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Nach der Trennung seiner erfolgreichen Boyband »Eleven« startet Harley Valentine mit seiner Solokarriere durch. Doch der plötzliche Ruhm bringt ihn in Gefahr, und Harley sieht sich zu einem Schritt gezwungen, den er immer vermeiden wollte – er braucht einen Bodyguard, der ihn rund um die Uhr beschützt. Das bringt allerdings ein großes Problem mit sich, denn Harley hütet ein Geheimnis … Brix Reins nimmt den Job als Personenschützer eines Popstars eigentlich nur an, weil er dringend Geld braucht. Das Angebot ist top, die Aufgabe ein Klacks. Dass er diesen Popstar mögen muss, gehört schließlich nicht zur Jobbeschreibung. Doch Harley fasziniert ihn – mehr, als er sollte. Zum Glück ist Brix ein Profi. Bis er Harleys Geheimnis erfährt …
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Seitenzahl: 451
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EDEN FINLEY
POPSTAR
FAMOUS 1
Aus dem Englischen von Anne Sommerfeld
Über das Buch
Nach der Trennung seiner erfolgreichen Boyband »Eleven« startet Harley Valentine mit seiner Solokarriere durch. Doch der plötzliche Ruhm bringt ihn in Gefahr, und Harley sieht sich zu einem Schritt gezwungen, den er immer vermeiden wollte – er braucht einen Bodyguard, der ihn rund um die Uhr beschützt. Das bringt allerdings ein großes Problem mit sich, denn Harley hütet ein Geheimnis …
Brix Reins nimmt den Job als Personenschützer eines Popstars eigentlich nur an, weil er dringend Geld braucht. Das Angebot ist top, die Aufgabe ein Klacks. Dass er diesen Popstar mögen muss, gehört schließlich nicht zur Jobbeschreibung. Doch Harley fasziniert ihn – mehr, als er sollte. Zum Glück ist Brix ein Profi. Bis er Harleys Geheimnis erfährt …
Über die Autorin
Eden Finley schreibt heitere Liebesromane voller Herz, die sich wunderbar für kleine Fluchten aus dem Alltag eignen. Ihre Bücher entstehen meist aus einer schrägen Idee. Ursprünglich schrieb Eden auch in vielen anderen Genres, doch seit 2018 hat sie in der queeren Romance ihr Zuhause gefunden.
Eden lebt mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn in Australien.
Die englische Ausgabe erschien 2020 unter dem Titel »Popstar«.
Deutsche Erstausgabe März 2024
© der Originalausgabe 2020: Eden Finley
© für die deutschsprachige Ausgabe 2024:
Second Chances Verlag, Inh. Jeannette Bauroth,
Hammergasse 7–9, 98587 Steinbach-Hallenberg
Alle Rechte, einschließlich des Rechts zur vollständigen oder auszugsweisen Wiedergabe in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Umschlaggestaltung: Frauke Spanuth
unter Verwendung von Motiven von Vasyl, Brilliant Eye und pandaclub23,
alle www.stock.adobe.com
Lektorat: Annika Bührmann
Korrektorat: Second Chances Verlag
Schlussredaktion: Daniela Dreuth
Satz & Layout: Judith Zimmer
ISBN Taschenbuch: 978-3-98906-030-2
ISBN E-Book: 978-3-98906-029-6
www.second-chances-verlag.de
Inhaltsverzeichnis
Titel
Über die Autorin
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Weitere Bücher von Eden Finley
DANKSAGUNG
HARLEY
Was passiert, wenn sich die erfolgreichste Boyband der Welt trennt?
Zwanzigtausend kreischende Fans schreien meinen Namen. Nur meinen Namen.
Die Atmosphäre einer Live-Show in einem Stadion ist unbeschreiblich. Ich habe mich nie daran gewöhnt. Nicht in der Gruppe und ganz sicher nicht, wenn ich das Zentrum der Aufmerksamkeit bin. Egal, wie berühmt ich in der Vergangenheit war, egal, wie viel Geld ich in der Tasche habe und egal, wie viele Grammys auf meinem Kaminsims stehen. Die Preise wären überhaupt nichts wert, wenn es die Leute heute Abend im Publikum nicht gäbe.
Ständig blitzen Handykameras, die Leute versuchen, sich noch weiter nach vorn zu schieben, indem sie sich gegen die Absperrungen drängen, und das ganze Stadion scheint auf einem Hoch zu schweben, das süchtiger macht als jede Droge. Der Puls der Menge hämmert in meinen Adern. Ich schmecke den Schweiß auf meiner Oberlippe. Wir haben den Teil des Abends erreicht, an dem ich etwas langsamer mache und die Chance habe, die Atmosphäre um mich herum in mich aufzunehmen. Ich singe einen Haufen Balladen aus meinem Repertoire, das hauptsächlich aus peppigen Songs für junge Teenager besteht.
Es ist die letzte Show meiner kurzen Tournee, deshalb muss ich einen Moment innehalten und es genießen, weil es eine Weile dauern wird, bis ich wieder auf Tour gehe. All die vielen Stunden im Tonstudio, die gewissenhaften Interviews und die Werbung für die Tour, alles läuft auf das hier hinaus. Und für dieses Ergebnis lohnt es sich immer.
Als ich die ersten Töne meiner neuesten Single »Confusion« auf der Akustikgitarre anschlage, dreht die Menge durch und Pride-Flaggen tauchen aus allen Ecken auf. Seit ich den Song vor sechs Monaten überraschend veröffentlicht habe, bin ich zu einer Art queeren Ikone geworden. Meine Plattenfirma und mein PR-Team haben jahrelang Überstunden geschoben, um meine wahre Orientierung geheim zu halten, aber nach nur einem Song wird überall spekuliert. Eine einfache Google-Suche führt zu zahllosen Artikeln und Blogs, die meine Sexualität hinterfragen.
Natürlich war es nicht gerade subtil, mit dem Typen, der mir das Herz gebrochen hat, einen Song zu veröffentlichen, aber wann immer ich nach der Bedeutung gefragt werde, verweise ich auf Radioactive und Jay, meinen Ex, der den Song mit mir geschrieben hat. Er ist bereits ein offen schwuler Künstler. Ich gebe nichtssagende Antworten und sorge dafür, dass ich Worte benutze, die den Fokus eher auf eine Rolle als Unterstützer der LGBT+-Community legen. Mehr Freiheit gestattet mir die Plattenfirma nicht. Es ist nicht viel, aber als ich über die Menge blicke und ihre Unterstützung und Liebe für diesen Song sehe, geht mir das Herz auf, denn ich weiß, dass ich etwas tue, um zur Community beizutragen. Meiner Community.
Leute haben mir auf Twitter geschrieben, wenn sie sich vor ihren Familien geoutet haben, und mir dafür gedankt, dass ich sie inspiriert habe. Ich bin stolz, dass der Song so gut angekommen ist, doch als ich zur Seite der Bühne blicke, wo mein Manager und meine Assistentin stehen, wird mir das Herz schwer, denn es ist eine Erinnerung daran, dass sie die einzigen beiden Menschen sind, mit denen ich diesen Moment teilen kann. Menschen, die ich dafür bezahle, hier zu sein.
Ich schließe die Augen und konzentriere mich auf den Song, als meine Stimme ungewollt bricht und kratzig wird.
You help me escape
A life I can’t lead
A life I need to hide
Ich schlucke schwer gegen den Kummer an, der mit diesem Song verbunden ist und wegen der leeren Stelle neben meinem Manager Gideon. Eine Stelle, die ich so gern mit jemandem füllen würde, der aus eigenem Antrieb hier ist. Der hier sein will. Danach sehne ich mich schon fast meine ganze Karriere lang. Eine Weile hatte ich es. Und habe es verloren. Weil ich dieses Leben einem voller Liebe vorgezogen habe.
Nach dem Song beende ich den Abend mit der Energie, die meine Fans von mir verdienen. Dazu gehört, ausgiebig herumzuspringen und die Bühne so gut es geht komplett zu nutzen, damit jede Person im Publikum einen Teil von mir bekommt.
»Tolle Show«, lobt Gideon, als ich nach der dritten Zugabe endlich die Bühne verlasse.
Was Manager angeht, ist er gut, aber er ist extrem geschäftsorientiert. Er ist der stereotype Anzugträger. Immer makellos gekleidet, und das Handy klebt ihm dauerhaft an der Hand.
»Mhm.«
Meine Assistentin gibt mir ein Handtuch, damit ich mir den Schweiß vom Kopf wischen kann, und dann würde ich sie am liebsten küssen, denn sie reicht mir eine Packung M&Ms. Wir gehen durch die Flure der Arena zu meiner Umkleide, damit ich duschen und mich umziehen kann, bevor das VIP Meet & Greet mit den Fans beginnt, die unglaubliche Summen gezahlt haben, um sich drei Minuten mit mir zu unterhalten und ein Foto zu bekommen. Es ist hektisch, aber mein Leben. Und ich liebe es.
Ich ziehe mir frische Klamotten an und nutze die Chance, um etwas zu trinken und eine zwanzigminütige Auszeit zu genießen, bevor ich im VIP-Raum sein muss. Und mit Auszeit meine ich, dass ich all die Geschenke und Fanpost durchgehe, die die Leute zur Arena gebracht haben.
»Wie viele gruselige Sachen sind dieses Mal dabei?«, frage ich meine Assistentin.
Jamie ist eine hinreißende junge Frau, die gerade ihren Collegeabschluss gemacht hat. Sie hat einen kurzen Pixie-Haarschnitt, eine Brille mit dickem Rand und eine übersprudelnde Energie. Sie reicht mir einige handgeschriebene Briefe. »Nur vier Heiratsanträge, eine Einladung zum Familienessen an Thanksgiving und äh, einmal sehr widerliche Unterwäsche.«
Ich lege den Kopf schräg. »Widerlich?«
»Da war … Zeug drin, über das ich nicht nachdenken will.«
Gideon ragt über mir auf. »Jetzt, da du eine Weile zu Hause bist, sollten wir eine Neueinschätzung der Sicherheitsmaßnahmen vornehmen.«
Uff. Darauf reitet er herum, seit es ein Fan irgendwie geschafft hat, an der Security vorbeizukommen und eines Abends während dieser Tour in meiner Umkleide gewartet hat.
»Warum jetzt? Weil mir eine Frau ihre benutzte Unterwäsche geschickt hat? Das passiert nicht zum ersten Mal.«
»Äh, es war die Unterwäsche eines Typen«, wirft Jamie ein.
Ich grinse. »Hat er ein Foto mitgeschickt?«
»Harley, das ist ernst«, sagt Gideon.
»Nein, ist es nicht. Es ist typischer Fan-Quatsch. Dass Leute in meiner Umkleide sind und mir schmutzige Unterwäsche schicken, ist nichts im Vergleich zu dem, was wir auf der Eleven-Tour erlebt haben. Einmal hat jemand uns winzige Fläschchen mit Blut an Ketten geschickt, damit wir sie um den Hals tragen. Das war echt bizarr. Das derzeitige Sicherheitsteam ist in Ordnung.«
Wenn ich mal raus muss, habe ich einen Fahrer und Bodyguard auf Abruf. Auf der Tour folgt mir ein ganzes Team vom Veranstaltungsort zum Hotel und allen anderen Orten dazwischen. Es funktioniert. Das Sicherheitsteam hat drei Sekunden gebraucht, um den Fan aus meiner Umkleide zu entfernen, deshalb war es nie eine gefährliche oder riskante Situation. Ich brauche niemanden, der in Vollzeit da ist. Ich brauche niemanden, der bei mir wohnt. In meinem eigenen Zuhause kann ich ich selbst sein. Das ist mein Rückzugsort – unser Rückzugsort. Meiner und Evahs.
Die Beziehung zu meiner »Verlobten« ist und war immer ein Werbe-Stunt, der von meiner Plattenfirma organisiert wurde. In gewisser Weise war es eine Bestrafung dafür, dass es Gerüchte über Jay und mich gab. Angeblich würde die Bekanntmachung meiner Homosexualität zu einem so starken Einbruch meiner Verkaufszahlen führen, dass meine Karriere vorbei wäre. Das sagen mir die Verantwortlichen der Musikbranche seit gut zehn Jahren. Glaube ich ihnen? Genug, um nicht alles zu riskieren, wofür ich so viel geopfert habe. Selbst wenn ich sie infrage stelle und ihnen Sam Smith als Gegenbeispiel vor die Nase halte, sagen sie mir, dass ich kein Sam Smith bin. Dankeauch.
Sie erinnern mich daran, dass ich ein Fünftel einer kompletten Nummer bin – ein Boybandmitglied, das versucht, es allein zu schaffen. Und ich glaube ihnen. Jedes Mal. Denn ich weiß, wie schnell Karrieren ein Ende finden können.
Masons erstes Soloalbum nach Eleven war ein Reinfall. Für ihn ist es mit der Musik vorbei. Blake hatte fest vor, es allein zu schaffen, hatte sein Album aber erst zur Hälfte fertig, als er eine große Rolle als Schauspieler ergattert hat. Seitdem hat er nicht mehr zurückgeblickt. Bis auf eine kleine Gruppe von Hardcore-Fans fragt niemand nach seiner nächsten Single. So leicht kann man aus diesem Leben verschwinden, und wenn ich meine Karriere wegen etwas so Trivialem wie der Frage wegwerfe, wen ich nachts in meinem Bett habe, drehe ich durch. Ich verstehe nicht, was das mit Musikmachen zu tun hat.
Musik ist mein Leben. Das war sie immer. Sie war in der schwierigen Zeit vor der Pubertät für mich da, als Harry Stench gehänselt wurde, weil er klein und pummelig war und na ja, Stench hieß – Gestank. Nachdem die Pubertät ihren Job erledigt hatte und ich vom ungelenken Teen zum Adonis geworden war, wurde Mom klar, dass ich Starpotenzial habe. Sie hat ein Bewerbungsvideo an Joystar Records geschickt, und daraufhin haben wir Kansas verlassen und wurden nach L. A. geflogen. Die Plattenfirma wollte mich sofort für eine Boyband unter Vertrag nehmen, die sie gerade zusammenstellten, und in diesem Zug haben sie mich zu Harley Valentine gemacht.
Niemand muss in meinem Leben herumschnüffeln und herausfinden, dass ich unter all dem immer noch Harry Stench bin.
»Ich glaube, dass du jemanden brauchst, der in Vollzeit auf dich aufpasst«, fährt Gideon fort. »Wenn er eine Vertraulichkeitsvereinbarung unterschreibt, könnte ein 24/7-Bodyguard nicht mit der Presse sprechen, falls du dir deswegen Sorgen machst.«
Oh Mann. Noch mehr Vertraulichkeitsvereinbarungen. Mittlerweile haben wir einen Punkt erreicht, an dem wir ohnehin nicht wüssten, wer seinen Vertrag gebrochen hat, sollte etwas über mein Leben an die Öffentlichkeit geraten. Meine Sexualität war nicht gerade ein gut gehütetes Geheimnis bei Eleven und der Crew.
»Ich denk drüber nach«, murmle ich, um Gideon zum Schweigen zu bringen.
Ich liebe den Ruhm. Ich liebe mein Leben. Doch manchmal ist es zu viel. Ich möchte mich daraus befreien, erinnere mich dann aber daran, dass ich nicht mal eine Sekunde aufhören kann. Ich muss mich weiter antreiben. Weitermachen.
Die VIP-Party ist wie die unzähligen anderen davor. Im Grunde kommen die Fans wie auf dem Laufband zu mir, um Fotos zu machen und mir ins Gesicht zu kreischen. Sie fragen nach Evah und sehen größtenteils enttäuscht aus, wenn ich ihnen sage, dass sie ihre Eltern in Kansas besucht. Manche wirken hoffnungsvoll, als würden sie durch Evahs Abwesenheit eine Chance haben. Das habe ich alles schon mal gehört.
Auf dem Weg nach draußen winke und nicke ich einigen Fans zu, die an der Hintertür herumlungern, und dann verfrachten mich die Sicherheitsleute des Veranstaltungsorts auf den Rücksitz eines wartenden Cadillac Escalades.
Alles in allem war es ein erfolgreicher Abend, eine erfolgreiche Tour, und jetzt freue ich mich darauf, nichts zu tun, außer Songs für das neue Album zu schreiben, das ich in sechs Wochen aufnehmen werde.
Zwanzig Minuten später biegt der Fahrer in meine kurze Einfahrt und wartet im Auto, bis ich den Code am Tor eingegeben habe, ehe er wegfährt.
Das Anwesen im spanischen Kolonialstil hat mich gut zehn Millionen ärmer gemacht, doch es ist groß genug für Evah und mich, sodass wir uns nicht gegenseitig auf die Füße treten.
Ich öffne die Tür mit einer App auf meinem Handy, was mich immer noch fasziniert. Klar, die Multimillionendollar-Ausblicke auf L. A. sind atemberaubend, aber ich kann mein Haus mit einer App aufschließen!
Ich schalte das Licht an und gehe ins Badezimmer, um noch einmal zu duschen. Die Jungs von Eleven haben mich damit aufgezogen, dass ich eine Keimphobie habe, doch nach unserer allerersten Tour habe ich mir eine Grippe eingefangen. Und ich meine damit nicht nur einen grippalen Infekt. Ich meine damit, wochenlang bettlägerig zu sein, Fieber, Erbrechen und sogar Fieberwahn. Ich brauchte eine Infusion und Antibiotika gegen die Infektion, die ich dadurch bekommen habe. Seitdem dusche ich nach jedem Meet & Greet und versuche, nicht zusammenzuzucken, wenn auch nur jemand in meiner Nähe hustet.
In Jogginghose und mit feuchten Haaren schaue ich auf dem Handy, was es auf Social Media Neues gibt, während ich in die Küche gehe, um mir einen Snack zu machen. Ich verliere mich leicht in der Welt von Twitter und lese Tweets über die Show – das ist vielleicht egozentrisch, aber ich lese sie wegen der Rückmeldungen und des Lobs. Wenn es etwas gibt, was ich öfter oder besser machen kann, will ich es wissen. Die Fans haben mich zu dem gemacht, was ich bin, und ich schulde ihnen alles.
Aber als ich über die kühlen Fliesen gehe, fühlt sich irgendwas komisch an. Ich habe das Gefühl, nicht allein zu sein, doch Evah ist nicht hier. Es sei denn, sie ist früher aus Kansas zurückgekommen. Ich gehe die unzähligen ungelesenen Nachrichten durch, aber keine ist von ihr. Die Härchen in meinem Nacken prickeln.
Ich blicke von meinem Handy auf und entdecke einen Typen, den ich nicht kenne, auf einem Hocker an meiner Küchenbar.
Gänsehaut breitet sich auf meinem ganzen Körper aus. Ich blinzle in dem Glauben, verwirrt zu sein oder zu halluzinieren. Er ist immer noch da, also blinzle ich erneut. Ich sehe mich sogar im Raum um, als wäre ich derjenige, der am falschen Ort ist. Als wäre es möglich, dass ich ins falsche Haus marschiert bin, im falschen Badezimmer geduscht und die Jogginghose eines Fremden angezogen habe. Denn es ergibt einfach keinen Sinn, dass jemand hier reinkommt und dabei auch noch so lässig aussieht. Dass er hier ist, ist nicht mal das Beängstigendste – sondern das leichte Lächeln auf seinem Gesicht. Es … sieht normal aus. Sogar süß. Und genau deshalb macht es mir eine Heidenangst. Es scheint ihm nicht leidzutun, eingebrochen zu sein.
Er trägt ein altes Eleven-T-Shirt von einer vergangenen Tour, und als er aufsteht, schiebt er die Hand in die Tasche seiner zerrissenen Skinny Jeans.
Sekundenlang starren wir einander an. Das ist nicht irgendein Fan, der sich in meine Umkleide schleicht. Das hier ist mein Zuhause. Die Schlagzeilen der Nachrichten von morgen schießen mir durch den Kopf: Harley Valentine bei Einbruch getötet.
Ich werde sterben. Atme, Harley. Bleib ruhig.
Ich sehe zur Theke, an der er gerade gesessen hat und ja, genau da ist mein Messerblock, der normalerweise ein Stück weiter rechts steht. Oh scheiße, oh scheiße, oh scheiße.
»Ich finde ihn cool.«
Seine Stimme lässt mich zusammenzucken, denn sie ist ruhig und gelassen, ebenso wie sein Verhalten. Das macht mir nur noch mehr Angst.
»Cool?« Es gelingt mir, meine Stimme ruhig zu halten. Irgendwie.
»Ja.« Sein Lächeln wird strahlender.
Ich verstehe es nicht, weil er so … normal aussieht. Durch das Küchenlicht schimmert seine blasse Haut. Seine Frisur ist trendig. Er sieht so durchschnittlich aus, dass ich im Vorbeigehen auf der Straße keinen zweiten Gedanken an ihn verschwenden würde. Aber er ist in meinem Haus. Sicher hat er nicht mehr alle Tassen im Schrank.
Ich habe das Handy immer noch in der Hand, habe allerdings Angst, dass er es hört, wenn ich den Notruf wähle, und mich schneller erwischt, als die Cops hier sein können.
Mit einem Finger streicht er über den Messerblock, der so eine alberne Neuheit ist. Er hat die Form eines Mannes, sodass die Messer in verschiedenen Körperteilen stecken. »Ich finde ihn lustig.«
Ich schlucke schwer. »Ah, Evah hat mir das als Witz gekauft.«
Seine Miene verfinstert sich. »Ich weiß nicht, was ich davon halte, oder wie das mit ihr funktionieren soll.«
Die Sache mit dem Ruhigbleiben ist schwer, aber ich versuche es. »Wie was mit ihr funktionieren soll?«
Meine Hände zittern. Ich will sie in die Hosentaschen schieben, um es zu verbergen, doch ich brauche mein Handy, um aus dieser Sache rauszukommen. Ich muss jemanden alarmieren, ohne tatsächlich zu telefonieren oder zu offensichtlich zu tippen.
Mein Finger schwebt über der Home-Taste, und in dem Moment erinnere ich mich an die Sicherheitsfunktion, die Gideon für mich eingerichtet hat. Wenn ich drei Mal schnell auf die Taste drücke, werden Gideon eine Aufnahme, meine Standortdaten und Fotos geschickt.
Noch tue ich es nicht. Es werden nur zehn Sekunden aufgenommen, und ich muss den Namen des Typen erfahren oder irgendwie aufzeichnen, warum er hierhergekommen ist, damit Gideon versteht, dass ich in Gefahr bin, wenn er die Nachricht bekommt. Ich glaube nicht, dass ich vernünftig mit der Kamera zielen kann, ohne dass der Typ merkt, was ich tue, also wird mir der Teil mit dem Foto nicht helfen.
Es juckt mir in den Fingern, die Taste zu drücken – Hilfe zu holen – aber ich ermahne mich, zu atmen und mich zu beruhigen. Ich muss auf den perfekten Moment warten, damit es auch wirklich was nützt.
»Na ja, als du mir heute Abend gesagt hast, dass Evah nicht in der Stadt ist, dachte ich, dass du vielleicht … dass du es getan hast, um uns allen zu sagen, dass du verfügbar bist. Als du mir dann auf dem Weg nach draußen zugenickt hast, damit ich dir folge, hätte ich es beinahe nicht getan. Du bist verlobt. Es ist falsch, dass wir miteinander schlafen.«
Okay, er ist also nicht nur etwas neben der Spur, sondern vollkommen wahnhaft. Ich tue es – ich drücke die Taste auf meinem Handy drei Mal und sage: »Du bist mir also vom Konzert aus nach Hause gefolgt.«
»Ja.«
»Wie bist du reingekommen?«
Seine Augen weiten sich, und ich beobachte, wie er mit der Hand auf die Theke tippt und sich näher an die Messer schiebt.
»Nur, weil ich rausgekommen wäre, um dich zu holen«, sage ich, um ihn zu besänftigen. »Nach der Dusche. Tut mir leid, dass ich das unklar ausgedrückt habe.« Ich hoffe, dass Gideon die Anspannung in meiner Stimme hören kann, wenn es noch aufgenommen wird.
Mr Psycho atmet laut aus. »Eine Sekunde dachte ich, ich hätte die ganze Situation falsch eingeschätzt.«
Ach was?
Das Handy in meiner Hand vibriert, und es ist Gideon. Er hat die SOS-Nachricht bekommen und erkundigt sich wahrscheinlich nach mir, anstatt das zu tun, was ich von ihm wollte, nämlich die Polizei zu informieren.
Ob ich rangehen kann, ohne dass der Typ etwas merkt? Ich schiebe das Handy so lässig wie möglich in meine Hosentasche und drücke dabei auf den Knopf zum Antworten.
»Also, Evah ist nicht da, ich habe dir mit einer Geste angezeigt, mir zu folgen, und als du hier angekommen bist, hast du …«
Er lacht leise. »Ich wusste nicht ganz, was ich tun soll, als du das Tor nicht für mich offen gelassen hast. Ich hab nach einem Seiteneingang oder so was gesucht und dann das Tor zwischen deinem und dem Garten deiner Nachbarn gesehen. Dadurch bin ich zur Seite des Hauses gekommen, wo der Zaun niedriger ist, also bin ich drübergesprungen und zur Haustür gegangen. Die war unverschlossen. Es war leicht.«
Verfluchte App.
Die Tatsache, dass ihm das, was er sagt, nicht falsch vorkommt, macht mir am meisten Angst. »Oh. Richtig.«
»Was hast du überhaupt für eine Abmachung mit Evah? Darfst du mit jemandem schlafen, wenn sie nicht da ist?«
Langsam glaube ich, dass das alles ein riesiges Missverständnis eines Fans ist, der denkt, er würde mich kennen, und in dem Irrglauben ist, wir hätten eine Verbindung. Das passiert mir definitiv nicht zum ersten Mal, mit einem Kerl aber schon.
Mein Herz hämmert so heftig, dass mein Körper wohl glaubt, dass ich trainiere. Ich fange an zu schwitzen und befürchte, dass der Typ sieht, wie der Schweiß mir übers Gesicht läuft. Blinzelnd versuche ich, mich an seine Frage zu erinnern. »Ähm, nein, Evah und ich haben keine Abmachung. Ich hab das vorher noch nie gemacht.«
Endlich zieht der Typ seine Hand vom Messerblock weg. Er kommt einen Schritt auf mich zu, aber ich stolpere instinktiv zurück.
Er macht ein langes Gesicht und spannt die Kiefermuskeln an.
»Ich will dich kennenlernen«, platze ich heraus.
»Was willst du wissen?«
Ich öffne den Mund, aber es kommt kein Laut heraus.
Er kommt erneut näher.
Ich trete zurück. »Deinen Namen. Das ist ein Anfang.«
Das wollte er nicht hören. »Ich hab dir meinen Namen gesagt, als wir uns heute Abend getroffen haben.«
Ich habe heute Abend eine Million Leute getroffen, will ich schreien. Wie soll ich mich an seinen Namen erinnern, wenn ich mich nicht mal an sein Gesicht oder daran erinnern kann, ihn überhaupt getroffen zu haben?
»Entschuldige.« Ich versuche, es mit einem Lachen abzutun. »Ich kann mir Namen nur ganz schlecht merken.«
Er wirft sich die dunklen Haare aus dem Gesicht. »Billy.«
»Hm. Na ja, schön dich … wieder kennenzulernen, Billy.«
»Du wirkst echt nervös«, stellt er fest.
Was du nicht sagst.
»W-wie ich schon sagte, ich hab das n-noch n-nie zuvor g-getan.« Jetzt stottere ich. Hervorragend.
»Mit einem Typen? Ich dachte, wegen des Songs …«
»In dem Song geht es nicht um mich. Ist ein häufiger Irrtum.« Ich muss diesen Typen so einfach wie möglich abweisen – indem ich die Hetero-Karte spiele.
»Willst du mir ernsthaft erzählen, dass du keine epische Liebesbeziehung mit Jay von Radioactive hattest, bevor er einen anderen Typen geheiratet hat?«
»Genau das. Wir waren Freunde und haben zusammen einen Song aufgenommen. Ende der Geschichte.« Nicht ganz, aber wenn ich mir das einrede, tut es weniger weh.
Oh, super, jetzt singt er. »Confusing love with isolation, holding on in desperation, I thought I’d found my one, the one I meant to keep … Wie kann das nicht deine persönliche Erfahrung sein?«
»Wir haben den Song zusammen geschrieben. Jay hat den Text übernommen. Ich die Melodie.« Jetzt lüge ich, aber hey, über Musik zu reden ist besser, als erstochen zu werden. Win-win. Wie zum Teufel soll ich bloß aus dieser Nummer rauskommen?
»Aber … du hast mich hierher eingeladen.«
Oh, scheiße. Richtig. Das hatte ich gesagt. Red weiter. Lenk ihn weiter ab.
Wo steckt bloß Gideon? Ich will einen Blick auf mein Handy werfen und herausfinden, ob er noch in der Leitung ist, darf aber keine Aufmerksamkeit darauf ziehen.
»Okay, du hast mich erwischt. Ich wollte dich hierher einladen, allerdings hatte ich noch nie was mit einem Typen. Und du hast recht, was Evah angeht. Ich weiß auch nicht, wie sie in all das reinpasst. Und ich würde sie betrügen, deswegen habe ich kalte Füße.« Vielleicht hätte ich es anstelle von Blake mit der Schauspielerei versuchen sollen. Andererseits bin ich nicht wirklich sicher, wie gut ich es rüberbringe.
Die Anspannung kehrt in Billys Stimme zurück. »Na ja, jetzt bin ich hier. Ich hab mir all die Mühe gemacht, um herzukommen.«
Draußen schließt sich eine Autotür. Dieses Geräusch hört sich verdammt stark nach Hoffnung an.
Ich hoffe, dass es Gideon oder jemand – irgendjemand – ist, der helfen kann. Aber am meisten hoffe ich, dass es kein Nachbar ist.
Billy neigt den Kopf in Richtung des Geräuschs.
Mach weiter. Red weiter. Tu so, als hättest du nichts gehört und lass ihn nicht denken, dass jemand hier ist.
Dieses Mal trete ich auf ihn zu. »Tut mir leid, du hast recht. Ich hätte dir nichts vormachen dürfen.«
»Dann tu es nicht.« Seine Füße bewegen sich in meine Richtung.
Noch ein paar Schritte und er wird vor mir stehen.
»Warte.« Ich hebe eine Hand. »Äh … warte kurz, ich, also, ich …« Ich halte ihn hin, um mir Zeit zu erkaufen, die ich wohl nicht habe. Enttäuschung lässt meinen Magen bleischwer werden. Wenn das da draußen ein Auto war, ist die Person nicht meinetwegen gekommen oder sie lässt sich alle Zeit der Welt, um mich zu retten. Ich könnte schwören, dass ich auch Stimmen höre, aber vielleicht sind das die tausend Gedanken, die mir gleichzeitig durch den Kopf schießen. Ich weiß nicht, was ich noch tun kann.
»Du bist …« Er bewegt sich, und ich trete zurück. Ich werde gleich gegen eine Wand gedrängt und dann habe ich wirklich keinen Fluchtweg mehr. Schmerz breitet sich in meiner Seite aus, als ich gegen einen dekorativen Tisch stoße, auf dem ein Kunstwerk aus Stahl steht, an dessen Kauf ich mich nicht erinnern kann. Es gelingt mir, das Kunstwerk zu retten, aber Billy ist mir jetzt so nah wie bisher noch nicht.
Und während der Abstand immer kleiner wird, schließe ich die Augen und bete, dass es schnell vorbei ist.
Einen Herzschlag lang herrscht vollkommene Stille, und dann dringen plötzlich die Geräusche von auffliegenden Türen, Geschrei und trampelnden Füße an meine Ohren. Ich wage einen Blick und entdecke ein Team aus schwarz gekleideten Menschen, die ins Zimmer stürmen. Sie richten ihre Waffen in unsere Richtung und einer von ihnen brüllt: »Auf den Boden!«
Die Stimme ist so herrisch, dass ich beinahe dem Befehl folge.
Billy lässt sich schnell auf die Knie sinken, sieht mich aber mit unglaublicher Enttäuschung, Schmerz und Verrat in seinen grünen Augen an.
»Hände auf den Kopf!«
Er folgt der Aufforderung, löst jedoch den Blick nicht von mir.
Ich bin wie erstarrt und stehe vollkommen still, als würde mich sein Blick festhalten. Von der Seite her werde ich von Händen gepackt und weggezogen. Das passiert so schnell, dass ich versuche, der Person die Ellbogen in den Körper zu rammen, weil mein Verstand noch nicht ganz begriffen hat, dass es funktioniert hat – dass Gideon rechtzeitig jemanden geschickt hat.
Erst, als eine Frau »Du bist in Sicherheit« zu mir sagt, entspanne ich mich und lasse mich von ihr wegführen. Ich werde auf die Couch verfrachtet, zittere aber unkontrolliert.
Die Polizistin drückt meine Schulter. »Kann ich dir etwas oder jemanden bringen?«
»Gideon«, krächze ich. »Meinen Manager.«
»Der Typ, der den Vorfall gemeldet hat?«
»Ja.«
»Er ist draußen. Er ist angekommen, als wir gerade stürmen wollten.« Sie spricht über Funk, um ihn reinschicken zu lassen, und ich bin dankbar, dass sie mich nicht allein lässt.
Ich bekomme meine Atmung nicht unter Kontrolle.
Gideon stürmt in den Raum und kniet sich vor mich hin. »Harley?«
Schniefend wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht. Bis jetzt war mir gar nicht bewusst, dass ich weine. Ich atme tief durch und sehe Gideon in die Augen. »Ich tue es. Ich werde einen Bodyguard anstellen.«
BRIX
Kies knirscht unter meinen abgefahrenen Reifen. Mein beschissener 1999er Honda gibt einen schleifenden Laut von sich, als ich an meiner zugewiesenen Position parke. Normalerweise stelle ich meinen Schrotthaufen neben Corvettes, Mustang Cabrios und Aston Martins ab, doch heute ist der Parkplatz leer. Bei Mike Bravo Opsist die Bezahlung gut – besser als das, was ein Sergeant in der US Army bekommt –, aber die medizinische Versorgung kostet mehr. Dagegen kann man nichts sagen.
Wenn wir gerufen werden und unsere Autos nebeneinanderstehen, ist es nicht schwer, eine Runde Eins von diesen Dingen ist nicht wie die anderen zu spielen.
Ich nehme meine Tasche mit den Sachen, die mich über die nächsten Wochen bringen werden, schnappe mir den Kaffee aus dem Becherhalter und stelle mich mental auf alles ein, als ich zum Hauptquartier gehe. Eine neue Mission bedeutet, dass ich geistig bei der Sache sein muss. Von dem Gedanken bin ich zu abgelenkt, um Iris zu bemerken, der die Einfahrt heraufkommt. Er fährt mich mit seinem Charger beinahe um.
Er ist ein totaler Angeber, aber man kann gut mit ihm arbeiten. Vermutlich ist er wegen desselben Auftrags hier. Sein Motor heult auf, als er die Handbremse anzieht und auf den Parkplatz neben mir driftet, wobei er überall Kies und Staub aufwirbelt. Jap. Absoluter Angeber. Er hat nach hinten gegelte Haare, eine Fliegersonnenbrille und das Gesicht eines Models, bei dem alle Jungs und Mädchen schwach werden.
Für meinen Geschmack ist er etwas zu herausgeputzt. Hübsche Typen sind nicht mein Ding. Ich mag die kantigen Kerle. Je maskuliner, desto besser. Wenn ich einen Typen finde, der die Kraft hat, mich durch die Gegend zu schmeißen, gehöre ich ihm. Ohne Fragen. Ohne Versprechen.
Iris holt mich ein. »Weißt du, worum es bei diesem Job geht?«
»Keine Ahnung. Der Boss war vage.«
»Du weißt, was das heißt.«
Ich nicke. »Jap. Es ist ein Job, den wir hassen werden.«
»Ich vermute, dass wir irgendeinen bösen Typen ausspähen und dafür wochenlang sein Zuhause beobachten müssen.«
»Scheiße. Das wäre das Schlimmste.«
»Ach, willst du etwa nicht so viel Zeit mit mir verbringen?« Iris nimmt seine Brille ab und klimpert mit den Wimpern.
»Ich liebe dich, Bruder, aber nicht so sehr.«
Er ist nicht mal beleidigt. »Das ist okay. In kleinen Dosen bin ich besser. Das hat mir sogar meine Mutter immer gesagt.«
»Das könnte das Traurigste sein, was ich je gehört habe.«
»Nicht wahr? Hab Mitleid mit mir!«
Ich werfe einen Blick auf seinen Charger. »Ja. Ich hab echt Mitleid.«
»Was machst du denn mit deinem ganzen Geld? Wir bekommen alle dasselbe Gehalt.«
»Netter Versuch.«
Der Jungs fragen, aber ich verrate nie etwas. Ich kann es nicht gebrauchen, dass sie sich wie die Brüder verhalten, die sie sind. Waffenbrüder durch und durch – beruflich. Wenn es um mein Privatleben geht, muss ich mich selbst um meinen Mist kümmern.
»Du bist insgeheim geschieden, hast sechs Kinder und deine Ex hat all dein Geld mitgenommen?«
»Auf den Punkt getroffen, Mann. Auf den Punkt. Sie heißen Brix Jr., Brix III., Brix IV., Brixley, Brixany und … John.«
Er blinzelt nicht mal. »Ich bin nicht umsonst das Hirn dieser Gruppe.«
Er ist nicht das Hirn. Er ist der Agile, den wir losschicken, wenn die Operationen brenzlig werden. Derjenige, der so verstohlen ist, dass er ein Ziel herausholen, dabei drei Typen ausschalten kann und es erst Stunden später bemerkt wird. Er ist der Tödlichste und am wenigsten Zurechnungsfähigste, aber ich schätze, dass diese Dinge Hand in Hand gehen.
Iris klopft mir auf den Rücken und geht mir voran ins Haus.
Travis Wests Villa ist unsere Hauptoperationsbasis, und in den vier Jahren, die ich nun für Mike Bravo Ops arbeite, habe ich den Boss nur dort gesehen. Angeblich wohnt er am anderen Ende des Hauses, aber ich habe ihn öfter im Kontrollraum schlafen sehen, als ich zählen kann. Heute ist er in unserer Einsatzzentrale.
»Setzt euch.« Streng und autoritär wie immer.
Wir setzen uns ihm gegenüber, und er schiebt uns Akten zu. Die Firma übernimmt ein breites Spektrum an Aufträgen, ob nun für das Militär, die Regierung oder private Klienten. Es reicht von Rettungsmissionen über Informationssammlungen bis hin zur Ausschaltung böser Männer, die böse Dinge tun. Alles Dinge, die inoffiziell geschehen. Deshalb ergibt der Inhalt meines Ordners keinen Sinn.
»Wir sollen einen Popstar ausschalten?«, fragt Iris.
Trav grummelt. »Natürlich ist das dein erster Gedanke. Nein. Ihr schaltet ihn nicht aus. Es ist euer Job, ihn zu beschützen.«
»Wovor?«, frage ich.
»Fanatischen Fans«, erwidert Trav. »Einer ist in sein Haus eingebrochen, deshalb will er jetzt vollständigen Personenschutz.«
»Personen…« Mein Blick huscht zu ihm.
»Bodyguards.«
»Als bessere Babysitter?« Meine Stimme ist hoch.
»Schlägst du einen neuen Weg für die Firma ein, Boss?«, fragt Iris. »Wir stehen nicht wirklich auf der Beschützerseite.«
Eigentlich genau das Gegenteil.
»Es ist ein Gefallen für meinen Cousin Gideon. Er ist Harley Valentines Manager.«
Dann fällt mir in der Akte etwas ins Auge. »Wir werden bei ihm wohnen?«
»Du wirst es. Du wirst die Leitung haben. Iris übernimmt an den Sonntagen. Das ist dein freier Tag.«
Vollzeit. Bei ihm wohnen. Bei einem Popstar. Nein, danke.
»Werde ich für irgendetwas bestraft?«, frage ich.
»Bestraft?« Trav hebt eine Braue. »Hast du das Gehalt für diesen Job gesehen? Und du bekommst einen Firmenwagen. Mit deinem Schrotthaufen kannst du ja nicht wirklich jemanden beschützen.«
Ich sehe wieder nach unten. Verdammt, das sind viele Nullen. Ich bin nicht gerade in der Position, so etwas abzulehnen. »Warum so viel?«
»Promis müssen ihren Mitarbeitern ein großzügiges Gehalt bieten, damit sie nicht versucht sind, sich von den Klatschblättern bezahlen zu lassen.«
Das ergibt Sinn.
»Wie lange dauert der Job?«, hake ich nach.
»Sechs Monate, könnte aber auch länger gehen. Das hängt davon ab, wie lange es dauert, sein nächstes Album aufzunehmen, und ob sie dich auf der nächsten Tour dabeihaben wollen. Dann wird die Situation neu bewertet.«
Dauerhaft. Sechs Monate Minimum.
»Ich kann nicht«, platze ich heraus. Das ist zu lange. Doch dann betrachte ich noch mal das Gehalt. Ich könnte das Geld wirklich gebrauchen. Nein, ich brauche das Geld.
»Du kannst nicht?«, fragt Iris. »Ich tue es. Für so viel Geld bin ich sein persönlicher Strichjunge.«
»Typisch«, murmle ich.
»Iris, gib uns einen Moment allein.«
Obwohl wir alle nicht länger beim Militär sind, folgt er dem Befehl so schnell, als wäre es noch so. Trav hat diese Wirkung. Er ist ein toller Boss. Seine Instinkte sind immer richtig und wir vertrauen ihm unser Leben an.
Sobald sich die Tür hinter Iris schließt, lehnt Trav sich auf seinem Stuhl zurück. Seine Bizepse treten hervor, und für einen Typ Anfang vierzig ist er in besserer Verfassung als ich. Möglicherweise habe ich mächtig für diesen Kerl geschwärmt, als ich angefangen habe, für ihn zu arbeiten.
»Du brauchst das Geld«, sagt er.
Es hat keinen Zweck, es zu leugnen. »Ja. Aber ich brauche es, ohne so lange weg zu sein.«
»Wie tief stehst du in der Kreide?«
Ich versuche, mir meine Reaktion nicht anmerken zu lassen. Mein Privatleben geht nur mich etwas an, aber für die Jungs ist offensichtlich, dass ich nicht grundlos pleite bin. Ich habe nur keine Ahnung, wie viel Trav weiß.
»Über hunderttausend.« Ich senke die Stimme. »Eher zweihunderttausend, um ehrlich zu sein.«
»Du brauchst diesen Vertrag, und es sind sechs Monate.«
Mein Knie wippt. »Sechs Monate, ohne jemanden zu töten. Wie soll ich das überleben?«
»Na ja, dieser Fan ist auf Kaution frei, vielleicht bekommst du ja etwas Action.«
»Dann hoffen wir auf mehr Stalker-Probleme.« Erst nachdem ich die Worte ausgesprochen habe, wird mir ihre Bedeutung klar. »Ich übernehme den Job, nicht wahr?«
»Du kannst Nein sagen.«
»Bei so viel Geld kann ich das nicht.« Ich streiche mir über die kurz geschorenen Haare. Viele der Jungs lassen sich nach dem Austritt aus dem Militär die Haare wachsen, aber für mich bedeutet die Frisur selbst jetzt, Jahre nach der Entlassung, noch Ordnung und Routine. Es ist die Verbindung zu meinem alten Leben, das ich noch nicht aufzugeben bereit war.
»Irgendwelche Fragen?«, will Trav wissen.
»Ja. Wer ist Harley Valentine?«
***
Gleich nachdem Trav seine Lachtränen über meine angebliche Unwissenheit unter Kontrolle hat, kommt Iris zurück, und ich bekomme es auch von ihm zu hören.
Iris lacht immer noch. Obwohl wir getrennt zu Valentines Haus fahren, hat er nicht aufgehört. Das Telefon klingelt, und das Bluetooth im Auto nimmt den Anruf sofort an.
»Diese Nummer ist für Notfälle gedacht«, grummle ich.
Nimm den Firmenwagen, hat Trav gesagt. Er ist besser als deiner, hat Trav gesagt. Meiner hat nicht mal Bluetooth. Ich könnte dieser Sache entkommen, wenn ich mein eigenes Auto fahren würde.
»Dein fehlendes Wissen in Sachen Popkultur ist ein Notfall, Alter …«
Ich beende den Anruf. Es klingelt sofort wieder. Iris’ Angriffen kann man nicht entkommen. Es ist nicht meine Schuld, dass ich hinterm Mond lebe.
Iris schüttelt immer noch den Kopf über mich, als wir in die kurze Einfahrt des Popstars einbiegen und zum Sicherheitstor kommen.
»Ich finde es verstörender, dass sich erwachsene Männer mit Boybands auskennen«, stelle ich klar. »Ich glaube nicht, dass du in der Position bist, über mich zu lachen.«
»Er ist nicht mehr in einer Boyband. Sondern ein richtiger Künstler. Hat zwei Grammys gewonnen.«
»Weißt du, wer noch einen Grammy hat? Der Typ, der diesen Hundesong gemacht hat. So beeindruckend ist das nicht.«
Iris singt Who Let The Dogs Out, während er den Knopf drückt, um aufs Gelände gelassen zu werden.
Was habe ich getan? Jetzt habe ich diesen dämlichen Song im Kopf.
Ich steige aus, öffne seine Autotür und stürze mich auf Iris, nehme ihn in den Schwitzkasten und lege ihm eine Hand auf den Mund.
Er beißt mich.
»Fuck.« Ich schüttle die Hand, um den Schmerz loszuwerden.
»Schon okay. Ich hab keine Tollwut.«
Es ist unmöglich, ihm böse zu sein, obwohl die Bissstelle an meiner Hand dunkler wird. Auf Iris wütend zu sein ist, als würde man einen Welpen anschreien, weil der überall hinpinkelt. Er kann nicht anders. Zumindest ist Iris stubenrein.
Das Tor öffnet sich. Ich steige wieder in mein Auto und versichere mich, dass es sich automatisch wieder verschließt, sobald wir durch sind. Die Steinmauer ist sicher, für eine fitte Person aber leicht zu überwinden. Jeder der Kerle von Mike Bravo könnte ohne Anlauf darüberspringen.
Ein Mann öffnet die Tür. Er ist auf eine Weise herausgeputzt, wie es viele Menschen in Hollywood sind. Dunkle Haare, maßgeschneiderter Anzug, pompöses Auftreten.
Er deutet mit dem Finger zwischen uns hin und her. »Nolan Reins?«
»Das wäre ich.« Ich schüttle ihm die Hand.
»Gideon.« Er wendet sich an Iris.
»Isaac Griffin. Ich bin der Sonntagsmann.«
»Kommen Sie rein, dann führe ich Sie herum.«
»Wo ist der Klient?«, frage ich.
»Harley schläft. Endlich. Die letzten Tage seit dem Einbruch waren hart. Ich habe ihn gebeten, mit einem Profi darüber zu sprechen, aber er weigert sich.«
Wir werden durch das teure Anwesen geführt. Alles ist mit Terrakottafliesen ausgelegt, wobei einige Fliesen im spanischen Stil als Akzente dienen. Es gibt viele offiziell wirkende Wohnzimmer und holzvertäfelte Türen, die anscheinend zu weiteren unbenutzten Räumen führen. Ein schmiedeeisernes Geländer führt an der Treppe nach oben in den ersten Stock und Gideon zeigt uns, wo Harleys Schlafzimmer und vier weitere leere Gästezimmer liegen.
Die Einrichtung passt zum spanischen Kolonialstil des Hauses, aber es sieht unbewohnt aus. Ich hatte eher ein Partyhaus mit einer großen Soundanlage und riesigen Flachbildfernsehern in jeder Ecke erwartet. Es fühlt sich an, als wäre ich im Haus von jemandes Eltern, nicht dem eines berühmten Popstars.
»Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer.« Gideon führt mich in die bescheidenen Personalunterkünfte, während Iris sich das Sicherheitssystem ansieht.
Ein Doppelbett nimmt fast das gesamte Zimmer ein, dazu gibt es eine Kommode unter dem breiten Fenster, von dem aus man in den Garten und zum Pool blicken kann.
Gideon beobachtet meine Reaktion. »Es ist nicht viel.«
»Wenn man in Baracken gelebt hat, ist alles ein Palast.« Verdammt, es ist sogar eine Verbesserung zu der beschissenen Wohnung, in der ich jetzt lebe. Ich drehe mich zu ihm. »Okay, reden wir Klartext. Dieser Auftrag ist irgendwie …«
»Irgendwie was?«
Was ist das richtige Wort, wenn man nicht »kompletter Schwachsinn« sagen will? »Ich verstehe es einfach nicht. Mit dem, was Sie Trav bezahlen, könnten Sie jede durchschnittliche Sicherheitsfirma dazu bringen, sich um diesen Einbruch zu kümmern, den Typen im Auge zu behalten und gleichzeitig drei Vollzeitbodyguards einstellen. Warum heuern Sie Ex-Militärs an, die bei Action aufblühen, um einen Popstar zu babysitten?«
Gideon schiebt die Hände in die Taschen. »Na ja, erstens ist Trav mein Cousin, und er wollte mir ursprünglich ein paar Firmen nennen, die helfen könnten, doch dann meinte er, dass er einen Typen hat, der an dem Geld interessiert ist. Und zweitens will Harley nicht von einem ganzen Team umgeben sein. Er hat Probleme damit, Menschen zu vertrauen. Ich bin sicher, dass es einfacher ist als das, was Sie gewohnt sind, aber sehen Sie es mal so: leicht verdientes Geld.«
»Dieser Einbruch. Wie ernst war es?«
»Der Typ ist ein wahnhafter Fan, der in einen einzigen Blick und einen einfachen Satz von Harley zu viel hineingedeutet hat. Er dachte, er hätte eine Verbindung zu Harley, also ist er ihm nach Hause gefolgt, über den Zaun gesprungen und … okay, die Sache mit dem Messer ist unklar. Harley weiß immer noch nicht, ob es eine Einschüchterungstaktik oder eine Drohung war, oder ob der Typ tatsächlich aufrichtig Harleys Messer bewundert hat. Niemand wurde verletzt, aber Harley hat sich bis jetzt immer gegen Rundumschutz gesperrt, weil er sich hier sicher gefühlt hat. Dieses Arschloch hat ihm das genommen, also ist es egal, dass er nicht wirklich verletzt wurde.«
»Ich verstehe.«
Gideon wirkt skeptisch, als würde er mir nicht glauben. »Harley versucht, stark zu wirken, doch er hat seit dem Vorfall das Haus nicht verlassen. Er hat nicht geschlafen. Er ist kein Typ, der Mitleid annimmt, aber Herablassung lässt er sich auch nicht gefallen.«
»Ich werde daran denken, mich neutral zu verhalten und nur über die Fakten zu sprechen, wenn es um den Einbruch geht.«
»Ich würde ihn wecken, damit Sie sich kennenlernen können, aber da er so wenig Schlaf hatte, tue ich es nur ungern. Er sollte eigentlich Songs für sein neues Album schreiben, doch er kann nicht denken, wenn er nicht geschlafen hat.«
»Das ist in Ordnung. Ich hab ein paar Sachen im Auto, aber ich kann nach Hause fahren und mehr Kleidung und andere Dinge holen. Ich habe leicht gepackt. Iris … ähm, Isaac kann bei Harley bleiben, während ich weg bin.«
»Klingt gut.« Gideon lässt mir den Vortritt und gemeinsam gehen wir zurück durchs Haus.
Wir schaffen es nicht zur Haustür. Gideon und ich bleiben beim Anblick der Szene im Foyer wie angewurzelt stehen. Ein etwa ein Meter fünfundsiebzig großer Kerl mit braunen Haaren richtet eine Waffe auf Iris. Iris ist ruhig, hat die Hände erhoben und wirkt nicht besorgt, aber unter Druck ist er immer cool. Beängstigend cool.
Der Typ hat uns den Rücken zugewandt, und ich glaube nicht, dass er uns hat kommen hören. Seine Hände zittern, was mich nervös macht, wenn man bedenkt, dass die Waffe entsichert ist und er offensichtlich keine Kontrolle darüber hat.
Meine taktischen Instinkte übernehmen. Die erste Vermutung legt nahe, dass der Fan, der Harley vor ein paar Tagen angegriffen hat, seine einstweilige Verfügung verletzt hat und sein Werk vollenden will. Alles passiert so schnell.
Ich bewege mich zügig und präzise. Iris’ lautes Nein! nehme ich kaum wahr, als ich zu dem Angreifer renne und ihn zu Boden werfe. Innerhalb eines Wimpernschlags liegt der Typ auf dem Bauch. Ich drücke ihm ein Knie in den Rücken und halte seine Waffe in der Hand.
Dann erklingt Gelächter im Raum. Von Iris und Gideon. Der Typ unter mir stöhnt.
»Erster Arbeitstag, und schon hast du den Mann kaputt gemacht, den du beschützen sollst«, sagt Iris.
»M-moment, was?« Ich starre nach unten auf den Typen. Er hat den Kopf zur Seite gedreht, sodass seine Wange gegen den Boden gepresst ist. Bis auf rote Bartstoppeln kann ich von seinen Gesichtszügen nichts erkennen.
Gideon tritt neben mich. »Nolan, ich möchte Ihnen Harley Valentine vorstellen.«
Oh, scheiße.
HARLEY
»Harley, das sind Nolan Reins und Isaac Griffin«, fährt Gideon fort. »Deine neuen Bodyguards.«
Das schwere Gewicht auf mir verschwindet, und ich stöhne. »Gute Arbeit, Rambo.« Selbst ich weiß nicht, ob meine Worte aufrichtig oder sarkastisch sind.
Einerseits: Hi, zufälliger Fremder auf mir. Wie wäre es, wenn du mir erst einen Drink spendierst, bevor du mich unter deinem harten Körper einklemmst? Andererseits sollte ich dankbar sein, dass mein neuer Bodyguard einen bewaffneten Mann ausschalten kann. Selbst wenn ich dieser Mann bin.
Zu meiner Verteidigung, ich bin desorientiert aufgewacht, weil ich in den letzten drei Tagen kaum geschlafen hatte, und hab schon wieder einen Fremden in meinem Haus vorgefunden. Vielleicht habe ich überreagiert. Ein wenig.
Wir kämpfen uns auf die Füße und ich stehe meinem … Beschützer-Schrägstrich-Kampfsport-Superstar gegenüber.
Und, oh, verdammt. Nein.
Nein, nein, nein. Das wird nicht funktionieren.
Ich habe keinen Typ. Da ich mein ganzes Erwachsenenleben lang zur absoluten Geheimhaltung gezwungen worden bin, hatte ich nicht den Luxus, es herauszufinden. Die Kerle, zu denen ich mich in der Vergangenheit hingezogen gefühlt habe, waren alle unterschiedlich. Aber was auch immer mein Typ ist, dieser Kerl wäre an der Spitze meiner Top Ten.
Oh Gott, denk nicht an das Wort Top im Zusammenhang mit … ihm. Mein Blick wandert über seinen gesamten Körper, von dem schwarzen Kurzhaarschnitt zu seinen unglaublichen Muskeln. Seine taktische Hose ist eng, und seine »Ich-bin-ein-rundum-harter-Typ«-Ausstrahlung ist echt hart.
Ich protestiere nur aus dem Grund nicht lautstark gegen diese Vereinbarung, weil dieser Typ hetero sein muss. Der schwule Amor könnte versuchen, ihn mit Pfeilen zu durchbohren, aber er wäre immer noch immun. Verdammt, ich sollte ihn nicht mit dem Wort durchbohren in Verbindung bringen.
Seine dunkelbraunen Augen wirken beinahe schwarz. Er starrt mich an, kalt und kalkulierend. Während ich ihn aus sexuellem Blickwinkel betrachte, checkt er mich eher abschätzend ab – wahrscheinlich versucht er, herauszufinden, womit er es zu tun hat. Hinter dem Popstar gibt es nicht viel zu entdecken. Ich bin ein verängstigter Kerl mit einer Waffe. Die nun er hat.
»Äh, Waffe?« Ich strecke die Hand aus.
»Die brauchen Sie nicht.« Geschickt nimmt er das Magazin heraus. »Jemand, der nicht mit einer Waffe umgehen kann, sollte keine in den Händen halten.« Er starrt sie an. »Selbst wenn sie ungeladen ist.«
Ich werfe einen Blick nach unten und stelle fest, dass das Magazin leer ist. Ich drehe mich zu Gideon um. »Du hast mir eine ungeladene Waffe gegeben? Wie soll mich das beschützen?«
»Du solltest dich damit sicherer fühlen und sie nicht wirklich benutzen.«
»Heißer Tipp«, sagt Rambo. »Richten Sie nur dann eine Waffe auf jemanden, wenn Sie tatsächlich auf ihn schießen wollen.«
»Ich wollte auf ihn schießen.«
»Mit imaginären Kugeln?«
»Er war in meinem Haus.« Ich wende mich an den ebenfalls muskulösen, aber hübscheren Kerl. »Aber es tut mir leid, dass ich eine Waffe auf Sie gerichtet habe.«
Er lächelt. »Wäre nicht das erste Mal, dass auf mich geschossen wird.«
»Hey, ich hab nicht geschossen.« Noch nicht. Es war knapp. Mir ist nur eine Sache durch den Kopf gegangen: Jetzt schießen, später nachdenken. Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte, weil sich herausgestellt hat, dass die Waffe nicht geladen war. Ich bin Gideon dankbar dafür, gleichzeitig aber auch ein wenig angefressen. Was, wenn es ein echter Notfall gewesen wäre? Peng, peng, Mr Bösewicht. Ich erschieße dich mit Luft.
Der Typ, der bei mir eingebrochen ist, hat mich ernsthaft durcheinandergebracht. In dieser Nacht habe ich zum ersten Mal in all den Jahren meiner Berühmtheit wirklich um mein Leben gefürchtet. Es war auch früher manchmal knapp gewesen, es hatte einige beängstigende Momente mit heftigen Fans gegeben, aber nichts ist damit vergleichbar, jemandem gegenüberzustehen, der glaubt, dich zu kennen, und diese Wunschvorstellung will.
Rambo gibt mir die Waffe zurück. »Nennen Sie mich Brix. Ich werde sechs Tage die Woche bei Ihnen sein.« Er deutet mit dem Kopf auf den hübschen Kerl. »Er wird an den Sonntagen auf Sie aufpassen.«
»Brix? Wie die Bausteine?« Würde passen.
Der andere Typ schnaubt. »So ähnlich. Er ist genauso schlau wie ein Bauklötzchen.«
Brix zeigt seinem Partner den Mittelfinger. »Ich verwende meinen Mittelnamen Brixton. Selbst meine Eltern haben mich nie Nolan genannt.«
Ich mustere ihn erneut. Ich kann nicht anders. »Sie sehen nicht aus wie ein Nolan.«
»Sie können mich Iris nennen«, wirft der andere Typ ein.
»Das steht für: Ich rausche in Schwierigkeiten«, fügt Brix hinzu.
Iris seufzt. »Das stimmt leider. Nicht, dass ich ständig in Schwierigkeiten gerate, sondern dass es dafür steht.«
Brix beugt sich vor. »Er ist definitiv ständig in Schwierigkeiten.«
»Nur in der Nähe von Sprengstoffen.«
»Schön, dass ihr euch so gut versteht«, mischt sich Gideon ein. »Okay, weitermachen. Ich muss zu einem Meeting.«
Ich runzle die Stirn. »Meeting?«
»Mit der Plattenfirma.«
»Weswegen stecke ich denn jetzt in Schwierigkeiten?«
»Sie wollen, dass du Interviews wegen des Eindringlings gibst und darüber sprichst.«
»Auf keinen Fall.«
»Das sage ich auch immer wieder. Und da ein Gerichtsverfahren bevorsteht, solltest du wirklich nicht öffentlich darüber sprechen, also werde ich sie für dich davon überzeugen.«
Ich atme geräuschvoll aus. Gideon ist echt gut in seinem Job, selbst wenn er unpersönlicher ist als der Manager von Eleven. Cameron Verikas war für uns wie eine Vaterfigur, doch das könnte auch daran liegen, dass wir am Anfang alle Teenager waren. Wir brauchten die Führung und Rückversicherung, die er uns gegeben hat. Gideon fehlt das, aber mit fast 26 sollte ich jetzt wohl über alledem stehen.
Ich sehe zu, wie mich mein Manager mit den zwei Kolossen allein lässt. Beide sehen irgendwie gefährlich aus, doch anscheinend gefällt das meinem Schwanz. Wer hätte das gedacht?
»Ich verschwinde auch«, sagt Brix. »Aber ich bin bald wieder da.«
»Wohin gehst du?«, frage ich. »Da wir zusammenwohnen werden, können wir uns genauso gut duzen.«
»Ich bereite in meinem Leben alles dafür vor, dass ich monatelang weg sein werde.«
»Tut mir leid, dass ich dich aus deinem echten Leben reiße«, erwidere ich. Es klingt ein wenig sarkastisch, aber ich meinte es nicht so. Es ist nervig, dass ich das Leben eines anderen stören muss, damit ich mich sicher fühlen kann.
»Er hat kein Leben«, wirft Iris ein. »Du reißt ihn aus gar nichts.«
Brix gibt Iris nicht mal die Befriedigung, auf seine Spitze zu reagieren. Er macht auf dem Absatz kehrt und verkündet: »Ich bin in ein paar Stunden zurück«, als hätte Iris überhaupt nichts gesagt.
Sobald er durch die Tür ist, spüre ich Iris’ Blick vom anderen Ende des Raumes aus. Nichts ist unangenehmer, als sich dem Typ gegenüberzusehen, den man vor nicht mal fünf Minuten mit einer Waffe bedroht hat. Ungeladen oder nicht.
»Also, wie läuft das mit einem Vollzeit-Bodyguard überhaupt?«, frage ich.
Iris zuckt mit den Schultern. »Das musst du uns sagen. Wir sind nicht gerade … im Beschützen ausgebildet.«
Ich runzle die Stirn. »Worin seid ihr ausgebildet?«
»Töten.«
Ich reiße die Augen auf, und Iris lacht laut. »Bei Mike Bravo arbeiten nur Ex-Militärs.«
»Mike Bravo«, wiederhole ich.
»Die Firma, für die wir arbeiten.«
»Die Sicherheitsfirma?« Das hat Gideon behauptet.
Iris grinst. »Sicher. Hör mal, wir mussten mit deutlich beängstigenderen Situationen als deinem Einbruch klarkommen. Wir können problemlos dafür sorgen, dass niemand an dich herankommt, aber alles wird um vieles geschmeidiger laufen, wenn Gideon Anweisungen oder Protokolle für uns hat, denen wir folgen können.«
»Äh, ich glaube nicht, dass er irgendwas dagelassen hat.« Ich schaue in der Küche auf den Arbeitsplatten und im Wohnzimmer auf dem Couchtisch nach, doch da ist nichts.
»Wir könnten unser eigenes Protokoll festlegen«, schlägt Iris vor.
»Sollte Brix dabei nicht anwesend sein«?
Der Ausdruck in Iris’ Augen macht mir Sorgen. Ihm gefällt diese Vorstellung viel zu sehr. »Oh, vertrau mir, wir schreiben alles auf und geben es ihm dann.«
»Warum habe ich das Gefühl, dass du das tust, um Brix zu verarschen?«
»Ich? Niemals. Ich bin jederzeit total ernst und professionell.«
Ich glaube ihm kein bisschen. »Mhmm.«
»Außerdem, willst du es ihm nicht heimzahlen, dass er dich umgerissen hat?« Er blinzelt mich unschuldig mit seinen engelsgleichen Zügen an.
»Entweder kannst du sehr gut oder sehr schlecht manipulieren, denn ich durchschaue dich, will es aber trotzdem tun.«
Er zwinkert mir zu. »Und schon hast du den Umfang meines Charmes erkannt.«
Ich weiß noch nicht, was ich von meinen neuen Bodyguards halten soll, doch sie sind definitiv nicht das, was ich erwartet habe. Entweder wird das lustig oder ein Albtraum aus sexueller Frustration. Brix ist kantig und kräftig, und obwohl er mich umgerissen hat, gibt mir das seltsamerweise Vertrauen in seine Fähigkeit, mich zu beschützen, was mich wiederum anmacht. Iris hingegen ist etwas schmaler gebaut als Brix und eher klassisch attraktiv, aber immer noch ein massiger Bodybuilder-Typ. Und obwohl ich mir das sicher nur einbilde, flirtet Iris ein wenig. Oder es ist einfach so lange her, seit ich das letzte Mal Sex hatte, dass ich keine Ahnung mehr von zwischenmenschlichen Signalen habe.
Genau da liegt das Problem. Ich kann die Typen, die in den nächsten Monaten auf mich aufpassen, nicht attraktiv finden. Diese Ablenkung brauche ich nicht.
»Lass uns ein paar Details festlegen.« Iris geht in Richtung Wohnzimmer. »Hast du einen Laptop?«
»Äh, nein. Aber mein Handy.«
»Dann ganz altmodisch mit Papier und Stift.«
»Davon habe ich genug.« Ich schreibe meine Songtexte auf Papier. Zwar habe ich mal versucht, sie zu tippen, aber irgendetwas an Papier und Stift stellt eine bessere Verbindung zu den Emotionen in den Liedern her, als auf einen Bildschirm zu starren und auf einer Tastatur zu tippen.
Wie ein Süchtiger, der seine Vorräte versteckt, habe ich im ganzen Haus Schreibmaterial gebunkert. Ich hole ein leeres Blatt und verschiedene Stifte aus der Schublade am Couchtisch.
Iris nimmt mir beides ab. »Das Erste, was wir brauchen, ist dein Tagesablauf. Oh, und ein neues Sicherheitssystem. Das jetzige ist absoluter Müll.«
»Also kein Aufschließen mit der App mehr?«
»Willst du was Ausgefallenes oder, du weißt schon, nicht sterben? Deine Wahl.«
»Gutes Argument.«
»Ich schlage vor, dass wir an allen Türen Code-Schlösser mit automatischer Verriegelung anbringen, damit du nicht daran denken musst, sie abzuschließen.«
»Abgemacht.«
»Also, Tagesablauf?«
»Richtig. Der, äh, ändert sich ständig. Normalerweise erfahre ich ihn immer erst am Tag selbst, weil es mich verwirrt, wenn Gideon mir schon vorher davon erzählt.«