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Das Standardwerk der EFPT – auf den neuesten Stand gebracht Für Paartherapeut*innen, und Supervisor*innen, die emotionsfokussiert arbeiten möchten, ist dieses Buch seit jeher der Leitfaden. In die überarbeitete Auflage wurden aktuelle Entwicklungen auf dem Gebiet der Paartherapie einbezogen sowie neuere Forschungsergebnisse zu klinischen Interventionen. Berücksichtigt wurden außerdem ein erweitertes Verständnis von Emotionsregulation, Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und zum Bindungsverhalten Erwachsener sowie dynamische EFT-Anwendungen für Probleme wie Depressionen, Angstzustände, sexuelle Störungen und PTBS. Als einer der plausibelsten, am besten dokumentierten und erforschten paartherapeutischen Ansätze ist die Emotionsfokussierte Paartherapie (EFPT) eine äußerst wirksame Beziehungstherapie. Das Buch bietet einen in sich stimmigen Werkzeugkasten von Interventionen und einen Leitfaden für den Prozess der Veränderung. „Die Neuauflage von Susan M. Johnsons Buch Praxis der Emotionsfokussierten Paartherapie, 15 Jahre nach Erscheinen der Erstauflage, zeigt, wie wichtig systematische Forschungsarbeit für die Entwicklung einer großen Theorie sein kann. Dieses Buch ist ein Muss für jeden Therapeuten.“ —John Gottman
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Seitenzahl: 590
Susan M. Johnson
Praxis der Emotionsfokussierten Paartherapie
Verbindungen herstellen
Das Standardwerk der Emotionsfokussierten Paartherapie
Für Paartherapeut*innen, und Supervisor*innen, die emotionsfokussiert arbeiten möchten, ist dieses Buch seit jeher der Leitfaden. In die überarbeitete Auflage wurden aktuelle Entwicklungen auf dem Gebiet der Paartherapie einbezogen sowie neuere Forschungsergebnisse zu klinischen Interventionen.
Als einer der plausibelsten, am besten dokumentierten und erforschten paartherapeutischen Ansätze ist die Emotionsfokussierte Paartherapie (EFPT) eine äußerst wirksame Beziehungstherapie. Das Buch bietet einen in sich stimmigen Werkzeugkasten von Interventionen und einen Leitfaden für den Prozess der Veränderung.
„Die Neuauflage von Susan M. Johnsons Buch Praxis der Emotionsfokussierten Paartherapie, 15 Jahre nach Erscheinen der Erstauflage, zeigt, wie wichtig systematische Forschungsarbeit für die Entwicklung einer großen Theorie sein kann. Dieses Buch ist ein Muss für jeden Therapeuten.“ – John Gottman
Susan M. Johnson ist maßgeblich an der Entwicklung der Emotionsfokussierten Therapie (EFT) beteiligt. Sie ist emeritierte Professorin für klinische Psychologie an der University of Ottawa und Leiterin des International Centre for Excellence in EFT (http://www.iceeft.com).
Copyright © der deutschen Ausgabe: Junfermann Verlag, Paderborn 2021
Copyright © der Originalausgabe: 2020 Susan M. Johnson
All rights reserved. Authorized translation from the English language edition „Practice of Emotionally Focused Couple Therapy, 3rd Edition“, published by Routledge, a member of the Taylor & Francis Group LLC.
Die 2., überarbeitete deutschsprachige Ausgabe entspricht der 3., überarbeiteten Auflage der englischsprachigen Originalausgabe.
Übersetzung: Claudia Campisi
Fachlektorat: Christine und Hendrik Weiß
Coverfoto: © Mananya Kaewthawee – iStock
Satz: Peter Marwitz, Kiel (etherial.de)
Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn
Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn
Alle Rechte vorbehalten.
Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2021
ISBN der Printausgabe: 978-3-7495-0191-5
ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0223-3 (EPUB), 978-3-7495-0225-7 (PDF), 978-3-7495-0224-0 (EPUB für Kindle).
„15 Jahre nach Ersterscheinung hat Susan M. Johnson ihre Emotionsfokussierte Paartherapie auf den neuesten Stand gebracht und gezeigt: Eine überzeugende Theorie kann sich durch systematische Forschung nur weiterentwickeln. Dieses Buch ist ein Muss für alle Therapeut*innen.“
– John Gottman, Autor u.a. von Die Vermessung der Liebe
„In ihrem bemerkenswerten Buch bringt Susan M. Johnson die hochmoderne Praxis der sicherlich am weitesten verbreiteten Paartherapierichtung auf den Punkt. Praxis der Emotionsfokussierten Paartherapie erklärt genau, wie diese Methode ausgeführt wird, und gibt außerdem einen Überblick über die stichhaltige Evidenz in Bezug auf die zugrunde liegenden Elemente Emotion und Bindung sowie über die umfangreichen und beweiskräftigen Forschungsergebnisse in Bezug auf den Therapieerfolg. In der sorgfältig überarbeiteten und erweiterten Neuauflage des Klassikers werden vor allem die vielen bedeutsamen Fortschritte herausgestellt, die der evidenzbasierte Ansatz seit der letzten Auflage dieses Buches gemacht hat. Dieses verständlich und schön geschriebene und auf die Behandlung ausgerichtete Buch, mit überzeugenden Fallbeispielen gespickt, darf in keiner Paartherapiepraxis fehlen.“
– Jay L. Lebow, Ph.D., ABPP, leitender Wissenschaftler und klinischer Professor, Family Institute der Northwestern University, Evanston, IL
Wie auch in den vorigen Auflagen widme ich dieses Buch meinem großzügigen und liebevollen Partner John Palmer Douglas – der Liebe meines Lebens.
Und allen meinen großartigen Kollegen und Kolleginnen am International Center for Excellence in Emotionally Focused Therapy (ICEEFT), die die EFT so leidenschaftlich und begnadet auf der ganzen Welt verbreitet haben.
Seit der letzten Auflage aus dem Jahr 2004 hat sich so viel getan, dass es wirklich an der Zeit war für eine ausführliche Überarbeitung dieses Handbuchs, vor allem auch deshalb, weil die Therapierichtung, von der es handelt, sich ganz enorm weiterentwickelt hat.
Durch die Integration der auf Erwachsene angewandten Bindungstheorie – die unter anderem auch durch Bücher wie Halt mich fest (2019a) und Liebe macht Sinn (2014) in den allgemeinen Diskurs über die Kunst des Liebens eingeflossen und populär geworden ist – hat das konzeptionelle Fundament der EFT, das elementare Schwachstellen und Bedürfnisse in Liebes- und anderen engen Beziehungen verständlicher macht, an Tiefenschärfe gewonnen. Darüber hinaus haben etliche Untersuchungen zum Therapieerfolg, Erkenntnisse in Bezug auf den Veränderungsprozess sowie positive Folgestudien dafür gesorgt, dass das Modell zum Vorbild für empirische Paarinterventionen geworden ist.
Die EFT ist aber nicht nur in die Tiefe, sondern auch in die Breite gewachsen. Über kulturelle und ethnische Grenzen hinweg wird sie bei unterschiedlichen Problemen und Bevölkerungsgruppen, unabhängig vom Bildungsgrad, bei hetero- oder homosexuellen, religiösen oder nichtreligiösen Paaren angewandt. Als Brücke zwischen Paar- und Sexualtherapie ist sie inzwischen Standard, wenn die Beziehung zusätzlich durch eine klinische Depression, Angststörungen oder eine PTBS belastet ist. Auf diesem Modell baut auch das Trainingsprogramm „Halt mich fest: Sieben Gespräche über lebenslange Liebe“ auf, das vor Kurzem auf Paare mit Herzproblemen zugeschneidert und getestet wurde, sich aber auch bei anderen körperlichen Krankheiten eignet. Und natürlich ist ein auf Bindungssicherheit ausgelegtes Trainingsprogramm gerade auch für Paare interessant, die beim Militär dienen und unter einsatzbedingter Trennung leiden. Dank der gut strukturierten und effektiven Didaktik dieses Ansatzes haben wir inzwischen eine enorme Anzahl an professionellen EFT-Anwender*innen, die an Basis- und weiterführenden Trainings teilnehmen und sich als EFT-Therapeut*innen vom Center for Excellence in Emotionally Focused Therapy (http://www.iceeft.com) zertifizieren lassen, an das wiederum weltweit 65 EFT-Center angegliedert sind.
Ebenfalls erwähnenswert ist eine kürzlich durchgeführte Studie, die zeigt, dass EFT nicht nur bei Beziehungsproblemen hilft, sondern auch die individuelle Bindungsfähigkeit beeinflusst. Demnach bieten Liebesbeziehungen also in der Tat einen fruchtbaren Boden für die Entwicklung eines gefestigten und integrierten Selbstbewusstseins und des Gefühls, mit anderen verbunden zu sein und ihnen vertrauen zu können. Aber EFT war ja immer schon auf beides ausgerichtet, auf die Behandlung von Individuum und System, d.h., auf den Menschen, der seine emotionale Realität konstruiert sowie auf das Beziehungsdrama, das diese Realität formt und widerspiegelt. Weil sie sich an der Bindungswissenschaft orientiert, wird EFT vermehrt im Einzel- und Familiensetting angewandt (Johnson 2020). Mit ihrem doppelten Fokus – einerseits auf Bindung als einem Entwicklungsmodell des sozialen Selbst und andererseits auf der transformierenden Kraft der Emotion – bereichert sie über das Gebiet der Paarinterventionen hinaus auch die Psychotherapie insgesamt.
In diesem Band finden Sie Mikrointerventionen zum Gebrauch in EFT-Paarsitzungen sowie die systematische Darstellung einer Makrointerventionssequenz namens „EFT-Tango“. Deutlich erweitert und aktualisiert wurden die theoretischen Ausführungen zum Thema Bindung, Emotion und emotionale Regulation. Dazu veranschaulichen zahlreiche Fallbeispiele den in den Sitzungen vollzogenen Veränderungsprozess.
Gleich geblieben ist die EFT an sich und der Grund für die Begeisterung, mit der sie angewandt wird: Zielgenau lenkt sie den Blick auf die Sackgassen, in welchen Menschen zuweilen stecken, sie zeigt anschaulich ein erstrebenswertes Gesundheitsmodell, gut nachvollziehbare Interventionen sowie einen Weg, mit unseren Klient*innen zu sein, der für Therapeut*innen wie Klient*innen gleichermaßen belebend ist. In einer Welt der Instant-Lösungen folgt sie der Maxime von Sir William Osler (1849–1919): „Der gute Arzt behandelt die Krankheit, der großartige Arzt den Patienten, der die Krankheit hat.“ Oder wie Rogers sagt: die „Ordnung in der Erfahrung genussvoll entdecken“ und gemeinsam mit den Klienten wachsen.
Für die Gemeinschaft aller engagierten Therapeut*innen, Supervisor*innen, Forscher*innen und Trainer*innen waren die letzten Jahre eine berauschende Entdeckungsreise. Mein persönliches Vertrauen in die Kraft bewusst herbeigeführter emotionaler Erfahrung und in die Entschlüsselung der menschlichen Bindungsfähigkeit wächst mit jedem Klienten, jeder Klientin, jedem Workshop und jeder Forschungsstudie. Therapie ist so viel leichter, wenn wir den Veränderungsprozess mithilfe der ureigenen Dynamik der Emotionen und kraftvollen Motivationen anfeuern können, wie etwa die Sehnsucht nach Verbindung. Ich hoffe, dass dieses Buch erkenntnisreich und inspirierend ist und das Vertrauen stärkt, dass Menschen sich als Beziehungswesen verstehen und wir endlich einander ein Zuhause sein können.
„Natürlich hatte ich von Anfang an gewusst, dass die Überzeugungskraft meiner Argumente allein nicht ausreichen würde, um eine Veränderung zu bewirken. Diese Erfahrung hatte ich oft genug schon gemacht (...) Nur wenn man eine Einsicht auch im Bauch spürt, hat man sie wirklich erreicht. Erst dann kann man damit arbeiten und etwas verändern (...) Es ist außerordentlich schwer, ja beängstigend, zu erkennen, dass du und nur du für deinen eigenen Lebensplan verantwortlich bist (...) Nur wenn in der Therapie tiefe Emotionen freigesetzt werden, wird sie zu einem machtvollen Instrument der Veränderung.“
(Irvin Yalom 2013, S. 75 f.)
Im Feld der Paartherapie findet eine Revolution statt, und viele verschiedene Erkenntnisse und Forschungsstudien strömen hier zusammen (Johnson 2003a, 2014). Befunde über effektive klinische Interventionen decken sich mit neuen Forschungsergebnissen, etwa über unglückliche und zufriedene Liebesbeziehungen oder über den Einfluss negativer und positiver Beziehungen auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Und sie alle verzahnen sich mit unzähligen Untersuchungen zum Bindungsverhalten in Liebesbeziehungen erwachsener Menschen. Viele unterschiedliche Denkansätze und Forschungen weisen in dieselbe Richtung und setzen sich zu einem plausiblen und stimmigen Bild zusammen. Wir haben verstanden, wie wichtig enge Beziehungen sind und wie Beziehungsstress entsteht. Wir wissen, welche Interventionen jeweils effektiv sind, und können den Veränderungsprozess skizzieren. Wir können die Prozesse erklären, durch die sich die Liebe zwischen Erwachsenen definiert. Und nun haben wir den kritischen Punkt erreicht, an dem wir Paartherapie als Kunst und Wissenschaft begreifen und sie wirklich beschreiben, erklären und Prognosen über sie erstellen können. EFT – sowohl ein Produkt dieser Revolution als auch ein Beitrag dazu – wächst und gedeiht immer weiter.
Paartherapeut*innen müssen nicht länger akzeptieren, dass Liebe – mit den Worten des Songtexters Lynn Miles – „ein warmer Wind ist, den du nicht festhalten kannst“ und dass von daher die Heilung von Liebesbeziehungen ein nebulöses und dem Zufall unterworfenes Unterfangen sein soll. Dagegen spricht, dass wir heute empirisch validierte Muster von Beziehungsstörungen kennen sowie bindungsbasierte Leitfäden zur Begleitung unglücklicher Paare anwenden, die sich auf den Weg machen wollen zu einer stabileren und befriedigenderen Partnerschaft. Dieses Buch beschreibt die therapeutische Landkarte der EFT, die nun, angeregt von meinem zuletzt erschienenen Buch Bindungstheoriein der Praxis: Emotionsfokussierte Therapie mit Einzelnen, Paaren und Familien (Johnson 2020) in aktualisierter und überarbeiteter Form vorliegt.
Diese Neuauflage hat folgende Ziele:
Sie bietet Paartherapeut*innen eine elegante, klare und gut recherchierte Konzeptualisierung von Bindungsprozessen und der Liebe zwischen Erwachsenen.
Sie stellt die Prinzipien der EFT vor sowie die zur Heilung und Gesundung von Beziehungen notwendigen Phasen und Schritte.
Sie beschreibt die Abfolge einer zentralen Makrointervention (den EFT-Tango), spezifischere Mikrointerventionen und entscheidende Veränderungsmomente in der EFT, die auf eine verstärkte partnerschaftliche emotionale Responsivität fokussieren.
Sie erläutert im Einzelnen, wie EFT auf verschiedene Arten von Paaren und auch bei Familien (EFFT) angewandt werden kann.
Sie bietet ein Modell, wie im Laufe des Beziehungsheilungsprozesses Blockaden aufgelöst und Sackgassen geöffnet werden können, z. B. durch Vergebung für erlittene Verletzungen.
Im 21. Jahrhundert wissen Therapeut*innen viel mehr darüber, was Partnerschaftsstress im Wesentlichen ist: von negativen Emotionen überflutet zu werden und in einengenden und erstickenden Interaktionen gefangen zu sein (Gottman 1994). Die Paartherapieliteratur liefert scharf umrissene Veränderungstechniken in Form empirisch validierter Behandlungsverfahren (Snyder & Wills 1989; Johnson, Hunsley, Greenberg & Schlinder 1999; Jacobson, Christensen, Prince, Cordova & Eldridge 2000; Burgess-Moser et al. 2015). Während das Thema Liebe im Erwachsenenalter früher in der Paartherapie ignoriert wurde (Roberts 1992), erlebt es heutzutage geradezu eine Hochkonjunktur (Feeney 1999; Johnson 2014). Des Weiteren können Therapeut*innen auf neue Abhandlungen zu wichtigen Aspekten der Paartherapie zugreifen, wie etwa die Rolle der Emotion im Veränderungsprozess oder Interventionen für Veränderungsmomente (Bradley & Furrow 2004; Greenman & Johnson 2014). Da die Paartherapie als Disziplin nun langsam den Kinderschuhen entwachsen ist (Johnson & Lebow 2000; Johnson 2014), wird auch ihr Anwendungsspektrum immer breiter bzw. „spezifischer und umfasst auch Depressionen, Angststörungen und chronische Erkrankungen (Johnson 2002; Kowal, Johnson & Lee 2003; Dessaulles, Johnson & Denton 2003). Dies leuchtet ein, wenn man sich die Studien vor Augen hält, die den Zusammenhang zwischen physischer sowie psychischer Gesundheit und der Qualität intimer Beziehungen sowie sozialen Rückhalts offenbaren, etwa in Form eines effektiven Immunsystems oder einer Minderung von Stress und Trauma (Pietromonaco & Collins 2017; Kiecolt-Glaser & Newton 2001; Whisman 1999). Des Weiteren fördert eine tragfähige und liebevolle Beziehung das persönliche Wachstum und die Selbstverwirklichung und wird mit einem kohärenten positiven Selbstverständnis assoziiert (Ruvolo & Jobson Brennen 1997; Mikulincer 1995; Mikulincer & Shaver 2007).
Die tatsächlich sich häufenden Beweise, dass die „tröstliche Zuwendung“ enger Beziehungen vor physischen und psychischen Krankheiten schützt und Resilienz stärkt (Taylor 2002), lassen die allgemeine Schlussfolgerung zu, dass Isolation für Menschen gefährlicher ist als Rauchen (House et al. 1988), und im Besonderen, dass Vertrauen in andere Menschen positive Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System hat und bestimmten negativen Alterserscheinungen vorbeugt (Uchino, Cacioppo & Kiecolt-Glaser 1996). Außerdem, dass sozialer Rückhalt gesundes Verhalten optimiert (Pietromonaco & Collins 2017). Auch mit der Neurobiologie enger Beziehungen und bestimmten Schutzmechanismen wie der Ausschüttung des sogenannten „Kuschelhormons“ Oxytocin hat sich die Forschung zunehmend befasst (Taylor et al. 2000). Zudem gilt inzwischen als weithin anerkannt, dass Einsamkeit und ein Mangel an sozialem Rückhalt Risikofaktoren für Krankheiten stärken, während umgekehrt die sichere Verbindung zu einem geliebten Menschen gesundheitsfördernd ist und wichtige Faktoren beeinflusst: z. B. auf der physischen Ebene den Blutdruck und die Cortisolregulierung, auf der psychischen die Stressreaktivität und auf der behavioralen das Gesundheitsverhalten. Es überrascht daher nicht, dass ein Mangel an emotionaler Verbundenheit zu anderen Menschen inzwischen als Risiko für die öffentliche Gesundheit gilt (Holt-Lunstad, Robles & Sbarra 2017) und lebenspartnerschaftlich fokussierte Interventionen zur Genesung von Herz- und anderen Krankheiten entwickelt und getestet werden (Tulloch, Greenman, Dimidenko & Johnson 2017).
Infolgedessen ist Paartherapie inzwischen eine anerkannte Methode zum Erhalt der psychischen Gesundheit, vielleicht auch aufgrund des erwiesenen negativen Einflusses von Scheidungen auf die Familie (Cummings & Davis 1994; Hetherington & Kelley 2002) und die Gesellschaft oder aufgrund des starken Rückgangs gemeinschaftlicher Lebensformen, besonders in westlichen Kulturen (Putnam 2000), wo der Verlust des „sozialen Kapitals“ überdies mit einer Eskalation von Angst und Depression korreliert (Twenge 2000). Menschen brauchen Gemeinschaft und Geborgenheit, doch immer mehr finden die Erfüllung dieses Bedürfnisses ausschließlich in der funktionellen Zweierbeziehung, was deren Qualität einen immens höheren Stellenwert verleiht.
Liebesbeziehungen gelten nicht länger als der Macht des Schicksals, des Zufalls oder einer romantischen Anwandlung unterworfen, sondern als intentionaler Prozess (Douherty 2001), den man verstehen, beeinflussen und wiederherrichten kann. Deshalb rückt der Wert von Beratung und Therapie zur Verbesserung zerrütteter Paar- und Familienbeziehungen immer stärker in das Augenmerk der Öffentlichkeit. So nimmt die Zahl der Therapeut*innen, die regelmäßig auch Paare behandeln, obwohl sie das als besonders anspruchsvoll empfinden, stetig zu. Es besteht also ein dringender Bedarf nach einer umfassenden Ausbildung in einer praxiserprobten und kontinuierlich auf dem neuesten Stand gehaltenen Paartherapierichtung. Diesem Trend der Zeit nach einer exakt definierten, wissenschaftlich fundierten und wirksamen Interventionsreihe und einer professionalisierten Ausbildung auf dem expandierenden Gebiet der Paartherapie, entspricht dieses Buch.
Der Begriff „Emotionsfokussierte Therapie“ (EFT) wurde als Reaktion auf den Mangel an klar beschriebenen und validierten Paarinterventionen in den frühen 1980er-Jahren geschaffen (Johnson & Greenberg 1985) und sollte die entscheidende Bedeutung in den Fokus rücken, die Emotionen und die emotionale Kommunikation in der Organisation von Interaktionsmustern und prägenden Erfahrungen in engen Beziehungen haben. Emotionen wurden nicht mehr nur als Teil von Partnerschaftsproblemen betrachtet, sondern als eine mächtige und notwendige Triebkraft für Veränderung. Dieses Bedürfnis nach einer Auseinandersetzung mit Emotionen wurde in der gängigen Paartherapieliteratur jedoch kaum gewürdigt, was wohl daran liegt, dass Paartherapie geradezu affektphobisch war bzw. noch immer ist und Emotionen als sekundäre Komplikation des Verhaltens und / oder der Kognition gelten – als gefährlicher Therapiestörfaktor oder zumindest als ineffizient für Veränderungen. Irgendwie war zwar klar, dass es für die Heilung von Beziehungen sehr auf die Veränderung der Affekte ankam, doch vollzogen werden sollte diese über Verhalten und Kognition.
Seit einigen Jahren nun wächst die Akzeptanz, dass Emotionen in Beziehungsstress und Paartherapie sehr wohl von Belang sind (Gottman 1994). Sie sind zudem immer besser erforscht (Plutchik 2000; Gross 1998; Gross, Richards & John 2006; Lewis & Haviland-Jones 2000; Sbarra & Coan 2018), im Detail beispielsweise auch die Schlüsselrolle von emotionaler Regulation und emotionalem Engagement in glücklichen und schwierigen Phasen einer Partnerschaft (Johnson & Bradbury 1999) sowie die Emotionalität von Bindung (Bowlby 2006c, 2018; Johnson 2003c). Neben der EFT konzentrieren sich inzwischen auch andere Ansätze mehr auf Emotionen (Cordova Jacobson & Christensen 1998; Gottman & Silver 2000), viele jedoch ignorieren sie völlig. Doch im Allgemeinen gibt es seit etwa zehn Jahren ein erkennbares Bewusstsein für die Notwendigkeit, sich mit Emotionen im Heilungsprozess von Beziehungen auseinanderzusetzen; folglich gibt es auch mehr Methoden und Interventionen für den Umgang damit.
Hervorgegangen ist das Interventionsmodell der EFT aus der systematischen Beobachtung von Paaren, die ihre Beziehung im gemeinsamen Therapieprozess retten konnten. Auch neuere Modelle zu Beziehungskrisen – z. B. von Gottman – sowie Modelle zu engen Beziehungen zwischen Erwachsenen – z. B. die Bindungstheorie – gründen sich auf die Beobachtung und Kodierung spezifischer Interaktionen zwischen einander sehr nahestehenden Menschen. Diese Übereinstimmung zwischen der EFT als Interventionsmodell, den erforschten deskriptiven Stressmodellen sowie Beziehungstheorien wie etwa der Bindungstheorie überrascht daher nicht. Mit dem Veränderungsprozess der EFT und den ihn bewirkenden Interventionen befasste sich auch das ursprüngliche Forschungsteam der Autorin. Für ihre erste Ergebnisstudie (Doktorarbeit) unterzogen sich Paare einer Intervention zur Stärkung der Verhaltens- und Kommunikationsfähigkeiten und wurden dann mit unbehandelten Paaren verglichen (Johnson & Greenberg 1985). Dies führte nicht nur zur Niederschrift des ersten EFT-Manuals, sondern war vom Resultat her so beeindruckend, dass die EFT über die folgenden drei Jahrzehnte weiter beforscht wurde.
Konsistent positive Ergebnisse aus 21 Studien nordamerikanischer Forscher*innen belegen, dass EFT in Partnerschaften Stress mindert und Zufriedenheit stärkt (diese und weitere Studien finden Sie auf http://www.iceeft.com; und eine Zusammenfassung bei Wiebe & Johnson 2016). Wie die Ergebnisstudien außerdem nahelegen, reduziert EFT effektiv zusammen mit Eheproblemen auftretende Symptome von Traumastress und Depressionen. Die Studien mit den strengsten Kriterien wurden in vier Meta-Analysen integriert. In diesem Zusammenhang seien auch die erstaunlichen Resultate der letzten groß angelegten Ergebnisstudie (Burgess-Moser et al. 2015) erwähnt, die auf Selbsteinschätzungen und der Kodierung des Bindungsverhaltens in Interaktionen basiert: EFT-Paarinterventionen erhöhen einerseits die Bindungssicherheit und mindern andererseits Bindungsangst und -meidung. Wie eine fMRT-Untersuchung belegt, verändert sich die Gehirnaktivität von Partnerinnen, die, nachdem sie die bindungsstärkenden EFT-Gespräche geführt haben, die Hand ihres Partners in einer Gefahrensituation halten (Johnson et al. 2013). Wie wichtig es ist, einen ‚Felt Sense‘, ein Gespür für sichere Bindung zu bekommen, wird klar, wenn man sich die unzähligen positiven Gesundheitsfaktoren vor Augen hält, die damit einhergehen (Mikulincer & Shaver 2007). Sicher gebundene Menschen schreiben sich eher ein positiveres, klareres und in sich stimmigeres Selbstverständnis zu, können sich besser in andere einfühlen und reagieren bei Stress selbstbewusster und resilienter. Fazit: Indem gute Paartherapie den Weg zu bindenden Interaktionen ebnet, fördert sie Wachstum und Heilung.
Auch die Follow-up-Daten, die nicht nur bei der laufenden Bindungsstudie, sondern auch bei zwei weiteren Studien erhoben wurden, ergaben noch zwei, drei Jahre nach Therapieende stabile Effekte und manche sogar eine Zunahme der Zufriedenheit. Diese Ergebnisse machen Mut – gerade auch im Hinblick auf das für Paartherapeut*innen zentrale Thema Rückfall. Sie zeigen die große Wirkung von EFT-Gesprächen und der in ihnen erzeugten emotionalen Verbundenheit. Was sich dort ereignet, wird zu einer verfügbaren Ressource – zum Kriterium für die natürliche Sehnsucht nach Geborgenheit in einer Lebenspartnerschaft und das daraus erwachsende Gefühl der Zugehörigkeit, das nachhaltige Veränderungen anstößt.
Wodurch genau diese Veränderungen geschehen, wurde in neun Prozessanalysen untersucht (Greenman & Johnson 2013), und deren Ergebnisse bestätigen die Theorie der EFT, dass Faktoren wie z. B. das tiefere emotionale Empfinden der Klient*innen und offenere, empathischere und responsivere Bindungsinterventionen durchweg eine Verbesserung der Beziehung bei Therapieende und auch im Follow-up prognostizieren. Bis dato zeigen drei Untersuchungen (Conradi, Dingemanse, Noordhof, Finkenhauer & Kamphuis 2017; Kennedy, Johnson, Wiebe & Tasca 2018; Wong, Greenman & Beaudoin 2017) die Effektivität des beliebten EFT-basierten Beziehungstrainings „Halt mich fest“ (siehe auch das gleichnamige Buch, Johnson 2019a). Obwohl dieses Programm nicht explizit auf unglückliche Paare ausgerichtet ist, gibt es Hinweise darauf, dass sie trotzdem davon profitieren. Positiv klingen auch die Pilotdaten zu einer Variante des Programms (Tulloch et al. 2017), wo die Herzkrankheit des einen Partners von beiden eine effektive Zusammenarbeit erfordert.
Von den allgemeinen Ergebnisstudien befassen sich drei mit der Rolle von EFT auf die Verbesserung der Intimität und zwei mit der sexuellen Zufriedenheit (Wiebe et al. 2019). Bei einer weiteren, kleinen Studie geht es um die Effektivität Emotionsfokussierter Familientherapie (EFFT; Johnson, Maddeaux & Blouin 1998) bei Problemen wie z. B. Bulimie (die vollständige Liste siehe http://www.iceeft.com). Diese Studien sind im Allgemeinen sehr exakt, da die Einhaltung der EFT-Richtlinien aufseiten der Therapeut*innen stets überprüft wird. Außerdem wurde in zwei Studien untersucht, welchen Einfluss der zentrale Baustein in der EFT-Ausbildung – das EFT-Basistraining – auf die Kompetenz, das Selbstvertrauen und das Privatleben von Therapeut*innen hat (Sandberg, Knestel & Schade 2013; Montagno, Svatovic & Levenson 2011).
All diese Studien attestieren der EFT den höchsten Standard einer empirisch validierten Paartherapie. Als einzige erfüllt sie die aktuellen Kriterien des APA-Komitees (Sexton et al. 2011) und wird deshalb von diesem in der obersten Kategorie gelistet. Tatsächlich gibt es bislang einzig bei den behavioralen Modellen TBCT und ICBT (traditionelle bzw. integrative kognitive Verhaltenstherapie; Christensen et al. 2004) veröffentlichte Daten über die Ergebnisse von Paarinterventionen, während es bei den anderen an Daten fehlt.
Folgende Fakten aus der EFT-Forschung sind für praktizierende Therapeut*innen besonders wichtig:
Die ursprüngliche Metaanalyse (Johnson et al. 1999) ergab eine sehr gesunde und ermutigende Effektstärke für EFT. Von den untersuchten Paaren konnten 70–73 % in 10 bis 12 EFT-Sitzungen von ihren Eheproblemen genesen (wenn auch mit klinischer Supervision der Therapeut*innen). 90% zeigten eine signifikante Verbesserung. Im Vergleich dazu waren von den Paaren, die sich einer traditionellen Verhaltenstherapie unterzogen hatten, nur 35% genesen (Jacobson et al. 1989). Das Wissen, dass EFT immer wieder getestet und als effektiv befunden wurde, dass die Resultate generell über längere Zeit stabil bleiben und dass spezifische Interventionen und die planmäßig initiierten Veränderungsmomente wie vorhergesehen zu positiven Ergebnissen führen, ist für ausgebildete EFT-Therapeut*innen wichtig.
Bei den meisten Paaren können wir deshalb zuversichtlich auf einen Therapieerfolg bauen und uns auf das Modell wie auf einen Kompass verlassen
, der uns
sicher an unser Ziel lotsen wird
. Dieses Vertrauen gibt auch unseren Klient*innen Sicherheit und hilft beim Aufbau eines guten therapeutischen Bündnisses.
Im Gegensatz zu traditionellen Verhaltensinterventionen scheint es bei der EFT kein Problem mit Rückfällen nach Therapieende zu geben (Jacobson & Addis 1993). So zeigt eine EFT-Studie, dass bei der Bevölkerungsgruppe mit dem höchsten Rückfallrisiko, nämlich Eltern chronisch kranker Kinder, die Resultate noch zwei Jahre später stabil blieben (Clothier, Manion, Gordon-Walker & Johnson 2002). Dieses signifikante Ergebnis, das mehr als nur eine kurze Linderung der Stresssymptome offenbart, nimmt Klient*innen wie Organisationen die Angst vor dem Therapieende.- Bewiesenermaßen hängt der prognostizierte Therapieerfolg mehr vom therapeutischen Bündnis und vom Vertrauen der Frau in die Zuneigung ihres Mannes ab, wohingegen der Grad der Belastung vor Therapiebeginn – normalerweise der wichtigste psychotherapeutische Erfolgsindikator – in der Prognose der Zufriedenheit des Paares vier Monate nach Therapieende keine große Rolle spielt. Auch die aktive Beteiligung des Paares an den Therapieaufgaben scheint mehr mit dem Erfolg zu korrelieren als der ursprüngliche Belastungsgrad. Allerdings scheint EFT bei konventionellen Paaren und bei Männern, die ein Problem mit Rückzug und dem Ausdruck von Emotionen haben (Johnson & Talitman 1997), effektiver zu sein. Diese Resultate unterstreichen den Fokus dieses Modells: zu beiden Teilen des Paares eine sichere Verbindung aufzubauen und diese die ganze Therapie hindurch beizubehalten. Sie erinnern uns zudem daran, dass es in jedem Moment weniger auf die eigentliche Intervention als auf den Motivationsgrad der Klient*innen ankommt. Statt uns vorzustellen, wo die Klient*innen sein sollten, holen wir sie dort ab, wo sie sich tatsächlich befinden, und führen sie in kleinen Schritten Stück für Stück weiter, damit sie sich ganz und gar auf den Prozess einlassen können. Dank der EFT-Methoden können wir getrost darauf vertrauen, dass wir es schaffen, unsere Klient*innen in Kontakt mit ihrem Gefühlsleben zu bringen, ihnen beim „Zusammenfügen“ ihrer Emotionen zu helfen und sie über diese buchstäblich „zu bewegen“: hin zu neuen Sichtweisen auf sich selbst und die andere Person, zu einem neuen zwischenmenschlichen Tanz.
Der Veränderungsprozess in der EFT ist bereits hinreichend erforscht. Gerade auch weil die wichtigsten Variablen eines Therapiemodells nicht identisch sein müssen mit den aktiven Triebkräften der Veränderung, ist die Frage, wie dieser Wandel vonstattengeht, für Therapeut*innen besonders interessant. So ergab eine bekannte Verhaltensstudie zu depressionsmindernden Methoden, dass die Konfrontation mit dysfunktionalen Überzeugungen entgegen der Theorie nicht mit ihrer Veränderung korrelierte, sondern mit ihrem Weiterbestehen. Prognostizierbar wird eine positive Veränderung vielmehr durch eine Vertiefung der Emotionen. Zu den erfolgreich verändernden Schlüsselmomenten der EFT wurden bereits Untersuchungen durchgeführt und entsprechende Interventionen benannt (Bradley & Furrow 2004; Johnson 2003d). Darüber hinaus wurden neue Aufgaben und Prozesse konzipiert und getestet, wie etwa Vergebung und Wiederversöhnung zur Heilung von Bindungsverletzungen (Makinen & Johnson 2006). So wissen wir genau, was notwendig und angebracht ist, um eine Veränderung der Affektregulation zu bewirken: Modelle der Bindungsinteraktionen und -reaktionen, die die Beziehungszufriedenheit signifikant und permanent verbessern.
Die Erforschung von Beziehungsproblemen (Gottman 1994) und der Erwachsenenbindung (Cassidy & Shaver 2016; Johnson 2014) würdigt vor allem auch den Fokus der EFT auf den Therapieprozess und die Interventionsziele. Wenn, wie der Systemtheoretiker Bertalanffy (1968) sagte, der Fokus auf die definierenden und organisierenden Hauptvariablen eines lebenden Systems das A und O erfolgreicher Therapie ist, bedeutet das für uns: Wir fokussieren uns stets auf Emotionen, die Musik des engen Paartanzes, die trennenden Muster und den allmählich entstehenden sicheren Kontakt. Auf diese Weise behalten wir selbst im Wechselbad des leidenschaftlichen Dramas einer Beziehungskrise die Orientierung.
Bei jeder Intervention sollten wir uns folgende Fragen stellen:
Funktioniert sie stets und langfristig?
Wie genau funktioniert sie (d. h., was muss in der Therapiesitzung geschehen, damit sich etwas verändert)?
Was genau müssen wir für diese Veränderung tun?
Ist die Intervention auch für unterschiedliche Therapeut*innen praktikabel (d. h. ist sie erlernbar und gibt es eine effektive Ausbildung dafür?) bzw. eignet sie sich für unterschiedliche Klient*innen (d. h. mit verschiedenen Symptomen und Begleiterkrankungen)?
Die Erforschung unserer Interventionen hat nicht nur dazu geführt, dass wir diese Fragen klar beantworten können, sondern hat auch ihr theoretisches Fundament, die Konzeptualisierung von Liebesbeziehungen, verbreitert und gefestigt. Da es in der EFT schon immer um das emotionale Bündnis und Engagement ging und nicht – wie bei klassischen Paartherapien – um das Nachverhandeln von Abmachungen, vermitteln wir nicht den Aufbau von Fähigkeiten, sondern gestalten korrigierende emotionale Erfahrungen. So verzahnt sich bei den Interventionen und Veränderungsprozessen der EFT die kontinuierliche sozialpsychologische Erforschung von Liebesbeziehungen mit der zunehmend wichtiger werdenden Bindungstheorie (Bowlby 1969, 1988), die wohl die vielversprechendste Perspektive auf Liebesbeziehungen liefert (Johnson 2014) und zu den „umfassendsten, tiefgründigsten und kreativsten Forschungsrichtungen innerhalb der Psychologie des 20. Jahrhunderts“ gehört (Cassidy & Shaver 2016). Galt eine Liebesbeziehung vormals als rätselhafte und daher erst recht nicht gestaltbare berauschende Mischung aus Sex und Sentimentalität, so verstehen wir sie nun als einen schon zu Urzeiten angeborenen Überlebenscode, der darauf ausgelegt ist, die Menschen, auf die man baut, in zugänglicher Nähe zu halten. Die exponentiell gewachsene Theorie von der Bindung im Erwachsenenalter spielt eine immer wichtigere Rolle in der EFT und dient uns Therapeut*innen als Landkarte für das Terrain einer Liebesbeziehung, aus der wir ablesen können, aus welchem Holz sie geschnitzt und was schiefgegangen ist, wie sie repariert werden kann und was die partnerschaftlichen Bande stärken könnte. Damit ist die EFT der einzige Paar- und Familientherapieansatz, der auf einer klaren Entwicklungstheorie der Bindungsbeziehung basiert, die von mehreren Tausend Studien zur Bindung zwischen Säugling und Mutter sowie weiteren hundert zur Bindung zwischen sich liebenden Erwachsenen fundiert.
Da der Therapieprozess ziemlich unwägbar und jedes Paar, jede Beziehung einzigartig ist, sollte die EFT so systematisch wie möglich angewandt werden. Wie das geht, erfahren Sie in diesem Buch.
Die Stärken der EFT sind:
Präzise formulierte Maximen, Strategien und Interventionen; kurze Therapiedauer, für gewöhnlich 8 bis 20 Sitzungen; vielseitig einsetzbar; zahlreiche Paartherapeut*innen haben die Ausbildung erfolgreich absolviert. Während viele Paar- und Familientherapieformen nicht replizierbar von angeblich mit magischen Kräften ausgestatteten „Gurus“ propagiert werden, liefert die wissenschaftlich fundierte EFT eine fokussierte und relevante phänomenologische
Beschreibung
gesunder und gestörter Kontaktfähigkeit; eine
Prognose
der Art und Weise, wie maßgebliche Variablen einander beeinflussen, definieren und sich somit aktiv gestalten lassen; eine
Erklärung,
ein kohärentes Bezugssystem für die logische Entfaltung der beschriebenen Phänomene. Da EFT bodenständig und praktisch ausgerichtet ist, können Paare in den Sitzungen lernen, konstruktiv mit Konflikten, Phasen der Entfremdung, Blockaden und Verletzungen umzugehen.
Die Effektivität ihrer Anwendung ist sowohl bei der allgemeinen Bevölkerung als auch bei spezifischen Gruppen empirisch belegt, z. B. bei Eltern chronisch kranker Kinder (Walker et al. 1996), und wird mit hohen Behandlungserfolgen assoziiert (Johnson et al. 1999). Daraus resultierte die Motivation, den Wandlungsprozess und die mit einem Behandlungserfolg assoziierten Schlüsselerlebnisse und Variablen zu untersuchen, um die Therapie individuell zuschneidern und zielgerichtet vorgehen zu können. Das Hauptziel besteht stets darin, allmählich emotional zugänglicher, responsiver und engagierter zu werden – alles Eigenschaften einer sicheren und lebenslang nährenden Bindung.
Der klar durchstrukturierte Therapieprozess besteht aus drei Phasen, neun Schritten und dem EFT-Tango, einer sich wiederholenden Interventionssequenz, die sich wie ein roter Faden durch den ganzen Prozess zieht.
EFT-Interventionen stehen auf einem schlüssigen theoretischen Fundament, der Theorie von Veränderung. Diese Synthese aus humanistischer erfahrungsbasierter Therapie und Systemtheorie integriert einen Fokus auf das Ich in Beziehung zu anderen Personen und klar umrissene Interventionen, bei denen die emotionale Realität der Klient*innen Priorität hat. Die Forschungsgrundlage für erlebnisintensive Interventionen ist umfangreich und expansiv (Elliot 2002).
Alle Interventionen mit den bisher genannten Stärken werden im Rahmen der Bindungstheorie und -wissenschaft ausgeführt (dazu ausführlicher in
Kapitel 2
), und vielleicht ist diese Ansicht die größte Stärke der EFT: dass der Mensch ein sozial verbundenes Säugetier ist, das nur über enge und verlässliche Beziehungen zu anderen überlebt und gedeiht (Brassard & Johnson 2016; Johnson, LaFontaine & Dalgleish 2015). Das menschliche Nervensystem bildet sich in einer extrem verletzlichen und langen Kindheitsphase heraus, in der man nach anderen Menschen sucht, die als sicherer Ort dienen. Dieses Schutzbedürfnis bleibt ein Leben lang bestehen. Liebesbeziehungen werden also als Bindungsprozesse betrachtet (Mikulincer & Shaver 2007). Um die Ängste und Sehnsüchte des Menschen, den Einfluss bestimmter Kontaktverhaltensweisen und andere wichtige Variablen zu verstehen – sowohl die negativen wie z. B. Nörgeln oder Mauern als auch die positiven wie z. B. Vertrauen und einfühlsame Responsivität –, bedienen sich Paartherapeut*innen der umfangreichen Erforschung der sozialpsychologischen Entwicklung der letzten zwanzig Jahre. Im Bereich der Paar- und Familientherapie fehlte es bislang offensichtlich an einem wissenschaftlichen theoretischen Verständnis enger Beziehungen. Ohne einen solchen Kompass ist es jedoch sehr schwierig, Interventionen wirklich zielgerecht zuzuschneiden und zu wissen, welche Veränderungen notwendig und ausreichend sind.
EFT ist bei vielen verschiedenen Menschen anwendbar, auch wenn die Partner*innen sich in kultureller oder sozialer Hinsicht voneinander unterscheiden (Denton, Burleson, Clark, Rodriguez & Hobbs 2000; Parra-Cardona, Cordova & Holtrop 2009), dem gleichen Geschlecht angehören (Josephson 2003; Hardtke, Armstrong & Johnson 2010; Allan & Johnson 2016), Probleme mit der Sexualität haben (Wiebe et al. 2019; Johnson 2017a), älter sind (Bradley & Palmer 2003), an chronischen Krankheiten (Kowal et al. 2003), Depressionen, Angststörungen oder einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden (Johnson 2002; Priest 2013). Wie belegt ist, lindert EFT auch Depressionen (Dessaulles et al. 2003; Denton, Wittenborn & Golden 2012) und Bindungsunsicherheit bei ängstlichen und vermeidenden Partner*innen (Burgess-Moser et al. 2015).
Das emotionsfokussierte Modell beschränkt sich nicht auf Paartherapie (EFPT), sondern wird auch im Einzel- (EFIT) und Familiensetting (EFFT) angewandt (Johnson 2020). In abgewandelter Form gibt es diesen Ansatz auch als Gruppenarbeit für Beziehungen (Hold Me Tight®: Conversations for Connection), christliche Paare (Johnson & Sanderfer 2016; Created for Connection) sowie Herzkranke (Tulloch et al. 2017; Healing Hearts Together). Das ursprüngliche Programm wie auch die beiden Varianten finden Sie auf der Website des ICEEFT und eine Online-Version auf holdmetightonline.com. Um mit Emotionen zu arbeiten und sie zur Gestaltung von Veränderungen zu nutzen, um lebensverändernde Begegnungen mit wichtigen Bezugspersonen zu ermöglichen, ob in echten Interaktionen oder imaginierten Dialogen, braucht es kontext- und modalitätsübergreifende Fähigkeiten.
In vielen nordamerikanischen Großstädten, aber auch weltweit, gibt es EFT-Gemeinschaften (bis dato sind es 65, siehe Liste auf der Website des International Center for Excellence in Emotionally Focused Therapy:
http://www.iceeft.com/eft-centres-and-communities
). Dort finden Sie Unterstützung, Weiterbildungen, Vier-Tage-Basistrainings, Aufbautrainings „Core Skills“, Vorbereitungskurse für die Zertifizierung, Supervision sowie die Möglichkeit, sich als EFT-Supervisor registrieren zu lassen. ICEEFT-registrierte Trainer*innen bieten weltweit – zuletzt auch in Dubai, Ungarn, Südafrika und im Iran – EFT-Basistrainings an, die von den meisten Teilnehmer*innen als extrem gute Lernerfahrung bewertet werden und dazu anregen, die Ausbildung zu vertiefen. Die Website des ICEEFT bietet Informationen über die Zertifizierung und Zugang zu etlichen Trainingsressourcen wie etwa DVDs mit Sitzungen (für eine Zusammenfassung des EFT-Trainings, siehe Johnson 2017b).
EFTist integrativ; der Blick geht sowohl ins Innere des Menschen als auch in den Raum, der sich zwischen ihm und einem anderen Menschen befindet. Das heißt, sie vereint den intrapsychischen Fokus auf die Verarbeitung der individuellen Erlebnisse – insbesondere der wichtigsten emotionalen Bindungserfahrungen – mit dem interpersonellen Fokus auf die Organisation von Interaktionsmustern und -kreisläufen. Das Ziel ist herauszufinden, wie das systemische Muster, das innere Erleben und das innere Modell von sich selbst und anderen einander bedingen und sich gegenseitig erschaffen.
An diesen beiden Prozessen des Erlebens und des Interagierens orientieren wir uns, um unglückliche Paare von negativen, d. h. rigiden inneren und äußeren Reaktionen hin zu Flexibilität und sensibler Responsivität zu führen – die Basis einer sicheren Bindung. Denn vermutlich werden die Positionen der Partner*innen durch ihre emotionale Erfahrung und Art der Regulation aufrechterhalten, d.h. über ihre intrapsychischen Realitäten und ihre gewohnten Interaktionstanzschritte, die sich wechselseitig bedingen und am Laufen halten. Um eine positive emotionale Verbundenheit zu erreichen, müssen beide zum Ausdruck gebracht und neu verarbeitet werden. Dadurch eine sichere Bindung zu kreieren, ist das ultimative Ziel der EFT.
EFT erweitert den Erfahrungs- und Interaktionshorizont. Wird dieser unterschwellig von rigiden emotionalen Reaktionen eingeengt, muss man zuallererst Zugang dazu finden und sie reprozessieren, den Zugang dann gestalten, um so eine durchlässigere und responsivere Haltung zu ermöglichen – die Grundsubstanz einer sicheren Bindung. Das zweite Therapieziel besteht darin, für neue Interaktionserfahrungen zu sorgen, durch die beide Seiten ihre Beziehung als Trost und Geborgenheit spendend erleben können. Das Reprozessieren des inneren Erlebens bereichert den interpersonellen Kontext (wenn etwa jemand erkennt, dass seine Frau nicht gemein zu ihm ist, sondern verzweifelt). Umgekehrt bereichert die Umstrukturierung der Interaktion durch ihre Bewusstseinserweiterung bei beiden das innere Erleben (etwa, wenn ein Mann seiner Frau gegenüber zugibt, dass er sie braucht, und sie dann nicht mehr auf seine emotionale Unerreichbarkeit fixiert ist, sondern ihre Angst spürt, auf ihn einzugehen).
Eine gut durchgeführte EFT befähigt beide Partner*innen, einander Geborgenheit, Schutz und Zuwendung zu geben, sich dadurch gegenseitig bei der Regulationnegativer Affekte zu unterstützen, bis schließlich beide ein positives und starkes Selbstverständnis entwickeln. Die von den EFT-Therapeut*innen choreografierten bindungsfördernden Erlebnisse in der Sitzung bewirken eine tiefgreifende Neudefinition der Beziehung.
Das Ganze ist wie eine Reise:
von Entfremdung zu emotionalem Engagement;
von wachsamen Abwehr- und Selbstschutzmechanismen zu Offenheit und Risikobereitschaft;
von der passiven Hilflosigkeit angesichts eines unerbittlichen Beziehungstanzes zu aktiver Kreativität;
von verzweifelter Schuldzuweisung zu einem Verständnis dafür, wie beide Seiten es einander schwermachen, responsiv und liebevoll zu sein;
von der Fixierung auf die Schwächen des anderen zur Entdeckung der eigenen Ängste und Sehnsüchte;
doch vor allem: von der Isolation zur Verbundenheit (für die meisten Paare keine leichte Reise, auch nicht unter der Anleitung einer versierten Therapeutin).
Mit unserer Hilfe kann jede Person sich innerlich weiten und neu organisieren. Wenn sie dieser Erfahrung Ausdruck verleiht, zeigt sie sich von einer neuen Seite, tritt mit dem Partner neu in Beziehung und löst damit neue Reaktionen aus. Mit anderen Worten: Neue Erfahrung schafft eine neue Dialogform und diese wiederum neue Interaktionserlebnisse. Dies aber sind die neuen Schritte, die im Paartanz neue Muster anbahnen.
Wir sind keine Coachs. Wir vermitteln keine Kommunikations- oder Verhandlungsfähigkeiten. Genauso wenig sind wir Allwissende, die ihren Klient*innen Einsicht in deren Vergangenheit gewähren und darein, welchen Einfluss alte Familienmuster auf die gegenwärtige Beziehung ausüben. Wir vermitteln weder Strategien für „paradoxe Probleme“ noch lehren wir Paare, ihre irrationalen Erwartungen und Überzeugungen in Bezug auf Ehe und Beziehung zu revidieren. Wir sind eher Prozessberater*innen: Wir helfen, die Beziehung, besonders aber ihre emotionalen Seiten, neu zu verarbeiten. Außerdem sind wir Choreograf*innen für Beziehungstänze und unterstützen deren Umstrukturierung. In Therapiesitzungen sind wir mehr Kooperationspartner*innen als Expert*innen. Manchmal folgen wir, manchmal führen wir, aber Vorgaben machen wir nie. Vielmehr geben wir Paaren die Gelegenheit, neue Arten des Zusammenseins auszuprobieren und dann bewusst zu entscheiden, wie sie ihre Beziehung weiterführen wollen.
Wir haben stets das Verhalten im Hier und Jetzt im Blick. Wir wollen nachvollziehen, was im Inneren der Partner*innen vorgeht, wie beide miteinander agieren bzw. aufeinander reagieren, und diesen Spielraum dann erweitern. Infolgedessen erlebt sich das Paar in den Sitzungen anders als vorher und verändert sich. Im Gegensatz zu psychoanalytisch bzw. objektpsychologisch ausgerichteten Paartherapien oder auch zur Bowen’schen Familiensystemtheorie mit ihren Genogrammen, kommen wir in der EFT nur dann auf die Ursprungsfamilie zu sprechen, wenn sie sich in gegenwärtigen empfindlichen Reaktionen und Interaktionen bemerkbar macht. Seltener sind auch die in der Verhaltenstherapie üblichen zukunftsorientierten Interventionen wie Übungspläne und Hausaufgaben.
Das Ziel der EFT besteht darin, die Verarbeitung von Erlebnissen und die Gestaltung der Interaktionen so zu verändern, dass sich beide Seiten fest verbunden wissen und sich aufeinander verlassen können. Verlässlichkeit umfasst gegenseitige emotionale Zugänglichkeit, Responsivität und Engagement. Somit liegt der Fokus immer auf Bindung – Geborgenheit, Vertrauen, Kontakt – und auf dem, was sie behindert. Weil wir davon ausgehen, dass unglückliche Paare im entscheidenden Moment – d. h. ausgerechnet dann, wenn sie besonders gestresst und verwundbar sind – gar nicht in der Lage sind, von Kommunikationsfähigkeiten Gebrauch zu machen, vermitteln wir auch keine. Genauso wenig decken wir unbewusste innerpsychische Konflikte auf, zum einen, weil die Problemursache im Allgemeinen nicht in Persönlichkeitsdefiziten der Einzelnen verortet ist, und zum anderen, weil das bei emotional stark aufgeladenen Interaktionsmustern keine Veränderung bewirkt. Wir wollen dem Paar auch nicht helfen, Abmachungen nachzuverhandeln oder durch eine neue Übereinkunft zu pragmatischen Lösungen zu finden, denn schließlich geht es bei der Beziehung ja in erster Linie um die Verbindung und nicht um rationale Handelsvereinbarungen. Unserer Meinung nach kann das Paar seine Verhandlungskompetenz überhaupt erst dann nutzen, wenn die Bindung stärker gefestigt ist. Sind Probleme nicht länger von Bindungskonflikten und Ungeborgenheit durchzogen, werden sie sich entschärfen und klären.
Wie jede Kurzzeittherapie ist auch die EFT fokussiert. Im Drama der unglücklichen Beziehung spielen Emotionen die Hauptrolle, genauso wie beim Verändern dieses Leids. Emotionen sind die Musik, nach der die Bindung tanzt. Emotion organisiert das Verhalten, orientiert und motiviert unsere Reaktion auf andere und kommuniziert Bedürfnisse und Sehnsüchte. In der EFT werden Gefühle weder kleingeredet noch in Schach gehalten oder pauschal abgestempelt, sondern erschlossen und differenziert. Wir beschreiben dies häufig als Entfaltung emotionaler Realität – ein Prozess, in dem Emotionen wie zu einem Puzzle zusammengefügt werden. Viel stärker als in anderen nicht-experientiellen Therapieformen werden emotionale Erfahrung und emotionaler Ausdruck als Ziel und Motor von Veränderung betrachtet. Da Letztere im Wesentlichen durch das neue korrigierende Erleben von emotionaler Verbundenheit bewirkt wird, besteht die Therapieaufgabe vorrangig in der Artikulation und der Erweiterung des emotionalen Erlebens. Die elementaren Emotionen zu entfalten und in therapeutischen Enactmentszur Anbahnung neuer Reaktionen zu nutzen steht in der EFT im Mittelpunkt der Veränderung.
In ihrer Beziehung unglückliche Menschen werden nicht in erster Linie als defizitär, entwicklungsgestört oder unfähig betrachtet. Wie auch andere Autor*innen nahelegen, ist die Ansicht, Beziehungsprobleme hätten generell mit einer signifikanten Entwicklungsverzögerung zu tun, meist unzutreffend (Gurman & Fraenkel 2002). Daher gelten Bedürfnisse, Wünsche und emotionale Reaktionen als grundsätzlich gesund und angemessen. Erst in kritischen und scheinbar gefährlichen Situationen zeigt sich, ob sie problematisch sind. „Niemals sind wir so verletzlich, als wenn wir lieben“, heißt es bei Freud (1930). Störungen entstehen, wenn Emotionen wie z. B. Angst unterdrückt, verleugnet oder verzerrt werden. Folglich lehren wir unsere Klient*innen nicht, anders zu sein, sondern erkennen ihre Erfahrungen und Reaktionen an.
Menschen sind nicht mit Mängeln behaftet, sondern verfangen sich unter besonders strapaziösen emotionalen Umständen in Interaktionsteufelskreisen – und eben auch in der Art, wie sie ihr Gefühlsleben verarbeiten, organisieren und regulieren und wie sie miteinander umgehen. Und dafür haben sie, so nehmen wir an, nachvollziehbare und berechtigte Gründe. Unsere Aufgabe besteht also darin, diese „verborgene Vernunft“ (Wile 1981) hinter den scheinbar destruktiven oder irrationalen Reaktionen zu begreifen.
Bildlich gesprochen ist die EFT, als würden der experientielle Therapeut Carl Rogers (1951) und der Systemtherapeut Minuchin (Minuchin & Fishman 1992) sich zu einem Plausch treffen und den Fall einer Ehekrise besprechen. Naturgemäß werden Emotionen erlebt, und zugleich sind sie eine systemische Variable. Kommen sie zum Ausdruck, ruft das bei jemand anderem eine Reaktion hervor, welche wiederum die erste Person beeinflusst und eine Rückkopplungsschleifebildet. Damit ist eine Emotion eine Art Beziehungstanzmusik, die Interaktionen organisiert (Johnson 1998). Die EFT hat viel mit klassischen humanistischen Ansätzen gemeinsam (Johnson & Boisvert 2002; Cain & Seeman 2002), bei denen es in der Hauptsache darum geht, das unmittelbare Erleben der Klient*innen, besonders aber ihre Emotionen und ihren Bezugsrahmen, einfühlsam zu verstehen.
EFT ist experientiell, denn sie fokussiert:
den gegenwärtigen aktiven Verarbeitungs- und Strukturprozess des Erlebens in der Interaktion mit der Umgebung.
den Einfluss von Empathie und Validierung, damit ein möglichst positiver Kontext entsteht, in dem das Erleben erkundet und verändert werden kann. Die Akzeptanz und die Authentizität der Therapeut*innen vermitteln Sicherheit und setzen einen Selbstheilungsprozess in Gang. Das therapeutische Bündnis beruht auf Gleichberechtigung und Kooperation.
die Ansicht, dass der Mensch seine emotionalen Reaktionen und Bedürfnisse positiv anpassen, sich verändern und wachsen kann. Sowohl Carl Rogers als auch John Bowlby (2006a) – der Begründer der Bindungstheorie, auf der die EFT aufbaut – haben Klient*innen entpathologisiert. Bowlby dadurch, dass er jede Reaktionsweise auf das Umfeld als potenziell adaptiv betrachtete, und Carl Rogers durch die Auffassung, dass Probleme erst durch eine maladaptive starre Haltung entstehen und wir das Erleben und die Beziehungsgrundhaltung unserer Klient*innen in ihrer ursprünglichen Struktur explizit machen und validieren sollten.
die Art, wie die innere und äußere Realität einander definieren. Da Emotionen den Menschen auf seine Umgebung hin ausrichten und ihm mitteilen, was er braucht und fürchtet, spielen sie hier eine besondere Rolle.
Emotionen verbinden das Selbst mit dem System, die Tanzenden mit dem Tanz. Wie sie kommuniziert werden und welche emotionalen Reaktionen sie hervorrufen, prägt die Beziehungsdefinition. Diese von Identitätsprozessen und Interaktionsmustern gebildeten Rückkopplungsschleifen (Mikulincer 1995) sind nicht nur für die Bindungstheorie interessant, sondern auch für die EFT.
die Förderung und Verstärkung neuer korrigierender emotionaler Erfahrungen im Hier und Jetzt der Therapiesitzung als Hauptursache signifikanter und nachhaltiger Veränderungen.
EFT ist systemisch, denn sie fokussiert:
das Verhalten beider Partner*innen im gegenseitigen Kontext, d. h., wie der eine, etwa durch Kritik und überzogene Forderungen, beim anderen Reaktionen provoziert – in diesem Fall Rückzug und Abschottung – und zwar meist vollkommen unabsichtlich. So entsteht Beziehungsstress.
den Prozess, in dem Interaktionen strukturiert und organisiert sowie Muster aufrechterhalten werden, und verbalisiert ihn, z. B. wie Nähe / Distanz und Dominanz / Unterwerfung verteilt sind.
den rigiden Interaktionsteufelskreis, den die Paare selbst erzeugen, der ein Eigenleben entwickelt und der Hauptfaktor für die Verschlechterung der Beziehung ist.
nicht linear, sondern zirkulär verstandene Kausalzusammenhänge. Im Mittelpunkt stehen Muster und Sequenzen und wie sich die Elemente der Interaktionsmuster gegenseitig bedingen. Beispiel: „Ich ziehe mich zurück, weil du an mir herumnörgelst, und du nörgelst an mir herum, weil ich mich zurückziehe.“
Als eine Synthese aus erlebensbezogenen und systemischen Ansätzen kombiniert die EFT das Intrapersonale mit dem Interpersonellen. Ihr Fokus auf den Ausdruck von Emotionen und deren daraus resultierende Neuverarbeitung bewirkt eine Verschiebung der Interaktionspositionen. Dazu leiten und choreografieren wir neue Interaktionen, die neue emotionale Reaktionen hervorrufen, welche wie gesagt sowohl den Paartanz als auch die emotionale Organisation der Einzelnen beeinflussen. Entsprechend der Bedeutung „heraus bewegen“ des aus dem Lateinischen stammenden Wortes „Emotion“ erweitern die Partner*innen mithilfe ihrer umgestalteten Emotionalität das Bewegungsrepertoire ihres Beziehungstanzes über bisherige Grenzen hinaus und nehmen Haltungen ein, die eine sichere Bindung begünstigen.
EFT ist für 8–20 Paarsitzungen gedacht, wobei der Erfolg von einem positiven therapeutischen Bündnis zu beiden Partner*innen abhängt. Am erfolgreichsten ist sie bei Paaren, wo beide sich als Folge des Interaktionsteufelskreises (meist Vorwurf / Rückzug) voneinander entfremdet haben, darunter leiden und sich tiefere Verbundenheit wünschen. Außerdem eignet sie sich zur Behandlung von Problemen, die nicht unmittelbar mit der Beziehung zu tun haben. In einem für ein Ballungsgebiet zuständigen Krankenhauses wird sie bei mehrfach belasteten Paaren angewandt, beispielsweise bei Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung oder Depression, oder als ambulante Kurzzeittherapie bei Paaren, die unter einem Mangel an Intimität leiden oder wo ein äußerer Stressfaktor, etwa eine lebensbedrohliche Erkrankung, die Beziehung akut verändert hat. Die EFT ist auch bei homosexuellen Paaren Standard sowie im Fall von chronischen oder schweren Krankheiten (Kowal et al. 2003). Nur für Paare, die ihre Probleme mit Gewalt ausagieren oder schon dabei sind, sich zu trennen, ist sie nicht geeignet, zumindest nicht in dem hier vorgestellten Format. Als Beobachter würde man in einer EFT-Sitzung sehen können, wie die Therapeutin emotionale Momente und interaktionale Bewegungen mitverfolgt und dem Paar spiegelt. Sie hilft, innere emotionale Erfahrungen herauszufiltern und zu ordnen und bleibt dabei beweglich: Mal hilft sie, sie zusammenzufügen, und mal, neue Reaktionen auszuprobieren und etwa mit bestimmten Aufgaben („Können Sie ihm sagen ...?“) Interaktionsprozesse in Gang zu setzen.
Der Veränderungsprozess des Paares gliedert sich wie folgt in drei Phasen und neun Schritte:
Phase 1: Deeskalationnegativer Interaktionskreisläufe – Stabilisierung der Beziehung
Schritt 1: Ein therapeutisches Bündnis schließen und die für die Bindungsproblematik zentralen Konfliktthemen herausarbeiten.
Schritt 2: Den negativen Interaktionskreislauf erkennen, in dem diese Themen zum Ausdruck kommen.
Schritt 3: Implizite, den Interaktionspositionen zugrunde liegenden Emotionen erschließen.
Schritt 4: Das Problem im Rahmen des negativen Kreislaufs, der zugrunde liegenden Emotionen und der Bindungsbedürfnisse neurahmen und entsprechend umformulieren: Ursache der emotionalen Entbehrung und Belastung ist der Teufelskreis; er ist der gemeinsame Feind beider Partner*innen.
Phase 2: Interaktionspositionen verändern
Schritt 5: Die Identifizierung mit verleugneten Bindungsemotionen, Bedürfnissen und Ich-Aspekten und ihre Integration in die Beziehungsinteraktionen fördern.
Schritt 6: Die Akzeptanz des Erlebens beider Partner*innen fördern, damit beide anders miteinander interagieren.
Schritt 7: Den Ausdruck von Bedürfnissen und Wünschen bestärken, emotionales Engagement ermutigen und verbindende, die Partnerschaft neu definierende Erlebnisse ermöglichen.
Phase 3: Konsolidieren und integrieren
Schritt 8: Neue Lösungen zu alten Beziehungsproblemen anbahnen.
Schritt 9: Neue Positionen und neue Kreisläufe von Bindungsverhaltensweisen konsolidieren.
Drei einschneidende Veränderungen charakterisieren den Wandlungsprozess:
Am Ende der 1. Phase: die Deeskalation des negativen Kreislaufs
In der 2. Phase: die Wiedereinbindung der Rückzügler*innen und damit die Umstrukturierung der Bindung
Am Ende der 2. Phase: das Erweichen der Verfolger*innen und damit die Umstrukturierung der Bindung
Die erste Veränderung – die Deeskalation des Kreislaufs – ist eine Veränderung erster Ordnung: Die Art, wie Interaktionen organisiert werden, bleibt gleich, aber die Elemente des Kreislaufs werden leicht modifiziert. So riskiert der sich zurückziehende Partner, sich wieder mehr auf den anderen einzulassen, und der feindselige Partner, weniger reaktiv und zornig zu sein. Sie kommen einander wieder näher, schlafen vielleicht miteinander, und durch ihr Engagement in der Therapie bestärkt, schöpfen sie wieder neue Hoffnung für ihre Beziehung. Die anderen beiden erwähnten Veränderungen sind, da sie die Beziehungsstruktur betreffen, Veränderungen zweiter Ordnung.
Die zweite Veränderung geschieht, wenn sich die Rückzügler*innen wieder aktiver an der Beziehung beteiligen. Hierbei verschiebt sich auch die interaktionale Position im Hinblick auf Kontrolle und Kontaktbereitschaft. Statt zu mauern und die Partnerin zu meiden, offenbaren sie nun ihre Bedürfnisse und Wünsche und können sich in den Therapiesitzungen emotional besser einlassen.
Zur dritten Veränderung kommt es, wenn zuvor feindselige und aktivere Partner*innen sich trauen, ihre Bindungsbedürfnisse und verletzlichen Punkte zu zeigen, und damit Interaktionen ermöglichen, die zum Test für das Ausmaß an Vertrauen in die Beziehung werden. Zwecks Verdeutlichung werden diese Interaktionen hier separat und unabhängig voneinander vorgestellt. In der Praxis sind sie natürlich miteinander verflochten und bedingen sich gegenseitig. Lässt der Zorn der Verfolger*innen nach und nimmt das Engagement der Rückzügler*innen zu, werden Erstere ihre Bedürfnisse und Wünsche zum Ausdruck bringen und Letztere es leichter haben, responsiv zu sein. Solche Ereignisse stellen eine Wende dar: Sie re-organisieren die Paarinteraktionen, stärken den Zusammenhalt, machen zugänglich und einfühlsam. Auf diese Weise können beide Seiten offen über ihre Bedürfnisse und Ängste sprechen und ihr Band erneuern.
Diese drei Veränderungen werden in den folgenden Beispielen veranschaulicht.
Ein Paar kommt zur Therapie: Sie klagt über fehlende Nähe und seinen Rückzug aus der Beziehung, er über ihre Aggressivität und Unvernunft, derentwegen er auf Abstand geht. Seine Lösung wäre, häufiger miteinander zu schlafen, und ihre, mehr miteinander zu reden. Die Therapeutin stellt eine Verbindung zu ihnen her und macht sich ein Bild von der Paarbeziehung. Sie erkennt bestimmte Muster: „Verfolgung / Anklage“ und „Rückzug / Beschwichtigung“ und beschreibt sie. Sie macht den beiden klar, dass sie sowohl Schöpfer als auch Opfer des Kreislaufs sind. Die wichtigsten Momente des Veränderungsprozesses könnten sich wie folgt abspielen.
Deeskalation des Kreislaufs
Gail
(die Verfolgerin)
: Ich bin echt sauer. Er lässt mich einfach im Stich. Noch nie habe ich mich derart einsam gefühlt. Ich muss ihm unbedingt klarmachen, dass er mir das nicht antun darf.
Ben
(der Rückzügler)
: Was ich auch tue – sie ist enttäuscht. Sie reagiert immer so. Es ist, als würde sie eine andere Sprache sprechen, die ich nicht verstehe. Aber wie soll ich sie lernen? Ich weiß, ich laufe weg. Ich verstecke mich. Was bleibt mir denn anderes übrig?
Gail:
Mir ist klar, dass ich ihn mit meiner Art, dauernd auf ihm herumzureiten, davonscheuche, aber da ist halt diese Panik. (
Zu ihm:
) Ich finde keinen Zugang zu dir.
Ben:
Wahrscheinlich bin ich inzwischen ein Meister im Verstecken. Dass du mich suchen könntest – darauf wäre ich von selbst nicht gekommen. Wir sind irgendwie in einer Sackgasse gelandet – ich weiß nicht weiter, also verstecke ich mich, und du fühlst dich immer einsamer, also legst du noch einen drauf und wirst sauer. Das verletzt uns ja beide.
Der Kreislauf ist also beiden bewusst. Beide übernehmen Verantwortung dafür, und statt einander anzuklagen bzw. zu meiden beginnen sie nun ansatzweise, ihre zutiefst empfundenen Gefühle zu äußern. An diesem Punkt hört man häufig Dinge wie: „In diesen Sitzungen finde ich heraus, wer du wirklich bist“ und: „Ich verstehe, wie dieser Tanz unsere Beziehung beherrscht und uns beiden am Ende wehtut.“
Die Wiedereinbindung der Rückzügler*innen
Ben: Ich bin kein Frauenheld und werde auch nie einer sein. Das setzt mich unter Druck, und das mag ich nicht. Und wenn ich schon mal was bei dir riskiere, dann brauche ich Herrgott noch mal ein wenig Anerkennung von dir! Wenn ich von dir weiterhin Zensuren bekomme, dann schwänze ich. Es geht mir gar nicht immer um Sex. Manchmal möchte ich, dass du mich einfach nur im Arm hältst, ich bin aber zu unsicher und schüchtern, um dich darum zu bitten. Ich will mich nicht so fühlen. Deswegen brauche ich deine Hilfe.
Mit dieser Äußerung bewegt sich Ben aus der selbstschützenden Distanz heraus in Richtung aktiven, selbstbewussten Engagements. Er spricht über sein Bedürfnis nach Bindung und sein Selbstbild im Verhältnis zu seiner Frau. Er ist zugänglicher und engagierter.
Die Erweichung der Verfolger*innen
Gail: Ob das überhaupt funktionieren wird? Ich bin mir da nicht so sicher. Ich habe Angst. Was ist, wenn ich dir langsam traue und du mir dann den Rücken zukehrst? Ich kann dir schon seit Langem nicht mehr richtig vertrauen.
Gail: Ich möchte unbedingt von dir hören, dass ich bei dir an erster Stelle komme. Ich will Gewissheit, dass ich dir wichtig bin, dass du meine Nähe genauso brauchst wie ich deine. Dass ich wertvoll für dich bin.
Hier liefert sie sich ihrem Partner aus und zeigt ihm ihre verletzliche Seite. Kann er zugewandt und beruhigend darauf reagieren, ist das ein heilsames Bindungserlebnis, das einen neuen Kreislauf der Nähe und Bejahung anstößt.
In diesem Kapitel sollten Sie ein Gefühl dafür bekommen, was EFT ist und wo sie auf dem Gebiet der Paartherapie zu verorten ist. Wenden wir uns nun der Philosophie der EFT zu, zuerst dem Verständnis von intimen Beziehungen und im Anschluss daran der Philosophie therapeutischer Veränderungen.
„Sind wir doch, von der Wiege bis zur Bahre, immer dann am zufriedensten, wenn sich unser Leben in Form längerer oder kürzerer Explorationen gestaltet, die von der verlässlichen Basis bedeutsamer Bindungsfiguren aus erfolgen.“
(John Bowlby 2018, S. 48)
In Bezug auf die Probleme unserer Klient*innen müssen wir uns stets drei grundsätzliche Fragen stellen. Ihre Antworten bilden den Rahmen für das Verständnis der beobachteten multidimensionalen Phänomene, und dieser bestimmt den Therapiefokus und die Behandlungsstrategien.
Die drei Fragen lauten:
Was geschieht hier? Was ist das Problem? Was ist das Ziel der Intervention?
Was sollte hier geschehen? Was ist gesund? Was ist das Ziel der Behandlung?
Was muss das Paar tun, um das Problem zu verändern und zu einer gesünderen Beziehung zu gelangen? Wie kann ich diese Veränderung begünstigen?
Wir brauchen zum einen eine Theorie dafür, was ein gesundes Leben ausmacht und wie Probleme auftreten und Störungen verursachen können, und zum anderen eine Theorie für therapeutische Veränderungen. Und da die Klientin in der Paartherapie die Beziehung ist, brauchen wir auch eine Theorie der Intimität, ein Verständnis vom Wesen der Liebe im Erwachsenenleben. Damit befasst sich dieses Kapitel.
Fragen wir unsere Klient*innen nach der Grundlage einer glücklichen Lebenspartnerschaft, werden sie zweifellos mit einem Wort antworten: Liebe. Doch ausgerechnet im Bereich der Paar- und Familientherapie glänzt der Begriff durch Abwesenheit: Liebe ist eine vergessene Variable (Roberts 1992). Paar- und Familientherapie konzentriert sich meist auf Macht, Kontrolle, Autonomie und Konfliktmediation, aber nicht auf Liebe und Zuwendung (Mackay 1996). Daher ist es für die Paartherapie revolutionär, dass die Bindungstheorie neuerdings auch auf Erwachsenenbeziehungen angewandt wird, weil wir so erstmalig einen schlüssigen, relevanten und gut erforschten Verständnis- und Behandlungsrahmen haben (Brassad & Johnson 2016; Johnson, LaFontaine & Dalgleish 2015). Aber die Revolution ist noch viel umfassender: Endlich widmen sich die Wissenschaften den „tiefsten Geheimnissen menschlicher Beziehungen“ (Berscheid 1999, S. 206).
Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie. Sie macht uns klar, wodurch sich das komplexe vielschichtige Drama der unglücklichen engen Beziehung kennzeichnet. Sie liefert uns eine Sprache, mit der wir die individuellen Erfahrungen unserer Klient*innen legitim beschreiben können. Sind die Kennzeichen erst einmal auf der Karte der Beziehungslandschaft eingezeichnet, ist diese überschaubarer und leichter zu bereisen – bis an ihre entferntesten Enden. Mithilfe einer Theorie der Liebe können wir verstehen, was in der Dyade schiefgelaufen ist, und zudem auch die relevanten Behandlungsziele bestimmen sowie die erforderlichen Schritte, um sie zu erreichen. Eine gute Theorie sorgt dafür, dass Interventionen „zielführend“ sind und den Kern der Sache treffen.
Wie lauten die ursprünglich von Bowlby (2006a, 2018) postulierten Grundprinzipien, die dann von Sozialpsycholog*innen und zunehmend auch von Ärzt*innen (Costello 2013; Magnavita & Anchin 2014) weiterentwickelt und auf Erwachsene angewandt wurden (Mikulincer & Shaver 2007)?
1. Bindung ist eine angeborene Triebkraft. Den Kontakt zu Bezugspersonen zu suchen und aufrechtzuerhalten ist eine angeborene, primäre und lebenslange Motivation des Menschen. Folglich ist die in der westlichen Kultur verpönte und pathologisierte Abhängigkeit etwas zutiefst Menschliches und nicht das abzulegende unreife Verhalten eines Kindes. Das, was enge Beziehungen aber vor allem ausmacht – sozusagen unser therapeutischer „Dreh- und Angelpunkt“ –, sind Bindung und die dazugehörigen Emotionen. Die interkulturelle (van Ijzendoorn & Sagi 1999) Theorie der Bindung bezieht sich auf die Evolution des Menschen als soziales Tier und erinnert in ihrer Universalität daran, dass alle Menschen Angst vor Isolation und Verlust haben und damit im selben Boot sitzen.
2. Sichere konstruktive Abhängigkeit als Ergänzung zu Autonomie. Laut Bindungstheorie gibt es weder die vollkommene Unabhängigkeit noch die übermäßige Abhängigkeit von anderen Menschen (Bretherton & Munholland 1999), sondern Abhängigkeit kann nur effektiv oder ineffektiv sein. Sichere Abhängigkeit stärkt die Unabhängigkeit und das Selbstvertrauen. Es handelt sich also nicht um Gegensätze, sondern um die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Und wie wir aus der Forschung wissen, korreliert eine sichere Bindung mit einem schlüssigen, klaren und positiven Selbstbild (Mikulincer 1995). Wenn wir wissen, wohin wir gehören, werden wir zu uns selbst finden. Je sicherer die Verbindung zu anderen, desto besser können wir uns von ihnen unterscheiden und entfernen. Nach diesem Modell zeigt sich Gesundheit nicht darin, dass man autark und von anderen getrennt ist, sondern in Form einer gefühlten Wahrnehmung wechselseitiger Abhängigkeit.
3. Bindung bietet einen essenziellen Zufluchtsort. Kontakt zu Bindungsfiguren ist ein angeborener Überlebensmechanismus. In ihrer Gegenwart – der Eltern, Kinder, Ehegatten oder Lebensgefährt*innen – findet man Trost und Geborgenheit, ihre Unzugänglichkeit verursacht Kummer. Nähe zu geliebten Menschen beruhigt das Nervensystem (Schore 1994). Sie ist das natürliche Gegenmittel zu den Ängsten und Verletzlichkeiten, die nun einmal Teil des Lebens sind. Eine positive Bindung ist für Menschen aller Altersstufen ein sicherer Ort, der nicht nur die Folgen von Stress und Unsicherheit abpuffert (Mikulincer, Florian & Wesler 1993), sondern auch optimale Bedingungen schafft für die kontinuierliche Entwicklung der Persönlichkeit.
4. Bindung ist eine sichere Basis. Von seiner sicheren Basis aus kann der Mensch sein Umfeld erkunden und angemessen darauf reagieren. Sie regt das Erkundungsverhalten an und die kognitive Aufgeschlossenheit für neue Informationen (Mikulincer 1997). Sie stärkt das Selbstvertrauen, etwas zu riskieren, zu lernen und die inneren Arbeitsmodelle von sich selbst, von anderen und der Welt auf dem Laufenden zu halten und so die Anpassung an neue Kontexte zu erleichtern. Eine sichere Bindung stärkt die Fähigkeit, mit einem Abstand zu sich selbst, die eigenen Verhaltensweisen und mentalen Zustände zu reflektieren (Fonagy & Target 1997). Eine sichere Beziehung ist tendenziell glücklicher, stabiler und befriedigender. In ihr kann man besser auf andere zugehen, sie unterstützen und gut mit Konflikten und Stress fertigwerden. Dieses Bedürfnis nach einer sicheren emotionalen Verbindung zu einem anderen Menschen, nach einer Verbindung im Sinne eines sicheren Orts und einer zuverlässigen Basis, ist das zentrale Thema unglücklicher Beziehungen und effektiver Heilungsprozesse.
5. Emotionale Zugänglichkeit und Responsivitätsorgen für Verbundenheit. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass Emotion das Bindungsverhalten aktiviert und organisiert, und im Besonderen, dass emotionale Zugänglichkeit und Responsivität die Bausteine verlässlicher Verbindungen sind. Eine Bindungsfigur kann physisch anwesend, emotional jedoch abwesend sein. Wird sie als unzugänglich wahrgenommen, kann das Trennungsschmerz verursachen. Es kommt also ganz wesentlich darauf an, wie stark diese Person emotional involviert ist und wie sehr man mit ihr rechnen kann, wenn man sie braucht. Bindungsmäßig gesprochen ist jede Reaktion (sogar Wut) besser als keine. Ohne Kontakt, ohne Responsivität, wird die Botschaft der Bindungsfigur so verstanden: „Egal, welche Signale du gibst – zwischen uns besteht keine Verbindung.“ Die Theorie, nach der Emotion das zentrale Bindungselement ist, macht die Normalität extremer beziehungsstressbedingter Emotionen begreiflich: In der Bindungsbeziehung sind sie am stärksten und folgenreichsten; sie kommunizieren uns und anderen, was uns motiviert und was wir brauchen, sie sind die Musik zum Tanz der Liebenden (Johnson 2014, S. 80–83). Wie Bowlby sagte, „lässt sich die Psychologie und Psychopathologie der Gefühle weitgehend als die Psychologie und Psychopathologie der affektiven Bindungen erklären“ (2001, S. 161).
6. Angst und Ungewissheit aktivieren Bindungsbedürfnisse. Fühlt sich jemand bedroht – etwa durch ein traumatisches Ereignis, Alltagsprobleme wie Stress oder Krankheiten oder wenn die Bindungssicherheit selbst in Gefahr scheint –, kochen mächtige Affekte und Bedürfnisse nach Trost und Verbindung hoch und schieben sich zwingend in den Vordergrund. Das aktiviert Bindungsverhaltensweisen, etwa den Wunsch nach Nähe. Sich mit dem geliebten Menschen verbunden zu wissen ist ein von Anbeginn eingebauter emotionaler Regulierungsmechanismus. Bindung zu Menschen, die einem wichtig sind, stellt „den primären Schutz gegen Gefühle der Hilflosigkeit und der Sinnlosigkeit dar“ (McFarlane & van der Kolk 2000, S. 47). Anhand dieser Theorie wird verständlich, wie ein bestimmtes Vorkommnis wie der Flirt auf einer Party oder eine kurze Phase der Distanz ausgerechnet dann, wenn man den anderen dringend braucht, die Beziehung bedroht und in eine Abwärtsspirale führt.
7. Trennungsschmerzist ein vorhersehbarer Prozess. Bringt das Bindungsverhalten keinen Trost, weil es bei der Bezugsperson weder Responsivität erzeugt noch Kontakt zu ihr herstellt, setzt das einen prototypischen Prozess zornigen Protests, des Anklammerns, der Depression und Verzweiflung in Gang, der irgendwann in Ablösung gipfelt. Depression ist eine natürliche Reaktion auf Bindungsverlust, während der Zorn in engen Beziehungen in Bowlbys Augen häufig einen Versuch darstellt, mit unzugänglichen Bindungsfiguren in Kontakt zu kommen. Bowlby unterschied dabei zwischen dem Zorn der Hoffnung und dem zunehmend nötigenden und bis zum Äußersten gehenden Zorn der Verzweiflung. In sicheren Beziehungen wird der Protest gegen die Unzugänglichkeit gehört und akzeptiert. EFT-Therapeut*innen erkennen elementare Unglücksdramen wie „Forderung / Rückzug“ als Variationen von Trennungsschmerz.
8. Die Anzahl der Reaktionsmöglichkeiten bei unsicherer Bindung ist begrenzt.