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In PR-Texte fließt Wissen aus unterschiedlichen Bereichen ein. Es kommt darauf an, die Ziele des Schreibers und die Erwartungen des Adressaten auszubalancieren und dabei alle Hilfen zu nutzen, um die komplexe Tätigkeit des Textens »in den Griff« zu bekommen. Die Grundidee des Buches besteht darin, dass Schreiben deutlich einfacher wird, wenn man die relevanten Muster und Wirkungszusammenhänge von Sprache kennt und durchschaut. Textmuster sind Erzählen, Beschreiben, Begründen, Anweisen und Erklären. Textsorten sind beispielsweise Leitbilder, Newsletter, Unternehmensporträts oder Pressemitteilungen. Alle in der internen und externen Kommunikation von Organisationen relevanten Textsorten werden in dem Buch nach einem einheitlichen Prinzip vorgestellt und mit vorbildlichen Beispielen illustriert. In weiteren Kapiteln geht der Autor auf PR-Texten als strategisches Handeln, die Arenen der PR-Kommunikation, die Textqualität, rhetorische Wirkungszusammenhänge und Techniken des Framings (»Rahmens« von Botschaften) sowie auf die besonderen Bedingungen des Textens für das Social Web ein.
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Seitenzahl: 331
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[1][2]
© Thomas Linke
Prof. Dr. Helmut Ebert lehrt Germanistische Linguistik an der Universität Bonn. Er ist zudem Lehrbeauftragter für Unternehmenskommunikation/PR an der Universität Bochum und an der Universität für Gesundheitswissenschaften in Hall/Tirol. Schwerpunkte: Textwirkung und soziale Dynamik, Schreiben mit System, strategische Kommunikation (Wirtschafts-, Gesundheits- und Risikokommunikation).
Kontakt: [email protected]
[3]Helmut Ebert
PR-Texte
Unter Mitarbeit von Antonia Ebert
UVK Verlagsgesellschaft Konstanz · München
[4]PR Praxis Band 26
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISSN 1863-8988
ISBN 978-3-86496-430-5
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© UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2014
Einband: Susanne Fuellhaas, Konstanz
Einbandfoto: Istockphoto Inc.
Icons: Istockphoto Inc.; Erhan Ergin · Fotolia
Satz: Klose Textmanagement, Berlin
Lektorat: Marianne Waas-Frey, Stuttgart
UVK Verlagsgesellschaft mbH
Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz
Tel.: 07531-9053-0 · Fax: 07531-9053-98
www.uvk.de
eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de
[5]Inhalt
Vorwort
1
Texten als strategische Kompetenz
1.1
Texten als Arbeitsfeld
1.2
Texten als Führungsaufgabe
1.3
Texten als Beziehungsarbeit
1.4
Texten als (Stakeholder-)Kommunikation
1.5
Texten als sprachliche Leistung
2
Die fünf Arenen der PR-Kommunikation
2.1
Interne Arena
2.2
Marktarena
2.3
Finanzarena
2.4
Öffentliche Arena
2.5
Mediale Arena
3
Textgestaltung und Textqualität
3.1
Kommunikationssituation
3.2
Texte und Textsorten
3.3
Textmuster
3.4
Textqualität
3.5
Textgestaltung und Message Design
4
Textsorten
4.1
Normen kommunizieren
4.2
Leistungen kommunizieren
4.3
Traditionen kommunizieren
4.4
Mit Mitarbeitern kommunizieren
4.5
Mit Kunden kommunizieren
4.6
Mit der Öffentlichkeit kommunizieren
[6]5
Rhetorische Schreibkompetenz
5.1
Rhetorische Figuren
5.2
Standpunkt
5.3
Aufmerksamkeit
5.4
Motivation
5.5
Verarbeitungskapazität
5.6
Emotionen in Sprache und Text
5.7
Vertrauen, Werte, Wahrheit
5.8
Framing und Priming
5.9
Vagheit
6
Schreiben im Internet
6.1
Internet
6.2
Intranet
6.3
Social Media
Literatur
Index
[7]Vorwort
PR-Texte sind ihrem Wesen nach Elemente eines fortgesetzten Gesprächs und Austauschs zwischen einer Organisation und ihren relevanten Bezugsgruppen. Wer PR-Texte konzipiert und realisiert, benötigt sprach- und textwissenschaftliche Grundlagen, Schreiberfahrungen und Kenntnisse der Texttraditionen des öffentlichen Verkehrs (Politik, Verwaltung, Recht), der Presse und auch und gerade der sog. »schönen« Literatur. Literatur vermittelt Bildung, Bildung erweitert den Horizont. Literatur hat mit Ästhetik zu tun. Ästhetik meint hier die Wahrnehmung des Guten und Schönen.
PR-Texten ist Beziehungskommunikation. Beziehungen gehen dem Erfolg in der Sache logisch voraus. Bevor eine Botschaft akzeptiert wird, muss sie verstanden werden. Verstehen wiederum erfordert Vertrauen. Beziehungskommunikation hat wie jede Form zwischenmenschlicher Kommunikation keinen Anfang und kein Ende. Wer über Textkompetenz verfügt, verfügt auch über Leadership-Kompetenz. Textkompetente und stilsichere Menschen können mit Spannungen kreativ umgehen: mit der Spannung zwischen Schreiberziel und Lesererwartung, Inhalt und Form, Lexikonbedeutung und Textbedeutung, Eigenbild und Fremdbild einer Organisation, Verstand und Gefühl und last but not least der Spannung zwischen Texttraditionen und Textinnovationen.
Wer Texten zum Beruf gemacht hat, weiß von der Komplexität des Schreibens, den Sinnschichten eines Textes und der »Mühsal des Begriffs« (Theodor W. Adorno) ein Lied zu singen. Das Buch soll eine Lücke schließen. Bislang existiert noch kein Titel, der sich systematisch und ausschließlich dem Schreiben von PR-Texten widmet und dies auf textwissenschaftlicher Grundlage tut. Das Buch enthält viele kommentierte Beispiele – diese sind jeweils mit Icons am Seitenrand hervorgehoben.
Unser Mühen hat sich gelohnt, wenn »PR-Texte« die Leserinnen und Leser vertraut machen kann mit den gesetzmäßigen Eigenarten und Möglichkeiten sprachlichen und textlichen Ausdrucks, und wenn es dazu beiträgt, den strategischen Beitrag von Texten für das Erreichen der Ziele einer Organisation und derjenigen ihrer Stakeholder zu verdeutlichen.
Bochum, im Februar 2014
Helmut Ebert
[8][9]Herr Keuner betrachtete ein Gemälde, das einigen Gegenständen eine sehr eigenwillige Form verlieh. Er sagte: »Einigen Künstlern geht es, wenn sie die Welt betrachten, wie vielen Philosophen. Bei der Bemühung um die Form geht der Stoff verloren. Ich arbeitete einmal bei einem Gärtner. Er händigte mir eine Gartenschere aus und hieß mich einen Lorbeerbaum beschneiden. Der Baum stand in einem Topf und wurde zu Festlichkeiten ausgeliehen. Dazu musste er die Form einer Kugel haben. Ich begann sogleich mit dem Abschneiden der wilden Triebe, aber wie sehr ich mich auch mühte, die Kugelform zu erreichen, es wollte mir lange nicht gelingen. Einmal hatte ich auf der einen, einmal auf der andern Seite zuviel weggestutzt. Als es endlich eine Kugel geworden war, war die Kugel sehr klein. Der Gärtner sagte enttäuscht: »Gut, das ist die Kugel, aber wo ist der Lorbeer?«
(Bertolt Brecht, Kalendergeschichte)
[10][11]1
Texten als strategische Kompetenz
1.1
Texten als Arbeitsfeld
PR-Texten ist von »benachbarten« Arbeitsfeldern gut abzugrenzen, auch wenn es in der Praxis Überschneidungsbereiche gibt. Wir erläutern im Folgenden die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen PR-Texten, Werbetexten, journalistischem Texten, technischen Texten und Propagandatexten. Das Propagandatexten steht außerhalb dessen, was Menschen verbindet. Propaganda zielt darauf, aus Gründen des Machterwerbs und Machterhalts die Menschen zu trennen und die Entwicklung der Menschlichkeit zu blockieren. Technisches oder genauer »fachbezogenes Texten« (Technical Writing) hat mit der Produktion und Dokumentation von fachbezogenen Texten zu tun. Nicht jeder fachbezogene Text ist ein Fachtext. Viele Texte sind einem breiteren Adressatenkreis nur verständlich zu machen, wenn der Fachsprachlichkeitsgrad reduziert wird. Die Erstellung von Anweisungen, Dokumentationen und populärwissenschaftlichen Texten ist die Hauptaufgabe »fachbezogener Texter«. Journalistische Texte thematisieren alles, von dem angenommen wird, dass es für ein bestimmtes Publikum aktuell und relevant ist, wobei die Nachrichtenselektion auch unter wirtschaftlichem Druck erfolgt, was sich u. a. an Nachrichtenformaten mit weltweiter Verbreitung zeigt. Werbetexten steht im Dienste der Persuasion, d. h. der Überredung, wobei die Mittel der emotionalen Stimulation immer aufwendiger werden und die Inhalte zunehmend auf allgemeinste Gefühle und Bedürfnisse reduziert werden: Wohlfühlen, Sicherheit, Spaß. Der Adressat von Werbetexten ist eine aus der Masse herausdestillierte statistische Größe. PR-Texten hingegen hat Gruppen (Stakeholder) und Menschen zu Adressaten. Organisationsintern haben PR Stabsfunktion und sind hierarchisch eng an die Organisationsleitung angeschlossen. Mit PR-Texten ist die argumentative Hinwendung zu Gruppen verbunden, die für den Erfolg einer Organisation als relevant erachtet werden. Entsprechend arbeiten PR-Textende an dem jeweils angemessenen Grad der Anschlussfähigkeit zwischen einer Organisation und ihren Stakeholdern. Es gilt, sich für das zu interessieren, was die Stakeholder interessiert. Es gilt nach Gemeinsamkeiten auf der Ebene von Werten, Zielen und Interessen zu suchen bzw. solche Gemeinsamkeiten – auch über eine gemeinsame Sprache und Interaktionsgeschichte – herzustellen. PR-Texten erfordert Darstellungskompetenz (Komplexität reduzieren), soziale Kompetenz (Gruppen koalieren) und emotionale Kompetenz (Vertrauen generieren). PR-Texte sind in dem Maße erfolgreich, d. h. verständlich und akzeptabel, in dem sie das Ergebnis von (gemeinsamen) Lernprozessen zwischen einer Organisation und ihren Bezugsgruppen sind. PR-Texte sind immer als Antwort auf eine Situationseinschätzung zu verstehen, mit dem Ziel, die Situation im Sinne der Organisation günstig zu gestalten – und zwar immer mit den Bezugsgruppen und niemals gegen sie. Gelungene Kommunikation ist rar und kostbar und kann nicht ersetzt werden durch ein Management von Informationsprozessen und Kennzahlen.
[12]Kommunikator
typische Rolle
Verantwortlichkeit
Absicht
PR-Texten
Koalitionär
organisationsintern: der Organisationsleitung verpflichtet, hohe hierarchische Anbindung (Stabsfunktion)
argumentativ hinwenden (Interessen erkunden und zusammenführen, Komplexität reduzieren, Beziehungen aufbauen, Handeln legitimieren)
Werbetexten
Kreativer
organisationsintern: der Marketingabteilung untergeordnet
emotional konditionieren
journalistisches Texten
Berichterstatter
Redaktion der Verlagsleitung verpflichtet
berichten, aufklären
technisches Schreiben
Dokumentator
Fachabteilungen verpflichtet
instruieren
Propaganda-Texten
Agitator
der Organisationsleitung blind verpflichtet
manipulieren, kontrollieren
Kommunikatorspezifische Unterschiede zwischen Tätigkeitsfeldern von Textenden
Nachricht
prototypische Textsorte (Genre)
Thema
Wahrheitswert
PR-Texten
werte- und beziehungsbezogene Texte
Wertesystem und seine Relevanz für Beziehungen zwischen den Polen Distanz und Nähe
glaubhaft
Werbetexten
produktbezogene Texte
Produkte und Dienstleistungen
gefällig
journalistisches Texten
gesellschaftsbezogene Texte
tagesaktuelle politische u. gesellschaftliche Themen
wahr
technisches Schreiben
fachbezogene Texte
fachbezogene Themen
richtig
Propagandatexten
auf die Machthaber und ihre Interessen bezogene Texte
Aufwertung des Eigenen und Abwertung des Fremden
absolut
Nachrichtenspezifische Unterschiede zwischen Tätigkeitsfeldern von Textenden
[13]Adressaten
Rolle
Modus der Informationsverarbeitung
Erwartung des Adressaten
PR-Texten
Koalitionär (Interessenkoalition)
rational und emotional
Aufzeigen von Nutzen und Echtheit der Beziehung
Werbetexten
statistische Größe in einem Segment
emotional
Unterhaltung
journalistisches Texten
Bürger/Fachpublikum
rational
aktuelle und relevante Informationen
technisches Schreiben
Anwender
rational
Brauchbarkeit
Propaganda-Texten
Gegner, Feind
irrational
Sicherheit gegen blindes Vertrauen und Gehorsam
Adressatenspezifische Unterschiede zwischen Tätigkeitsfeldern von Textenden
Kommunikationsprozess
Kommunikationsmodus
Zeithorizont
Qualität u. Kontrolle
PR-Texten
reflexive Beziehung, zweiseitiges Lernen Logik des Aushandelns
retrospektiv, aktuell, prospektiv
wechselseitige Kontrolle
Werbetexten
einseitige Beziehung persuasive Logik
zeitenthoben: entsituierte All-Aussagen (»x macht glücklich«)
meist quantitative Messungen
journalistisches Texten
einseitige Beziehung aufklärerische Logik
retrospektiv, schnelle Verfallszeit
freiwillige Selbstkontrolle
technisches Schreiben
apersonal Logik des Funktionierens u. Dokumentierens
iterativ (»Immer-wieder-Gebrauch«)
Gesetze, Vorschriften, Sanktionierung von Verstößen
Propaganda-Texten
einseitige Beziehung Logik der Lüge
retrospektiv, aktuell, prospektiv
Zensur, Überwachung, Gewaltanwendung
Unterschiede, die den Kommunikationsprozess betreffen
[14]Legitimationsrisiko
Kompetenzrisiken
Risikoeindruck: Verantwortung
Risikoeindruck: Wirkung
PR-Texten
Mangel an Wissen über Erwartungen und Relevanzsetzungen der Stakeholder
Interessenegoismus
Vertrauensverlust
Werbetexten
Mangel an Sprachwissen
Langeweile
Bruch zwischen heiler Produkt- und nicht immer heiler Produktionswelt
journalistisches Texten
Mangel an Situationswissen
Verzicht auf Qualität
Zweifel am Wahrheitsgehalt
technisches Schreiben
Mangel an Fachwissen
Verstöße gegen Sorgfalt
materielle Schäden, gesundheitliche Gefährdung
Propaganda-Texten
Propaganda im hier verstandenen Sinn hat keine Legitimation, da sie auf der Lüge aufbaut und die Freiheit unterdrückt, d. h. persönliche Entfaltung und Empathie blockiert. Der Propagandist ist, bildhaft gesprochen, ein Vertrauensschmarotzer, der sich und andere entmenschlicht.
Legitimationsrisiken
1.2
Texten als Führungsaufgabe
Da neue Leitideen wie die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen und die damit zusammenhängende Idee des Unternehmens als öffentliche Institution PR als Funktion in die Unternehmensführung integriert haben, muss auch das konzeptionelle und strategische PR-Texten als[15] Führungsaufgabe gesehen werden. Nicht nur Textkompetenz, auch Strategiekompetenz ist gefragt.
»Ein Text muss immer einen Sinn im gesamten Kommunikationskonzept haben und einen hohen Integrationsgrad im Hinblick auf die Gesamtheit von Maßnahmen aufweisen, sodass z. B. die Botschaften des Textes den Kernbotschaften einer Kampagne entsprechen« (Femers 2011: 134).
Texten ist kommunikatives Handeln in phasenverschobener Situation
In der Schriftkommunikation erfolgen »Senden« und »Empfangen« zu unterschiedlichen Zeitpunkten und an unterschiedlichen Orten. Eine direkte Verstehenskontrolle ist nicht möglich. Das stellt besondere Anforderungen an die Kontrolle der Rezeptionsbedingungen. Hierfür spielen die Klarheit der Sprache und der Textsorte (Leitbild, Vision, Pressemitteilung etc.) eine ebenso wichtige Rolle wie die Kenntnis der Verstehensrahmen auf Seite der Rezipienten. Verstehensrahmen werden beispielsweise durch Sprachwissen, Vorwissen, Erwartungen, Relevanzsetzungen, Stimmungen und Werte geprägt. PR-Texte müssen auf diese Verstehensrahmen hin berechnet werden. Für jede Kommunikation gilt, dass nicht die Fakten wirklich sind, sondern die Deutungen der Fakten. Kein Mensch reagiert auf Fakten an sich, sondern Verhalten resultiert aus der Deutung von Fakten. Daraus folgt, dass ich meinen Kommunikationspartner nicht mit Fakten steuern kann, sondern einzig und allein dadurch, dass ich Einfluss nehme auf die Art und Weise, wie er die Fakten interpretiert.
Texten als kommunikatives Handeln ist Steuerungshandeln
Vielen Abhandlungen über Kommunikation liegt ein sog. Ausdrucksmodell von Kommunikation zugrunde. Das bekannteste Ausdrucksmodell ist das informationstheoretische Sender-Empfänger-Modell von Shannon/Weaver. Es beschreibt Kommunikation als Übertragung einer Nachricht von einem Sender zu einem Empfänger und erklärt das Zustandekommen von Verständigung durch einen Sender und Empfänger gemeinsamen Vorrat an Zeichen. Zur Erklärung menschlicher Kommunikation taugt das Modell jedoch nicht. Es verführt im Gegenteil zu fatalen Schlussfolgerungen. Beispielsweise geht dieses Denkmodell davon aus, dass die Nachricht[16] unverändert beim »Empfänger« ankommt und dass das »Empfangen« lediglich ein Dekodieren, d. h. Entschlüsseln von Zeichen sei, in die das Gemeinte »hineingelegt« worden sei. Dass diese Annahme falsch ist, beweist allein schon die Tatsache, dass alles Sprechen elliptisch ist, d. h. auf Ergänzung durch den Rezipienten und den Kontext angewiesen ist. Ein Sprecher handelt in dem Sinne kommunikativ, indem er einen Eindruck beim Hörer hervorbringt, den sich jedoch dieser
»durch eigene Tätigkeit, durch kognitive Anstrengungen zu seinem Eindruck machen muss. Die kommunikative Sozialhandlung […] zerfällt nicht wie beim Ausdrucksmodell in partielle Individualhandlungen. Denn das Handlungsziel, der angeeignete Eindruck beim Hörer, ist das Ergebnis der auf dieses Ziel hin koordinierten Sprecher- und Hörerhandlungen« (Schmitz 1994: 15).
Die Tatsache, dass nur wenige verstehen, dass Kommunikation eine Sozial- oder Gemeinschaftshandlung ist, erklärt die oft verzweifelten Bemühungen von Kommunikationsverantwortlichen, eine andere als die eigene Deutung als unzulässige Kritik oder absichtsvolle Fehldeutung ihrer Texte und Kampagnen entrüstet zurückzuweisen.
Nicht zuletzt ist die ausdruckstheoretisch begründete Annahme, erfolgreiche Kommunikation setze generell Gemeinsamkeit des relevanten Sprach-, Situations- und Weltwissens voraus, unrealistisch,
»denn diese Annahme verkehrt Ziel und Voraussetzung der Kommunikation. Wir kommunizieren nicht erst dann, wenn wir aufgrund von gemeinsamem Wissen eine Garantie für den Kommunikationserfolg haben, sondern wir riskieren Kommunikation auf der Basis unterschiedlicher Annahmen, Unterstellungen, Vermutungen und schaffen dadurch erst, soweit wir erfolgreich sind, geteiltes Wissen« (ebd.: 18).
Professionalisierung der Kommunikation bedeutet also, systematisch die Risiken der Kommunikation zu minimieren, indem man das, was man sagen will, auf den Hörer berechnet. Kommunikation funktioniert nicht nach der Mechanik guter Absichten, sondern es kommt darauf an, den Kommunikationspartnern die richtigen Steuerungsanweisungen zu geben, die sie zu den vom »Sender« gewünschten oder erhofften Schlussfolgerungen kommen lassen. Daher liefern Texte Informationsgrundlagen für[17] Schlussfolgerungen, und eine Teilmenge von sprachlichen Zeichen fungiert explizit als Steuerungsanweisung, wie das folgende Beispiel zeigen soll:
Zusammengefasster Lagebericht des Konzerns und der AG für das Geschäftsjahr 2013 […]. Konzernumsatz […] ausgebaut […]. XYZ erhöht den Auftragsbestand um 6.3 Prozent auf 13,4 Milliarden Euro. Strategische Neuausrichtung des Konzerns auf drei zentrale Wachstumsfelder ab 2014.
Der bestimmte Artikel »des« (Konzerns) signalisiert dem Leser, dass der Konzern als Thema bekannt ist. Die Substantivbildung »strategische Neuausrichtung« ermöglicht den Verzicht auf ein finites Verb (»jemand richtet etwas auf«) und signalisiert, dass der Sender hier kein Urteil vornehmen möchte, um nicht auf die besonderen Umstände der Entscheidungssituation festgelegt zu werden.
Das Eindrucksmodell der Kommunikation ist nicht nur der kommunikativen Wirklichkeit angemessener als das Ausdrucksmodell, es bietet auch den Vorteil, dass es besser vereinbar ist sowohl mit einem sozialpsychologischen als auch mit einem interaktionistischen Imagebegriff. Im sozialpsychologischen Sinn ist Image das Ergebnis eines öffentlichen Deutungsprozesses. Und dieser Deutungsprozess darf auf Dauer nicht negativ sein, will das Unternehmen am Markt überleben. Im systemtheoretischen Sinn ist Image diejenige Größe, welche die Interaktionsmöglichkeiten von Organisationen und ihren Bezugsgruppen bestimmt. Die optimale Gestaltung des Images einer Organisation ist dann gegeben, wenn deren Struktur zu derjenigen ihrer Stakeholder passt, d. h. wenn Strukturhomologie vorliegt. Das Image einer Organisation ist umso besser, je klarer die von einer Bezugsgruppe als relevant empfundenen Organisationsmerkmale erkannt sind und als Handlungsgrundlage dienen. Image im systemtheoretischen Sinn ist keine Wirkung, sondern »Ausdruck für die Qualität der Interaktion selbst« (Faulstich 2000: 74). Image-Management ist daher keine Pseudo-Interaktion im Sinne von Fassaden- und Darstellungsmanagement, sondern Image-Management ist die Auswahl und Gestaltung »real fundierter und als relevant bestimmter Struktur- und Sinnmomente« (ebd.). PR-Texten bedeutet demnach auch, die Voraussetzungen für gute Beziehungen und gelungene Interaktionen mitzugestalten.
[18]Kommunikation ist eine betriebswirtschaftliche Steuerungsressource
Unternehmen sind aus konstruktivistischer Sicht komplexe Systeme, die über kognitive Strukturen verfügen, über die sie eine bestimmte Vorstellung über die Umwelt aufbauen. Diese Vorstellung ist Grundlage für die Interaktion mit den Bezugsgruppen. Einfacher gesagt: Es macht einen Unterschied, ob sich ein Unternehmen als »Lampenhersteller« oder »Experte für Licht« definiert. Von einem solchen Selbstverständnis hängt z. B. ab, was als Markt wahr- oder angenommen wird, und welche von Wettbewerbern unterscheidbaren Kernkompetenzen aufzubauen sind, die die Existenz des Unternehmens sichern. Wichtig ist für uns die Hintergrundannahme der konstruktivistischen Sichtweise: Es geht immer auch um den Wettbewerb von Sehweisen unterschiedlicher Organisationen. Für PR-Textende ist wesentlich, dass Sehweise und Sprache nicht getrennt werden können. Ändere ich meine Sprache, ändere ich die Sehweise und umgekehrt. Nicht selten legt sich auch die Sprache quer und verstellt die Sicht auf neue Wirklichkeiten, so wenn wir versuchen, die Welt von morgen in Begriffen von gestern zu begreifen. Gewerkschaften, politische Parteien, Anwohner, Umweltschutzverbände – alle haben ihre Sicht auf das, was beispielsweise ein Energiekonzern tut oder nicht tut. Entscheidend ist, dass die Güte der von einem Unternehmen hervorgebrachten Wirklichkeitsvorstellung letztlich daran gemessen wird, ob das Unternehmen wegen oder manchmal auch trotz dieser Vorstellungen Gewinn erwirtschaftet.
Da mittel- und langfristig gesehen Gewinne immer Kooperationsgewinne sind und auf Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil beruhen, ist der Zwang zu Austausch und Verständigung allgegenwärtig. Die Interaktionen zwischen einem Unternehmen und seinen Stakeholdern sind durch gemeinsame und konfligierende Interessen geprägt. Die Sehweisen und Handlungen mit denen der Stakeholder klug und am eigenen langfristigen Gewinn orientiert abzustimmen und zu koordinieren, ist eine Daueraufgabe des Managements, das lernen muss, mit einem Paradoxon umzugehen: Kein Unternehmen kann die Interessen und Erwartungen seiner Stakeholder ignorieren. Wer alle Interessen und Erwartungen seiner Stakeholder erfüllt, verliert die Grundlage für seine Existenz- und Leistungsfähigkeit.
Um Wirklichkeitsvorstellungen zu erzeugen, die zumindest teilweise mit den Vorstellungen seiner Stakeholder übereinstimmen, benötigt ein Unternehmen Steuerungsressourcen, die ihm helfen, das Verhalten von Stakeholdern berechenbar zu machen. Nach Rolke (2005: 6 f.) ist Kommunikation eine solche Steuerungsressource, und zwar in dreifacher Hinsicht:
[19]Kommunikation produziert Sinn und Orientierung. Beispiel: Markenund Identitätsbildung, »was nicht nur die Kundenbindung erhöht, sondern darüber hinaus auch die Erlösseite verbessert bzw. im Falle der Mitarbeitermotivation die Kosten senkt (Sachbezug)« (ebd.: 7).
Kommunikation ermöglicht teilbare Wirklichkeitsvorstellungen. Erst durch Kommunikation können gemeinsame Interessen sichtbar gemacht werden: Entwicklungspartnerschaften können begründet werden und nicht erfüllte Erwartungen können für einen bestimmten Zeitraum in die Zukunft verschoben werden (Verträge) – beides Voraussetzungen für stabile Beziehungen (vgl. ebd.: 6 f.).
Kommunikation schafft einen Wahrnehmungsvorsprung. Kritische Entwicklungen, aber auch Chancen, lassen sich besser einschätzen, »weil sich das Unternehmen im informationellen Austausch mit seinen Stakeholdern befindet (Beispiel: Issue Management). Bevor sich strategische Fehler zu Erfolgs- oder gar Liquiditätskrisen auswachsen, ermöglicht Kommunikation eine Frühwarnung (Zeitaspekt)« (ebd.: 7).
Unternehmen müssen den Doppelcharakter von Leistungs- und Kooperationspartnerschaften verstehen. Nur dann können Beziehungen gewinnbringend entwickelt und Kundenbedürfnisse in entsprechendes Mitarbeiter- und Organisationsverhalten übersetzt werden und zur Wertschöpfung beitragen. Nur dann kann es glaubhaft den Geldgebern erklären, dass und warum eine hinreichende Chance auf Gewinnerzielung besteht. Nur dann kann es der Öffentlichkeit vermitteln, dass und warum das Renditemotiv nicht die Interessen des Gemeinwohls gefährdet.
Mit dem Führungsanspruch von PR und PR-Texten ist letztlich die Abwendung von der Vorstellung verbunden, PR sei ein bloß reaktiv wirksames Instrument. Die Hinwendung zu einer vorwärtsgewandten PR wurde vor einiger Zeit von Wissenschaftlern um Charles J. Fombrun und Cees B. M. van Riel propagiert (vgl. Menz/Stahl 2008: 79).
1.3
Texten als Beziehungsarbeit
Der Ausdruck »Public Relations« ist wörtlich zu nehmen. Es geht um öffentliche Beziehungen. Unter Beziehung verstehen wir die Chance, dass ein auf angebbare Art »aufeinander gegenseitig eingestelltes Handeln und dadurch orientiertes Sichverhalten mehrerer« stattfindet (Max Weber 1972: 13). Ob die Chance genutzt wird, hängt von vielen Faktoren ab, von[20] Sympathie und Vertrauen, von gemeinsamen Erfahrungen, Wirklichkeitsdeutungen und Problemsichten und von einer gemeinsamen Sprache, die Missverständnissen vorbeugt und in dem Maße wächst, in dem die Kommunikation gelingt. Öffentliche Beziehungen können von ganz verschiedener Art sein und auf unterschiedlichen Bindungen beruhen, Anspruch, Vertrag, Vertrauen, Erfahrung mit Zusammenarbeit oder Konkurrenz etc.
Da öffentliche Beziehungen von Menschen gestaltet werden, spielen auch Freundschaft, Bekanntschaft und Verwandtschaft eine Rolle. Nirgendwo lauern so viele Gefahren wie auf dem Gebiet der Beziehungen. Geschäftliche Beziehungen können auf der Basis von Vertrauen unter Freunden überhaupt erst möglich werden. Andererseits kann die Inszenierung von Freundschaft missbraucht werden, um geschäftliche Vorteile zu erlangen. Am Ende entscheiden stets Personen. Und diese müssen nicht nur Transparenzregeln beachten, um nicht in den Verdacht einseitiger Vorteilsnahme zu geraten, sondern auch zu Beobachtern ihrer selbst werden, um sich vor Ausbeutung zu schützen.
Eine ganz besondere Herausforderung stellt die Paradoxie der Internet-PR dar. Im Internet sind nur schwache Beziehungen möglich, da die miteinander vernetzten Personen einander nicht wirklich kennen oder gar einander verstehen. Aber genau daraus resultiert die Stärke von schwachen Beziehungen, die darin besteht, dass die Sache in den Vordergrund rückt. Internetbasierte Beziehungen sind in Bezug auf gemeinsame Interessen reich an Informationen und schwach an personalen Verpflichtungen. Es gilt, mit dieser Paradoxie klug umzugehen.
Es ist sogar vorstellbar, dass die Beziehung zwischen Unternehmen von gleichzeitiger Konkurrenz und Kooperation geprägt sein kann. Beziehungsmanagement ist ein Balanceakt. Es ist die angemessene Position zwischen Nähe und Distanz zu finden und sich in der Zone optimaler Kundennähe zu bewegen (vgl. Menz/Stahl 2008: 140 f.) Es bedarf der Fähigkeit zur positiven Selbstdarstellung, ohne in eine Show zu verfallen oder sie zum Bluff einzusetzen. Es kommt auf die Abstimmung zwischen der direkten Kommunikation mit den Stakeholdern und der medialen Arena an. Zur direkten Kommunikation zählen z. B. Kundenbriefe, Kundenzeitschriften und Newsletter. In der medialen Kommunikation wird den Stakeholdern das gesamte Spektrum der Medien angeboten, wobei diese nach Aufmerksamkeit und Interesse auswählen.
Kommunikation vollzieht sich grundsätzlich auf zwei Ebenen, auf der Sachebene und auf der Stilebene. Bei der Sachebene geht es um Vollständigkeit, Klarheit und Richtigkeit von Informationen. Sie ist die instrumentelle, flüchtige Seite der Kommunikation. Flüchtig bedeutet: Ist das Textziel[21] erreicht, sind die Textmittel vergessen. Bei der Stil- oder Beziehungsebene geht es um die auf Dauer angelegte Kommunikationsseite. Hier entscheidet sich, ob und wie Wertschätzung, Selbstachtung und das soziale Klima zum Ausdruck kommen. Hier werden die »eigentlichen Verständigungsvoraussetzungen mit der Öffentlichkeit geschaffen« (Buss/Fink-Heuberger 2000: 133), zu denen Vertrauen, Nähe, Verständigung, Respekt, Kooperation, Bindung, Werte-Konsens, emotionale Bindung, historisch-zeitlose Bilder und die Bedeutung der Beziehung zur Öffentlichkeit zählen, welche durch Kommunikation zu unterstreichen ist. Fehler auf der Darstellungsebene bleiben lange im Gedächtnis der Öffentlichkeit haften, seien es die berüchtigten »Peanuts« (Hilmar Kopper, Deutsche Bank), der Versuch, sich mit fremden Federn zu schmücken (Karl Theodor zu Guttenberg), oder ganz allgemein der schlechte Stil.
Der herkömmliche Corporate-Identity-Ansatz läuft Gefahr, Identität als Wesenskern eines Unternehmens zu verstehen, der im Verhalten der Mitarbeiter zur Entfaltung kommt. Eine solche Vorstellung ist nicht nur statisch, sondern auch unangemessen, da sich Identität im Wechselspiel von Erwartungen und Erwartungserwartungen interaktiv bildet und verändert. Eine Vorstellung von Corporate Identity als unveräußerliches Merkmal eines Unternehmens verführt zu narzisstischer Selbstbespiegelung, Uniformierung von Vielfalt und Instrumentalisierung von Mitarbeitern. PR-Textende dürfen daher nicht zu blinden Agenten sozialtechnischer Manipulationsversuche werden. Mit der erforderlichen Empathie können sie erkennen, dass z. B. ein Motto wie »Leistung aus Leidenschaft« intern wie extern und je nach Situation ganz unterschiedliche Reaktionen provoziert.
Grundlage jeder Beziehung ist Vertrauen. Vertrauen gilt jedoch als »versteckte Variable«. Das bedeutet, dass Prozesse des Vertrauens und der Vertrauensgenerierung nicht notwendigerweise bewusstseinspflichtig sind. Die Frage, welche Textinformationen unter welchen Bedingungen in Texten als Vertrauens- oder Misstrauenssignale interpretiert werden, ist bis heute unerforscht. Vertrauen ist an Verständlichkeit gebunden. Die Fähigkeit, Vertrauen zu generieren und Beziehungen zu pflegen, wird zunehmend als kritischer Faktor für den langfristigen Unternehmenserfolg gesehen. Der schriftlichen Stakeholder-Kommunikation kommt eine bedeutsame Rolle für den Aufbau und den Erhalt von Vertrauensbeziehungen zu. Viele Unternehmenstexte behandeln das Thema Vertrauen sehr naiv. Dabei braucht man viel Fingerspitzengefühl, denn Vertrauensbeziehungen sind in Wirklichkeit äußerst fragile Beziehungen.
Ist das soziale Gleichgewicht zwischen Unternehmen und Stakeholdern gestört, schadet sich ein Unternehmen letztlich selbst. Sind Stakeholder[22] zu »Opfern« einer Beziehung geworden, die auf Versklavung, Ausbeutung oder Erniedrigung beruht, so kann die Organisation nur dann geheilt werden, wenn sie ihr Unrecht oder ihr Versagen einsieht und einvernehmlich mit den Opfern nach einem Weg der »Heilung« der Opfer sucht. Echte Entschuldigungen sind nie einseitige verbale Akte, sondern stets Aktionen auf der Basis von Konsens.
»Wir erwarten Taten, und wenn diese Taten nicht folgen, dann bleibt dies [d. h. die Entschuldigung des Pharmakonzerns Grünenthal bei den Contergan-Opfern] nur eine leere Hülse und ein PR-Gag« (Sprecherin des Bundesverbandes Contergangeschädigter; www.focus.de, 8.9.2012).
Für die Gestaltung von Beziehungen in der PR-Praxis gehen wir von folgenden Grundsätzen aus:
1.
Mittel- und langfristig sind alle Gewinne Kooperationsgewinne.
2.
Stabile Beziehungen basieren auf einem Gleichgewicht von Geben und Nehmen.
3.
Stabile Beziehungen setzen Vertrauen, Respekt und Berechenbarkeit voraus sowie ein ernsthaftes Interesse an dem, was Stakeholder interessiert.
4.
Eine Beziehung zwischen Personen oder zwischen Organisationen betrachten wir als Element einer Person oder Organisation, nicht als etwas »zwischen« diesen.
5.
Ist die Beziehung gestört, leidet die Person oder Organisation. Die Störung einer Beziehung kann mit einer Erkrankung verglichen werden. Personen und Organisationen müssen um ihrer selbst willen an der »Heilung« von gestörten Beziehungen interessiert sein.
6.
Gemeinsame Erfahrungen bewirken, dass Stakeholder Teil der eigenen Identität werden und umgekehrt.
7.
Vertrauensbeziehungen sind schwer aufzubauen, aber schnell zerstört.
8.
Organisationen mit gestörten Beziehungen im Innenverhältnis können keine »gesunden« Beziehungen im Außenverhältnis aufbauen.
9.
Nachhaltige Identitäten sind Identitäten im Sinne von Visionen, die eine materielle und eine spirituelle Seite haben.
10.
Verständigung ist nur möglich, wenn Kommunikationsprozesse von Dauer sind und die Integration von Erfahrungen ermöglichen. Das bedeutet nicht nur eine thematische Erweiterung von ausgetauschten Informationen, sondern auch die Herstellung eines gedanklichen Zusammenhangs mit anderen Elementen des öffentlichen Diskurses.
1.4
[23]Texten als (Stakeholder-) Kommunikation
Mast (vgl. 2010: 114) unterscheidet drei Strukturierungskonzepte für Kommunikationsfelder:
Zielgruppen (Bezugsgruppen) werden anhand von empirischen Merkmalen definiert. Der Terminus stammt aus dem Marketing, speziell der Werbewirtschaft. Der Begriff der Zielgruppe legt eine instrumentelle Sicht von einseitiger Beeinflussungskommunikation nahe, was auf die Simulation von Kommunikation hinausläuft.
Stakeholder (Anspruchsgruppen) sind diejenigen Personen, die von Entscheidungen eines Unternehmens betroffen sind oder mit ihrem Verhalten selbst die Entscheidungen und Aktionen einer Organisation beeinflussen können. Organisationen müssen in ihrer Kommunikation die Interessen, Erwartungen und Meinungen von Stakeholdern berücksichtigen und nach Möglichkeit deren Entwicklung abschätzen können.
Publics (Teilöffentlichkeiten) sind situative Öffentlichkeiten und werden oft auch als Teilöffentlichkeiten bezeichnet. Sie setzen sich aus Menschen und Gruppen zusammen, die über einen gemeinsamen Sachverhalt diskutieren oder über bestimmte Positionen ähnlich denken.
Organisationsführung ist heute Stakeholder-Management. Ziele der Stakeholder-Kommunikation sind drei fragile Größen: Vertrauen, Reputation und Commitment (vgl. Menz/Stahl 2008: 72).
Vertrauen ist zunächst personales Vertrauen und kann sich zu Systemvertrauen verwandeln, wie wir am Beispiel des Geldwesens feststellen können. Es wird zwar immer wieder gesagt, dass Vertrauen Komplexität reduziere und Verhalten auch unter Unsicherheitsbedingungen ermögliche, aber es wird weniger oft gesagt, dass Vertrauensarbeit eine komplexe Praxis ist, die auch eine sprachlich-textliche Seite hat. Hier muss der Hinweis darauf genügen, dass in Krisenzeiten Texte nach Signalen abgesucht werden, welche bestimmte Deutungen nahelegen oder ausschließen. Dafür ein Beispiel:
Eine flapsige Aussage hat die Aktie des Fachverlagsriesen Wolters-Kluwer gestern zum Absturz gebracht. Man habe die Ertragsprognose um ›ein paar Prozentpunkte‹ heruntergesetzt, sagte Konzernchef Rob Pieterse bei einer Telefonkonferenz mit Analysten. Fazit dieser lapidaren Äußerung: Der Aktienkurs des milliardenschweren Konzerns fiel zeitweise um bis zu 20 Prozent (Financial Times Deutschland vom 16.5.2003, S. 6).
[24]Die Vertrauensforschung hat fünf soziale Normen identifiziert, die den Aufbau und Erhalt von personalem Vertrauen in Stakeholderbeziehungen bestimmen:
Offenheit: Bereitschaft, anderen Einblick in die eigene Organisation zu gewähren.
Ehrlichkeit: Mitteilungen an die Stakeholder werden nicht verfälscht, um daraus Vorteile zu gewinnen.
Toleranz: In vielen deutschen Unternehmen sind die Führungskräfte fast ausschließlich deutsche Staatsbürger und männlich. Unternehmen werden lernen müssen, flexibler und toleranter z. B. mit Frauen und mit Menschen aus anderen Kulturkreisen umzugehen.
Reziprozität: Die Wechselseitigkeit des Gebens und Nehmens ist eine Voraussetzung für den Erfolg von Kooperationen und Netzwerken.
Fairness: Bei allem Streben nach eigenen Vorteilen darf niemals die Schädigung anderer als »Mittel zum Zweck« in Kauf genommen werden (vgl. Menz/Stahl 2008: 73 f.).
Reputation meint die Summe von Einzelerwartungen und Einzelerfahrungen im Hinblick auf die Vertrauenswürdigkeit eines Unternehmens. Sie bedeutet die ständige Herausforderung, sich den Stakeholdern zu stellen (vgl. ebd.: 78). Je weiter man von einem Unternehmen weg ist, umso mehr ist man auf Signale angewiesen, aus denen man auf dessen Vertrauenswürdigkeit schließen kann. Zwischen den Beteiligten ist die Information mit zunehmender Distanz asymmetrisch verteilt.
»Die besser informierte Seite sendet folglich Signale als Ersatz für nicht direkt beobachtbares Verhalten aus (›signalling‹), und die schlechter informierte Seite versucht, aus dem ›Rauschen‹ der Signale Hinweise für mögliches Verhalten der anderen Seite zu extrahieren (›screening‹). Ein großes Unternehmen hat auch eine entsprechend große ›Sendekapazität‹, was sowohl ein Vorteil (z. B. die hohe Reichweite transnationaler Unternehmen), als auch ein Nachteil (z. B. die rasche Stigmatisierung durch Katastrophen à la Exxon Valdez) sein kann« (ebd.: 76).
Werden die Signale gebündelt und symbolisch verdichtet, haben wir es mit Marken, Unternehmensnamen oder markanten Ereignissen zu tun, die im Gedächtnis des Beobachters verankert werden. Zu Reputation werden diese Signale mithilfe von Schlussfolgerungen (»Inferenzen«), d. h. Reputation ist das Ergebnis von Deutungsprozessen. Für Entstehen und[25] Übertragung von Reputation sind nach Menz/Stahl (vgl. ebd.: 77) vier Schlussfolgerungsmechanismen wichtig:
Die einfache Extrapolation: Unternehmen A hat jedes Jahr eine angemessene Dividende gezahlt. Also verfolgt es eine faire Dividendenpolitik.
Die objektbezogene Inferenz: Der Geschäftsführer betont immer wieder sein Engagement für soziale Gerechtigkeit. Also ist das Unternehmen ein sozial verantwortlicher »Unternehmensbürger« (Corporate Citizen).
Die kontextbezogene Inferenz: Unternehmen A ist zuverlässig. Also ist auch das Tochterunternehmen zuverlässig.
Die ursachenbezogene Inferenz: Der jüngste Störfall hat organisatorische Mängel bei Unternehmen A aufgedeckt. Also ist Unternehmen A keine Sicherheits- und Qualitätskultur zuzutrauen.
Wir können an dieser Stelle die Begriffe Identität, Image (Fremdbild) und Reputation unterscheiden:
Die Identität ist das »Selbstbild der Unternehmung, welches das Besondere und Beständige ausdrückt. Sie ist das Ergebnis vielfacher Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibungen (z. B. Leitbilder, Unternehmungsgrundsätze), an denen Management und Mitarbeiter beteiligt sind« (Menz/Stahl 2008: 78).
Das Image oder Fremdbild »weicht naturgemäß davon ab, weil (a) die Unternehmung in der Regel einen Identitätsentwurf, das Wunschbild, zu vermitteln sucht, und weil (b) komplexe Wahrnehmungs- und Interpretationsprozesse ihre eigenen Facetten des Fremdbildes produzieren« (ebd.).
Reputation ist schließlich »die Summe von Einzelerwartungen im Hinblick auf die Vertrauenswürdigkeit einer Unternehmung« (ebd.).
Commitment ist die »Bereitschaft, zu einer eingegangenen Beziehung auch dann zu stehen, wenn es, »rational« gesehen, günstigere Optionen zu dieser Beziehung gibt. Mit Commitment kommen also extrarationale Mechanismen ins Spiel. Insgesamt wirken also drei Kräfte stabilisierend auf Stakeholder-Beziehungen: Vertrauen, Reputation und Commitment. Als Stakeholder werden Bezugsgruppen bzw. Anspruchsgruppen von Organisationen bezeichnet, die einen Beitrag für die Organisation leisten, Ansprüche an diese stellen oder deren Interessen in irgendeiner Weise mit der Organisation verbunden sind. Im Falle einer Non-Profit-Organisation (NPO) sind dies alle Individuen und Gruppen, die auf die Organisationsziele Einfluss[26] nehmen können oder selbst durch die Verfolgung dieser Ziele betroffen sind. Welche Stakeholder für eine Organisation relevant sind, hängt vom Einzelfall ab und ist stets abhängig von dem, wofür sich die Leitung entscheidet. Da es so viele verschiedene (Erfahrungs-)Welten wie Stakeholder gibt, ist Kommunikation wichtig, um Vertrauen trotz aller Unterschiede aufzubauen. In vielen Stakeholder-Beziehungen weiß man heute immer weniger, ob der Stakeholder (noch) außerhalb der Organisation steht oder ob er sich im Unternehmen befindet (vgl. Menz/Stahl 2008: 5). Entscheidend für die neue Sichtweise ist, dass Stakeholder nicht als Zielgruppe, sondern als Subjekt und als Teil der Organisation gesehen werden. Die Kommunikation mit den Stakeholdern findet heute unter verschärften Bedingungen statt. Dazu gehört, dass die Bindungskraft der Unternehmen gegenüber ihren Stakeholdern nachgelassen hat. Daher kann die Kommunikation nicht mehr einfach ausgelagert oder nebenbei wahrgenommen werden. Nach Menz/Stahl (vgl. 2008: 21) muss das Management mit Interessenpluralismus umgehen können, Reputationskapital aufbauen, im Sowohl-als-auch-Modus denken und handeln, für Stabilität und Flexibilität der Organisation sorgen, in Netzwerken führen können, Impulse für Selbstorganisation geben, mit Mehrdeutigkeit zurechtkommen und vom Resultat des Handelns her die eigenen Denkvoraussetzungen hinterfragen. Mit dem Stakeholder-Ansatz ist auch die Erkenntnis verbunden, dass ehemals als weich belächelte Faktoren wie Kommunikation immer mehr zu harten Faktoren werden. Nach wie vor konzentrieren sich viele Unternehmen stark auf den Leistungsaspekt, also: Wie viel Umsatz bringen die Kunden? Wie produktiv sind die Mitarbeiter? Welcher Aktienkurs lässt sich realisieren? In Zeiten beschleunigter Märkte werden jedoch die Vorteile der Kommunikationsbeziehungen deutlicher: Informationen über aktives Interesse, Imagewerte, Aufmerksamkeit, Unzufriedenheit und Beschwerden stehen den Unternehmen viel früher zur Verfügung als Berichtskennzahlen. Kommunikative Signale gehen also den harten Zahlen voraus, und sie stehen den Unternehmen in einer Phase zur Verfügung, in der sie die Situation noch gestalten können.
1.5
[27]Texten als sprachliche Leistung
Beim Texten sind Genrenormen zu beachten
Woher können wir wissen, welche sprachlichen und textlichen Mittel und Strategien angemessen sind, um einen Zweck X in der Situation Y zu erfüllen? Hier hilft uns das Wissen über das Sprachsystem (Wortschatz und Grammatik) ebenso wenig wie das Verfolgen tatsächlich praktizierten Textens. Die sog. »guten Beispiele« beruhen ja ihrerseits auf dem Wissen, das wir suchen. Und das Sprachsystem stellt uns nur Unterscheidungen zur Verfügung, die dafür sorgen, dass ein Sprachelement nicht mit einem anderen verwechselt wird: »Bänke«/«Banken«, »Wand«/«Band«, »Du kommst!«/«Kommst Du?« Das Wissen über eine solche allgemeine Gebrauchsnorm – nennen wir sie einfachheitshalber »Grammatik« – genügt nicht, um gute Texte zu produzieren. Und zwar deshalb nicht, weil Sprache vielen Zwecken entsprechen muss und multifunktional ist. Zwischen Grammatik als Regelsystem und konkreten Texten (Textexemplaren) gibt es aber noch die Ebene der funktionalstilistischen Teilnormen. Diese Normen steuern das Schreiben im Alltag, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft oder in der Literatur und prägen funktionale Texte (Textsorten) wie beispielsweise Geschichten, Briefe oder Berichte. Für das Texten müssen wir vor allem jene Teilnormen kennen, die mit der Schreibabsicht des Orientierens, (Selbst-) Verpflichtens, Informierens, Überzeugens, Erklärens, Erkennens und Unterhaltens sowie der Beziehungspflege, Selbstdarstellung und der Meinungsbekundung verbunden sind. Diese Schreibabsichten oder Textfunktionen können in Reinform realisiert aber auch gemischt werden. So ist beispielsweise die Schreibabsicht des Instruierens eine Mischung aus Informieren und Appellieren.
Ansatzstelle
Schreibabsichten
Textsortenbeispiele
Sender (Unternehmen)
Meinungsbekundung
Kommentar
Selbstvergewisserung
Tagebuch
Selbstverpflichtung
Versprechen
Adressat (Stakeholder)
Überzeugen
Imagebroschüre
Orientieren
Leitbild
Unterhalten
Online-Spiel
Beziehungen pflegen
Begrüßung
Appellieren
Rückruf
Sache (Themen)
Erkennen
Unternehmensphilosophie
Informieren
Geschäftsbericht
Instruieren
Gebrauchsanweisung
Erklären
Entscheidungsvorlage
Zusammenfassen
Meinungslandschaft
Zusammenhang von Intentionen und Textsorten
[28]Nur wer die entsprechenden Teilnormen kennt, kann Mischformen erkennen, Spielräume nutzen, mit Normen spielen und Texte mit Erfolg innerhalb des komplexen Bedingungsgefüges des kommunikativen Handelns gestalten. Da gibt es z. B. ein Unternehmen, das die Textsorteninnovation des Graffiti genutzt hat und in diesem Stil ein kleine Broschüre über Leitsätze der Zusammenarbeit und Führung formuliert hat. Besonders wichtig ist, dass nur dann, wenn die funktionalstilistischen Teilnormen beachtet werden, die Adressaten in der Lage sind, die Kommunikationsabsicht zu erkennen.
Man kann natürlich auch gezielt darauf hinarbeiten, dem Adressaten das Erkennen der Absicht zu erschweren:
Zu einem ganz strengen, ganz bösen Mann am Fahrkartenschalter möchte ich immer sagen: »Na, was haben Sie denn so für Billets?« (Kurt Tucholsky).
Oder man kann mit Textsortenstilen spielen:
Ein Berliner Schauspieler hat sich mit sich selbst zusammengeschlossen, um als Kollektiv aufzutreten. Um Tantiemen zu sparen und die ohnehin überflüssigen Autoren zu sparen, wird er den Text vom Souffleur beziehen […] (Kurt Tucholsky).
Die Glaubwürdigkeit eines Unternehmens ist an die Geschlossenheit seines Verhaltens und seines Darstellungsstils gebunden. Auf der Ebene des Darstellungsstils entscheidet sich, welche Atmosphäre zwischen Organisation und Stakeholdern herrscht, welcher Umgangsstil praktiziert wird, welche Bedeutung einem Thema zukommt, wie glaubwürdig die Information und Kommunikation ist, welches Maß an Verständnis und Verbundenheit gewollt ist, welchen Respekt und welche Bedeutung ein Unternehmen ihren öffentlichen Kommunikationskontrahenten entgegenbringt, was das Unternehmen für achtenswert hält (Werte, moralische Überzeugungen, Ideale), wie es sich selbst achtet und geachtet werden will, welche Bedeutung man den eigenen Leistungen beimisst (vgl. Buss/Fink-Heuberger 2000: 134). Beim Darstellungsstil geht es um mehr als nur Verständlichkeit, es geht um Atmosphärisches, Stimmungen und Imagination. Für Textende[29] bedeutet dies, dass sie neben Schreibkompetenz vor allem Nuancenkompetenz brauchen.
Missverhältnis zwischen Form und Inhalt
Wir leben im Zeitalter des Formalistischen. Ein Blick in die Geschäftsberichte und auf die Internetpräsenzen der deutschen DAX-Unternehmen zeigt ein Missverhältnis zwischen Dekorationskommunikation (Design und Stil/Rhetorik) einerseits und inhaltlicher Leere andererseits. Beispielsweise verfügt kaum ein DAX-Unternehmen über eine klare Formulierung seiner Vision oder über eine wirklich persönliche Sprache, die nicht durch zahlreiche Gremien »glattgebügelt« worden ist. All dies und auch der Trend zur Quartalsberichterstattung sind Anzeichen einer Überästhetisierung und eines depressiven Hintergrundes. Ersteres hilft, die wirklich wichtigen Fragen auszublenden und soll die Gemüter beruhigen. Letzteres deutet auf fehlendes Zutrauen zu sich selbst und dem Lauf der Dinge, weshalb die Energie für langfristiges Denken und Handeln schwindet.
Missverhältnis zwischen Senderzielen und Rezipientenerwartungen
Die traditionelle PR-Sichtweise fokussiert den Primat der Sache und die Messbarkeit von Kommunikationswirkungen. Dieses Denken versperrt zumindest teilweise den Blick auf den Standort der Öffentlichkeit. Dadurch kommt es zu einer Kluft zwischen Senderabsicht und Rezipientenerwartung (vgl. Buss/Fink-Heuberger 2000: 24 f.). Diese Kluft gar nicht erst entstehen zu lassen ist umso wichtiger, je wichtiger es für ein Unternehmen ist, als Persönlichkeit wahrgenommen zu werden, sei es als Markenpersönlichkeit oder als »guter Unternehmensbürger« (Corporate Citizen).
Die Öffentlichkeit sucht/erwartet
Die Unternehmen kontern mit
verlässliche Deutungshilfen
Sachinformation
Signale des Vertrauens
Argumenten messbaren Nutzens
Loyalität, Respekt, Wertschätzung
Erfolgsbilanzen oder Rechtmäßigkeitsgründen
gemeinsamen Grundkonsens
Argumenten wirtschaftlichen Nutzens
[30]Der öffentliche Erfolg einer Organisation beruht auf seiner Sachleistung und seiner Reputation. Daher verlangt die Öffentlichkeit zu Recht nach Antworten auf die Frage nach der Identität einer Organisation: Wofür steht sie? Wie glaubhaft ist sie? Ferner erwartet die Öffentlichkeit eine emotionale Form der Kommunikation im Sinne von Respekt, Wertschätzung und Achtung ihr gegenüber. Da das Vertrauen in rationale Erklärungen weitgehend verspielt ist, kann öffentliche Kommunikation nicht länger auf Expertenargumente zurückgeführt werden. Wir haben es heute mit einem Bedeutungsverlust der technischen Informationsseite zu tun. Schließlich muss die Kommunikation deutlich machen, dass es um die Kontinuität von historisch gewachsenen gemeinsamen Wertüberzeugungen geht, kurz: Kommunikation wird verstanden
»als Austausch von Signalen, die deutlich machen, dass die Dialogkontrahenten auf derselben Seite einer kulturellen Identität stehen« (Buss/Fink-Heuberger 2000: 25).
PR-Texte müssen dazu beitragen, die wesentlichen Ziele der Image-Kommunikation zu erreichen: Akzeptanz bei den Stakeholdern zu steigern, die Identifikation der Mitarbeiter zu stärken und die Reputation durch Wertkonsens in der Öffentlichkeit aufzubauen. Texten heißt, Rezipienten führen. Wie groß hier noch der Abstand zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist, soll das folgende Beispiel illustrieren:
Es wurde eine Prozesskostenbewertung durchgeführt, und wir machen Kostenplausibilisierungen durch den Einsatz von Schattenkalkulation. Der Projektfortschritt wird durch Quality Gates überwacht. (F.A.Z. vom 29.7.2006, S. 54).
Ein typischer Satz eines leitenden Angestellten in der Mitarbeiterzeitung eines süddeutschen Konzerns. Wer so redet, führt nicht, er verstellt sich selbst und allen anderen den Blick auf die Wirklichkeit. Er hat an der Spitze eines Unternehmens, dort wo es um Verantwortung für die Unternehmensexistenz und die Mitarbeiter geht, nichts zu suchen.
Man muss mit Texten Menschen führen, ihre Wahrnehmung auf ein Ziel lenken und ihnen die Möglichkeit geben, Probleme und Sachverhalte aus der gleichen Perspektive wahrzunehmen. Das geht nicht, ohne die Adressaten und ihre Gefühle und Erfahrungen zu kennen. Insofern ein bestimmtes Verständnis stets Ergebnis eines Aushandlungsprozesses ist, kommt es darauf an, beim Texten Spielräume zu sehen und zu nutzen. Hier kommt die[31] individuelle Kreativität ins Spiel, die von vielen wissenschaftlichen Arbeiten über Unternehmenskultur gerne übersehen wird. Eine besondere Herausforderung in der Beziehungskommunikation kann darin bestehen, noch unbekannte Situationen textlich hervorzurufen und den Spielraum beim Entwerfen von Situationen strategisch zu nutzen. Kommunikativ kann also nur derjenige führen, der sich Gedanken um den Sinn dessen macht, was das Unternehmen tut. Ohne diese Reflexion ist man kein Texter, sondern ein Schreiber. Für sich selbst und für das Unternehmen braucht man eine Zentralperspektive oder ein Ideal. Ein solches Ideal gibt jedem einzelnen Text wie von selbst den gleichen Grundton, jedenfalls so lange, wie man wahrhaftig ist.
[32][33]2
Die fünf Arenen der PR-Kommunikation