Praxisbuch Schematherapie -  - E-Book

Praxisbuch Schematherapie E-Book

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Beschreibung

Auf Basis moderner schematherapeutischer Konzepte und langjähriger Erfahrungen der Autorinnen und Autoren aus Workshops vermittelt dieses Praxisbuch Techniken und Vorgehensweisen zum Umgang mit dysfunktionalen Bewältigungsmodi sowie zum Aufbau des Gesunden Erwachsenenmodus. Das Buch führt zunächst in die kontextuelle Schematherapie und das dynamisch-dimensionale Modusmodell ein, gibt einen innovativen Überblick zum Einsatz von körperorientierten Techniken in der Schematherapie und beschreibt ausführlich Erscheinungsformen und Umgang mit den drei großen Gruppen dysfunktionaler Bewältigungsmodi: die Unterordnung, die Vermeidung (Distanzierter Beschützer, Selbstberuhiger) und die Überkompensation. Spezifika der jeweiligen Bewältigungsmodi in Therapieprozess und Therapiebeziehung werden beschrieben und konkrete Hilfestellungen für das therapeutische Handeln vermittelt. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Aufbau funktionaler Bewältigungsstrategien des Gesunden Erwachsenenmodus, auch hierzu werden praxiserprobte Techniken ausführlich dargestellt. Besonderheiten der Arbeit mit komplex traumatisierten Patientinnen und Patienten sowie ihren spezifischen Bewältigungsmodi runden das Praxisbuch Schematherapie ab. Mit Beiträgen von Dr. Eva Frank-Noyon, Julia Hinrichs, Yvonne Reusch, Dr. Eckhard Roediger, Julia Schuchardt, Dr. Claudia Stromberg und Dr. Matias Valente

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Contents

Cover

Titelei

Autor:innenverzeichnis

Einleitung

Literatur

1 Theoretische und praktische Grundlagen: eine kontextuelle Perspektive

1.1 Was ist Schematherapie?

1.2 Die Grundkonzepte

1.2.1 Schemata

1.2.2 Schemabewältigung

1.2.3 Modi

1.3 Kontextuelle Perspektive

1.3.1 Der Bezug zur Verhaltensanalyse und zum SORKC-Modell

1.3.2 Das dimensionale Verständnis des Modusmodells und die Metapher der »zwei Beine«

1.3.3 Vom Modusmodell zur Fallkonzeption

1.3.4 Der Gesunde Erwachsenenmodus aus einer kontextuellen Perspektive

1.4 Behandlungsgrundlagen

1.4.1 Das Behandlungsrational

1.4.2 Der Therapieprozess und die wesentlichen Wirkfaktoren

1.4.3 Praktische Empfehlungen für die Gestaltung der Therapie

1.5 Auf dem Weg zu einer prozessbasierten Schematherapie

1.6 Die Beziehungsgestaltung

1.6.1 Das Zwei-Achsenmodell und die vier Positionen

1.6.2 Die wichtigsten Techniken zur Steuerung der Therapie

1.6.3 Mikroprozesse in der Beziehungsgestaltung

1.7 Die erlebnisaktivierenden Techniken

1.7.1 Die zentralen Prozesse bei Imagination und Stühledialogen

1.7.2 Die zentralen Schritte in Imagination und Stühledialogen

1.7.3 Welche Arten von Imaginationen gibt es?

1.7.4 Welche Arten von Stühledialogen gibt es?

1.7.5 Vorgehen bei stockenden Perspektivwechseln

1.8 Der Transfer in den Alltag

1.9 Zusammenfassung

Literatur

2 Der Körper kennt den Weg: warum es sich lohnt, Körperprozessen mehr Beachtung zu schenken

2.1 Einleitung

2.2 Grundlegendes zur Integration körperpsychotherapeutischen Arbeitens in die Schematherapie

2.2.1 Techniken zur Exploration der Körperebene

2.2.2 Techniken zur Intensivierung und zur Regulation des aktuellen Erlebens

2.3 Körperprozesse im dynamisch-dimensionalen Modusmodell

2.4 Fokussierung der Körperebene im Umgang mit Erlebensvermeidung

2.4.1 Übung 1: den Modus des Distanzierten Beschützers beobachten

2.4.2 Übung 2: den Modus des Distanzierten Beschützers überwinden

2.4.3 Exkurs: Arbeit im Stehen und Liegen

2.5 Fokussierung der Körperebene im Umgang mit Internalisierung

2.5.1 Übung 3: Ausdruck für die Behauptungsseite finden

2.6 Fokussierung der Körperebene im Umgang mit Externalisierung

2.6.1 Übung 4: Ausdruck für die Bindungsseite finden

2.7 Fokussierung der Körperebene zur Stärkung des Gesunden Erwachsenenmodus

2.7.1 Übung 5: Wechsel aus dem Kindmodus in den Gesunden Erwachsenenmodus (Grounding)

2.7.2 Übung 6: Abgrenzung vom Kritikermodus im Stehen

2.7.3 Übung 7: den Körper die erwachsene Haltung finden lassen

2.7.4 Pendeln zwischen Bewältigung und erwachsener Haltung

2.7.5 Körperunzufriedenheit und Körperbildstörung

2.8 Zusammenfassung

Literatur

3 Unterwerfungsmodus und Internalisiererinnen

3.1 Einleitung

3.2 Der Unterordnungsmodus im Modusmodell

3.3 Welche Auswirkungen hat der Unterordnungsmodus auf das Gegenüber?

3.4 Techniken zum Umgang mit Internalisiererinnen in der Therapie

3.4.1 Stühleübung zur Distanzierung der inneren Kritikerstimmen – Teil 1

3.4.2 Stühleübung zur Distanzierung der inneren Kritikerstimmen – Teil 2

3.4.3 Stühleübung zum Verständnis der Funktion sowie der Nachteile des Unterordnungsmodus

3.4.4 Förderung der Selbstbehauptungsseite – Übung zur Unterstützung des Ja

3.4.5 Förderung der Selbstbehauptungsseite: Zugang zum Wollen – Was mag ich lieber?

3.5 Was, wenn alles nichts nutzt?

3.6 Zusammenfassung

Literatur

4 Distanzierter und Ärgerlicher Beschützer sowie Aktiver Selbstberuhiger: zum Umgang mit emotionsvermeidenden Modi

4.1 Einleitung

4.2 Die Beschützermodi und der Aktive Selbstberuhiger im Modusmodell

4.3 Erscheinungsformen der emotionsvermeidenden Bewältigungsmodi

4.4 Die emotionsvermeidenden Bewältigungsmodi in der Therapiebeziehung

4.5 Den Distanzierten und Ärgerlichen Beschützer umgehen: Techniken I

4.5.1 Kognitive Techniken

4.5.2 Emotionsaktivierende Techniken: empathische Konfrontation

4.5.3 Emotionsaktivierende Techniken: Zwei-Stühle-Dialog Beschützermodus und Gesunder Erwachsenenmodus

4.5.4 Emotionsaktivierende Techniken: Interview mit dem Schutzmodus und Vereinbaren eines Experiments

4.5.5 Emotionsaktivierende Techniken: Aktivierung des Wütenden Kindmodus und Gesunder Erwachsenenmodus als Regulationsinstanz

4.6 Den Aktiven Selbstberuhiger begrenzen: Techniken II

4.6.1 Kognitive und behaviorale Techniken

4.6.2 Emotionsaktivierende Techniken

4.7 Was, wenn alles nichts nutzt?

4.8 Zusammenfassung

Literatur

5 Überkompensation

5.1 Externalisierende Dynamiken im kontextuellen Verständnis

5.1.1 Dimensional-kontextuelle vs. kategoriale Perspektiven

5.2 Die therapeutische Beziehung

5.2.1 Betrachten Sie den Sonnenaufgang

5.2.2 Verbalität und kontextuelles Verständnis

5.2.3 Wenn die Wolken zu dicht sind

5.2.4 Die vier Positionen der Beziehungsgestaltung als Interventionskompass

5.2.5 Empathische Konfrontation bei Entwertungen und Aggressivität

5.3 Imaginationsarbeit

5.3.1 Vergangenheitsbewältigung und imaginatives Überschreiben

5.3.2 Imaginative Modusarbeit

5.4 Arbeit mit Stühlen

5.5 Gesunder Erwachsenenmodus und Klarheit über Werte

5.6 Abschließende Bemerkungen

Literatur

6 Der Aufbau des Gesunden Erwachsenenmodus

6.1 Was ist der Gesunde Erwachsenenmodus?

6.2 Wie werde ich gesund erwachsen?

6.2.1 Entstehung des GE in der Biografie

6.2.2 GE-Aufbau durch die therapeutische Beziehung

6.2.3 Gezielter Aufbau des GE durch Interventionen

6.3 Aufbau und Training des Erwachsenenmodus in seinen Basiskompetenzen

6.4 Training der Erwachsenen-Kompetenzen auf Stühlen

6.5 GE-Training anhand von Imaginationsübungen

6.5.1 Imaginative Probebühne für den GE

6.5.2 Imaginative Begegnung zwischen GE und Kindmodus

6.6 Transfer in den Alltag durch Hausaufgaben

6.7 Abschließende Betrachtung

Literatur

7 Schematherapie mit komplex traumatisierten Patientinnen

7.1 Statt einer Einleitung

7.2 Besonderheiten der Beziehungsgestaltung

7.3 Schematherapeutische Mikroprozesse in der Beziehungsgestaltung

7.4 Umgang mit Dissoziationen und emotionale Stabilisierung

7.5 Umgang mit dissoziativen Identitätsstörungen

7.6 Traumaexposition durch Imaginatives Überschreiben (Imagery Rescripting)

7.7 Umgang mit Wut

7.8 Umgang mit Suizidalität

7.9 Therapiebeendigungen und abschließende Bemerkungen

Literatur

8 Ausblick: der Gesunde Erwachsene – ein Modus mit Zukunft

Literatur

Stichwortverzeichnis

Die Herausgeberin

Dr. Claudia Stromberg studierte Psychologie in Gießen und promovierte an der TU Chemnitz. Sie erlangte die Approbation in Verhaltenstherapie 2004 und ist seitdem Instituts- und Ambulanzleiterin der GAP Frankfurt, eines verhaltenstherapeutischen Ausbildungsinstitutes. Sie ist seit 2009 als Supervisorin für Verhaltenstherapie tätig und seit 2013 im Vorstand des Deutschen Fachverbandes für Verhaltenstherapie (DVT). Advanced Certification in Schematherapie 2011. Stromberg ist seit 2013 Co-Leiterin des Instituts für Schematherapie Frankfurt (Leitung Dr. Eckhard Roediger) und gründete 2020 gemeinsam mit allen Mitautor:innen des Buches die Schematherapie-Online-Akademie. Neben der Verfeinerung schematherapeutischer Techniken gilt ihr inhaltliches Interesse der Verzahnung von Schema- und Verhaltenstherapie.

Claudia Stromberg (Hrsg.)

Praxisbuch Schematherapie

Umgang mit dysfunktionalen Bewältigungsmodi und Aufbau des Gesunden Erwachsenenmodus

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-042353-4

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-042354-1epub: ISBN 978-3-17-042355-8

Autor:innenverzeichnis

Eva Frank-NoyonDr. phil., Psychologische Psychotherapeutin, Verhaltenstherapie, Paar- und Sexualtherapie (zertifiziert durch die DGfS). Niedergelassen in psychotherapeutischer Praxis. Dozentin und Supervisorin für Verhaltenstherapie. [email protected]

Julia HinrichsDipl. Psych., Psychologische Psychotherapeutin, Verhaltenstherapie. Niedergelassen in psychotherapeutischer Praxis. Dozentin und Supervisorin für Verhaltenstherapie. [email protected]

Yvonne ReuschDipl. Psych., Psychologische Psychotherapeutin, Verhaltenstherapie. Institutsgründerin und Leiterin des Instituts für Schematherapie-Stuttgart (IST-S). Niedergelassen in psychotherapeutischer Praxis. Dozentin und Supervisorin für Verhaltenstherapie. [email protected]

Eckhard RoedigerDr. med., Neurologe, Psychiater und Arzt für Psychotherapeutische Medizin, Ausbildungen in tiefenpsychologischer und Verhaltenstherapie. Leiter des Instituts für Schematherapie-Frankfurt (IST-F), Past-Präsident und Ehrenmitglied der Internationalen Schematherapiegesellschaft (ISST). [email protected]

Julia SchuchardtDipl. Psych., Psychologische Psychotherapeutin, Verhaltenstherapie. Institutsgründerin und Leiterin des Instituts für Schematherapie-Konstanz (IST-KN), Privatpraxis. Dozentin und Supervisorin für Verhaltenstherapie. [email protected]

Claudia StrombergDr. phil., Psychologische Psychotherapeutin, Verhaltenstherapie. Institutsleiterin GAP Frankfurt und Co-Leiterin des Instituts für Schematherapie-Frankfurt (IST-F), Privatpraxis. Dozentin und Supervisorin für Verhaltenstherapie. [email protected].

Matias ValenteDr. sc. hum., Psychologischer Psychotherapeut, Verhaltenstherapie. Institutsgründer und Leiter des Instituts für Schematherapie-Stuttgart (IST-S). Niedergelassen in psychotherapeutischer Praxis. Dozent und Supervisor für Verhaltenstherapie. [email protected]

Alle Autor:innen sind durch die ISST e.V. advanced zertifizierte Schematherapeut:innen, Dozent:innen und Supervisor:innen für Schematherapie.

Einleitung

Claudia Stromberg

Seit vielen Jahren gibt es an unseren Schematherapieinstituten neben den Kursen des schematherapeutischen Basiscurriculums Vertiefungsworkshops wie bspw. »Den Distanzierten Beschützermodus umgehen«, »Den Gesunden Erwachsenenmodus aufbauen« oder »Schematherapie mit komplex Traumatisierten« und es werden spezielle Techniken gelehrt zum Umgang mit externalisierenden und internalisierenden Patientinnen und Patienten, wie z. B. Menschen mit dependenten oder narzisstischen Persönlichkeitsstörungen. Neuerdings wird das Programm auch durch Workshops zur Körperorientierung in der Schematherapie vertieft.

Schon länger denken wir darüber nach, Wissen, Konzepte und Techniken zum Umgang mit spezifischen Modi (Erlebenszuständen) von Patientinnen und Patienten aus unseren »Spezialworkshops« zusammenzustellen und zu verschriftlichen. Wir arbeiten als Gruppe seit längerem einerseits an einem gemeinsamen Verständnis zur Einbettung von schematherapeutischen Konzepten in neurowissenschaftliche und prozessorientierte Ansätze und andererseits an der Verzahnung von Schematherapie und Verhaltenstherapie sowie von Schematherapie mit anderen Dritte-Welle-Methoden, hierbei hauptsächlich die Akzeptanz-und Commitment-Therapie (ACT) von Stephen Hayes.

Ganz allgemein stellt sich mit dem Aufkommen der Dritten Welle der Verhaltenstherapie und ihren vielfältigen Methoden wie Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT), MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction), MBCT (Mindfulness-Based Cognitive Therapy), CFT (Compassion-Focussed Therapy), ACT (Akzeptanz- und Commitment-Therapie) und Schematherapie die Frage nach konzeptuellen Gemeinsamkeiten zwischen den Dritte-Welle-Methoden und Möglichkeiten der strukturellen Verzahnung der Methoden mit der klassischen kognitiven Verhaltenstherapie. Zwischen den Methoden gibt es zahlreiche Überlappungen, die zusammengefasst worden sind als stärkerer Focus auf Emotionsregulation und einer Akzeptanzhaltung in Bezug auf negative Gedanken und Gefühle im Vergleich zur Veränderungshaltung durch Umstrukturierung in der Verhaltenstherapie (Vorderholzer, 2019).

Unsere konzeptuellen Überlegungen fließen in ganz konkrete Techniken bspw. zum Aufbau des Gesunden Erwachsenenmodus, zu körperfokussierten Techniken mit bestimmten Modi, zum Umgang mit Überkompensationsmodi in der Therapiesitzung oder mit Unterordnungsmodi in Paarbeziehungen ein.

Den Ausschlag für die Konzeption dieses Buches gab die Feststellung, dass wir gerade auf der Achse zwischen unflexibler, dysfunktionaler Bewältigung und flexibler, funktionaler Bewältigung aus dem Gesunden Erwachsenenmodus (GE) einen ganzen Fundus dieser verschiedenen Vertiefungsworkshops anbieten. In diesen blicken wir systematisch – quasi wie mit der Lupe – auf schwierige Therapiesituationen oder -prozesse, verursacht durch die dysfunktionalen Bewältigungsmodi oder Defizite in der Regulation durch den GE unserer persönlichkeitsgestörten Patientinnen und Patienten. All diese Vertiefungsworkshops umspannen die Frage, wie man therapeutisch mit dysfunktionalen Bewältigungsmodi umgehen kann und welche spezifischen Techniken es zum Aufbau des Gesunden Erwachsenenmodus gibt. Und dieses Wissen, durch viele Fragen und Kommentare, Patientenbeispiele und Selbstoffenbarungen von Workshopteilnehmenden angereichert, galt es nun, so die Idee, jenseits von Einzelworkshops systematisch und mit rotem Faden entlang des dynamisch-dimensionalen Modusmodells zu bündeln.

Als ich in einem unserer Meetings meine Kolleginnen und Kollegen fragte, ob sie Interesse hätten, an diesem Buchprojekt mitzuarbeiten, sagten alle spontan zu, was mich natürlich sehr freute. Seitdem haben wir dieses Buchprojekt gemeinsam vorangetrieben und weiterentwickelt. Es bekam ein kontextuelles Fundament und wurde angereichert durch innovative Ansätze u. a. zur Körperorientierung in der Schematherapie. Es wurde zu einem von mehreren gemeinsamen Projekten, die insgesamt unser Zusammengehörigkeitsgefühl und die Synergieeffekte in unserer Arbeitsgruppe noch einmal erheblich verstärkten.

Wir sind eine Gruppe von sieben Schematherapeutinnen und Schematherapeuten, alle mit Fachkunde Verhaltenstherapie, die schon seit vielen Jahren eng zusammenarbeiten und im Herbst 2020 die Schematherapie-Online-Akademie gegründet haben. Wir vertreten die Schematherapie-Institute IST-F (Frankfurt), IST-Konstanz und IST-S (Stuttgart). Wir sind Dr. Eva Frank-Noyon, Julia Hinrichs, Yvonne Reusch, Dr. Eckhard Roediger, Julia Schuchardt, Dr. Claudia Stromberg und Dr. Matias Valente und wir freuen uns sehr über Ihr Interesse an unserem Buch.

Mit dem Praxisbuch Schematherapie möchten wir schematherapeutisch arbeitenden Kolleginnen und Kollegen diese auf dem dynamisch-dimensionalen Modusmodell basierenden Techniken und Vorgehensweisen auf der »Bewältigungsachse« zwischen dysfunktional und funktional kompakt und anschaulich vermitteln.

Für wen ist dieses Buch also interessant?

Das Praxisbuch Schematherapie richtet sich an Praktikerinnen und Praktiker, die sich vertiefend mit dem Umgang mit verschiedenen dysfunktionalen Bewältigungsmodi und dem gezielten Aufbau des Gesunden Erwachsenenmodus in ihren Therapien beschäftigen wollen, oder die sich Techniken für den Umgang mit schwierigen Therapiesituationen oder stockenden Therapieprozessen wünschen. Therapieprozesse, die, geprägt durch die dysfunktionalen Bewältigungsmodi der Behandelten, nicht fortschreiten oder mühsam sind, führen nicht selten zu Hilflosigkeitserleben oder Genervtsein auf Seiten der Therapeutinnen und Therapeuten. Schaffen wir es nicht, dysfunktionale Bewältigungsmodi in der Therapiebeziehung zu umgehen, kann emotionsaktivierendes Arbeiten mit Imagery Rescripting und Modusdialogen auf Stühlen – die Basistechniken der Schematherapie –, schwierig bis unmöglich werden. So kann den Patientinnen und Patienten nicht aus ihren dysfunktionalen Mustern herausgeholfen werden, was zu erheblichen Frustrationen auf beiden Seiten führt. Die dargestellten spezifischen Techniken helfen, dysfunktionale Muster abbauen und funktionale Muster aufbauen zu können.

Wir geben eine ausführliche Einführung in die kontextuelle Schematherapie, allerdings versteht sich dieses Buch – ganz im Sinne der ursprünglichen Vertiefungsworkshops – eher als auf bereits vorhandenem schematherapeutischen Grundwissen aufbauend. Erste Kenntnisse der Schematherapie, ihrer Wirkfaktoren und Techniken sind also hilfreich.

Was genau erwartet Sie?

Zum einen erwarten Sie moderne schematherapeutische Konzepte. Die in Kapitel 1 dargestellte Herleitung des theoretischen Bezugsrahmens mit dem dynamisch-dimensionalen Modusmodell und einer kontextuellen Perspektive sind das Ergebnis jahrelanger konzeptueller Arbeit (▸ Kap. 1). Der Einbezug des »Still-face«-Videos der Bindungsforschung und die Einbettung in neurowissenschaftliche Konzepte wie die Polyvagaltheorie sind sicherlich sehr bereichernd für die Tiefe dieser Konzepte gewesen. Zum zweiten erwarten Sie ab Kapitel 2 durch viele Workshop- und Therapiestunden verfeinerte Techniken, die passgenau beim Umgang mit spezifischen Bewältigungsmodi oder Defiziten des GE helfen können.

Eckhard Roediger und Matias Valente führen in ▸ Kap. 1 in die kontextuelle Schematherapie mit ihren Anklängen aus der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (Hayes et al., 2012) und das dynamisch-dimensionale Modusmodell mit seinem Kontinuum der dysfunktionalen Bewältigungsmodi ein und erläutern hierbei unser Verständnis von Schematherapie. Aufbauend auf den von Jeffrey Young et al. (2003) ausgearbeiteten Ansatz gehören die kontextuelle Perspektive und ein zugrundeliegendes dynamisch-dimensionales Modusmodell zu unserer konzeptuellen Basis. Die dimensionale Sicht auf das Modusmodell mit den beiden Polen »Internalisieren« und »Externalisieren« umfasst auch die damit verknüpfte Metapher der »zwei Beine«, auf denen man dann balanciert steht, wenn sowohl das Bindungs- als auch das Selbstbehauptungsbedürfnis Raum haben. Das dynamische Verständnis des Modusmodells betont den Aspekt der Spannungsreduktion durch dysfunktionale Bewältigungsmodi (BM). Hieraus leitet sich der Ansatz der Arbeit auf der vorderen (Aktivierung von BM) und der hinteren Bühne (Aktivierung von emotionalem Kindmodus und Innerem-Kritiker- bzw. Antreibermodus) ab. Diese Eckpfeiler repräsentieren einen modernen schematherapeutischen Rahmen, der zugleich eine integrative Weiterentwicklung im Rahmen der Dritte-Welle-Methoden der Verhaltenstherapie ist.

Die Kapitel 2 – 7 behandeln den konkreten Umgang mit dysfunktionalen Bewältigungsmodi entlang des Kontinuums der Bewältigungsmodi im dynamisch-dimensionalen Modusmodell sowie den Aufbau des Gesunden Erwachsenenmodus. Hierbei wird in jede spezifische Gruppe von BM durch eine Beschreibung der typischen Erscheinungsformen und ihrer Wirkung in Interaktionen – auch in therapeutischen – eingeführt.

In ▸ Kap. 2 wird es durch den neuen Fokus auf Körperorientierung in der Schematherapie besonders innovativ: Nach einer Einführung in die Körpertherapie und einer Verknüpfung der verschiedenen BM mit der Polyvagaltheorie von Stephen Porges (2010) stellt Yvonne Reusch spezifische körperorientierte Techniken des Umgangs mit dysfunktionalen BM unter der Überschrift »Der Körper kennt den Weg« dar.

Kapitel 3 von Eva Frank-Noyon führt Strategien und Techniken zum Umgang mit dem Unterwerfungsmodus von Patientinnen und Patienten aus und beschäftigt sich detailliert mit den dysfunktionalen Mechanismen von Internalisiererinnen und Internalisierern (▸ Kap. 3). Tiefgreifende Kenntnisse aus der Schematherapie mit Paaren fließen in dieses Kapitel ein und beleuchten auch die Nachteile des Unterwerfungsmodus in Paarbeziehungen.

Der Distanzierte Beschützermodus – von Jeffrey Young (2012) einst als »probably the most difficult to work with overall« bezeichnet – ist einer der drei emotionsvermeidenden BM, für die Claudia Stromberg in ▸ Kap. 4 beschreibt, wie man mit ihnen arbeiten kann, um sie schließlich zu umgehen und auf die »hintere Bühne« gelangen zu können.

Externalisierende und überkompensierende Patientinnen und Patienten sind das Spezialgebiet von Matias Valente, der in ▸ Kap. 5 ausführt, wie man diesen Patienten helfen kann, zu verstehen, welches Bedürfnis sie eigentlich haben und wie man sich gleichzeitig vor dem Überkompensationsmodus in der Therapiesitzung schützt.

Schließlich beschreiben Julia Hinrichs und Julia Schuchardt als Expertinnen für den Gesunden Erwachsenenmodus in ▸ Kap. 6 innovative und kreative Möglichkeiten, um den GE, den Modus, dessen Stärkung im Sinne von Selbstregulationsfähigkeit die Schematherapie zum Ziel hat, aufzubauen.

Auf Basis der Ausführungen der Kapitel 2 bis 6 geht das ▸ Kap. 7 von Eckhard Roediger auf die Besonderheiten bei der Behandlung von komplex traumatisierten Patientinnen und Patienten mit ihren charakteristischen Bewältigungsstrategien, wie bspw. einer Vielzahl dissoziativer Phänomene, ein und gibt konkrete und praxiserprobte Hinweise für den Umgang mit den besonders herausfordernden Traumafolgestörungen.

Ein zusammenführendes, abschließendes Kapitel mit Fazit und Ausblick von Claudia Stromberg rundet das Buch ab (▸ Kap. 8).

Auch wenn wir der Überzeugung sind, Ihnen Konzepte aus »einem Guss« und mit rotem Faden zu präsentieren, haben wir alle unsere jeweiligen Spezialisierungen, Blickwinkel und nicht zuletzt auch Persönlichkeitsstile, die zu einem lebendigen Spannungsbogen und auch manchmal spezifischen Schwerpunktsetzungen im Umgang mit dysfunktionalen Bewältigungsstilen beitragen. So zeigt sich in Kapitel 1 und Kapitel 7 am markantesten die Haltung, die gezeigten dysfunktionalen Bewältigungsmodi zu umgehen, indem man sie markiert, validiert, ins Modusmodell einordnet und darüber hinaus möglichst nicht weiter auf sie eingeht, um rasch in die Arbeit auf der hinteren Bühne einzusteigen. Das ist das basale Prinzip, denn die Arbeit mit dysfunktionalen Bewältigungsmodi ist kein Selbstzweck, sondern nur dann erforderlich, wenn sie chronisch einer ausgewogenen Bedürfnisbilanz im Wege stehen oder den Therapieprozess blockieren. Können die Bewältigungsmodi nicht durch Benennen und Einordnen umgangen werden, helfen die in den Kapiteln 2 bis 5 beschriebenen emotionsaktivierenden Herangehensweisen und Techniken für spezifische Bewältigungsmodi weiter. Auch gezielte Übungen, wenn hartnäckige Bewältigungsmodi den Therapieprozess blockieren und innovative Techniken zur Aktivierung von Körpererleben, um diese Übungen zu unterstützen oder ein völlig eigenständiges Umgehen von Bewältigungsmodi zu ermöglichen, werden Sie finden.

Weiterhin umspannt das Buch auch Nuancen in der Fokussetzung und der therapeutischen Haltung: Während in einigen der Kapitel eine stärkere Betonung auf der schnellen Übernahme von Eigenverantwortung und Selbstbehauptung durch die Patientinnen und Patienten liegt, wird in anderen eher vermittelt, sich dafür ruhig Zeit zu nehmen und den GE langsam und nachhaltig wachsen zu lassen. Sie werden also auf jeden Fall Angebote für etwas unterschiedliche therapeutische Stile finden, eine Varianz, die wir innerhalb eines homogenen Gesamtkonzeptes sehr fruchtbar finden.

Um eine möglichst gendergerechte Sprache zu finden, wechselt dieses Buch kapitelweise zwischen männlicher und weiblicher Form, das jeweils andere Geschlecht sowie diverse Lesende sind selbstverständlich immer mitgemeint. Kapitel 1, Kapitel 3, Kapitel 4 und Kapitel 7 sind »weiblich« geschrieben, Kapitel 2, Kapitel 5 und Kapitel 6 »männlich«.

Literatur

Hayes SC, Strohsal KD, Wilson KG (2012). Acceptance and commitment therapy: The process and practice of mindful change (2nd Ed.). New York: Guilford.

Porges SW (2010). Die Polyvagal-Theorie. Neurophysiologische Grundlagen der Therapie. Paderborn: Junfermann.

Vorderholzer U (2019). Die Dritte Welle der Verhaltenstherapie – Überlegenheit im Vergleich mit klassischer kognitiver Verhaltenstherapie? Verhaltenstherapie 29 (2): 77 – 79. https://doi.org/10.1159/000500697

Young JE (2012). Bypassing the Detached Protector Mode. Workshop. ISST Conference, New York.

Young JE, Klosko JS, Weishaar ME (2003). Schema Therapy. A practitioner's guide. New York: Guilford.

1 Theoretische und praktische Grundlagen: eine kontextuelle Perspektive

Eckhard Roediger und Matias Valente

In diesem Kapitel wollen wir die Grundlagen des modifizierten, dimensionalen und »ACT-informierten« Modusmodells vorstellen, auf dem die weiteren Kapitel dieses Buches aufbauen. Die Schematherapie ist von ihrem Grundgedanken her integrativ (Young, 2010). Young hat sein Modell in den 1990er Jahren entwickelt und seinerseits u. a. Elemente der Verhaltenstherapie, der Bindungsforschung, der »personal-construct«-Theorie und der Gestalttherapie zusammengebracht. Wir haben dies weitergeführt und die neuen Entwicklungen der Verhaltenstherapie, insbesondere der sog. Dritten Welle, in die Schematherapie integriert. Aber der Reihe nach ...

1.1 Was ist Schematherapie?

Schematherapie (ST) ist kein eigenständiges Verfahren, mit dem man psychische Störungen umfassend behandeln kann. Sie ist eine Methode innerhalb der Verhaltenstherapie, mit der wir dysfunktionales Interaktionsverhalten von Patientinnen vor dem Hintergrund ihrer biografischen Erfahrungen verstehen/konzeptualisieren und effektiv verändern können.

Diese Interaktionsstörungen findet man v. a. bei Persönlichkeitsstörungen (PS) und so erklärt sich, dass ST insbesondere in diesem Diagnosebereich ihre Wirksamkeit nachweisen konnte. Schematherapeutisches Symptomverständnis und zahlreiche Techniken können aber auch als Teil eines integrativen verhaltenstherapeutischen Gesamtbehandlungsplanes bei chronifizierten und therapieresistenten Störungen hilfreich sein (s. Stromberg & Zickenheiner, 2021; Zarbock, 2008; Gall-Peters & Zarbock, 2012). Sie stellt damit eine Methode dar, die das Interventionsspektrum der Verhaltenstherapie erheblich erweitert.

Was ist dabei der konkrete Beitrag der ST? Es ist aus unserer Sicht weniger das Modell. Daher haben wir das Modell auf seine Essenz reduziert und damit wieder besser anschlussfähig an die Verhaltenstherapie gemacht. Es sind vielmehr die besondere Beziehungsgestaltungskompetenz und die gut definierten Therapieprozesse und -techniken, von denen die Verhaltenstherapie profitieren kann. Bei der sog. »begrenzten Nachbeelterung« fällt auf, dass die ST insbesondere bei Patientinnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen im Vergleich zu anderen, Borderline-spezifischen Behandlungen deutlich niedrigere Abbruchquoten zeigt (ST: 11,1 %, DBT: 23 %, MBT: 24,8 % und TFP: 34,9 %; Jacob & Arntz, 2013). Diese Art der Beziehungsgestaltung scheint also auch schwierige Patientinnen gut in der Behandlung halten zu können und diesen gerecht zu werden.

Die erlebnisaktivierenden Techniken sind ein zweites »Asset« in der Schematherapie. Sie sind zwar grundsätzlich der Gestalttherapie entlehnt, werden aber in der Schematherapie auf die Fallkonzeption bezogen strategisch und weitgehend manualisiert eingesetzt. Insbesondere die Technik des Imaginativen Überschreibens (Imagery Rescripting – ImRs) ist auch in Studien gut untersucht und z. B. bei Traumapatientinnen ähnlich wirksam wie EMDR (Boterhoven de Haan et al., 2020). Auch hier sehen wir auf Technikebene eine Bereicherung für die Verhaltenstherapie. Imaginatives Überschreiben wird inzwischen tatsächlich zunehmend in der Verhaltenstherapie der PTBS eingesetzt (Steil, 2021). Dies ist grundsätzlich auch für Stühledialoge möglich (Roediger, 2015).

Historischer Entstehungskontext und Entwicklung

Der Geburtsort der Schematherapie ist das Cognitive Therapy Center von Aaron Beck in Philadelphia. Wir schreiben die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Jeffrey Young war damals ein enger Mitarbeiter von Aaron Beck und konzipierte mit ihm die Studien. Dabei stellte er fest, dass ein nicht kleiner Teil der dort behandelten Patientinnen nicht von der kognitiven Therapie profitierte. Als er der Sache nachging, stellte er fest, dass zu diesen Patientinnen mit herkömmlichen Techniken keine gute Arbeitsbeziehung hergestellt werden konnte. Sie arbeiteten nicht mit, waren anhaltend misstrauisch oder sogar feindselig, machten die Hausaufgaben nicht und verstrickten die Therapeutinnen. Er sah die Ursache in tiefsitzenden Einstellungen, die er Schemata nannte. Er griff dabei auf einen Begriff von Beck zurück, interpretierte ihn aber umfassender.

Für Young sind Schemata komplexe Muster mit kognitiven, aber auch emotionalen und physiologischen Anteilen und daraus entstehenden Handlungsimpulsen. Sie entstehen, wenn in der Kindheit die Grundbedürfnisse des Kindes nicht erfüllt werden.

Etwas plastisch ausgedrückt sind das kleine »Videoclips« von schmerzhaften Kindheitserlebnissen, die in das sich entwickelnde Gehirn des Kindes »eingebrannt« werden und von nun an die Wahrnehmung, Bewertung und die Beantwortung von Sinneswahrnehmungen prägen. Damit befindet sich Young in großer Nähe zu den Konzepten der Bindungsforschung und dem Konzept des »internal working model« von Bowlby (1976) und damit essentiell psychodynamischen Konzepten. Auf Basis der Beobachtung seiner Patientinnen definierte er 18 Schemata, die wir später kurz vorstellen wollen. Youngs Idee war, dass es diese Schemata sind, die die Mitarbeit der Patientinnen in der Therapie beeinträchtigen. Im selben Zeitraum machte er selbst eine Gestalttherapie (Young, 2010) und erlebte sozusagen »am eigenen Leib« die Intensität von Imaginationen und Stühledialogen. Diese Techniken integrierte er in seine Methode und setzte sie gezielt ein, um in der Therapiebeziehung Schemata zu aktivieren und durch eine korrigierende emotionale Beziehungserfahrung zu »heilen«, was zwar im Konzept einem psychodynamischen Vorgehen sehr nahe ist (Kohut, 1981, 2001), gleichzeitig aber dem »interventionsfreudigen« Geist der Verhaltenstherapie entspricht. Im Gegensatz zur eher abstinenten psychodynamischen Therapeutenhaltung wollte er des Weiteren die Grundbedürfnisse der Patientinnen im Rahmen des therapeutisch Möglichen konkret befriedigen, so wie das »gute Eltern« tun. Er nannte diesen Prozess »begrenzte Nachbeelterung« (limited reparenting). Er ging davon aus, dass dann die Patientinnen von sich aus autonom und »erwachsen« werden wollen. Ggf. half er diesem Prozess durch eine sog. »empathische Konfrontation« nach. Obwohl Young viele Ideen von Beck aufgriff, gerieten seine Gedanken zunehmend eigenständiger, sodass er sich um 1987 in New York niederließ.

Inzwischen sind wir in den frühen 2000er Jahren. Arnoud Arntz plant in den Niederlanden eine Studie mit Borderline-Patientinnen. Um die Fallkonzeptionen übersichtlich zu halten, fokussiert er nicht mehr auf die hintergründigen Schemata, sondern auf die Zustände, in die Menschen kommen, wenn ihre Schemata aktiviert sind: die sog. Modi. Der Fokus auf die Arbeit mit unterschiedlichen Modi ermöglichte nicht nur eine übersichtliche Fallkonzeption, sondern auch eine bessere Manualisierung des Behandlungsprotokolls im Hinblick auf unterschiedliche Behandlungsphasen. Je nach Stand im Therapieprozess wurden spezifische Interventionen mit bestimmten Modi vorgeschlagen. Es folgten mehrere große Wirksamkeitsstudien, die nicht nur die Effektivität bei der Behandlung von Borderline-PS, sowohl im Einzel- (Giesen-Blo et al., 2006) als auch im Gruppensetting (Arntz et al., 2022) belegten, sondern auch bei weiteren Persönlichkeitsstörungen (Bamelis et al., 2014).

1.2 Die Grundkonzepte

1.2.1 Schemata

Im Sinne Grawes (2004) bezeichnet ein Schema eine Bereitschaft des Gehirns, auch heute noch so zu reagieren, wie es in der Kindheit angelegt wurde. Damit dringt immer ein Stück weit die unbearbeitete Vergangenheit in unser gegenwärtiges Leben ein, ohne dass uns das bewusst ist. Im Gegenteil: Wir betrachten die Welt durch eine »Schema-Brille« ohne zu merken, dass wir eine Brille auf der Nase haben. Aufgrund der Tatsache, dass die Neuronen unseres Gehirns zu ca. 97 % mit sich selbst verschaltet sind, schwimmen wir sozusagen »im eigenen Saft« und glauben, dass die Welt so ist, wie wir sie sehen (Roth, 2001). Unter https://www.schematherapie-frankfurt.de/images/IST-F%20Materialien/Videos/Tutorial_Videos/Warum%20Perspektivwechsel%20schwerfallen.mp4können Sie sich dazu ein Tutorial anschauen. Aus dieser sog. Selbstreferentialität leitet sich eine unserer zentralen Interventionen ab, nämlich aufzustehen und das eigene Erleben wie von außen zu betrachten. Diese inneren Muster zu erkennen, als »alt« einzuordnen und aus ihnen auszusteigen ist einer der zentralen Schritte im Veränderungsprozess. Die 18 Schemata werden abhängig vom frustrierten Grundbedürfnis in fünf Schemadomänen zusammengefasst (Young et al., 2005):

Domäne I: Abgetrenntheit und Ablehnung (Bedürfnis: Sichere Bindung)

1.

emotionale Entbehrung

2.

Verlassenheit und Instabilität

3.

Misstrauen/Missbrauch

4.

Isolation

5.

Unzulänglichkeit/Scham

Domäne II: Beeinträchtigung von Autonomie und Leistung (Bedürfnis: Autonomie)

6.

Erfolglosigkeit/Versagen

7.

Abhängigkeit und Inkompetenz

8.

Verletzbarkeit

9.

Verstrickung/unentwickeltes Selbst

Domäne III: Beeinträchtigung im Umgang mit Grenzen (Bedürfnis: realistische Grenzen)

10.

Anspruchshaltung/Grandiosität

11.

unzureichende Selbstkontrolle

Domäne IV: übertriebene Außenorientierung und Fremdbezogenheit (Bedürfnis: Freiheit, Emotionen und Bedürfnisse zu äußern)

12.

Unterordnung/Unterwerfung

13.

Aufopferung

14.

Streben nach Zustimmung

Domäne V: übertriebene Wachsamkeit und Gehemmtheit (Bedürfnis: Spontanität und Spaß)

15.

emotionale Gehemmtheit

16.

überhöhte Standards

17.

negatives Hervorheben/Pessimismus

18.

Bestrafungsneigung

1.2.2 Schemabewältigung

Bei einer Schemaaktivierung erleben wir die gleichen belastenden Emotionen wie damals, als die Schemata angelegt wurden. Um diesen »Schemaschmerz« (Schuchardt & Roediger, 2016) nicht zu spüren, entwickeln wir die folgenden drei Schemabewältigungsprozesse: (1) Schemavermeidung, (2) Schemakompensation und (3) Schemaerduldung. Bei der (1) Schemavermeidung versuchen wir, Situationen auszuweichen, in denen die Schemata ausgelöst (getriggert) werden können. Ängstliches Vermeidungsverhalten oder die sog. Konstriktion bei Traumatisierten sind deutliche Beispiele dafür. Darüber hinaus gibt es aber ein breites Spektrum an vermeidenden interaktionellen Verhaltensweisen, auf die wir im Detail in Kapitel 2 und 4 eingehen. Bei der (2) Schemakompensation handeln wir sozusagen gegen das Schema, sodass wir in unserem Verhalten das Gegenteil von dem zeigen, was wir damals erlebt haben: Die Beschämte gibt sich übertrieben selbstsicher, die Alleingelassene betont autonom, die Verletzbare besonders kontrollierend. Oder kurz gesagt: Wir wechseln die Seite und aus »Opfern« werden »Täter«. Darauf werden wir besonders in ▸ Kap. 5 eingehen. Bei der (3) Schemaerduldung »glauben« die Betroffenen sozusagen den Schemata und führen das Verhalten fort. In der Kindheit ausgenutzte Menschen lassen sich auch später ausnutzen, bleiben sozusagen »Opfer«, weil sie denken, das Leben sei eben so. In der Psychodynamik nennt man das Wiederholungszwang. Paul Watzlawick (1976) nennt es eine selbsterfüllende Prophezeiung. Darauf werden wir in ▸ Kap. 3 eingehen.

1.2.3 Modi

Schemata können als stabile Charakteristika (»traits«) verstanden werden, welche nach der Entstehung in der Kindheit und Jugend stabil bleiben. Ein Schemamodus bezeichnet in der Schematheorie einen zu einem bestimmten Zeitpunkt aktivierten komplexen Zustand (»state«). Die Arbeit mit Schemamodi wurde entwickelt, als Young und sein Team versuchten, das Schemamodell bei der Behandlung von Patientinnen mit Borderline-Störung anzuwenden (Young et al., 2005). Borderline-Patientinnen können in Momenten starker emotionaler Aktivierung abrupt zwischen verschiedenen Zuständen wechseln (sog. Mode-Flipping). Wenn Schemata die »geronnene Vergangenheit« in uns sind, dann sind Modi ihre gegenwärtige Erscheinungsform. Sie setzen sich aus dem aktivierten Schema und der (unbewusst erlernten) Schemabewältigung zusammen. Im Schema-Mode-Inventory (SMI) werden 14 Modi erfasst:

Kindmodi

Verletzbares Kind

Ärgerliches Kind

Wütendes Kind

Impulsives Kind

Undiszipliniertes Kind

Glückliches Kind

dysfunktionale Elternmodi

Fordernder Elternmodus

Strafender Elternmodus

dysfunktionale Bewältigungsmodi

Folgsamer Erdulder

Distanzierter Beschützer

Distanzierter Selbstberuhiger

Selbstüberhöher

Einschüchterer

funktionaler Modus

Gesunder Erwachsener

Für unsere Arbeit spielt die genaue Bezeichnung eines einzelnen Schemas oder Modus keine so große Rolle. Wir arbeiten immer mit den aktuell in der Therapie sichtbaren aktivierten Zuständen (Modi) und ordnen diese in ein dimensionales Modell ein. Dabei unterscheiden wir im Sinne Sachses (2008) eine Spielebene auf einer »vorderen (sichtbaren) Bühne« im sozialen Raum und eine Motivebene im Inneren der Menschen auf einer »hinteren Bühne«. Im innerlichen Erleben auf der hinteren Bühne (bis hin zum imaginativen Float-back) können wir dann den konkreten Bezug zum entsprechenden Kinderleben (Schema) herstellen. Die Benennungen der einzelnen Schemata und Modi treten dabei in den Hintergrund. Für ein funktionales Verhalten ist wichtig, die Einflüsse der aktivierten Schemata zu erkennen, den resultierenden spontanen Handlungsimpulsen nicht zu folgen, sondern gegenwartsbezogen aus dem Erwachsenenmodus die Tendenzen zum selbstbehauptungsorientiert-externalisierenden und bindungsorientiert-internalisierenden Verhalten so auszubalancieren, dass soziale Beziehungen langfristig gelingen und diese fundamentalen Grundbedürfnisse heute beide ausreichend befriedigt werden. Aber dazu später mehr.

1.3 Kontextuelle Perspektive

1.3.1 Der Bezug zur Verhaltensanalyse und zum SORKC-Modell

Schemata können als eine Art »Erbe« unserer Lebenserfahrung im Sinne früh eingeprägter Erlebnismuster angesehen und somit im SORKC-Modell der »Organismus-Variable (O-Variable)« zugeordnet werden. Schemata beeinflussen stark die Art und Weise, wie wir aktuelle Situationen wahrnehmen und emotional bewerten. Sie werden im Prinzip von bestimmten »Hinweis-Stimuli« getriggert.

In der konventionellen Schematherapie werden alle Modi als »personale Gesamtzustände« verstanden (Berbalk & Kempkensteffen, 2000), d. h. aus Emotionen, Gedanken, Körpererleben und Verhalten zusammengesetzt. Dieses Moduskonzept hat eine große Nähe zu dem Ego-States-Modell (Watkins & Watkins, 2003) bzw. Teilemodellen der systemischen Therapien (z. B. Satir, 2004). Wir halten das Konzept aus verschiedenen Gründen für problematisch und eine konzeptuelle Sackgasse (Details dazu bei Roediger et al., 2018, Valente & Roediger, 2020, Valente, 2021). Wenn wir die Unterscheidung zwischen Kindmodi, kritischen Modi (»Elternmodi«) und Bewältigungsmodi v. a. anhand der Kernelemente basale Emotion, Grundannahmen und sichtbares Verhalten erklären, dann ist das Modusmodell auch in »klassischen« verhaltenstherapeutischen Termini sehr gut darstellbar (s. auch Stromberg & Zickenheiner, 2021). Und auch die Verbindung zwischen Modi und Schemata kann dadurch grafisch sehr gut erklärt werden (▸ Abb. 1.1).

Wir sehen die sog. Kindmodi als die körpernah erlebten Basisemotionen an, die uns aus dem biologischen Prozess heraus die Frustration unserer Grundbedürfnisse anzeigen. In ihnen erleben wir vor dem Hintergrund aktivierter Schemata (O-Variable) unsere primäre emotionale Reaktion auf die Situation (R emot.). Die Inneren Kritiker (früher Elternmodi genannt) verstehen wir – analog zur kognitiven Therapie – als die dysfunktionalen Grundüberzeugungen, die ebenfalls in die neuronale Matrix unseres Gehirns, also in die O-Variable, eingeprägt wurden. Von diesen Grundüberzeugungen lassen sich automatische Gedanken (R kog) in der Regel gut ableiten. Aus diesen beiden Komponenten werden das aktuelle Selbsterleben und das exekutierte Verhalten, die sog. Bewältigungsmodi, auf der vorderen Bühne zusammengesetzt. In einem Bewältigungsmodus zeigen wir ein bestimmtes Verhalten im Sinne der externalen R-Variable. Das entspricht dem ursprünglichen Konzept des Modus. Alle Bewältigungsmodi kann man im Spektrum zwischen Internalisierung und Externalisierung einordnen entlang der phylogenetisch angelegten Grundtendenzen: Unterwerfen/Erstarren/Fliehen/Kämpfen.

Diese Darstellung ist sicherlich eine reduktionistische Vereinfachung sehr komplexer Vorgänge. Diese »Vereinfachung« hat jedoch klare Vorteile! Einerseits erhöht sie die Anschlussfähigkeit an andere Konzepte und Techniken innerhalb der Verhaltenstherapie. Auf einer praktischen Ebene ermöglicht uns diese Darstellung eine bessere und zielgerichtete Systematisierung der von uns eingesetzten Techniken im Sinne eines prozessbasierten Ansatzes. Auch für Patientinnen ist dieses vereinfachte Modell sehr leicht zugänglich und anwendbar (z. B. in Situationsanalysen mit einem Schema-Modus-Memo).

Abb. 1.1:Schemamodi in der SORKC-Analyse (Verwendung der Moduskarten mit freundlicher Genehmigung von David Bernstein)

1.3.2 Das dimensionale Verständnis des Modusmodells und die Metapher der »zwei Beine«

Dimension Bindung – Selbstbehauptung/Autonomie

Die Polarität dieser zwei emotionalen Grundbedürfnisse ist ein zentrales Konzept, mit dem wir während der gesamten Behandlung arbeiten werden. Eine sehr schöne und praktische Metapher ist die der »zwei Beine, auf denen wir stehen und laufen«. Man kann – für eine gewisse Zeit – auf nur einem Bein stehen, was jedoch die Beweglichkeit stark einschränkt und früher oder später zu einer Überlastung führt. Man kann auch auf einem Bein hüpfen, aber man ist wesentlich schneller und stabiler unterwegs, wenn man bei der Fortbewegung beide Beine benutzt (Sie können daraus im Übrigen spielerische Experimente machen, um das Konzept noch erlebnisnäher zu demonstrieren!). So unterscheiden wir in der Arbeit mit Patientinnen zwischen einem »Bindungs-« und einem »Selbstbehauptungsbein«. Zur besseren Veranschaulichung verwenden wir auch häufig Farben in der Darstellung des Modusmodells (blau für Bindung und rot für Selbstbehauptung). Wenn man sich Bindung und Selbstbehauptung als Pole eines eindimensionalen Spektrums vorstellt, lassen sich Kind- und viele Bewältigungsmodi relativ klar eher dem Bindungs- oder dem Selbstbehauptungspol zuordnen: Verletzbare Kindmodi tendieren sehr deutlich zum blauen Bindungspol (und damit zu internalisierendem Verhalten), ärgerliche und impulsive Kindmodi zum roten Selbstbehauptungspol (und damit zu externalisierendem Verhalten).

Welche Rolle spielen aber kritische Modi? »Antreiber- und Kritikerstimmen im Kopf« scheinen eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung konkreter Verhaltensweisen und Bewältigungsmodi zu haben. »Internalisierende« Bewältigungsmodi (Unterwerfung/passive Vermeidung) lassen sich vor allem durch die Hemmung von Selbstbehauptungstendenzen erklären, wobei entsprechende Gedanken im Sinne von »inneren Botschaften« und automatisierten Bewertungen zu erwarten sind (»Du darfst dich nicht ärgern«, »Sei nicht so egoistisch«, »Denk doch an die anderen«, »Du verdienst keinen Respekt«, etc.). Bei »externalisierenden« Bewältigungsmodi (aktive Vermeidung und Dominanz/Kampf) scheinen hingegen bindungsorientierte Tendenzen vernachlässigt zu werden. Auch hier finden wir entsprechende Bewertungen der Inneren Kritiker (z. B. »Das geht gar nicht, wie kann der sich so gehen lassen, das ist ja ekelhaft, das muss bestraft werden«).

Dimension vordere Bühne – hintere Bühne

Analog zu Rainer Sachses Konzept einer »Motivebene« und einer »Spielebene« (2008) bezeichnet die hintere Bühne innerlich erlebte Basisemotionen (Kindmodi) sowie in der Kindheit erlernte und jetzt aktivierte Grundannahmen und Bewertungsmuster (Innere Antreiber/Kritiker) »hinter den Kulissen«. Die vordere Bühne bezeichnet dahingegen die sichtbaren Verhaltensstrategien (Bewältigungsmodi).

Bezüge zum Still-face-Experiment

Das hier umrissene Modell lässt sich sehr gut aus dem Still-face-Experiment von Edward Tronick (www.youtube.com/watch?v=IeHcsFqK7So) herleiten und in ein dimensionales »Zwei Beine«-Modell überführen. Eine ausführliche Darstellung finden Sie in einem Video unter https://www.schematherapie-frankfurt.de/index.php/materialien/videos/tutorials. Das Erleben des Kindes in dem Video schwankt zwischen einem verletzbar-ängstlich-traurigen und einem angespannt-genervt-ärgerlichen Pol. Die Frustration des Bindungsbedürfnisses führt zu einer zunächst verletzbar-vertrauensvollen Hinwendung zur Mutter. Dabei befindet sich das Kind noch in einem parasympathischen Zustand (internalisierender Unterordnungsmodus). Erst als die Mutter nicht reagiert, springt der Sympathikus an und bringt das Kind in einen angespannt-ärgerlichen Zustand, aus dem heraus es nun kontroll-selbstbehauptungsorientiert versucht, den für sich überlebensnotwendigen Kontakt wieder herzustellen (externalisierend-dominanter Überkompensationsmodus). Da die Mutter immer noch nicht reagiert, das Kind aber weiter aktiviert ist, wendet es sich einem »Ersatzobjekt« (dem Kameramann) zu (Distanzierter Selbstberuhigungsmodus), um zuletzt in einen traurigen Rückzug zu gehen (Distanzierter Selbstschutzmodus). Diese Zusammenhänge sind in Abbildung 1.2 als Zwei-Beine-Modell zusammengestellt (▸ Abb. 1.2). Die bindungsorientiert-verletzbar-unterordnungsbereite Seite wird »blau« genannt, die selbstbehauptungs-ärgerlich-dominanzorientierte Seite »rot«. Maladaptive Bewältigungsmodi zeichnen sich dadurch aus, dass eine soziale Rolle zu starr, einseitig oder zu intensiv ausgeübt wird. Funktionales Verhalten im Erwachsenenmodus versucht, beide Grundbedürfnisse ausbalanciert, flexibel und situationsangemessen zu befriedigen und so den Zustand des glücklichen (oder zumindest zufriedenen) Kindmodus zu erzeugen.

Abb. 1.2:Das dimensionale »Zwei Beine«-Modusmodell

1.3.3 Vom Modusmodell zur Fallkonzeption

Das dimensionale Modell gibt die Grundrichtung für den Therapieprozess vor, um die Grundbedürfnisse, die Emotionen und das Verhalten auszubalancieren. Während es grundsätzlich wichtig ist, problematische Verhaltensweisen aus einer mikroanalytischen Perspektive zu betrachten (mehr dazu ▸ Kap. 5), versuchen wir anhand dieser sich wiederholenden (dysfunktionalen) Muster ein Fallkonzept zu erstellen, in dem das Ungleichgewicht »hinter den Kulissen«, das uns den Mangel an Flexibilität im interpersonellen Verhalten erklärt, deutlich wird. Die Fallkonzeption ergibt sich also im Prinzip aus der systematischen Beobachtung der wesentlichen problematischen Interaktionsmuster und Verhaltensweisen.

Für externalisierende (rote) Patientinnen stellt es tatsächlich den Schwerpunkt der Therapie dar, wieder Zugang zu ihrer verletzbaren (blauen) Seite zu finden und stärker aus dieser heraus zu handeln. Selbstkritische Innere Kritiker (Bewertungen) treten bei diesen Menschen während der Aktivierung externalisierender Muster zurück, die kritischen Bewertungen sind eher auf die anderen Menschen gerichtet und tragen dazu bei, die innerlich aktivierte Ärgerkraft nach außen zu lenken. Sie stecken sozusagen in den Bewältigungsmodi als aktuelle Gedanken drin (z. B. »ich muss dem jetzt mal zeigen, dass das so nicht geht« oder »Wenn ich die anderen nicht kontrolliere, geht es schief«).

Anders ist das bei den internalisierenden (blauen) Patientinnen. Hier sind die Inneren Kritiker auf die Betreffenden selbst gerichtet und nicht nach außen. Während Externalisiererinnen im Zweifelsfall Konflikte mit ihrer Umwelt bekommen, findet bei den Internalisiererinnen der Konflikt in ihrem Inneren (also auf der hinteren Bühne) statt. Dann ist die Entmachtung der Kritiker (neben dem Mobilisieren von konstruktiver Ärgerkraft zur Selbstbehauptung) ein zentrales Therapieziel. Daher brauchen Innere Kritiker einen Platz in der Fallkonzeption.

Es gibt mehrere Möglichkeiten zur graphischen Darstellung einer Fallkonzeption in der Schematherapie. Die sog. Moduslandkarte (Roediger, 2016) bildet das dynamisch-dimensionale Verständnis am besten ab. Daher soll sie hier wiedergegeben werden. Eine leere Moduslandkarte kann hier heruntergeladen werden: https://www.schematherapie-frankfurt.de/index.php/materialien/therapiematerialien/arbeitsblaetter-vortragsfolien. Aber selbstverständlich handelt es sich nur um eine mögliche graphische Darstellung, damit sich Patientinnen und Therapeutinnen untereinander effektiv verständigen können – nicht mehr und nicht weniger. Die Moduslandkarte dient – wie eine Landkarte in der Natur – zur Standortbestimmung und Planung des (Therapie-)‌Weges. Grundsätzlich ist das Ziel, Verhaltensexzesse zu reduzieren und Verhaltensdefizite aktivierend auszugleichen und dadurch einen Ausgleich bzw. eine Balance zu schaffen. Das ergibt ein einfaches Balancemodell mit drei Prägnanztypen (▸ Abb. 1.3):

1.

Patientinnen, die zu sehr auf der internalisierenden (»blauen«) Seite sind, müssen lernen, ihre konstruktive (rote) Ärgerkraft funktional einzusetzen.

2.

Dominant-externalisierende (rote) Patientinnen müssen in Kontakt mit ihrer verletzbaren (blauen) Seite kommen, um wieder reziproke Beziehungen auf Augenhöhe haben zu können.

3.

Menschen, die sich in eine »Beschützerblase« zurückgezogen haben, müssen lernen, aktiv für ihre Interessen einzutreten (rotes Bein), aber sich auch wieder vorsichtig anderen Menschen gegenüber anzuvertrauen und zu öffnen (blaues Bein).

Es gibt natürlich auch Patientinnen, die »zwischen den Polen schwanken« und in unterschiedlichen Situationen von der einen in die andere Dynamik wechseln. Sie brauchen mehr »Mitte« und Erwachsenenmodus, also Anleitung und Training, um sich von ihrem überschießenden emotionalen Erleben zu distanzieren und sich funktional-selbstfürsorglich beruhigen zu können.

Abb. 1.3:Die drei Prägnanztypen: Internalisierend-externalisierend-zurückgezogen

Die folgenden Abbildungen sollen die jeweiligen inneren Dynamiken sichtbar machen. So wird deutlich, wie die Basisemotionen (Kindmodi) und Bewertungsmuster (Innere Kritiker) auf der hinteren Bühne (mittlere Zeile) die Bewältigungsmodi auf der vorderen Bühne (untere Zeile) hervorbringen.

Viele Patientinnen sind sich ihrer Basisemotionen und Bewertungsmuster nicht bewusst und nehmen nur unkritisch die sozialen Emotionen und aktuellen Gedanken im Bewältigungsmodus wahr, die ja immer ich-synton sind. In der Therapie markieren und validieren wir die Bewältigungsmodi als »bis jetzt beste alte Lösung«, um sie dann in das Spektrum der Bewältigungsmodi einzusortieren.

Die direkte Arbeit mit und an Bewältigungsmodi ist der Einstieg in die Arbeit auf der hinteren Bühne. Dazu finden Sie in den folgenden Kapiteln zahlreiche Anregungen. Letztlich wollen wir die »Stimmen der Kritiker im Kopf« erkennen und an die Basisemotionen im Körper auf der hinteren Bühne herankommen.

Das Ziel der Therapie ist, die Kritiker aus der Perspektive des Gesunden Erwachsenenmodus neu zu bewerten und ggf. loszulassen und mit den (von den Kritikern blockierten) funktionalen Emotionen in Kontakt zu kommen. Dann kann der Gesunde Erwachsenenmodus funktionales Verhalten initiieren. Kurz zusammengefasst können wir das Entstehen von Basisemotionen und das Auftreten von Kritikergedanken nicht verhindern. Aber wir haben eine Wahl, wie wir mit ihnen umgehen! Wir können im »Autopiloten« in die Bewältigungsmodi »versinken« (untere Zeile), oder durch eine bewusste Selbstregulation »schwimmend nach oben« kommen. Dies bringt uns zum nächsten wichtigen Thema: unser Verständnis vom Gesunden Erwachsenenmodus.

1.3.4 Der Gesunde Erwachsenenmodus aus einer kontextuellen Perspektive

Um unser Verständnis des Gesunden Erwachsenenmodus darzustellen, möchten wir Sie zunächst auf eine andere Methode innerhalb der Dritten Welle der Verhaltenstherapie aufmerksam machen: die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT; Hayes, Strosahl & Wilson, 2012). ACT ist (wie die Schematherapie) ein transdiagnostischer Behandlungsansatz, der auf der Basis der Bezugsrahmentheorie (relational frame theory; RFT) und des funktionalen Kontextualismus als Weiterentwicklung des behavioralen und verhaltensanalytischen Denkens entwickelt wurde. ACT konnte in den letzten 30 Jahren im Rahmen von über 480 RCTs empirisch gut untersucht und ihre Wirksamkeit in der Behandlung zahlreicher sog. Achse-I-Störungen belegt werden, z. B. bei Angst- und Zwangsstörungen, Depression, chronischen Schmerzen, somatoformen Störungen und Suchterkrankungen. In ACT wird mit sechs Kernfertigkeiten gearbeitet, die sowohl zur Erklärung der Psychopathologie im Sinne einer Fallkonzeption als auch zur Darstellung der zu trainierenden Fertigkeiten verwendet werden:

Gegenwärtigkeit. Aus einer ACT-Perspektive kann psychische Flexibilität erst entstehen, wenn innere und äußere Erlebnisse im Hier und Jetzt flexibel wahrgenommen werden und die eigene Aufmerksamkeit bewusst auf das gegenwärtige Erleben gelenkt werden kann.

Selbst-als-Kontext. Das Selbst wird in ACT als Standort des Erlebens in einem umgebenden, gegenwärtigen Raum verstanden (»Kontext«). Wenn das Selbst nicht als Inhalt, sondern als Kontext verstanden wird, ist ein grundsätzlicher Perspektivwechsel möglich, was als Zeichen psychischer Flexibilität gilt. Bei psychischer Rigidität findet hingegen eine Verschmelzung mit früher gebildeten Selbstkonzepten (Narrativen) statt: Das Selbst wird dann als Objekt und nicht als Kontext erlebt, was die Offenheit für die flexible Wahrnehmung des augenblicklichen Moments sehr einschränkt.

Akzeptanz. Auch »Bereitwilligkeit« genannt. Damit bezeichnet man in ACT eine bewusste und offene Haltung gegenüber dem augenblicklichen emotionalen Erleben. Ein Mensch, der sein Erleben akzeptiert, kann sowohl angenehme als auch schmerzliche Emotionen und Empfindungen flexibel wahrnehmen und diese annehmen, ohne sie festhalten oder von ihnen flüchten zu wollen bzw. gegen diese anzukämpfen. Dahingegen führt das Ablehnen des emotionalen Erlebens zu psychischer Rigidität und zur Anfälligkeit für klinische Symptome.

Kognitive Defusion. ACT betont den »prozessualen Charakter« der Sprache und des Denkens und stellt die kognitive Fusion im Sinne einer »Verschmelzung« mit Gedanken, Selbstkonzepten und Bildern als ein wesentliches Problem dar, welches zur Rigidität und zum emotionalen Leiden führt. Defusion bezeichnet hingegen die Fähigkeit, seine Gedanken weniger ernst zu nehmen und diese nicht mehr als »Wahrheit« zu betrachten. Die Kategorie »wahr vs. nicht wahr« wird bei der kognitiven Defusion durch die Kategorie »nützlich vs. weniger nützlich« ersetzt.

Klarheit über eigene Werte. Werte im ACT-Kontext haben keinen moralischen Charakter. Sie sind vielmehr das Ergebnis einer freien und bewussten Wahl, welche entsteht, wenn man mit seiner (per Definition begrenzten) Lebenszeit wertschätzend umgeht. Diese bewusste Wertschätzung beschreibt eine Haltung, die gewissermaßen eine »Befreiung« von der Verstrickung mit den automatisierten Bewertungen der inneren Kritikerstimmen ermöglicht, ebenfalls eine Distanzierung zur Vergangenheit und zur aktuellen emotionalen Reaktion sowie eine Fokussierung auf das hier und jetzt. »Werte« stehen für das, was einem im Leben aus unmittelbar jetziger Sicht wichtig ist. Werte sind im Prinzip »Sinn gebend« und zeigen eine Richtung für konkrete Handlungen auf.

Diese sechs Fertigkeiten können im Kontext der Schematheorie dem Gesunden Erwachsenenmodus zugeordnet werden. Rainer Sonntag (2008) beschreibt in seiner Systematik neben den sechs Fertigkeiten und deren pathologischen Korrelaten zwei übergeordnete Kernprozesse: Freiheit von innerer aversiver Kontrolle (»acceptance«) und Tatkraft (»commitment«). Dabei werden kognitive Defusion und emotionale Akzeptanz als Fertigkeiten des Kernprozesses »Freiheit« einerseits, Werteorientierung und engagiertes Handeln als Fertigkeiten des Kernprozesses »Tatkraft« andererseits beschrieben. Abb. 1.4. zeigt das sog. ACT-Hexaflex, von dem sich das Therapierational ableiten lässt (▸ Abb. 1.4).

Abb. 1.4:ACT-Fertigkeiten und Kernprozesse (Sonntag, 2008, Abdruck mit freundlicher Genehmigung, modifiziert nach Hayes et al., 2006)

Patientinnen werden systematisch trainiert, sich im Sinne der Gegenwärtigkeit zu »zentrieren« bzw. den Kontakt mit dem augenblicklichen Moment zu suchen. Anschließend wird im Sinne der Akzeptanz aversiver Emotionen und Kognitionen eine Art »Offenheit« gegenüber eigenen verdeckten Reaktionen auf die unmittelbare Situation trainiert, welche im dritten Moment dieser Bewegung den Übergang zur wertorientierten Entscheidung hinsichtlich des nach außen gerichteten Verhaltens sowie dessen Ausführung darstellt.

Die FertigkeitenGegenwärtigkeit und Selbst-als-Kontext im Sinne der »Zentrierung« sind ein zentraler Dreh- und Angelpunkt des Modells! Sie entsprechen der metaperspektivischen »Beobachterfunktion« des Gesunden Erwachsenenmodus, während die anderen vier Fertigkeiten eher einer Art »exekutiver Funktion