Prophezeiungen für Jedermann - Nicole Gozdek - E-Book

Prophezeiungen für Jedermann E-Book

Nicole Gozdek

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Beschreibung

In einer Welt, in der es hunderte Auserwählte und Prophezeiungen gibt, führen Zacharias und seine Freundin ein ganz normales Leben. Als auch Zacharias ausgewählt wird, zum Orakel zu reisen und eine Prophezeiung für Jedermann zu erfüllen, ist er bereit, seine Bürgerpflicht zu tun und das magische Zeichen der Queste auf sich zu nehmen. Doch seine Prophezeiung ist nicht so harmlos, wie sie zunächst geklungen hat. Und während die anderen Auserwählten ihre Questen schon bald erfolgreich beenden, fragt sich Zacharias, ob er die seine jemals erfüllen und in sein altes Leben zurückkehren wird. Denn die Macht der Prophezeiung ist gefährlicher, als Zacharias je vermutet hätte ...

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Inhalt

Cover & Impressum

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Epilog

Glossar

Personenverzeichnis

Begriffe

2

Seine Finger zitterten, als er den Umschlag entgegennahm und aufriss. Obwohl es nichts Besonderes war, auserwählt zu werden – etwa jeder Fünfundzwanzigste musste im Laufe seines Lebens eine Prophezeiung erfüllen –, konnte er seine Aufregung und Sorge nicht unterdrücken. Er hatte nicht damit gerechnet, einen Brief zu bekommen, hatte gehofft, dass andere, die besser geeignet waren, ausgewählt werden würden, aber nicht er. Und besonders hatte er nicht zum jetzigen Zeitpunkt damit gerechnet – nicht in dieser wichtigen Phase, die über seinen zukünftigen Berufsweg entschied.

Und wenn es um etwas anderes ging?

Blödsinn! Das Komitee der Prophezeiungen für Jedermann hatte keine andere Aufgabe, als unter allen volljährigen Einwohnern von Narallia mittels Zufallsverfahren Sucher auszuwählen. Daher hätte er die Zeilen, die ihm jetzt in schnörkelloser Schrift entgegenstarrten, auch nicht lesen müssen, um zu wissen, worum es ging.

Sehr geehrter Mr East,

 

hiermit teilen wir Ihnen mit, dass Sie für eine Queste ausgewählt wurden. Bitte finden Sie sich am 13. Tag des Frühsommers um Punkt 9 Uhr am zentralen Bahnhof von Morina ein. Der Bürgertransporter wird Sie zum Orakel bringen.

Wir möchten Sie an Ihren Ihnen gesetzlich zustehenden Questen-Urlaub erinnern. Bitte unterrichten Sie Ihren Arbeitgeber und alle anderen Stellen, bei denen Sie Verpflichtungen haben, unverzüglich über Ihre Berufung – sie werden nicht automatisch über die Questen-Auswahl informiert.

Wie in Paragraf 2.1 im Staatlichen Gesetzbuch verankert, hat die Queste oberste Priorität und gehört zu Ihren vorrangigen Bürgerpflichten. Ein Fernbleiben oder Zuspätkommen bei Ihrem Termin hat schwere Strafen zur Folge und ist nur in absoluten, durch nicht kontrollierbare äußere Umstände herbeigeführten Ausnahmefällen (Tod, Koma) entschuldigt.

 

Mit freundlichen Grüßen

Das Komitee der Prophezeiungen für Jedermann

 

Zacharias ließ den Brief sinken, während sein Herz raste. Der 13. Tag des Frühsommers war bereits in zwei Tagen! Müsste das offizielle Schreiben nicht früher kommen, damit sich die Auserwählten um ihre Angelegenheiten kümmern konnten, bevor sie den Dienst antraten? Er fühlte sich wie ein Versager, weil er sich wünschte, mehr Zeit zu haben, sich besser vorbereiten zu können. Auch wenn es angesichts seiner Ängste vermutlich vergeudete Zeit war, wenn er es aufgrund seiner Prophezeiung mit Krabbelviechern zu tun bekäme.

Und was war mit seinem Sommerpraktikum bei Wolf & Partner? Er war bislang nicht offiziell bei ihnen angestellt, hatte nur einen Praktikumsvertrag. Würde es Auswirkungen auf seine Chancen haben, das Stipendium zu bekommen, wenn er Questen-Urlaub beantragte?

Brunhilde streckte ihre Hand aus und er reichte ihr das Schreiben wortlos. Während sie las, versuchte er, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn das unvorhergesehene Ereignis verunsicherte. Seine Liebste hatte sicherlich einen Plan für diesen Fall, hatte für jede Eventualität vorgesorgt, doch ihn überforderte die Situation und so wartete er nervös darauf, dass sie endlich etwas sagte.

»Bereits in zwei Tagen?«, meinte sie eine kleine Ewigkeit später nachdenklich und faltete das Papier wieder ordentlich zusammen. »Das heißt, du trittst deine Queste Mittwoch an – nicht optimal, aber daran lässt sich nichts ändern. An einem Montag oder Dienstag wäre noch schlechter gewesen. Wichtig ist, dass du deine Prophezeiung so schnell wie möglich erfüllst und nicht zu viel von deinem Praktikum verpasst. Aber das ist auch eine großartige Chance!«

»Eine Chance?«

»Aber ja! Überlege doch mal! Wenn du deine Prophezeiung vorzeitig beendest, am besten noch bis zum Wochenende, kannst du vor Ablauf der drei Wochen zu Wolf & Partner zurückkehren und beweist damit nicht nur dein Engagement und deine Gewissenhaftigkeit als Bürger, sondern auch als zukünftiger Stipendiat und hast darüber hinaus auch Bonuspunkte für deine spätere Einstellung gesammelt! Schließlich kann niemand zweimal für eine Queste ausgewählt werden. Du hättest deine Verpflichtung bereits hinter dir, bevor du offiziell bei ihnen eingestellt wirst oder wir eine Familie gründen! Das ist doch der perfekte Zeitpunkt dafür, findest du nicht auch?«

Brunhildes Augen funkelten, während sie das Blatt zurück in den Umschlag steckte und ihm das Schreiben reichte. Ihre Begeisterung war ansteckend und natürlich hatte sie wie erwartet gleich das Positive gesehen und ihm damit die Angst genommen. Oder zumindest den Teil in Bezug auf Wolf & Partner.

Er lächelte und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, während er in Gedanken schon das Gespräch mit Mr Hill am nächsten Tag übte, in dem er ihn von der Auswahl unterrichtete und den Questen-Urlaub beantragte.

 

Zum Glück war am Dienstag alles glattgegangen. Mr Hill hatte zwar nicht begeistert gewirkt und ihn noch ermahnt, dass sie von ihren Stipendiaten jederzeit überdurchschnittliche Leistungen erwarteten. Sollte das heißen, dass er das Stipendium vergessen konnte, wenn er nicht vor Ablauf der drei Wochen zurückkehrte? Durften sie das überhaupt verlangen? Immerhin standen ihm per Gesetz drei Wochen zu! Aber der kurzfristige Sonderurlaub war anstandslos genehmigt worden. Ein Problem weniger.

Seine übrigen Sorgen jedoch hielten ihn in der Nacht wach. Welche Aufgabe würde er erfüllen müssen? Würde er eine leichte Prophezeiung bekommen oder eine schwere? War das Orakel wirklich so Furcht einflößend, wie er es sich vorstellte? Es musste mindestens vierhundert Jahre alt sein und hatte im Krieg der Magischen gegen die Menschen gekämpft. Es war das letzte überlebende Orakel der Magischen. Hasste es sie deswegen und versuchte es, den Menschen zu schaden? Dass das Orakel launisch sein sollte, war allgemein bekannt. Er konnte nur hoffen, dass er nichts tat oder sagte, womit er sich seinen Zorn zuzog.

Und wie sah die Umgebung aus, wo das Orakel lebte? Es wurde von allen Menschen und Magischen abgeschottet. Nur seine Wächter, die Mitglieder des Komitees und die Auserwählten gelangten zu ihm. Das hieß vermutlich, dass es von hohen Mauern, Eisen und zahlreichen Siegeln umgeben war, oder? Wie groß war wohl die Wahrscheinlichkeit, dass eines der Siegel auch die Krabbelviecher fernhielt? Es existierten entsprechende Siegel. In Terallia, Morina und anderen Städten fand man sie an jeder Tür und an jedem Fenster. Zacharias hatte sich daher als Kind nur selten rausgetraut – dorthin, wo die Monster lebten, wie er es genannt hatte.

 

Mittwochmorgen fühlte er sich wie gerädert und musste sich zum ersten Mal zwingen, um fünf Uhr aufzustehen. Nach dem Duschen ging er wie immer zum Bäcker und frühstückte gemeinsam mit Brunhilde und ihren Eltern. Alle drei taten so, als wäre es ein ganz gewöhnlicher Tag, und diskutierten, was es abends zum Essen geben sollte.

»Du bist doch pünktlich zu Hause, oder?«, fragte Brunhilde, wartete seine Antwort aber nicht ab, um auf eine Frage ihrer Mutter ihre Meinung kundzutun.

Erwartete Brunhilde etwa, dass er seine Prophezeiung innerhalb eines Tages erfüllte? Oder wie war das gemeint? Hatte das überhaupt schon mal jemand geschafft?

Er wagte nicht, darauf etwas zu erwidern, sondern verabschiedete sich um sieben Uhr, um nach Morina zu fahren. Den zentralen Bahnhof der Hauptstadt kannte er natürlich, immerhin lag Terallia keine Stunde außerhalb des Stadtzentrums von Morina. Daher war er auch bereits kurz vor acht da – viel zu früh, aber besser so, als durch einen dummen Zufall zu spät zu kommen und bestraft zu werden.

An der angegebenen Plattform warteten bereits über zwei Dutzend Menschen. War er etwa doch zu spät dran? Sein Herz raste los bei dem Gedanken, er könnte sich in der Uhrzeit geirrt haben.

»Fahren Sie auch mit dem Bürgertransporter um acht Uhr?«, erkundigte sich ein blonder Mann um die dreißig freundlich bei ihm und Zacharias atmete durch. Er hatte nichts falsch gemacht, die Wartenden fuhren lediglich vor ihm ab. Der Mann schien die Wartezeit mit etwas Geplauder überbrücken zu wollen und Zacharias war ihm nur zu gerne zu Diensten.

»Nein, ich fahre erst um neun Uhr. Ich bin etwas zu früh dran.«

»Verständlich. Ich stehe auch schon seit kurz vor sieben hier. Zu diesem Termin darf man einfach nicht zu spät kommen.«

»Da haben Sie recht.«

Sie tauschten noch ein paar persönliche Informationen aus – wie sie hießen, woher sie kamen, was sie beruflich machten, beziehungsweise in Zacharias’ Fall, was er mal werden wollte, nämlich Bilanzbuchhalter bei Wolf & Partner – und keine fünf Minuten später kam auch schon der schwer gesicherte Transporter. Zwei bewaffnete Wächter der Eliteeinheit, die gemeinhin unter dem Namen Magieblocker bekannt war, sprangen heraus und sorgten mit ihren Gewehren, der Anti-Magie-Rüstung aus mit Siegeln besetztem Eisen und ihren finsteren Blicken dafür, dass sofort alle Wartenden verstummten.

»Auserwählte für die Abfahrt um acht Uhr mögen ihre Ausweise bereithalten! Alle, die für die Abfahrt um neun Uhr oder später herbestellt sind, warten hier, verstanden? In einer Reihe aufstellen und vortreten! Beeilung!«

»Viel Glück!«, wünschte Zacharias seinem neuen Bekannten Theodor schnell noch, bevor er zurücktrat.

Innerhalb von fünf Minuten hatten die Wächter alle Einsteigenden überprüft, zwei junge Männer rausgeschmissen und verwarnt, die um neun Uhr abfahren sollten, aber nicht auf sie gehört hatten, und schlossen dann den Einstieg. Zwei Minuten nach acht sah Zacharias bereits nur noch die Rücklichter.

Dann hieß es wieder warten. Leider dieses Mal in nicht so angenehmer Gesellschaft. Die beiden jungen Männer, die den Elitesoldaten nicht gehorcht hatten, wirkten arrogant und empörten sich jetzt darüber, wie man mit ihnen umgesprungen war. Auf die Idee, dass man sie nicht ungeplant und ohne Aufsicht auf einem Hochsicherheitsgelände warten lassen würde, kamen sie nicht und Zacharias wies sie auch nicht darauf hin.

Besonders der dunkelhaarige Mann mit dem attraktiven Gesicht und dem etwas zu langen Haar schien sehr von sich überzeugt zu sein, während sein blonder Kumpel alles abnickte, was sein Freund sagte. Zacharias wusste sofort, dass sie zu den Individuen gehörten, die sich nicht einfach so der Gemeinschaft und dem Gemeinwohl unterordneten, sondern überall eine Sonderbehandlung erwarteten. Ihr Verhalten war nicht direkt aufsässig, kratzte aber an den Grenzen des Erlaubten.

Und dann ließ der Dunkelhaarige doch tatsächlich ein Taschentuch auf den Boden fallen!

Zacharias starrte das Papiertuch einen Moment lang ungläubig an. Sollte er es ansprechen? Vielleicht hatte der Mann es auch einfach nicht bemerkt?

»Entschuldigen Sie! Sie haben Ihr Taschentuch fallen lassen.«

Der Dunkelhaarige warf ihm einen kurzen Blick zu, Zacharias deutete auf den Müll und der Mann wandte sich ab, um das Gespräch mit seinem Kumpel wiederaufzunehmen.

»Äh, denken Sie nicht, Sie sollten es aufheben und in den Mülleimer werfen?«

Gereizt fuhr der Mann zu ihm herum. »Sehe ich aus wie ein Mitarbeiter der Müllabfuhr? Keine Sorge, das schreckliche, die Ordnung aufs Gröbste gefährdende Ding wird nicht lange dort liegen. Die Kollegen vom Ordnungsdienst kümmern sich darum.«

»Aber …«

»Falls Sie jedoch denken, dass die Ordnung von Narallia unmittelbar bedroht ist, steht es Ihnen natürlich frei, sich selbst zu bücken und es in den Mülleimer zu werfen.«

Der Dunkelhaarige schnaubte und murmelte etwas zu seinem Kumpel, das wie »armseliger Ordnungsliebhaber ohne Leben« klang, und Zacharias lief rot an. Übertrieb er es? Er hätte nie absichtlich oder zufällig Müll fallen lassen und dann darauf gesetzt, dass sich andere um die Beseitigung des Drecks kümmerten.

Skeptisch beäugte er das Papiertaschentuch. Wie schlimm war der Verstoß des Dunkelhaarigen? Er hatte in der Schule gelernt, dass sie niemals Müll herumliegen lassen durften, sondern stets alles in einen magisch versiegelten, Schadstoffe absorbierenden und Insekten abweisenden Mülleimer werfen sollten. Noch nie hatte er erlebt, dass irgendwo einfach etwas auf dem Boden herumlag, das in den Abfall gehörte. Stets hatte derjenige, der etwas fallen gelassen hatte, es selbst entsorgt.

Würden die beiden ihn wieder auslachen, wenn er sich bückte und es aufhob?

Nun, sie lachten jetzt schon und es war mehr als deutlich, über wen.

Dreh dich um, dreh dich um! Ignorier es einfach!, sagte er zu sich selbst. Doch mit jeder Sekunde, die er das Taschentuch auf dem Boden ignorierte, wurde das Kribbeln auf seiner Haut stärker, und er glaubte ein Summen wie von Fliegen zu hören. Und da! War da nicht etwas hauchzart mit einem Fühler über seinen Arm gestrichen? Warum hatte er bloß ein kurzärmeliges Hemd angezogen und nicht seinen Anzug? Ach ja, weil das Orakel Anzugtypen besonders schwierige Prophezeiungen gab, das hatte das Komitee statistisch ausgewertet, und er hatte erst gestern alle Tipps verschlungen, die sie auf ihren Informationsblättern zum Thema »Hinweise und Richtlinien für Auserwählte« veröffentlicht hatten und die in jeder Bibliothek auslagen.

Das hatte er nun davon. Krabbelviecher konnten sich über seine bloße Haut hermachen!

Er erschauderte. Natürlich waren da keine Insekten auf seiner Haut oder um ihn herum – er hatte sorgfältig geguckt –, aber er ertrug es nicht länger. Er musste dafür sorgen, dass es aufhörte.

Zacharias bückte sich, hob das Taschentuch – Igitt, Rotz! – auf, trug es zum Mülleimer, legte eine Hand auf das Öffnungssiegel und warf es hinein. Anschließend holte er sein Desinfektionsspray heraus, das er immer bei sich trug, und sprühte seine Hände und Arme gründlich ein. Erst danach atmete er erleichtert aus. Das juckende Gefühl auf seiner Haut war verflogen, dafür brannte sie jetzt vor Verlegenheit, als der Dunkelhaarige und sein Kumpel ihn auslachten.

»Welch ein erbärmlicher Versager!«

Fast wäre Zacharias in die Luft gesprungen, als er unerwartet eine Hand auf seiner geprellten Schulter spürte. Die Berührung schmerzte ein wenig – die blauen Flecken von Montag waren noch nicht verschwunden, sondern hatten sich grün-gelblich verfärbt –, aber die Frau hatte die Geste eindeutig tröstend gemeint.

»Machen Sie sich nichts draus. Leute wie die haben eine große Klappe, aber sie werden es nie zu etwas bringen. Sie haben das Richtige getan.« Die Rothaarige schenkte ihm ein Lächeln und wandte sich dann wieder dem Kind an ihrer Hand zu. »Siehst du, Balthasar? So macht man es richtig. Ein ordentlicher Bürger geht nicht an Unordnung vorbei und verlässt sich nicht darauf, dass andere für ihn aufräumen. Er bringt selbst den Müll weg und räumt sein Zimmer auf.«

Der Fünfjährige nickte schweigend und musterte Zacharias mit scheuem Blick, den jener mit einem verlegenen Lächeln erwiderte. Da ihm kein Gesprächsthema einfiel und er die Familie auch nicht stören wollte, begann Zacharias langsam die Haltestelle zu umrunden, um sich die Zeit zu vertreiben. Er hatte nicht bemerkt, wie viel Gesellschaft sie auf der Plattform bekommen hatten.