Polizeibeamte als Zeugen im Strafverfahren - Kai Müller - E-Book

Polizeibeamte als Zeugen im Strafverfahren E-Book

Kai Müller

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Beschreibung

Handlungssicherheit bei Zeugenaussagen Der Auftritt als Zeuge vor Gericht ist für viele Polizeibeamtinnen und -beamte Teil der täglichen Arbeit. Dennoch zeigt die Erfahrung, dass diese mit ihrer Zeugenrolle und dem Verhältnis zur Strafverteidigung oft nicht hinreichend vertraut sind. Das Buch vermittelt den polizeilichen Zeugen Handlungssicherheit und Professionalität im Auftreten vor Gericht sowie im Umgang mit den Verfahrensbeteiligten. Die Tricks der Strafverteidigung Der Autor zeigt die taktische Vorgehensweise der Strafverteidigung auf – die tatsächlich schon vor der eigentlichen Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung beginnt – und erläutert die möglichen Reaktionen der polizeilichen Zeugen darauf. Die Darstellung konzentriert sich auf die für die Zeugenvernehmungen relevanten juristischen Details und orientiert sich an der maßgeblichen obergerichtlichen Rechtsprechung. Zahlreiche Tipps und Merksätze sowie konkrete Verhaltensempfehlungen maximieren den praktischen Nutzen des Buches. Die 5 wichtigsten Punkte des Leitfadens: •Hauptverhandlung und Verfahrensbeteiligte •Vernehmung der Polizeibeamtinnen und -beamten vor Gericht •Strafverteidigung und polizeilicher Zeuge •Vernehmungsfehler im Ermittlungsverfahren •Verhaltensempfehlungen für Polizeizeugen Anhang mit Gesetztestexten Ein Anhang mit Auszügen der wesentlichen Gesetze sowie ein umfangreiches Literatur- und Stichwortverzeichnis runden das Werk ab. Erfahrener Autor Der Verfasser führt seit Jahren regelmäßig Fortbildungsveranstaltungen für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen durch. Er ist Prodekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg in Villingen-Schwenningen. Wertvolle Tipps und Hinweise für: •Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte •Anwärterinnen und Anwärter für den Polizeidienst

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Polizeibeamte als Zeugen im Strafverfahren

Vom Ermittler zum Beweismittel

Prof. Dr. Kai Müller

Hochschule für Polizei Baden-Württemberg

2., aktualisierte und überarbeitete Auflage, 2021

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek | Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

2. Auflage, 2021

Print ISBN 978-3-415-06913-8 E-ISBN 978-3-415-06915-2

© 2012 Richard Boorberg Verlag

E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Titelfoto: © Семен Саливанчук – stock.adobe.com

Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG | Scharrstraße 2 | 70563 Stuttgart Stuttgart | München | Hannover | Berlin | Weimar | Dresdenwww.boorberg.de

Vorwort

Der Auftritt als Zeuge vor Gericht ist für viele Polizeibeamte Teil der alltäglichen Arbeit. Insofern müssten Polizeibeamte mit ihrer Zeugenrolle eigentlich vertraut sein. Bei meiner Tätigkeit als (ehemaliger) Rechtsanwalt und Strafverteidiger sowie als Dozent in der polizeilichen Fort- und Ausbildung habe ich jedoch den Eindruck gewonnen, dass auf diesem „polizeilichen Arbeitsfeld“ bei vielen Beamten immer noch Wissenslücken und teilweise auch ein gewisses Maß an Unsicherheit herrschen. Hieraus erklärt sich wohl auch das weiterhin ungebrochen große und gerade in den letzten Jahren eher noch gewachsene Interesse von Polizeibeamten an diesem Thema, das ich in den entsprechenden Fortbildungsveranstaltungen immer wieder wahrnehme.

Ziel der Darstellung ist es, eine größere Handlungssicherheit und damit eine gewisse Professionalität im Auftreten vor Gericht sowie im Umgang mit den Verfahrensbeteiligten für den polizeilichen Zeugen zu schaffen. Bei den dafür anzusprechenden vielfältigen Aspekten habe ich einen Schwerpunkt auf die Darstellung der Verteidigung gelegt, da nach meinen Erfahrungen hier bei Polizeibeamten viele Fehlvorstellungen oder aber einfach Unkenntnis über die „Figur“ des Strafverteidigers herrschen. Dies kann, gepaart mit einer mangelhaften Akzeptanz seiner eigenen Zeugenrolle vor Gericht, ein unprofessionelles Zeugenverhalten im Umgang mit dem Verteidiger auslösen.

Seit dem Erscheinen der 1. Auflage vor mehr als acht Jahren sind viele für die Thematik wichtige Gesetzesänderungen erfolgt. Hierzu zählen beispielsweise eine Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten, die Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung, der verstärkte Einsatz von Videotechnik bei Vernehmungen sowie eine Stärkung der Rechte jugendlicher Beschuldigter. Die 2. Auflage hat, neben einer Überarbeitung und der notwendigen Aktualisierung von Rechtsprechung und Literatur, auch eine Erweiterung in genau diesen Themenbereichen erfahren.

Insgesamt habe ich mich bei der Darstellung bemüht, nur so sehr in rechtliche Details zu gehen, wie es notwendig ist, um dem Polizeibeamten die erforderlichen Kenntnisse zu vermitteln. Auf die Erörterung juristischer Streitstände ist daher verzichtet worden. Stattdessen habe ich mich nach Möglichkeit an der für die Praxis maßgebenden obergerichtlichen Rechtsprechung orientiert. Persönliche Sympathien für hiervon abweichende Meinungen habe ich dem Praktiker weitestgehend erspart. Rechtsprechung und Literatur befinden sich auf dem Stand von Oktober 2020.

Hinweise, Anregungen und Kritik sind unter [email protected] ausdrücklich erwünscht.

Emmendingen/Villingen-Schwenningen, im Oktober 2020

Kai Müller

Inhalt

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

1. Kapitel Der Zeuge im System der Beweislehre

I. Grundzüge der Beweislehre

1. Strengbeweisverfahren

2. Freibeweisverfahren

3. Schwächen des Zeugenbeweises

II. Der Begriff des Zeugen

1. Gegenstand der Zeugenaussage

2. Zeugen vom Hörensagen

III. Begriff und Funktion der Beweisverbote

2. Kapitel Hauptverhandlung und Verfahrensbeteiligte

I. Das Gericht

1. Aufklärungspflicht des Gerichts

2. Organisation der Strafgerichtsbarkeit

3. Ausschließung und Ablehnung von Richtern

4. Aufgaben des Gerichts in der Hauptverhandlung

II. Grundsätze der Hauptverhandlung

1. Grundsatz der Mündlichkeit

2. Grundsatz der Unmittelbarkeit

III. Ablauf der Hauptverhandlung

IV. Die Verfahrensbeteiligten

1. Die Staatsanwaltschaft

2. Der Beschuldigte als Angeklagter

3. Der Verletzte als Nebenkläger

3. Kapitel Der Polizeibeamte als Zeuge vor Gericht

I. Zeugenrollen des Polizeibeamten

1. Der Polizeibeamte als Tatzeuge

2. Der Polizeibeamte als Zeuge der eigenen Ermittlungen

3. Rollenwechsel: vom Ermittler zum personellen Beweismittel

II. Pflichten und Rechte des Polizeizeugen

1. Pflichten des Polizeizeugen

2. Rechte des Polizeizeugen

III. Beweiswert der Zeugenaussage

1. Der Polizeibeamte als Sonderfall des Zeugen

2. Aussagefähigkeit

3. Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit

4. Kapitel Die Vernehmung des Polizeibeamten vor Gericht

I. Warteposition

II. Äußerliches Auftreten

III. Angaben zur Person und zur Sache

1. Vernehmung zur Person

2. Vernehmung zur Sache

IV. Das Fragerecht

1. Grundsätze zum Fragerecht

2. Unzulässige Fragen

5. Kapitel Strafverteidigung und polizeilicher Zeuge

I. Der Strafverteidiger als Verfahrensbeteiligter

1. Stellung und Funktion des Verteidigers

2. Pflichten des Verteidigers

3. Rechte des Verteidigers

II. Strafverteidigung als Konflikt

III. Begriff der Konfliktverteidigung

IV. Fragetaktiken der Verteidigung

1. Verunsicherungstaktik

2. Verhinderungstaktik

3. Rollentauschtaktik

4. Provokationstaktik

V. Vorbereitung des Verteidigers auf die Hauptverhandlung

1. Entwicklung eines Verteidigungskonzepts

2. Vorbereitung der Zeugenvernehmung

3. Fragenkatalog zur Zeugenvernehmung

6. Kapitel Vernehmungsfehler im Ermittlungsverfahren

I. Beschuldigtenbelehrung

1. Folgen von Belehrungsfehlern

2. Belehrungszeitpunkt

3. Belehrungsinhalt

II. Beschuldigtenvernehmung

1. Vernehmungsfähigkeit

2. Vernehmung zur Person

3. Eröffnung des Tatvorwurfs

4. Vernehmung zur Sache

III. Protokollierung

1. Protokollinhalt

2. Protokollart

7. Kapitel Verhaltensempfehlungen für Polizeizeugen

I. Vorbereitung

II. Zeugenaussage

III. Nachbereitung

IV. Fort- und Ausbildung

Gesetzesanhang – Auszüge –

Literaturverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

a. A.

anderer Ansicht

AG

Amtsgericht

Anm.

Anmerkung

AO

Abgabenordnung

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

BAK

Blutalkoholkonzentration

BBG

Bundesbeamtengesetz

BeamtStG

Beamtenstatusgesetz

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite)

BORA

Berufsordnung für Rechtsanwälte

BRAO

Bundesrechtsanwaltsordnung

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zitiert nach Band und Seite)

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

DAR

Deutsches Autorecht (Zeitschrift)

ders.

derselbe

dies.

dieselben

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift)

DPolBl.

Deutsches Polizeiblatt

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

EGStGB

Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch

Einl.

Einleitung

EMRK

(Europäische) Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten

f.

folgende

ff.

fortfolgende

GG

Grundgesetz

GSSt

Großer Senat für Strafsachen

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

HRRS

Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht (Online-Zeitschrift)

hrsg.

herausgegeben

i. e. S.

im engeren Sinn

i. V. m.

in Verbindung mit

JGG

Jugendgerichtsgesetz

JR

Juristische Rundschau

JVEG

Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz

JZ

Juristenzeitung

KK

Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung

LG

Landgericht

LR

Löwe-Rosenberg, Strafprozessordnung und Gerichtsverfassungsgesetz (Kommentar)

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

Nr.

Nummer

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NStZ-RR

NStZ-Rechtsprechungs-Report

NVwZ-RR

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungs-Report

OLG

Oberlandesgericht

OWiG

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PDV

Polizeidienstvorschrift

RGSt

Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite)

RiStBV

Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren

Rn.

Randnummer

S.

Seite

SK

Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung

sog.

sogenannte

StGB

Strafgesetzbuch

StRR

Strafrechtsreport

StPO

Strafprozessordnung

StraFo

Strafverteidiger Forum (Zeitschrift)

StV

Strafverteidiger (Zeitschrift)

u.

und

u. a.

unter anderem

VGH

Verwaltungsgerichtshof

vgl.

vergleiche

Vorbem.

Vorbemerkung

WÜK

Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen

z. B.

zum Beispiel

ZIS

Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik

ZPO

Zivilprozessordnung

Einleitung

Der Polizeibeamte als Zeuge ist ein in der gerichtlichen Praxis alltägliches und oftmals wichtiges Beweismittel, das dienstliche Vorkommnisse bekundet. Dabei wird dem polizeilichen Zeugen im Sinne eines Berufszeugen1 eine berufsbedingte Sonderrolle zugeschrieben, die mit vielen Kritikpunkten behaftet ist. So reichen die Ansichten zur Qualität des Polizeizeugen von „idealer Zeuge“2 über „guter Zeuge“3 bis hin zu „unzuverlässiger Zeuge“4 oder „mangelhaftes Beweismittel.“5 Die Ursache der Kritik ist in der berufsbedingten Doppelfunktion als Ermittler und Zeuge angelegt. Entgegen der gesetzlichen Konzeption liegt die praktische Durchführung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens regelmäßig bei der Polizei, während die Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens (§ 160 I StPO) für die abschließende Verfügung (Anklage, Strafbefehl, Einstellung etc.) zuständig ist.6 Der Polizeibeamte führt bei seiner Tätigkeit als Ermittlungsbeamter im Strafverfahren neben diversen Zwangsmaßnahmen auch Vernehmungen von Beschuldigten und Zeugen durch. Diese aktive, den Ablauf des Ermittlungsverfahrens wesentlich mitbestimmende Rolle verkehrt sich im Hauptverfahren vor Gericht in eine passive Rolle, wenn der Polizeibeamte nunmehr als Zeuge selbst zum Beweismittel in „seinem Verfahren“ wird. Er muss sich in der Folge als Zeuge von Gericht, Staatsanwaltschaft, Verteidiger, Angeklagtem und möglichem Nebenkläger befragen lassen und hat damit seine aktive Rolle verloren. Er wird vom Vernehmenden zum Vernommenen. Hierbei muss er sich insbesondere von Seiten der Verteidigung oftmals detaillierten und kritischen Fragen zu seiner Ermittlungstätigkeit stellen, wodurch das Gefühl entstehen kann, seine eigene Ermittlungsarbeit nunmehr rechtfertigen bzw. verteidigen zu müssen. Insbesondere die Befragung durch den Verteidiger empfindet der Polizeibeamte dabei oftmals als unangenehm bis unfair, wofür von den Betroffenen teilweise der Begriff „Konfliktverteidigung“ gebraucht wird.7 Insoweit befindet sich der Polizeibeamte als Zeuge in einer schwierigen Situation: Er muss wahrheitsgemäß und objektiv über seine Ermittlungstätigkeit aussagen und dabei diese oftmals gleichzeitig gegen Angriffe der Verfahrensbeteiligten verteidigen, ohne aber seine Zeugenrolle zu verlassen bzw. zu beschädigen.

Darüber hinaus ist dem Polizeibeamten auch die rechtliche Bedeutung seiner Aussage für den Verfahrensausgang nicht immer vollauf bewusst. Existiert beispielsweise ein polizeiliches Vernehmungsprotokoll des in der Hauptverhandlung schweigenden Angeklagten, ist dies als Urkundenbeweis aufgrund der Beschränkung des § 254 I StPO auf richterliche Protokolle nicht verwertbar.8 Daher kommt vor Gericht der Vernehmung der polizeilichen Verhörperson als Zeuge vom Hörensagen große Bedeutung zu. Kennt der Polizeibeamte die sich aus § 254 I StPO ergebenden Rechtsfolgen nicht, so kann er auch nicht die Bedeutung seiner Aussage für das Verfahren absehen. Folglich empfindet er seine Aussagepflicht vor Gericht teilweise als „lästige Pflicht“.

Um den gestellten Anforderungen gerecht werden zu können, muss der Polizeibeamte ein professionelles Zeugenverhalten im Umgang mit Gericht und Verfahrensbeteiligten zeigen. Voraussetzung hierfür sind zunächst Grundkenntnisse über das Beweisrecht sowie die Rechte der Verfahrensbeteiligten. Nur so kann der Polizeibeamte seine eigene Verfahrensrolle als Zeuge richtig einschätzen. Weiterhin erfordert ein professionelles Auftreten vor Gericht fundierte Kenntnisse der Pflichten und Rechte des Polizeizeugen sowie des Beweiswerts und der Glaubwürdigkeitsanforderungen von Zeugenaussagen. Mit Hilfe dieses rechtlichen und aussagepsychologischen Wissens gewinnt der Polizeibeamte Handlungssicherheit als Zeuge vor Gericht. Hierzu gehört auch eine ausführliche Darstellung des sog. Fragerechts, welches insbesondere die Verteidigung für kritische Fragen an den polizeilichen Zeugen nutzt. Wie bereits kurz erwähnt, ist gerade das Verhältnis zwischen dem Verteidiger und dem Polizeizeugen oftmals problematisch und angespannt. Daher wird besonderes Gewicht auf die Darstellung der Verteidigung gelegt. Diese erschöpft sich nicht in der bloßen Erläuterung von Funktion, Pflichten und Rechten der Verteidigung, sondern beinhaltet auch Verteidigungsstrategien und Fragetaktiken sowie die gebotenen Reaktionen. Darüber hinaus wird die Sichtweise des Verteidigers auf den polizeilichen Zeugen und die praktische Vorbereitung auf die Hauptverhandlung ins Blickfeld genommen. Hierdurch soll ein „Verstehen“ der Arbeit des Strafverteidigers und damit ein notwendiger professionellerer Umgang des Polizeibeamten mit der Verteidigerrolle im Strafverfahren gefördert werden.

Letztlich basiert die Qualität der Zeugenaussage des Polizeibeamten entscheidend auf der Qualität seiner Ermittlungen. Konflikte, die während der Vernehmung des Polizeibeamten durch kritische Fragen der Verfahrensbeteiligten entstehen, haben typischerweise ihren Ursprung in der polizeilichen Ermittlungstätigkeit. Insbesondere im Rahmen von polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen existieren viele Fehlerquellen, deren Vermeidung einen späteren Konflikt in der Zeugenrolle von vornherein unterbindet. Folglich beinhaltet die Darstellung auch einen Exkurs über mögliche Fehler bei der Beschuldigtenvernehmung.

Um die Ausführungen für die praktische Anwendung besser fruchtbar zu machen, werden in den einzelnen Kapiteln besonders gekennzeichnete Hinweise sowie am Schluss zusammenfassend konkrete Verhaltensempfehlungen gegeben. Wichtige Vorschriften finden sich im Anhang.

1. KapitelDer Zeuge im System der Beweislehre

Der Polizeibeamte hat durch seine Ausbildung und Praxis strafverfahrensrechtliche Kenntnisse, die sich hauptsächlich auf sein Tätigkeitsfeld, das Ermittlungsverfahren, beschränken. Für ein sicheres Auftreten als Zeuge in der Hauptverhandlung ist es hilfreich, auch den rechtlichen Rahmen, in dem sich die gerichtliche Entscheidungsfindung im Hauptverfahren abspielt, zu kennen. Nur so kann der Polizeibeamte als Zeuge Sinn und Bedeutung der an ihn gerichteten Fragen und Vorhalte einschätzen und infolgedessen professioneller reagieren. Daher werden zunächst einige Grundlagen zur Beweislehre und zur Beweisfunktion des Zeugen in der Hauptverhandlung dargestellt. Im Zusammenhang mit der Pflicht des Gerichts zur Wahrheitserforschung sind auch kurze Ausführungen zur komplexen Thematik der Beweisverbote notwendig, um die Grenzen der gerichtlichen Wahrheitserforschung auszuloten. Diese Materie ist auch für das Ermittlungsverfahren von Interesse, da der ermittelnde Polizeibeamte bestrebt sein muss, gerichtsverwertbare Beweise zu ermitteln.

I. Grundzüge der Beweislehre

Im Unterschied zu dem im Ermittlungsverfahren ausreichenden Verdacht in seinen verschiedenen Formen (Anfangsverdacht, hinreichender und dringender Tatverdacht) müssen in der Hauptverhandlung alle für die Schuld- und Straffrage entscheidungserheblichen Tatsachen voll bewiesen werden. Beweisen bedeutet dabei, vom Bestehen einer Tatsache überzeugt zu sein. Für die nach § 261 StPO notwendige Überzeugung des Gerichts vom Beweis einer Tatsache genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten begründete Zweifel nicht mehr aufkommen.9 Bleiben nach Abschluss dieser freien Beweiswürdigung des Gerichts Zweifel, so ist zugunsten des Angeklagten zu entscheiden (in dubio pro reo). Dabei muss beachtet werden, dass jeder Mensch über seine eigene, sich von anderen mehr oder weniger unterscheidende Sozialisation, Lebenserfahrung etc. verfügt. Somit kann die Bewertung eines Sachverhalts durch einen Richter – je nach dessen Lebenserfahrung etc. – durchaus verschieden ausfallen.10 Die Beweiswürdigung beinhaltet insoweit auch subjektive Elemente.

1. Strengbeweisverfahren

Das Gesetz schreibt für die Beweisaufnahme über die Schuld- und Straffrage strenge Regeln hinsichtlich der zugelassenen Beweismittel sowie deren Verwendung in der Hauptverhandlung vor. Dieser sog. Strengbeweis erlaubt ausschließlich die vier im Gesetz genannten Beweismittel Zeuge (§§ 48–71 StPO), Sachverständiger (§§ 72–85 StPO), Augenschein (§§ 86–93 StPO) und Urkunde (§§ 249–256 StPO). Während Zeuge und Sachverständiger persönliche Beweismittel sind, handelt es sich bei Augenschein und Urkunde um sachliche Beweismittel. Unter Augenschein ist jede sinnliche Wahrnehmung durch Sehen, Hören, Riechen, Schmecken oder Fühlen zu verstehen,11 wie das Betrachten von Gegenständen, Bildern oder Filmen, die Leichenschau, das Abspielen von Tonbändern etc. Urkunden sind Schriftstücke jeder Art, die verlesbar sind und durch ihren Gedankeninhalt Beweis erbringen können.12 Diese vier Beweismittel dürfen nur nach den in §§ 244 ff. StPO festgelegten Regeln verwendet werden. Da die (freiwillige) Aussage des Beschuldigten und sein Auftreten in der Hauptverhandlung regelmäßig eine wichtige Rolle für die Urteilsbildung des Gerichts spielen, ist der Beschuldigte zwar kein Beweismittel im technischen Sinn, wird jedoch zum Beweismittel im weiteren Sinn gezählt.13

2. Freibeweisverfahren

Alle übrigen für das Verfahren erheblichen Umstände, die nicht die Schuld- und Straffrage betreffen, beispielsweise die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten oder die Frage, ob bei der Vernehmung des Beschuldigten verbotene Vernehmungsmethoden (§ 136a I StPO) angewandt wurden,14 können im sog. Freibeweisverfahren, also auf jede beliebige Art und Weise erhoben werden. Hier kann das Gericht auch Beweismittel einsetzen, die von der StPO nicht vorgesehen sind, beispielsweise eine schriftliche oder telefonische Auskunft.15 Außerhalb der Hauptverhandlung und damit auch im gesamten Ermittlungsverfahren gilt ausschließlich der Freibeweis.

3. Schwächen des Zeugenbeweises

Der Zeugenbeweis ist dabei ein in der Praxis häufig vorkommendes Beweismittel, oftmals das einzige oder zumindest entscheidende Beweismittel. Jedoch ist der Zeugenbeweis auch ein für die Wahrheitsermittlung des Geschehenen unsicheres Beweismittel, da ein Zeuge seine vor Gericht zu bekundenden Wahrnehmungen nicht rein objektiv, sondern aus seiner eigenen Sicht und damit zwangsläufig subjektiv gemacht hat. Neben dieser unbewussten Einfärbung der Zeugenaussage kann der Zeuge auch ein persönliches Interesse am Verfahrensausgang haben und seine Aussage entsprechend ausrichten. Der großen praktischen Bedeutung der Zeugenaussage steht also ein zumindest skeptisch zu beurteilender Beweiswert gegenüber.

II. Der Begriff des Zeugen

Zeuge ist, wer seine Wahrnehmungen über Tatsachen durch Aussage kundgeben soll.16 Dabei ist niemand von vornherein untauglich, so dass beispielsweise auch Kinder und Geisteskranke als Zeugen in Betracht kommen.17 Ebenso ist es unerheblich, ob der Zeuge zufällig eine Beobachtung gemacht hat oder aber gezielt eingesetzt wurde, wie beispielsweise ein Verdeckter Ermittler oder ein V-Mann. Auch eine besondere Sachkunde schließt die Zeugeneigenschaft nicht aus (sachverständiger Zeuge gem. § 85 StPO).

1. Gegenstand der Zeugenaussage

Inhaltlich bezieht sich die Zeugenaussage stets auf innere oder äußere Wahrnehmungen durch Sehen, Hören, Fühlen, Lesen, Riechen, Schmecken etc. Da der Zeuge Wahrnehmungen bekunden soll, ist es gerade nicht seine Aufgabe, Rechtsfragen, Erfahrungsregeln, allgemeine Eindrücke, Schlussfolgerungen oder Vermutungen zu tätigen.18 Der Polizeibeamte als Zeuge sollte sich daher bei seiner Aussage auf seine Wahrnehmungen beschränken und eine Vermischung mit Schlussfolgerungen und Bewertungen vermeiden. Solche Schlussfolgerungen und Bewertungen werden nicht vom Zeugen, sondern vom Sachverständigen getroffen. Auch können reine Werturteile nicht Gegenstand des Zeugenbeweises sein.19 Über die Charaktereigenschaften eines anderen kann ein Zeuge daher nur aussagen, wenn er auch Tatsachen bekunden kann, die den Schluss auf diese Eigenschaften zulassen.20

2. Zeugen vom Hörensagen

Auch der Zeuge vom Hörensagen fällt unter den Zeugenbegriff. Er berichtet über das, was Dritte ihm gegenüber geäußert haben, er also von diesen gehört hat, nicht aber, ob das Gehörte auch wahr ist.21 So ist der Polizeibeamte, der vor Gericht über die von ihm durchgeführte Beschuldigtenvernehmung berichtet, Zeuge vom Hörensagen. Die Aussage eines solchen „mittelbaren Zeugen“ ist zwar vor Gericht verwertbar, hat allerdings einen geringeren Beweiswert, da der Zeuge vom Hörensagen das Bekundete eben selbst nur vom unmittelbaren Zeugen bzw. vom Beschuldigten gehört hat.22

Merke:

Der Zeuge vom Hörensagen bekundet somit nicht eine zum gesetzlichen Tatbestand gehörende Tatsache, sondern ein Beweisanzeichen, das auf eine solche Tatsache hindeutet.23 Die Aussage eines Zeugen vom Hörensagen muss daher regelmäßig durch weitere Indizien abgesichert werden.24

III. Begriff und Funktion der Beweisverbote

Der Begriff Beweisverbote umfasst Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote.25 Erstere verbieten, sich Beweise über ein bestimmtes Thema mit gewissen Beweismitteln oder Beweismethoden zu verschaffen, beispielsweise den Einsatz verbotener Vernehmungsmethoden nach § 136a StPO. Beweiserhebungsverbote untersagen die Verwertung von Erkenntnissen, die man durch eine Beweiserhebung oder auf andere Weise erhalten hat. Dabei ist zu beachten, dass ein Beweiserhebungsverbot immer dann ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht, wenn eine entsprechende gesetzliche Verbotsregelung besteht. So hat eine Wohnraumüberwachung, die unzulässigerweise in den Kernbereich privater Lebensgestaltung eingreift, zur Folge, dass die dadurch gewonnenen Erkenntnisse nicht verwertbar sind (§ 100c V 3 StPO). Existiert ein gesetzliches Beweisverwertungsverbot nicht, folgt aus einem gesetzlichen Beweiserhebungsverbot, wie beispielsweise den Beschlagnahmeverboten nach § 97 StPO, keineswegs zwingend ein Beweisverwertungsverbot. Die Frage wird dann von der obergerichtlichen Rechtsprechung durch Auslegung im Sinne einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Interessen beantwortet (sog. Abwägungslehre).26 Andererseits muss einem Beweisverwertungsverbot nicht zwingend ein Beweiserhebungsverbot vorausgehen. So hat der BGH in einem Strafverfahren wegen Meineids die Verwertbarkeit des durch einen Dritten den Strafverfolgungsbehörden übersandten Tagebuchs der Angeklagten abgelehnt.27

Merke:

Aus dem beschriebenen Strengbeweisverfahren folgt, dass nur die zugelassenen Beweismittel, die in der zugelassenen Art und Weise eingesetzt wurden, die Grundlage der Entscheidung des Gerichts bilden. Insofern bedeuten die Beweisverbote eine Einschränkung der Wahrheitsfindung des Gerichts. Die Wahrheit soll zwar erforscht werden, aber nicht um jeden Preis.28

Somit schränken die Beweiserhebungsverbote die Aufklärungspflicht des Gerichts ein, während die Beweisverwertungsverbote die Verarbeitung aller dem Gericht bekannten Informationen begrenzen. Der Richter darf daher sein vorhandenes Wissen nicht für die Entscheidungsfindung berücksichtigen, wenn dieses Wissen einem Beweisverwertungsverbot unterliegt. Im Extremfall kann das zu einem Freispruch führen, obwohl dem Richter die für eine Verurteilung notwendigen Tatsachen bekannt sind. Wurden beispielsweise bei einer aufgrund fehlender richterlicher Anordnung rechtswidrigen Wohnungsdurchsuchung Betäubungsmittel gefunden und liegen keine weiteren eine Verurteilung tragenden Beweise vor, muss der Angeklagte freigesprochen werden.29 Daher können Fehler in der polizeilichen Ermittlungsarbeit gravierende Folgen für den Ausgang des Hauptverfahrens haben.

2. KapitelHauptverhandlung und Verfahrensbeteiligte

Für den Polizeibeamten als Zeugen in der Hauptverhandlung ist es unerlässlich, die Stellung und Aufgaben des Gerichts und der Verfahrensbeteiligten sowie die Grundsätze und den Ablauf der Hauptverhandlung in wesentlichen Grundzügen zu kennen. Dies ermöglicht dem Polizeibeamten, das Agieren der wichtigsten Verfahrensbeteiligten zu verstehen, seine eigene Rolle als Zeuge in der Hauptverhandlung besser einordnen und in der Folge sicherer auftreten zu können. Letztlich trägt dies auch dazu bei, durch bessere Rechtskenntnisse mögliche Vorbehalte gegenüber der Justiz nach dem Motto „Die Polizei fängt die Täter, die Justiz lässt sie laufen“30 abzubauen.

I. Das Gericht

Als Träger des Verfahrens nimmt das Gericht gegenüber den anderen am Verfahren Beteiligten eine Sonderstellung ein. Während Verteidiger, Nebenkläger und in der Praxis zumeist auch der Staatsanwalt für bzw. gegen den Beschuldigten Stellung beziehen, tritt der Richter demgegenüber als „Nichtbeteiligter“ auf.31 Das Gericht, dessen Richter gem. Art. 97 I GG unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind, agiert als Träger des Verfahrens insoweit „unbeteiligt“ und gewährt den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör (§ 33 StPO).32

1. Aufklärungspflicht des Gerichts

Es ist Aufgabe des Gerichts, von Amts wegen die Wahrheit zu erforschen, d. h. den Sachverhalt umfassend aufzuklären und alle dafür notwendigen Beweise zu erheben. Ziel des Strafverfahrens ist, herauszufinden, wie es wirklich gewesen ist (sog. materielle Wahrheit). Im Unterschied hierzu gelten beispielsweise im Zivilprozess alle von den Parteien (Kläger und Beklagter) als unstreitig behandelten oder zugestandenen Tatsachen als wahr (§ 138 III ZPO; sog. formelle Wahrheit). Hingegen muss die strafrechtliche Verurteilung in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren auf materiell wahrer Tatsachenfeststellung beruhen. Es gilt, die Tatsachen, die verfahrensrechtlich oder für die Schuldfrage sowie die Rechtsfolgenentscheidung erheblich sind, festzustellen. Das Gericht versucht insofern ein zeitlich zurückliegendes Geschehen mit Hilfe der zugelassenen Beweismittel zu rekonstruieren. Ob dies gelingt, hängt von der Qualität der Beweismittel ab.

Merke:

Da das Gericht, wie erläutert, an bestimmte Beweismittel gebunden ist, stellt dies stets nur einen Versuch dar, der Wahrheit möglichst nahezukommen. Insoweit ist sein Urteil auch nur „ein Wurf nach der Gerechtigkeit“.33

2. Organisation der Strafgerichtsbarkeit

Insbesondere im Hinblick auf das später zu erörternde Verteidigerverhalten in der Hauptverhandlung sind einige kurze Ausführungen zur Besetzung und sachlichen Zuständigkeit der Strafgerichte sowie zum Instanzenzug in Strafsachen erforderlich. Zu beachten ist dabei auch das Prinzip des gesetzlichen Richters.

a) Gesetzlicher Richter und Geschäftsverteilungsplan

Das Prinzip des gesetzlichen Richters (Art. 101 I 2 GG; § 16 Satz 2 GVG) bedeutet, dass ausschließlich durch Gesetz bestimmt werden darf und aufgrund eines Gesetzes von vornherein festgelegt werden muss, wer für zukünftige Strafrechtsfälle der zuständige Richter ist.34 Hierzu verteilt das Präsidium des Gerichts nach einem Geschäftsverteilungsplan (§§ 21a ff. GVG) für das jeweils kommende Geschäftsjahr die Richter auf die einzelnen Spruchkörper und weist nach generellen Kriterien wie Anfangsbuchstaben der Angeklagten, Gerichtsbezirken oder Straftaten die Sachen zu (§ 21e I GVG).35 Daran kann grundsätzlich nichts mehr geändert werden,36 so dass für einen Straftäter schon bei Begehung seiner Tat feststeht, wer der zuständige Richter sein wird.

b) Zuständigkeit und Besetzung in erster Instanz

In Strafsachen sind Eingangsgericht das Amtsgericht, Landgericht oder Oberlandesgericht, während der Bundesgerichtshof keine erstinstanzliche Zuständigkeit innehat.

aa) Amtsgericht

Die amtsgerichtliche Zuständigkeit (§§ 24 ff. GVG) umfasst den Strafrichter und das Schöffengericht. Der Strafrichter ist als Einzelrichter für Privatklagedelikte (§ 374 I StPO) und Vergehen, bei denen die Straferwartung zwei Jahre nicht übersteigt, zuständig (§ 25 GVG). Bei Vergehen, die nicht in die Zuständigkeit des Strafrichters fallen, und bei Verbrechen, die nicht in die Zuständigkeit des Land- oder Oberlandesgerichts fallen oder im Einzelfall keine höhere Straferwartung als vier Jahre haben (§ 24 I Nr. 1 u. 2 GVG), ist das Schöffengericht zuständig. Dies besteht aus einem Berufs- und zwei ehrenamtlichen Laienrichtern (vgl. § 31 GVG), den sog. Schöffen (§ 29 I 1 GVG). Hieraus wird deutlich, dass die Alltagskriminalität vom Diebstahl über die gefährliche Körperverletzung bis zum (einfachen) Raub in der Regel vor dem Amtsgericht verhandelt wird.

bb) Landgericht

Am Landgericht fällt die erstinstanzliche Zuständigkeit den großen Strafkammern zu, die mit zwei oder drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt sind (§§ 74–76 GVG). Die großen Strafkammern sind bei Verbrechen und Vergehen zuständig, bei denen die Straferwartung vier Jahre übersteigt (§ 74 I GVG) oder die Staatsanwaltschaft wegen der besonderen Umstände des Falles Anklage beim Landgericht erhoben hat (§ 74 I 2 i. V. m. § 24 I Nr. 3 GVG). Als sog. Schwurgericht ist die große Strafkammer für einzelne im Gesetz aufgezählte Straftatbestände zuständig, bei denen es sich fast ausschließlich um Kapitaldelikte handelt, wie Mord, Totschlag und Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 74 II GVG).

cc) Oberlandesgericht

Die Oberlandesgerichte, in deren Bezirk die Landesregierungen ihren Sitz haben, sind in erster Instanz für Staatsschutzdelikte (§ 120 I GVG) sowie für alle in § 74a I GVG aufgezählten Delikte, für bestimmte Mordtaten und gemeingefährliche Delikte, die sich gegen den Bestand, die Sicherheit oder die Verfassung der Bundesrepublik richten (§ 120 II GVG), zuständig, sofern der Generalbundesanwalt wegen der besonderen Bedeutung des Falles die Verfolgung übernimmt.37 Sie sind bei erstinstanzlicher Zuständigkeit mit drei bzw. fünf Berufsrichtern besetzt (§ 122 II GVG).

c) Instanzenzug und Zuständigkeit in Rechtsmittelsachen

Ist Eingangsgericht der Strafrichter oder das Schöffengericht, so kann gegen diese Entscheidung stets Berufung zur kleinen Strafkammer des Landgerichts eingelegt werden (§ 312 StPO; § 74 III GVG), die wie das Schöffengericht mit einem Berufsrichter und zwei Schöffen (§ 76 I GVG) besetzt ist. Gegen dessen Entscheidung besteht dann noch die Möglichkeit, das Rechtsmittel der Revision einzulegen (§ 333 StPO), über die dann ein Senat des jeweils zuständigen Oberlandesgerichts (§ 121 I Nr. 1 b GVG) in der Besetzung mit drei Berufsrichtern (§ 122 I GVG) entscheidet. Ist hingegen das Landgericht erste Instanz, so gibt es gegen dieses Urteil nur die Revision, über die dann ein Senat des Bundesgerichtshofs mit fünf Berufsrichtern (§§ 135 I, 139 I GVG) entscheidet.

Berufung (§§ 312 ff. StPO) bedeutet, dass eine weitere Tatsacheninstanz mit Hauptverhandlung und Beweisaufnahme durchgeführt wird. Die Revision (§§ 333 ff. StPO) führt hingegen nicht zu einer neuen Verhandlung der Sache. Sie beinhaltet nur eine Überprüfung des Urteils auf formelle und materielle Rechtsfehler. Es findet also keine neue Beweisaufnahme mehr statt. In einer möglichen Hauptverhandlung erfolgt zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung lediglich ein Rechtsgespräch darüber, ob das Urteil der Vorinstanz Fehler aufweist. Auch werden die meisten Revisionen durch Beschluss – ohne Hauptverhandlung – entschieden.

Merke:

Damit gibt es bei Kapitaldelikten wie Mord keine zweite Tatsacheninstanz. Das Urteil des Landgerichts kann mit dem Rechtsmittel der Revision lediglich auf Rechtsfehler überprüft werden. Die dem Urteil zugrunde liegende Tatsachenfeststellung wird in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht festgeschrieben und entzieht sich weitestgehend einer revisionsrechtlichen Überprüfung.38 Bei einer erstinstanzlichen Zuständigkeit des Strafrichters hingegen kann zunächst das Rechtsmittel der Berufung eingelegt werden. Es findet dann vor dem Landgericht eine neue Hauptverhandlung mit Beweisaufnahme statt.

d) Praktische Auswirkungen des Instanzenzugs

Diese rechtliche Ausgestaltung des Instanzenzugs hat zur Folge, dass in der Praxis eine Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht oftmals vom Gericht und insbesondere von der Verteidigung anders geführt wird, als vor einer großen Strafkammer des Landgerichts. Die exakte Einhaltung der Verfahrensregeln hat am Amtsgericht eine eher untergeordnete Bedeutung, da als Rechtsmittel mit der Berufung letztlich noch eine weitere Tatsacheninstanz zur Verfügung steht. In der Praxis wird auch regelmäßig das Rechtsmittel der Berufung gewählt,39 so dass Rechtsfehler des erstinstanzlichen Gerichts kaum ins Gewicht fallen. Anders stellt sich die Situation hingegen bei der Verhandlung einer großen Strafkammer des Landgerichts dar. Mangels zweiter Tatsacheninstanz kommt gerade der Beweisaufnahme eine oftmals die Sache endgültig entscheidende Bedeutung zu. In der Konsequenz wird die Hauptverhandlung vor einer großen Kammer des Landgerichts weitaus sorgfältiger und von den Verfahrensbeteiligten, insbesondere der Verteidigung, viel intensiver geführt als am Amtsgericht. Im Hinblick auf mögliche Rechtsfehler, die im Falle der Verurteilung einen Revisionsgrund schaffen können, der möglicherweise zur Aufhebung des Urteils führt, gewinnt hier das Verfahrensrecht wesentlich an Bedeutung. Das hat entsprechende Verteidigungskonzepte zur Folge, die sich in vermehrten Protokollanträgen, Vorhalten, Prozesserklärungen anlässlich von Zeugenvernehmungen etc. niederschlagen, was unten bei der Darstellung der Verteidigung näher erläutert wird.

3. Ausschließung und Ablehnung von Richtern

Die Richter des erkennenden Gerichts müssen der zu entscheidenden Rechtssache und den Beteiligten des Verfahrens mit der notwendigen Distanz eines Unbeteiligten und am Ausgang des Verfahrens uninteressiertem Dritten entgegentreten. Daher ist das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 I 2 GG) nicht gegeben, wenn der Rechtsuchende vor einem Richter steht, der die erforderliche Unvoreingenommenheit vermissen lässt.40 Bestehen konkrete Bedenken gegen die notwendige Unvoreingenommenheit bzw. Unparteilichkeit eines Richters, dann darf er keine Entscheidung treffen. Diesem Zweck dienen die Vorschriften zur Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen (§§ 22 ff. StPO). In § 22 StPO werden abschließend Fälle aufgelistet, in denen die Gefahr der Voreingenommenheit des Richters besteht. So beispielsweise, wenn er selbst durch die Straftat verletzt wurde oder aber sein Ehegatte der Beschuldigte ist. Liegt ein solcher Fall vor, so ist der Richter gesetzlich von der Mitwirkung am Verfahren ausgeschlossen und hat dies von Amts wegen zu beachten. Geschieht dies nicht, so kann ein entsprechender Antrag gestellt werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen (§ 24 StPO). Hierüber wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft, des Beschuldigten oder des Privatklägers in einem Ablehnungsverfahren (§§ 26 ff. StPO) entschieden. Dies ist die in der Praxis häufiger vorkommende Variante. Wird einem solchen Antrag stattgegeben, so hat dies regelmäßig zur Folge, dass das Verfahren unter neuer Besetzung des Gerichts von vorne beginnt. Wird der Antrag – was in der Praxis zumeist der Fall ist – abgelehnt, so kann sich daraus für die Verteidigung zumindest ein sog. absoluter Revisionsgrund ergeben (§ 338 Nr. 3 StPO), der bei Erfolg zur Aufhebung des Urteils führt. In diesem Fall wird die Sache vom Revisionsgericht an die Tatsacheninstanz zurückverwiesen und muss nunmehr erneut verhandelt werden. Das Stellen von Befangenheitsanträgen gegenüber dem Gericht gehört daher aus prozesstaktischen Gründen mittlerweile bei vielen Strafverfahren vor einer großen Strafkammer des Landgerichts zum Standardrepertoire der Strafverteidigung.

4. Aufgaben des Gerichts in der Hauptverhandlung