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Seit November 1985 tritt in Ostberlin ein ominöser Telefonanrufer in Erscheinung, der sich als Mitarbeiter der »Neuen Fernseh-Urania« ausgibt, Frauen und Mädchen sexuell belästigt – und Kinder zum Mord oder Selbstmord anstiftet. Im Mai 1977 lauert ein Mann der Raumpflegerin des Postamtes 14 in der Wassergasse in Berlin-Mitte auf – und erbeutet 70.000 Mark. Am Tatort hinterlässt er einen Brief ‒ er ist überzeugt, nie gefasst zu werden. In Senftenberg wird im Mai 1979 gegen Karlheinz Blaurock ermittelt, der die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt. Warum setzt der Arzt bei nächtlichen Einbrüchen das Leben anderer Menschen aufs Spiel? Remo Kroll und Frank-Rainer Schurich rekonstruieren in bewährter Form auf Basis der originalen Akten die realen Tathergänge, analysieren die Ermittlungsansätze, lassen die Leser an der spannungsreichen Aufklärungsarbeit teilhaben und beweisen abermals: Verbrechen lohnt sich (doch) nicht!
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Seitenzahl: 239
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Remo Kroll und Frank-Rainer Schurich
Postraub am
Spreekanal
und zwei weitere authentische Kriminalfälle aus der DDR
Bild und Heimat
Vorwort
In unserem Buch Die Tote von Wandlitz stellen wir drei spektakuläre Mordfälle aus der DDR vor, die alle einen Bezug zur Gegend um die Gemeinde Wandlitz haben. Die Verbrechen, über die wir im Buch Tötungsdelikt Gisela G. berichten, spielen alle in Berlin, der Hauptstadt der DDR. Nunmehr schildern wir in Postraub am Spreekanal drei Kriminalfälle, die sich in der DDR in den Jahren 1977 bis 1979 in Berlin-Mitte sowie in Gera, 1979 in Senftenberg und 1985 bis 1987 in Berlin-Marzahn ereigneten. Zu allen Fällen liegen aussagefähige Kriminalakten vor; außerdem haben wir die Fachliteratur, zeitgenössische Lexika und Zeitungsarchive bemüht. Es wird also im Sinne der Wahrheitsfindung wieder rundum spannend werden.
Allerdings treten in diesem dritten Band unserer authentischen DDR-Kriminalfälle die Tötungsdelikte ein wenig zurück. Im Marzahner Verbrechen (fünf Mordversuche) und im Senftenberger Fall (ebenfalls multiple Mordversuche) wird zwar das Thema Morduntersuchung in der DDR behandelt, doch es gibt keine Toten. Und das war für die potentiellen Opfer ja auch gut so.
Der Postraub in der Wassergasse in der Nähe des Spreekanals ist hingegen ein schweres Raubdelikt, inszeniert von einem hochintelligenten Täter. Es wäre als perfektes Verbrechen in die Kriminalgeschichte eingegangen – hätte sich der Räuber nicht einem Kumpel anvertraut. Dieser war Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit und half durch seine Informationen entscheidend mit, den Verbrecher zur Strecke zu bringen.
Nicht unerwähnt soll bleiben, dass zwei der hier sezierten Fälle den Stoff für Filme der bekannten DDR-Krimireihe Polizeiruf 110 lieferten.
Wie für unsere anderen Bücher haben wir uns ohne Rücksicht auf die Staubentwicklung durch die Akten gewühlt, jede Seite und zusätzlich authentische Zeitungsartikel gelesen und ausgewertet. Wir rekonstruieren die Begehungsweisen genau, analysieren die Ermittlungsansätze und stellen die zum Teil sehr überraschende Aufklärung der Kriminalfälle dar. Wir fragen nach den Tätern, nach ihren Biographien, nach ihren Vorstrafen und Motiven. Wir schildern, was die Opfer erlitten haben, und kommen immer wieder auf die Gedankenarbeit der Kriminalisten zurück, die zunächst mit Hypothesen, Versionen oder Vermutungen arbeiten müssen. »Wir stellen Vermutungen an«, sagt Kommissar Wallander im Buch Mord im Herbst von Henning Mankell. »Ich tue es … Weil wir nichts wissen. Aber die Vermutungen können uns helfen voranzukommen. Auch wenn sie sich später als falsch erweisen.« So fragen wir auch nach Ermittlungsfehlern, aber nie besserwisserisch, weil falsche Fährten untrennbar mit der zuweilen sehr komplizierten und komplexen kriminalistischen Arbeit verbunden sind. Nur der, der einem Verbrecher halbherzig auf der Spur ist und nichts unternimmt, wird keine Fehler machen.
Und wir haben versucht, das zu beherzigen, was der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger am Schluss seiner literarischen Biographie Hammerstein oder Der Eigensinn. Eine deutsche Geschichte so brillant formulierte: »Wie jeder Kriminalist aus bitterer Erfahrung weiß, sind die Aussagen von Augenzeugen nicht immer für bare Münze zu nehmen. Selbst gutwillige Berichte fallen nicht selten lückenhaft oder widersprüchlich aus. Geltungssucht und Schönfärberei können ebenso Verwirrung stiften wie ein schwaches Gedächtnis oder blanke Lügen. Mit den schriftlichen Quellen sieht es nicht besser aus. Das Wort Dokument suggeriert eine Glaubwürdigkeit, mit der es oft nicht weit her ist. Memoiren aus großem zeitlichem Abstand leiden unter den Schleifspuren der Vergesslichkeit. Noch das geringste Problem ist die glatte Fälschung; man kann sie entlarven. Schon eher stört die spezifische Mischung aus Pedanterie und Schlamperei, die in entwickelten Bürokratien üblich ist. Noch gefährlicher wirken sich politisch motivierte Verzerrungen aus. Ganz besondere Vorsicht ist angebracht, wo es … um Quellen aus der Sphäre der Geheimdienste geht.«
Die Namen der Täter, Opfer und Zeugen sowie einige Handlungsorte haben wir aus personenrechtlichen Gründen verändert. Für die so neu erfundenen Namen erklären der Verlag und die Autoren, dass Personen mit diesen Namen in den behandelten drei Kriminalfällen niemals existiert oder agiert haben. Übereinstimmungen sind rein zufällig.
Zitate aus den Originaldokumenten, zum Beispiel aus Gutachten und Vernehmungsprotokollen, sind wie die dazugehörige Dokumentenquelle oft kursiv gesetzt. Dadurch ist im Sinne einer besseren Lesbarkeit auf den ersten Blick sichtbar, welche Details und Aussagen zitiert wurden. Die Abbildungen sind bis auf einige Ausnahmen den Akten der BStU entnommen. Bei der Nutzung anderer Quellen weisen wir bei den jeweiligen Bildern darauf hin.
Wir danken allen sehr herzlich, die unser Projekt unterstützt haben, namentlich Frau Christel Brandt von der BStU für die Bereitstellung der Akten, Herrn Rainer Rau und Herrn Jürgen Brühmann für die freundliche Bereitstellung des Panoramafotos von Marzahn und der Multicar-Abbildung.
In diesem Buch treten wieder fachlich sehr gut ausgebildete Kriminalisten auf, die sich das Ziel gesetzt haben, Straftaten aufzudecken, zu untersuchen und aufzuklären. Sie wurden von dem Willen getragen, auch mit einer exzellenten kriminalistischen Denk- und Praxisarbeit die Wahrheit festzustellen und die Täter zu überführen. Das ist in allen drei Fällen beeindruckend gelungen. Zudem können viele der Berichte und Protokolle heute noch in der Ausbildung von Kriminalisten verwendet werden, sozusagen als Musterakten für die künftigen Untersucher, Fahnder und Ermittler.
Remo Kroll und Frank-Rainer Schurich
Der Telefonmörder von Marzahn
»Fernseher und Telefon werden mitgeliefert, als Verbindungsfäden mit den unwirklichen Welten hinter uns, vor uns«, schrieb der US-amerikanische Schriftsteller John Updike in seiner brillanten Erzählung Wie man Amerika gleichzeitig liebt und verlässt. Diese unwirkliche Welt gab es wider Erwarten auch in Berlin, der Hauptstadt der DDR, in der dieser unheimliche Kriminalfall spielt. Wir schreiben das Jahr 1985, als alles begann, und wir befinden uns in Marzahn.
Dieser Stadtbezirk wurde 1979 aus den östlichen, sich bis an die Berliner Stadtgrenze erstreckenden Teilen des Stadtbezirkes Lichtenberg sowie aus einem nach Norden angrenzenden Abschnitt des Stadtbezirkes Weißensee gebildet. Die Ortsteile waren im Norden Marzahn und Hellersdorf, in Süden Biesdorf, Kaulsdorf und Mahlsdorf. Seit 1976 wurde in Marzahn kräftig gebaut. Es war das umfangreichste Bauvorhaben der DDR, und es war geplant, eine neue Stadt für mehr als 150 000 Einwohner zu errichten, und zwar auf dem westlichen Teil dieses Territoriums, südlich und nördlich des ehemaligen Angerdorfes Marzahn.
Das war eine gewaltige Aufgabe, die neue Stadt wuchs und wuchs. Mit einer ausgefeilten Infrastruktur: Schulen, Kindergärten, Kinderkrippen, Kaufhallen, Gaststätten, Läden und Clubs für Jugendliche und Senioren schossen wie Pilze aus der Erde, ebenso das notwendige unterirdische Geflecht, das die Menschen und Häuser mit Strom, Wasser und Abwasser verband. Es entstanden neue Verkehrsverbindungen: eine S-Bahnstrecke, Straßenbahn- und Buslinien, und im Jahr 1985 wurde mit dem Bau der Verlängerung der U-Bahn-Linie E (heute U5) für die Nahverkehrserschließung des Neubaukomplexes Kaulsdorf und Hellersdorf begonnen. Es deutete alles darauf hin, dass vor diesem neuen Stadtbezirk eine gute Zukunft liegen würde.
Panorama von Marzahn. Foto: Rainer Rau
Die Ausstattung mit Telefonen durch die Deutsche Post war in Berlin-Marzahn allerdings genauso schlecht wie im übrigen Gebiet der DDR. Das Fernsprechbuch der Hauptstadt der DDR aus dem Jahr 1986 umfasste 557 Seiten, und wer ein privates Telefon besaß, konnte froh und glücklich sein. Aber wie dieser Kriminalfall zeigt, war es nicht immer ein Glück, über ein Telefon zu verfügen.
»Das Fernsehen brachte die Mörder zurück in die Wohnungen, da werden sie gebraucht«, hat der englische Filmregisseur und Autor Alfred Hitchcock einmal gesagt. Und wir beweisen mit dieser Kriminalgeschichte, dass auch das ganz normale Telefon in Ausnahmefällen den Hang auslöst, mörderisch in Wohnungen einzudringen, sozusagen als Verbindungsfaden mit den unwirklichen Welten. Das hat Meister Hitchcock schon selbst erkannt, wie uns sein Thriller aus dem Jahr 1953 mit dem Titel Bei Anruf Mord zeigt. Also nicht nur Fernseher, auch das Telefon …
In Marzahn wohnten auch Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, des MfS, von denen viele einen Telefonanschluss hatten. Ein Mitarbeiter der Hauptabteilung Personenschutz (HA Personenschutz) des MfS verfasste am 30. April 1986 seinem Vorgesetzten eine aufsehenerregende Meldung:
Am 4. April 1986 circa 6.10 Uhr und am 29. April 1986 circa 9.00 Uhr wurden ich bzw. meine Frau von einer unbekannten Person angerufen. Die Person gab sich als Mitarbeiter des Fernsehens der DDR, Urania-Umfrage II, 1199 Berlin, Rudower Chaussee 23, aus. Angeblich suche er Teilnehmer für eine Jugendaufklärungsveranstaltung. Bei Angabe der Adresse werden zwei Eintrittskarten zugeschickt. Das Gespräch am 4. April 1986 wurde von mir mit der Begründung »kein Interesse an der Teilnahme« abgebrochen und meine Frau darüber informiert. Auf den Anruf am 29. April 1986 ist meine Frau näher eingegangen, um Informationen zur Person zu gewinnen. Folgende Angaben konnte sie machen:
– junge Stimme, männlich
– zwischen 20 und 30 Jahre
– ohne offensichtliche Dialektfärbung
– keine grammatikalischen Fehler
– gewählte Ausdrucksformen, fließende Gesprächsführung ohne Stockungen
– wahrscheinlich akademische Bildung
– routinehafter Eindruck
Der Anrufer versprach bei Beantwortung einer Reihe von Fragen den Gewinn eines Farbfernsehgerätes. Meiner Frau ist an der Gesprächsführung Folgendes aufgefallen: Anfangs wurden scheinbar harmlose Fragen, dann Einzelfragen zu äußerst detaillierten Angaben des intimen Geschlechtslebens, zwischendurch immer wieder zur Auflockerung harmlose Fragen gestellt.
Nach Ansicht meiner Frau wurde das Gespräch möglicherweise auf Band aufgezeichnet, da die Fragen schnell der Antwort folgten. Zum Abschluss des Gespräches verlangte der Anrufer, dass selbst onaniert und ihm die Zeitdauer vom Beginn bis zum Eintritt des Orgasmus genannt werde. Bei Ablehnung dieser Handlung kann das tragbare Farbfernsehgerät nicht gewonnen werden, sondern nur die Eintrittskarten. Der Anrufer betonte mehrfach den wissenschaftlichen Charakter des Gespräches. Er garantierte die »selbstverständliche Einhaltung des Datenschutzes bei dieser Umfrage«. Die Angabe unserer Wohnanschrift wurde mit der Begründung »Wir ziehen demnächst um, und die genaue Anschrift ist noch nicht bekannt« unterlassen.
Eine Nachfrage bei der Fernseh-Urania, Tel. Nr. 6314245, Kollegin Runkelbach ergab, dass bereits mehrfach Bürger wegen dieser angeblichen Veranstaltung nachgefragt hätten. Von Seiten des DDR-Fernsehens wird eine derartige Sendung oder Veranstaltung nicht durchgeführt. Die Kollegin Runkelbach versicherte, dass die Angelegenheit weitergemeldet wird. Zwecks Rückfragen der VP gab ich ihr die private Telefonnummer.
Am 1. Juni 1986 erhielt der genannte Mitarbeiter der HA Personenschutz einen weiteren Anruf. Alle drei hier erwähnten Telefonate sind auf der später von der Kriminalpolizei im Präsidium der Volkspolizei, Dezernat X, erarbeiteten Liste nicht erfasst worden. Über das dritte Gespräch meldete der Mitarbeiter:
Am 1. Juni 1986 gegen 18 Uhr wurde Unterzeichnender erneut von einer unbekannten Person, die sich als Mitarbeiter der Urania ausgab, angerufen. Als Grund wurde die Durchführung einer Jugendaufklärungsveranstaltung angegeben, zu der eine telefonische Umfrage durchgeführt wird. Die Beantwortung der Fragen am Telefon wurde von mir abgelehnt und der Vorschlag unterbreitet, sich persönlich zu treffen. Ein Treffen in der Wohnung wurde von mir ebenfalls abgelehnt und ein Gespräch in einer gastronomischen Einrichtung in Marzahn 3 vorgeschlagen. Der Anrufer nannte daraufhin das Café Nordspitze an der Otto-Winzer-Straße. Zu einer Terminvereinbarung kam es nicht, da der Anrufer das Gespräch sofort nach der Nennung des Treffortes abbrach. Genaue Angaben zum Anrufer sind nicht möglich. Als ziemlich sicher kann ich angeben, dass die Person aus dem Berliner Raum stammt, ohne aber vordergründigen Berliner Dialekt zu sprechen. Weiterhin kennt sich die Person in Marzahn aus, da er recht genau sagen konnte, wo dieses Café ist.
Im Aufgang Bärensteinstraße 19 waren alle Mieter um ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis bemüht. Man war sehr froh, in einer hellen und modernen Wohnung zu leben, und man half immer, wenn jemand Hilfe benötigte. Die Wohnungen waren bezahlbar, eine Betriebskostenabrechnung existierte nicht, und es gab eine Hausgemeinschaft, die alles kollektiv regelte, zum Beispiel Reparaturen und vor allem das Zusammenleben, das sich freundlich, kulturvoll und zukunftsorientiert gestaltete. Es wurden Hausfeste und Feiern für die Kinder, so zum Internationalen Tag des Kindes am 1. Juni, organisiert.
Um gegenseitige Hilfe ging es auch am 19. September 1986, als die Lehrerin Ulrike Konrad gegen 18.25 Uhr bei ihrer Nachbarfamilie klingelte, auf deren Türschild kurz und knapp Hasselbach stand. Die Eltern waren aber nicht zu Hause, nur die Kinder Ralph und Richard, der die Tür öffnete. Frau Konrad quälte sich nun schon ein paar Tage mit einer Grippe herum und fragte, ob sie sich Nasentropfen ausleihen könne. »Natürlich«, sagte der zehnjährige Richard. »Na klar, ich weiß, wo die stehen. Wir sind ja auch mal krank.«
Ulrike Konrad hörte, wie Ralph, elf Jahre alt, gerade im Wohnzimmer telefonierte. »Jetzt kommt sie!«, rief er sichtlich erleichtert und lief auf den Flur, um der Nachbarin hastig mitzuteilen: »Frau Konrad, jemand vom Fernsehen ist am Telefon, er macht eine Umfrage von der Fernseh-Urania. Es sollen Fragen von einer erwachsenen Frau beantwortet werden, und dafür gibt es zwei Eintrittskarten für die Fernseh-Urania. Man kann sogar ein Farbfernsehgerät gewinnen!« Und nach einer kleinen Pause: »Würden Sie ans Telefon gehen und so tun, als wären Sie meine Mutter? Sie können ja was gewinnen!«
Frau Konrad stellte sich am Telefon nicht vor, sagte mehr fragend »Ja?« und vernahm am anderen Ende der Leitung eine höchst sympathische Stimme. Nett, suggestiv und vertrauenserweckend. Ein seriöser Mann zwischen 30 bis 35.
Dieser Mann, der in einer sehr ruhigen Stimmlage, mittlerer Tonhöhe und akzentfreiem Deutsch (»reinstes Schriftdeutsch« – das gab die Deutschlehrerin dann später zu Protokoll) sprach, stellte sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter der beliebten DDR-Fernsehsendung Urania vor und bat Ulrike Konrad, an einer Befragung zum Sexualverhalten teilzunehmen. Der Datenschutz sei natürlich gewährleistet, die Angaben würden niemals veröffentlicht werden, Anonymität sei zugesichert. »Sind Sie bereit mitzumachen?«
Als der Mann keine Antwort hörte, schob er nach: »Wollen Sie sich die Karten und den Fernsehapparat in Adlershof abholen, oder sollen wir Ihnen das zuschicken?« Jetzt sah es also so aus, als hätte Ulrike Konrad schon einen Fernseher gewonnen!
»Schicken Sie mir das alles zu«, meinte sie jetzt. Das war so gut wie eine Einwilligung zur Teilnahme an der Befragung.
Frau Konrad hatte an der Hochschule in Zwickau studiert, und ihr waren solche Umfragen durchaus vertraut. Es wurden dadurch schließlich neue sozialwissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen, und das konnte doch gar nicht schlecht sein. Auch an ihrer Hochschule wurde der Datenschutz streng beachtet, wenn die Studenten im Rahmen der Ausbildung Fragen zur Ideologie und Kultur usw. beantworten mussten.
Durch den Anrufer wurden dann die folgenden Fragen gestellt:
– Alter?
– Körpergröße?
– Haarfarbe?
– Farbe der Schambehaarung?
– Größe des Büstenhalters?
– Durchmesser der Brustwarze?
– Wann entwickelten sich die Geschlechtsmerkmale im Schambereich, wann die Achselbehaarung?
– Mit welchem Alter erster Geschlechtsverkehr?
– Wann erste Selbstbefriedigung?
– Momentan einen festen Partner?
– Wie häufig monatlicher Geschlechtsverkehr?
– Wie viele Koituserlebnisse täglich?
– Welche Stellung beim Geschlechtsverkehr wird bevorzugt?
Ulrike Konrad stieg die Röte ins Gesicht, sie begann zu schwitzen und versuchte, leise zu reden, damit die Jungen der Nachbarin so wenig wie möglich mitbekamen. Sie antwortete mit »ja« oder »nein«, nannte Ziffern und Zahlen, aber wohl war ihr nicht bei diesen Fragen und ihren Antworten. Bei den Stellungen kam sie ein wenig ins Schleudern, denn sie war schon eine aufgeklärte Frau, aber alle diese Begriffe waren ihr in dieser Situation nicht gegenwärtig.
Der nette Anrufer kam ihr entgegen, denn er bot jetzt einige Stellungen an, zu denen sie nur »ja« oder »nein« sagen brauchte:
– Frau unten, Mann oben?
– Im Stehen?
– Frau oben, Mann unten?
– Von hinten im Stehen?
– Von hinten im Hocken?
Ulrike Konrad hoffte nun, dass die Fragerei zu Ende ist, aber der freundliche Herr fragte unbeirrt weiter:
– Gibt es noch andere Stellungen, die im Geschlechtsleben bevorzugt werden?
– Werden noch andere Varianten der Befriedigung durchgeführt?
– Manueller Kontakt?
– »Cunnilingus«?
– Einführen des männlichen Geschlechtsteils in den Mund der Frau?
»Stopp«, stöhnte Frau Konrad, »mit diesen Begriffen kann ich wirklich nichts anfangen. Ich glaube, wir sollten jetzt Schluss machen.«
»Aber nein, Verehrteste«, hauchte der Mann, »ich erkläre Ihnen alles. Der ›Cunnilingus‹ ist die Reizung der Geschlechtsorgane der Frau mit Lippen, Zähnen und Zunge. Sozusagen der Genitalkuss. Der ist schon ganz alt. Es gibt sogar eine altrömische Plastik, die Faun und Nymphe heißt. Der Faun macht das auch mit der Nymphe.«
»Ach so, das habe ich nicht gewusst.«
»Nicht schlimm, deshalb erkläre ich Ihnen ja alles.«
Nachdem Ulrike Konrad diese Fragen beantwortet hatte, wollte der Mann noch mehr wissen:
– Erregt Sie mehr ein schlaffes oder ein steifes Glied?
– Stellen Sie sich manchmal nackte Männer vor?
– Haben Sie das Bedürfnis nach Geschlechtsverkehr, wenn ein nackter Mann im Fernsehen zu sehen ist?
– Können Sie einen nackten Mann vom Fenster aus beobachten? Wenn ja, haben Sie dadurch das Bedürfnis nach sexueller Befriedigung?
– Sie sind doch zurzeit allein und Ihr Mann ist bei der Nationalen Volksarmee? Wenn das so wäre, haben Sie dann häufiges sexuelles Verlangen und führen manchmal auch manuelle Selbstbefriedigung durch?
– Befriedigen Sie sich jetzt selbst?
Nach diesen heißen Fragen interessierte den netten Herrn, ob Ulrike Konrad einen Fernseher besitzt. Als sie die Frage verneinte, meinte er, jetzt erkläre sich, warum sie so gewissenhaft und wahrheitsgetreu bei der Umfrage der Fernseh-Urania mitmache. Zwischenzeitlich hatte sie die Nachbarskinder in ihr Zimmer geschickt und die Wohnzimmertür geschlossen.
»So«, sagte der Mann von der Fernseh-Urania, »zum Schluss noch ein kleines Experiment, um die verschiedenen Reizschwellen zu testen. Ich selbst werde mich jetzt ausklinken, also nicht mehr mithören, und die Anweisungen, die ich Ihnen jetzt gebe, müssen Sie unbedingt befolgen. Alles Nachfolgende wird von einem Computer eingespeichert, aufgezeichnet und ausgewertet.«
»Und was sind das nun für Anweisungen?«
»Das ist ganz einfach. Setzen Sie sich ganz bequem hin, legen Sie Ihr Geschlechtsteil frei und manipulieren Sie sich selbst mit den Fingern. Kurz vor dem Höhepunkt müssen Sie unterbrechen, um nach einer kleinen Pause wieder von vorn zu beginnen. Wenn Sie sich dann wieder selbst befriedigen, holen Sie bitte Ralph herein. Den müssen Sie über die Wissenschaftlichkeit des Experiments aufklären. Wenn er das verstanden hat, müssen Sie sich im Beisein des Kindes bis zum Höhepunkt stimulieren. Dabei ist der Kontakt mit dem Kind sehr, sehr wichtig, weil dadurch die Hemmschwelle durch den Computer ermittelt werden kann.«
Nach den gegebenen Anweisungen war die Stimme sofort weg, und der Mann legte nach kurzer Zeit auch den Hörer weg. Nun schwante es Ulrike Konrad, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugehen konnte. Obwohl niemand zu hören war, versuchte sie, den Kontakt wiederherzustellen.
»Hallo? Hallo? Sind Sie noch dran? Melden Sie sich doch! Das Experiment überschreitet meine Kompetenzen! Hören Sie, was ich gesagt habe? Melden Sie sich doch bitte!«
Niemand meldete sich.
»Hören Sie, dieses Experiment überschreitet meine Kompetenzen! Sagen Sie doch etwas!«
Niemand sagte etwas. So vergingen sieben, acht Minuten. Dann meldete sich die Stimme wieder, ganz freundlich. Der Mann erklärte, dass das Kind die Handlungen nicht verstehe. »Es liegt an Ihnen, das Kind aufzuklären. So ist das nun einmal bei diesem Experiment.«
»Ich bin doch nur die Nachbarin, ich bin gar nicht die Erziehungsberechtigte, das ist ein glatter Irrtum. Verstehen Sie das? Ich darf das Kind gar nicht aufklären.«
Der Anrufer ließ sich vom Jammern und Barmen Ulrike Konrads nicht aus der Ruhe bringen. »Beginnen Sie bitte jetzt mit dem Experiment. Und Sie wissen ja, es wird alles beobachtet und aufgezeichnet. Das verstehen Sie doch, oder?«
Dann legte er auf.
Am 21. September 1986 wurde Ulrike Konrad von der Kriminalpolizei in Marzahn als Geschädigte und Zeugin vernommen. Hier erklärte sie am Schluss der Vernehmung:
Zum anliegenden Sachverhalt möchte ich erwähnen, dass ich wirklich auf das Gespräch eingegangen bin und die Anweisungen, bis zu dem Kind, habe ich alle befolgt. Den Hörer hatte ich dabei am Kopf, und ich sollte dabei die einzelnen Phasen meiner Empfindungen erläutern, was ich nicht tat, da es nicht ging. Bevor die Sache mit dem Kind kam, wurde ich gefragt, ob ich fertig bin, worauf ich mit »ja« antwortete. Bei meinen Handlungen machte ich keine Geräusche am Telefon.
Hinzufügen möchte ich noch, dass folgende Fragen gestellt wurden, die mir bei meinen ersten Angaben entfallen waren:
– Wer hat mich aufgeklärt?
– Wie alt war ich da?
– Ob ich auch über Onanie aufgeklärt worden bin?
– Wie sich mein Lustgefühl äußert?
– Vergleich des Lustgefühls aufgrund des Anrufes mit dem aus der Vergangenheit?
Es gibt ein Buch mit dem Titel »Liebe und Sexualität bis 30«, und darin sind Experimente enthalten mit Jugendlichen und Erwachsenen, wobei die Fragestellungen mit denen des Anrufers fast deckungsgleich sind.
Mir kam der Anrufer als ein sehr gebildeter Mensch vor, und die Darstellungen sind so überzeugend gewesen, als wenn wirklich ein Experiment stattfindet. Den Eindruck, dass sich der Mann von meinen Darstellungen selbst befriedigt, hatte ich in keiner Weise. Auch hatte ich den Eindruck, als wenn zwar Stichpunkte zu den Fragestellungen vorhanden gewesen sind, denn die Fragen an sich wurden frei formuliert und nicht abgelesen. Dabei gab es absolut keine Versprecher.
Geräusche im Hintergrund habe ich absolut nicht wahrgenommen. Der Mann muss aus einem geschlossenen Raum angerufen haben, denn im Hintergrund war kein Schall oder Ähnliches wahrzunehmen.
Die Telefonnummer der Familie Hasselbach lautet 5 42 88 90, und sie kann auch im Telefonbuch unter dem Namen Hasselbach, Lothar nachgelesen werden. Ich habe mich mit der Familie Hasselbach über diesen Anruf unterhalten, und sie sagten mir, dass in der Vergangenheit derartige Anrufe noch nicht aufgelaufen sind.
Anhaltspunkte für einen vermutlichen Täter habe ich nicht. Weitere Angaben zum Sachverhalt kann ich nicht mehr machen. Ich habe das Protokoll der Zeugenvernehmung selbst gelesen. Der Inhalt entspricht den von mir gemachten Angaben. Meine Worte wurden richtig wiedergegeben, was ich durch meine Unterschrift bestätige.
Oberleutnant der K Fröbus von der Kriminalpolizei der Volkspolizeiinspektion (VPI) Berlin-Marzahn verabschiedete Ulrike Konrad sehr freundlich und bedankte sich für ihre offene und ehrliche Aussage. Gerade bei Sexualstraftaten, und um eine solche handelte es sich, war es manchmal schwierig, den Geschädigten wahrheitsgemäße Aussagen zu entlocken, wenn sie auf die fiese Masche eines Täters hereingefallen waren, eine Masche, die eigentlich durchschaut werden konnte. Auch Ulrike Konrad hatte nicht erkannt, dass das Anliegen des Anrufers nur gespielt war und er ganz andere Ziele verfolgte, als er ihr weismachen wollte.
Aber hatte sie wirklich alles so geschildert, wie es sich zugetragen hatte? Hatte sie ihren eigenen Anteil, ihr Versagen, nicht in ein besseres Licht gestellt? Oder es zumindest versucht? Oberleutnant der K Fröbus wusste von seiner Ausbildung an der polizeilichen Fachschule in Aschersleben, die auch Kriminalisten ausbildete, dass Anzeigenerstatter im Prinzip ideale Zeugen sind, denn sie zeigen eine große Aussagebereitschaft; ihre Erinnerungen sind relativ frisch, zeigen also Originalität, soweit sie selbst am Geschehen beteiligt sind. Andererseits gibt es auch störende Einflüsse, wenn Erregung und Bestürzung über den fraglichen Vorgang die Oberhand gewinnen. Oder wenn man sich schämt, auf einen Kriminellen hereingefallen zu sein, nicht erkannt zu haben, dass ein verbrecherischer Film abgelaufen ist und man ohne Zwang und Not so viele Intimitäten preisgegeben hat, die man normalerweise keinem Menschen auf dieser Welt erzählen würde. Die Tatsache, dass ein Kriminalist ‒ ein Mann ‒ die Geschädigte vernommen hatte, ist ein weiterer Faktor, der möglicherweise die Vernehmung und damit den Wahrheitsgehalt der Aussage nicht gerade positiv beeinflusste.
Ulrike Konrad hatte einem Wildfremden am Telefon ihre ganzen sexuellen Geheimnisse preisgegeben. Die Scham, dachte Oberleutnant Fröbus, muss sie ja fast erschlagen haben, also sie merkte, was da soeben geschehen war.
So war es auch klar, dass sie in ihrer Aussage bei der Kriminalpolizei versucht hat zu retten, was noch zu retten war. Natürlich gab es ein verdienstvolles Aufklärungsbuch von Kurt Starke und Walter Friedrich mit dem Titel Liebe und Sexualität bis 30, aber darin waren weder Experimente mit Jugendlichen und Erwachsenen noch der Fragekatalog des Anrufers enthalten. Schon gar nicht ein solches Experiment, bei dem sich eine Nachbarsfrau vor einem elfjährigen Nachbarsjungen selbst befriedigt. Und auch der Hinweis von Ulrike Konrad auf ihre Studienzeit an der Hochschule Zwickau und auf die dort veranstalteten Umfragen war ein hilflos wirkender Versuch, die Situation noch ein wenig zu retten.
Der Oberleutnant las sich das Protokoll noch einmal durch und ging mit dem Schriftstück ins Nachbarbüro. »Ich glaube«, meinte er zu seinem Kollegen Kracht, ebenfalls Oberleutnant der K, »Frau Konrad hat im Wesentlichen die Wahrheit gesagt und auch nichts weggelassen. Nun ja, ihr Versagen und ihre Vertraulichkeit diesem Fremden gegenüber hat sie wohl ein wenig beschönigt, aber wer würde das nicht tun, wenn man auf einen solchen Sexualverbrecher so brutal hereingefallen ist.«
»Das stimmt«, sagte Kracht. »Und das wäre dann unser 39. Fall. Hoffentlich kriegen wir diesen Anormalen bald. Der muss auch in Marzahn wohnen, denn er scheint sich hier gut auszukennen.«
»Es sieht aber nicht so aus, als ob wir bald Erfolg hätten. Eigentlich machen wir doch nichts, als Anzeigen entgegenzunehmen.«
Dann unterhielten sie sich noch eine Weile darüber, warum dieser Sexualtäter eine so große suggestive Kraft auf Frauen und Kinder ausüben konnte. Es hing neben seinem perfekten Kommunikationsstil wohl auch mit dem Ansehen der Neuen Fernseh-Urania zusammen, des halbstündigen Wissenschaftsmagazins des DDR-Fernsehens, das über Ländergrenzen hinweg mit der Akademie der Wissenschaften der UdSSR produziert wurde. Die halbstündigen Sendungen liefen von 1974 bis 1991, also auch noch nach dem Ende der DDR, und waren wegen ihrer naturwissenschaftlichen und gesellschaftswissenschaftlichen Themenstellungen sehr beliebt bei der Bevölkerung. Sie waren, würde man heute sagen, ein Quotenbringer – woraus sich auch erklärt, warum so viele Opfer auf den netten Herrn von der Fernseh-Urania hereinfielen, der sich fast immer mit Fernseh-Urania oder Neue Fernseh-Urania vorstellte. Vor 1974, das wusste Kracht, hatte es im Fernsehen der DDR auch schon die Fernseh-Urania gegeben, die aber unregelmäßig ausgestrahlt worden war.
»Aber ein wenig blöd ist das schon«, wollte Fröbus eigentlich die Diskussion beenden, denn es war Dienstschluss. »Ein netter Herr, angeblich von der Fernseh-Urania, ruft an, befragt die Frauen bis ins intimste Geheimnis und verspricht einen Farbfernseher – und viele fallen drauf rein. Wirklich ein bisschen komisch, und irgendwie auch phänomenal, frei nach dem Motto: ›Was es bei uns alles gibt.‹ Wann hört das endlich auf?«
Kracht, der schon von seinem Schreibtisch aufgestanden war, setzte sich wieder hin. »Noch lange nicht. Wenn die Kunst des Kriminalisten damit beginnen und auch enden würde, von seinem Büro in der Marzahner Marchwitzastraße 16 aus, gemütlich an seinem Schreibtisch sitzend und Kaffee trinkend die Fälle allein durch Gedankenspiele, durch Schlussfolgerungen aufzuklären, hätte er doch einen tollen Beruf. Aber die Realität ist anders. Und in diesem Fall machen wir praktisch nichts anderes, als am Schreibtisch zu sitzen und zu warten. Die Aufgaben eines Kriminalpolizisten und eines Buchhalters haben doch vieles gemeinsam. Wir widmen einen Großteil unserer Zeit der Herstellung und Durchsicht von Akten und Papieren. Und dann warten wir. Auf den nächsten Anruf. Ich glaube, die Sache wird noch schlimm enden. Vielleicht sogar mit einem Mord.«
Fröbus schüttelte den Kopf. »So schlimm wird es schon nicht werden.«
Sie hatten einen gemeinsamen Nachhauseweg, denn sie wohnten im selben Hochhaus. »Nun«, sagte Kracht, »man sollte es gar nicht für möglich halten, aber es gibt schon kaputte Typen bei uns.« Und dann erzählte er eine Geschichte, die er vor kurzem von seinem Kriminalistenkollegen Wolfgang Raeke aus Frankfurt an der Oder gehört hatte.
Ein vorbestrafter Einbrecher wurde wieder geschnappt, weil er sich nach seiner Haftentlassung einen Liebesfilm im Kino angesehen hatte und danach auf dem Weg nach Hause ein Liebespaar beobachtete, das eng umschlungen in einem schwach beleuchteten Hausflur stand – mit recht eindeutigen Bewegungen. Er erregte sich so, dass er wie im Rausch in verschiedene Keller einbrach und nach Fotos von nackten Frauen suchte. Durch seine vergangenen Einbrüche wusste er, dass Zeitschriften wie Neues Leben und Das Magazin mit Aktbildern in den Kellern zu finden waren. So brach er einen Keller nach dem anderen auf, bis er endlich die ersehnten Bilder fand. Nun starrte er auf ein Aktfoto und befriedigte sich noch im Keller selbst. »Ich wollte nichts klauen, das können Sie mir glauben«, gab er später zu Protokoll. »In meinem sexuellen Rausch hab ich dann doch noch etwas mitgenommen. Erst in meiner Wohnung merkte ich, was ich da geklaut hatte. In der Schatulle befand sich Spezialwerkzeug. Da macht der Besitzer sicher eine Anzeige, dachte ich, und dann dauert es nur noch zwei Wochen, bis die Polizei vor meiner Tür steht. Deshalb flüchtete ich aus Eisenhüttenstadt. Wollte ja den Sommer nicht im Knast verbringen.«
Fröbus und Kracht waren fast an ihrem Hochhaus angelangt, schauten auf die vielen Fensterfronten der Marzahner Plattenbausiedlung, die schon erleuchtet waren, und hatten wohl denselben Gedanken. Rief vielleicht gerade hinter einer dieser unzähligen Fensterscheiben wieder jemand von der Fernseh-Urania an?
Es rief wieder jemand an. Am 17. Oktober 1986 erschien ein Offizier der Hauptabteilung Schutzpolizei des Ministeriums des Innern bei der Marzahner Kriminalpolizei und teilte mit, dass am Vortag gegen 12.45 Uhr eine unbekannte männliche Person in seiner Wohnung in der Karl-Maron-Straße angerufen und sich als Mitarbeiter der Fernseh-Urania ausgegeben hatte. Seine fünfzehnjährige Tochter hatte den Anruf entgegengenommen. Nach Angaben der Tochter habe der unbekannte Anrufer angegeben, eine Umfrage im Zusammenhang mit der Jugend- und Eheberatung durchzuführen. Auf die Frage, woher der Anrufer die Telefonnummer habe, habe er zur Antwort gegeben, dass die Umfrage bei der Post angemeldet sei und dass diese Telefonnummern für entsprechende Altersgruppen zur Verfügung gestellt habe. In diesem Fall sei die Altersgruppe zwischen 14 und 40 Jahren dran gewesen. Der Anrufer hatte sich als »Fernsehen der DDR, Kennwort: Urania-Umfrage Dr. Hoffmann, 1199 Berlin, Rudower Chaussee 23« vorgestellt.
Der Anrufer hatte dann folgende Fragen gestellt:
– Alter, Größe, Haarfarbe?
– Welche Schule?
– Bereits Selbstbefriedigung durchgeführt?
– Schon Petting oder Geschlechtsverkehr durchgeführt?
Wenn sie sich am Telefon selbst befriedigen würde, helfe sie anderen, die Probleme in sexueller Hinsicht hätten, viele hätten sich schon an ihn gewandt und würden Suizidabsichten mit sich tragen, äußerte der unbekannte Anrufer. Wenn sie bereit sei, sich am Telefon selbst zu befriedigen, könne sie ein Farbfernsehgerät gewinnen und zwei Karten für eine Urania