Predigten - Friedrich Ahlfeld - E-Book

Predigten E-Book

Friedrich Ahlfeld

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Beschreibung

Friedrich Ahlfeld, der zuletzt an der berühmten Nikolaikirche in Leipzig als Pastor diente, war bekannt für seine anschaulichen und geradlinigen Predigten, von denen hier über fünfundzwanzig für die wichtigsten Tage im Kirchenjahr, beginnend beim 1. Advent und endend am Ostersonntag, aufgeführt sind. Die Texte wurden insofern überarbeitet, dass die meisten Begriffe und Wörter der heute gültigen Rechtschreibung entsprechen.

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Seitenzahl: 529

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Predigten

 

 

FRIEDRICH AHLFELD

 

 

 

 

 

 

Predigten, F. Ahlfeld

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849661366

 

Der Originaltext dieses Werkes, der so überarbeitet wurde, dass die wichtigsten Wörter und Begriffe der aktuellen Rechtschreibung entsprechen, entstammt dem Online-Repositorium www.glaubensstimme.de, die diesen und weitere gemeinfreie Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Wir danken den Machern für diese Arbeit und die Erlaubnis, diese Texte frei zu nutzen.

 

Cover Design: God from BL Harley 2803, f. 6v - The British Library, United Kingdom - Public Domain.

https://www.europeana.eu/de/item/9200397/BibliographicResource_3000126269465

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig. 1

Siehe, dein König kommt zu dir in Macht und Herrlichkeit. 10

Bist du, der da kommen soll?. 20

Rüste dich, deinen Heiland zu empfangen. 29

Die erste Weihnachtsfeier. 39

Was hat die erste Weihnachtspredigt  für einen Eindruck gemacht? 51

Jesus Christus unser Panier im neuen Jahr. 61

Die Rechte des Herrn behält den Sieg über den Rat der Gottlosen. 72

Ein lieber Alter, der Heimweh hat. 84

Die Festreise der Heiligen Familie nach Jerusalem. 96

Ein Blick in den christlichen Hausstand. 109

Wachset in Jesu Christo! 120

Jesus Christus soll dein Steuermann sein. 131

Die Langmut des Herrn mit der streitenden Kirche. 141

Die Verklärung der Gläubigen. 151

Verscherze nicht den Ruf Gottes in seinen Weinberg. 162

Das Ackerwerk unseres Herrn Jesu Christi. 174

Die rechte evangelische Fastenfeier. 186

Des Christen Kampf gegen den Versucher. 197

Beharrlicher Glaube führt zum Ziele. 208

Wie stehest du zu Christo?. 220

Der Herr führt es doch herrlich hinaus. 233

Des Christen Kreuz- und Siegesgang. 243

Ein Blick in die Natur des Reiches Christi. 253

Das heilige Abendmahl das  Geschenk der höchsten Liebe. 263

Was siehst du am Kreuze Christi?. 274

Die Feier des ersten Osterfestes. 285

Die Pilger am Osterabende. 296

 

 

Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig

 

(1. Advent 1847.)

 

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

Text: Matth. 21, 1-9. Da sie nun nahe bei Jerusalem kamen gen Bethphage an den Ölberg, sandte Jesus seiner Jünger zween, und sprach zu ihnen: Gehet hin in den Flecken, der vor euch liegt, und bald werdet ihr eine Eselin finden angebunden, und ein Füllen bei ihr; löset sie aus und führet sie zu mir. Und so euch jemand etwas wird sagen, so sprechet: Der Herr bedarf ihrer; so bald wird er sie euch lassen. Das geschah aber alles, auf dass erfüllet würde, das gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: Saget der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig, und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen der lastbaren Eselin. Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte; und brachten die Eselin und das Füllen, und legten ihre Kleider darauf und setzten ihn darauf. Aber viel Volks breitete die Kleider auf den Weg; die andern hieben Zweig von den Bäumen, und streuten sie auf den Weg. Das Volk aber, das vor ging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohne Davids! Gelobet sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

 

Wir beginnen heute, in dem Herrn geliebte Gemeinde, das neue Kirchenjahr. Der Herr segne unsern Eingang in dasselbe und unsern Ausgang aus demselben. Was will es aber bedeuten: ein neues Kirchenjahr? Ach, Geliebte, seine Bedeutung ist der Kirche so aus dem Bewusstsein gekommen, dass sie kaum weiß, was ihr eigen Jahr ist. Man fragt wohl: Was hat das Jahr mit der Kirche, was hat die Kirche mit dem Jahre gemein? Siehe, das äußere Jahr bestimmt sich nach der Sonne. Ein Umlauf der Erde um sie macht ein Jahr aus. In solchem Jahre gibt es den lieblichen Frühling, den heißen Sommer, den fruchtreichen Herbst, und den schweren, stillen Winter. Jeder dieser Teile hat seinen bestimmten Character. - An dem Himmel der Kirche steht nun auch eine Sonne, sie heißt Jesus Christus, sie leuchtet Tag und Nacht immer und ewiglich. Und wie die Erde um die äußere Sonne läuft, so läuft die Kirche alljährlich um die Gnadensonne, so macht sie ihren Gang durch die heilige Geschichte des Heilandes. Ihr Frühling ist die liebe Weihnachts- und Epiphanienzeit, wo Christus als Mensch geboren, wo er in seiner Herrlichkeit als Sohn Gottes kräftiglich erwiesen wird. Ihr Glutsommer ist die Fastenzeit und die Leidenszeit Jesu Christi, wo die Erwartung seines Todes wie schwere, schwüle Tage auf ihr liegt, und wo endlich das Wetter des Todes, das lange schon heranzog, hereinbricht, und der Blitz aus der schwarzen Sündenwolke herniederfährt und den Gerechten tötet. Ihr Herbst, ihre Erntezeit, das sind die Tage, wo der Heilige Geist über die Jünger ausgegossen wird, und wo in den lieben langen Trinitatissonntagen aus den Gnadengaben des dreieinigen Gottes eine Frucht nach der andern in die Scheuer des Herzens gebracht wird. Es fallen in diese reiche Zeit die verschiedensten Stücke aus dem Leben des Herrn. Und wo er steht, und was er tut, und was er bittet, da ist allemal ein Feld, von dem der Gläubige schneiden und einführen kann. Endlich kommt auch der schwere und stille Winter. Vom 20. Sonntag nach Trinitatis ab beginnen die Evangelien, die da handeln von den letzten Dingen. An der Totenbahre des Jünglings zu Nain, an dem Totenbette von Jairi Töchterlein umwehet uns der Wintersturm des Lebens. Bei dem Könige, der seinem Sohne Hochzeit machte, der aber unter den Gästen einen fand, der kein hochzeitlich Kleid an hatte; bei dem Könige, der mit seinen Knechten rechnen wollte und einen schweren Schuldner ohne Buße, ohne neues Leben unter ihnen traf, durchschauen es uns wie scharfer Winterfrost. Es wird zum Leben eingeschrieben, es wird aus dem Leben ausgestrichen. Die Pflanzen, die der Vater gepflanzt hat, werden gesammelt in das Haus, das für sie gebaut ist vor der Welt Grundlegung: „Ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt.“ Die er nicht gepflanzt hat, werden ausgereutet - „Ich habe euch noch nie erkannt, weichet von mir ihr Übeltäter.“ Am letzten, am 27. Sonntage nach Trinitatis handeln alle die verschiedenen Evangelien, die in Gebrauch sind, vom Eingange in das Reich der Herrlichkeit, in das ewige Leben. Also am ersten Tage des Kirchenjahres wird der verkündigt, in dem wir Leben und die volle Genüge haben sollen. Am letzten Tage ist das von den Gläubigen erreicht, was das Ziel seiner ganzen Arbeit war. -

Dies Kirchenjahr ist ein rechtes Jahr, ist geordneter denn das bürgerliche Jahr. Es fängt an mit seinen Frühlingsboten und mit seinem Frühlinge, es schließt mit seinem Winter, mit dem Tode und Gerichte, aber auch mit dem Siege über Tod und Gericht. Das bürgerliche Jahr fängt an mit dem Winter, und an seinem Schlusse ist es wieder Winter. Es ist kein naturgemäßer Gang darin. - Liebe Christen, auch ihr wollt um die Gnadensonne laufen, auch ihr wollt euch von ihr erwärmen und erleuchten lassen. O so achtet heute auf den ersten Strahl, der auf das arme finstere und kalte Herz fällt. Ausgehen soll euch die Sonne der Gerechtigkeit und Heil unter dessen Flügeln. Der erste Frühlingsblick der Gnadensonne schließt sich um das Wort:

 

Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig.

Dein Herr zieht in die Welt herein

Sanftmütig, niedrig, arm und klein,

Stoß dich nicht an die Niedrigkeit,

Mach zum Empfang dein Herz bereit.

 

I.

 

Dein Herr zieht in die Welt herein

Sanftmütig, niedrig, arm und klein.

 

Es ist ein eigener Königseinzug, der uns in unserm Evangelium vorgestellt wird. Der Herr, der rechte König Israels, ziehet von Jericho her nach Jerusalem. Es ist aber keine Gestalt noch Schöne, die uns gefallen hätte. Das Tier, auf dem er einzieht, ist ein geborgtes. Er sendet zween seiner Jünger gen Bethphage am Ölberge, die sollen dort eine Eselin finden angebunden, und ein Füllen bei ihm; sie sollen sie ablösen und zu ihm führen. Und so zieht er ein, nicht auf prächtigem Königsross, sondern wie Zacharias geweissagt hatte: „Sage der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf dem Füllen der lastbaren Eselin.“ - Wenn sonst die Könige in ihre Stadt oder in ihre Burg zogen, wurden die Wege belegt mit köstlichem Tuch und Decken, dass sie darüber hin ritten. Hier breitet das arme Volk seine Kleider, die wenig gemein hatten mit Königsteppichen, auf den Weg. - Wenn sonst ein König einzog in seine Stadt, dann gingen oder ritten ihm seine Herolde voran. Diese trugen seine Farben, riefen seinen Namen aus und verkündigten seinen Ruhm und sein Königtum. Hier ziehen arme Kinder voran, sie ziehen mit ihm zur Stadt und zum Tempel hinein, und verkündigen seine Ehre. - Wer diesen Zug ansieht mit dem Auge eines irdischen Königs, oder wer ihn vergleichet mit einem Königszuge, wie er hier oder dort gewesen ist, der mag wohl lächeln und sagen: „O du armer König, deine Herrlichkeit ist geborgtes Gut und deine Königswürde ist nicht weit her!“ Und doch, wer zwischen den Zeilen lesen kann, wer die stillen und verborgenen Züge aus diesem Bilde herausfinden kann, muss sagen: „Es war ein wunderbarer Zug!“ Was war es denn, das diese Haufen an ihn zog? Was war es denn, was die Kinder um ihn scharte? Es war die in ihm verborgene Fülle der Gotteskraft. Es sieht es dem Magnet auch Niemand an, welche Kraft in ihm wohnet. Er sieht aus wie ein armes gewöhnliches Stück Eisen. Dennoch zieht er alles Eisen, das in seine Nähe kommt, an sich an. Und der Herr aus Gott geboren, auch ohne Gestalt und Schöne, zieht Alles an sich, was Gottes ist. Was war es doch, was jenen Mann bewog, auf das bloße Wort: „der Herr bedarf ihrer,“ sein Tier zu lassen? Es war das Gefühl, dass der Herr auch sein Herr, und Herr alles seines Eigentumes sei.

 

Ohne Land ohne Thron,

Ohne Zepter ohne Kron,

Ohne Purpur ohne Pracht,

Doch ein König aller Macht.

 

Und in dem Rufe: „Hosianna dem Sohne Davids! Gelobet sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!“ - ist es doch, als ob sich der Himmel auftäte, und als ob die alte ewige Herrlichkeit auf ihn niederstiege, als ob er glänzte in der ewigen Krone. - Verschließe deine Augen nicht, dass du nicht gehörest zu denen, von denen geschrieben steht: „Sie haben Augen und sehen nicht, sie haben Ohren und hören nicht.“

Aber sage an, lieber Christ, warum kam er denn in dieser Niedrigkeit? Warum hatte er denn seine Herrlichkeit, seine ewigen Heerscharen daheim gelassen? Um deinetwillen. Er wollte deine Sünde tilgen in seinem Leiden, er wollte deine Schuld tragen. Wer aber Schuld trägt, sei es die eigene, sei es die fremde, der geht nicht im Königsmantel. Wem eine Dornenkrone aufgehoben ist, der trägt keine Ehrenkrone. - Er ist in dieser Niedrigkeit gekommen um deinetwillen. Du sollst an ihn glauben. Wenn er aber gekommen wäre in seiner Macht und Herrlichkeit, wenn er gekommen wäre mit seinen himmlischen Heerscharen, wenn er gekommen wäre in der Majestät, die Welt und Herzen zerscheitert wie der Blitz einen dürren Baum, wo wäre dann der Glaube geblieben? Die Welt wäre ihm zu Füßen gesunken. Es wären ihm nicht Kinder geboren wie Tautropfen aus der Morgenröte, die sich still anhängen an die Gräser, in deren jedem aber, wenn die Sonne darüber scheint, ihr Bild stehet. Diener und Knechte in ungezählten Schaaren wären ihm gewonnen. Es wäre ein neues Gesetz, es wäre kein Evangelium geworden. Die aber dem dienen, der sich selbst entäußerte, der Knechtsgestalt annahm, die sind wahrhaftig sein, die sind sein von innen heraus, und nicht von außen hinein. Dass du aber wissest, er sei dein Herr, er sei Gottes eingeborener Sohn, er sei der König aller Welten, dazu hat er dir doch Zeichen genug gegeben, auch in diesem Einzuge. Du wollest Dir dies deutlich machen an einem Gleichnis. Es war einst ein König, der hatte zwei Reiche, In dem einen wohnte er, und das andere regierte er von dort aus. Da ward diesem Könige Botschaft gebracht: „Deine Untertanen in dem andern Reiche denken gering von dir, sie spotten deines Namens, und deine Gebote achten sie als Nichts. Sie sagen: Wir haben keinen König!“ Und der König sprach zu seinem Sohne: „Auf mein Sohn, gehe hin, bringe das abgefallene Volk wieder unter meine Hand. Aber siehe fein zu, wer mir von ihm noch in Treue zugetan ist, und wer sein Herz verhärtet hat in Ungehorsam und eignem Willen.“ Da legte der Sohn ein armes Kleid an und nahm einen Stab in die Hand und zog hin in das andre Reich, er ganz allein. Wer nun auf das arme Kleid sah und daraus, dass er allein kam und ohne Heer und Gefolge, der verachtete ihn, und wollte ihn nicht ehren als des Königs Sohn. Wer ihm aber in das Angesicht schaute, der sah dies Angesicht als eines Königs Angesicht, der sah in diesem Angesicht die Züge seines Vaters. Und wer diese Züge erkannte und seine Knie vor ihm beugte, dem gab er sich weiter zu erkennen, ja er gab ihm Brief und Urkunde über die Gnade seines Vaters. Er drückte seines Vaters Siegel daraus, denn er war sein Sohn. Als er dies vollendet hatte, ging er heim. Seinen Getreuen aber trug er auf: „Sammelt aus dem Volke alle treue Untertanen. Denn es wird eine Zeit kommen, da ich wiederkomme mit meines Vaters Heer, und die Rebellischen schlage mit seinem Schwert. Da soll aber Keiner umkommen, der mit Treue an ihm hängt, oder indes sich an ihn gehängt hat.“ - So hat der Vater im Himmel dem Sohne das Reich übergeben. Der ist auch arm und niedrig hereingekommen. Er hat auch den Königsmantel göttlicher Herrlichkeit von sich gelegt. Wer ihm aber ins Angesicht schaute, der erkannte den eingeborenen Sohn Gottes. Wer sich gläubig an ihn hängte, dem gab er Gnaden und Güter seines Vaters. So viele ihn aber aufnehmen, denen gibt er Macht Gottes Kinder zu werden, die an seinen Namen glauben. Er drückt seines Vaters Siegel auf ihr Herz. Einst wird er wiederkommen, dann soll Gott Alles in Allem werden. Die sich nicht gegeben haben in seine Barmherzigkeit, müssen sich beugen unter sein Gericht. Wer ihn im Glauben nicht ergreifet, den ergreifet er mit Gewalt. - Dein König ist zu dir gekommen sanftmütig, damit er dir anzeige, welcher Art sein Reich sei. Sein Reich ist nicht von dieser Welt. Die weltlichen Könige herrschen, und die Gewaltigen nennt man gnädige Herren. Umgekehrt ist es in seinem Reiche. Was sich selbst erniedriget, soll erhöhet werden. Hoch und groß ist in diesem Reiche was um des Herrn willen klein geworden ist. Die Sanftmütigen sollen das Erdreich besitzen, die Nichts inne haben sollen Alles haben. Der seinen Jüngern die Füße wusch, der die Dornenkrone trug, der selbst sein Kreuz zur Schädelstätte trug, der ist der König der Ehren, der ist erhöhet worden über aller Himmel Himmel. Und suchen wir neben diesem Könige der Ehren die Fürsten in seinem Reiche, wo sind sie? Es sind die, die um seines Namens willen unter Verfolgung durch die Welt ziehen, die den Klugen dieser Welt zum Spott werden, die Tag für Tag gekrönt werden mit der Dornenkrone des Hohns. Aber sie dürfen es sich selbst nicht sagen, dass sie darum groß sind. In der Stunde wo sie es sich sagen, geben sie ihr Fürstentum daran. Der Herr muss es ihnen sagen, er wird es ihnen sagen.

 

II.

 

Stoß dich nicht an die Niedrigkeit,

Mach zum Empfang dein Herz bereit.

Liebe Christen, was ist doch der häufigste Anstoß, dass wir nicht glauben wollen an den eingeborenen Sohn Gottes? Seine Niedrigkeit hat uns wie ein Stein im Wege gelegen, über diesen sind wir gestrauchelt. Wir sagen: „Er ist vom Weibe geboren worden, wie ich selber; und der soll der Sohn des allmächtigen Gottes sein! Er ist so arm gewesen, dass er nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegte. Er zieht in die Stadt Jerusalem ein, wie ein Bettelkönig, und der soll Herr und König aller Dinge sein! Er stirbt am Kreuze wie ein Missetäter, und der soll das Leben haben in ihm selber, der soll der Born alles Lebens sein!“ - Der gekreuzigte Heiland war den Juden ein Ärgernis, den Griechen eine Torheit. Es ist wohl keine Seele unter uns, die daran nicht einmal ihr Bedenken gehabt habe. Worin aber ruhet dieses Straucheln? Es ruht in unserm eignen Hochmut, es ruht in unserer verkehrten Meinung von dem, was vor Gott groß sei. Wir sagen uns vor, dass Gott mit Menschenmaße messen muss. Vor uns aber ist groß, was leuchtet und was scheinet, was prunket und was schallt. Vor Gott aber ist groß, was aus ihm geboren ist. Welche Größe die rechte sei, zeigt sich im Fortgange. Was menschlich groß und herrlich ist, zerfrisst der Wurm der Zeit, es wird so klein und elend, dass wir es nicht wieder erkennen. Was göttlich groß ist, das wächst aus dem Staub heraus, und wenn es groß ist, fragen wir: „Stammt denn das wirklich von dem geringen Anfange her?“ Gott fängt klein an und endet groß; der Mensch fängt groß an und endet klein oder auch in Nichts. - Darum, wenn du deinen Herrn würdiglich empfangen willst, musst du ihn damit empfangen, dass du dich durch seinen Geist demütigen lässt. Jene, die ihm vorgingen, hieben die Palmenzweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Kannst du das auch? Nein, das Abendland trägt keine Palmen. Und wollten wir ländlich sittlich andere Zweige nehmen, so hat der Herr jetzt unsere Bäume kahl gemacht, damit wir uns nicht mit falschem Opfer betrügen. Aber du weißt doch wohl, wo eine falsche Palme steht. Geh in den Garten deines Herzens, geh jetzt hinein. Siehe da steht ein Palmenbaum mit hohem schwankem Schaft, er reicht bis in den Himmel hinaus. Dieser Palmbaum ist dein Hochmut, deine Meinung von dir selbst, dein Stolz auf deine Tugend, auf deine Kunst, auf deine Güter. Da steig hinaus und brich die Zweige von dem Baume, und brich ihm die Krone aus, dass er nicht mehr wachsen kann. Und alles streue dem Herrn auf den Weg. Darüber wird er lieber einziehen in dein Jerusalem, in deine Herzensstadt, als er einzog in jene alte Stadt. Alles was hoch ist, soll erniedrigt werden. Er allein soll an diesem Tage groß und hoch sein. - Jene breiteten ihre Kleider auf den Weg. Dein Herr zieht nicht sichtlich mehr ein. Still und ungesehen will er in die Herzen gehen. Zieh du aus das alte Staats-Kleid deiner eigenen Gerechtigkeit. Du kennst diese falsche Hülle, in der wir so gern einhergehen. Vor Gott und Menschen wollen wir unsere Sünde bedecken. Das Kleid der eigenen Gerechtigkeit ist doch nur von außen ganz; inwendig, drinnen, tief drinnen, da ist es zerrissen, und es zerreißt immer mehr, je älter wir werden. Es scheint nur von außen warm, aber inwendig, drinnen, tief drinnen, da friert uns, dass uns das Gebein darunter erbeben möchte. Wirf hin das alte Kleid. Sage deinem Herrn: „Ich bin arm und nackt und bloß.“ Und er wird über dies alte Kleid hinweg lieber in dein Herz einziehen, als über die Kleider, die das arme Volk ihm auf den Weg breitete. Das Alte soll vergehen, es soll an dem Tage alles neu werden. - Und wenn du dich nun selbst erniedrigt hast, wenn du das Prachtkleid, dieses arme Flitterkleid eigener Gerechtigkeit von dir geworfen und die Zweige deines Hochmuts heruntergebrochen hast, ja dann lernst du mit dem Volke, das vorging und nachfolgte, ein Hosianna dem Sohne Davids rufen. Dies Hosianna bedeutet nichts anderes, als: Hilf doch. Hilf doch, denn ich kann mir selber nicht helfen; errette mich, denn ich kann mich nicht erretten. Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser, so schreiet meine Seele nach dir. - Christ, hast du deine Armut schon recht gefühlt, dann hast du auch schon ein Hosianna dem Helfer zugerufen: hast du es aber nicht, dann mag die Stunde bald kommen! Denn du musst erst arm werden, ehe du reich werden kannst: du musst erst Hosianna rufen lernen, ehe du Halleluja singen kannst. Horch! es steht noch ein zweites Hosianna in unserm Texte: Hosianna in der Höhe. Das Hosianna in der Höhe ist der Ruf der Engel, die für dich den Herrn um Hilfe bitten. Und wenn sie für dich bitten, magst du auch wohl selbst für dich bitten. Auf das Hosianna aber folgt ein Loblied: Gelobet sei der da kommt in dem Namen des Herrn! - Nur wer Hilfe braucht, kann einen Advent feiern; nur wer seine Hilfsbedürftigkeit fühlt, kann seinem Heiland ein Loblied singen. So singe denn heute mit aus Herzensgrund, so singe denn heute mit fröhlichem Mund: „Gelobet seist du der da kommt in dem Namen des Herrn!“ Kein Menschenname kann mir helfen, denn an allen Menschennamen klebt die Sünde und Schuld. Keiner kann mir helfen, der in seinem eigenen Namen kommt. Er muss kommen in Gottes Namen. An ihm, an ihm allein hab' ich gesündigt. Von ihm, von ihm allein kommt auch die Gnade. Und du, Gottessohn, hast einen Namen der über alle Namen ist. Du kommst im Namen dessen, der die Handschrift zerreißen kann, der das Wehe des Gesetzes wegnehmen kann. Hab Dank für dein so heißes Lieben, das dich zu mir herabgetrieben. - So rüste du dich Christenheit. Wirf weg die Maske, hinter der du deine Schuld versteckest, das Kleid, mit dem du deine Sünde deckest. Brich weg des Hochmuts stolze Zweige, Dass sich dein Herz in Demut neige, Ruf deinen Heiland brünstig an, Er ist's allein der helfen kann, Und lobe freudig Jesum Christ, Der dir zum Heil gekommen ist. Bist du demütig, arm und klein, so zieht er in dein Herz hinein. Amen.

 

 

Siehe, dein König kommt zu dir in Macht und Herrlichkeit.

 

(II. Sonntag des Advents.)

 

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

 

Text: Luc. 21. 25 -36.

 

Und es werden Zeichen geschehen an der Sonne, und Mond und Sternen; und auf Erden wird den Leuten bange sein, und werden zagen; und das Meer und die Wasserwegen werden brausen. Und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Warten der Dinge, die kommen sollen auf Erden; denn auch der Himmel Kräfte sich bewegen werden. Und alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke, mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, so sehet auf, und hebet eure Häupter auf, darum, dass sich eure Erlösung nahet. Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Sehet an den Feigenbaum und alle Bäume. Wenn sie jetzt ausschlagen, so sehet ihr es an ihnen und merket, dass setzt der Sommer nahe ist. Also auch ihr, wenn ihr dies Alles seht angehen, so wisset, dass das Reich Gottes nahe ist. Wahrlich, ich sage euch: Dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis dass es Alles geschehe. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht. Aber hütet euch, dass eure Herzen nicht beschweret werden mit Fressen und Saufen und mit Sorgen der Nahrung, und komme dieser Tag schnell über euch. Denn wie ein Fallstrick wird er kommen über Alle, die auf Erden wohnen. So seid nun wacker allezeit, und betet, dass ihr würdig werden möget, zu entfliehen diesem Allem, das geschehen soll, und zu stehen vor des Menschen Sohne.

 

Geliebte Christen! Ein großer Unterschied ist oft zwischen zwei Sonntagen, die dicht nebeneinander liegen, besonders in dieser Jahreszeit. An dem einen geht man trocknen Fußes zur Kirche, und die Sonne scheint so freundlich herab, wie wenn sie Ihres mittun wollte, dass es ja ein rechter Sonntag werde. Und am andern bahnt man sich den Weg durch den Schnee, und das Wetter wirbelt immer noch fort, als ob es die Kinder Gottes hindern wollte, sich vor dem Angesichte ihres Herrn zu versammeln.

Da spricht denn ein Kirchgänger zu dem andern: „Wie ist es doch heute so ganz anders als vor acht Tagen!“ - - Liebe Christen, sehen wir das heutige Evangelium an, und vergleichen wir es mit dem vorigen, so wandelt uns dasselbe Gefühl an, nur in dem Grade gewaltiger, als der große Gerichtstag Gottes gewaltiger ist, denn jeder Winter- und Wettertag. Wie ist doch das heutige Evangelium so ganz anders als das vor acht Tagen! Dort kam Christus vom Ölberge hernieder - hier kommt er hernieder von dem Throne seiner ewigen Herrlichkeit, von der Rechten seines himmlischen Vaters. Dort kam er inmitten eines armen Volks- und Kinderhaufens, reitend auf einer Eselin - und hier inmitten der himmlischen Heerscharen in des Himmels Wolken. Dort kam er unter dem „Hosianna“ seiner Begleiter - hier heißt es: „Und das Meer und die Wasserwogen werden brausen. Und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und Warten der Dinge, die da kommen sollen auf Erden; denn auch der Himmel Kräfte sich bewegen werden.“ Dort zieht er in Jerusalem ein - hier zieht er ein in den ganzen Kreis der Erden. Denn dann soll die ganze Erde ein Jerusalem, ja ein Zion, ja ein Tempel Gottes geworden sein. Dort treibt er aus, die nicht in den Tempel gehören - hier stoßet er aus, die nicht in sein Reich gehören. Er sitzet und schmelzet und reiniget das Silber. Er scheidet das Silber von den Schlacken. - Also in den beiden Evangelien steht die erste und letzte Ankunft des Herrn nebeneinander: sein Kommen in der Niedrigkeit, sein Kommen in der Herrlichkeit; sein Kommen in der Geschichte, sein Kommen zum Gerichte; sein Kommen die streitende Kirche zu gründen, sein Kommen ihren Triumph zu verkünden, - - Warum hat denn aber die Kirche diese beiden großen Tage so eng zusammengefasst, warum hat sie sie in den Evangelien wie Nachbarn nebeneinander gestellt? Darum, dass du erkennen sollst, wie Alles beschlossen ist in Jesum Christum, wie er das A und O, der Anfang und das Ende ist. Diese zwei Tage sind wie zwei Hände. Die eine legt er an den Anfang der Geschichte, und mit der andern fasset er ihr Ende, damit er alles zusammenbündle in ein Bündlein. Die Kirche hat diese beiden Tage nebeneinander gestellt, damit, was der eine nicht ausrichtet, der andere ausrichte. Kann dich der Demutszug des Herrn, der erste Advent, nicht aufwecken, so soll dich sein Siegesgang, der letzte Advent, aufschrecken. Ist es dir zu klein in das „Hosianna“ der Kinder einzustimmen, so besiegt wohl das „Hosianna in der Höhe“ aus Engelsmunde dein Herz, dass du rufen lernest: „Hilf doch, erbarme dich doch meiner, du Sohn Davids.“ - Haben wir uns denn vor 8 Tagen zugerufen: „ Siehe dein König kommt zu dir, sanftmütig,“ so rufen wir heute.

 

Siehe, dein König kommt zu dir in Macht und Herrlichkeit.

 

Den Inhalt dieses großen Wortes zerteilen wir uns nach unserm Texte in dieser Folge:

 

Dein Herr kommt zum Gericht mit großer Macht,

Er kommt, ob auch der Spötter seiner lacht,

Christ, mach dich fertig und steh auf der Wacht,

Sonst kommt er wie ein Dieb in finstrer Nacht.

 

l.

 

Dein Herr kommt zum Gericht mit großer Macht. Jesus Christus, geliebte Christen, ist heimgegangen in seines Vaters Reich. Zwischen diesem Reiche und seinem Reiche hienieden ist keine Kluft befestigt, dass wir nicht hinüber könnten, dass er nicht herüber könnte. Im brünstigen Gebet steht die Seele an der Himmelspforte, und ein Stephanus sah unter den Händen seiner Steiniger und Peiniger den Himmel offen. Und wenn du hinüber kannst, wenn dem Diener der Weg offen steht, dann wird er dem Herrn auch offen stehen, dann wird der Herr auch herüber können. Er kommt auch alle Tage herüber im stillen Gange. Er kommt Seelen zu wecken aus dem Todesschlafe. Er kommt die erweckten zu stärken. Er kommt Seelen abzufordern aus der Pilgerschaft. Es ist ein stetes Gehen und Kommen zwischen der streitenden und triumphierenden Kirche. Wenn dies nicht wäre, wären wir dem Fürsten dieser Welt längst unterlegen. Es ist das Himmelreich die große Hauptstadt der Kirche, aus der dem armen kleingläubigen Streiterhaufen die Kräfte und Heere Gottes ungesehen und ungezählt, aber nicht ungefühlt, zuziehen. Es ist das Himmelreich die hohe Burg, von der aus Christus sein großes Regiment führet über die Kirche. Er ist von dort aus bei ihr alle Tage bis an der Welt Ende. Er kommt alle Tage. - Das aber ist in unserm Evangelium nicht gemeint. Es gibt in der Geschichte seiner Kirche besondere Ankunftszeiten. Er kommt in großen Taten in der Geschichte. Wenn gewissen Völkern die Gnadensonne lange geschienen hat, und sie sind kalt und tot geblieben, ja sie sind immer kälter und toter geworden, dann kommt er zum Gericht solcher einzelnen Völker, dann stößt er den Leuchter unter ihnen um, dann schlägt er sie mit mächtigem Arm. Und unter solchen Schlägen muss sein Reich wachsen. Er ist gekommen in der Zerstörung Jerusalems. „Dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis dass Alles geschehe.“ Gegen 40 Jahre nach seiner Himmelfahrt, im Jahre 71 nach seiner Geburt hienieden, zerbrach er die stolze, verhärtete Stadt. Es war dies wieder ein Anstoß zur Läuterung und zum Wachstum seines Reiches. Denn die letzten Gedanken von einem irdischen Reiche stürzten mit den Mauern der Stadt und brannten nieder mit dem brennenden Tempel. Und weil nun Israel keinen Tempel, keinen Altar, keinen Leibrock mehr hatte, weil es kein Volk mehr war, musste es immer klarer werden, dass der Herr sich ein neues Israel aus allen Geschlechtern der Erde bauen wollte. An Zeichen aber, an Furcht und Warten der Dinge, die da kommen sollten auf Erden, hat es nicht gefehlt. Josephus. der uns den Untergang des jüdischen Reichs durch die Römer beschreibet, erzählt, wie ein Mensch mit Namen Jesus, ein Sohn des Ananus, schon vier Jahre vor dem Kriege, da die Stadt noch in Frieden und Fülle lebte, durch die Straßen Jerusalems zog und Tag für Tag ausrief: „Wehe, wehe über Jerusalem!“ Und ob ihn auch der römische Landpfleger geißeln ließ, dass die Gebeine offen lagen, er hatte keine andere Antwort auf die Schläge, als: „Wehe über Jerusalem!“ Das trieb er fort, bis in die Tage, da die Römer die Stadt mit Wällen und Wagenburgen einschlossen. Am letzten Tage rief er aus: „Wehe auch mir!“ An diesem Tage ward er durch einen Stein von einer Römischen Wurfmaschine getroffen. Sein letztes Wort war: „Wehe über Jerusalem!“ Derselbe Geschichtsschreiber Israels erzählt uns, dass der Tempel Jerusalems von Titus gerade an demselben Jahrestage verbrannt ward, wo er fast 700 Jahre früher von Nebukadnezar verbrannt war. Wer es liest, der merke darauf! - Wer will uns hindern, auch in der Reformation und in den Schrecken, die ihr folgten, ein Kommen des Herrn zu sehen? Er hat seine Kirche sichten wollen, wie man den Weizen von der Spreu sichtet. Bewegung und Erwartung der Völker ist ihr genug vorangegangen. Und so wir nach Zeichen fragen, so mögen wir nur den Melanchthon hören. Dieser erzählt, wie 30 Jahre vor Luther zu Eisenach ein armer Mönch, Namens Johannes Hilten eingekerkert sei, weil er die Irrlehre und die Missbräuche der katholischen Kirche mit scharfem Wort gerügt habe. Als ihm die Mönche im Gefängnisse hart zusetzten, sagte er ihnen ins Angesicht - „ Im Jahre 1516 wird ein anderer kommen. der wird eure Herrlichkeit zu Grunde richten, dem werdet ihr nicht widerstehen können.“ Und als er endlich im Kerker gestorben war, fand man diese Weissagung auch in seinen Büchern. - Doch alle diese Wege des Herrn sind nur kleine Vorboten auf seine große Zukunft, es sind nur Zeugnisse, dass seine Weissagungen Ja und Amen sind. Sie sind Weckstimmen für die Ungläubigen, sind Stärkungen für die Gläubigen. - Einst wird er kommen in der Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit, Sichtbar wird er wieder auf die Erde treten. Wie der Blitz ausgehet vom Anfang und scheinet bis zum Niedergang, also wird auch sein die Zukunft des Menschensohnes. Dann ist die Kirche sein Jerusalem. Dann scheint sein Glanz nicht allein in die Herzen der Lebendigen, sondern sein Licht und Ruf dringet in die Gräber. Dann wird nicht allein die neue Gottesstadt, die Kirche, erreget, sondern der weite Kirchhof, Erde, Meer und Hölle geben ihre Toten wieder. Es werden alle Völker um ihn versammelt, die da waren und die da sind. Die Toten werden angekleidet mit neuen Leibern, und die Heiligen, die da leben, werden überkleidet mit verklärten Leibern. Dann wird er sein Gericht halten, dann wird er den Weizen von der Spreu, das Silber von den Schlacken, die Schafe von den Böcken scheiden. Das ist dann seine letzte Ankunft. Er braucht nicht wieder zu kommen. Er gibt dann allem seine ewige Gestalt. Dann ererben seine Heiligen ewiges Leben und ewiges Erbe, und die sich verstocket haben ewige Verdammnis. Es ist der Schluss aller Geschichte. Sünde und Gnade haben ausgerungen miteinander. Die Gnade hat gesiegt. In wem sie aber nicht gesiegt hat, für den ist alle Gnadenzeit aus, er fällt in den Arm der Gerechtigkeit. Schrecklich aber ist es in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. - Die Zeichen aber, die diesem großen Tage vorangehen, geschehen am Firmament, an Sonne, Mond und Sternen, geschehen an der Natur - das Meer und die Wasserwogen werden brausen! geschehen an dem Menschenherzen: auf Erden wird den Leuten bange werden vor Furcht und Warten der Dinge, die da kommen sollen auf Erden. Sie müssen aber dann an allen Dingen geschehen, weil alle Dinge an diesem großen Tage Teil haben sollen, weil Gott dann einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, und weil er die Auserwählten völlig erneuern will in seinem Sohne.

 

II.

 

Ist das wahr, liebe Christen? Kommt Jesus zum Gericht mit großer Macht? Ja, er kommt, ob auch der Spötter seiner lacht. Worauf ruhet diese Wahrheit? Sie ruhet auf Jesu eignem Worte, und das ist fester als irgendein Felsen, und wäre es ein Granit, der bis in die Mitte der Erde mit seinen Wurzeln hineinreichte. Er aber kannte unseren schwachen Glauben in diesem Stück. Was nur einmal geschieht in der ganzen Geschichte der Welt, was nur einmal geschehen kann, was der Herr hingesetzt hat an das Ende der Tage, wovon Niemand aus Erfahrung reden kann, das ist vor Allem dem Zweifel ausgesetzt. An Nichts hat dieser mehr genagt, als an Christi Wiederkunft zum Gericht. Die Geburt des Herrn kannst du in dir feiern, in der Wiedergeburt. Die Auferstehung des Herrn kannst du in dir feiern, wenn der alte Mensch mit allen Lüsten und Begierden in dir stirbt, und du in einem neuen Leben wandelst. Die Ausgießung des Heiligen Geistes kannst du in dir feiern in deinen Pfingsttagen. Diese Pfingstlage können auch mitten im Winter sein. Auch in Frost und Wetter kann dich der Odem des Heiligen Geistes anwehen. Aber dieses letzte große Totenfest hat keinen Vorgang im inneren Leben, der ihm ähnlich wäre. Es reichet Alles nicht hinein. Darum hat hier der Zweifel, der Unglaube und der Spott sein sonderliches Feld. Darum lässt es dir aber auch der Herr von drei Evangelisten fast mit denselben Worten erzählen. Darum drücket er bei allen dreien selbst sein Siegel drauf. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.„ - Der Glaube an die Ankunft des Herrn ruht aber auch schon auf der Geschichte. Wenn du eine Reise machest in ein unbekanntes Land, so fragest du einen des Landes und Weges kundigen Mann, was dir begegnen wird. Und er antwortet dir etwa: „Wenn du eine kleine Strecke gezogen bist, so kommt ein wilder Strom, der das sichre Land an den Ufern fortreißt, und dahinströmt unter Brausen und Zerstören. Doch wirst du eine Brücke finden, die dich sicher über ihn leitet.“ Und nun beschreibt er weiter. Und zuletzt heißt es: „Des Landes Grenze ist ein wildes Meer. Seine Fluten gehen so hoch, wie die Fluten keines andern Meeres, und die Stürme rasen auf ihm wie auf keinem andern. Doch ist ein Steuermann oder ein Lotse da, der dich treu und sicher hinüber führt.“ - Du ziehst nun vorwärts, du findest Strom und Brücke. Du glaubst nun auch dem weiteren Wort des Raters, auch von dem Meer, das du noch nicht gesehen, auch von dem Lotsen, der dich führen soll. Sieh, der Pilgersmann, das ist die Kirche. Der Wegweiser, der ihr Fingerzeige gegeben hat in das finstere Land der Zukunft, das ist der Herr. Der Strom, der Land und Leute fortgerissen, war das Gericht über das jüdische Volk. Die Brücke über diesen Strom war Gottes Gnade, die damals seine Kirche wunderbar beschirmte. Die Kirche hat nun so weit erfahren, dass Jesu Wort die lautere Wahrheit war. Sie hat es schon weiter erfahren. Soll sie es nun nicht glauben von dem Sturm und der Flut seiner Wiederkunft und des Gericht? Hast in 1800 Jahren keinen Betrug in seinem Munde erfunden, und du wirst auch keinen erfinden in der Zeit, die dir und der Kirche noch übrig ist bis hin an ihre Grenze. Seine ersten Weissagungen sind Ja und Amen geworden, und die letzten werden es auch. - Der Glaube an die Zukunft des Herrn ruht auch auf unserm eigenen Denken. Wer mit dem Saattuche still durch sein Feld gehet, die weichen Furchen entlang, und ausstreuet guten Samen auf seinen Acker, ist der nun fertig? Kommt der nicht wieder? Lässt er es nun wachsen und reifen, wie es will? O nein, er kommt zur Zeit in festem Schritt mit der Sense, und lässt sie hin rauschen durch die vollen und leeren Halme;. Dein Herr hat auch gesät, er ist über das Land geschritten, das Johannes mit dem Pfluge der Bußpredigt ausgerissen hatte. Er hat gesät bis in seinen Tod. Vom Kreuze herab hat er die Saat noch mit seinem teuren Blute begossen. Soll er nun nicht kommen zur Ernte? Ja er wird kommen. - So jemand ein Netz aufgestellt hat in den Fluss oder in das Meer, so geht er von dannen. Kommt er denn aber nicht wieder? Ja er kommt wieder, er wird es zuziehen, er wird es ans Land ziehen, er wird zusehen, was er gefangen hat. Er wird die guten Fische auslesen in seine Gefäße, und die schlechten wird er wegwerfen. - Der Herr hat auch ein Netz aufgestellt. Das Netz ist seine Kirche. Er dehnt es immer weiter aus, damit es den ganzen Strom des Menschengeschlechts bespanne, soll er nun nicht kommen und sein Netz zusammen und ans Land ziehen? Ja er wird kommen am letzten Tage. Er wird es an das einzige feste Ufer des großen Meeres ziehen; dies Ufer und Land ist sein ewiges Reich. - Der du aber dieser evangelischen Lehre lachst, was dünket dich um die Welt und ihre Zukunft? Soll es ewig so fortgehen: geboren werden und sterben, freien und sich freien lassen, einmal ein Krieg und eine Pest, dann wieder Friede und Gesundheit, heute das Angesicht voll Lachen und morgen voll Tränen? Soll die Welt ein ewiger Kirchhof sein, wo fort und fort die Geschlechter in den Staub sinken, und aus dem Staube immerfort neue Geschlechter sich erheben? Soll die Sünde wuchern fort und fort ohne Maß und Ziel, und in neuen Formen und Farben sich erheben? Und soll das Reich Gottes einen ewigen Kampf kämpfen, ohne einst ein Siegeslied zu singen, ohne ein letztes, volles Halleluja? Nein, so wahr Gott die Welt geschaffen hat mit seinem Wort, so wahr er den Erneurer, seinen lieben Sohn gesandt hat, so wahr wird er einst ihre Erneuerung vollenden. Himmel und Erde werden vergehen, aber seine Worte werden nicht vergehen. Die Stunde aber, wann des Menschen Sohn kommen wird, weiß Niemand, denn allein der Vater. Darum

 

III.

 

Christ, mach dich fertig und steh auf der Wacht,

Er kommt sonst wie ein Dieb in finstrer Nacht.

Der ganze Schluss unseres Evangeliums ist eine große Warnung. „Aber hütet euch, dass eure Herzen nicht beschwert werden mit Fressen und Saufen und Sorgen der Nahrung, und komme dieser Tag schnell über euch. Denn wie ein Fallstrick wird er kommen über Alle, die auf Erden wohnen. So seid nun wacker allezeit und betet, dass ihr würdig sein möget, zu entfliehen diesem allem, das geschehen soll, und zu stehen vor des Menschen Sohne.“ Zwei Dinge sind es besonders, die uns in diese Sicherheit einwiegen vor dem Tode und vor dem Kommen des Herrn. Es ist die Lust des Lebens, es ist der Genuss, der den Tag und den Abend seine Befriedigung gefunden hat und den Morgen wieder nachdenkt, wo er sie heute finden soll. Du siehst darin wohl um dich, du siehst wohl unter dich. Du hebest auch in Freude und Mut deines natürlichen Menschen dein Haupt empor, du reckest es hoch auf. Aber willst du dabei sehen, ob sich deine Erlösung nahet? Nein, du willst ja nicht los sein, du zitterst vor der Erlösung, die dir keine Erlösung ist. Du reckest und streckest dich um zu zeigen, wie wohl du in deiner Lust zu Hause bist, und wie du nicht heraus willst. Erst musst du das Haupt mit Demut niedersenken lernen, erst musst du arm werden in dem Herrn, erst musst du fühlen, dass deine Freude Nichts ist, als wilde Blumen um ein hohles Grab - dann lernst du dein Haupt emporheben und aufschauen nach deiner Erlösung. - Das ist die eine Hälfte unter uns. Die andere gehet einher verstrickt in Sorgen des Lebens. Sie sieht zur Erde nieder. Sie singt das Klagelied: „Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden?“ O du Sorgenkind, soll dich denn dein Sorgen um den köstlichsten Ausblick betrügen? Tue nach Gottes Ordnung was in deinen Kräften steht. Dann lass ihn sorgen. Schaue die Vögel unter dem Himmel an, die nicht säen und nicht ernten und nicht in die Scheuern sammeln. Und dein himmlischer Vater nähret sie doch. Bist du denn nicht viel mehr denn sie? Schaue die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen. Sie nähen nicht, sie spinnen auch nicht. Und doch sage ich dir, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist, als derselbigen eins. Bist du denn nicht viel mehr denn sie? Wie tief ist aber die Sicherheit, in die uns die Freude und die Sorge dieser Welt wieget! Wenn dir Jemand gewiss verkündigen könnte: „In vier Wochen wirst du sterben,“ ei, würdest du da auf deiner Sicherheit herausgeschreckt! Du schlössest deine Rechnungen, du machtest dein Testament, du suchtest das Angesicht deines Gottes, du lägest vor ihm auf den Knien, dass er dir ein seliges Ende bescherte. In deinem Hause wärest du ein Engel des Friedens, es ginge so still darinnen her, als ob es ein Vorhof zum Himmel wäre. Deine Kinder sprächen leise untereinander: „Lasset uns in Liebe und in der Furcht Gottes wandeln mit dem Vater, denn er geht bald von uns.“ Ja, ich glaube, du gingest zu deinem Feinde, reichtest ihm die Hand und sprächest: „Mein Bruder, mir ist mein Sterbetag angesagt, wir haben einen alten Hader miteinander; wir wollen unsere Feindschaft nicht erst in den Sarg legen und sie da vermodern lassen; wir wollen sie noch tilgen, dieweil wir im Leben sind. Ich vergebe dir, so wahr ich hoffe, dass mir mein Gott meine Sünde vergebe; vergib du mir auch.“ Und dann ließest du den Tag still herbeikommen und beföhlet dich in Gottes Barmherzigkeit in Christo seinem Sohne. Das tätest du, wenn du wüsstest, dass du in vier Wochen stürbest. Nun bist du aber nicht eine einzige Stunde sicher. Wer sagt dir denn, dass du noch einen Termin von vier Wochen hast? Über Nacht kann der Herr deine Seele von dir fordern. Und da kannst du Tage und Monden hinleben, ohne deine Rechnung mit Himmel und Erde zu machen, ohne deinen Frieden mit Gott und Menschen zu schließen? Sonst fährst du so klüglich; wo ist denn hier deine Klugheit? In deiner Sicherheit kommt der Tag des Herrn wie ein Fallstrick über dich. Hiobs Söhne und Töchter saßen und aßen und tranken im Hause des erstgeborenen Bruders. Da fasste ein Sturm das Haus an seinen vier Ecken, und das Haus erschlug sie allzumal, Belsazar, der Chaldäerkönig, saß zu Babel mit seinen Höflingen und Weibern beim lustigen Mahl. Da schrieb eine ungesehene Hand an die Wand: „Ich habe dich gewogen und zu leicht gefunden.“ Da erschrak der König, dass ihm die Lenden schütterten und die Beine zitterten. In der Nacht brachen die Perser herein, und der Chaldäerkönig ward getötet. - Dein Leben hängt an keinem festeren Faden, als das der Kinder Hiobs und des Chaldäerkönigs. Es kann gar leicht im Leben ein solcher Unterschied zwischen zwei Sonntagen sein, wie zwischen zwei Sonntagen im Wort. Die Ankunft deines Herrn zum Gericht kann so nahe sein wie die des Perserkönigs. Du hast so wenig einen Sicherheitsbrief wie Jene, nicht einmal einen Heimatsschein auf etliche Jahre. Wohlauf denn! Reiß dich los aus den Banden der Lust und Sorge. Sei wacker allezeit. Wache und bete. Stehe fest im Glauben. Heilige dem Herrn dein Leben. Stelle dir seine Zukunft fleißig vor. Und wenn du an das liebe Weihnachtsfest denkest, und es geht wie ein Freudenstrahl der Gedanke durch die Seele: „Der Herr ist gekommen sanftmütig,“ dann mag dich auch der andere durchzittern und durchschauern: „Er wird kommen in Herrlichkeit und Macht, er kommt vielleicht bald.“ Tue es, es dient dies zu deinem Frieden. Ja, tu es, Christ, sei auf dein Heil bedacht. Sei allzeit fertig und steh auf der Wacht, Sonst kommt wie ein Dieb in finstrer Nacht. Amen.

 

 

Bist du, der da kommen soll?

 

(3. Sonntag des Advents.)

 

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

 

Text: Matth. 11. 2-6.

 

Da aber Johannes im Gefängnis die Werke Christi hörte, sandte er seiner Jünger zween, und ließ ihm sagen: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines Andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Gehet hin und saget Johanni wieder, was ihr sehet und höret; die Blinden sehen, und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein, und die Tauben hören, die die Toten stehen aus, und den Armen wird das Evangelium gepredigt. Und selig ist, der sich nicht an mir ärgert.

 

In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Ein rechtes Christenherz ist wie ein schöner Garten, in dem eitel schöne Blumen und fruchtbare Bäume stehen. Mitten drinnen steht der Lebensbaum, Jesus Christus, und raget hoch über alle andern weg. Um ihn herum stehet in schönen Gruppen die Zeder des Glaubens, deren Blätter Sommer und Winter grünen; die Palme des Sieges, den die Gläubigen schon davongetragen haben und weiter davontragen werden; der Weinstock und Ölbaum, als die Bilder des stillen und ruhigen Lebens in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit, und die Rose mit Blüten und Dornen, als das Bild des Kreuzträgers, dessen inneres Leben unter Trübsal nur herrlicher ausblühet. Hie und da im Schatten und in den Ecken stehet auch das unscheinbare Kräutlein der Geduld, Auch Unkraut wächst noch darin, denn wer ist rein unter allen, die von Weibern geboren sind? Aber es kann nicht emporkommen, es kann die edlen Gewächse nicht niederwuchern, die Gnadenpflanzungen lassen es nicht in die Höhe. Ein solcher Garten ist gar lieblich, lieblicher als die Lustgärten Salomos. Die Engel Gottes ergehen sich darin. Es ist der Anfang zu einem neuen Garten Eden. Möchtest du einen solchen Garten haben? Möchtest du, dass dein Herz ein solcher Garten wäre? Ja, ist deine Antwort. Nun, so kämpfe vor Allem gegen einen Feind. Höre, wenn der Herr angefangen hat diesen Garten in dir zu pflanzen, dann kommt der Feind, der Zweifel, führet eine Axt in seiner Hand und gehet in dem Garten herum. Er zertritt die schönen Blumen, die da wachsen, er sieht sich die Bäume an, und versucht erst die kleinen niederzuhauen. Wenn du das duldest, geht er immer weiter, und hauet die großen nieder. Zuletzt legt er seine Art auch an den Lebensbaum inmitten des Gartens. Und wenn der fällt, ist der Garten eine Wüste geworden. Dornen und Disteln überwuchern ihn dann, und Giftpflanzen schlingen sich mit ihren Ranken empor. Ein Elend kommt über den Menschen, das sich nicht aussprechen lässt. -

Du Menschenkind, erkenne hier die unergründliche Erbarmung deines Gottes. In jenen Tagen, da Christus auf Erden wandelte, da der Himmel offen war zu den größten Gnadentaten, da mussten Zweifler aufstehen und die größten Grundwahrheiten des Evangeliums antasten. Sie mussten sie antasten, da sie der Herr noch persönlich widerlegen, da ihnen die Jünger, die ersten Träger und Zeugen des neuen Lebens, den Mund stopfen konnten. Thomas bezweifelte die Auferstehung des Herrn, die große Tat des Osterfestes. Christus gab ihm den handgreiflichen Beweis. Er ließ ihn seine Finger in die Nägelmale und seine Hand in die Seite legen. Als die Spötter am Pfingstfeste schrien: „Sie sind voll süßen Weins,“ da konnte Petrus ihnen eine Antwort geben, die nicht Hörner noch Zähne hatte. Auch die große Gnadentat Gottes am Weihnachtsfeste, dass er in Christo den in die Welt gesandt habe, der da kommen sollte, ist angezweifelt worden, und zwar von dem Manne, von dem wir es am wenigsten erwarten sollten. Johannes war schwankend geworden. Er sendet Boten, die müssen fragen: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines Andern warten?“ Gott sei Dank, er hat noch zur rechten Zeit, er hat bei dem rechten Manne gefragt. Er hat darum auch eine rechte und völlige Antwort erhalten. Wir tun heute mit ihm seine Frage noch einmal:

 

Bist du, der da kommen soll?

 

Frage und Antwort fassen wir zusammen in die Zeilen: Tasten Zweifel deinen Glauben an.

 

Geh zu Christo, der sie lösen kann;

Antwort wird er auf die Frage geben,

Antwort aus dem Leben und zum Leben.

 

I.

 

Tasten Zweifel deinen Glauben an.

Geh zu Christo, der sie lösen kann.

 

Geliebte Gemeinde. Wie selten ist ein Herz, das Zeit seines ganzen Lebens fest steht in dem lieben Kinderglauben; das in die heiligen Wahrheiten des evangelischen Glaubens in der Kindheit eingeführt ist wie in ein festes Friedens-Haus, und dann nie darin unruhig geworden, nie auf die Türschwelle getreten ist, als ob es herausgehen wollte. Ach, wenn doch noch Alle auf der Schwelle stehen geblieben wären, die Schwelle gehört ja auch noch zum Hause! Sie hätten bei den Wettern des Lebens schnell wieder umkehren können. In unsern Tagen, in den Unruhen, die jetzt die Kirche durchschüttert haben, möchte man ein solches Herz länger suchen müssen, als Maria und Joseph das Christkind suchten. Ja, der Zweifel tastet das Herz an. Er kommt besonders, wenn die Seele arm ist an Gebet, wenn das Wort Gottes ungebraucht im Winkel liegt, wenn wir allein dastehen ohne christliche Gemeinschaft. Wer kann es denn zuriegeln? Der Zweifel ist wie ein nagender Wurm. Wenn wir uns abends aus unser Lager gelegt hatten, und es kamen uns Gedanken des Zweifels in die Seele, dann dachten wir wohl: „Du willst deine Augen zuschließen, du willst die Gedanken zusammendrücken, dass sie stille sein müssen, du willst lieber schlafen, als ihnen weiter nachgehen.“ Aber sie ließen dich nicht schlafen, sie rüttelten dich wieder auf, und stahlen dir einen guten Teil der Nacht. Greifen sie doch selber diesen Johannes an, der Christo vorging im Werk und in der Kraft des Elias. Er hatte einst von sich und Christo ausgesagt: „Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüsten: Bereitet dem Herrn den Weg und machet seine Steige richtig! Ich muss abnehmen, jener aber muss zunehmen. Ich bin nicht wert, dass ich mich bücke und ihm die Riemen seiner Schuhe auslöse. Ich taufe mit Wasser, der aber nach mir kommt, wird euch mit Feuer und mit dem Heiligen Geist taufen. Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.“ Und nun fraget er: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines Andern warten?“ Wie kam er doch dahin? Wie war doch der feste Mann im Kleide von Kamelhaaren und mit dem ledernen Gürtel so wankend geworden? O, werfet keinen Stein auf ihn! Wenn wir einen werfen wollen, wollen wir ihn zuerst aus uns selbst werfen, denn wir kennen des Herrn Werk ganz, und Niemand hat uns abgeschlossen, Niemand hält uns gefangen, dass wir ihm in seinen großen Taten nicht nachgehen könnten. Anders war es mit Johannes. Herodes hatte sein Weib, eine Tochter des arabischen Königs Aretas, mit der er fünfzehn Jahre in der Ehe gelebt, verstoßen, und hatte seinem Bruder Philippo sein Weib, die Herodias, genommen. Darüber war ein blutiger Krieg zwischen Aretas und ihm ausgebrochen. In diesen Gräueln tritt Johannes vor ihn und spricht: „Es ist nicht recht, dass du deines Bruders Philippi Weib habest!“ Zum Dank für seine treue Mahnung setzte ihn Herodes gefangen in das feste Schloss Machärus jenseits des Toten Meeres. Jesu Arbeitsfeld aber war Galiläa und die Gegend um Jerusalem. Nur arme einzelne Botschaften von Christi Taten drangen dort in Johannes Ohren. Er hoffte wohl, dass der Welt Erlöser auch sein Erlöser aus den Ketten sein sollte. Er hoffte, dass der Herold bei dem Herrn, den er verkündigt hatte, bleiben und seine Werke schauen sollte. Er hoffte, dass das Werk rascher auf Flügeln des Sieges vorwärts schreiten sollte. Da in dem finsteren Kerker, da in seiner Einsamkeit beschlich den Mann der Zweifel, und er sandte seine Boten und er tat seine Frage. - Lieber Christ, willst du deine Seele bewahren vor Zweifeln, so wende besonders ein Mittel an, das in unserm Evangelium zwar nicht geschrieben stehet, das wir aber doch herauslesen können: hüte dich vor Trennung, hüte dich vor Absonderung von deinen christlichen Brüdern und Schwestern. O wie gern hätte Johannes in brüderlichem Bunde mit ihnen gestanden, aber er konnte nicht. Der Zweifel ist wie ein Räuber, der die Wüste und Öde der Einsamkeit durchstreift. Da überfällt er die einzelne Seele und fängt sie in seinen Stricken. Wenn aber dein Bruder neben dir stehet, wenn du stehest in christlicher Gemeinschaft wie ein Baum im dichten Walde, dann prallt der Sturm ab an der gemeinsamen Stärke, dann steht Einer für Alle und Alle für Einen, Einer schützt und stützt den Andern. Es gehört eine hohe christliche Reife dazu, wenn wir uns in der Einsamkeit, in der Zurückgezogenheit von den Brüdern aufrecht erhalten oder gar aufbauen sollen. Eva ward auch verführet, da sie von dem Manne weggegangen war. - Wenn nun aber dennoch der Zweifel kommt, sei es an den Einsamen, oder sei es an den, der in brüderlichem Verkehr stehet, so lernet von Johannes, wie ihr euch gegen ihn wehren sollt. Horcht, er hängt ihm nicht nach, er sitzt nicht stille, er nagt sich nicht tiefer in sein Bedenken hinein. Das ist ein schlechter Hausherr, dem bei einem Regenschauer das Wasser durch das Dach in das obere Stock gedrungen ist, und der nun ruhig das zweite Schauer abwartet, wo es auch in das untere dringen wird. Johannes fragt auch nicht umher bei Andern, die etwa auch nicht fest sind in ihrem Glauben an Christum, oder die ihn gar ganz weggeworfen haben. Solch Nachfragen kann ihn zu keiner Gewissheit bringen. Das ist ein schlechter Hausherr, dem das Wetter durch das Dach gedrungen ist, und der dann auf der Nachbarschaft umherläuft und hie und da fragt: „Nachbar, sieht es denn in deinem Hause auch so aus, wie in meinem, oder gar noch ärger?“ und der dann in diesem gemeinsamen Ruin sich tröstet, und die Verwüstung weiter dringen lässt. Nein, der rechte Hauswirt läuft zum Meister. Er besinnt sich nicht lange, er berät sich nicht lange, er spricht zum Meister: „Bessere schnell den Riss aus, denn es könnte bald ein zweiter Platzregen kommen.“ Nun ist dem alten Johannes ein Riss in seinen Glauben gekommen. Er bedenkt sich nicht lange. Er selber kann nicht gehen, Herodes Kerkerdiener erlauben es ihm nicht. Da sendet er zween seiner Jünger, die Ein- und Ausgang bei ihm hatten. Er sendet zween, damit er ja eine volle Antwort bekomme. Was der Eine nicht sieht, soll der Andere sehen; was der Eine nicht hört, soll der Andere hören. Er sendet sie an den rechten Mann, vor die rechte Tür. Der Meister, der die Risse im Glaubensbau ausbessern kann, ist kein andrer, denn der den ganzen Bau ausgeführt hat, Jesus Christus. Er geht auch nicht lange um die Sache herum. Er lässt gleich die Grundfrage tun: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines Andern warten?“ Nun, mein Christ, wenn die Wellen des Unglaubens an dein Herz schlagen, wenn die Zweifel an deiner Seele nagen, hast du denn auch zwei Boten, die du zu Christo senden kannst? Ja, du hast sie, lass sie nur nicht schlafen. Sie sind: Gebet und Forschen in der Schrift. Den einen sollst du hinaufsenden zu dem Gnadenthrone Christi, den andern sollst du hineinsenden in das geoffenbarte Wort. Dennoch sollen sie beide Hand in Hand gehen. Du kannst nicht beten, ohne auf dem Boden der Schrift zu stehen. Die Schrift hat dich erst: „Gott“ und „Vater“ und „Heiland“ sagen gelehrt. Du kannst nicht forschen in der Schrift, ohne zu beten. Das Gebet ist das Grubenlicht, mit dem du in ihre Tiefen hineinsteigest. Wenn du betest, ohne den Glauben an Gottes Wort im Herzen zu haben, bist du wie ein Vogel, der in die Höhe will und doch keine Flügel hat. Wenn du die Schrift studierest ohne Gebet, bist du wie ein Bergmann, der in die Tiefe will und kein Licht hat. Mit diesen beiden Waffen geh an die Arbeit, durch diese beiden Boten frage an bei dem Herrn, ob er der sei, der da kommen solle. Und

 

II.

 

Antwort wird er auf die Frage geben,

Antwort aus dem Leben und zum Leben.

 

Aber, möchtest du sagen, hat denn Christi Antwort über ihn selber eine Bedeutung? Gilt denn sein Zeugnis von ihm selber? Er spricht ja selbst: „So ich von mir selber zeuge, so ist mein Zeugnis Nichts,“ Du hättest Recht in diesem Bedenken, wenn Christus zeugte mit bloßen Worten, mit Versicherungen des Mundes. Da könnte kein „Ja“ und kein „Wahrhaftig“ und kein Schwur ausreichen. Er gibt lebendige, sichtbare Antwort. Klar hatten die Propheten von dem Messias geredet. Sie hatten, so zu sagen, von dem, der da kommen sollte, und der ist der Heiland, ein Signalement gegeben. Es lautet bei Jesaias: „Alsdann werden der Blinden Augen aufgetan werden, und der Tauben Ohren werden geöffnet werden. Alsdann werden die Lahmen löcken wie ein Hirsch, und der Stummen Zunge wird Lob sagen.“ (Jes. 35, 5. 6.) „Der Geist des Herrn ist über mir, darum hat mich der Herr gesalbt. Er hat mich gesandt, den Elenden zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden; zu predigen den Gefangenen eine Erledigung, und den Gebundenen eine Öffnung; zu predigen ein gnädiges Jahr des Herrn, und einen Tag der Rache unseres Gottes, zu trösten alle Traurigen“ (Jes. 61, 1. 2.). Diese Beschreibung des zukünftigen Heilandes musste Johannes kennen. Der Prophet musste wissen, was seine Vorgänger von ihm geweissagt hatten. Diesem Signalement stellt der Herr nun seine Taten entgegen. Er spricht zu Johannis Boten: „Gehet hin und saget Johanni wieder, was ihr sehet und höret: Die Blinden sehen, die Tauben hören, die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein, die Toten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt.“ Passt denn nun nicht hier die Erfüllung aus die Weissagung wie die rechte Hand aus die linke? Ja wohl, und überall in zwiefachem Sinne. Die Blinden sehen. Die, denen Star und Nacht aus dem auswendigen Auge lag, die, welche blinder gewesen waren als Isaak, der seine Söhne nicht mehr unterscheiden konnte, bekamen Licht; und um die, so in Finsternis und Schatten des Todes gewandelt hatten, schien es helle. Die, denen kein Laut mehr in die Ohren drang, hörten recht und helle; und die, welche bisher gegen Gottes Wort so taub gewesen waren wie Kieselstein, hatten Ohren dafür. Der Leibesaussatz ward geheilt; und der alte Aussatz, der die Seele zerfrisst, die Sünde, wich auch vor dem Arzte. Die da lahm waren an den Füßen wie Jonathans Sohn Mephi Boseth, den seine Amme bei der Schreckensbotschaft von Gilboa hatte fallen lassen, die konnten gehen; und die vorher nach beiden Seiten gehinkt, die halb Gotte und halb der Welt gedient hatten, die wandelten recht. Ja, in der Erfüllung war noch mehr denn in der Weissagung. Der Herr fügt noch hinzu: „Und die Toten stehen auf.“ Wir kennen die drei, die er vom leiblichen Tode erweckt hat. Wer will aber die zählen, die er geistlich auferweckt hat? Ja, er hat Solche auferweckt, über denen die Erde und ihre Lust höher und schwerer lag, denn die Grabesdecke über den Begrabenen. - Das war die Antwort an Johannis Jünger. Wahrlich es war eine Antwort aus dem Leben. Es war aber auch eine Antwort zum Leben. „Gehet hin,“ spricht Christus, „und saget dies Johanni wieder.“ Und sie sind hingegangen. Was meinet ihr wohl, welche Freude in dem armen Gefängnis gewesen sei. als diese Botschaft kam? Es freuet sich Gras und Blume und Baum und Strauch, wenn nach der Dürre ein Regen darauf fällt. Die welken Blätter heben sich. Vorher hingen sie schlaff zur Erde nieder, nun gehen die Spitzen himmelan. Aber größer war die Freude bei dem Gefangenen. „Er ist es, auf den die Väter gehofft haben, er ist gekommen, es soll kein anderer kommen!“ Sein Kerker ward ihm helle, selige Gewissheit schien in seine Seele. Auch das Strafwort: „Selig ist, der sich nicht an mir ärgert“ stört ihn nicht. Er hatte es ja verdient. Die Botschaft von dem Tatenfelde Christi war ein Quell, der mit ihm floss durch seine Wüste. Und als Herodes Henker mit dem Schwert kam, hatte er auch für diese heiße Stunde einen Labetrunk daraus: „Und die Toten stehen auf.“ - Geliebte Gemeinde, das Tote Meer des Unglaubens ist gar groß. Seine Arme ziehen sich durch die ganze Erde hin, seine Busen und Buchten ziehen sich tief in die Christenheit hinein. Wenn du nun in seiner Nähe wohnst, wenn der Zweifel, ob Christus der Welt Heiland sei, dein Herz antastet, und du sendest jene zwei Boten zu Christo, ob er dir wohl auch Antwort gibt? Ja, er tut es, sende