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Prinzessin Viktorina Jasmine Eugenija, auch Tora genannt, die einzige Tochter des Großherzogs von Radoslav, ist eine junge, sehr begabte Musikerin und träumt von der großen Liebe. König Radul vom benachbarten Land Salona, der gleichaltrig zu ihrem Vater ist, will um ihre Hand anhalten, da er einen Erben benötigt. Sein Sohn Prinz Vulkan hatte sich mit im verworfen und das Land verlassen, da der König sehr veraltete Ansichten hatte. Tora möchte König Radul unter Anonymität kennenlernen, schleicht sich deshalb aus dem elterlichen Palast und reist inkognito mit ihrem Musikprofessor Lazar Srejovic nach Salona, um am Palast des Königs ein Konzert zu geben. Während der Reise hört sie von einer bevorstehenden Revolution in Salona und der Ermordung König Raduls' und trifft den geheimnisvollen und sehr anziehenden Mikloš. Wird sie es schaffen, eine Revolution in Salona zu verhindern und wird sie ihre Liebe Mikloš wiedersehen, der sie als Bauernmädchen aus Radoslav kennen und lieben gelernt hat?
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Seitenzahl: 214
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Prinzessin Viktorina Jasmine Eugenija ging den Korridor entlang. Sie war auf dem Weg zu ihrer Musikstunde und summte dabei leise vor sich hin.
Wie gewöhnlich war sie in Tagträume versunken, wie ihre Familie es nannte, und sie erzählte sich eine Geschichte, in der sie auf einem herrlichen Hengst über die Steppe galoppierte, verfolgt von einem Zigeunerprinzen, der sie in die Berge entführen wollte.
Die Prinzessin, die ,Tora‘ genannt wurde, weil sie als Kind ihren eigenen Namen so am leichtesten aussprechen konnte, erfand wieder einmal eine jener Geschichten, die sie liebte und die sie in selbstkomponierten Melodien auszudrücken versuchte.
Sie hatte das Musikzimmer fast erreicht, als ein Diener, der die kunstvolle und farbenprächtige Livree ihres Vaters, des name="_Hlk113442116">Großherzogs, trug, sie aufhielt.
»Entschuldigung, Durchlaucht, aber Seine Königliche Hoheit wünscht Sie sofort zu sprechen.«
Die Prinzessin wurde abrupt in die Gegenwart zurückgeholt und sah den Lakaien einen Augenblick geistesabwesend an. Dann sagte sie:
»Sagtest du ,sofort’, Jovan?«
»Ja, Durchlaucht.«
Tora zog eine kleine Grimasse. Sie konnte sich nicht denken, was ihr Vater wünschte, das keinen Aufschub duldete, bis ihre Musikstunde vorüber war.
Sie genoß ihren Musikunterricht bei Professor Lazar Srejovic mehr als alles andere. Er war zweifellos der beste Musiker in dem kleinen Großherzogtum.
Der Professor wurde schon alt, aber in seiner Glanzzeit war ihm in allen großen Hauptstädten Europas Beifall gezollt worden, nicht nur in den kleinen Königreichen und Fürstentümern der Balkanhalbinsel.
Da die Prinzessin ungewöhnlich musikalisch war, bereitete es ihr Freude und Genuß, von ihm unterrichtet zu werden.
Obwohl sie im Alter von achtzehn Jahren die meisten ihrer Lehrer nicht mehr benötigte, wollte sie ihrem Vater oder ihrer Mutter nicht erlauben, den Professor aus seinen Diensten zu entlassen.
Sie hatte sich den ganzen Vormittag darauf gefreut, mit ihm über einige neue Noten zu sprechen, die gerade im Palast eingetroffen waren und die Offenbach in Paris populär machte.
Aber sie wußte, daß sie sich dem Befehl ihres Vaters nicht widersetzen konnte, und ging hastig zurück in den Mitteltrakt des Palastes, wo die Staatsräume lagen.
Sie wußte, daß ihr Vater sich in dem Raum aufhielt, den er als sein spezielles Heiligtum betrachtete. Es war ein großes, üppig eingerichtetes Zimmer mit einer großen Bildersammlung, von der Tora fand, daß sie schon vor Jahren hätte aussortiert werden sollen.
Der Palast des Großherzogs war noch genauso, wie er ihn von seinem Vater geerbt hatte, und schon sein Großvater hatte wenig verändert.
»Wir sollten mit der Zeit Schritt halten, Mama«, hatte Tora einmal zu ihrer Mutter gesagt.
Aber die Großherzogin antwortete darauf nur:
»Du weißt, wie sehr dein Vater Veränderung haßt. Es hat keinen Sinn, ihn mit diesen Gedanken aufzuregen. «
Das war nur allzu wahr, denn ihr Vater wurde überaus leicht zornig, wenn man ihn aufforderte, etwas zu tun, was er verabscheute, und Veränderungen gehörten zu den Dingen, die er mehr als alles andere mißbilligte.
Er war ein gutaussehender Mann, der in seiner Jugend sehr stattlich gewesen war, und die Herzen vieler Frauen hatten schneller geschlagen, wenn er sie angelächelt hatte.
Jetzt bewegte er sich in festgefahrenen Gleisen, wie Tora im Stillen dachte, so daß es ihm unmöglich war, neue Ideen aufzunehmen, ja er war nicht einmal bereit, sie sich anzuhören. Er War jedoch immer noch empfänglich für die Schönheit der Frauen.
Als seine Tochter in das Zimmer trat und auf ihn zuging, dachte er mit einem Gefühl tiefster Befriedigung, daß sie nicht nur außerordentlich schön war, sondern auch eine Anmut besaß, die ungewöhnlich war. Sie erinnerte ihn an jene Ballerinen, mit denen er früher bekannt gewesen war.
»Du wolltest mich sprechen, Papa? « fragte Tora, als sie neben seinem Stuhl stehenblieb. Ihre Stimme war so sanft und melodiös wie die Stücke, die sie komponierte.
»Ja, Viktorina, ich möchte mit dir sprechen«, sagte der Großherzog förmlich.
Tora hob die Augenbrauen, denn er redete sie nur dann mit ihrem richtigen Namen an, wenn es sich um Staatsangelegenheiten oder andere Dinge von großer Wichtigkeit handelte.
»Was ist geschehen, Papa?« fragte sie. »Ich bin in Eile, weil der Professor hier ist, um mir Musikunterricht zu geben.«
»Deine Musikstunde kann warten«, erwiderte der Großherzog. »Was ich dir zu sagen habe, betrifft deine Zukunft.«
Er sprach so ernst, daß Tora sich verkrampfte, und ihre Augen schienen ihr kleines, schmales Gesicht auszufüllen, während sie darauf wartete, was der Vater ihr zu sagen hatte.
Da Radoslav zwischen Serbien und Rumänien lag und Ungarn an seiner nördlichen Grenze, war es kein Wunder, daß die Frauen von Radoslav außergewöhnlich schön waren.
Einem Fremden kam es oft so vor, als vereinigten sie in sich das beste Blut dieser Länder, mit dem sich das ihre vermischt hatte, so daß eine eigene in ganz Europa einmalige Rasse entstanden war.
Tora hatte leicht rötliches Haar, das für Ungarinnen charakteristisch war, während ihre Augen das Mystische und die Lieblichkeit der Rumäninnen ausdrückten, und ihre Haut und die geschmeidige Anmut ihrer Figur waren Serbien zuzuschreiben.
Doch dies erklärte nicht ganz ihr Feingefühl und das Geheimnisvolle, das ein wesentlicher Teil ihrer Persönlichkeit war.
Während der Großherzog immer ein harter und nüchterner Charakter gewesen war, floß in den Adern der Großherzogin etwas russisches Blut, obwohl sie selbst aus Bosnien stammte, und dies war vielleicht dafür verantwortlich.
Während Tora wartete, spürte sie deutlich, daß nicht nur etwas Unerwartetes geschehen war, sondern daß es sich um etwas handelte, das ihr unangenehm sein würde.
Sie ängstigte sich, und dieses Gefühl verstärkte sich noch, weil sie bemerkte, daß ihr Vater sie nicht direkt ansah, als er zu ihr sprach:
»Ich habe eben mit unserem Gesandten in Salona gesprochen«, begann er, »und er hat mir eine Nachricht überbracht, die ich hoch willkommen heiße.«
»Worum geht es, Papa?«
Es entstand eine kleine Pause, bevor der Großherzog erwiderte:
»König Radul hat ihm anvertraut, daß er dich gern heiraten würde.«
»König Radul?« fragte Tora rasch. »Du meinst doch sicher seinen Sohn?«
»Ich meine nichts dergleichen«, erwiderte der Großherzog scharf. »Prinz Vulkan ist ein Verschwender und ein Tunichtgut, der keinen Kontakt mehr zu seinem Vater hat. Ja, er hat Salona vor Jahren verlassen und ist nie wieder zurückgekehrt.«
Es herrschte Schweigen. Dann fragte Tora:
»Du sagtest... der König wolle... mich heiraten?«
»Seine Majestät hat den Vorschlag gemacht, und es wäre gewiß zum Vorteil unseres Landes«, antwortete der Großherzog. »Ich brauche dir nicht zu sagen, daß Salona, das sehr viel größer ist als unser Land, uns wirtschaftlich helfen könnte, und ich habe oft gedacht, daß wir ohne den Schutz eines großen Staates leicht von der österreichischen Monarchie überrollt werden könnten.«
Da Österreich ein Thema war, über das ihr Vater endlos sprechen konnte, sagte Tora rasch:
»Ich verstehe immer noch nicht, Papa. Der König ist ein... sehr alter Mann!«
»Unsinn!« antwortete der Großherzog scharf. »Er ist einige Jahre jünger als ich, ja, er kann nicht älter als fünfundfünfzig oder sechsundfünfzig Jahre alt sein.«
»Aber... Papa... ich bin eben erst achtzehn geworden.«
»Das ist unwesentlich!« sagte der Großherzog hochmütig. »Der König denkt natürlich an einen Erben, der sein Nachfolger wird, nachdem Prinz Vulkan offensichtlich aus dem Rennen ist.«
»Willst du damit sagen, daß er seinen eigenen Sohn enterbt hat?« fragte Tora.
»Nach allem, was ich höre und was mein Gesandter mir erzählte, hat Prinz Vulkan sich selbst enterbt«, erwiderte der Großherzog. »Es gibt noch einen weiteren Thronanwärter, aber das braucht uns nicht zu kümmern.«
»Aber es kann doch nicht wirklich dein Ernst sein, daß ich einen Mann heirate, der so viel älter ist als ich«, sagte Tora.
Während sie sprach, setzte sie sich ihrem Vater gegenüber in einen Sessel, als könnten ihre Beine sie nicht länger tragen.
»Mein liebes Kind«, sagte der Großherzog, »ich brauche dir nicht zu erklären, wie sehr es uns hier in Radoslav nützen wird, wenn du die Königin von Salona bist. Es wird unser Prestige an den anderen Höfen heben, die uns viel zu oft so behandelt haben, als wären wir unbedeutende Nullen.«
Der Zorn, der in der Stimme des Großherzogs mitschwang, zeigte nur allzu klar, daß ihn die Behandlung durch die benachbarten regierenden Monarchen und Fürsten nur allzu oft verletzt und gekränkt hatte.
Tora erinnerte sich daran, daß ihr Vater erst kürzlich bei der Beerdigung eines Mitglieds der königlichen Familie von Serbien aufgebracht gewesen war, weil man ihn gezwungen hatte, hinter dem König von Montenegro zu gehen, dem er sich überlegen fühlte.
Im Augenblick schien Tora unfähig, klar zu denken. Sie befand sich in einem schockartigen Zustand, und sie fragte sich, wie sie je einen Mann heiraten sollte, der fast so alt war wie ihr Vater,
Als hoffte sie zu hören, daß es nicht wahr war, fragte sie ein wenig kindlich:
»Du willst doch sicher nicht im Ernst sagen, Papa... daß König Radul… mich zur Frau nehmen will? «
»Ich kann es nicht deutlicher ausdrücken«, erwiderte der Großherzog. »Wenn er in zwei Wochen hier eintrifft, Tora, und mich formell um deine Hand bittet, wirst du ihn freundlich empfangen.«
Als seine Tochter nicht antwortete, fuhr er fort:
»Es gibt im Augenblick nur wenige ledige Männer, die für dich in Frage kämen. Deshalb solltest du dankbar sein, daß du nicht mit einem kleinen, unbedeutenden Fürsten abgespeist wirst, der Radoslav nicht helfen könnte, wozu Salona in der Lage sein wird.«
Die Art, wie er sprach, machte den Protest, der Tora auf der Zunge lag, von vornherein unmöglich.
Sie wußte, sobald ihr Vater einmal einen Entschluß gefaßt hatte, würde ihn alles, was sie entgegnete, nur erzürnen, und es würde damit enden, daß er sie anschrie und sich weigerte, ihr weiterhin zuzuhören.
Da sie schwieg, fuhr der Großherzog fort:
»Natürlich wirst du in der Zwischenzeit mit niemandem außer deiner Mutter und mir darüber sprechen. Ich werde den Besuch des Königs vorbereiten, und schon dies wird den Ministerpräsidenten dazu veranlassen, mehr Disziplin von seinen Ministern zu verlangen.«
Der Großherzog sprach gereizt, und Tora wußte, daß es in jüngster Zeit im Parlament viel Zwist gegeben hatte.
Es war hauptsächlich der Tatsache zuzuschreiben, daß ihr Vater gegen alle Neuerungen sein Veto einlegte, welche die jüngeren und ehrgeizigeren Mitglieder vorschlugen. Das Ergebnis war, daß das Land sich weniger entwickelte, als es möglich gewesen wäre, wenn die neuen Errungenschaften und Ideen aus den anderen Teilen Europas übernommen worden wären.
Sie schwieg immer noch, und nach einem Augenblick sagte der Großherzog, als wäre er etwas skeptisch hinsichtlich ihrer Reaktion auf diese Neuigkeit:
»Ich dachte, da dies ein ganz besonderer Anlaß ist, solltest du dir ein paar neue Kleider bestellen, in denen du möglichst vorteilhaft aussiehst.«
Dann fügte er hinzu, wie um sich selber zu beruhigen, weil er nicht unnötiges Geld ausgeben wollte:
»Sie können schon ein Teil deiner Aussteuer sein, denn ich glaube nicht, daß Seine Majestät eine lange Verlobungszeit wünscht.«
Tora stand auf.
Sie war sehr blaß, und jeder, der aufmerksamer war als der Großherzog, hätte in ihren Augen das Entsetzen bemerkt.
Tora trat neben ihren Vater und küßte ihn auf die Wange, ehe sie einen Knicks machte und sagte:
»Ich muß jetzt gehen, Papa, ich komme sonst zu spät zu meiner Musikstunde.«
»Nun, du wirst keine Musikstunden mehr brauchen, wenn du erst einmal verheiratet bist« erwiderte der Großherzog. »Also nütze es noch aus.«
Seine Tochter antwortete nicht.
Während er noch sprach, verließ sie sein Zimmer und schloß sehr leise die Tür hinter sich.
Dann lief sie entsetzt, fast so, als würde sie von Dämonen verfolgt, den Korridor entlang, der zu dem Teil des Palastes führte, in dem das Musikzimmer lag.
Erst als sie dessen Tür erreicht hatte, blieb sie einen Augenblick stehen und bemühte sich, zu Atem zu kommen, ehe sie den Türgriff niederdrückte und das Zimmer betrat.
Das Musikzimmer, das angebaut worden war, als man den Palast zur Zeit ihres Großvaters erneuerte, war sehr groß und ihrer Ansicht nach sehr luxuriös.
Am anderen Ende des Zimmers befand sich ein Podium, das Tora oft mit einer Theaterbühne verglich. Darauf stand ein riesiger Steinway-Flügel vor einem herrlichen Wandgemälde, das die schneebedeckten Berge von Salona zeigte.
Zu beiden Seiten des Podiums standen ionische Säulen aus rosarot geädertem Marmor, der aus den Bergen stammte.
Tora hielt ihn für viel attraktiver als den wertvollen grünen Malachit, den man in anderen Teilen des Palastes verarbeitet hatte.
Die roten plüschbezogenen Sessel waren jetzt beiseite geschoben. Sie wurden benutzt, wenn die Hofgesellschaft einem Konzert lauschte oder wenn sie, was selten geschah, von Opernsängern unterhalten wurden.
Tora ging über das gebohnerte Parkett zum Podium, wo der Professor saß und ein Volkslied spielte.
Die Radoslaver sangen es, wenn sie in den fruchtbaren Tälern arbeiteten oder an den unteren Abhängen der Berge Fichten fällten.
In sein Spiel vertieft, blickte der Professor erst auf, als Tora neben ihm stand.
Dann erhob er sich, und auf seinem Gesicht lag ein strahlendes Lächeln.
Sie war seine Lieblingsschülerin, und da er sie nun schon seit fast zehn Jahren unterrichtete, betrachtete Tora ihn als ein Familienmitglied, und sie wußte, daß er sie mehr liebte als seine eigenen Kinder oder irgendeinen seiner Verwandten.
»Verzeihen Sie, daß ich mich verspätet habe«, sagte sie. »Papa wollte mich sprechen.«
Der Professor verbeugte sich.
»Ich hatte schon gefürchtet, ich würde Eure Durchlaucht heute nicht sehen«, erwiderte er. »Ich habe Ihnen Neuigkeiten zu berichten, die Sie freuen werden.«
»Neuigkeiten?« fragte Tora und verschwieg zunächst ihre eigenen, über die sie mit ihm hatte sprechen wollen.
Ihr Vater hatte zwar gesagt, die Absichten König Raduls sollten geheim bleiben, aber vor dem Professor hatte sie keine Geheimnisse.
Er war nicht nur ihr Musiklehrer, sondern auch ihr Beichtvater, ihr Ratgeber, und sie sah in ihm ihren einzigen Freund.
Bei Hof war es unmöglich, mit jemandem wirklich befreundet zu sein, denn sie argwöhnte, daß sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater sich oft danach erkundigten, was sie tat und was sie dachte.
Weil sie wesentlich abenteuerlustiger war als ihr Bruder, der dem Großherzog sehr ähnelte und mit zunehmendem Alter genau wie dieser zu denken begann, beobachteten ihre Eltern sie immer mit einer gewissen Nervosität.
Sie lebte in ihrer Traumwelt und benahm sich sehr unkonventionell, wenn es ihr in den Sinn kam, und bei Hof betrachtete man alles Ungewöhnliche argwöhnisch.
Da Tora den Professor liebte, zwang sie sich jetzt dazu, zuerst seine Neuigkeiten anzuhören, ehe sie ihm von ihren erzählte.
Sie setzte sich auf einen Stuhl neben dem Flügel, und dies bedeutete, daß auch er sich wieder auf den Klavierhocker setzen konnte.
Er war ein gutaussehender Mann mit klaren Gesichtszügen und fülligem weißem Haar, das von seiner kantigen Stirn zurückgebürstet war.
Tora dachte oft, daß die Anzeichen des Alters auf seinem Gesicht seiner äußeren Erscheinung keinen Abbruch taten. Es war das Gesicht eines Idealisten und eines Mannes, der wie sie selbst eher in einer Traumwelt als in der Wirklichkeit lebte.
Seine langen, schmalen, feingliedrigen, sensiblen Finger konnten die zauberhaftesten Töne erzeugen, die das Herz rührten und ausdrückten, was in seinem Geist und in seiner Seele vorging. Sie hatte das bisher bei keinem anderen Menschen wahrgenommen.
Jetzt leuchteten seine Augen, als er sagte:
»Durchlaucht, wie Sie wissen, glaube ich manchmal, daß ich von der Welt vergessen wurde, seit ich alt geworden bin. Eine neue Generation ist seit der Zeit, in der ich berühmt war, herangewachsen, und ich höre selten etwas von einem der Höfe Europas, an denen ich früher sehr gefragt war.«
»Ich bin sicher, man hat Sie nicht wirklich vergessen, Professor«, sagte Tora leise.
»Das würde ich auch gern denken«, erwiderte der Professor. »Aber ich muß mir eingestehen, daß man selten mit mir Kontakt aufnimmt.«
Ein Ausdruck der Trauer lag in seinen Augen, ehe er fortfuhr:
»Aber jetzt, wo ich es am wenigsten erwartet hätte, erhielt ich eine Einladung an einen Hof, an dem ich seit mindestens zwanzig Jahren nicht mehr aufgetreten bin.«
»Und wo ist das?« fragte Tora.
»In Salona!« erwiderte er. »Der König hat darum gebeten, daß ich in drei Tagen mit meinem Quartett - ich muß sagen, es wundert mich, daß er je davon gehört hat - im Palast ein Konzert gebe und dies, wenn ich es recht verstanden habe, vor einem vornehmen Gast, der ausdrücklich nach mir verlangt hat. «
Als der Professor das Land nannte, in das er reisen sollte, keuchte Tora leise, aber der Professor bemerkte es nicht und fuhr fort:
»Das ist erfreulich, hocherfreulich. Aber es gibt eine Schwierigkeit dabei...«
Tora unterbrach ihn:
»Das ist merkwürdig. Über Salona wollte ich gerade mit Ihnen sprechen.«
Der Professor sah sie fragend an.
»Ich kam nämlich deshalb zu spät in die Musikstunde, weil Papa mich zu sich gebeten hat, um mir zu sagen, daß König Radul in zwei Wochen hier eintrifft und um meine Hand anhalten will.«
Der Professor starrte sie an, als habe er nicht richtig gehört. Dann sagte er mit einer merkwürdigen Stimme:
»Der König will Sie zur Frau nehmen?«
»Ja.«
»Aber das kann nicht wahr sein! Seine Majestät ist viel zu alt für Sie.«
»Ich weiß« erwiderte Tora. »Ich habe Papa gesagt, daß ich ihn nicht heiraten will, aber er wollte mir nicht zuhören, weil eine Verbindung zwischen Radoslav und Salona für unser Land von Vorteil wäre.«
Sie sprach wie ein Kind, das eine Lektion wiederholt.
Dann änderte sich plötzlich ihre Stimme, und sie rief:
»Professor, was soll ich nur tun? Ich will keinen alten Mann heiraten! Ich will meine Träume nicht aufgeben, daß ich jemanden finde, den ich lieben kann, jemanden, der versteht, was ich in der Musik ausdrücke, so wie Sie verstehen, was ich zu sagen versuche.«
Der Professor preßte sich die Hand an die Stirn.
»Ich kann nicht glauben, Durchlaucht, daß das, was Sie mir sagen, wahr sein soll.«
»Aber es ist wahr!« rief Tora. »Genau das hat sich Papa immer für Radoslav gewünscht, und was ich auch dagegen vorbringe, er wird mir nicht erlauben, den König abzuweisen, der nur deshalb eine junge Frau heiraten will, damit sie ihm noch einen Sohn schenkt.«
Es klang Bitterkeit aus ihren Worten. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Retten Sie mich, Professor! Bitte, retten Sie mich vor etwas, wovon ich weiß, daß es falsch ist und alles zerstören würde, woran ich glaube.«
Ihre Stimme klang so verzweifelt wie die eines Kindes, das sich ängstigt und sich an einen Erwachsenen wendet, um Trost und Sicherheit zu finden.
Der Professor legte seine Hand auf ihre Hand und sagte mit einer Stimme, die voll Mitgefühl und tief bewegt war:
»Wie kann ich Ihnen helfen? Was kann ich tun? Sie wissen, daß ich eher meinen rechten Arm, mein Leben hergeben würde, als daß ich Sie leiden ließe.«
»Es liegt nicht nur daran, daß der König so alt ist«, murmelte Tora. »Ich bin sicher, daß er ganz ähnlich ist wie Papa.... und in seinem Palast zu leben, wird so sein, als ob ich in einem Grab eingeschlossen wäre, aus dem es kein Entrinnen gibt.«
Sie wußte, daß der Professor sie verstand, denn wenn sie aus irgendeinem Grund unglücklich oder bekümmert gewesen war, hatte er oft zu ihr gesagt:
»Vergessen Sie, was Sie fühlen. Entrinnen Sie auf einem Zauberteppich, der Sie in eine Welt trägt, die so schön ist, daß Sie an nichts anderes denken als an die Blumen zu Ihren Füßen, die Sterne über Ihnen und an die schneebedeckten Gipfel der Berge, die man mit den Gedanken erreichen kann.«
Dann hatten sie zusammen musiziert, bis Tora das Gefühl hatte, in eine andere Welt versetzt worden zu sein, in der nichts sie verletzen konnte und in der es nichts Häßliches und Grausames gab.
Aber wie konnte sie das empfinden, wenn sie dem Mann gehören würde, der von ihr erwartete, daß sie ständig bei ihm war, und wenn ihre Pflichten als Königin unweigerlich ihre ganze Zeit in Anspruch nehmen würden?
»Was soll ich nur tun?« fragte sie leise. »Wie kann ich ihn abweisen?«
»Ich weiß nicht«, sagte der Professor bedrückt.
Er nahm seine Hand zurück und ließ seine Finger über die Tasten gleiten, fast so, als befragte er die Musik nach einer Antwort.
Dann sagte Tora, die plötzlich fand, daß es sehr egoistisch von ihr war, wenn sie nur an sich selbst dachte:
»Aber Sie fahren nach Salona, und Sie werden mir erzählen, wie es dort ist und ob der König so... schrecklich ist, wie ich es mir vorstelle.«
Es fiel ihr schwer, diese Worte auszusprechen.
Der Professor schlug einen lauten Akkord an und sagte zornig:
»Es ist unerträglich! Ich fahre nicht nach Salona! Ich werde mich entschuldigen und zu Hause bleiben.«
»Nein, nein, Professor, das dürfen Sie nicht tun! Nicht um meinetwillen. Es ist zu wichtig für Sie. Außerdem - wenn ich wirklich Papa gehorchen muß, kann ich Sie vielleicht manchmal sehen und spielen hören.«
»Manchmal«, wiederholte der Professor.
Sie wußte, daß er daran dachte, wie selten das geschehen würde, und wenn sie tatsächlich einmal Königin von Salona sein sollte, hätten sie kaum Gelegenheit, so ungezwungen wie jetzt miteinander zu reden.
Als dächte er laut nach, sagte er:
»Obwohl es eine große Ehre für Sie wäre, den König von Salona zu heiraten und in Radoslav alle Ihnen zujubeln würden, weiß ich, daß Sie, meine teure Prinzessin, viel zu sensibel sind, um einen Mann zu heiraten, der eine Generation älter ist als Sie.«
Es entstand ein kurzes Schweigen. Dann fragte Tora:
»Was für einen Eindruck hatten Sie von ihm, als Sie ihn zum letzten Mal sahen?«
»Wie ich schon sagte, das ist lange her«, erwiderte der Professor. »Aber ich habe natürlich viel von ihm gehört. Man spricht oft über ihn.«
»In welcher Hinsicht?«
Der Professor überlegte seine Worte sorgfältig, ehe er sagte:
»Vielleicht ist es am besten, wenn Sie die Wahrheit erfahren. Er hat sich mit seinem Sohn überworfen, weil Prinz Vulkan die Enge des Lebens am Hofe seines Vaters unerträglich fand.«
»Papa hat ihn anders geschildert«, murmelte Tora.
»Ich glaube, der Prinz ist fortschrittlich gesinnt wie abenteuerlustig«, sagte der Professor. »Jedenfalls verließ er vor einigen Jahren sein Land, und ist, soviel ich weiß, nicht wieder zurückgekehrt.«
»Deshalb also möchte der König noch einen Erben«, sagte sie mit belegter Stimme,
Die Miene des Professors verfinsterte sich, als er sagte:
»Es ist unerträglich, daß ausgerechnet Sie nicht um Ihrer Schönheit, Ihrer Intelligenz oder Ihrer Persönlichkeit willen geheiratet werden sollen, sondern nur weil Sie jung und in der Lage sind, Kinder zu gebären.«
Er sprach zornig, und Tora schlug die Hände vors Gesicht, sie unterdrückte mit übermenschlicher Anstrengung ihre Tränen.
Sie hatte schon als Kind Selbstbeherrschung gelernt, und sie sagte sich, daß es keinen Sinn hatte zu weinen, auch wenn sie dies gern getan hätte.
Sie mußte klar denken, um einen Ausweg aus ihrer mißlichen Lage zu finden. Nach einem Augenblick nahm sie die Hände vom Gesicht und sagte:
»Vielleicht gelingt es mir, wenn König Radul hier eintrifft, so häßlich und abstoßend auszusehen, daß er mich nicht mehr heiraten möchte.«
Noch während sie sprach, wußte sie, daß dies nur ein Wunschtraum war und sie eine Geschichte erfand, die in Wirklichkeit keine Grundlage hatte.
Außerdem hatte sie das unbehagliche Gefühl, daß es gleichgültig wäre, wie sie aussah.
Dem König ging es nur darum, eine junge Frau zu heiraten, die natürlich von guter Herkunft sein mußte und die ihm einen Sohn gebären konnte;
Der Professor mußte ahnen, was sie dachte, denn er unterbrach ihre Gedanken und sagte:
»Wir können nichts tun, Prinzessin. Aber ich werde nach Salona fahren und hoffentlich eine Nachricht mitbringen, die Sie aufheitert und die Dinge weniger unangenehm und beängstigend erscheinen läßt, als Sie es jetzt fürchten.«
Er schlug einen Ton auf dem Flügel an, bevor er sagte:
»Im Leben geht nichts ohne Schwierigkeiten ab. Für keinen von uns gehen die Dinge immer glatt.«
»Das ist wahr«, erwiderte Tora bitter.
»Auch ich habe meine Schwierigkeiten«, sagte der Professor, als wollte er sie von ihren Problemen ablenken. »Da ich übermorgen nach Salona aufbrechen werde, muß ich rasch noch einen Musiker für mein Quartett finden.«
»Warum?« fragte Tora.
Sie zwang sich dazu, interessiert zu erscheinen, weil Sie den Professor liebte und sie sich sagte, daß seine Nöte auch die ihren waren, was immer sie im Augenblick auch empfinden mochte.
»Simonida ist unglücklich gestürzt und hat sich den rechten Arm gebrochen«, erwiderte der Professor. »Es wird mindestens einen Monat dauern, bis sie wieder genesen ist.«
Tora wußte, daß Simonida, eine Verwandte des Professors, fast vierzig Jahre alt war. Sie spielte in seinem Quartett das Cello und war in Radoslav und in verschiedenen benachbarten Staaten sehr gefragt. Überall, wo sie auftrat, empfing man sie mit Ovationen, und die Zeitungen priesen die Qualität ihrer Darbietung. Das war einzig und allein dem Professor zu verdanken, wie Tora wußte.
Die drei Musiker, die er ausgewählt, ausgebildet und mit einem Teil seines eigenen Genius angefeuert hatte, waren versierte Künstler.
»Armer Professor!« rief sie. »Das tut mir leid für Sie. Ich weiß, wie schwer es Ihnen fallen wird, einen Ersatz für Simonida zu finden, die seit vielen Jahren mit Ihnen zusammen spielt.«
»Simonida ist untröstlich, wie Sie sich vorstellen können«, sagte der Professor, »und obwohl es einige junge Musiker gibt, die ich bitten könnte, mit mir nach Salona zu reisen, bleibt leider nur noch sehr wenig Zeit für Proben übrig, und dieser Auftritt ist so wichtig für mich.«
Er hielt inne und fügte dann fast unhörbar hinzu:
»Nicht nur für mich, sondern auch für Eure Durchlaucht.«
»Sie müssen unbedingt jemanden finden...«, begann Tora. Dann hielt sie inne und stieß einen leisen Schrei aus.
»Ich habe eine Idee! Das ist eine Fügung des Schicksals, und wir können sie nicht zurückweisen.«
»Was zurückweisen?« fragte der Professor.
»Ich werde Sie nach Salona begleiten.«
Der Professor starrte sie an, als könnte er nicht glauben, was er gehört hatte.
»Dies ist die perfekte Lösung meines Problems«, sagte Tora. »Ich werde den König kennenlernen, ohne daß er weiß, wer ich bin. Ich werde ihn beobachten können, wenn er sich ungezwungen gibt und sich nicht Papa überlegen zeigt und uns gönnerhaft behandelt, weil unser Land so viel kleiner ist als das seine. «
»Das dürfen Sie nicht tun!« rief der Professor.