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Orbán, Erdoğan, Bolsonaro … Sind das Diktatoren? So leicht sagen kann man das gar nicht. Klar: Noch sind diese "Populisten" nicht der neue Stalin oder Mussolini. Aber ihre Methoden ähneln denen der Geschichte doch sehr deutlich. Die Gängelung der Medien zum Beispiel, das Schüren eines Feindbildes oder auch die Pflege des Ausnahmezustands … All diese Dinge werden von den Populisten von heute verwendet und kommen direkt aus dem Handbuch, das ihnen die großen Diktatoren der Geschichte hinterlassen haben. Wir als Demokraten müssen dieses Handbuch kennen und genau deswegen habe ich es niedergeschrieben: Als humorvolle, satirische, aber doch warnende Handlungsanweisung an den Diktator von morgen. Denn als Historiker glaube ich ganz fest daran: Die Geschichte kann uns dabei helfen, die Welt von heute einzuschätzen. und in Zeiten wie diesen muss sie das auch. Wenn du also ein Geschichts- und Politiknerd bist wie ich und dich die Welle des Populismus der letzten Jahre gleich erschreckt wie mich, dann ist dieses Buch für dich! Diese dreizehn Methoden des modernen Autokraten findest du im Buch: • Seien Sie kreativ mit Ihrer Biografie • Basteln Sie ein Feindbild • Finden Sie Ideale und unterwandern Sie sie • Seien Sie nicht für, sondern gegen etwas • Seien Sie Nationalist. Notfalls internationalistischer Nationalist • Die Krise ist Ihre Chance zum Aufstieg • Ihr Land ist immer in Gefahr • Die Partei hat immer recht. Sie sind die Partei • Balancieren Sie zwischen den Weltmächten • Meistern Sie die Propaganda, knebeln Sie die Medien • Geht's der Wirtschaft gut, geht's auch Ihnen gut. Notfalls auf Pump • Fördern Sie Ihre Freunde und trennen Sie sich rechtzeitig von ihnen • Nutzen Sie die Religion. Seien Sie Auserwählter oder seien Sie Gott Die Geschichte dieser Diktatoren schauen wir uns dabei näher an: • Miklós Horthy in Ungarn • Josip Broz Tito in Jugoslawien • Josef Stalin in der Sowjetunion • Adolf Hitler in Nazi-Deutschland • Francisco Franco in Spanien • António Salazar in Portugal • Nicolae Ceaușescu in Rumänien • Enver Hoxha in Albanien • Kemal Atatürk in der Türkei • Benito Mussolini in Italien • Engelbert Dollfuß in Österreich … und ihre heutigen Kollegen im Europa von heute – Viktor Orbán, Wladimir Putin, Donald Trump, Jarosław Kaczyński, sowie die Damen und Herren aus AfD und FPÖ – bleiben auch nicht unerwähnt Klingt das spannend? Dann lies gleich rein!
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Seitenzahl: 264
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Ralf Grabuschnig
Populismus leicht gemacht
Erfolgreich lernen von den großen Diktatoren der Geschichte
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Einleitung
Seien Sie kreativ mit Ihrer Biografie
Basteln Sie ein Feindbild
Finden Sie Ideale und unterwandern Sie sie
Seien Sie nicht für, sondern gegen etwas
Seien Sie Nationalist. Notfalls internationalistischer Nationalist
Die Krise ist Ihre Chance zum Aufstieg
Ihr Land ist immer in Gefahr
Die Partei hat immer recht. Sie sind die Partei
Balancieren Sie zwischen den Weltmächten
Meistern Sie die Propaganda, knebeln Sie die Medien
Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s auch Ihnen gut. Notfalls auf Pump
Fördern Sie Ihre Freunde und trennen Sie sich rechtzeitig von ihnen
Nutzen Sie die Religion. Seien Sie Auserwählter oder seien Sie Gott
Dagegenhalten!
Der Autor
Impressum neobooks
Es ist wieder in, Diktator zu sein! Zumindest müsste man fast zu dem Schluss kommen, wenn man sich heute in Europa und der Welt umschaut. Wie sonst wollen Sie sich die zahlreichen „demokratiepolitischen Neuerungen“ von Leuten wie Viktor Orbán in Ungarn oder Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei erklären? Der Drang zur absoluten Macht ist in gewissen Teilen der Welt nicht mehr zu übersehen, und das ist gleichermaßen bedrohlich wie unspektakulär. Bedrohlich ist es für einige, weil … nun, weil gestandene Demokraten die westliche Welt lieber so lassen würden, wie sie ist. Aber zu denen zählen Sie, der Sie dieses Buch in Händen halten, doch hoffentlich nicht, also kümmern Sie sich mal nicht darum. Unspektakulär ist das Ganze, weil diese Entwicklung in der Geschichte beim besten Willen nichts Neues ist. Die „Populisten“ von heute finden in der Vergangenheit einen reichen Fundus an Vorbildern. Das 20. Jahrhundert wimmelte nur so vor Autokraten, Alleinherrschern und solchen, die es gerne gewesen wären, und selbst die Einflussreichsten von ihnen fingen irgendwann als ganz kleine Populisten an – genau wie ihre Schüler heute. Sie und Ihre Kollegen haben also Grund zu jubeln! Und abgesehen davon: Wenn das letzte Jahrhundert ein so großes Zeitalter der Diktatoren war, warum sollte diese Ära nun plötzlich vorbei sein? Offensichtlich funktionieren die alten Taktiken doch noch, und was ein Herr Orbán kann, das können Sie schon lange! Sie müssen nur wissen, wie Sie dorthin kommen, wo Sie sich so sehnlich hin wünschen. Sie haben sich daher richtig entschieden, dieses Buch zur Hand zu nehmen und endlich an Ihrer Gewaltherrschaft zu werkeln. Denn Sie und die anderen Diktatorenschüler von heute sollen schließlich nicht dieselben Fehler begehen müssen wie Ihre Vorbilder aus der Geschichte. Dieses Handbuch wird Ihnen die dreizehn Schritte aufzeigen, wie Sie genau das vermeiden. Diese Schritte werden jeweils mit Beispielen aus den Leben der europäischen Diktatoren der Vergangenheit illustriert, von den großen Namen wie Adolf Hitler und Josef Stalin bis hin zu kleinen regionalen Machthabern wie Enver Hoxha in Albanien und Nicolae Ceaușescu in Rumänien. Ich werde dabei Begriffe wie „Diktator“, „Autokrat“ oder „Alleinherrscher“ verwenden, aber natürlich existieren diese Begriffe in Abstufungen. Ein Adolf Hitler ist nicht dasselbe wie ein Nicolae Ceaușescu. Ein Viktor Orbán unterscheidet sich wiederum von diesen beiden Herren.
Nach der Lektüre dieses Buches werden Sie aber eine zentrale Wahrheit der Weltpolitik verstehen: Der sogenannte Populismus von heute ist keine neue Erfindung. Die vielen autokratisch gesinnten, na ja, nennen wir sie mal Politiker, sind alles andere als herausragende Exemplare einer neuen, bislang unbekannten Menschengattung. In Wirklichkeit unterscheiden sie sich nicht nur von ihren Vorgängern eher marginal, auch untereinander kann man sie leicht verwechseln. Und noch mehr: Tatsächlich folgen sie alle in ihrem Leben und Streben demselben Handbuch, welches von den Stalins und Hitlers, den Ceaușescus und Hoxhas dieser Welt geschrieben worden ist. Und dieses Handbuch halten Sie jetzt in Händen! Es ist nun zwar nachvollziehbar, dass Sie als chronischer Demokratieallergiker neidisch auf jene Kollegen schielen, die auf diesem Weg schon weiter sind als Sie – auf Donald Trump, auf Viktor Orbán oder auf Recep Erdoğan. Aber es sollte Sie trösten, dass diese Leute trotzdem alle nach denselben Regeln spielen. Sie werden in diesem Buch also von den großen Diktatoren der Geschichte lernen, wie der Aufstieg an die Macht gelingen kann, und diesem Weg genauso folgen wie Ihre Mitstreiter. Denn auch wenn wir es uns heute kaum noch vorstellen können: Selbst ein Josef Stalin fing einmal ganz klein an, als unbedeutender, aber dafür umso lauterer Populist. Und das Beste: Niemand erinnert sich mehr daran! Der Pluspunkt für Sie: Sie können sich frei der Methoden eines Stalin bedienen, Sie können genau denselben Weg einschlagen, und kaum jemand wird sich daran stören oder gar Ihre Originalität in Zweifel ziehen. Denn für das Gedächtnis der Menschen von heute wirken die paar Jahrzehnte, die zwischen uns und der goldenen Zeit der Diktatoren liegen, wie ein unüberwindbares Bollwerk. Niemand weiß mehr von den politischen Aufstiegen von damals – oder zumindest will sich niemand mehr so recht daran erinnern. Selbst wenn das spätere Bild der brutalen Herrscher Hitler, Stalin oder Mao Zedong heute noch präsent sein mag, hält das also keinen modernen Populisten von seinem Aufstieg mithilfe derselben Methoden ab. Schauen Sie sich doch nur in Deutschland um. Die AfD wird, seit es sie gibt, dafür kritisiert, dass Elemente der Partei antidemokratisch auftreten, und trotzdem rennen ihnen die Wähler die Türen ein. Wohin antidemokratische Politik am Ende führen kann, das ist in Deutschland offensichtlich vielen Menschen nicht mehr bewusst. Sogar im Osten des Landes, wo jene unfreie Zeit doch erst drei Jahrzehnte her ist. Ihre Erfolgschancen als machthungriger Aufstiegsautokrat könnten also kaum besser sein. Ich möchte Ihnen auf den nächsten Seiten das dafür nötige Handwerkszeug mit auf den Weg geben.
Dieses Buch gliedert sich in dreizehn Kapitel, die Ihnen die wichtigsten Taktiken und Schritte auf dem Weg zum erfolgreichen Diktator näherbringen werden. Ich gehe dabei davon aus, dass Sie bei der Erfüllung Ihrer feuchten Allmachtsträume noch ganz am Anfang stehen. Daher geht es in den ersten sechs Kapiteln um Methoden, mit denen Sie aus dem Nichts heraus die Macht im Staat an sich reißen können. Wir werden darüber sprechen, wie Sie Ihre unspektakuläre Herkunft zu einer veritablen Heldenstory umgestalten, wie Sie Feindbilder bedienen und in den Köpfen Ihrer zukünftigen Untertanen frischhalten können und wie Sie genau die Ideale finden, die beim Volk ankommen. Sie werden lernen, warum es sich niemals lohnt, für etwas aufzutreten, und warum konsequentes Dagegensein Ihr zuverlässigster Begleiter auf dem Weg zur Macht ist. Nebenbei sprechen wir bei der Gelegenheit über den besten Freund des Alleinherrschers – den guten alten Nationalismus. Ausgestattet mit diesem Wissen können wir uns zum Ende des ersten Teils dieses Handbuchs daran machen, über die konkrete Machtübernahme zu sprechen. Sie werden lernen, wie Sie Staatskrisen bauen, füttern und ausnutzen, um dorthin zu kommen, wo Sie sich selbst schon lange sehen – an die Schalthebel der Macht. Im zweiten Teil des Buchs wenden wir uns dann der Zeit danach zu und befassen uns damit, was Sie dafür tun können, Ihre hart errungene Allmacht auch zu erhalten – und zwar ohne Unterstützung aus dem ohnehin wankelmütigen Volk. Denn legitime Macht ist etwas für verweichlichte Demokraten! Und zu allem Überfluss mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor verbunden. Lernen Sie mithilfe dieses Buches stattdessen, wie Sie dank fulminanter Drohkulissen die Bevölkerung in einer permanenten Habachtstellung halten, wie Sie Ihre Partei im Inneren und die Diplomatie im Äußeren dazu nutzen, Ihre tägliche Unentbehrlichkeit zu demonstrieren, und wie Sie es mit dem Wundermittel Propaganda halten sollen. Außerdem lernen Sie alles über die Bedeutung der Wirtschaft und warum sie Ihnen am Schluss völlig egal sein kann, wie Sie mit Ihren politischen Wegbegleitern (lästig!) umgehen und was zum Teufel Sie mit den Religionsgemeinschaften (noch lästiger!) anfangen. Mit diesen Tipps und Tricks haben im Laufe der Geschichte schon die unqualifiziertesten, unfähigsten und unwahrscheinlichsten Herrscher den Aufstieg geschafft. Sind Sie bereit, in diese stolze Riege einzutreten?
Alleinherrscher zu sein ist mehr, als nur seine innersten Allmachtsfantasien auszuleben und dabei bestmöglich seine traurige Kindheit zu vergessen. Es bedeutet auch mehr, als einfach nur allein zu herrschen. Das Dasein eines Diktators ist ein in sich geschlossenes, auf Feinste austariertes Gesamtkunstwerk, das der ständigen Fürsorge bedarf, die Ihren Alltag sowohl vor als auch nach der Machtübernahme begleitet. Alles, was Sie tun und was Sie sind, ist Bestandteil wie Garant Ihrer Macht und muss entsprechend gepflegt werden. Eine Grundlage ist dabei von ganz zentraler Bedeutung: Ihre Herkunftsgeschichte, die Sie niemals mit Ihrer Herkunft verwechseln sollten. Denken Sie doch an Ihre Lieblingsdiktatoren: Hatte nicht jeder von ihnen eine heldenhafte, legendäre Geschichte zu erzählen? Eine Story über seine Herkunft und seinen Weg zum unwahrscheinlichen Aufstieg? Eine Geschichte, die dem Volk eine Erklärung dafür bieten konnte, warum genau dieser Herrscher ein besserer sein soll als jeder andere. Natürlich hatte Ihr Lieblingsdiktator diese, sonst wäre er doch nicht Ihr Lieblingsdiktator! Und was ist die logische Konsequenz? Richtig: Dass auch Sie schleunigst an Ihrer Geschichte arbeiten sollten! Ich weiß schon: Ihre Herkunft ist völlig unspektakulär, Ihre Kindheit war depressiv und extrem langweilig, Sie hatten kaum Freunde, und von den wenigen, die Sie hatten, möchten Sie heute ungern erzählen, und auch sonst ist die Geschichte Ihres Heranwachsen alles andere als abendfüllend. Aber genau das ist der Punkt. Sie brauchen eine bessere Geschichte! Die Leute benötigen einen emotionalen Schub, damit sie sich Ihnen zu Füßen werfen. So sind die Menschen nun mal. Kein Grund zur Sorge, vielmehr ein Ansporn zur Fantasie. Sie müssen jetzt nicht Ihre tiefsten inneren Unsicherheiten auspacken. Eine Geschichte zu erzählen, bedeutet nicht, mit der öden Wahrheit hausieren zu gehen. Das geht viel bunter! Sehen Sie Ihre Geschichte als eine Sage, als ein Epos an. Mit Ihnen in der Hauptrolle. Sie nehmen einige Kernpunkte Ihrer Biografie und stricken darum eine heldenhafte Erzählung, die Ihren gleichermaßen unwahrscheinlichen wie unaufhaltsamen Aufstieg begründet. Solange die Eckpunkte glaubwürdig erscheinen, werden die Leute auch die Geschichte drumherum schlucken. Zum Glück bieten uns unsere großen historischen Vorbilder eine Vielzahl lehrreicher Beispiele, wie man die eigene Vergangenheit zu einer fesselnden Heldengeschichte ausschmücken kann. Drei bewährte Methoden möchte ich Ihnen in diesem Kapitel näherbringen.
Die wohl einfachste Methode, Ihre fade Kindheit zur fesselnden Erzählung aufzubauschen, ist das Ausblenden all jener biografischen Belanglosigkeiten, die nicht zu Ihrer angepeilten Geschichte passen. Das Paradebeispiel für die konsequente Umsetzung dieser Methode bietet uns sogleich der wohl brutalste europäische Diktator des letzten Jahrhunderts: Adolf Hitler. Seine Biografie ist ohnehin bemerkenswert – bemerkenswert darin, wie wenig bemerkenswert sie ist. Wenn sogar der todlangweilige Adolf Hitler es schaffte, aus seiner Herkunft eine Legende zu basteln, können Sie das schon lange. Geboren ist Hitler bekanntlich 1889 im oberösterreichischen Städtchen Braunau am Inn. Ein Ort, so langweilig, wie Hitlers frühe Lebensgeschichte. Sein Vater arbeitete an der deutsch-österreichischen Grenze für das Zollamt der k. u. k.-Monarchie, die Mutter war, wie damals üblich, Hausfrau. Üblich für diese Zeit sind auch ein paar andere Merkmale der Familie Hitler. So war Hitlers Vater 23 Jahre älter als seine Mutter, und – soweit wir das sagen können – waren die beiden auch entfernt verwandt. Aber gut, die Familie stammte ursprünglich auch aus dem niederösterreichischen Waldviertel, und da sieht es Gerüchten zufolge heute noch nicht viel anders aus. Üblich waren auch die innovativen väterlichen Erziehungsmethoden im Hause Hitler, die den jungen Adolf mit regelmäßigen Prügelportionen versorgten. Einmal soll sein Vater ihn sogar bewusstlos geschlagen haben. So weit, so gewöhnlich also.
Mit einem Umweg über Linz zog es Hitler in seinen Teenagerjahren schließlich nach Wien, wo er sich an der Kunstakademie bewarb, allerdings gleich zwei Mal durch die Aufnahmeprüfung rasselte. Er blieb die nächsten Jahre über trotzdem in der Hauptstadt und gab sich dabei auch immer wieder als Kunststudent aus. Über Wasser hielt er sich nach dem frühen Tod seiner Mutter und dem nicht ganz so frühen Tod seines Vaters (der stilecht an einem Glas Frühstückswein verendete) mit einer Waisenpension und regelmäßigen Finanzspritzen seiner Tante. Als diese Geldquelle irgendwann versiegte, sah sich der verkannte und chronisch erfolglose Hitler 1910 sogar gezwungen, in ein sogenanntes Männerheim zu ziehen, was im Prinzip nichts anderes war als ein Obdachlosenheim. In der Zeit begann er, Postkarten mit Ansichten Wiens zu malen und über einen Freund zu verkaufen. Wie viel Geld er damit verdiente, wissen wir nicht genau. Man kann sich aber vorstellen, dass er damit nicht unbedingt reich wurde. Irgendwann hatte Hitler genug. Im Jahr 1913 ließ er Wien für immer hinter sich und zog nach München. Warum er das tat, ist bis heute schwer zu sagen. Einerseits wollte er sicherlich seinem elenden Leben entkommen, wobei man sich schon fragen muss, was er als gescheiterter Künstler ohne sonstige nennenswerte Talente in München anders machen wollte. Gerüchten zufolge wollte er aber auch einfach dem Militärdienst in Österreich entkommen. Warum aber zog er dann ein Jahr später für Deutschland in den Ersten Weltkrieg – noch dazu illegal als Nichtstaatsbürger? So viel zu dem Teil von Hitlers Biografie, über den wir später nicht mehr viel hören werden.
Nach Kriegsende 1918 ist Adolf Hitler knapp dreißig Jahre alt, und erst jetzt wird er historisch greifbar. Sein gesamtes bisheriges Leben ist uns ja nur wegen seines späteren Aufstiegs bekannt, wenn auch nur zu Teilen. Und wenn es nach Adolf Hitler selbst gegangen wäre, hätte er über diese Zeit wahrscheinlich danach nie mehr gesprochen – sein Versagen in Wien hat ihm mit Sicherheit noch lange zugesetzt und war für einen selbsterklärten Herrenmenschen nun wirklich nicht angemessen. Aber eine Legende braucht man eben, das wusste auch der zukünftige „Führer“. Deshalb begann er schon früh, über seine Kindheit zu reden, diese bei der Gelegenheit aber gründlich zu schönen. Das Ziel dabei war einfach: Niemand sollte zu viel über seine wahre Herkunft erfahren. Hitler wollte die alleinige Kontrolle darüber behalten, was er über sich verriet und was davon stimmte. Er untersagte sogar seinem Halbbruder, sich öffentlich als solcher zu bekennen, um nur nichts über sich preiszugeben. Und das funktionierte auch wunderbar! Je weniger die Menschen über Hitler wussten, desto mehr verfielen sie (und mit ihnen die Medien) in den Zwanzigerjahren in Spekulationen, die seinen Mythos weiter befeuerten. Ein weiterer Grund für die Geheimnistuerei war wahrscheinlich auch, dass Hitler die leicht inzestuösen Verwicklungen in seiner Familie verheimlichen wollte. Wohl nicht jeder im Deutschen Reich hätte diese kulturelle Eigenheit der Waldviertler geschätzt. Später kamen aufgrund dieser jahrelangen Geheimniskrämerei sogar Gerüchte auf, einige von Hitlers Vorfahren seien Juden gewesen, was mit ziemlicher Sicherheit reine Erfindung war. So schizophren war dann nicht mal er.
Weder die Kindheit noch die Wiener Jahre spielten konsequenterweise eine große Rolle in der Erzählung, die der „Führer“ ab den Zwanzigerjahren für sich strickte. Dafür nahmen andere Teile seiner Biografie eine umso zentralere Stellung ein, insbesondere der Erste Weltkrieg. An diesem Krieg beteiligte sich Hitler als Meldegänger an der deutschen Westfront, und gegen Ende des Krieges – so behauptete er zumindest störrisch – wurde er auch Augenzeuge des Dolchstoßes, den die linken Aufständischen und Juden dem Deutschen Reich verpassten, während sein Heer auf dem Feld ungeschlagen blieb. Diese „Dolchstoßlegende“ hatte zwar keinerlei Wahrheitsgehalt, wurde in jener Zeit aber gern erzählt und noch viel lieber gehört. Und falls Ihnen das bekannt vorkommt, kann ich nur sagen: Das ist das gesamtstaatliche Äquivalent für eben jenes Kind, das nach seiner Niederlage das „Mensch ärgere dich nicht“-Spielbrett umwirft und die Partie für unentschieden erklärt. Die Deutschen waren noch nie gute Verlierer. Die Kriegszeit, der folgende Aufstieg in der NSDAP, der Putschversuch von 1923 – all das diente später als zentraler Bestandteil des Designs der Hitler-Biografie, wie nur er sie verbreiten durfte und sie auch in „Mein Kampf“ niederschrieb – und bei der Gelegenheit mit zahlreichen Halb- und Unwahrheiten ausschmückte. Über die Jahre und Jahrzehnte haben Hitler und der Propagandaapparat des Nazi-Regimes diese Geschichte immer weiter heroisiert. Hitler wurde im Nachhinein zum Tribun und Volkserlöser aufgebauscht, dessen Bedeutung für Deutschland schon in den Zwanzigerjahren allen klar gewesen sein musste. Nur über die Zeit vor 1914 verlor man wie schon angedeutet kaum ein Wort. Eine souveräne Art, mit der unliebsamen Vergangenheit umzugehen, und eine Taktik, die sich unter Herrschern aller Art auch heute noch größter Beliebtheit erfreut. Konsequent verdrängt Viktor Orbán das Studentenstipendium, das ihm in den späten Achtzigern von seinem heutigen Erzfeind George Soros gewährt wurde. Der ehemalige österreichische Vizekanzler und FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache versteckte Zeit seines politischen Lebens mehr oder weniger erfolgreich seine Jugendjahre im Umfeld von politisch fragwürdigen Gruppierungen. Der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vučić verbirgt seine Zeit als Minister unter Slobodan Milošević, sein bulgarischer Kollege Bojko Borissow seine Karriere als Bodyguard des kommunistischen bulgarischen Machthabers Todor Schiwkow. Nein, das ist kein Witz.
Auch der zweite große europäische Despot des letzten Jahrhunderts, Josef Stalin, bediente sich der „Methode Hitler“. Immerhin hatte er auch so einiges aus seinen Jugendjahren unter den Teppich zu kehren. Der junge Iosebb Dschugaschwili, geboren im völlig unbedeutenden georgischen Städtchen Gori, war nicht gerade von Kindheitstagen an das Urbild eines sozialistischen Revolutionärs. In seiner Jugend besuchte er für längere Zeit eine kirchliche Schule und war auf dem besten Weg, Priester zu werden. Zeitweise war Stalin sogar Klassenbester! Es ist wohl wenig überraschend, dass man darüber in seiner offiziellen Biografie später nichts mehr erfahren konnte. So ganz wollte so eine Geschichte nicht zum sozialistischen Charme passen … Also verschwieg Stalin diese Zeit bereits in seinen frühesten politischen Lebensjahren nach Kräften, und das Resultat war ganz ähnlich wie bei Hitler. Bis in die Zwanzigerjahre hinein galt Stalin auch unter seinen Parteigenossen als „Mann ohne Biografie“ – niemand schien sonderlich viel über diesen Georgier zu wissen, obwohl er sich nun schon seit längerem im inneren Zirkel der Bolschewiki bewegte. Wirklich berühmt wurde der sowjetische Gewaltherrscher aber für eine andere Methode der Biografiekorrektur. Er hatte nämlich die magische Gabe, Menschen um sich herum einfach verschwinden zu lassen! Diese Fähigkeit besaß er sowohl im wörtlichen Sinn, indem sich Leute, die ihm zuvor nahegestanden hatten, plötzlich vor dem Erschießungskommando oder in Sibirien wiederfanden. Er besaß sie aber auch im übertragenen Sinn. Stalin ließ jene Leute, die seiner Gunst verlustig gegangen waren, auch gerne mal aus alten Fotografien entfernen. So wurde zum Beispiel das Bild einer Lenin-Rede aus Revolutionszeiten später „korrigiert“, um die inzwischen in Stalins Kreisen nicht mehr willkommenen Weggefährten Leo Trotzki und Lev Kamenew zu entfernen. Wäre es nicht gar zu aufwändig gewesen, hätte sich Stalin sicher auch selbst in das Foto setzen lassen, aber leider war die Technik hierfür wohl noch nicht ganz ausgereift. Auch die lächerlichsten Kleinigkeiten fielen Stalins Retuschierwahn zum Opfer. Auf einer Postkarte, die eine Szene während der Oktoberrevolution zeigte, war zum Beispiel ursprünglich ein Geschäft im Hintergrund zu sehen, auf dessen Schild „Uhren, Gold und Silber“ angeboten wurden. Der Schriftzug wurde unter Stalin in den Zwanzigern in „Kämpft für eure Rechte“ abgeändert. Warum ein Geschäft im Jahr 1917 so etwas hätte aushängen sollen, hinterfragte offensichtlich niemand. Dass das Ganze stattdessen etwas damit zu tun haben könnte, dass sich in der Sowjetunion kaum jemand Uhren, Gold oder Silber leisten konnte, ist freilich nur üble Spekulation.
Teilweise wurden Fotos in der späteren Sowjetunion sogar gleich mehrmals verändert, um immer wieder auf neue „Erkenntnisse“ zu reagieren. Das geschah zum Beispiel mit einem alten Foto von Lenin und seinen frühen Mitstreitern aus dem Jahr 1897. Ein Genosse namens Alexander Malchenko war auf diesem Foto ursprünglich an der Seite des Parteigründers zu sehen. Als dieser 1930 wegen konterrevolutionärer Umtriebe hingerichtet wurde (die beliebteste Anschuldigung der Sowjets, weil sie wirklich alles und nichts bedeuten konnte), wurde er kurzerhand aus dem Foto entfernt. Drei Jahrzehnte später – nach dem Tod Stalins – erkannte die neue Sowjetführung, dass es sich bei dieser Verurteilung wohl doch um einen Fehler gehandelt haben könnte. Sie fügte Malchenko dem Bild also wieder hinzu. Warum auch nicht? Inzwischen dürfte sich in der Sowjetunion doch wirklich niemand mehr über solche Aktionen gewundert haben. Man kann die Liste der Photoshop-Korrekturen unter Stalin und seinen Nachfolgern noch eine ganze Weile lang fortsetzen. In den Sechzigerjahren wurde etwa ein sowjetischer Astronaut – ähm … Kosmonaut – aus allen offiziellen Fotos gestrichen. Er war nämlich bei einem Trainingsunfall gestorben, den man mit Blick auf die Kontrahenten in den USA vertuschen wollte. Das tat man, indem man schlichtweg behauptete, den Mann habe es nie gegeben. Und einer, den es nicht gibt, kann auch keinen Unfall haben. Eine Strategie, wie sie auch nur die Sowjets verfolgen konnten. Ein weiteres sehr bekanntes Foto, das dem Stalin’schen Photoshop-Pinsel zum Opfer fiel, ist das der roten Fahne, die 1945 nach dem Sieg über Nazi-Deutschland auf dem Berliner Reichstag gehisst wurde. Einer der sowjetischen Soldaten auf dem Foto trug bei der Aufnahme auf beiden Handgelenken je eine Armbanduhr, was nur auf Plünderungen schließen lassen konnte. Das war zwar nicht gerade unüblich, passte aber nicht ins Weltbild der Sowjetführung, die sich ja als Befreier und Verteidiger der menschlichen Zivilisation darstellte. Deshalb retuschierte man die zweite Uhr einfach aus dem Bild. Aber schön zu sehen, dass es für sowjetische Soldaten 1945 doch wieder Uhren und vielleicht sogar Gold und Silber gab.
Es wird Sie nicht überraschen, zu hören, dass sich die Methode Stalin heute noch großer – ja sogar wachsender – Beliebtheit erfreut. Immerhin bietet die digitale Fotobearbeitung ganz andere Möglichkeiten, als das noch unter Stalin der Fall war. Ist Wladimir Putins Oberkörper tatsächlich derart gestählt, wie er in russischen Zeitungen anlässlich eines Ausritts dargestellt wird? Wir werden es wohl nie wissen … Die Frage ist aber ohnehin eher, warum Zeitungen es für nötig erachten, das überhaupt zu drucken. Vielleicht inspirierte sie der gestählte Oberkörper dazu.
Wenn es Sie jetzt auch schon unter den Nägeln juckt und Sie sofort damit beginnen wollen, Ihre Vergangenheit nach allen Regeln der Diktatorenkunst zu retuschieren, möchte ich Sie an der Stelle aber auch warnen. Werden Sie der Fälschung überführt, kann das in der Weltöffentlichkeit ziemlich peinlich für Sie werden. Vorsicht ist also geboten! Andererseits kann es auch peinlich werden, wenn Sie das Retuschieren unterlassen. Die Amtseinführung von Donald Trump (Sie wissen schon: die „größte Menschenmasse der Geschichte“) wäre mit einem passend zurechtgerückten Bild vielleicht doch etwas glaubwürdiger gewesen als mit dem des halbleeren Platzes …
Nun haben wir zwei Tricks der ganz Großen kennengelernt, mit welchen Sie Ihre Biografie so richtig schön auf Vordermann bringen können. Lassen Sie einfach jene Teile Ihres Lebenslaufs weg, die nicht zu Ihrer Geschichte passen, und vernichten Sie jeden Beweis von Weggefährten und Ereignissen, an die Sie nicht erinnert werden wollen. Die beiden brutalsten europäischen Diktatoren des 20. Jahrhunderts kamen schließlich nicht ohne Grund an ihre Position! Aber es gibt auch einen Mittelweg, und wie so oft im weiteren Verlauf dieses Buchs manifestiert sich dieser am deutlichsten an Josip Broz Tito, dem jahrzehntelangen Herrscher über das kommunistische Jugoslawien. Dabei zeichnet sich Marschall Tito im Unterschied zu seinen meisten autokratischen Zeitgenossen generell durch seine Vorsicht aus. Und noch heute wird im ehemaligen Jugoslawien diese kalkulierte Besonnenheit mit Güte verwechselt, was Tito nach wie vor Sympathien einbringt. Diese Charaktereigenschaft war auch der Grund, warum dieser Mann überhaupt erst zur starken Hand auf dem Balkan werden, sich aus dem Orbit der Sowjetunion befreien und zum weltweit angesehenen Staatsmann avancieren konnte. Wohl auch nicht ohne Grund zerfiel sein Reich wenige Jahre nach seinem Tod wieder … Aber lassen Sie sich davon mal nicht die Laune verderben. Tito musste den Zerfall seines eigenen Staates schließlich nicht mehr miterleben. Er starb auf dem Zenit seiner Macht eines natürlichen Todes. Solange Sie das auch schaffen, ist doch alles in Butter. Widmen wir uns also wieder den schönen Dingen im Leben! Tito war nun zwar vielleicht nicht ganz so gütig, wie einige seiner ehemaligen Untertanen das heute noch gerne sehen. Er war aber doch zumindest ein ungewöhnlicher Diktator. Er schuf in Jugoslawien eine verhältnismäßig sanfte Diktatur, die er vor allem mithilfe seines Personenkultes und der Propaganda beherrschte. Damit ist er auch ein phänomenales Vorbild, wenn es um den kreativen Umgang mit der Biografie geht.
Die Umgestaltung der Herkunftsgeschichte beginnt bei Tito schon mit der eigenen Kindheit – das kennen wir ja bereits von Adolf Hitler. Aber Tito toppt den „Führer“ hier. Nicht einmal sein Geburtsjahr ist mit Sicherheit geklärt. Und als würde das noch nicht genügen, kursieren nicht etwa zwei oder drei unterschiedliche Daten, sondern gleich zehn! Nach allem, was man weiß, dürfte der Mann in den frühen 1890ern geboren worden sein, wahrscheinlich irgendwann im Mai. Dass ganz Jugoslawien irgendwann den 25. Mai als seinen Geburtstag beging, ist keine Garantie für die Korrektheit dieses Datums, sehr wahrscheinlich ist es nicht der tatsächliche Tag seiner Geburt. Aber was soll der ganze Trubel, letzten Endes ist es doch völlig egal. Das Kernelement von Titos biografischer Elastizität ist ohnehin ein komplett anderes. Er hat seine Biografie in späteren Jahren nämlich auf de facto vier Jahre reduziert: die Zeit des Partisanenkrieges gegen die deutschen und italienischen Besatzer Jugoslawiens. Zu diesem Zeitpunkt war Tito zwar schon ungefähr (wie gesagt, so sicher können wir uns da nicht sein) fünfzig Jahre alt – über die Zeit davor wurde während seiner Herrschaft aber kaum gesprochen. Wozu auch? Was wirklich zählt im Leben dieses großen Marschalls, fand doch in jenen vier Jahren statt! Tito hatte erkannt: Alle anderen Details um sein früheres Leben würden die Menschen nur von der eigentlichen Geschichte ablenken. Die Zeit als orientierungsloser Jugendlicher, als Soldat der österreichisch-ungarischen Armee im Ersten Weltkrieg, als kommunistischer Zögling in Russland, als Lehrling Stalins … das wollte doch niemand hören! Hören wollten die Menschen von der Legende Tito. Der Marschall, der sich mit seinen treuen Partisanen in den Wäldern und Bergen verschanzte, den Besatzern den Guerillakrieg erklärte und den dann auch noch gewann! Tito setzte als Präsident also alles daran, genau diesen Teil seines Lebens immer wieder hervorzuheben. Das war für ihn auch nicht sonderlich schwierig. Immerhin entstand der Staat Jugoslawien, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1991 existierte, doch aus genau jenem Partisanenkampf. Im Gegensatz zu Hitler und Stalin stand Tito mit seiner Methode vor einer viel leichter zu bewältigenden Aufgabe. Er musste nicht ganze Abschnitte seines Lebens, die Kindheit und Jugendzeit sowie alle anderen unpassenden Augenblicke vertuschen. Genauso wenig musste er krankhaft seine Photoshop-Skills aufbessern und der Bevölkerung ständig neue Versionen alter Propagandabilder vorführen. Tito musste einfach nur immer dieselbe Geschichte erzählen und dafür sorgen, dass sie im Volk hängen blieb. Das war ihm schon während des Kriegs bewusst. So hat sein langjähriger Gefährte Aleksandar Ranković später erzählt, dass Tito immer darauf geachtet hatte, mit ja nichts in Verbindung gebracht zu werden, was später kompromittierend wirken könnte. Er hat nie ein Todesurteil oder den Befehl zur Niederbrennung eines Dorfes unterschrieben. Das heißt aber freilich nicht, dass das nicht geschehen wäre oder er es nicht mündlich angeordnet hätte.
Sein Regime nutzte über die nächsten Jahrzehnte zahlreiche Mittel, um ständig über diese Zeit des Kriegs und Titos Rolle als Partisanenführer zu sprechen und die Erinnerung daran frischzuhalten. Eine davon prägte die Menschen besonders und genießt bis heute ungebrochene Berühmtheit: die jugoslawischen Partisanenfilme. Der Film war Titos Lieblingsmedium. In seinen Residenzen unterhielt er Privatkinos und hatte einen eigenen Angestellten, der die Filme für ihn einlegte und ihn im Kinosaal betreute. Kein Wunder, dass das Medium bald auch für Propagandazwecke Verwendung fand. Und noch viel weniger ist es ein Wunder zu nennen, dass der Partisanenwiderstand zum beliebtesten Thema dieser Filme wurde. Einige der über hundert Produktionen stechen als besonders eindrucksvoll hervor. Das liegt vor allem daran, dass Tito es sich durchaus wert war, für die Filme ausländische Stars zu casten. Kaum etwas war zu teuer, und irgendwie ermöglichte Tito die Finanzierung jedes Mal. Ein Paradebeispiel ist der Film „Sutjeska“ über die Schlacht desselben Namens im Jahr 1943. In der Hauptrolle war kein Geringerer zu sehen als Richard Burton! Ganz ähnlich im Film „Bitka na Neretvi“, Schlacht an der Neretva, der – Sie haben es wahrscheinlich erraten – der Story von „Sutjeska“ einigermaßen ähnlich ist. Aber gut, das zeichnet diese Filme generell aus: Sie fühlen sich alle irgendwie gleich an, was seinen ganz eigenen Propagandawert hatte. Für „Bitka na Neretvi“ wurde unter anderem Orson Welles verpflichtet, und der Film wurde 1970 sogar für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert. Den Erfolg kann man der titoistischen Propagandamaschine also nicht absprechen. Die Dreharbeiten für den Film, die eineinhalb Jahre in Anspruch nahmen und gerüchteweise bis zu zwölf Millionen Dollar verschluckten, wurden von Tito persönlich genehmigt. Er stellte bei der Gelegenheit auch gleich 10 000 Soldaten der jugoslawischen Armee ab, um dem Ganzen einen realistischen Touch zu verleihen. Die absurdeste Entscheidung war aber, dass er es erlaubte, eine voll funktionsfähige Eisenbahnbrücke zu sprengen, anstatt für die Dreharbeiten eine Replik zu bauen. Es sieht halt viel realistischer aus, wenn es echt ist! Und wenn der Diktator sagt, man soll die Brücke für den Film sprengen, dann macht man das auch. Dumm nur, dass die Aufnahmen der Sprengung wegen der entstandenen Rauchwolke letzten Endes unbrauchbar waren, weshalb man sie in einem Studio nachstellen musste. Die Überreste der Brücke – allerdings wohl einer Replik – kann man in Bosnien bis heute bewundern. Ob irgendjemand der Besucher dort auf die Idee kommt, dass Tito vielleicht doch ein exzentrischer Alleinherrscher gewesen sein könnte? Herzallerliebst, wenn Sie das jetzt glauben …
Diese Filme besaßen für Tito einen enormen Wert, der weit über seine persönliche Liebe zum Medium hinausging und die Kosten in seinen Augen auch rechtfertigte. Die Filme erinnerten sein Volk immer und immer wieder an den alten Partisanenkampf, den bei weitem wichtigsten Teil von Titos Biografie. Als Herrscher wollte er immer und überall mit genau dieser Zeit seines Lebens in Verbindung gebracht werden, denn dieser Moment der „Volksbefreiung“ bildete die Grundlage seiner Herrschaft, seines Personenkultes und seines Staates. Hollywood-Stars nach Jugoslawien zu holen, passte außerdem wunderbar ins Bild des luxusverwöhnten Marschalls. Geld war kein Problem für den alten Genossen. Man lebte ja ohnehin auf Pump – wie wir im Verlauf dieses Buches noch sehen werden.
Hitler, Stalin und Tito – drei Namen, die für unterschiedliche Methoden stehen, mit deren Hilfe es Diktatoren in der Vergangenheit gelang, ihre Biografien aufzubessern. Man weiß: Jeder Diktator ist anders. Und das gilt auch für aufstrebende Miniautokraten, wie Sie einer sind. Und doch trifft eines auf jeden zu: Die Biografie ist wichtig! Überlassen Sie es also auf keinen Fall einem anderem, zu beschreiben, wer Sie sind und wofür Sie stehen. Das sollten Sie schon selbst in die Hand nehmen. Welche Methode für Sie persönlich zielführend ist, können Sie problemlos herausfinden. Gibt es Teile Ihrer Biografie, die Sie lieber verheimlichen würden? Dann wählen sie die Methode Hitler und streichen diese überflüssigen Details aus Ihrem Leben. Einige Ihrer derzeitigen Kollegen zeichnen das bereits erfolgreich vor: Viktor Orbán und sein Soros-Stipendium, Aleksandar Vučić und seine Rolle im Milošević-Regime, Heinz-Christian Strache und seine Jugendbekanntschaften … Und seien wir doch ehrlich: Wer von uns hat denn keine Leichen im Keller, die es zu verbergen gilt? Sollte das bei Ihnen nicht der Fall sein, dann sind Sie vielleicht doch kein Diktatorenmaterial. Legen Sie Wert auf das Verschwinden von Zeitgenossen, kann Ihnen eine Prise Stalinismus nicht schaden. Kein Diktator der Welt weist gerne auf die Gehilfen hin, die ihn an seinen Platz gebracht haben. Ein paar Photoshop-Tricks hier, ein paar Erschießungskommandos da, und schwups: Schon sind die unliebsamen Steigbügelhalter verschwunden. Wie immer führen viele Wege nach Rom (oder nach Pjöngjang, wenn Sie wollen). Jeder Diktator ist anders, jede Biografie ist anders und verlangt nach einer anderen Behandlung. Welche ist die Ihre?