Prävention und Psychotherapie der Insomnie - Elisabeth Hertenstein - E-Book

Prävention und Psychotherapie der Insomnie E-Book

Elisabeth Hertenstein

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Beschreibung

Insomnien sind Ein- oder Durchschlafstörungen kombiniert mit Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit oder des Befindens während des Tages. Sie sind weit verbreitet und mit erheblichen negativen Konsequenzen für die Lebensqualität der Betroffenen und die Gesellschaft verbunden. Das vorliegende Buch behandelt Modelle zur Entstehung und Aufrechterhaltung, (Differential-)Diagnostik, Prävention und Therapie sowie Möglichkeiten zur Prävention häufiger Folgeerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depressionen. Es orientiert sich an aktuellen Forschungsergebnissen und ist anhand von Fallbeispielen, Diagnoseleitfäden und Beispielinterventionen praxisnah gestaltet.

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Seitenzahl: 158

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Störungsspezifische Psychotherapie

 

Herausgegeben von Anil Batra und Fritz Hohagen

 

 

Übersicht über die bereits erschienenen Bände:

Anil Batra, Gerhard Buchkremer: »Tabakentwöhnung. Ein Leitfaden für Therapeuten« 978-3-17-017614-0

Anil Batra, Frank Schwärzler, Christopher Dedner, Hanna Smoltczyk, Gerhard Buchkremer: »Stationäre Gruppenpsychotherapie der Depression« 978-3-17-017615-7

Sandra Becker, Stephan Zipfel, Martin Teufel: »Psychotherapie der Adipositas. Interdisziplinäre Diagnostik und differenzielle Therapie« 978-3-17-023062-0

Thorsten Kienast, Johannes Lindenmeyer, Martin Löb, Sabine Löber, Andreas Heinz: »Alkoholabhängigkeit. Ein Leitfaden zur Gruppentherapie« 978-3-17-018456-5

Stefan Klingberg, Klaus Hesse: »Stationäre evidenzbasierte Psychotherapie bei Psychosen. Kognitiv-verhaltenstherapeutisches Praxismanual« 978-3-17-017616-4

Rolf Meermann, Ernst-Jürgen Borgart: »Essstörungen: Anorexie und Bulimie. Ein kognitiv-verhaltenstherapeutischer Leitfaden für Therapeuten« 978-3-17-018458-9

Rolf Meermann, Eberhard Okon: »Angststörungen: Agoraphobie, Panikstörung, spezifische Phobien. Ein kognitiv-verhaltenstherapeutischer Leitfaden für Therapeuten« 978-3-17-018457-2

Franziska Schober, Peter Peukert, Friederike Wernz, Anil Batra: »Psychoedukatives Training bei Abhängigkeitserkrankungen« 978-3-17-021610-5

Iris Torchalla, Martina Schröter, Anil Batra: »Individualisierte Tabakentwöhnung. Verhaltenstherapeutisches Manual« 978-3-17-022481-0

Martina Wolf-Arehult, Cornelia Beckmann: »Achtsamkeitstraining. Ein Manual für ein störungsübergreifendes Training für psychiatrische Patienten« 978-3-17-021608-2

Klaus Wölfling, Christina Jo, Isabel Bengesser, Manfred E. Beutel, Kai W. Müller: »Computerspiel- und Internetsucht. Ein kognitiv-behaviorales Behandlungsmanual« 978-3-17-021697-6

Susanne Wortmann-Fleischer, George Downing, Christiane Hornstein: »Postpartale psychische Störungen. Ein interaktionszentrierter Therapieleitfaden« 978-3-17-018854-9

Susanne Wortmann-Fleischer, Regina v. Einsiedel, George Downing (Hrsg.): »Stationäre Eltern-Kind-Behandlung. Ein interdisziplinärer Leitfaden« 978-3-17-021607-5

Elisabeth Hertenstein, Kai Spiegelhalder, Anna Johann, Dieter Riemann

Prävention und Psychotherapie der Insomnie

Konzepte, Methoden und Praxis der Freiburger Schlafschule

Verlag W. Kohlhammer

Die vorliegende Buchpublikation wurde im Rahmen des Teilprojekts »Schlaflosigkeit – ein unabhängiger Risikofaktor und frühes Symptom psychischer Erkrankungen – als Ziel präventiver Maßnahmen« des Kompetenzzentrums Prävention psychischer und psychosomatischer Störungen in der Arbeits- und Ausbildungswelt (gefördert durch das MWK Baden-Württemberg) erstellt.

 

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

1. Auflage 2015

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-026860-9

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-026861-6

epub:    ISBN 978-3-17-026862-3

mobi:    ISBN 978-3-17-026863-0

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhalt

 

 

1 Klinisches Bild

1.1 Definitionskriterien

1.2 Prävalenz

1.3 Verlauf

1.4 Komorbidität

2 Ätiologie

2.1 Diathese-Stress-Modell

2.2 Aufrechterhaltende Faktoren

2.3 Kognitive Modelle

2.3.1 Kognitives Modell von Harvey

2.3.2 Kognitives Modell von Lundh und Broman

2.3.3 Aufmerksamkeit, Intention und Anstrengung (Modell von Espie)

2.4 Hyperarousal-Modell

2.4.1 Kognitives Hyperarousal

2.4.2 Emotionales Hyperarousal

2.4.3 Physiologisches Hyperarousal

2.5 Metakognitives Modell von Ong

3 Diagnostik und Differentialdiagnostik

3.1 Diagnostik

3.1.1 Diagnostisches Erstinterview

3.1.2 Situationsanalyse

3.1.3 Schlaftagebuch

3.1.4 Fragebögen

3.2 Differentialdiagnostik

3.2.1 Medizinische Untersuchung

3.2.2 Psychiatrische Untersuchung

3.2.3 Apparative Diagnostik

3.2.4 Substanzanamnese

4 Prävention von Insomnien

5 Behandlung

5.1 Kognitive Verhaltenstherapie der Insomnie

5.1.1 Beziehungsaufbau

5.1.2 Psychoedukation: Information über Schlaf und Ratschläge für einen gesunden Schlaf

5.1.3 Ratschläge für einen guten Schlaf

5.1.4 Entspannungsverfahren

5.1.5 Bettzeitrestriktion und Stimuluskontrolle

5.1.6 Kognitive Therapie

5.2 Neuere psychotherapeutische Behandlungsansätze

5.2.1 Achtsamkeit

5.2.2 Computergestützte Behandlung

5.2.3 Intensive Sleep Retraining

5.3 Pharmakotherapie

5.3.1 Benzodiazepine und Z-Substanzen

5.3.2 Sedierende Antidepressiva

5.3.3 Melatonin

5.3.4 Nicht verschreibungspflichtige Präparate

5.3.5 Neuroleptika

5.3.6 Antihistaminika

6 Folgeerkrankungen

6.1 Depression

6.2 Andere psychische Erkrankungen

6.3 Suizidalität

6.4 Körperliche Erkrankungen

7 Insomnietherapie als Prävention von Folgeerkrankungen

7.1 Psychische Begleit- oder Folgeerkrankungen

7.2 Körperliche Begleit- oder Folgeerkrankungen

Zusammenfassung und Ausblick

Literatur

Alle Abbildungen und Tabellen dieses Buches können als PDF-Datei kostenfrei in unserem Online-Shop (www.kohlhammer.de) von der Bestellseite des Buches heruntergeladen werden.1

1    Wichtiger urheberrechtlicher Hinweis: Alle zusätzlichen Materialien, die als Download zur Verfügung gestellt werden, sind urheberrechtlich geschützt. Ihre Verwendung ist nur zum persönlichen und nichtgewerblichen Gebrauch erlaubt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

1         Klinisches Bild

 

 

1.1        Definitionskriterien

Der Begriff Insomnie leitet sich von dem lateinischen Wort »insomnia« ab. Er enthält das Wort »somnus«, das Schlaf bedeutet, und kann mit Schlaflosigkeit übersetzt werden. In der Medizin und Psychologie wird unter Insomnie eine Ein- und/oder Durchschlafstörung bezeichnet, die sowohl als eigenständiges Störungsbild als auch als Symptom einer anderen Erkrankung auftreten kann. Die Insomnie ist die häufigste Form gestörten Schlafs. Sie ist abzugrenzen von anderen Schlafstörungen, beispielsweise der übermäßigen Tagesschläfrigkeit mit verlängerter Schlafzeit (Hypersomnie), circadianen Rhythmusstörungen mit verfrühter oder verzögerter Schlafphase und sogenannten Parasomnien (z. B. Schlafwandeln oder Ausagieren von Albträumen).

Die Insomnie wird von verschiedenen aktuellen Klassifikationssystemen jeweils etwas unterschiedlich definiert. Die gebräuchlichsten Klassifikationssysteme in den Bereichen psychische Störungen und Schlafstörungen sind das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen der American Psychiatric Association, aktuell in der fünften Auflage erschienen (DSM-5) (American Psychiatric Association 2013), die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der World Health Organization (ICD-10) (World Health Organization 1992) sowie die speziell für Schlafstörungen ausgearbeitete Internationale Klassifikation der Schlafstörungen (ICSD-3) (American Academy of Sleep Medicine 2014).

Die Definitionskriterien für die »Chronic Insomnia Disorder« (chronische insomnische Störung) nach ICSD-3 lauten wie folgt:

Kriterien A-F müssen zutreffen

A.   Der Patient berichtet oder die Eltern/Betreuungspersonen des Patienten beobachten eines oder mehrere der folgenden Symptome:

1. Einschlafschwierigkeiten

2. Durchschlafschwierigkeiten

3. Frühzeitiges Erwachen

4. Widerstand gegen das Zubettgehen innerhalb eines angemessenen Zeitraums

5. Schwierigkeit, ohne eine Intervention seitens der Eltern oder Betreuungsperson zu schlafen

B.   Der Patient berichtet oder die Eltern/Betreuungspersonen des Patienten beobachten eines oder mehrere der folgenden Symptome mit Bezug auf die nächtlichen Schlafschwierigkeiten:

1. Erschöpfung oder Unwohlsein

2. Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit, Konzentration oder Gedächtnisfunktion

3. Beeinträchtigung der sozialen, familiären, beruflichen oder akademischen Leistungsfähigkeit

4. Beeinträchtigte Stimmung oder Reizbarkeit

5. Tagesschläfrigkeit

6. Verhaltensprobleme (z. B. Hyperaktivität, Impulsivität, Aggression)

7. Reduzierte Motivation, Energie oder Initiative

8. Anfälligkeit für Fehler oder Unfälle

9.  Sorgen über die Unzufriedenheit mit dem Schlaf

C.   Die berichteten Schlaf-Wach-Schwierigkeiten sind nicht erklärbar durch eine fehlende Schlafgelegenheit (d. h. es steht genügend Zeit für Schlaf zur Verfügung) oder unpassende Umstände (d. h. die Umgebung ist sicher, dunkel, ruhig und angenehm).

D.   Die Schlafstörungen und damit verbundenen Tagessymptome treten mindestens dreimal pro Woche auf.

E.   Die Schlafstörungen und damit verbundenen Tagessymptome bestehen seit mindestens drei Monaten.

F.   Die Schlafstörung und die Tagessymptome sind nicht besser durch eine andere Schlafstörung erklärbar.

Den dargestellten Diagnosekriterien ist zu entnehmen, dass sich die Insomnie nicht auf nächtliche Ein- und Durchschlafschwierigkeiten beschränkt. Von einer krankheitswertigen Insomnie wird nur dann gesprochen, wenn die Schlafstörung aus Sicht des Patienten oder bei Kindern aus Sicht der betreuenden Bezugspersonen zu relevanten Beeinträchtigungen während des Tages führt. Hier ist hervorzuheben, dass die genannten Tagessymptome auf die Schlafstörung zurückführbar sein müssen und nicht besser durch andere Umstände erklärbar sein dürfen.

Im DSM-5 ist die Insomnie den Schlaf-Wach-Störungen (sleep-wake disorders) zugeordnet. Im Vergleich zur vorherigen Auflage, dem DSM-IV, wurde der Begriff »primäre Insomnie« durch »insomnische Störung« ersetzt. Damit wird die Unterteilung in primäre und sekundäre Insomnie aufgegeben, die im zweiten Fall von einer Verursachung der Schlafstörung durch eine andere psychische oder somatische Erkrankung ausging. Die insomnische Störung kann nun unabhängig davon kodiert werden, ob noch eine andere psychiatrische oder somatische Erkrankung vorliegt oder nicht. Wenn die Insomnie und eine weitere Erkrankung vorliegen, so spricht man von Komorbidität – also dem gemeinsamen Auftreten zweier verschiedener Erkrankungen. So wird der oft bidirektionalen Verbindung zwischen Insomnie und koexistierenden Begleiterkrankungen Rechnung getragen. Der Insomnie als eigenständiger, behandlungsbedürftiger Diagnose wird somit ein größeres Gewicht zugesprochen. Die diagnostischen Kriterien des DSM-5 für eine insomnische Störung überlappen sich stark mit denen der chronischen Insomnie nach ICSD-3. Auch im DSM wird mindestens ein nächtliches schlafbezogenes Symptom in Kombination mit mindestens einer Form der Tagesbeeinträchtigung bei ausreichender Schlafgelegenheit gefordert. Auch hier beträgt das Zeitkriterium für das Auftreten der Symptome mindestens dreimal pro Woche für mindestens drei Monate.

Im ICD-10 hingegen ist die reine Insomnie weiterhin einem ätiologischen Grundgedanken entsprechend als »nichtorganische Insomnie« bezeichnet. Sie soll nur dann kodiert werden, wenn die Schlafbeschwerden das klinische Bild beherrschen. Tritt im Rahmen einer anderen körperlichen oder psychischen Erkrankung eine Insomnie auf, so wird diese nicht gesondert kodiert, sondern als Symptom der anderen Erkrankung gewertet. Hier wird also davon ausgegangen, dass eine Insomnie, die zusammen mit einer relevanten psychischen oder körperlichen Erkrankung auftritt, in der Regel durch diese bedingt ist (sekundäre Insomnie). Das Zeitkriterium beträgt im ICD-10 dreimal pro Woche für mindestens einen Monat – es ist also eine deutlich kürzere Dauer der Symptomatik erforderlich als in den beiden anderen Klassifikationssystemen.

Keines der drei Klassifikationssysteme spezifiziert quantitative Angaben für die Einschlaflatenz, nächtliche Wachzeit oder Gesamtschlafzeit in den diagnostischen Kriterien. Diagnostisch ausschlaggebend ist die subjektive Wahrnehmung eines gestörten Schlafs durch den Patienten. In den Erläuterungen der ICSD-3 ist jedoch angeführt, dass bei Erwachsenen eine Einschlaflatenz oder nächtliche Wachzeit von mehr als 30 Minuten als klinisch relevant angesehen werden kann. Bei Kindern und Jugendlichen sind es mehr als 20 Minuten.

1.2        Prävalenz

Die Prävalenz der voll ausgeprägten chronischen insomnischen Störung wird auf 10% der Bevölkerung geschätzt (American Academy of Sleep Medicine 2014). Damit sind Betroffene mit und ohne Komorbiditäten gemeint. Ohayon und Reynolds untersuchten die Prävalenz insomnischer Beschwerden auf unterschiedlichen diagnostischen Leveln in einer repräsentativen Stichprobe von 25.579 Personen in der europäischen Allgemeinbevölkerung (Ohayon und Reynolds 2009). 37% der Befragten berichteten, mit ihrem Schlaf unzufrieden zu sein – 20,2% klagten über zu kurzen Schlaf und 16,6% über leichten Schlaf. Rund 36% erfüllten mindestens ein Insomniesymptom – in diesem Fall entweder Ein- oder Durchschlafstörungen oder nicht erholsamen Schlaf mindestens dreimal pro Woche. Schlafbeschwerden im Allgemeinen, insomnische Symptome und die Diagnose einer Insomnie finden sich häufiger bei Frauen als bei Männern (Ohayon 2002). In einer Zusammenfassung von 31 Studien (Metaanalyse, rechnerische Zusammenfassung von Ergebnissen aus mehreren Primärstudien) wurde ein Risikoverhältnis von 1:1,4 (Männer zu Frauen) gefunden (Zhang und Wing 2006). Die Häufigkeit von Insomnien nimmt mit dem Alter zu. Im höheren Alter ist das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern mit einer häufigeren Diagnose bei Frauen ausgeprägter als bei jüngeren Menschen, sodass ältere Frauen ein besonders hohes Risiko haben, an einer Insomnie zu erkranken (Zhang und Wing 2006). Auch ein geringes Bildungslevel wurde als Risikofaktor für insomnische Beschwerden identifiziert (Sivertsen et al. 2009).

1.3        Verlauf

Morin und Kollegen haben den Verlauf von Insomnien über einen Zeitraum von drei Jahren in einer Stichprobe von 388 Patienten untersucht (Morin et al. 2009a). Die Studienergebnisse zeigen, dass 74% der Betroffenen bei zwei aufeinanderfolgenden Messungen, also für mindestens ein Jahr, unter der Insomnie litten. Bei 46% persistierte die Störung über den kompletten Drei-Jahres-Zeitraum der Studie. Eine schwerere Ausprägung der Insomnie zum Baselinezeitpunkt, weibliches Geschlecht und höheres Alter waren mit höheren Persistenzraten assoziiert. Die Insomnie gilt somit als chronische Störung, die unbehandelt in der Mehrheit der Fälle einen persistierenden Verlauf nimmt und – hat sie einmal eine chronische klinisch relevante Ausprägung erreicht – selten von alleine remittiert.

1.4        Komorbidität

Häufig finden sich bei Patienten mit chronischer Insomnie komorbide psychische oder körperliche Erkrankungen. Unter den körperlichen Erkrankungen sind muskuloskeletale Erkrankungen (z. B. chronischer Rückenschmerz, Arthritis, Fibromyalgie) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen am häufigsten mit Insomnien assoziiert. Bei den psychischen Störungen sind vor allem Depression, Angststörungen und Substanzabhängigkeiten häufige Komorbiditäten.

Budhiraja und Kollegen untersuchten den Schlaf von Patienten mit selbstberichteten chronischen körperlichen Erkrankungen mithilfe der Polysomnographie (PSG) (Budhiraja et al. 2011). Sie fanden erhöhte Insomnieraten bei Patienten mit Herzerkrankungen, Hypertonus, Diabetes, Magengeschwüren, Arthritis, Migräne, Asthma, chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen, neurologischen Erkrankungen und Menstruationsbeschwerden. Insgesamt war das Insomnierisiko bei den Patienten mit körperlichen Erkrankungen im Vergleich zu Gesunden 2,2-fach erhöht. Für die Mehrzahl der körperlichen Erkrankungen wurde jedoch kein verändertes Polysomnogramm im Vergleich zu Gesunden gefunden. Das bedeutet, dass die subjektive Einschätzung von Schlaf und Schlafstörungen insbesondere bei Patienten mit Insomnie deutlich von der mit Polysomnographie gemessenen Schlafqualität abweichen kann.

Die norwegischen HUNT-Studien (Nord-Trondelag Health Studies) gehören zu den größten jemals durchgeführten bevölkerungsweiten Gesundheitsstudien. In Bezug auf Insomnien fanden Sivertsen und Kollegen eine bidirektionale Verbindung zwischen Insomnie und Depression: Jede der beiden Störungen konnte den Beginn der jeweils anderen vorhersagen (Sivertsen et al. 2009). Dies bedeutet, dass das Vorliegen einer Insomnie das Risiko für das Auftreten einer Depression erhöht und umgekehrt. Auch für die Entwicklung einer Angststörung ist das Vorliegen einer Insomnie ein Risikofaktor (Neckelmann et al. 2007). Brower, Krentzman und Robinson führten Interviews mit 267 Patienten mit Alkoholabhängigkeit durch. Zum Baselinezeitpunkt wurde bei 47% der Befragten eine Insomnie diagnostiziert (Brower et al. 2011). Bei über 60% blieb die Insomnie bis zum Nachbefragungszeitpunkt sechs Monate später bestehen. Abstinenz und ein moderates Trinkverhalten waren Prädiktoren für eine Reduktion der insomnischen Symptomatik. Bei einem Viertel der Befragten persistierte die Insomnie jedoch trotz Abstinenz. Hier liegt, wie auch bei Depression und Angst, ein bidirektionaler Zusammenhang nahe: Nicht selten versuchen Menschen mit Schlafstörungen, ihre Problematik durch abendlichen Alkoholkonsum zu kurieren. Tatsächlich reduziert Alkoholkonsum die Einschlaflatenz. In der zweiten Nachthälfte sind jedoch häufigere und längere Wachphasen die Folge. Auch unterdrückt Alkohol in höheren Dosen den REM-Schlaf.

2         Ätiologie

 

 

 

Die Ätiologieforschung beschäftigt sich mit den Ursachen und der Entstehung von Erkrankungen. Ein Verständnis der verursachenden und aufrechterhaltenden Faktoren einer Erkrankung ist essentiell für die Entwicklung störungsspezifischer Interventionen. Verschiedene Autoren haben Modelle zur Ätiologie der Insomnie vorgeschlagen, die unterschiedliche Aspekte in der Genese der Störung hervorheben.

2.1        Diathese-Stress-Modell

Das Diathese-Stress-Modell ist ein allgemeines Erklärungsmodell für Krankheit und Gesundheit, das neben der Insomnie auch auf zahlreiche andere Erkrankungen anwendbar ist (Spielman et al. 1987a). Es geht davon aus, dass Menschen sich aufgrund verschiedener Ursachen in ihrer Anfälligkeit für die Entwicklung einer Insomnie unterscheiden. Es gibt also prädisponierende Faktoren, deren Vorliegen das Erkrankungsrisiko erhöht. Unabhängig von der Ausprägung spezifischer Risikofaktoren sind Menschen in unterschiedlichen Phasen ihres Lebens mehr oder weniger Stress und Belastungen ausgesetzt. Das Diathese-Stress-Modell geht nun davon aus, dass prädisponierende Faktoren und akute Stressoren in der Entstehung der Insomnie zusammenwirken: Hat eine Person ein hohes Risiko, an einer Insomnie zu erkranken, so kann schon ein kleiner Stressor ausreichen, um das Störungsbild zum Ausbruch zu bringen. Ein Mensch mit geringem Risiko hingegen wird unter denselben Umständen eher keine Insomnie entwickeln – bei dieser Person wäre ein hohes Maß an akuter Belastung notwendig, damit es zu einer Insomnie kommt. Das Diathese-Stress-Modell ist in Abbildung 2.1 veranschaulicht.

Die Aufgabe der ätiologischen Forschung ist es nun, die global gehaltenen Begriffe »Vulnerabilität« und »Stress« mit Inhalt zu füllen. Neueren Studienergebnissen zufolge scheint eine genetische Prädisposition bei der Vulnerabilität für die Insomnie eine Rolle zu spielen. Drake und Kollegen haben in einer populationsbasierten Zwillingsstudie die Anfälligkeit für stressbedingte Schlafstörungen mithilfe des Ford Insomnia Response to Stress Test (FIRST) gemessen (Drake et al. 2011). Der FIRST ist ein Fragebogen, bei dem verschiedene Belastungssituationen auf einer Skala eingeschätzt werden. Die Personen sollen dabei

Abb. 2.1: Das Diathese-Stress-Modell der Insomnie. Die Erkrankung entsteht als Wechselwirkung zwischen vorbestehender Vulnerabilität und akuter oder chronischer Belastung.

jeweils angeben, für wie wahrscheinlich sie es halten, dass sie auf eine solche Situation mit gestörtem Schlaf reagieren würden. Menschen, deren Schlaf anfällig für Störungen ist, erzielen auf diesem Fragebogen also höhere Werte. Mit dem Fragebogen wird nicht das Vorliegen einer klinisch relevanten Schlafstörung erfasst, sondern die schlafbezogene Stressreaktivität – also die Anfälligkeit dafür, auf Belastung mit vorübergehenden Schlafstörungen zu reagieren. Die gefundene Erblichkeit schlafbezogener Stressreaktivität war 29% bei Frauen und 43% bei Männern. Die Erblichkeit der Insomnie selbst wurde in dieser Studie auf 55% bei Frauen und 43% bei Männern geschätzt. Belege für eine genetische Komponente der Insomnie wurden auch in einer großen finnischen Zwillungssstudie gefunden (Hublin et al. 2011). Während bereits Gene identifiziert werden konnten, die an Schlafdauer und Schlafvariabilität beteiligt sind, liegen bislang noch keine überzeugenden Daten vor, die ein umfassendes Verständnis der genetischen Basis der Insomnie ermöglichen (Palagini et al. 2014). Kandidaten-Gene, die in aktuellen Studien mit der Insomnie in Verbindung gebracht wurden, sind solche, die für die Expression des hemmenden Neurotransmitters GABA (Serretti et al. 2003) oder des Botenstoffs Serotonin (Deuschle et al. 2010) zuständig sind. Neuere Studien befassen sich mit sogenannten epigenetischen Prozessen: Damit ist gemeint, dass die Aktivität von Genen durch nicht-genetische Faktoren verändert wird. Nicht-genetische Faktoren schließen Umwelteinflüsse, zum Beispiel Stressoren, mit ein. Epigenetische Studien können daher zum Verständnis der Zusammenhänge zwischen Genen, Umwelteinflüssen und Veränderungen des Schlafverhaltens beitragen. Beispielsweise können so transgenerationale Zusammenhänge zwischen einer Stressexposition der Mutter und Schlafstörungen bei Neugeborenen erklärt werden (Baird et al. 2009).

Neben einer genetischen Vulnerabilität wird auch ein spezifisches Persönlichkeitsprofil, charakterisiert durch maladaptiven Perfektionismus, Neurotizismus und ängstliche Besorgnis, als prädisponierend für eine Insomnie diskutiert. Perfektionismus bezeichnet ein starkes Streben, Fehler zu vermeiden, hohe Ansprüche an sich selbst und andere und häufige Zweifel an erbrachten Leistungen. Perfektionismus geht oft mit Angst vor Fehlern und vor Bewertungssituationen einher. Neurotizismus hingegen bezeichnet eher eine Neigung zu Nervosität, Sorgen, Ängsten und einem Gefühl von Überforderung und Stress. Azevedo und Kollegen identifizierten selbstorientierten Perfektionismus, also die Tendenz, sich selbst hohe Ziele zu setzen und hohe Ansprüche an sich selbst zu haben, als Prädiktor für Schlafstörungen (Azevedo et al. 2010). Jansson-Fröjmark und Linton fanden einen signifikanten, jedoch schwachen Zusammenhang zwischen Perfektionismus und vorbestehender Insomnie sowie der Entstehung von Insomnie (Jansson-Fröjmark und Linton 2007). Unter den Subkategorien von Perfektionismus spielte hier die Angst, Fehler zu machen, die größte Rolle.

Eine aktuelle Studie untersuchte das Diathese-Stress-Modell in einer großen Stichprobe von 2.316 Erwachsenen mit besonderem Fokus auf Stressreaktivität als Vulnerabilitätsfaktor (Drake et al. 2014). Die Ergebnisse der Studie stützen das Diathese-Stress-Modell: Die Anzahl der Stresssituationen sagte das spätere Insomnierisiko signifikant voraus. Dabei wurden durch Stresssituationen verursachte aufdringliche Gedanken (Intrusionen) als vermittelnder Faktor zwischen Stress und Insomnie identifiziert. Man kann daraus schließen, dass die Insomnie nicht durch die Stresssituationen allein ausgelöst wird, sondern durch Schwierigkeiten, sich von der Situation gedanklich zu lösen, und durch die Neigung, auf Stress mit Grübeln zu reagieren. Dieser Zusammenhang ist in Abbildung 2.2 veranschaulicht. Schlafbezogene Stressreaktivität, die schon vor der Insomnie bestanden hatte, war in der Studie ein signifikanter Moderator des dargestellten Zusammenhangs. Das bedeutet, passend zum Diathese-Stress-Modell, dass gesunde Menschen mit höherer schlafbezogener Stressreaktivität auf stressbedingte kognitive Intrusionen eher mit Insomnie reagieren als Menschen mit niedriger schlafbezogener Stressreaktivität.