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Warum ist eigentlich noch niemand auf die Idee gekommen eine Metaregel einzuführen, die dafür Sorge trägt, dass unser Konsum im Ergebnis fair und Co2- neutral vonstatten geht? Und wer ist eigentlich auf die Idee gekommen, dass der Verbraucher dafür Sorge zu tragen hat, dass ER seinen Konsum fair und Co2-neutral gestaltet? Waren es nicht die Wirtschaftswissenschaften, die Lobby der Handelstreibenden, die durch die Nicht-Zuständigkeit bei dieser Verantwortung mehr Geld für ihren eigenen Konsum generieren konnten? Für den Verbraucher steht seine ihn umgebende (soziale) Nah-Welt im Vordergrund und es gelingt viel zu wenigen die Welt anderswo, will heißen die globalen Auswirkungen ihres Konsums, so im Gedächtnis zu halten, dass Mensch und Natur anderswo kein Schaden keinen Schaden nehmen würden Ich finde, dass wir deshalb eine Meta-regel brauchen, weil der Verbraucher nicht hinreichend in der Lage ist seinen Konsum auf Nachhaltigkeit umzustellen, dies aber gleichzeitig notwendig ist! Von Anbeginn der Evolution waren der Mensch und seine Vorfahren in den engen Bereich der sie umgebenden Nahwelt eingebunden. Auch das Aufkommen des abstrakten Denkens änderte nichts an der empfundenen Einbindung in die sinnlich wahrnehmbare (soziale) Nah-Welt. Wie kann der Staat erwarten, dass vom Verbraucher ein sich Hineinversetzen in geographisch entlegene Bereiche vor einem Fühlen mit der eigenen Nah-Welt favorisiert wird, wenn es einfach nicht der Fall ist, weil die Aufmerksamkeit konkurriert. Kurzzeitig gab es zwar eine Höhergewichtung des rationalen Denkens vor dem Fühlen mit der Nah-Welt. Diese kam aber erst spät in unserer Evolution und auch nur für kurze Zeit auf, und zwar durch die Buchdruckgesellschaft. Für einige Jahrzehnte gab also eine kritische Rezeption des globalisierten Welthandels. Wie anzunehmen, erstarb sie aber wieder in den 1970-er Jahren, also 20 Jahre nach Aufkommen des Farbfernsehens, über die Möglichkeit das nonverbalen Sprachniveau auszudrücken und nicht
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1. Einleitung
2. Neils Postmans: „Das Verschwinden der Kindheit“
2.1. Die Idee der Kindheit
2.2. Die Entstehung der Idee einer Kindheit
2.2.1. Die Zeit vor der Entstehung der Literarität
2.2.1.1. Die Antike
2.2.1.2. Das Mittelalter
2.2.2. Die Druckerpresse und ihre Zeit
2.2.3. 1850-1950: Hochphase der Kindheit
2.3. Das Verschwinden der Kindheit 1950 bis 1980
2.3.1. Über die vom Medium Fernsehen begünstigte Erzählstruktur
2.3.2. Soziale Sitten und Sozialstruktur im Zeitalter der neuen Medien
2.4. Das Verschwinden der Erwachsenheit – 1950 – 1980 und danach
3. Kurze Erklärung der Arbeitshypothese
4. Europa in Antike und Mittelalter
4.1 In der Antike
4.1.1. Verständnis der Erwachsenheit
4.1.1.1. Griechenland
4.1.1.2. Rom
4.1.2. Verständnis der Kindheit
4.1.2.1. Im antiken Griechenland
4.1.2.2. Im alten Rom
4.2. Im Mittelalter
4.2.1. Verständnis der Erwachsenheit
4.2.1.1. Norbert Elias: „Prozess der Zivilisation“
4.2.1.2. Marshall McLuhan: „Die Gutenberg-Galaxis“
4.2.2. Verständnis der Kindheit
4.2.2.1. Kindheit auf dem Land
4.2.2.2. Kindheit in der Stadt
4.2.2.3. Kindheit des Adels
4.2.2.1. Norbert Elias: „Prozess der Zivilisation“
4.2.2.1.1. Pädagogik in der Zeit Erasmus von Rotterdams (1465-1536)
5. Europa in der Hochzeit des Buchdruckzeitalters
5.1. Verständnis der Erwachsenheit im Buchdruckzeitalter
5.1.1. Marshall McLuhan: „Die Gutenberg-Galaxis“
5.1.2. Norbert Elias: „Prozess der Zivilisation“
5.1.2.1. Gesellschaft
5.1.2.2. Umgang mit Sexualität und Körperlichkeit
5.1.2.3. Essen
5.1.3. Böhme und Böhme: Das Andere der Vernunft
5.2. Verständnis der Kindheit im Buchdruckzeitalter
5.2.1. Norbert Elias; „Prozess der Zivilisation“
5.2.1.1. Pädagogik in der Zeit Karl Ludwig von Raumers (1783-1865)
5.2.1.2. Rolle der Kernfamilie
5.2.2. Böhme & Böhme: Das Andere der Vernunft
5.2.3. Marshall McLuhan: „Die Gutenberg-Galaxis“
6. Kritik an Postmans Thesen in „Verschwinden der Kindheit“
7. Wirkungsweise der neuen Medien
7.1. Auf Erwachsene
7.1.2. Bei Elias
7.1.3. Bei Marshall McLuhan
7.1.3.1. Allgemeine Veränderungen durch die Neuen Medien
7.1.3.2. Veränderungen in der Bildenden Kunst
7.1.3.3. Veränderungen in Wissenschaft und Literatur
7.2. Auf Kinder
7.2.1. Positive Würdigung der neuen Medien
7.2.2. IPads in Schulen
8. Veränderungen im 20. Jahrhundert
8.1. Veränderung des Menschenbilds in der Literatur
8.1.1. „Buddenbrooks- Verfall einer Familie“
8.1.1.1. Johann Buddenbrook der Ältere (Generation 1)
8.1.1.2. Jean Buddenbrook (Generation 2)
8.1.1.3. Thomas Buddenbrook (Generation 3)
8.1.2. „Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer“
8.1.3. Exkurs: James-Bond-Filmografie
8.1.4. „Das Glasperlenspiel“
8.1.5. „Homo Faber“
8.2. Veränderungen des Intelligenzbegriffs
8.2.1. Der Binet-Simon-Test (1908/1911)
8.2.2. Erste Erwähnungen einer soziale Intelligenz: 1900 bis 1950
8.2.3. Howard Gardners „Frames of Mind. A theory of multiple intelligences” 1983
8.2.4. Die 90er: Die Idee einer Emotionalen Intelligenz wird Teil des Common-Sense
8.2.5. „Die Weisheit der Vielen“: Nuller Jahre des 21. Jahrhunderts
8.2.6. Gerd Gigerenzer: „Gut Feelings: The Intelligence of the Unconscious”
8.3. Veränderung des Menschenbildes in der Psychiatrie
9. Nachteile der von den neuen Medien geförderten Daseinsstruktur
9.1. Geringere Kompensation der dialektischen Natur des Menschen
9.2. Nachteile einer fehlenden Intellektualität
10. Bewertung der Wirkung von neue Medien auf Kinder
Eine Grundlage, auf die ich mich beziehe, um das Thema des Verschwindens der Kindheit zu erörtern, ist Neil Postmans Buch „Das Verschwinden der Kindheit“. Es war schon bei seinem Erscheinen in den Vereinigten Staaten von Amerika ein großer Erfolg. Heute ist es auf der Internetseite www.amazon.de das fünft-meistgekaufte Sachbuch;1 Insofern ist es, obwohl das Original schon vor dreißig Jahren erschien, auch heute noch ein häufiger Einstieg in die Thematik. Postmans Bewertung die gesellschaftliche Entwicklung zu „Kinder, die sich wie Erwachsene anziehen“ und die durch den Gebrauch von neuen Medien auch über Erwachsenenwissen verfügen, per se zu verurteilen, empfinde ich für unsere heutige Gesellschaft als nicht mehr angemessen. Meine Absicht war es, Vorteile der heutigen Mediensozialisation ausfindig zu machen.
Interessanterweise gab Postman selbst mir einen Aufhänger; er schreibt:
[Das geschriebene Wort] fordert vom Leser eine aggressive Reaktion auf seinen „Wahrheitsgehalt“. […]. Bilder hingegen fordern vom Betrachter eine ästhetische Reaktion. Sie sprechen unsere Gefühle, nicht unseren Verstand an.2
Diesen Aspekt verfolgt er nicht weiter. Im Gegensatz dazu dient er mir als Ausgangspunkt. Mir fiel auf, dass Postmans eigene ablehnende Haltung zu den Wirkungen der neuen Medien in Widerspruch zu diesem Satz steht; mein Ziel war es also, auch die Epoche des Buchdrucks zu beleuchten; Die Epoche des Buchdrucks hat zwar mit einem Verschwinden der Kindheit nichts zu tun; da es mit aber um eine Neubewertung der These des Verschwindens der Kindheit geht, möchte ich durch die Besprechung dieser Epoche Nachteile, die in der Idealisierung des Buchdruckzeitalters gerne übersehen werden, herausstellen.
Die Beleuchtung der Mittelalters könnte insofern interessant sein, als es auch hier keine Idee einer Kindheit gab; mein Fokus, bei der Auswertung der Literatur liegt in dieser Epoche darauf, herauszufinden, inwieweit die Abwesenheit von gesellschaftlichen Kategorien von Kindheit und Erwachsenheit von der Gesellschaft konstruktiv bewältigt wurden;
In der Arbeit arbeite ich viel mit den Begriffen der „analogen“ und „digitalen“ Kommunikation. Eine Begrifflichkeit mit der ich Ohne eine gesellschaftliche Struktur des Erwachsenseins gibt es auch keine Struktur der Kindheit.
Das Bild des Erwachsenseins wird meiner Vorstellung nach in einer Buchgesellschaft dafür geschult den Sachaspekt von Mitteilungen hervorzuheben und den Beziehungsaspekt tendenziell zu vernachlässigen. Diesen Zusammenhang macht verständlich, dass in der Face-to-Face-Kommunikation der Beziehungsaspekt nonverbal, also „nicht-digital“, kommuniziert wird. In einer digitalen Kommunikation nach Watzlawick, wie sie die Schriftsprache darstellt, kann der Beziehungsaspekt, in den die Sachebene in der Faco-to-Face-Kommunikation eingebettet ist, nur schwer dargestellt werden.
Den Begriff „digital“ gebrauche ich in dieser Arbeit im Sinne Watzlawicks; „digitale“ Kommunikation arbeitet im Gegensatz zur „analog-“ verständlichen mit ikonographisch willkürlich gewählten Zeichen als, vereinfachend: intellektuelle Repräsentation eines Gegenstands oder Sachverhalts. So ist zum Beispiel die Buchstabenreihenfolge „k, a, t, z, e“, als Bezeichnung einer Tierart, eine rein willkürliche semantische Zeichenzuwiesung, die, und das ist der entscheidende Punkt, durch ihre Willkürlichkeit gekennzeichnet ist. Das spezifische Tier könnte ebenso gut durch eine andere Buchstabenkombination bezeichnet werden. Im Gegensatz dazu ist eine Abbildung einer Katze „analog“ verständlich; es besteht eine Analogie, eine Ähnlichkeitsbeziehung, zum Dargestellten.3
Die Neuen Medien sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nonverbale Kommunikation analog, also intuitiv verständlich, darstellen können. Durch die Einbettung der Sachebene in die Beziehungsebene relativiert die Beziehungsebene aufgrund der höheren Relevanz, die Individuen ihr beimessen, die Bedeutung der Sachebene.4
Wenn angenommene Bedeutungsverschiebung von der Sach- zur Beziehungsebene gegeben wäre, könnte man dies an Veränderungen der Vorstellungen, wie ein Individuum in der Gesellschaft zu sein hat, sehen. Sollte diese These zutreffen, sollte sich nachweisen lassen, dass sich die Vorstellungen, welche Eigenschaften bei einem Menschen wünschenswert sind, in den letzten hundert Jahren von einer Hervorhebung der Kenntnis der Sachebene zu einer Beachtung der Beziehungsebene verändert hat.
Ich versuche, diese Entwicklung anhand von Indizien-Beweisen zu belegen. Dafür möchte ich untersuchen, welche Eigenschaften, von einem in die Gemeinschaft integrierten Individuum im Laufe der Zeit erwartet wurden. Ich vermute, dass sich die gesellschaftliche Erwartungshaltung von der Forderung sachlich und gesittet zu einer sozialkompetenten Erwartungshaltung verschoben hat. Es sollte sich im Zeitraum der letzten gut hundert Jahre durch die vermehrte Nutzung analog kommunizierender Ton- und Bildmedien eine Verschiebung von einer sach-orientierten Erwartungshaltung zu einer die Beziehungsebene einbeziehenden Erwartungshaltung feststellen lassen.
Ich versuche diese Entwicklung neben der Auswertung der Bücher von Intellektuellen zu diesem Thema auch durch eigene Auswertungen zu belegen. Ich untersuche drei Bereiche:
Ich nehme an, dass ein Roman besonders erfolgreich ist, wenn sich eine breite Masse mit der Persönlichkeit des Protagonisten oder aber mit der Handlung identifizieren kann. Ich nehme unabhängig von der Handlung an, dass zumindest ein Mindestmaß an Identifikationspotential mit dem Protagonisten gegeben sein muss. Ich versuche anhand ausgewählter Romane in der Literatur eine Entwicklung zu einem Menschenbild nachzuweisen, das primär auf eine Beachtung des Beziehungsaspekts ausgerichtet ist. Die Weltsicht der Protagonisten sollte sich im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts von einer primär rational geprägten, zu einer emotionalen Weltsicht entwickeln.
Ich untersuche die Veränderung, die die Intelligenz in der wissenschaftlichen Debatte erfahren hat. Nach meiner Vermutung sollte sich feststellen lassen, dass sich die Sicht der Intelligenz von der Fähigkeit Sachverhalte intellektuell zu verstehen zu einer erweiterten Definition entwickelt hat.
Drittens versuche ich die von der Gemeinschaft im Laufe der Zeit erwünschten Eigenschaften herausfinden zu können, indem ich untersuche, wie psychisch Kranke bewertet wurden. Wird diesen primär ein Fehlen der Fähigkeit rational zu handeln oder primär ein Fehlen emotional auf andere einzugehen im Sinne einer Krankheitsbeschreibung zugewiesen.
2. Neils Postmans: „Das Verschwinden der Kindheit“
Das Buch von Postman besteht aus zwei großen Teilstücken. Im ersten Teilstück behandelt Postman die Entstehung der Kindheit im zweiten deren Verschwinden. Die Grundstruktur wird hier wiedergegeben.
Kinder wurden nicht immer als Kinder wahrgenommen. Bis etwa zur Mitte des sechzehnten Jahrhunderts wurden Menschen ab dem siebten Lebensjahr als Erwachsene eingestuft; ab diesem Alter konnte sie nach gängiger Meinung das mit Abstand wichtigste Medium, die gesprochene Sprache, in gleichem Maß wie die Erwachsenen verstehen.5
Durch die Schriftkultur wurde es notwendig Lesen und Schreiben zu lernen. Das Verstehen der gesprochenen Sprache war damit nicht mehr das einzige Kriterium dafür als Erwachsener zu gelten. Kinder, die davor als erwachsen galten mussten nun die Schriftsprache erlernen; die Erwachsenheit6 wurde durch diese Notwendigkeit zu einer Stufe symbolischer Leistung; zugerechnet wurden ihr nun nur noch Menschen, die den Erwerb der Schriftsprache erfolgreich gemeistert hatten.
Unbesehen seiner vorschnellen Verurteilung der neuen Medien gibt Postman einen brauchbaren Einstieg in die Thematik;
Nach Ansicht Postmans sind in der Antike einige Faktoren, die eine Kindheit als eigene Sozialphase ermöglichen, gegeben. Es gab Schulen. Kinder wurden zwar nicht so früh eingeschult wie heute; man lernte erst im Jünglingsalter lesen.7 Aber sowohl im antiken Griechenland als auch im antiken Rom war man sich der Besonderheit von Kindern bewusst. Die Römer hatten ein ausgeprägtes Gefühl der Scham gegenüber Kindern, ihr Verständnis einer Kindheit ging weit über das der Griechen hinaus; erst die Renaissance kam wieder zu einem ähnlichen Verständnis;8 Postman: „Es ist das bleibende Verdienst der Römer, daß sie – freilich nicht alle und nicht in genügender Zahl – diesen Zusammenhang erfaßt haben.“9
Diese Scham ist ein entscheidendes Kriterium für eine Kindheit im kulturellen Sinne.
Man betrachte z. B. den Fall des Sprachverhaltens. Es ist noch nicht lange her, da gebrauchten Erwachsene bestimmte Wörter nicht in Anwesenheit von Kindern, und umgekehrt erwartete man von diesen, daß sie solche Wörter nicht in Anwesenheit von Erwachsenen gebrauchten. Dabei war es unerheblich, ob die Kinder solche Wörter aus anderen Zusammenhängen kannten. Die gesellschaftliche Sitte verlangte, in der Öffentlichkeit den Unterschied zwischen der symbolischen Welt des Erwachsenen und der des Kindes zu wahren. Diese dem Mittelalter unbekannte Gepflogenheit war mehr als bloß eine freundliche soziale Fiktion. In der sprachlichen Zurückhaltung des Erwachsenen spiegelte sich ein soziales Ideal, die Bereitschaft nämlich Kinder gegenüber der gefühllosen, niedrigen oder zynischen Gesinnung, die in brutaler oder obszöner Sprache so oft anklingt, in Schutz zu nehmen. Und in der Zurückhaltung der Kinder spiegelte sich ein Verständnis für ihren Platz innerhalb der sozialen Ordnung und besonders dafür, daß sie nicht berechtigt waren, derlei Gesinnungen öffentlich zum Ausdruck zu bringen. […] Diese Gepflogenheit [der sprachlichen Rücksichtnahme] ist so rasch verfallen, daß diejenigen, die sich heute noch beachten, als „verschroben“ gelten. Wie es scheint, sind wir wieder im 14. Jahrhundert angekommen, als es keine Wörter gab, die man als untauglich für das Ohr eines Kindes erachtete.10
Aber genau diese sprachliche Rücksichtnahme ist erforderlich, denn sie ist ein Kennzeichen des Umgangs mit Mitgliedern der gesellschaftlichen Kategorie „Kind“.
Obwohl also in Rom Scham gegenüber Kindern ausgeprägt war, gibt es aber durchaus Faktoren, die die Ansicht, dass man sich der Besonderheiten von Kindern bewusst war, relativieren.
So wurden Kinder in der Antike geschlagen. Ihnen wurden also vielleicht nur bedingt Fehler, zum Beispiel aufgrund fehlender Fertigkeiten, zugestanden;
Außerdem gab es weder moralische noch gesetzliche Richtlinien, die eine Kindstötung geahndet hätten. Aristoteles kritisierte diese Praktik zwar, wandte sich aber nicht mit aller Entschiedenheit gegen sie.11 Erst im vierten Jahrhundert nach Christus kommt es, siebenhundert Jahre nach Aristoteles Wirken, in Rom zu einem Verbot der Kindstötung.12
Trotz alledem ist die Kindheit als soziales Konstrukt in Griechenland, stärker noch in Rom, stärker ausgeprägt als im Mittelalter, in der sich diese Ideen verlieren.
Die Katholiken verbieten das Lesen, aber in den protestantischen Regionen Europas boomt die Lesekultur. Es entsteht eine beachtliche Anzahl von Schulen. So besuchten in Frankreich im Jahr 1627, also 159 Jahre nach der Erfindung des Buchdrucks 1468, annähernd 40.000 Kinder eine Schule. Zur selben Zeit soll die Fähigkeit eine Bibel in der Landessprache zu lesen bei der männlichen Bevölkerung Englands bei 40% gelegen sein.13
Anfangs wurden die Schüler in den Schulen aufgrund ihrer Lesefähigkeit einer Klasse zugeordnet. Mit der Zeit ging man dazu über Schüler den Klassen nach ihrem Alter zuzuteilen. Auch die Erziehung „wurde einigermaßen starr an das kalendarische Alter der Kinder geknüpft.“14
Im Mittelalter war das primäre Medium die Sprache; Menschen galten mit sieben Jahren als Erwachsen, denn ab diesem Alter konnten sprachliche Äußerungen so gut geäußert und verstanden werden, dass es keinen signifikanten Unterschied zu Erwachsenen gab. Auch die katholische Kirche stufte Personen ab sieben als dem „Alter der Vernunft“ zugehörig ein; sie erwartete von diesen Personenkreis eine in ihren Maßstäben richtige Unterscheidung zwischen gut und böse.15
Die Schreib- und Lesefähigkeit der Bevölkerung war im Mittelalter deutlich geringer als dies in der Antike der Fall war.
Mit eine Ursache ist, dass die Schriftgelehrten wesentlich verschnörkelter schrieben; auch Interpunktionen und Abstände zwischen einzelnen Wörtern wurden nur sporadisch genutzt. Dies erschwerte das Entziffern des Geschriebenen. Das Entziffern des zu lesenden Schriftstücks muss dabei in solchem Maße erschwert gewesen sein, dass die Gelehrten mit äußerster Sorgfalt Silben, in stotterndem Duktus wiederholten, um das Geschriebene nachzuvollziehen.16 Außerdem war der Verwaltungsapparat der römisch-katholischen Kirche wenig daran interessiert dem Volk das Schreiben beizubringen. Denn die römisch-katholische Kirche verdiente an denen, die dem Lesen und Schreiben nicht fähig waren und aufgrund fehlender alternativer Weltsichten weiterhin zur Kirche gingen oder ihre Abgaben leisteten, gut. Durch das dadurch gewonnene Deutungsmonopol konnte die römisch-katholische Kirche die Weltvorstellung, Organisation und Loyalität des Volkes kontrollieren.17
Im Mittelalter galt man als Siebenjähriger als Erwachsener. Und zwar als Siebenjähriger, weil das Sprachverständnis von Siebenjährigen ausreicht, um sprachliche Äußerungen hinreichend gut wie ein Erwachsener zu verstehen. Weil im Mittelalter fast ausschließlich durch gesprochene Sprache kommuniziert wurde, gab es keinen Grund zwischen Kindern mit vollendeten Spracherwerb und Erwachsenen zu unterscheiden. Es gab bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein auch keine Möglichkeit sprachlich zwischen einem Jungen und einem Mann zu differenzieren.18
Im Mittelalter gab es keine Grundschulen. Es gab zwar Schulen, aber in diesen wurde ohne Unterscheidung des Alters gelernt. Ein Kennzeichen der Schule ist, dass auch während des Schuljahres neue Schüler hinzukamen. Wenn neue Schüler hinzukamen wurden die bis dahin besprochenen Unterrichtsinhalte wiederholt, was einen konzeptionellen Aufbau des Unterrichtsstoffes in der Praxis erschwerte.
Auch ein anderer Punkt sprach gegen die Ausbildung einer gesellschaftlichen Kategorie der Kindheit. Kinder lernten keine sozialen Verhaltenskodizes kennen. Dies liegt wohl darin begründet, dass die Manieren allgemein eher rau waren. In der Familie als auch in Herbergen aß man aus einer Schüssel, gleichgültig, ob es Suppe oder feste Gerichte gab. Es gab kaum Tischmanieren. Auch Erwachsene stießen bei Tisch auf und dienten Kindern bezüglich eines manierlichen Benehmens nicht als Vorbild. Nach Postman bilden Manieren das positive Gegenstück zu Verboten; beides war im Mittelalter weder für Kinder noch für Erwachsene signifikant ausgebildet. Auch in puncto Scham wurden Kinder nicht besonders beachtet. So galt es bloß als derber Spaß mit den Geschlechtsteilen von Kindern zu spielen.19
Es gab zu jener Zeit aber auch einen ganz elementaren Punkt der gegen eine Ausbildung einer emotionalen Beziehung zu Kindern sprach. Die Kindersterblichkeit war im Zeitalter des Mittelalters sehr hoch. Die kurze Lebenserwartung sprach selbstredend gegen die Ausbildung einer starken emotionalen Beziehung zu jungen Kindern. Die hervorzuhebende Stellung und herausragende Wertschätzung die für eine Kindheit als sozialpsychologisch-relevante Lebensphase vonnöten ist, wurde ihnen aber nicht zuteil.
Durch die Innovation der Druckerpresse kam eine signifikante gesellschaftliche Umstrukturierung in Gang. In früherer Zeit war das Individuum nicht besonders hervorhebens-wert sondern fungierte lediglich als Teil der Gemeinschaft. Durch das Medium des Buchdrucks trat die Möglichkeit des Individuums sich an die Nachwelt zu wenden in Erscheinung;20 schon mit der Frage, wer den Buchdruck erfunden hat, kommt es zu der ersten großen Debatte um die Leistung eines Einzelnen.21
Um die Veränderungen des Buchdrucks begreiflich zu machen, führt Postman an dieser Stelle Innis an. Nach Harold Innis führt eine Veränderung der Kommunikationstechnik zu drei verschiedenen Folgeerscheinungen: es kommt zu einer Veränderung des „Wesens der Gemeinschaft“, die dieses Medium nutzt: die sich kollektiv ausbreitende Idee einer Individualität könnte als Beispiel dafür dienen. Eine zweite Wirkung eines neuen Mediums ist es nach Innis, dass das neue Medium zu einer Veränderung der verwendeten Symbole, hier der digital kodierten Schriftsprache, kommt. Drittens kommt es zu einer veränderten „Struktur der Interessen“.22 Bei dieser kann man meiner Meinung nach zwischen zwei Möglichkeiten differenzieren; einerseits neu entstehende Möglichkeiten seine Interessen zu befriedigen, zum Beispiel Bücher über Kunst zu lesen, andererseits kommt es auch zur Entstehung neuer Interessengebiete, die aus der Technik des neuen Mediums entstehen, dies könnten sein: Die Beschäftigung mit Drucktechniken oder in heutiger Zeit die theoretische und praktische Informatik.
Postman greift noch ein paar weitere Aspekte auf, die das Bild der Mediensozialisation im Mittelalter erhellen.
So schreibt er, dass man ab dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts Kinder in ein spezifisches sogenanntes „Kindergewand“ kleidete.23 Außerdem entwickelten sich die literarischen Gattungen der Kinderheilkunde sowie Kinderbücher. Um 1780 hatten sich viele Berufsschriftsteller der Herstellung dieser neuen Genres, wie auch der Herstellung von Jugendbüchern verschrieben.24
Parallel zur Entstehung der Kindheit nahm auch die moderne Familie Gestalt an. Das entscheidende Ereignis dafür war, führt Postman Ariès an, die Einführung und „Ausweitung“ der formalen Schulerziehung.25 Die nun längere formale Ausbildung veränderte auch das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern;26 die Eltern mussten nun, ich finde dies ist ein Schlüsselfaktor, für die Ausbildung der Kinder aufkommen, was eine nicht unerhebliche Last war. Die Einführung von Kindermode verstehe ich als „demonstrativen Konsum“, der die finanzielle Möglichkeit sich die Sozialphase „Kindheit“ leisten zu können, demonstrativ nach außen kommuniziert.27 VERWEIS AUF GRUENES BUCH SECUEKLE REVOLUTIOM Allen voran in der Ära der Industrialisierung konnte die Verwirklichung dieser Sozialphase nicht von allen Einkommensschichten realisiert werden.28
Mit der Ausbreitung der Kindheit kam es zu verschiedenen geisteswissenschaftlichen Bewertungskonzepten gegenüber dieser neu-entstandenen sozialen Kategorie. Locke, dessen Ansicht die Institution Schule bis heute maßgeblich bestimmt, war der Auffassung, dass das Kind eine tabula rasa ist und der Erziehung also größter Wert beizumessen ist. Das noch ungeformte Kind sollte nach seiner Auffassung durch das Lernen von Lesen und Schreiben und durch das Erlernen sozialer Gepflogenheiten zu einem vollwertigen Mitglied der Gesellschaft gemacht werden; man nennt sein Bild von Kindern „protestantische Auffassung der Kindheit“;29
Das von Rousseau geprägte romantische Bild der Kindheit sieht die Grundeigenschaften eines Kindes durchweg positiv. Für ihn stellt sich die Situation nicht so dar, dass das Kind zu einem Mitglied der Gemeinschaft erzogen werden muss, er ist vielmehr der Meinung, dass das Kind sich, wenn man die schädlichen Einflüsse der Erwachsenen minimiert, selbst dahingehend entwickeln wird.
Im Zeitalter der Erfindung des Buchdrucks ereigneten sich neben dem Buchdruck noch andere Ereignisse, die die Weltsicht dieser Zeit stark beeinflussten. So wurde der amerikanische Kontinent, 1492, also nur gut zwanzig Jahre nach der Erfindung des Buchdrucks entdeckt. Die unvermittelte Ausweitung der bekannten Welt rief Neugier auf ein noch unbekanntes Land hervor; der Buchdruck wurde also „ungeduldig erwartet“.30
Mit der Entstehung des Buchdrucks 1468 kamen bald die ersten Druckerwerkstätten auf und innerhalb von fünfzig Jahren wurden 8 Millionen Bücher gedruckt. Ein Mann namens Aldus Manutius war ein wichtiger Drucker in jener Zeit. Die Hälfte seiner Arbeiter waren griechische Auswanderer und Flüchtlinge, und Manutius machte es sich zur Aufgabe alle griechischen Autoren zu übersetzen und zu drucken.31 „Um die Zeit als Aldus [Manutius] starb, ebnete die Druckerpresse auch den Weg für den ersten Journalisten, den ersten literarischen Erpresser und den ersten Massenhersteller von Pornographie - die alles vereint in der Person des Pietro Aretino.“32 Auch wenn uns diese Namen heute nicht mehr geläufig sind, damals dürften sie weithin bekannt gewesen sein.
Während die Bedingungen der handschriftlichen Kultur den Narzissmus, durch ihre Verwurzelung im Lokalen, in Schach hielten, ebnete die Druckerpresse der Selbstbeweihräucherung bald Tür und Tor. So feiern Montaignes Schriften, die im von ihm erfundenen essayistischen Stil gekonnt seine eigene Persönlichkeit in den Vordergrund rücken, sein liebstes literarisches Thema: ihn selbst.
Dieses Hervortreten des Individuums aus seiner sozialen Umwelt, brachte aber auch höher geschätzte Errungenschaften als bloße Selbstbeweihräucherung in den Schriften hervor. Denn das Hervorheben einer Individualität wurde zunehmend auch auf jüngere Altersgruppen angewandt. Und der Versuch der Hervorhebung der Individualität von Kindern führte zu der Idee einer sozialen Kategorie der Kindheit.33
„Indes, der Individualismus allein hätte die Institution der Kindheit nicht hervorbringen können, sie bedurfte vielmehr einer Grundlage, die zwingend gebot, die Menschen in unterschiedliche Kategorien einzuteilen.“34 Und ein augenscheinliches Kriterium für eine Unterscheidung von Menschen bestand in der Zeit des aufkommenden Buchdrucks in der Entwicklungsstufe der Fähigkeit zu lesen.
Das Kommunikationsmedium des Buchdrucks hatte aber noch andere Folgen. Denn der Buchdruck verändert die Vorherrschaft des Lokalen. Nur was gedruckt ist zählt. Dies führt auch mit bedingt durch die schriftlichen Verträge, die in dieser Zeit einen großen Boom erleben, zu der Notwendigkeit belesen zu sein. Lernt der Mensch durch den „Anti-sozialen“ Akt des Lesens sich selbst als ein von seiner sozialen Umwelt abgegrenzten Menschen zu verstehen? Das Leben im Hier und Jetzt, im Unmittelbaren und Lokalen wird durch das Aufkommen des Schriftkundigen Literatus relativiert.35
Die Hochphase der Kindheit datiert Postman auf die Zeit zwischen 1850 und 1950.36 Aber schon der Beginn der Hochphase der Kindheit fiel nach Postmans Auffassung mit dem Anfang seines Verschwindens zusammen. Denn in etwa zur Zeit des Beginns der Hochphase der Kindheit entwickelte Morse seinen Telegraphen;37 damit legte er den Grundstock einer durch elektronische Medien übermittelten Kommunikation. Diese Erfindung und vor allem die daraus weiterentwickelten Möglichkeiten technisch übermittelter Kommunikation, sei es nun einseitig wie durch das Fernsehen oder beidseitig, sollten für die Gesellschaft nicht ohne weitreichende Folgen bleiben.
Durch die Technik der Telegraphie kam es zwar zu einer großen Zunahme von Nachrichten. Bei diesen handelte es sich aber, und dies ist für unsere Fragestellung relevant, um anonyme, ihres Kontexts beraubte Informationen.38 Die Technik der Telegraphie ist meiner persönlichen Meinung nach eher mit dem Buchdruck als mit den neuen Medien zu vergleichen. Der entscheidende Unterschied, der sie in die Nähe des Buchdrucks rückt, ist die rein digitale Kommunikationsweise im Sinne Paul Watzlawicks.39
Parallel zur elektronischen Revolution ereignete sich auch die optische Revolution.40 Die daraus hervorgehenden Plakate, Karikaturen und Reklamen stellten die Vorherrschaft der Literarität auch im öffentlichen Raum in Frage. Diese optische Revolution relativierte vor allem in ihrer Verbindung mit dem Fernsehen, durch die Einbeziehung analoger Kommunikation im Sinne Watzlawicks.41
Die optische und elektronische Revolution blieb nicht ohne Folgen für die sie benutzenden Gemeinschaften. Denn während das Wort eine aggressive Reaktion auf seinen Wahrheitsgehalt fordert, fordern Bilder, wie sie sich ab hier immer mehr durchsetzten, eine emotionale Reaktion.42 Und während Lesen, wie schon Postman ausführt, einen anti-sozialen Akt darstellt, in dem sich der Leser seiner menschlichen Umwelt vorenthält, ist eine emotionale Reaktion, so viel lässt sich hier sagen, leichter mit der Einbindung in die soziale Umwelt zu vereinbaren. Dies ist an sich noch kein Wert an sich; ob und inwiefern dies problematisch ist, wird hier noch besprochen werden.
Das Fernsehen eroberte sich ab 1950 einen festen Platz in den amerikanischen Haushalten.43 Dieser Zeitpunkt wird von Postman als Beginn der neuen Medienära der neuen Medien eingestuft; Dies ist insofern interessant, so Postman, als sich im Medium des Fernsehens optische und elektronische Revolution erstmals vereinen. Für die Mediennutzer unterscheidet sich das Medium des Fernsehens dadurch von den vorhergehenden, als es das erste ist, das nicht nur in einer Momentaufnahme, zum Beispiel auf einem Plakat einen analogen Ausschnitt aus der Wirklichkeit wiedergibt sondern fortlaufend; das Zeiterleben der analog kommunizierenden, beziehungsweise, analog auf einen wirkenden, Wirklichkeit kann in diesem Medium also nicht nur einen Moment sondern eine zeitliche Abfolge wiedergeben, beziehungsweise konstituieren.
Dadurch, dass es mit bewegten Bildern und gesprochener Sprache operiert, ermöglicht es ein unmittelbares Verstehen, das durch die Darstellung einer zeitlichen Abfolge, weit über den analog zu kommunizierenden Inhalt eines Plakats oder einer Karikatur hinausgeht; ein wichtiger Faktor, der außerdem die Konstitution von Informationen ermöglicht ist die gesprochene Sprache; dies ist für die Relativierung des Kindheitsbildes der Buchdruckkultur insofern relevant, als auch dadurch Informationen kommuniziert werden können, die den Wissenshorizont, der Kindern traditionell zugestanden wird, übersteigen.
Durch die Darstellung von Bildern kombiniert mit gesprochener Sprache ist das Fernsehen analog, das heißt auch Kindern unmittelbar, verständlich. Es bedarf, dies stellt Postman heraus, keiner Unterweisung um seine Form zu begreifen, was wie ich anmerken möchte, durch die analoge Kommunikation, die in intuitiv verständlichen bewegten Bildern und ebenso intuitiv verständlicher gesprochener Sprache operiert. Es stellt weder an das Denken noch an das Verhalten komplexe Anforderungen. Und es gliedert sein Publikum nicht; Ich finde man darf anmerken, analog kommunizierenden Medien fehlt eben durch die analoge, das heißt intuitiv verständliche, Kommunikation die Möglichkeit ein Publikum zu gliedern.
Da das Fernsehen sein Publikum nicht gliedert, haben auch Kinder Zugang zu Informationen, die davor Erwachsenen vorbehalten waren. Dies könnte immer noch ein nur theoretisch relevantes Phänomen sein, wenn Kinder in der Praxis nur für sie geeignete Sendungen mitverfolgen würden. An dieser Stellt führt Postman aber eine sehr interessante Statistik an, die eben diese Verhalten von Kindern in Frage stellt. In der Erhebung geht es die Anzahl von Kindern, die am späten Abend fernsehen. Hier stellte sich die Erhebung für die USA wie folgt dar:
Ich möchte […] darauf hinweisen, daß an jedem Abend des Jahres annähernd 3 Millionen Kinder (im Alter von zwei bis elf Jahren) zwischen 23 Uhr und 23 Uhr 30 vor dem Fernseher sitzen; [diese Zahlen beziehen sich auf die Vereinigten Staaten von Amerika] zwischen 23 Uhr 30 und Mitternacht sind es 2,1 Millionen […] und zwischen 1 Uhr und 1 Uhr 30 immer noch knapp unter 750 000.44
Diese Zahlen beziehen auf das Erscheinungsjahr der englischen Originalausgabe: also auf das Jahr 1982.
Das Medium des Fernsehens begünstigt durch seine visuelle Repräsentation von bewegten Bildern Fernsehformate die die Fähigkeit des Fernsehens mit bewegten Bildern zu operieren auch nutzt. Dies dürfte der Grund sein, warum es nur wenige Fernsehsendungen gibt, die ohne Einblendung von Filmen lediglich das Geschehen im Studio wiedergeben. Mit persönlich fallen spontan nur zwei Formate ein, die sich auf das Zeigen des Geschehens im Studio beschränken: dies sind der „Presseclub“ in der ARD und das „Philosophische Quartett“, das zum Beispiel regelmäßig auf BR alpha ausgestrahlt wird. Diese beiden Sendungen verzichten auf die Darstellung von Gedanken im Modus der Story, wie dies in anderen Informationssendungen gemacht wird. Postman gibt eine Erklärung, die erhellt, warum das Medium Fernsehen so viel mit intuitiv verständlicher, analoger Kommunikation operiert, und auf Diskussionen, außerhalb des Modus der Story, verzichtet.
„Aber der wichtigste Aspekt des Fernsehens ist ohne Zweifel der, den ich hier hervorzuheben versucht habe – den größten Teil seiner Inhalte drückt es in Bildern aus, nicht in Sprache. Und deshalb muß es notwendigerweise auf die Exposition, auf den Modus der Erörterung verzichten – zugunsten eines narrativen Modus. Daher rührt die nahezu unerschöpfliche Kraft des Fernsehens zu unterhalten. Es ist das erste wirkliche Theater der Massen […] weil im Fernsehen fast alles die Form […] einer Story, und nicht eines Arguments oder einer Gedankenfolge annimmt. Politik wird zur Story; Nachrichten […] [,] Wirtschaft und Religion werden zur Story; […] die Wissenschaft wird zur Story.“45
Die meisten Sendungen, die im Fernsehen im Abendprogramm ausgestrahlt werden, sind für Kinder, abgesehen der angeführten Beispiele, gut zu verstehen. Bei diesem Medium ist es laut Postman also nicht mehr der Fall, dass Kinder nicht die Möglichkeit haben mit Erwachsenenthemen in Kontakt zu kommen.46Dass diese Möglichkeit davor nicht gegeben war, zweifle ich an; ein Unterschied ist vielleicht, dass Kinder durch dieses neue Medium in viel stärkerem Umfang mit diesen Themen in Kontakt kommen. Ein Beispiel das mir dazu einfällt sind die seit den neunziger Jahren vielmals tagsüber ausgestrahlten Talkshows, die diverse Themen ausführlich behandeln; auch diese übrigens ein Beispiel eines Sendungsformat, das lediglich das Geschehen im Studio darstellt. Der Unterschied zur Buchdruckkultur könnte sein, dass es unter dem Medium Fernsehen zu einer gesamtgesellschaftlich relevanten Gewöhnung von Kindern an diese Themen; vormals tabuisierte Themen werden jetzt von so vielen Kindern gesehen, dass anzunehmen ist, dass das Wissen über Themen unter ihnen kaum noch ein Geheimnis war.
Die Story ist, das sollte man anmerken, das Format, das vom Fernsehen als spezifisches Medium am meisten begünstigt wird, beziehungsweise dasjenige Format, in dem die Möglichkeiten des Mediums seine Zuschauer genug Reize zu vermitteln um sie nicht zu langweilen, und darin scheint eine Hauptursache für den Fernsehkonsum zu liegen, am besten ausgeschöpft wird.
Postman führt hierzu einige Aspekte an, die die Wirkung des Fernsehens erklären helfen. Eine weitere wichtige Eigenschaft des Fernsehprogramms einer Sendeanstalt ist es, dass sein Überleben von Werbeeinnahmen abhängt; insofern muss es um Zuschauer anzuziehen, interessant bleiben. Dies geschieht einerseits durch die bevorzugte Erzählform der Story, aber auch durch das Aufgreifen vormals tabuisierter Themen. Themen wie Geisteskrankheit, Homosexualität und Tod werden dadurch nicht mehr vor der Öffentlichkeit versteckt und tabuisiert. Es werden über das Fernsehen allerdings auch Kinder mit diesen Themen bekannt gemacht. Postman macht keinen Hehl daraus, dass er der Entwicklung zu Erwachsenen-Kindern47 mit Skepsis, mehr noch mit Ablehnung gegenübersteht;
Durch die neuen Medien verlieren die sozialen Sitten an Bedeutsamkeit. Im Zeitalter der Literarität sie verpflichtende Normen. Die Literarität forderte, durch die Notwendigkeit still zu sitzen und sich zu konzentrieren, ein hohes Maß an Selbstbeherrschung und Befriedigungsaufschub. Auch die sozialen Konventionen dieser Zeit bilden einen günstigen Rahmen um die Literarität zu fördern. Denn sie fordern „die Unterwerfung des Körpers unter den Geist“. Durch die Begünstigung einer geistigen Daseinsstruktur schaffen soziale Konventionen, die die Unterwerfung des Körpers unter den Geist fordern, einen idealen Rahmen, um die Beschäftigung mit Bücher-Wissen zu fördern.48
„Die neuen Medien bewirken [aufgrund ihrer allgemeinen Verständlichkeit], daß die Unterschiede zwischen den Altersgruppen überflüssig erscheinen, und arbeiten insofern der Idee einer differenzierten Sozialordnung entgegen.“49
Früher nahm man auf Kinder Rücksicht und sagte keine „unanständigen Worte“ vor ihnen. Und Kinder sagten keine „bösen Worte“ vor Erwachsenen, weil es ihnen nicht erlaubt war, dies zu tun. Aber solche sprachliche Rücksichtnahme wird immer weniger. Und dies auch aus gutem Grund: Denn die Annahme, dass diese „schmutzigen Wörter“ schon bekannt sind, trifft wahrscheinlich zu.
Der Wunsch Kinder vor dieser „gefühllosen, niedrigen oder zynischen Gesinnung, die in brutaler oder obszöner Sprache so oft anklingt“50 in Schutz zu nehmen ist nachvollziehbar. Und es fällt mir schwer dies nur als nostalgische, überkommene Verhaltensweise anzusehen. Die Entwicklung, die die neuen Medien ausgelöst haben, ist aber in vollem Gange, und die Vergangenheit herbeizuwünschen würde nichts daran ändern. Vielleicht ist die neue Weltsicht, die sich daraus für Kinder ergibt, nicht so stark von Nachteil für die Kinder wie Postman damals annahm.
Auch das Konstrukt der Erwachsenheit könnte durch die neuen Medien bereichert werden. Das Bild der Erwachsenheit fungiert als Gegenstück zu einem Entwurf der Kindheit. Das sogenannte „Bild einer glücklichen Kindheit“ fungiert dabei als Inbegriff eines Kindheitsbildes. Die Erwachsenheit hingegen wird essentiell von ihrer Selbstbeherrschung bestimmt.51 Einen anderen Satz, den Postman zur Beschreibung der Erwachsenheit sagt, beschäftigt sich mit der Darstellung von Erwachsenen im Fernsehen; nach seiner Auswertung ist das Bild der Erwachsenheit essentiell bestimmt durch Ernsthaftigkeit, Streit und Kummer.52
Diese Ansicht war nicht nur 1982 verbreitet; dem traditionellen Bild der Erwachsenheit wird auch heute noch dieselbe Daseinsstruktur zugesprochen. So äußerte auch ein vierzehnjähriger Befragter in einer Videosequenz im Projektseminar über das Verschwinden der Kindheit von Professor Dr. Pollak eine ähnliche Ansicht über sein Verständnis von Erwachsenheit. Dies sind zwar nur einige Beispiele, insgesamt stellt sich mir die Erwachsenheit als Gegenentwurf zur Kindheit als essentiell durch ihre Ernsthaftigkeit bestimmt dar; obwohl Postman dies scheinbar wahrgenommen hat, heißt er die Vermischung der gesellschaftlichen Konstrukte von Erwachsenheit und Kindheit mit keiner Silbe gut.
Eine Erwachsenenkultur der Ernsthaftigkeit ist der Erlernung geistiger Tätigkeiten förderlich; vielleicht könnte eine auf Literarität fußende Kultur ohne eine auf Ernsthaftigkeit ausgelegte Erwachsenheit, die für die Beschäftigung mit digitalen Bücherwissen nötige Motivation gesamtgesellschaftlich nicht hinreichend generieren. diese Sichtweise änderte sich erst mit dem Aufkommen des Kind-Erwachsenen53, wie Postman ihn charakterisiert, und den ich in meiner Sozialisationsgeschichte bis jetzt ab idealtypischsten in der Fernsehfigur des Charly Sheen in „Two and a half men“ charakterisiert finde; ich verfolge die Serie nicht, mir ist aber öfter aufgefallen, dass Sheen aus dem Stehgreif Lieder mit belanglosem Inhalt improvisiert. Inwieweit dies relevant werde ich in der jetzt folgenden Charakterisierung des Kind-Erwachsenen kurz aufschlüsseln.
„Ohne klare Vorstellung davon, was es bedeutet Erwachsener zu sein, kann es auch keine klare Vorstellung davon geben, was es bedeutet Kind zu sein.“54 Und so wie die Kindheit durch Menge und Inhalt vorher nicht zugänglicher Informationen relativiert wird, wird die Erwachsenheit durch die neuen Medien ebenfalls relativiert. Auch Postman äußert dazu Aspekte, die diese Entwicklung verdeutlichen. Ein Aspekt, in dem Erwachsene ihr Verhalten dem von Jungendlichen anpassen ist die Ernährung;
So besteht erstens nach Postman in den Ernährungsgewohnheiten von Jugendlichen und Erwachsenen „kein Unterschied mehr“. Früher sagte man, dass nur die Mägen von jungen Leuten für Fast Food geeignet wären. Aber schon 1982 aßen nach Postmans Einschätzung Erwachsene genauso viel Fast Food wie Jugendliche.55
Auch der Kleidungsstil von Erwachsenen gleicht sich ebenfalls denen von Jugendlichen und sogar Kindern an. Bequeme und nicht unbedingt erwachsen wirkende Mode wie Turnschuhe und Sportkleidung sind längst gesellschaftlich anerkannt. Uns sogar sogar Schuhe im Stil von Kinderlackschuhe werden dazugehörigen weißen Söckchen von besonders modebewussten Frauen getragen.56
Ein anderes Gebiet in dem Erwachsene ein Verhalten ausbilden, dass dem von Kindern und Jugendlichen gleicht, ist das Sprechverhalten. Dies wird einerseits im Sprachniveau erwachsener Sprecher und der von ihnen dargestellten Figuren in Film und Fernsehen deutlich, so Postman. Es zeigt sich aber auch darin, dass Erwachsene sprachliche Wendungen, die von Jugendkulturen benutzt werden, übernehmen.57
Kinderlieder sind schon lange kein Gegenstand medialer Darstellung von Kindheit mehr. Was mir in diesem Zusammenhang aufgefallen ist, dass heute umgekehrt Figuren in Fernsehsendungen, die ihrem Alter nach der Erwachsenheit zuzuordnen wären, ihre Rolle durch das Singen von Liedern bereichern; und ihre soziale Umwelt auf diese Weise erfreuen. Meiner Beobachtung nach handelt es sich dabei zumeist um unsinnige Lieder deren Text aus dem Stehgreif improvisiert wird; ich führe dies deshalb an, weil früher dies ein Verhalten ist, dass man früher eher Kindern zugesprochen hätte. Postman führt zur Erklärung der Verschiebung des Bildes der Erwachsenheit Harold Innis Aufschlüsselung der Wirkungen von Medien an.
Nach Harold Innis führt eine Neueinführung einer Kommunikationstechnik zu drei verschiedenen Folgen:
So führt das Medium des Buches zu einer Förderung der Intellektualität. Dieses Interesse an der Intellektualität wirkt sich auch auf den Charakter der Symbole, mit denen gedacht wird, aus.
Durch das Medium des Fernsehens kommt es zu der Verschiebung. Denn während das Wort eine aggressive Reaktion auf seinen Wahrheitsgehalt fordert, fordert das Bild eine emotionale Reaktion.59 Diese emotionale Reaktion fungiert auch als Charakter von Symbolen, mit denen gedacht wird. Während es in der Buchgesellschaft zu einer Reaktion auf der Sachebene kommt, wird durch die emotions-näheren neuen Medien eine Reaktion auf der Beziehungsebene begünstigt. In Büchergesellschaft gibt es auf der gesellschaftlichen Ebene soziale Regeln, die bis zu einem gewissen Grad verpflichtend sind. Dadurch, dass der Einzelne an soziale Regeln gebunden ist, kann er seinen Gefühlen eben nur bedingt Ausdruck verleihen. Zumindest insofern, als dieses Gefühle zeigen nicht mit seiner sozialen Rolle in Einklang steht.
Die bildhaften, eine emotionale Reaktion begünstigenden neuen Medien, fordern eine emotionale Reaktion. Auch dies wird, denke ich, auf der gesellschaftlichen Ebene deutlich. Meiner Meinung nach kommt es neben der in persönlichen BeziehungenUnd zwar dadurch, dass soziale Regeln, die eine emotionale Reaktion behindern, nicht mehr als verpflichtende Norm angesehen werden.
Dieses [das geschriebene Wort] fordert vom Leser eine aggressive Reaktion auf seinen „Wahrheitsgehalt“. Vielleicht ist man nicht immer in der Lage, eine solche Prüfung vorzunehmen – aber theoretisch ist sie möglich […]. Bilder hingegen fordern vom Betrachter eine ästhetische Reaktion. Sie sprechen unsere Gefühle, nicht unseren Verstand an. Sie fordern uns auf zu empfinden, nicht zu denken.60
Obwohl dieser Satz aus Postmans Buch einen positiven Einfluss der neuen Medien nahelegt, ist Postmans intentionale Bewertung die eines negativen Einflusses.
Einige Textstellen im Buch von Neil Postman lösten in mir die Vermutung aus, dass eine Gutenberg-Galaxis einen rationalistisch färbenden Einfluss auf Individuen und Gemeinschaft hat. Eine entscheidende Textstelle im Buch „Das Verschwinden der Kindheit“ war für mich dabei, dass das geschriebene Wort eine aggressive Reaktion auf seinen Wahrheitsgehalt fordere. Dieser Aspekt leuchtete mir ein. Denn Schriftstücke kommunizieren im Sinne Watzlawicks ausschließlich in digitaler Kommunikation. Nonverbale Kommunikation, die in der Face-to-Face-Kommunikation als Metarahmen fungiert, lässt sich digital nur schwer darstellen. Meine Hypothese ist, dass es zu einer Gewöhnung an rein digital kommunizierende Medien, wie sie in der Rezeption von Büchern vorliegt, kommen kann. Eine Gewöhnung kann dazu führen, dass auch außerhalb der „Interaktion mit dem Buch“, durch Gewöhnung an diese Daseinssturktur, die Sachebene betont wird; Ich nehme an, dass die Wahrscheinlichkeit umso größer, je mehr Zeit mit diesem Medium verbracht wird. Die Fokussierung auf die Sachebene sollte also, von Personen, die viel mit Büchern arbeiten, bis zu einem gewissen Grad auch in zwischenmenschlichen Interaktionen reproduziert werden.