar das Konzept an und für sich beschreiben genauso wie konkrete Formen. Wenn wir also von Politiken des Spiels sprechen, machen wir uns gerne die Uneindeutigkeit des Deutschen zunutze und inkludieren sowohl das freie als auch das geregelte Spiel, sowohl als Tätigkeit als auch als Objekt, sowohl abstrakt als auch konkret. Schlussendlich ist auch die Frage, wie Spiel verstanden und begriffen wird, selbst eine politische (und ideologische), genau wie Kunst- oder Kulturdefinitionen. Denn aus solchen Definitionen resultierende Inklusions- und Exklusionsmechanismen haben weitreichende Folgen, von Fördermöglichkeiten, Teilhabe an Spielkulturen bis hin zur Diskursivierung und anderen Phänomenen. Was eine Gesellschaft oder Kultur zur Sphäre des Spiels oder des Spielens rechnet, sagt selbst wieder etwas über diese Gesellschaft und Kultur aus, oder wie es bereits Johann Christoph Friedrich GutsMuth formuliert: »an den Spielen sollst du sie erkennen«28, womit er explizit nicht nur Menschen, sondern auch Nationen meint.29

Auch wenn wir uns all diese Uneindeutigkeiten, die vielleicht auch die Ambivalenz des Spiels zu fassen helfen, zunutze machen, gibt es dennoch – auch im Deutschen – Unterscheidungen der konkreten Spielformen: Brett, Karten, Glücks, Kinder, Rollen, Theater, Computerspiele usw. oder aber die zwischen analogen und digitalen.30 Wie der Untertitel des Bandes andeutet, möchten wir unseren Blick nicht nur auf digitale Spiele richten, auch wenn dies – und dies macht die, auch wenn eingeklammerte, Nennung des Wortes »digital« deutlich – unser Hauptaugenmerk ist. Obgleich sich die konkreten im Folgenden vorgestellten Beziehungen zwischen Politischem und Ludischem von Spielart zu Spielart unterscheiden mögen, sind auch analoge Spiele genauso wie digitale in diese Beziehungen eingebunden.31 Ebenfalls sollten sie beide als Teile einer gemeinsamen Kultur- und Mediengeschichte betrachtet werden, auch wenn sich aufgrund ihrer unterschiedlichen kulturellen Anerkennung und anderer Parameter verschiedene, wenn auch verwandte Spielkulturen ausgeprägt haben. Hiermit kehren wir auch zum oben zitierten Satz von GutsMuth zurück und erweitern ihn um eine diachrone Perspektive: Wie wir heute Spiele – egal welcher Form – begreifen, wie wir über sie sprechen, wie wir sie spielen, basiert darauf, wie Spiel in der Moderne, also seit 1800, verhandelt und diskursiviert wurde. Damit ergibt sich ein gegenständliches und zeitliches Kontinuum, in dem das digitale Spiel ein mit den anderen Elementen dieses Kontinuums verbundener, einzelner, wenn auch vielleicht hervorstechender Baustein ist. Das gleiche gilt für Spielkulturen, die auch schon für das digitale Spiel im Plural gedacht werden sollten, können sie sich doch lokal, regional, national, international etc. extrem unterscheiden. Hier mag sich das eben genannte Kontinuum zum Beispiel für eine deutschsprachige Spielkultur manifestieren, in der – eingedenk der jeweiligen Spezifika – eine harte Unterscheidung zwischen Brett, Rollen, und Computerspiel sich gar nicht als sinnvoll erweisen könnte, gerade weil auch diese konkreten Spielarten sich gegenseitig beeinflussen und darüber hinaus auch hybridisieren, sei es im Medienwechsel vom digitalen zum analogen Spiel und vice versa, sei es in der (teilweisen) Digitalisierung analoger Spiele oder sei es in den transmedialen Spielwelten von Rollenspielen, von den oft vorhandenen personellen Überschneidungen sowohl bei Rezeption als auch bei Produktion ganz zu Schweigen.32

Rezeptionssphäre des digitalen Spiels

Unter der »Rezeptionssphäre« verstehen wir hier nicht nur a) die Spieler*innen als Akteur*innen, sondern auch b) die Wahrnehmungsformen und die Rezeption digitaler Spiele und schließlich c) die Formen des Spielens selbst. Diese drei Aspekte sind in hohem Grade interdependent und fließen ineinander über. Als analytische Differenzierung tragen sie jedoch zu einem besseren strukturellen Verständnis der Rezeptionssphäre bei. Die Spieler*innen mit ihren jeweiligen sozialen Hintergründen und Einbettungen erleben und spielen und rezipieren Spiele jeweils unterschiedlich.

Spieler*innen als Akteure

Spricht man von der politischen Dimension der Spieler*innen als Akteur*innen, sind es vor allem Spieler*innenkulturen, die eine politische Durchschlagskraft entwickeln können. Unter einer Spieler*innenkultur verstehen wir die kulturellen Verdichtungen einer sozialen Gruppe, die sich im weitesten Sinne auf das Spiel als gemeinsamen soziokulturellen Fixpunkt verständigen können. Diese kulturellen Verdichtungen äußern sich in bestimmten kollektiv anerkannten selbstaffirmativen Handlungs- und Kommunikationsweisen.

Diese Vergemeinschaftung beruht – wie jede Form der Gemeinschaft – auf der Abgrenzung gegenüber einem ›Außen‹ (den Nicht-Gamer*innen), einem Zusammengehörigkeitsgefühl, einem von allen Mitgliedern geteilten Interesse (dem Spiel und seinen Kontexten) einer gemeinsamen Wertsetzung und gemeinsamen Interaktionsräumen (wiederum dem Spiel und seinen Kontexten). Dabei kann man hier von einer reflexiven, bewusst gesuchten Gemeinschaft sprechen. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass man nicht in sie hineingeboren wird, sie ort- und zeitunabhängig existieren kann, sie als solche eher hinterfragt wird als traditionelle Gemeinschaften und sie sich eher auf abstrakte und kulturelle Phänomene rückbezieht.33

Die deutsche Spielwissenschaftlerin Judith Ackermann macht diese Vergemeinschaftungsprozesse vor allem am gemeinsamen Spielen als Akt fest, wobei sie ein Spektrum zieht von Vergemeinschaftungsprozessen abseits vorgesehener Interaktionen bei Singe Player-Spielen, zu Multiplayer-Spielen, die wiederum von lokalen LAN-Parties bis zu globalen MMORPGs mit tausenden Spieler*innen reichen können.34

Es ist jedoch wichtig festzuhalten, dass diese Spielfixierung nicht unbedingt notwendig ist und sogar in den Hintergrund rücken kann, die Spiele hier vor allem Kommunikationsplattform sind. Insbesondere sexistische und rassistische Subkulturen versuchen seit geraumer Zeit, in den digitalen öffentlichen Arenen Fuß zu fassen. So stellt die Netzwerksoziologin Yasmina Banaszczuk hierzu fest, dass

[m]it der größeren Verfügbarkeit von stabilen und schnellen Internetverbindungen […] Online- Multiplayer-Spiele auf dem Vormarsch [sind], wodurch immer mehr Menschen, die sonst keinerlei Berührungspunkte miteinander haben, mit- und gegeneinander spielen. In diesen Situationen müssen sich Angehörige marginalisierter Gruppen regelmäßig Anfeindungen stellen – seien sie sexistisch, rassistisch, homophob oder auf andere Art und Weise herabwürdigend. Vor allem zwei Faktoren befeuern den teilweise problematischen Umgang in Mehrspieler-Settings: zum einen die mangelnde Sanktionierung von Hate Speech durch die Spieleunternehmen, zum anderen das Vorleben problematischer Inhalte durch Streamerinnen und Streamer.35

Zu den bekanntesten Phänomenen toxischer Spielkultur gehört die Hasskampagne GamerGate, eine Ereigniskette, die sich ab 2013/2014 zunächst gegen die feministische Medienkritikerin Anita Sarkeesian gerichtet hatte, bald jedoch zahllose Angriffe auf Studios, Reporter*innen, Spieler*innen und andere Vertreter*innen der Spielkultur zur Folge hatte und damit die Kulturkampfrhetorik rechter Netzwerke vorwegnahm, die auch heute noch einen angeblichen links-grünen Medienmainstream beklagen.

GamerGate war auch deshalb so erfolgreich, weil darin – anknüpfend an Konzeptionen von Authentizität36 – identitätspolitisch formuliert wurde, wie echte »Gamer*innen« und Games auszusehen hätten:

Concerns along these lines are almost always implicit comparisons between an idealized vision of what video games should look like and what particular instiations of video games actually are. Real games are typically played by real gamers in a circular discourse that marginalizes new and different approaches.37

Gerade GamerGate schaffte es, diese identitätspolitische Debatte zu befeuern und lieferte damit eine Blaupause für meist rechtsextreme Medienkampagnen in digitalen Netzwerken. Banaszczuk führt dazu aus:

Einige der Personen, die die Gamergate-Attacken medial befeuerten, traten später in Alt-Right-Kreisen in Erscheinung.Und viele der in späteren netzbasierten Hasskampagnen angewendeten Taktiken des persönlichen Angriffs, der Memefizierung – also der viralen Verbreitung diffamierender Bildbotschaften – und der Verleumdung bei Arbeitgebern oder Werbepartnern wurden im Zusammenhang mit Gamergate ausprobiert und eingeübt.38

Auch der rechtsextreme Terror, wie er in Christchurch, El Paso oder Halle stattfand, wurzelt in Teilen in der Gaming-Kultur. In einem anonymen Essay auf der Internetpräsenz von hass-im-netz.info wird resümiert, dass

[der] globalisierte rechtsextreme Terror der letzten anderthalb Jahre […] verbunden [ist] durch sich ähnelnde Tatvorgänge, ästhetische Inszenierungen und Begleitkommunikationen. Auch verschiedene Elemente aus dem Gaming-Kontext fanden sich immer wieder. So filmten sich einige der Attentäter bei ihrer Tatausführung und streamten das Video – oder versuchten es zumindest – live ins Netz. Die Ich-Perspektive erinnert dabei an einen Ego-Shooter und evozierte online genau solche Referenzen. Im »Manifest« des Halle-Attentäters werden unterschiedliche, menschenverachtende »Achievements« mit ihren jeweiligen »Scores« aufgelistet, als handele es sich um zu erreichende Spielerfolge.39

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass sich nicht alle Spielkulturen toxisch-deviant und exklusiv positionieren. Als Gegenbewegung zu diesen rechtsextremen Kommunikationskulturen im Netz entwickelt sich insbesondere in Deutschland seit einigen Jahren eine selbstorganisierte digitale Bürgergesellschaft, in welcher Aktivist*innen Hate Speech und Toxizität im digitalen Raum entgegentreten.40 Auch sind erste Projekte zu »digital streetwork« zu erwarten – darin versuchen Streetworker*innen direkt in den Spielen und Onlineforen, diese toxischen Phänomene einzudämmen.41

Die Inklusion von Personengruppen, die ansonsten nur schwerlich in digitalen Spielen repräsentiert werden, hat eine empowernde (und damit im weitesten Sinne auch politische) Wirkung. Diese kann sogar Teil der Marketingstrategie einer Produktionsfirma sein. So hat das Studio Ninja Theory ihr Spiel Hellblade: Senua’s Sacrifice (2017)42 damit beworben, dass die Darstellung der psychischen Störungen, unter welchen die Titelheldin leidet, nicht nur mithilfe von Expert*innen sondern auch Betroffenen entwickelt wurde. Im Nachhall der Veröffentlichung bewarb das Studio den Titel wiederum mit Reaktionen von betroffenen Spieler*innen, die sich in dem Spiel besonders gut repräsentiert sahen und darauf verwiesen, zum ersten Mal eine »Stimme« in der Popkultur erhalten zu haben.43

Wahrnehmung digitaler Spiele

Die identitätsstiftende Funktion von Spielkulturen ist zugleich ein globales Phänomen, dass zum einen nationale Identität stiften kann, zum anderen innerhalb von Gesellschaften des Globalen Südens Spieler*innen als wichtige Plattform zur Vernetzung44 und des politischen Austauschs und Ausdrucks dient. Insbesondere die hochinternationalisierte Produktion von digitalen Spielen führt oft zu einer Nutzung nationaler Heterostereotype, beispielhaft zu sehen in der Darstellung von US-amerikanischen Kleinstädten in japanischen Horrorspielen45 oder vielfach wiederholten Darstellungen von osteuropäischen oder arabischen Terroristen. Bushra Alfaraj stellt in ihrer Studie zu arabischen Spieler*innenkulturen fest, dass diese sich vielfach als entweder unter- oder fehlrepräsentiert empfinden.46 Diese Unterrepräsentierung nationaler oder ethnischer Identität führt wiederum auf der Produktionsseite dazu, dass auch in solchen Regionen vermehrt Spiele für die jeweiligen Märkte entwickelt werden.

Darüber hinaus spielen auch hier toxische Spieler*innenkulturen eine Rolle, insbesondere, wenn Wahrnehmungen von Spielen wie in GamerGate außerhalb des eigenen Wertehorizontes liegen und sich daraus ein kollektiver Call to Action entwickelt. Dieser kann neben Empörungsspiralen in sozialen Medien auch den Versuch beinhalten, gezielt die Wahrnehmung eines Spieles großflächig zu manipulieren, indem die Unbill sich in negativen Rezensionen niederschlägt. Dieses sog. Review Bombing, »the co-ordinated practice of leaving large numbers of negative user reviews on a game or product in order to reduce its aggregate review score«47, findet teilweise bereits zu Zeitpunkten statt, zu denen das Spiel noch gar nicht erschienen ist und sich die Annahmen auf die Vorberichterstattung stützen. Ziel des Review Bombings ist die Generierung eines wirtschaftlichen Schadens für die Studios, um sie so zu zwingen, Spiele nach Spieler*innen-Vorstellungen zu entwickeln. Es ist also »an immediate and visceral way for fans to show their displeasure in an economic arena. And their rapid, massive response demonstrates how niche markets can exercise clout in ways not previously imagined.«48Ein Spiel, in dem diese Form der Spieler*innenreaktionen solche devianten Formen angenommen hat, war auch The Last of Us II (TLOU2)49:

Indeed, despite much critical acclaim, TLOU2 was marred by player outrage. Just hours after its release, despite being a 25-30-hour game, TLOU2was review-bombed on Metacritic. […] Just 48 hours after release, TLOU2had an aggregated score of 3.6, from 38,000 reviews on Metacritic–over four times the number of reviews TLOU got in its lifetime […]. Journalist Paul Tassi notes two key reasons for the review-bombing. First, the inclusion of diverse, particularly LGBTQ characters, which, as Gamergate demonstrated, many players feel introduces politics into games via ›woke‹ or ›political correctness‹ rhetoric. […] Second, some spoilers were leaked before the game’s release, and many players were unhappy with the plot choices that these spoilers unveiled […].50

Ursachen für diese überzogenen Reaktionen, die teilweise auch die Grenze des Justiziablen überschritten51, sind schwer zu fixieren.

Abb. 2: Zusammenstellung der Reaktionen auf The Last of Us II durch dessen Creative Director Neil Druckmann52

Tomkinson hält beispielsweise fest, dass die »aversion to ›politics’can be contextualised in the sense that some players view games as a form of escapism, a refuge from the troubles of real life«53, weshalb die Repräsentation von queeren Personen im Spiel mit deren normalistischen Erwartungshaltungen kollidiert. Ein weiterer Faktor ist möglicherweise auch der Erscheinungszeitpunkt: Mitten in der Corona-Pandemie erschienen, bot das Spiel eine willkommene Plattform, um Frustrationen abzulassen, selbst wenn manche Spieler*innen das Spiel noch gar nicht gespielt hatten.54 Deutlich werden hier die Verwerfungen (nicht nur) der amerikanischen Gesellschaft, die bis in den Umgang mit Popkultur diffundieren.

Es mag aber auch daran liegen, dass die Spielkultur nicht einfach eine Abneigung gegenüber Politischem hat, sondern diese Bezeichnung nutzt, um den eigenen Anschauungen widersprechende oder entgegengesetzte Positionen zu markieren und zu diskreditieren. Überspitzt hatte dies vor einigen Jahren die kanadische Games-Forscherin Emma Vossen in einem Tweet kommentiert:

Gamers are still convinced that there are only:Two races: white and »political«Two genders: Male and »political«Two hair styles for women: long and »political«Two sexualities: straight and »political«Two body types: normative and »political«55

Eine besondere Position innerhalb der Rezeptionssphäre digitaler Spiele hat auch der Spielejournalismus inne, da er als institutionalisierter56 medialer Gatekeeper nicht nur über das ökonomische Wohl oder Wehe neuerschienener Spiele entscheidet und in dieser Funktion auch immer wieder die Frage der Unabhängigkeit des Spielejournalismus von der Spielebranche diskutiert wird. So schreiben bereits 2009 Nieborg und Sihvonen, dass

[un]nbiased news is a costly commodity. Not only do news organizations have to pay for quality coverage by hiring skilled professionals, critical journalism is more likely to offend advertisers. This is particularly true for game journalism where a critical approach towards the dealings of game publishers, its often middle-of-the-road content, or just the practice of reviewing itself can be seen, by game publishers, as a reason to pull the plug on a big advertisement campaign. Consider, for example, an average working day for a Dutch game journalist. Dennis Mons, game journalist for the Dutch free newspaper Spits, twitters:»Colleague got a phonecall from the PR company of Harry Potter DS game because she gave it 2/5. That shit needs to stop! Shit is SHIT!!«‚57

Diese fehlende journalistische Unabhängigkeit, oder zumindest eine verzerrte Wahrnehmung dieser, verstärkte wiederum die Ereignisse um GamerGate.

Eine ähnliche Analyse verfasste bereits 2004 der britische Spielejournalist Kieron Gillen, als er in einem polemischen Blog-Beitrag einen »a war between money-men who want to keep profits by reducing costs and the editorial who want to keep profits by being better«58 beschrieb und als Konsequenz und in Referenz auf Tom Wolfes »New Journalism« einen »New Games Journalism« (NGM) (ebd.) forderte. Für den NGM sollte laut Gillen der Wert des Spieles nicht in der technischen Entität des Spieles liegen (ein solcher Fokus führt dann bspw. zu den berüchtigten Quantifizierungen des Spielspaßes), sondern im Erleben des Spieles (ebd.). Obwohl der Artikel nicht unwidersprochen blieb, markiert er dennoch den Beginn eines neuen journalistischen Umganges mit digitalen Spielen, der sich parallel zum ›alten‹ Spielejournalismus entwickelte und – 20 Jahre später – bisweilen zu Vermischungen und neuen Formen des Spieljournalismus führte. Dass auch der NGM affirmativ ist und sich betont unpolitisch in inhaltlichen Tiefenanalysen verliere, kritisiert der deutsche Journalist Yannic Hertel 2017 in einem Meinungsstück auf der Seite spielkritik.com:

Aktuell besteht der deutsche Spielejournalismus bis auf wenige Ausnahmen aus diesen beiden Lagern, die relativ unversöhnlich miteinander um die Deutungshoheit streiten. Was beide Kontrahenten dabei jedoch oft vermissen lassen, ist der kritische Journalismus. Und damit meine ich nicht, dass Spiele nicht kritisch besprochen oder auf ihre Inhalte abgeklopft werden. Spiele sind noch immer Wirtschaftsprodukte. Und so handeln auch die Entwickler – mir fehlt das kritische Nachfragen, das penetrant sein. […] Ein positiver Artikel über ein Videospiel verkauft dieses heutzutage nicht mehr. Es ist beinahe egal – dank Streamern läuft die Hype-Maschine sowieso schon lange im Voraus und das meiste Geld wird mit Vorbestellern und Tag-1-Käufern gemacht. Es gibt einen Grund, weshalb euer NDA oft erst am Tag der Veröffentlichung oder sogar später fällt. Ihr seid nicht den Firmen zu etwas verpflichtet. Sondern den Spielern – euren Lesern. Informiert sie. Seid kritisch und hechelt nicht jedem Hype-Train hinterher.59

Teil dieser Problematik ist auch eine abwertende Wahrnehmung gegenüber dem Spielejournalismus. Die Kommunikationswissenschaftler Perreault und Vos konstatieren, dass

[…] gaming journalists’ »lack of faith« in their own field […] and their ambivalence regarding their own societal contributions […] resulted in a mirrored ambivalence by traditional journalists. If gaming journalists articulated uncertainty regarding their societal contributions, traditional journalists articulated even less certainty. Gaming journalism seemed to be operating outside the bounds of legitimate journalistic practice through its churnalism, and hence, traditional journalism could not expect the societal contributions one would expect from appropriate journalistic practice […].60

Dennoch – gerade deshalb – bilden sich immer wieder Formate, auch in der D-A-CH-Region, die sich dezidiert unabhängig positionieren und versuchen, kritischen Journalismus anzubieten, so etwa der deutsche Journalist Dom Schott in der von ihm verantworteten Seite OK COOL: »Ich habe OK COOL gegründet, um den Spielejournalismus zu machen, der mir immer gefehlt hat: investigativ, reflektiert, modern und mit einem Augenzwinkern. Gemeinsam mit Vanillecreme-Toast eine meiner besseren Ideen.«61

Ein weiterer Aspekt ist die Wahrnehmung von Spielen im nicht-spezialisierten Journalismus. Wann werden Spiele außerhalb der Spielkultur wahrgenommen und auf breiter Fläche verhandelt? Während dies in den 1990ern und 200ern vor allem dann der Fall war, wenn Spielen negative Effekte zugesprochen wurde (Sucht, Killerspiele etc.), hat sich dies bis zu einem gewissen Grad gewandelt. Einerseits wird aufgrund der großen wirtschaftlichen Bedeutung der Games-Industrie immer wieder über diese berichtet. Andererseits werden in unregelmäßigen Abstand einzelne Spiele vom Feuilleton großer Tageszeitungen besprochen. Dabei handelt sich meist um AAA-Titel, denen im Sinne eines »prestige games«62 eine besondere kulturelle Bedeutung zugesprochen wird. Diese Spiele sind vor allem auch für die kulturelle Anerkennung von Spielen bedeutsam, auch wenn ihre Auswirkung in Frage gestellt werden kann.63 Dennoch kann die Verhandlung von Spielen im Breitenjournalismus – zumindest, wenn er das Medium als kulturelles Artefakt versteht – als Teil einer Normalisierungstendenz von Gaming begriffen werden. Damit wären nicht die Inhalte oder die einzelnen Besprechungen an sich von Bedeutung, als vielmehr der Fakt, dass über Spiele in diesem medialen Umfeld berichtet wird.

Spielen als politischer Akt

In den vorangegangenen Abschnitten haben wir beschrieben, wie Spiele in ihrer Rezeption politisch verortet werden können und Spieler*innen und die sie umgebende Spielkultur als politische Akteure in der Gesellschaft stattfinden. Dies sind oft Fremd- und Selbstzuschreibungen, die außerhalb digitaler Spiele stattfinden. Doch auch der Akt des Spielens kann einen bewussten oder unbewussten politischen Gestus enthalten, der über die reinen Inhalte der Spiele hinaus in die Gesellschaften hineinwirkt.

Der Bereich Serious Games und Gamification kann sogar per Definition so aufgefasst werden, da diese Formen des Spiels Applikationen und Instrumentalisierungen von Spielmechaniken und ästhetiken beinhalten, die den Selbstzweck des Spielens um des Spielens willen aufheben und diesem ein anderes Ziel, beispielsweise die Motivation zur Selbstertüchtigung oder zu effektiveren Arbeitsweisen in der Arbeitswelt, die Bildung, Prävention, Intervention und Therapie im Gesundheitssystem oder die Unterstützung von wissenschaftlichen Studien im Bereich Citizen Science überordnen. Zwar wird einerseits wie im Bereich der Games for Health solchen Spielen ein großes Potenzial zugeschrieben, auf der anderen Seite werden Serious Games auch als »chocolate-coated broccoli«64 betrachtet, deren übergeordnetes Ziel gerade in dessen Offensichtlichkeit einem Spielen als Selbstzweck sabotierend entgegensteht. Entsprechend wurde zum Beispiel von der deutschen Kuratorin und Publizistin Daphne Dragona auch zu einer »Counter-Gamification«65 aufgerufen, die sich dieser Instrumentalisierung entgegensetzen sollte und somit gerade die potenzielle Widerständigkeit des Spielens betonte.66

Instrumentalisierungen des Spielens als Akt finden sich auch in (quasi)devianten Spielformen wieder, sei es, dass durch Cheating persönliche Vorteile (von finanzieller Art bis hin zu sozialem Status) errungen werden, oder gar im Rahmen von Blockchain-Technologien in der Bitcoin-Ökonomie Play-to-Earn-Spiele angeboten werden, die finanzielle Gewinne durch Spielen versprechen.67

Doch wie bereits angemerkt, kann Spielen als Medium und Technik der Subjektivierung als politischer Akt verstanden werden. Entsprechend kann auch die Bedeutung des Spielens schon in der frühen Pädagogik eingeordnet werden, die das Spiel nicht nur als »Erziehungsmittel der Jugend«68, sondern sogar als »Erziehungsmittel ganzer Nationen«69 verstand. Letztlich ist es auch dieses Nützlichkeitsparadigma, sowie das grundsätzliche Misstrauen in eine schwer kontrollierbare soziale Sphäre des digitalen Spielens, die immer wieder dazu führen, dass, insbesondere von autokratischen Systemen Einfluss auf digitale Spiele oder auch Meinungsäußerungen von eSportler*innen und anderen Figuren genommen wird. So werden Spiele vom lukrativen chinesischen Markt ausgeschlossen, wenn diese nicht den ideologischen Vorstellungen des Staatsapparates entsprechen.70 Mitunter entwickeln sich auch Fälle vorauseilenden Gehorsams gegenüber der chinesischen Regierung. Bekannt wurde im Oktober 2019 in diesem Kontext der Skandal um »Blitzchung«, einem aus Hongkong stammenden eSportler, der in einem Livestream zu einem Match interviewt wurde, das er gerade in Taiwan im Rahmen eines Turniers für das Spiel Hearthstone gewonnen hatte. Blitzchung wiederholte im offiziellen taiwanesischen Hearthstone-Stream einen beliebten Slogan der Demonstrant*innen in Hongkong, die kürzlich auf die Straße gegangen waren, um gegen die Untergrabung der Unabhängigkeit der Insel durch China zu protestieren. Activision Blizzard, das Unternehmen hinter Hearthstone, schaltete den Stream ab, suspendierte und bestrafte Blitzchung und schrieb eine formelle Entschuldigung auf Chinesisch auf Weibo. Blizzard erklärte, dass Blitzchung gegen die Spielerregeln verstoßen habe, die ein beleidigendes oder das Image des Unternehmens schädigendes Verhalten verbieten, sperrte ihn für ein Kalenderjahr vom Wettbewerb und verlangte, dass er Tausende von Dollar an Preisgeldern einbüßte. Blizzard entließ auch die beiden Streaming-Journalisten, die Blitzchung interviewt hatten, und untersagte ihnen die Berichterstattung über zukünftige Activision Blizzard-Events.71 Diese Einflussnahme ist dabei symptomatisch für einen von hohen Abhängigkeiten geprägten und hochkompetitiven Markt, in dem Spielkonzerne darauf angewiesen sind, ihre Produkte auch in Ländern zu verkaufen, die aktiv Einfluss auf die Gestaltung nicht nur der Spiele, sondern auch der Spielkultur nehmen.

Produktionssphäre des digitalen Spiels

Spielerkulturen selbst sind jedoch nicht nur Rezipienten, sondern sie nehmen auch aktiv Einfluss auf die Produktion von Spielen (und produzieren diese sogar selbst), werden aber auch Ziel von politischen Interessensgruppierungen, die sich die Sprache und Verhaltensweisen der Spielkulturen aneignen, um neue Mitglieder anzuwerben (s.o.). Der Mod-Provider NexusMods sah sich beispielsweise im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2020 in den USA gezwungen, eine Reihe von politischen, rechtsradikalen »Troll Mods« zu entfernen, die politische Botschaften unter anderem in Spielen der Fallout-Reihe installieren sollten.72 Mit der Produktion subversiver Mods wird hier eine bewusst deviante, politische Form der Spielkultur entwickelt.

Auch abseits solcher informeller und devianter Produktionsprozesse ist die Sphäre der Spielproduktion, die hier Produktion und Distribution von Spielen gemeinsam fasst, von politischen Einflussnahmen und Entscheidungen geprägt. Dies fängt in der konkreten Situation des Spieleprozesses an. Nicht nur unterliegen natürlich auch Game Designer*innen einer kulturellen gesellschaftlichen und damit politischen Situation, die auch auf ihr Wirken im Game Design ausstrahlt. Auf erzählerischer Ebene wird dies klar, wenn beispielsweise immer wieder politische Mythen perpetuiert werden, die sich im kollektiven Gedächtnis verankert haben und als narrative Versatzstücke schnell versteh- und im Game umsetzbar sind.73

Zudem ist die Entwicklung von digitalen Spielen von technischen, kulturellen74 und sozialen Affordanzen geprägt, die nicht nur den technischen Systemen, sondern auch den im Designprozess entstehenden Artefakten innewohnen. Unter Affordanz75 wird hierbei das Angebot eines Handlungsspektrums verstanden, das den designten Gegenständen innewohnt. Diese Möglichkeitsräume sind kultur- und gesellschaftsabhängig, definieren über diesen Kontext wiederum Machtbeziehungen, bestätigen diese oder untergraben sie. Bei den Affordanzen von Spielobjekten geht es beispielsweise darum, welche Aktionen die Spieler*in mit ihnen durchführen kann: Eine Kiste kann sowohl geworfen als auch zerschlagen werden, während ein Stein nur eine Aktion, nämlich das Werfen, zulässt. Die Affordanzen des Spielraums bestehen hauptsächlich aus Informationen darüber, wie viel Freiheit bei der Erkundung der Umgebung gegeben ist. Auch Controller sind durch Affordanzen geprägt, machen Angebote zu den Möglichkeitsräumen ihrer Nutzung. Beides sind auch Beispiele, die durch fehlende Zugänglichkeit vulnerablen Gruppen die Teilhabe an Spielkultur verwehren können. Diese Rückwirkung von Design und Designer*in auf die Spieler*in installiert eine Machtbeziehung, auf die von Seiten der Spieler*innen nur geantwortet werden kann, indem durch ökonomischen oder medialen Druck (auch durch die bereits genannten Review Bombings) Gegenbewegungen ausgelöst werden können.

Zugleich ist die Spielentwicklung in politische Prozesse und Strukturen eingebunden. Dazu gehören einerseits Finanzierungsmechanismen und instrumente, etwa extern im Rahmen staatlicher Förderungen und von Fundingkampagnen oder intern über die Finanzierung von Spielen durch Verkäufe oder Investitionen. Unabhängig von der Art der Investition entstehen auf diese Weise immer Beziehungsgeflechte, die mit gegenseitigen Erwartungshaltungen und Definitionen von Handlungshorizonten einhergeht. Diese Strukturen können stark differieren. Während beispielsweise der finnische Staat die Spieleentwicklung als Teil der Unternehmensentwicklung behandelt, wurde in Norwegen eine Kultur- und Förderpolitik entwickelt, die in erster Linie auf den Schutz des kulturellen Erbes abzielt.76 Beim Crowdfunding und anderen kollektiven Finanzierungsmodellen beteiligen sich sogenannte »Pro-sumers« an den Produktions- und Entscheidungsstrukturen auf höchster Ebene. In diesem System haben sich die traditionellen Geschäftsbeziehungen, die auf Hierarchie beruhen, insofern verändert, dass nun der kreative Fokus näher zur Spieler*in verlagert wird. Die Top-Down-Kultur der Spielebranche wird zu einer partizipativen Bottom-Up-Kultur, die hauptsächlich in Spielgenres, -themen und mechaniken eingreift.77 Sowohl die Förderung durch öffentliche Geldgeber wie auch durch Unternehmen wie Kickstarter sind zudem an bestimmte inhaltliche, normative Vorgaben (etwa durch die allgemeinen Geschäftsbedingungen) gebunden, an denen sich die Spielentwicklung orientieren muss.

Der Designprozess ist zudem auch durch Lizenzen geprägt. Dies betrifft nicht nur die Lizensierung von Marken, die mit Einflussnahmen auf die ästhetische Gestaltung von Spielen verbunden sein können – Lizenzhalter sind daran interessiert, dass die Marke und ihre Inhalte als solche erkennbar und damit vermarktbar sind – sondern auch die Instrumente zur Entwicklung der Spiele: Durch die Lizensierung von Design-Software wird ebenfalls die spätere Form des digitalen Spiels mitentschieden, auch da sich Verkäufe durchaus an ästhetischen und technologischen Performances von Spielen orientieren können. Der ökonomische Druck, der Zwang gewinnbringend ein Spiel an den Markt zu bringen, kann wiederum zu Designentscheidungen führen, die den Zulassungsbedingungen unterschiedlicher Märkte entsprechen. Dieser Grundmechanismus lässt sich in Deutschland gut um die Praxis der Integration von Hakenkreuzen in digitale Spiele nachvollziehen, wie sie in diesem Band auch im Text von Matthias Herrmann und Peter Färberböck beschrieben wird.

Direkt an dieses Problem schließen auch Aspekte der Lokalisation an. Dieser Begriff bezeichnet den Prozess der Anpassung digitaler Inhalte, Technologien oder Services an unterschiedliche kulturelle oder sprachliche Hintergründe. Das Lokale bezeichnet hier sowohl die Sprache und Region, wie auch die Zeichenkodierung.78 Hierbei muss unterschieden werden zwischen Übersetzung (linguistischer Transfer) und Lokalisation (Adaption und technisches Redesign). Das Ziel ist hierbei, dass sich das Produkt so anfühlt, als sei es in dem Zielland hergestellt worden.79 Bei der Lokalisierung von Videospielen veranlasst die (Selbst)Zensur die Spielehersteller häufig dazu, verschiedene Elemente zu entfernen oder anzupassen (z.B. sexuelle Themen, Gewaltdarstellungen, Transgender-Charaktere, Anspielungen auf Nazis), von denen man annimmt, dass sie die Spieler*innen im Zielland beleidigen könnten. Dieser Prozess ist also in sich politisch, weil er über den Zugang von Informationen in einem Spiel bestimmt und die Lokalisationen immer auch auf die wirtschaftlichen, ideologischen und politischen Ansprüche und Regelungen des Ziellandes abgestimmt werden.80 Lokalisierer sind demnach als Gatekeeper zu verstehen. Lokalisationen sind zudem überwiegend exklusiv, sie bauen also fast immer auf den hegemonialen Sprachen der Länder auf, marginalisierte regionale Gruppen werden so tendenziell ausgegrenzt: »By choosing to target a locale rather than, say, a language community, localizers are not easily able to target the diaspora of any given nation.«81 Zudem richten sie sich danach, wie lukrativ Märkte sind82, das heißt, dass zum Beispiel die kleineren Märkte des Globalen Südens vernachlässigt und deren Teilnehmer von einer Teilhabe an Games als Kulturgut ausgeschlossen werden, weil solche Spiele nicht in den jeweiligen Lokalisationen erscheinen.

Man kann aus dem Gesagten schließen, dass politisch-ökonomische Kräfte, soziale Ungleichheiten und technologische Dynamiken das Spiel als Produkt seiner politischen Umstände maßgeblich mitformen. Gleiches gilt selbstverständlich auch für die Arbeitsbedingungen, unter welchen Spiele hergestellt werden: Der Markt für digitale Spiele hat durch die zunehmende Verbreitung von Spieleplattformen, die wachsende Spieler*innenpopulation und eine zunehmende geografische Reichweite massiv an Umfang gewonnen. An der Spitze stehen mit den drei etablierten Konsolenherstellern Microsoft, Nintendo und Sony sowie einigen wenigen Publisherkonzernen (z.B. Activision Blizzard, Microsoft, Electronic Arts, Tencent, Netease, Garena, Ubisoft)83 ein internationales Oligopol, das weite Teile der Wertschöpfungen in der Spieleindustrie vereinnahmt. Neue Wirtschaftsakteure, insbesondere im Bereich des von Mobile und Casual Games, sind auf dem Vormarsch und vereinnahmen derzeit etwa 50 Prozent der weltweiten Einnahmen der Branche. Sozialer und technischer Wandel haben im digitalen Zeitalter die Art und Weise verändert, wie digitale Spiele produziert, vertrieben und gespielt werden, und gespielt werden. Indie-Entwickler konkurrieren nicht nur mit etablierten AAA-Playern, sondern konvergieren auch mit letzteren in hybriden Konfigurationen und wechselseitigen Abhängigkeiten.84 Die globalisierte Konnektivität und neue Spieleplattformen gewährleisten den Spieleentwicklern Zugang zu einer Vielzahl kostenloser Spiel-Engines und Tools, die die Produktionsprozesse vereinfachen. Diversifizierende Vertriebs- und Bezahlmodelle erweitern die Inhalte und Nutzerportfolios der Publisher über alle Plattformen hinweg. Und soziale Medien und Live-Streaming-Dienste verstärken die Präsenz der Spieler*innen und den Diskurs der Spieler*innen im gesamten Mediensystem des Spiels und üben so Druck auf Produktionsprozesse aus. Diese sich wandelnde Landschaft der Spielproduktion bringt neue Arbeitsformen in der Spieleindustrie hervor, die schwierige Arbeitsbedingungen mit sich bringen, die sich in Stress, straffen Arbeitszeiten, Sexismus, Burnout, unsicheren Existenzen und Problemen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie äußern.85

Wie komplex sich solche prekären Arbeitsbedingungen in der Spielindustrie gestalten, zeigt sich am Beispiel des »Crunch«, einer gängigen Periode unbezahlter Überstunden, die dazu dient, Projekte zu beschleunigen oder zu finalisieren. Eine Studie von Cote und Harris führt basierend auf Interviews mit Entwickler*innen die Persistenz dieser Arbeitspraxis auf drei Ursachen zurück: Erstens nehmen Entwickler*nnen Spielentwicklung als unkontrollierbare Arbeitsumgebung wahr: Diese Wahrnehmung beruht wiederum auf dem Status von Spielentwicklung als kreativem Arbeitsumfeld, ihre Abhängigkeit von sich ständig verändernden Technologien und den Einfluss der Publisher auf den Entwicklungsprozess. Den Entwickler*innen dient dies als Erklärung dafür, warum Projekte aus dem Zeitplan geraten oder dafür, dass das Projekt von vornherein zu wenig geplant werden.86 Zweitens identifizieren Cote und Harris bei Entwickler*innen einen »unternehmensfeindlichen Ethos«, der sich in den Habitus der Spieleentwicklung eingegraben habe. Dabei handelt es sich um eine Selbstwahrnehmung, in der sie organisatorische und kapitalistische Strukturen und Systeme ablehnen. Dies führe zu einer Form der kognitiven Dissonanz, bei der Selbstwahrnehmung und Rolle im Unternehmen massiv auseinanderdriften. Das veranlasse Arbeitnehmer*innen dazu, auf solche Maßnahmen zu verzichten, die die den Bedarf an Crunch verringern und ihre Lebensqualität verbessern könnten.87 Schließlich lässt sich drittens die Konstruktion eines stereotypen Selbstverständnisses beobachten, das auf Leidenschaft und Perfektionismus basiert. Crunch wird somit als natürliche Erweiterung der Liebe der Mitarbeiter*innen zu Spielen und ihrem Drang nach Perfektion betrachtet.88 Hinzu kommt das »Eiserne Dreieck« aus Budgetanforderungen, Fristen und Produktspezifikationen89 sowie eine Kultur der Geheimhaltung: Da viele Unternehmen ihre Projekte mit komplizierten Geheimhaltungsvereinbarungen schützen, zögern Gameworker*innen, Details über ihre Arbeitsprozesse preiszugeben. Dies führt dazu, dass diese immer wieder die gleichen Probleme lösen müssen, weil sie kein gemeinsames Wissen über Spieltechnologien, Programmiertechniken, Managementstrategien und mehr haben.90 Diese Gemengelage an Selbstwahrnehmungen und strukturellen Zwängen führt schließlich dazu, dass die Reproduktion ausbeuterischer Arbeitspraktiken in Form von Crunch beibehalten und tradiert wird.

Eine Antwort auf diese prekären Arbeitsverhältnisse stellen kollektive Bemühungen, etwa in Form von Streiks oder der Vergewerkschaftung von Branchenbeschäftigten dar (sh. Abb. 3). Der vielleicht erste dokumentierte Fall von Widerstand gegen ein ausbeuterisches System der Spielentwicklung war mutmaßlich ein Easter Egg: Der Entwickler Warren Robinett fügte 1979 heimlich ein Feature mit seinem Namen in das Atari-Spiel Adventure91 ein. Robinett reagierte damit auf die Entscheidung des Atari-Managements, die Beiträge der einzelnen Programmierer*innen nicht mehr in den Credits aufzuführen, sondern nur noch die Marke Atari zu nennen. Robinett interpretierte seine Handlung als einen Akt des Arbeitswiderstands und der Handlungsfähigkeit.92

In der mutmaßlich ersten kollektiven Aktion experimentierten Entwickler*innen von Ubisoft France mit gewerkschaftlichen Formen des Zusammenschlusses und gründeten im Dezember 1998 die anonyme »virtuelle« Gewerkschaft »Ubifree«. Ihre Website beschrieb negative Arbeitsbedingungen und rief Ubisoft-Mitarbeiter auf der ganzen Welt dazu auf, Ubifree beizutreten. Einige Monate nach Beginn der Ubifree-Kampagne kündigte Ubisoft Frankreich tatsächlich einige Verbesserungen am Arbeitsplatz an, wie zum Beispiel die Aufnahme eines Belegschaftsvertreters in einigen internen Ausschüssen, worauf Ubifree sich auflöste.93

Abb. 3: Chronologie kollektiven Handelns in der Game-Industrie.94

Weststar und Legault halten fest, dass sich ab 2004 eine ›Lebensqualitätsbewegung‹ entwickelte, die in verschiedenen Formen immer wieder die Frage nach den Arbeitskonditionen in der Spieleindustrie stellte und rund zehn Jahre später den kollektiven Willen zur Gewerkschaftsbildung vorantrieb.95

Weithin sichtbar wurden Gewerkschaftsbemühungen erst auf der jährlichen US-amerikanischen Game Developer Conference im Jahr 2018. Dort war eine Diskussion zum Thema »Union Now? Pros, Cons and Consequences of Unionisation for Game Devs« geplant, Gastgeber war der Geschäftsführer der »International Game Developers Association«. Dieser Berufsverband gilt weithin als gewerkschaftsfeindlich. Eine Gruppe von Arbeitnehmer*innen aus der Videospielbranche plante eine pro-gewerkschaftliche Intervention: Sie gründete die Game Workers Unite (GWU), entwickelte ein Logo und konnte insbesondere Medienaufmerksamkeit erringen, als die Organisatoren des Panels versuchten, die Diskussion zu unterdrücken.96 Vielfach entwickelten sich nun nationale GWU-Gruppen, etwa in Europa, Nordamerika, Südamerika, Asien und Ozeanien.97 Diese Vergewerkschaftung steht gerade am Anfang, und wie auch Olaf Zimmermann, Sprecher des Deutschen Kulturrates im Interview in diesem Sammelband festhält, wäre eine solche Vertretung der Arbeitnehmer, auch als politisches Gegengewicht zum deutschen Industrieverband GAME, ein wichtiges Signal zur Stärkung des Kulturguts Digitale Spiele.

Metakommunikative soziale Einflusssphäre

In der Killerspieldebatte wurde nicht nur ein mögliches Verbot der Distribution und Bewerbung von sog. »Killerspielen« vorgeschlagen, sondern auch die Strafbarmachung der Herstellung gewaltverherrlichender Spiele.98 Zumindest das Verbot von Killerspielen schaffte es 2005 sogar in den Koalitionsvertrag von Union und SPD,99 auch wenn es nie umgesetzt wurde. Inzwischen hat sich die Wahrnehmung digitaler Spiele von Seiten der Politik vor allem aufgrund deren unübersehbarer Wirtschaftsmacht drastisch verändert. Statt Verboten werden nun von Bundesministerien Förderungen ausgelobt und die Spieleindsustrie zum Standortfaktor Deutschlands erklärt.100 Keine zwanzig Jahre liegen zwischen diesen beiden Extrempositionen. Sie können dabei versinnbildlichen, wie Politik die Rahmenbedingungen, von der Produktion bis zur Rezeption, und damit sogar weitergehend die Bedingung der Möglichkeit von Spielen setzen kann. Dies wird bereits in den vielfältigen juristischen, aber auch religiösen Regulierungen, Geboten und Verboten des Glücksspiels deutlich. Dabei steht Cornelius Torp zufolge hinter der Glücksspielbekämpfung im 19. Jahrhundert eine viel größere Idee: nicht weniger als die »Zivilisierungsmission« der ganzen Welt durch die Kolonialmächte.101 Wenn also Spielen als deviantes Verhalten oder das Spiel selbst als deviant verstanden wird, muss zunächst die Frage gestellt werden, wer hier Devianz und Norm definiert. Spiel in jeglicher Form scheint aber immer wieder besonders mit deviantem Verhalten in Verbindung gebracht zu werden. Georg Seeßlen sieht dies in der angeblichen »Irrationalität des Spiels« begründet, auf die die Macht immer mit »Formen von Rationalisierung und Kontrolle reagiert. Die Geschichte des Spielens ist zugleich die Geschichte von Rationalisierungsversuchen und eine Geschichte der strukturellen Entwicklung von Kontrolle.«102 Gerade da Spiele in Deutschland unter den Jugendschutz fallen, wird die Kontrolle des Spiels besonders augenfällig. Die Praxis der Indizierung jugendgefährdender Medien, die ein Werbe- oder sogar ein Verkaufsverbot zur Folge haben kann, zeigt, wie hier staatliche Institutionen in das Spiel und die soziale Teilhabe am Spiel eingreifen können. Das staatliche Interesse, die Jugend zu schützen, macht dabei deutlich, warum das Spiel als kontrollwürdig oder -nötig betrachtet wird. Dabei schleichen sich in diese Kontroll- und Regulierungsprozesse aber auch immer wieder andere Interessen ein, wie die auf Antrag des CSU-geführten Bayerischen Sozialministeriums 1980 angestoßene Indizierung des Brettspiels Provopoli, dem aufgrund seiner eindeutig »linke[n] Weltsicht […] ›eine Aufforderung zu terroristischem Verhalten‹« unterstellt wurde.103 Aber auch eine staatliche Förderpolitik dient schlussendlich der Regulierung und Kontrolle, idealistisch im Sinne des Staats, praktisch im Sinne der Regierung. Dabei muss die Rückwirkungen solcher Kontroll- und Regulierungsversuche auf die Formen des Spiels sowie die Spielkultur beachtet werden. Wie Britta Neitzel104 aufzeigt, wurden gerade Arcades und Spielhallen in Deutschland aufgrund der geltenden Glücksspielgesetze immer weiter reglementiert, bis sie für Kinder und Jugendliche eigentlich nicht mehr zugängig waren. Entsprechend spielen Arcades für die Jugendkulturen in Deutschland keine große Rolle, sind damit auch kein nostalgischer Erinnerungsort. Aber diese gesetzliche Einordnung hat sogar noch weitreichendere Folgen. Mit der Regulierung der Arcades wird Computerspielen im öffentlichen Raum verunmöglicht. Dies hat zur Folge, dass Computerspielen in Deutschland viel mehr als in anderen Ländern als rein private Tätigkeit innerhalb privater Räume verstanden wird, was wiederum zu einer größeren Abgeschlossenheit der Computerspielkultur im Allgemeinen führt. Dies dürfte die, vor allem entlang von Geschlecht verlaufende Gatekeeping-Problematik noch verstärkt, aber auch zu einer allgemeinen Skepsis in der öffentlichen Wahrnehmung geführt haben. Auch die Formation des Spielejournalismus dürfte durch die Indizierungspraxis in Deutschland maßgeblich mitgeformt worden sein, da Besprechungen indizierter Spiele als Werbung für diese Spiele galten und somit Anlass waren, einzelne Zeitschriftenausgaben ebenfalls zu verbieten. Man könnte sogar die extreme ›Verteidigungshaltung‹ der Spielkultur gegenüber als extern wahrgenommenen Einflüssen auf den seit den 1980ern von staatlicher Seite praktizierten Umgang mit digitalen Spielen zurückführen. Dass dies wohl auch eine der Möglichkeitsbedingungen für extremistische Bewegungen wie GamerGate darstellt, zeigt erneut, wie weitreichend politische Parameter sich auswirken können.

Gesellschaftliche Periphersysteme

Die Beziehung zwischen Peripherie und Spiel hingegen ist meist weniger direkt, auch wenn die Trennung zwischen Peripherie und Metakommunikation nicht immer trennscharf gezogen werden kann bzw. auch ein Wechsel zwischen diesen Bereichen möglich ist. Generell könnte man wohl der Peripherie eine eher indirekte Einflussnahme oder einen nicht direkten Austausch mit dem Spiel zuschreiben. Dies kann eine riesige Bandbreite abdecken, sind doch die gesellschaftlichen Vernetzungen des Spiels mit anderen Bereichen fast unendlich. So kann hierunter der ganze Sektor der Telekommunikationsindustrie gezählt werden, der durch die Verfügbarkeit von Internetanbindung und vor allem deren unterschiedlicher Ausbaustufe auch die Möglichkeit des Spielens beeinflusst, ohne das Spiel dabei konkret im Blick zu haben. Aber auch gesellschaftliche Großgruppen können in die Kategorie der Peripherie fallen, wie zum Beispiel Eltern, Lehrer*innen und Erzieher*innen, treten sie doch als Interessengruppen sowie als Kommunikator*innen einerseits zwischen Staat und Spiel sowie zwischen Spiel und möglichen Rezipient*innen – auch hier, ohne notwendigerweise direkt in Kontakt mit dem Spiel, dem Spielen und seiner Kultur zu kommen.

Auch der Einzelhandel, der überhaupt die Option des Kaufes von Spielen entweder in Fach- oder Spezialgeschäften oder aber in Kaufhäusern ermöglicht, hat einen nicht unerheblichen Einfluss auf Spiele und Spielkultur. Der Wechsel von Computerspielen von nerdigen Fachgeschäften hin zu großen Ketten und vor allem in den Onlinehandel, hat definitiv die Wahrnehmung und Verbreitung von Spielen, aber auch die Art der Kommunikation über Spiele verändert. Die Positionierung im Handel ist bedeutsam für alle Arten von Spielen. Dass Schmidt Spiele beim Erscheinen von Das Schwarze Auge 1984 die Spielehandelketten zwang, die bisher in Deutschland kaum bekannte Spielform Rollenspiel ins Sortiment aufzunehmen, wenn sie den Spieleklassiker Mensch ärgere dich nicht! verkaufen wollten, was wiederum zu im Rollenspielsektor bisher nicht mehr erreichten Verkaufszahlen führte, zeigt dies nur allzu deutlich.105 Gleichzeitig kann das Spezialgeschäft, in diesem Fall der Rollenspielladen, als zentraler Träger der Subkultur Rollenspiel ausgemacht werden.

Wie schwer die Grenzziehung zwischen den von uns aufgestellten Bereichen mitunter ist, zeigt sich zum Beispiel an der Wissenschaft und ihren institutionellen Vertretern, den Universitäten. Am besten lässt sich dies über einen Umweg über die Literaturwissenschaft erläutern. Diese ist zwar Teil des Literaturdiskurses, aber kein direkter Teil des Literaturbetriebs. Dennoch hat die Literaturwissenschaft Einfluss auf beides, manchmal direkt (Interaktion, Austausch, personelle Überschneidung), oft aber auch indirekt oder ungerichtet. So mag die Auswahl einer Seminarlektüre zunächst nur als nur begrenzt wirksam gelten, aber durch die Akkumulation und Häufung von solchen Einzelhandlungen von Akteur*innen in institutionellen Rollen kann daraus eine Kanonisierungshandlung werden und somit der Literaturdiskurs beeinflusst werden.106 Gleiches mag, in abgeschwächter Form, auch für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Spielen gelten. Auch die Game Studies sind einerseits auf vielen Ebenen mit den verschiedenen Sphären des Spiels verknüpft. So sind Wissenschaftler*innen zugleich Rezipient*innen, manchmal auch Produzent*innen. Bei großem Outreach können Sie auch in die Metakommunikation eintreten und gesellschaftlich Einfluss nehmen. Wäre der Institutionalisierungsgrad der Game Studies höher, könnten Sie hier sogar zum festen Player im gesellschaftlichen Gefüge werden.

Doch auch, wenn sich die Game Studies zum Beispiel selbst mit dem Verhältnis von Politik und Spiel beschäftigen, können sie damit – hoffentlich – das weiße Rauschen der Peripherie verlassen, semantische Muster bilden, die Diskurse und das soziale Verständnis von Spielen mitprägen. Somit haben wir in dieser Einleitung (wie eingangs mit Rekurs auf Luhmann angedeutet) den Moment der Beobachtung unserer eigenen Beobachtung erreicht. Und auch wenn es noch viele weitere Bereiche der Verbindung zwischen Politik und Spiel gäbe (Distribution, Marketing, technologische Rahmenbedingungen), wollen wir uns nun dem vorliegenden Band zuwenden.

Der vorliegende Band

Die Idee dieses Bandes begann als Twitter-Thread. Arno Görgen schrieb am 19. Juli 2021:

heute morgen dachte ich, man müsste man einen ordentlichen einführenden Sammelband zu Games & Politik machen, der Politik nicht als [I]n-Game-Diskurs betrachtet[,] sondern eher, welche Rolle Games in der Politik spielen. Allein, die Zeit…! (oder gibt es das schon?)107