Praktische Stimmdiagnostik - Jörg E. Bohlender - E-Book

Praktische Stimmdiagnostik E-Book

Jörg E. Bohlender

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Beschreibung

- Alle wichtigen stimmdiagnostischen Untersuchungstechniken mit praktischen Anweisungen zur Durchführung und Auswertung - Inklusive Vor- und Nachteile der jeweiligen Technik - Folgt den Empfehlungen der European Laryngological Society - Fallbeispiele mit ausführlicher Anamnese, Diagnostik und Therapie. Audio- und Videodateien illustrieren die Beispiele - Hilfreich in der Ausbildung: Kontrollfragen erlauben ein Überprüfen des Lernerfolgs

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EPUB

Seitenzahl: 144

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Praktische Stimmdiagnostik

Theoretischer und praktischer Leitfaden

Norina Lauer, Dietlinde Schrey-Dern

Meike Brockmann-Bauser, Jörg E. Bohlender

1

59 Abbildungen

Geleitwort

„Warum wollen Sie denn so etwas Schönes wie die Stimme vermessen?“ Mit dieser Frage überrumpelte mich, den damals noch sehr jungen Assistenzarzt, vor langer Zeit ein international hoch angesehener österreichischer Phoniater. Hintergrund war, dass ich voller Begeisterung auf einem europäischen Phoniatriekongress eine selbstentwickelte Methode vorstellen wollte, um die Stimmlippenamplituden quantifizieren zu können. Heute, angesichts wunderbar weiterentwickelter, insbesondere PC-basierter Technologien, würde man über die damalige Methode wohl lächeln. Aber die Frage bleibt natürlich: Warum will man die Stimme vermessen?

Sicher ist in manchen Bereichen, in denen die Stimme eine wesentliche Rolle spielt, eine „Stimmvermessung“, zumindest eine apparative, nicht erforderlich. Wer allerdings eine solche Frage im medizinischen Umfeld stellt, hat schlicht nicht begriffen, was moderne Diagnostik und auch Therapie ausmacht. Die Verantwortung für unsere Patientinnen und Patienten muss uns hehrer Grund sein, unsere Handlungsweisen permanent auf den Prüfstand zu stellen und zu bewerten, ob wir das erreichen, was wir zu erreichen wünschen bzw. in Aussicht stellen. Und genau dafür, nämlich für die ständige Prüfung unserer diagnostischen und therapeutischen Handlungsweisen, brauchen wir objektive, valide und reliable Messinstrumente.

Meike Brockmann-Bauser und Jörg E. Bohlender stellen sich mit dem vorliegenden Buch der Aufgabe, in einem praxisorientierten Ansatz gängige „Stimmmessintrumente“ vorzustellen. Es werden nicht nur klinische Anwendungsgebiete aufgezeigt, sondern es wird auch zu den jeweiligen Verfahren kritisch Stellung genommen. Kurz: Es wird nicht auf die Frage „Warum soll die Stimme vermessen werden?“, sondern vielmehr auf „Wie soll die Stimme vermessen werden?“ qualifiziert eingegangen. Ich bin sicher, dass wir in 20 oder 30 Jahren wiederum ein gewaltiges Stück in Diagnostik und Therapie auch der Stimmstörungen vorankommen und man dann vielleicht über die heutigen Methoden lächeln wird. Aber dabei dürfen wir nicht vergessen: Zum Glück verfügen wir heute schon über ein sehr gutes diagnostisches Rüstzeug, das sachgerecht eingesetzt werden will.

Da letztlich nur so eine Qualitätssicherung unserer Arbeit gelingen kann, seien diesem Buch eine gute Aufnahme und Erfolg beschieden!

Hannover, Januar 2014

Prof. Dr. Dr. h.c. Martin Ptok

Ärztlicher Direktor – Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie

Ärztlicher Direktor – Schule für Logopädie

Geschäftsführender Direktor – Zentrum Schulen

Vorwort der Herausgeberinnen

Die Untersuchung und Behandlung von Menschen mit Stimmstörungen, aber auch die Vorbeugung von Stimmerkrankungen repräsentieren einen Kernbereich logopädischer Tätigkeit. Wie in anderen logopädischen Tätigkeitsfeldern haben sich auch im Bereich der Stimme die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten in den letzten Jahrzehnten erheblich erweitert. Mit der Entwicklung von Beurteilungsschemata, wie dem RBH-Schema, und der Validierung von Patientenbefragungen, wie dem Voice Handicap Index, sind systematische Vergleiche zwischen Patienten, aber auch Beurteilungen von Befunden vor und nach einer Stimmtherapie möglich.

Im Sinne einer evidenzbasierten Praxis genügt es aber nicht, allein subjektive Maße zu erheben. Vielmehr sind Veränderungen auch anhand objektiver Messwerte zu belegen. Die mittlerweile vorhandenen technischen Möglichkeiten der Stimmanalyse und die Zunahme an vorliegenden Normdaten bieten hierzu immer bessere Voraussetzungen. Daher leistet eine logopädische Befunderhebung über akustische und aerodynamische Messungen neben einer phoniatrischen laryngoskopischen und stroboskopischen Untersuchung einen wesentlichen Beitrag zu einer multidisziplinären Diagnosestellung, die den Mindestanforderungen der European Laryngological Society (ELS) entsprechen sollte.

Der Gesundheitsforschungsrat hat 2012 in seinen Empfehlungen zur Forschung in den Gesundheitsfachberufen darauf hingewiesen, dass technische Hilfsmittel in der Diagnostik und Therapie immer häufiger eingesetzt werden und von den Anwendern eine reflektierte und effiziente Nutzung erfordern. Auch der Wissenschaftsrat nennt im selben Jahr in seinen Empfehlungen zu hochschulischen Qualifikationen für das Gesundheitswesen den vermehrten Einsatz von Technik als eine Herausforderung auch für die Angehörigen therapeutischer Berufe. Daher ist es erforderlich, dass sich Logopädinnen und Logopäden intensiv mit den technischen Möglichkeiten in Diagnostik und Therapie auseinandersetzen.

Das vorliegende Buch bietet einen praktischen Leitfaden zu Anwendung und Interpretation von Messverfahren zur Stimmanalyse. Zur Veranschaulichung unterschiedlicher Larynxbefunde und perzeptiver Merkmale von Stimmaufnahmen werden Audio- und Filmdateien online zur Verfügung gestellt (Zugangscode s. hintere Umschlaginnenseite).

Der Leitfaden soll dabei helfen, sich insbesondere mit objektiven Messmethoden auseinanderzusetzen und die Häufigkeit ihres Einsatzes zu steigern. Die Nutzung technischer Diagnostikverfahren zur Messung von Therapieerfolgen stellt eine wesentliche Grundlage für ein auf evidenzbasierte Praxis ausgerichtetes Handeln dar und wird zukünftig immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Aachen und Idstein, Januar 2014

Dietlinde Schrey-Dern

Norina Lauer

Vorwort

Die Stimme des Menschen ist ein faszinierendes und komplexes Phänomen. Als Bestandteil der lautsprachlichen Kommunikation lässt sich die Stimme unter anderem linguistisch, künstlerisch-ästhetisch, pädagogisch, physikalisch und medizinisch beurteilen. Das wachsende wissenschaftliche Interesse an der menschlichen Sprech- und Singstimme zeigt sich in zahlreichen Fachbeiträgen, Publikationen, Seminaren und Tagungen. Eine differenzierte diagnostische und therapeutische Auseinandersetzung der unterschiedlichen Disziplinen mit dem Thema Stimme verlangt zunehmend ein Grundverständnis und eine gemeinsame Sprache.

So zeigt sich, dass die Betreuung von Patienten mit Stimmstörungen schon länger keine exklusive logopädische oder phoniatrische Domäne mehr ist. Mittlerweile diagnostizieren und behandeln andere stimminteressierte Berufsgruppen verschiedene Formen von Stimmstörungen ohne jegliche fachliche oder klinische Begleitung. Gerade vor einem solchen Hintergrund wird eine fundierte Expertise immer wichtiger, um eine sachliche und gleichzeitig kritische Auseinandersetzung führen zu können. Stimmprobleme lassen sich nur dann erfolgreich behandeln, wenn eine differenzierte Diagnostik angewandt, die Kenntnisse verschiedener therapeutischer Ansätze umgesetzt und die individuellen Ursachen und Auswirkungen des Stimmproblems berücksichtigt werden.

Eine professionelle Analyse der menschlichen Stimme erfordert daher mehr als ein bewusstes Hören. Eine moderne Stimmdiagnostik kann mittlerweile ohne großen technischen Aufwand in der Praxis durchgeführt werden – und damit einen wichtigen Beitrag für die Diagnose, aber auch die Therapieplanung sowie die Überprüfung der Wirksamkeit einer Behandlung liefern.

Dieses Lehrbuch bietet einen praxisnahen Leitfaden durch die sich rasant entwickelnden Untersuchungstechniken. Der Leitfaden soll auch „Berührungsängste mit der Technik“ abbauen helfen und zur praktischen Umsetzung und Anwendung einer modernen Stimmdiagnostik beitragen.

Entstanden ist dieser stimmdiagnostische Leitfaden zunächst als theoretische Einführung und als praktische Arbeitsanleitung für Mitarbeiter, Studenten und Kollegen, die noch nicht mit strukturierten stimmdiagnostischen Untersuchungstechniken vertraut waren. Im Laufe der vergangenen Jahre wurde die anfängliche Version des Leitfadens den klinischen und praktischen Anforderungen angepasst und in die vorliegende Form gebracht.

Eine umfassende Stimmdiagnostik ist keine akademische Bauchnabelschau, sondern gehört zum praktischen Handwerk jedes Stimmtherapeuten: Denn eine professionelle Stimmdiagnostik lässt sich nicht von einer professionellen Stimmtherapie trennen.

Zürich, Dezember 2013

Meike Brockmann-Bauser

Jörg E. Bohlender

Danksagung

Großer Dank gebührt unseren Kollegen vom Team Phoniatrie und Klinische Logopädie der ORL-Klinik des Universitätsspitals Zürich für geduldiges „Ausprobieren“ von unzähligen neuen Varianten des Leitfadens sowie für viele Stunden wertvolles und konstruktives Feedback. Ganz besonders bedanken wir uns bei Ursula Vith und Kristina Castiglioni-Zäch für das sorgfältige Lektorat dieses Leitfadens. Wir danken ebenso unseren Stimmpatienten, die uns immer wieder neu lehren, was ein Stimmproblem bedeuten kann.

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort

Vorwort der Herausgeberinnen

Vorwort

Danksagung

1 Einführung

1.1 Wofür und für wen ist der Leitfaden?

1.2 Was ist eine Stimmstörung?

1.3 Übersicht über Untersuchungsmodelle bei Stimmstörungen

1.4 Warum empfiehlt sich eine multidimensionale Stimmdiagnostik?

2 Anamnese

2.1 Rolle der Anamnese in der Stimmdiagnostik

2.2 Fragen in der Anamnese

2.2.1 Auswertung

3 Selbsteinschätzung des Patienten

3.1 Einführung

3.1.1 Warum subjektive Beschwerden untersuchen?

3.1.2 Wann und wofür ist die Untersuchungsmethode geeignet?

3.2 Voice Handicap Index 9 international

3.2.1 Anwendung

3.2.2 Auswertung und Normwerte des VHI

4 Perzeptive Untersuchungen

4.1 Einführung

4.1.1 Warum perzeptive Untersuchungen des Stimmklanges?

4.1.2 Wann und wofür ist die Untersuchungsmethode geeignet?

4.2 RBH- und GRBAS-Skala

4.2.1 Anwendung der RBH-/GRBAS-Skala

4.2.2 Auswertung der RBH-/GRBAS-Skala

5 Laryngoskopie und Stroboskopie

5.1 Einführung

5.1.1 Warum und wann eine visuelle Untersuchung?

5.1.2 Voraussetzungen für eine Laryngoskopie

5.2 Überblick: Visuelle Untersuchungsmethoden in Klinik und Praxis

5.2.1 Starre Laryngoskopie

5.2.2 Flexible transnasale Endoskopie des Larynx

5.2.3 Stroboskopie

5.2.4 Hochgeschwindigkeitsglottografie

5.3 Laryngoskopie

5.3.1 Durchführung einer starren Laryngoskopie

5.3.2 Durchführung einer flexiblen Endoskopie

5.3.3 Beurteilungskriterien

5.3.4 Beispielhafte Befunde

5.4 Stroboskopie

5.4.1 Durchführung

5.4.2 Beurteilungskriterien

6 Instrumentelle akustische Analysen

6.1 Einführung

6.1.1 Was sind instrumentelle akustische Analysen?

6.1.2 Warum instrumentelle akustische Parameter messen?

6.1.3 Wann und wofür sind instrumentelle akustische Analysen geeignet?

6.1.4 Sind instrumentelle akustische Analysen immer objektiv?

6.2 Anwendungsgebiete von instrumentellen akustischen Messmethoden in Klinik und Praxis

6.2.1 Stimmumfangsprofil

6.2.2 Irregularitätsparameter

6.2.3 Spektrogramme (Sonagramme)

6.2.4 Kombinierte Parameter: Dysphonia Severity Index

6.2.5 Aufnahmeausrüstung und Messtechnik

6.3 Stimmumfangsprofile

6.3.1 Sprech- und Rufstimme

6.3.2 Singstimme

6.4 Irregularitätsparameter Jitter und Shimmer

6.4.1 Messung

6.4.2 Auswertung und Normwerte

6.5 Spektrogramme

6.5.1 Messung

6.5.2 Auswertung

6.6 Dysphonia Severity Index

6.6.1 Messung und Berechnung

6.6.2 Auswertung und Normwerte

7 Aerodynamische Messungen

7.1 Einführung

7.1.1 Warum aerodynamische Messungen?

7.1.2 Wann und wofür sind aerodynamische Messungen geeignet?

7.2 Tonhaltedauer

7.2.1 Messung

7.2.2 Auswertung und Normwerte

7.3 Vitalkapazität

7.3.1 Messung und Auswertung

7.4 Phonationsquotienten

7.4.1 Berechnung und Auswertung

8 Indikationsmodell zur Behandlung bei Stimmstörungen

8.1 Einleitung

8.2 Wertung der Untersuchungsergebnisse

8.3 Grenzen der Stimmdiagnostik

9 Beispiele aus der Praxis

9.1 Einführung

9.2 Beispiel A: Einseitige Stimmlippenlähmung

9.2.1 Anamnese

9.2.2 Diagnostik

9.2.3 Diagnose

9.2.4 Behandlung

9.2.5 Therapieabschluss

9.2.6 Ergebnisse der Abschlussuntersuchung

9.3 Beispiel B: Funktionelle Stimmstörung

9.3.1 Anamnese

9.3.2 Diagnostik

9.3.3 Diagnose

9.3.4 Behandlung

9.3.5 Therapieabschluss

9.3.6 Ergebnisse der Abschlussuntersuchung

9.4 Beispiel C: Stimmlippenpolyp

9.4.1 Anamnese

9.4.2 Diagnostik

9.4.3 Diagnose

9.4.4 Behandlung

9.4.5 Therapieabschluss

9.4.6 Ergebnisse der Abschlussuntersuchung

10 Tabellen

11 Vorlagen

11.1 Voice Handicap Index in verschiedenen Sprachen

11.2 Singing Voice Handicap Index in deutscher Sprache

11.3 Lesetexte

11.3.1 Lesetext in Deutsch

11.3.2 Lesetexte in anderen Sprachen

11.4 Zürcher Stimmdiagnostik-Basisbogen

12 Fragen zur Selbstkontrolle und Prüfungsfragen

13 Online-Materialien

14 Literatur

Anschriften

Sachverzeichnis

Impressum

1 Einführung

1.1 Wofür und für wen ist der Leitfaden?

Dieses Lehrbuch ist ein praktischer Leitfaden für eine fundierte und moderne Beurteilung der Stimmfunktion bei Erwachsenen mit Hilfe standardisierter Untersuchungsverfahren. Es richtet sich primär an die Kolleginnen und Kollegen, die eine vielschichtige und professionelle Stimmdiagnostik etablieren wollen und bereits anwenden. Neben der praxisnahen Ausrichtung des Leitfadens sollen auch der theoretische Hintergrund und die erforderlichen Normwerte auf verständliche Art und Weise vermittelt werden. Dieser Leitfaden versteht sich als Manual für den Stimmexperten ein täglicher Helfer in der Praxis.

Das hier vorgestellte Vorgehen orientiert sich an den Leitlinien der European Laryngological Society (ELS) aus dem Jahr 2001 [→ Dejonckere et al., 2001]. Diese Empfehlungen werden anhand von Studien und Reviews aus den Jahren 2001–2012 kritisch diskutiert und mit praktischen Hinweisen, die seit mehreren Jahren am Universitätsspital Zürich erprobt und wieder überarbeitet wurden, ergänzt.

Die einzelnen Kapitel bestehen aus einer kurzen Zusammenfassung der aktuellen Literatur zum Untersuchungstyp, einer Definition der jeweiligen Untersuchungsmethode sowie einem Leitfaden für die praktische Untersuchungsdurchführung und -auswertung.

Dieses Lehrbuch kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Beispielsweise wird die Abklärung von professionellen Stimmen (z.B. Sängerstimme) und von Kinderstimmen nicht abgehandelt. Darüber hinaus kann eine eingehende Diagnostik immer weitere detaillierte Untersuchungsbausteine enthalten.

Das Handbuch ist eine Anregung für eine umfassende und moderne Stimmdiagnostik. Es darf nicht als dogmatisches „Kochbuch“ verstanden werden. Jedes stimmdiagnostische Vorgehen erfordert eine (selbst-)kritische Analyse der erhobenen Werte. Der Diagnostiker muss die Grenzen jedes eingesetzten Verfahrens verstehen und kennen. Letztlich – und das ist entscheidend – wird weder ein Symptom, noch ein Messwert oder Bild behandelt, sondern ein individueller Patient mit einem komplexen Problem.

1.2 Was ist eine Stimmstörung?

Stimmstörungen können unabhängig von Alter, Geschlecht, Beruf und sozialem Status auftreten. Für viele Patienten bedeutet eine Stimmstörung eine merkbare Einschränkung ihrer bisherigen Stimmfunktion in Beruf und Alltag. Betroffene suchen am häufigsten eine Fachperson oder Klinik auf, wenn sich die Qualität oder Leistungsfähigkeit ihrer Stimme oder das Gefühl der Anstrengung beim Sprechen oder Singen verändert hat [→ Schwartz et al., 2009], [→ Van Houtte et al., 2010].

Die Ursachen und auch das Erscheinungsbild einer Stimmproblematik sind vielfältig [→ Sulica, 2011]. Nicht jeder Stimmpatient präsentiert sich zwangsläufig mit einer hörbaren Heiserkeit. Eine Stimmerkrankung kann lediglich mit einer eingeschränkten stimmlichen Leistungsfähigkeit einhergehen und gleichzeitig die Lebensqualität des Betroffenen beeinträchtigen. Der übergeordnete Begriff Dysphonie beschreibt daher alle denkbaren stimmbezogenen Beschwerden in den unterschiedlichsten Ausprägungsgraden [→ Schwartz et al., 2009], [→ Van Houtte et al., 2010], [→ Sulica, 2011].

Stimmstörungen können entstehen durch

Einschränkungen der Innervation (z.B. Stimmlippenlähmung) oder

Funktionsstörungen der an der Stimmbildung beteiligten Organe (z.B. funktionelle Stimmstörung) [→ Van Houtte et al., 2010].

strukturelle Veränderungen der Stimmlippe (z.B. Stimmlippenpolyp),

Ursachen hierfür können auch allgemeine Grunderkrankungen (z.B. Allergien) sowie psychogene und psychosoziale Probleme sein.

Definition

Stimmstörung (Dysphonie)

Eine Dysphonie ist eine Störung der Stimmfunktion, die charakterisiert wird durch Veränderung der Stimmqualität, der Sprechtonhöhe, der Lautstärke und der Anstrengung, welche die tägliche Kommunikation oder die stimmbezogene Lebensqualität reduziert [→ Schwartz et al., 2009].

Stimmstörungen können durch Veränderungen in der Struktur, der Innervation oder der Funktion der an der Stimmbildung beteiligten Organe entstehen [→ Van Houtte et al., 2010].

1.3 Übersicht über Untersuchungsmodelle bei Stimmstörungen

Aus der Definition von Stimmstörungen lassen sich mehrere zwingend notwendige Untersuchungsbereiche ableiten. Im Rahmen der Stimmdiagnostik müssen möglichst differenzierte Informationen über

die Ursache,

das Ausmaß und

die Auswirkungen

einer Stimmstörung erhoben werden.

Die European Laryngological Society (ELS) empfiehlt deshalb ein multidimensionales Untersuchungskonzept [→ Dejonckere et al., 2001], das in ► Tab. 1.1 zusammengefasst ist.

Tab. 1.1

 Diagnostikmethoden mit Untersuchungsbereichen gemäß European Laryngological Society (ELS).

Methode

Untersuchte Aspekte einer Stimmstörung

Selbsteinschätzung des Patienten

subjektive Beschwerden

Anstrengung

Kommunikation

Lebensqualität (Ausmaß der Stimmstörung im Alltag)

videostroboskopische Untersuchung

Struktur, Innervation und Funktion des Kehlkopfs (stimmerzeugendes Organ)

perzeptive Untersuchung

Stimmqualität

Resonanz (Output)

instrumentelle akustische Untersuchungen

Tonhöhe

Lautstärke

Spektrum des Stimmsignals

Resonanz (Output)

aerodynamische Untersuchungen

Atemfunktion (Energiequelle)

Dem Diagnostiker muss jedoch bewusst sein, dass das ELS-Protokoll als Minimalkonsens zu verstehen ist. Eine gesunde Stimmfunktion hängt von vielen Faktoren ab. Einerseits ist eine physiologische Abstimmung nötig von

Atmung (Energiequelle),

Phonation (Klangerzeugung) und

Resonanzräumen (Modifikation Stimmklang).

Andererseits können sich global auf die Stimmfunktion auswirken

die allgemeine physische und psychische Verfassung,

die Eigenwahrnehmung (auditiv und taktil-kinästhetisch) und auch

Umweltfaktoren (z.B. Umgebungslärm, Stimmbelastung).

Diese Bereiche werden von unterschiedlichen Diagnostikinstrumenten spezifisch untersucht (► Tab. 1.1, ► Abb. 1.1) und müssen bei Bedarf durch weitere Untersuchungsmethoden ergänzt werden. Bisher gibt es außer dem ELS-Protokoll keine weiteren verbindlichen stimmdiagnostischen Empfehlungen. Im Anhang findet sich exemplarisch ein stimmdiagnostisches Untersuchungsprotokoll, wie es in der Abteilung Phoniatrie und Klinische Logopädie, Universitätsspital Zürich, angewendet wird (s. Kap. ► 11). (Zum ELS-Protokoll gibt es einen Link: http://www.elsoc.org/index.asp?seccion=5&registro=42.)

1.4 Warum empfiehlt sich eine multidimensionale Stimmdiagnostik?

Jeder Patient erlebt auf unterschiedliche Art und Weise sein individuelles Stimmproblem und die damit einhergehenden Einschränkungen. Die Stimmstörung wird von den Betroffenen unabhängig von einer Diagnose, je nach beruflicher und privater Situation, subjektiv bewertet. Eine professionelle und auf den Patienten abgestimmte Behandlung kann deshalb nur aufgrund einer umfassenden Stimmdiagnostik geplant werden. Diese sollte die persönlichen Probleme im Alltag, die klinisch objektivierbaren Einschränkungen der Stimmfunktion, sichtbare organische sowie funktionelle Veränderungen differenziert erfassen. Aus diesen genannten Gründen sollten stimmtherapeutische Maßnahmen, seien sie nun konservativ oder chirurgisch, nie ohne eine vorangehende sorgfältige Stimmdiagnostik durchgeführt werden.

Eine vielschichtige Funktionsdiagnostik ermöglicht die Objektivierung und Dokumentation von unterschiedlichsten Aspekten der Stimmfunktion. Aus den erhobenen Daten und Informationen kann die Entscheidung für eine individuelle Therapieindikation getroffen und mit dem Patienten erörtert werden.

Darüber hinaus erlauben diese diagnostischen Strategien und Verfahren eine prä- und posttherapeutische Evaluation stimmtherapeutischer und phonochirurgischer Maßnahmen im Sinne der Evidence-based Practice [→ Bohlender, 2013].

Abb. 1.1 Modell der Stimmfunktion und spezifische Diagnostik. Eine gesunde Stimmfunktion hängt von multiplen Faktoren ab. Atmung (Energiequelle), Kehlkopffunktion (Tonerzeugung) und Resonanzräume (Klang) sind Grundvoraussetzungen, die von Einflussfaktoren wie der Propriozeption oder von Umweltfaktoren global beeinflusst werden können. Im Rahmen der Diagnostik werden die einzelnen Bereiche durch unterschiedliche diagnostische Methoden untersucht.

Der Nachweis der Wirksamkeit einer Behandlung erfordert den Einsatz von fundierten und nachvollziehbaren standardisierten Untersuchungsmethoden. Vor dem Hintergrund rasanter technologischer Entwicklungen, wachsender Qualitätsansprüche und vermehrter Forschung reflektiert das ELS-Protokoll den Minimalkonsens einer modernen Stimmfunktionsdiagnostik.

Eine Stimmuntersuchung darf sich nicht allein auf eine visuelle Untersuchung des Larynx mittels Laryngostroboskopie beschränken. Auch wenn die bildliche Darstellung des Kehlkopfs als Goldstandard gilt, kann nicht unbedingt jedes Stimmproblem sofort erkannt und diagnostisch eingeordnet werden [→ Mehta u. Hillman, 2008], [→ Deliyski u. Hillman, 2010].

Besonders diskrete funktionelle Einschränkungen der Stimmfunktion [→ Schneider et al., 2002], [→ Nawka u. Konerding, 2012] oder sehr kleine organische Befunde [→ Deliyski u. Hillman, 2010], die jeweils erhebliche Auswirkungen auf die Stimmfunktion im Alltag haben können, lassen sich nicht immer endoskopisch erfassen.

Nur mit grundlegenden Kenntnissen über die Vor- und Nachteile sowie die Grenzen der unterschiedlichen diagnostischen Verfahren können die erhobenen Befunde sinnvoll eingeordnet und daraus konkrete Therapieziele abgeleitet werden [→ Brockmann-Bauser, 2012].

2 Anamnese

2.1 Rolle der Anamnese in der Stimmdiagnostik

Die Erhebung einer Anamnese ist häufig der erste enge Kontakt mit dem Patienten. Diese Beziehungsaufnahme stellt einen äußerst wichtigen diagnostischen Baustein im Rahmen einer professionellen Abklärung von Stimmstörungen dar.

Die Anamneseerhebung verlangt soziale und kommunikative Kompetenzen und wird traditionellerweise als ein elementarer und nicht delegierbarer Bestandteil der ärztlichen Gesprächsführung verstanden. Das ärztliche Gespräch beinhaltet nach der Anamnese das Erstellen einer abschließenden Diagnose, die Aufklärung und weiterführende Beratung des Patienten. Zusätzlich werden vom Arzt Fragen zur Prognose und gegebenenfalls zu therapeutischen Optionen beantwortet und diskutiert. Zusammenfassend versucht eine auf das Symptom „Stimmstörung“ fokussierte Anamnese die objektiven Faktoren zu identifizieren, die beispielsweise ein stimmschädigendes Verhalten begünstigen, aber auch das subjektive Erleben eines Stimmpatienten zu erfassen.

Der behandelnde Stimmtherapeut