2,49 €
Damals hat der attraktive Banker Anna nach einer Liebesnacht wortlos verlassen! Jetzt steht Dimitri Kyriakou erneut vor ihrer bescheidenen Pension. Was der Milliardär will? Ihre gemeinsame Tochter. Was er dafür braucht? Ihr Jawort. Aber obwohl er sie auf eine Insel voll Sonne und Luxus entführt, bleibt Anna skeptisch! Nur um ihrem Kind eine sichere Zukunft zu bieten, lässt sie sich auf eine Zweckehe ein - natürlich rein platonisch. Doch je mehr Zeit sie mit dem unnahbaren Griechen verbringt, desto mehr verzehrt sich Anna nach seinen Küssen …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 200
IMPRESSUM
JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2019 by Pippa Roscoe Originaltitel: „Claimed for the Greek’s Child“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 2398 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Nicole Lacher
Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 07/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733712341
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de
Werden Sie Fan vom CORA Verlag auf Facebook.
Vor drei Jahren.
„Mr. Kyriakou? Wir landen in etwa zwanzig Minuten.“
Dimitri bedachte die Stewardess des Privatjets der Kyriakou Bank mit einem knappen Lächeln. Zu mehr war er nicht in der Lage. Er biss die Zähne so fest zusammen, dass man sie nur mit einer Brechstange auseinanderbekommen hätte. Das Einzige, was seine Lippen an Bord passiert hatte, war ein Whiskey gewesen. Nur einer. Mehr gestattete er sich nicht.
Er blickte aus dem Fenster, doch statt der zarten weißen Wolken über dem Ärmelkanal sah er die Schulter einer schönen Frau vor sich. Nackt, entblößt … verletzlich. Unter der Handfläche spürte er förmlich ihre seidige Haut. Bei der Erinnerung zuckten seine Finger unwillkürlich.
Mit einer Hand rieb er sich über das Gesicht, in dem das anstrengende letzte Jahr Spuren hinterlassen hatte. Er fühlte die rauen Bartstoppeln am Kinn und verbot sich, den Befehl zum Umkehren zu geben. In das Bett zurückzukehren, in dem die schöne Frau lag – und wahrscheinlich noch schlief. Wie ein Dieb hatte er sich davongestohlen. Seine Kehle schnürte sich zusammen, und einen grässlichen Moment lang glaubte er, zu ersticken.
Was hatte er sich bloß dabei gedacht? Aber genau da lag das Problem: Er hatte nicht gedacht. Obwohl ihm bewusst gewesen war, dass dieser Tag nahte und was ihn erwartete, sobald der Jet in den Vereinigten Staaten von Amerika landete, hatte Dimitri eine Nacht gebraucht. Eine Nacht nur …
Nach dem gestrigen Galopprennen in Dublin hatte er sich von Antonio Arcuri und Danyl Nejem Al Arain – seinen besten Freunden und Mitinhabern des Rennstalls Winners’ Circle – verabschiedet und von seinem Instinkt leiten lassen. Dabei hatte es die Schubkraft seines hochmotorisierten schwarzen Sportwagens es mit der Sehnsucht nach Freiheit aufnehmen können, die in Dimitris Adern pulsierte. Er war einfach dem Straßenverlauf gefolgt, raus aus der Stadt, vorbei an den riesigen Toren der Guinness-Brauerei, durch dunkle Straßen, die zu saftig grünen Feldern führten. Erst da hatte er das Gefühl gehabt, atmen zu können. Ausblenden zu können, was ihm bevorstand.
Unwillkürlich steuerte er den eleganten Wagen durch Haarnadelkurven und ließ den Geschwindigkeitsrausch alles andere überlagern. Irgendetwas trieb ihn an – er wollte lieber nicht hinterfragen, was es war.
Erst, als die Tankanzeige aufleuchtete, drosselte er das Tempo. Er befand sich in einem Dorf, dessen Ortsschild mit dem Namen ihm nicht aufgefallen war. An der einzigen Straße, die das Dorf teilte, stand ein alter Pub mit einem schwarzen Schild. Die Farbe blätterte von der Fassade ab. Beinahe trotzig behauptete sich der Pub direkt gegenüber einer Kirche, die noch älter war. Dimitri folgte der Straße bis zum Ende, doch statt bei der erhofften Tankstelle landete er an der Kiesauffahrt vor einem kleinen Bed and Breakfast.
Seinen Informationen zufolge waren die Iren für zwei Dinge bekannt: Gastfreundschaft und Whiskey. Beides brauchte er dringend. Als er den Motor ausschaltete, fühlte er sich jäh derart erschöpft, dass er bezweifelte, ob er überhaupt aussteigen konnte. Er lehnte sich zurück und drückte den Hinterkopf ärgerlich gegen die Kopfstütze. Aus dem Staub hatte er sich gemacht, und er hasste sich dafür. All der Zeitaufwand, all das Planen … Der Frust, weil er Antonio und Danyl Schande machen würde … Dimitri hatte nicht vermutet, dass der Schmerz so tief sein würde. Nicht nach allem, was er in seinen dreiunddreißig Jahren durchgemacht hatte.
Er nutzte die Energie, die ihm der Zorn verlieh, um hastig auszusteigen, zum Eingang des Bed and Breakfast zu marschieren und mit der Faust gegen die Tür zu donnern. Das Geräusch tat ihm in den Ohren weh. Zum ersten Mal seit gefühlten Stunden blickte er auf seine Armbanduhr und stellte verblüfft fest, wie spät es schon war. Vielleicht schlief der Inhaber. Er sah zurück zu seinem Sportwagen. Wie weit würde er damit noch kommen? Sollte er umkehren? Da öffnete sich die Tür.
Ich bin verloren, wusste er, als sein Blick den der Frau traf, die mit großen grünen Augen zu ihm aufsah.
Sie legte sich einen Zeigefinger auf die Lippen und bedeutete ihm mit der anderen Hand, leise einzutreten. Dann führte sie ihn in ein kleines Wohnzimmer, das offenbar als Frühstücksraum des B & Bs diente.
„Brauchen Sie ein Zimmer?“, flüsterte die Frau beinahe.
Tue ich das? „Ja, nur für diese Nacht.“
Sie musterte ihn, allerdings nicht so, wie er es von schönen Frauen gewohnt war. Als würde sie schätzen, wie viel seine maßgeschneiderte Kleidung gekostet hatte. Die Armbanduhr, die vermutlich halb so kostspielig gewesen war wie die Summe, die dieser Laden in einem halben Jahr abwarf. Der teure Wagen.
Dimitri war nicht gekränkt. Er zückte seine Geldbörse und nahm sämtliche Scheine heraus. Dort, wo er hinreiste, nützten ihm Euro ohnehin nichts. Er legte das dicke Bündel auf den Tresen.
„Nein, Sir. Das ist nicht … Das ist nicht nötig. Ein Zimmer kostet sechzig Euro pro Nacht, plus fünf Euro, falls Sie Frühstück möchten.“
Ihr irischer Akzent überraschte ihn, denn sie besaß nicht die helle, sommersprossige Haut der Leute, die er auf der Rennbahn in Dublin gesehen hatte. Eher glich ihr Teint seinem eigenen, griechischen, nur wirkte sie blass, weil sie vielleicht zu selten in der Sonne war. Einen Moment lang stellte er sich die Frau auf einer paradiesischen griechischen Insel vor, wo die Sonne ihre verheißungsvolle Haut zum Strahlen bringen würde. Sie hatte die langen dunklen Locken zu einem unordentlichen Pferdeschwanz hochgebunden. Eigentlich hätte diese Frisur sie jung aussehen lassen sollen, nicht auf eine lässige Art wunderschön. Ein paar Strähnen des herausgewachsenen Ponys umspielten ihr Kinn, betonten ihre hohen Wangenknochen und bildeten einen Kontrast zu den goldenen Sprenkeln in ihren betörenden smaragdfarbenen Augen.
Er zwang sich, sie nicht länger zu betrachten, und ließ den Blick über die Flaschen hinter dem Tresen schweifen. Das Angebot enttäuschte ihn ein wenig. Am liebsten hätte er gar nichts hiervon ausgewählt, doch in der Not fraß der Teufel Fliegen.
„Kein Frühstück“, sagte er. „Aber ich nehme eine Flasche von Ihrem besten Whiskey.“
Wieder musterte sie ihn. Nicht berechnend. Genau das war es. Das war anders an ihr. In ihrem Blick lag nichts Selbstsüchtiges, keine Bewertung. Sie versuchte einfach, sich einen Reim auf ihn zu machen. Als wäre sie zu einem Ergebnis gelangt, schlüpfte sie hinter den Tresen und nahm zwei geschliffene Kristallgläser aus einem Regal, ohne das fast schon obszöne Geldbündel zu beachten. Mit dem Anflug eines schlechten Gewissens fragte Dimitri sich, ob er sie beleidigt hatte.
Sie stellte beide Gläser auf den Tresen und wartete auf seine Reaktion. Würde er ablehnen, dass sie ihm Gesellschaft leistete? Nun war er an der Reihe, sich einen Reim auf sie zu machen. Die Frau hatte kaum zwei Worte mit ihm gewechselt. Anfang zwanzig war sie vermutlich. Sie trug eine schlecht sitzende weiße Bluse, eine Art Uniform, die für eine kräftigere Person gemacht zu sein schien. „Mary Moore“ stand auf dem abgenutzten Namensschild, das auf die Brusttasche genäht war. Wie eine Mary sah sie eigentlich gar nicht aus, doch all diese Details verblassten hinter dem sehnsüchtigen Ausdruck in ihren Augen.
Mit einem Nicken signalisierte er seine Zustimmung. Statt nach einer der Flaschen hinter sich zu greifen, bückte sie sich und brachte eine teurere Flasche zum Vorschein. Das gute Zeug für besondere Anlässe. Nun, dies war in der Tat ein besonderer Anlass, fand er.
Sie hatte den bernsteinfarbenen Whiskey eingeschenkt, ihm ein Glas hingeschoben und das andere erhoben. „Sláinte.“
„Yamas.“
Jetzt drehte der Jet nach rechts ein und begann mit dem Landeanflug auf New York. Ob es am Drink vom gestrigen Abend lag oder an dem vor zwei Stunden – Dimitri schmeckte noch immer Whiskey auf der Zunge. Schmeckte sie. Bilder stiegen vor ihm auf, während sich der Jet der Landebahn näherte. Das erste Mal, dass er ihre Lippen mit seinen gestreift hatte. Ihr klopfendes Herz unter seiner Handfläche, ihre perfekten Brüste, ihre Oberschenkel, die er auseinanderschob. Wie sie beide Beine um ihn schlang und erregt aufschrie, als er tief in sie eindrang. Die Ekstase des Höhepunktes, den sie gleichzeitig erreichten, eng aneinandergeklammert. Die Erinnerung an ihren Lustschrei, den er mit einem leidenschaftlichen Kuss erstickt hatte, wurde vom lauten Bremsen des Jets übertönt.
Die Stewardess wirkte, als würde sie die Kabinentür nur widerwillig öffnen. Er stieg aus, und sie lächelte traurig, als wüsste auch sie, was gleich geschehen würde. Obwohl sie das nicht konnte. Nur er selbst und vielleicht zwei andere Leute auf der ganzen Welt wussten Bescheid – der Chefermittler und wer auch immer die Tat wirklich begangen hatte.
Am unteren Ende der schmalen Gangway standen rund zwanzig Männer in blauen Windjacken mit gelben Initialen. FBI-Agenten. Jeder von ihnen trug Handschellen und einen Schlagstock am Gürtel.
Dimitri Kyriakou, milliardenschwerer Unternehmer, trat auf das Rollfeld, sah dem Chef der FBI-Agenten in die Augen und hielt die Hände vor sich. So, wie er es in Filmen gesehen hatte. Dass er es tun musste, hatte er schon lange vor diesem Flug gewusst, lange vor letzter Nacht. Als der Mann ihm die Handschellen anlegte, zwang er sich, es mit erhobenem Kopf geschehen zu lassen.
Heute.
Lieber Dimitri,
heute hast du mich gefunden.
Dimitri steuerte den Wagen jene Straßen entlang, die er erst ein einziges Mal zuvor gefahren war. Die Scheinwerfer warfen grelles Licht auf den regennassen Asphalt und die Büsche am Straßenrand. Vor sich sah er allerdings die bestürzte Miene seines inzwischen entlassenen Assistenten, der „Entschuldigung“, „Das wusste ich nicht“ und „Es war zum Besten der Kyriakou Bank“ stammelte.
Zorn flackerte in Dimitri auf. Wie war es bloß so weit gekommen? Wie?
Vor neunzehn Monaten war er aus dem amerikanischen Gefängnis entlassen worden. Seitdem setzte er alles daran, aufzudecken, wer hinter einem der größten Bankenbetrugsfälle des Jahrzehnts steckte, für den er selbst den Kopf hingehalten hatte. Gleichzeitig war er damit beschäftigt, die Bank seiner Familie – seines Vaters – wieder auf die Erfolgsspur zu bringen.
Nach der Verhaftung seines Halbbruders Manos im letzten Monat hatte er gedacht, seine Probleme wären endlich vorbei. Er könnte alles hinter sich lassen und sich auf die Zukunft konzentrieren. Endlich durchatmen.
Bis Informationen eingetrudelt waren über eine ungewöhnliche Buchung auf einem kleinen Privatkonto, um das er sich jahrelang nicht gekümmert hatte.
Zu seinem Entsetzen fand er heraus, dass sein Ex-Assistent einer Frau Geld überwiesen hatte, die behauptete, Dimitri habe eine Tochter. So etwas war nicht neu. Falsche Anschuldigungen von Gaunern, um ihn auszunehmen, nachdem er durch die irrtümliche Verhaftung traurige Berühmtheit erlangt hatte. Aber diesmal …
War es ein Wink des Schicksals, dass seine Entdeckung mit dem zweiten Rennen um den Hanley Cup zusammenfiel? Dass ihn nicht nur der Winners’ Circle wieder nach Dublin führte, sondern auch die Tatsache, dass sein früherer Assistent einer geldgierigen Person fünfzigtausend Euro gezahlt hatte?
Das Klingeln des Handys in der Freisprechanlage schnitt wie ein Messer durch seine Erinnerungen. „Kyriakou“, meldete er sich.
„Sir, ich habe die Informationen, die Sie … für …“
„Ja?“
„Es ist … Deshalb kann ich nicht garantieren, dass … geheim bleibt.“
„Die Verbindung ist furchtbar, Michael“, knurrte Dimitri, zunehmend frustriert wegen des ganzen Schlamassels. „Können Sie mich hören?“
„Ja, Sir … Gerade eben so.“
„Mailen Sie mir die Datei, ich sehe sie mir später an. Im Moment reichen die wichtigsten Stichpunkte.“
„Mary Moore … Jahre alt … Eine Tochter, Anna, kein Name des Vaters auf der Geburtsurkunde. Verhaftet wegen Trunkenheit … Ruhestörung.“
Dimitri fluchte. Nicht zu fassen. Die Frau, die sich ihm auf so wundervolle Weise hingegeben hatte, war eine Trinkerin? Mit einem Strafregister? „Okay. Ich habe genug gehört. Schicken Sie mir Ihre Rechnung.“
„Warten Sie, Sir, es gibt da noch … Sie müssen …“
„Die Verbindung wird immer schlechter. Ich lese Ihren Bericht, wenn ich wieder E-Mails empfangen kann.“
Mit diesen Worten legte Dimitri auf. Wütend warf er einen Blick auf seinen Beifahrer – den einzigen Menschen außerhalb des Winners’ Circle, dem er vertraute. David Owen war schon seit vielen Jahren sein Anwalt.
„Juristisch kannst du sehr wenig tun“, sagte David. „Du hast lediglich die Forderung nach fünfzigtausend Euro und ein unscharfes Schwarz-Weiß-Foto von einem kleinen Mädchen.“
Das hatte Dimitri gereicht, um zu erkennen, dass dieses Kind seine Tochter war. In ihrem Alter hatte er genauso ausgesehen, mit dichten dunklen Locken und einem seltsam traurigen Ausdruck in den großen braunen Augen. Letzteres mochte er sich einbilden, gab er zu, doch mit einer kriminellen Alkoholikerin als Mutter erklärte sich der kummervolle Blick ja wohl von selbst.
„Es liegt kein Beweis vor, dass das Kind von dir ist“, meinte David.
„Den brauche ich nicht. Ich weiß es. Weiß, dass ich ihr Vater bin. Von der Zeit her passt es. Du hast die E-Mail doch selbst gelesen und das Foto gesehen.“
David nickte widerstrebend. „Wir könnten das Sozialamt einschalten, würden dadurch allerdings einen Skandal auslösen.“
„Kommt nicht infrage. Ich lasse nicht zu, dass der Name Kyriakou mit einem weiteren Skandal in Verbindung gebracht wird. Außerdem würde es zu lange dauern. Du bist hier, um mir ohne solche Umwege zu dem zu verhelfen, was ich will. Offenbar ist die Mutter nur auf das Geld aus. Etwas juristischer Fachjargon von dir wird die Dinge erleichtern.“
Das Navigationssystem wies ihn an, die nächste Ausfahrt links zu nehmen. Dimitri hatte keine Ahnung, wie er vor drei Jahren zu dem kleinen Bed and Breakfast gelangt war.
„Willst du es wirklich durchziehen? Wie gesagt, juristisch ist deine Position nicht gerade die stärkste.“
„Die Frau hat jeglichen juristischen Anspruch verwirkt, als sie versucht hat, mich zu erpressen“, schnappte Dimitri.
Wie hatte er sich bloß derart täuschen lassen können? Schon wieder?
In den gesamten vierzehn Monaten der Haft hatte er die kostbare Erinnerung an die eine Nacht, an sie, bewahrt. Ein Leuchtturm in der Dunkelheit war sie für ihn gewesen. Ein Moment ganz und gar für ihn, von dem nur sie beide wussten. Wieder und wieder hatte er im Geiste gehört, wie lustvoll sie auf seine Zärtlichkeiten reagiert hatte. Ihr Stöhnen, die erregten Schreie. Jener kurze Augenblick, in dem er geschockt und insgeheim erfreut festgestellt hatte, dass sie noch Jungfrau gewesen war … All dies hatte er verinnerlicht und Kraft daraus geschöpft. Dank dieser Nacht hatte er selbst die schlimmste Zeit im Gefängnis überstanden.
Vielleicht war die Jungfräulichkeit das einzig Echte an Mary Moore gewesen. Aber sonst? Sie hatte gelogen. Ihm ein Geheimnis verschwiegen. Das würde sie für den Rest ihres Lebens bereuen. Denn nichts konnte ihn davon abhalten, sein Kind zu holen.
Anna schnappte nach Luft, als der Regen noch stärker auf sie einprasselte. Er rann in den Kragen der Jacke, in die sie gleich nach dem Anruf geschlüpft war. Dummerweise hatte sie nicht an einen Schirm gedacht. Sie steckte eine Hand in die Jackentasche und zog den einzigen Schutz hervor, den sie gegen das Gewitter hatte. Ironie des Schicksals: Ihr „Schutz“ führte ihr nur umso deutlicher vor Augen, wie hundsmiserabel ihre Lage war.
Sie hielt sich den großen dünnen Umschlag über den Kopf. Nach wenigen Sekunden hatte das Papier die Tropfen aufgesogen, Regen floss in ihren Ärmel und durchnässte ihr Baumwollshirt.
Der Brief konnte ruhig nass werden. Sie kannte den Inhalt auswendig.
Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen … Aufgrund ausstehender Zahlungen … Gemäß den Konditionen des Hypothekenvertrages … Recht, das Haus wieder in Besitz zu nehmen …
Sie würde das kleine Bed and Breakfast verlieren, das sie von ihrer Oma geerbt hatte. Das Haus, in dem ihre Mutter und sie geboren und aufgewachsen waren. Es mochte nicht die Zukunft darstellen, die sie sich ausgemalt hatte, aber sie brauchte es, um den Lebensunterhalt für sich und ihr Kind zu verdienen. Wie hatte ihre Mutter es nur geschafft, ihr den Brief vorzuenthalten? Mary Moore konnte doch kaum noch klar denken. Trotzdem brachte sie es fertig, zu täuschen und zu lügen.
Durch den strömenden Regen hörte Anna Musik und Rufe aus dem einzigen Gebäude mit Anzeichen von Leben in der Straße. Schwaches Licht schien durch die matten Fenster auf die nassen Bänke vor dem Pub. Anna wappnete sich für einen ziemlich unangenehmen Anblick.
Sobald sie die Tür aufstieß, verstummten die Männer am Tresen und starrten sie an. Sie starrten immer. Annas Hautfarbe – alles, was sie von ihrem vietnamesischen Vater besaß, der ihre Mutter noch vor der Geburt verlassen hatte – war stets wie ein Stempel gewesen, der sie zur Außenseiterin machte. Sie schüttelte das Wasser von dem durchweichten Umschlag, stopfte ihn wieder in ihre Tasche und fuhr sich mit der anderen Hand durch die Haare, in denen Regentropfen hingen. Es stank nach warmem Bier und kaltem Zigarettenrauch.
Ihr Blick traf den des Inhabers. „Warum haben Sie sie bedient?“
Eamon zuckte die Schultern. „Sie hatte Geld.“ Er nickte in Richtung Nebenzimmer.
Anna hörte die Männer kichern, die ihr inzwischen wieder die Rücken zugekehrt hatten. Wut brodelte in ihr auf. „Was denn, habt ihr etwa noch nie eine betrunkene Frau gesehen?“, schnappte sie und ging in das Nebenzimmer.
Ihre Mutter saß da, umgeben von leeren runden Holztischen. Sie wirkte winzig. Vor ihr, neben einer Zeitung, stand ein Schnapsglas mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. Wodka, hoffte Anna, denn Gin machte es erfahrungsgemäß noch schlimmer. Sie setzte sich neben Mary und kämpfte gegen den wachsenden Zorn an.
Am Tag, an dem Amalia auf die Welt gekommen war, hatte Anna erkannt, dass ihre Mutter nicht länger mit ihr unter einem Dach wohnen konnte. Sie durfte nicht riskieren, dass die Alkoholikerin in einem ihrer Wutanfälle das Baby verletzte. Also hatte sie arrangiert, dass Mary zu einer der wenigen verbliebenen Freundinnen zog. Seitdem war jede Begegnung spannungsgeladen und schmerzhaft.
„Was ist passiert, Ma? Woher hast du das Geld?“
„Ich dachte, ich könnte etwas von der Hypothek abbezahlen … Ich dachte … Nur ein Drink … Ich dachte …“
„Was dachtest du, Ma?“ In den letzten Wochen war Mary nüchtern geblieben und hatte sogar von Entzug gesprochen. Jetzt erstarb die kleine Flamme der Hoffnung, die Anna gehegt hatte.
„Sogar, als er aus dem Gefängnis entlassen wurde, habe ich ihn für schuldig gehalten … Aber dann haben sie seinen Bruder verhaftet …“
Du lieber Himmel, Ma redet von Dimitri.
Mary tippte auf die Zeitung. Neben dem Leitartikel stand ein Bericht über das bevorstehende Galopprennen in Dublin, mit einem Schwarz-Weiß-Foto von drei Männern, die den Sieg eines Rennens in Buenos Aires feierten. Unwillkürlich heftete Anna den Blick auf einen der Männer: Dimitri Kyriakou.
„Und er ist steinreich … Also … Also habe ich getan, wozu dir der Mut fehlt.“
„Was denn, Ma?“
„Ein Vater sollte für sein Kind aufkommen.“
Anna pflichtete ihrer Mutter bei. Sie hatte sich ja um Dimitris Unterstützung bemüht. Sie hatte versucht, ihm von seiner Tochter zu erzählen. Vor neunzehn Monaten, als er für unschuldig erklärt worden war. Damals hatte sie in seinem Büro angerufen und eine Auskunft bekommen, die ihr bewies: Der Mann, dem sie so viel von sich – von ihrem wahren Ich – geschenkt hatte, war ein Hirngespinst gewesen.
„Ma?“, bohrte sie.
„Wenigstens hast du dir jemanden mit Geld ausgesucht … Fünfzigtausend Euro hat er für unser Schweigen gezahlt.“
Anna wurde übel. „Jesus, Ma …“
Die Ohrfeige kam aus dem Nichts. Annas Kopf brummte, und das Dröhnen in ihren Ohren übertönte im ersten Moment den Schock.
„Du wirst den Namen des Herrn nicht missbrauchen“, schimpfte Mary Moore.
Der Schlag weckte Erinnerungen an Jahre voller Einsamkeit, Wut und Frust. Anna sah ihrer Mutter in die Augen und beobachtete, wie rechtschaffener Ärger Schuldgefühlen und Kummer wich.
„Oh Anna, es tut mir …“
„Stopp.“
„Anna …“
„Nein.“ Sie hob eine Hand, um den vertrauten Kreislauf von Flehen und Rechtfertigung abzuwehren. Hatte Dimitri wirklich Geld gezahlt, um sein Kind loszuwerden? Grenzenloser Schmerz breitete sich in ihrem Herzen aus und tat viel stärker weh als die Ohrfeige.
Anna rieb sich den Brustkorb, um die Trauer zu lindern. Genau davor hatte sie ihre Tochter bewahren wollen – vor der Kränkung, abgewiesen zu werden, dem Gefühl, unerwünscht zu sein. Ungeliebt. Sie würde auf keinen Fall zulassen, dass Amalia so etwas durchlitt.
Mary sank in sich zusammen und begann zu weinen, als Eamon den Kopf in das Nebenzimmer steckte. Anna las Mitleid in seinen Augen, und sie hasste ihn dafür. Sie hasste das ganze verdammte Dorf.
„Ich kümmere mich heute Abend um sie“, bot er an.
„Tun Sie das.“ Mit erhobenem Kopf marschierte Anna aus dem Pub. Vor diesen Leuten würde sie nicht weinen. Den Triumph hatte sie ihnen noch nie gegönnt.
Auf dem Rückweg zum kleinen Bed and Breakfast, mit dem sie sich seit Jahren nur knapp über Wasser hielt, nahm sie gar nicht wahr, dass der Regen aufgehört hatte. Nur an ihre kleine Tochter konnte sie denken. An Amalias schöne dunkelbraune Augen und dichte Locken. An ihr Lachen, ihre Tränen, die ersten Schreie nach der Geburt. Und an jenen zauberhaften Moment, als sie zum ersten Mal in den Armen ihrer Mutter gelegen und die Augen aufgeschlagen hatte. Liebe hatte Anna erfüllt. Reine, bedingungslose, überwältigende Liebe. Sie hätte alles für Amalia getan.
Genau an dem Tag, an dem sie festgestellt hatte, dass sie ein Baby erwartete, war Dimitri verurteilt worden. Sie konnte regelrecht hören, wie der Hammer auf die Richterbank niederging. Als würde er gegen ihr eigenes Herz schlagen. Dass Dimitri Geld von amerikanischen Kunden der Kyriakou Bank gestohlen hatte, wollte sie nicht glauben. Andererseits: Was wusste sie schon von ihm? Nur, dass er Whiskey mochte, ihr eine schier unvorstellbare Lust bereitet hatte und am anderen Morgen ohne ein Wort gegangen war.
Sie verabscheute den Gedanken, dass ihr Kind das Stigma eines solchen Vaters trug. Aus dem Grund behielt sie die Identität von Amalias Vater für sich. Als sie von seiner Unschuld erfuhr und ihn kontaktieren wollte, sagte sein Assistent, sie sei nur eine von vielen Frauen, die einen solchen „Anspruch“ geltend machten. Damals hatte sie geschworen, sowohl Mutter als auch Vater für Amalia zu sein. Sicherzustellen, dass ihre Tochter glücklich und geborgen aufwuchs und vor allem wusste, dass sie geliebt wurde. Sie wollte ihrer Tochter geben, was sie selbst nie erfahren hatte.
Vor dem Bed and Breakfast stand ein Minibus. Die drei Gäste, die heute eingecheckt hatten, verstauten gerade ihr Gepäck darin.
„Absolut inakzeptabel“, schimpfte Mr. Carter. „Entsprechend wird meine Bewertung ausfallen.“
„Was ist denn los?“, erkundigte sich Anna.
„Das einzig Gute ist vermutlich, dass wir ein Upgrade für das Hotel in der nächsten Stadt bekommen. Aber ohne Erklärung um halb elf Uhr abends rausgeworfen zu werden … Nicht gut, Ms. Moore. Gar nicht gut.“
Bevor sie reagieren konnte, verschwanden ihre Gäste im Bus. Sie sprang zur Seite, weil der Fahrer rückwärts aus der Auffahrt fuhr. Jetzt stand nur noch ein Mann vor ihrer Haustür.
Dimitri Kyriakou. Und er sah genauso wütend aus, wie sie sich fühlte.
Dimitri war in dem kleinen Wohnzimmer auf und ab gegangen, in dem er Mary Moore kennengelernt hatte. In einem der Hinterzimmer hielt eine ihrer Angestellten seine Tochter in den Armen und sah ihn an, als wäre er der Leibhaftige.
Da hatte er draußen Stimmen gehört. Sie war wieder da.
Mit langen Schritten war er durch den Korridor geeilt und hatte gerade noch gesehen, wie der Minibus verschwand.
Zorn hatte ihn hergetrieben. Doch als er die Frau sah, die es fast, fast geschafft hätte, ihm seine Tochter vorzuenthalten, blieb er wie angewurzelt stehen.