Psychisch Kranke zu Hause versorgen - Gerhard Längle - E-Book

Psychisch Kranke zu Hause versorgen E-Book

Gerhard Längle

0,0

Beschreibung

Die Stationsäquivalente Behandlung (StäB) hat sich als Variante der psychiatrischen Akutbehandlung seit 2018 in vielen psychiatrischen Kliniken etabliert. In der 2. Auflage dieses Werks wurden Erfahrungen aus der Praxis der letzten drei Jahre in den Kliniken Südwürttembergs und des Bundesgebiets in die theoretischen Grundlagen und gesetzlichen Rahmenbedingungen integriert. Sie bieten wertvolle Hinweise und Vorschläge zum Auf- und Ausbau der StäB an der eigenen Klinik. Auch die Sicht der Betroffenen wurde im Rahmen eines Erfahrungsberichts und einer Stellungnahme berücksichtigt. Erste Forschungsergebnisse ergänzen den aktuellen Sachstand. Das Handbuch dient somit nicht nur als Grundlagenwerk, sondern auch als Nachschlagewerk für alle, die bereits selbst in der Umsetzung von StäB aktiv sind und sich dabei täglich mit neuen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 274

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Autorinnen

Prof. Dr. med. Gerhard Längle: Psychiater und Psychotherapeut. Regionaldirektor Alb-Neckar im ZfP Südwürttemberg sowie Geschäftsführer der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik (PP.rt) und der Gesellschaft für Gemeindepsychiatrie (GP.rt) Reutlingen; Beteiligung an der Verhandlung der Rahmenvereinbarung auf Seiten der DKG, Sprecher der AG StäB der DGPPN; Verantwortlich für die Einführung und Umsetzung der stationsäquivalenten Behandlung im ZfP Südwürttemberg und der PP.rt.

Martin Holzke: Pflegewissenschaftler, Pflegedirektor Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie I Universität Ulm, Weissenau im ZfP Südwürttemberg; Koordinator der beiden Erprobungsprojekte sowie Mitglied der übergeordneten Arbeitsgruppe StäB; Koordinator der Arbeitsgruppe StäB der Deutschen Fachgesellschaft für psychiatrische Pflege (DFPP).

Melanie Gottlob: Magister Artium (M. A.) Pädagogik, Psychologie und Soziologie, Master of Arts (M. A.) Management von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen, Koordination StäB und Stabstelle BTHG im ZfP Südwürttemberg, Mitglied der übergeordneten Arbeitsgruppe StäB.

Svenja Raschmann: Psychologin (M. Sc.), Wiss. Mitarbeiterin und Projektkoordinatorin der südlichen Studienzentren der AKtiV-Studie, Assistentin der Regionaldirektion Alb-Neckar sowie des Zentralbereichs Pflege und Medizin ZfP Südwürttemberg, Mitglied der übergeordneten Arbeitsgruppe StäB.

Mit Gastbeiträgen von Frau Dr. Johanna Baumgardt, Prof. Dr. Andreas Bechdolf, Prof. Dr. Isabel Böge, Dr. Raoul Borbé, A. D., Dr. Dieter Grupp und Rainer Höflacher.

Gerhard LängleMartin HolzkeMelanie GottlobSvenja Raschmann

Psychisch Kranke zu Hause versorgen

Handbuch zur Stationsäquivalenten Behandlung (StäB)

2., erweiterte und überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbeipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtsverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hinweise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtsverletzungen bekannt werden, werden die betroffenen externen Links soweit möglich unverzüglich entfernt.

2., erweiterte und überarbeitete Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-041142-5

E-Book-Formate:

pdf:           ISBN 978-3-17-041143-2

epub:        ISBN 978-3-17-041144-9

Geleitwort zur 1. Auflage

 

 

Seit vielen Jahren wird von Betroffenen, Angehörigen und Experten die Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen im häuslichen Umfeld gefordert. Auch die Psychiatrie-Enquête 1975 fokussierte auf den Leitgedanken, dass ambulante Behandlung auf jeden Fall den Vorrang vor der stationären Behandlung habe.

Die internationale Studienlage belegt, dass Behandlungsformen im häuslichen Umfeld, wie Hometreatment oder Assertive Community Treatment, evidente Wirksamkeitsnachweise im Vergleich mit der stationären Behandlung auf die Behandlungsbereitschaft sowie die Patienten- und Angehörigenzufriedenheit haben. Hinsichtlich Symptomreduktion und sozialer Funktionsfähigkeit sind sie mindestens gleichwertig gegenüber einer herkömmlichen stationären Behandlung. Aufsuchende Behandlungsformen ermöglichen darüber hinaus ein besseres Verständnis für den Einzelnen hinsichtlich Symptomatik, Verlauf, soziale Bedingungen und individuelle Bedürfnisse, da die Behandlung im unmittelbaren Lebensumfeld der Betroffenen stattfindet. Die unmittelbare Unterstützung im häuslichen Kontext scheint einen selbstverständlicheren Umgang mit der Krise zu ermöglichen, Patienten und ihren Angehörigen Sicherheit zu geben und deren Fertigkeiten im Umgang mit Problemen zu stärken.

Die S3-Leitlinie »Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Störungen« der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) basierend auf der internationalen Studienlage empfiehlt ebenfalls eine Behandlung zu Hause mit hohem Evidenzgrad.

Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) hat der Gesetzgeber mit dem §115d SGB V Kliniken mit regionaler Pflichtversorgung die Möglichkeit gegeben, anstelle der vollstationären Behandlung eine neue Versorgungsform, die stationsäquivalente psychiatrische Behandlung erbringen zu können. Zugleich eröffnet er die Chance, in geeigneten Fällen, insbesondere, wenn dies der Behandlungskontinuität dient oder aus Gründen der Wohnortnähe sachgerecht ist, Leistungen an ambulante Träger zu delegieren.

Mit der stationsäquivalenten Behandlung hat der Gesetzgeber eine erste Tür geöffnet, die Krankenhausbehandlung weiter zu »ambulantisieren« und Behandlungsmöglichkeiten flexibler, je nach Krankheitsverlauf der Patient*innen, auszurichten.

Mit der Möglichkeit, ambulante Leistungserbringer in die stationsäquivalente Behandlung mit einzubeziehen, ist ein erster Schritt in eine verbindliche, strukturierte, sektorübergreifende Kooperation möglich.

Trotz der offensichtlichen Vorteile dieser neuen Behandlungsform, die Kliniken mit regionaler Versorgungsverpflichtung seit dem 1. Januar 2018 umsetzen können, gibt es bei vielen Kliniken zahlreiche Fragen und Unsicherheiten bezüglich der Zielgruppen, der Umsetzung im eigenen Haus und der Finanzierung durch die Krankenkassen.

Die Leistungserbringer im ambulanten Sektor, Nervenärzte, Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, psychologische Psychotherapeuten, ambulante psychiatrische Pflege, ambulante Soziotherapie sowie Leistungserbringer aus dem SGB XII Bereich erleben darüber hinaus die Möglichkeit der stationsäquivalenten Behandlung als unnötige Kompetenzerweiterung des Krankenhauses in den ambulanten Sektor hinein, da sie selbst mit hoher Professionalität aufsuchende Angebote in Kontinuität der Betreuung und Koordination der Maßnahmen umsetzen.

Die DGPPN hat im Juni 2017 gemeinsam mit BDK, ackpa, LIPPs, DGGPP, BFLK und DFPP ein erstes Positionspapier zur Leistungsbeschreibung herausgegeben. Eine Arbeitsgruppe der Fachgesellschaften und Klinikverbände hat gemeinsam mit den Leistungserbringern aus dem ambulanten Bereich Empfehlungen erarbeitet, wie die Kooperation der Kliniken mit den ambulanten Leistungserbringern bei der stationsäquivalenten Behandlung umgesetzt werden kann. Dieses wurde im Mai 2018 veröffentlicht (Anhang 1).

Vor dem Hintergrund der großen Chance, die StäB für die Verbesserung der Versorgung psychisch erkrankter Menschen bringen kann, und der gleichzeitigen Verunsicherung der Leistungserbringer ist das Handbuch zur stationsäquivalenten Behandlung eine hervorragende Initiative, ein kompaktes Nachschlagewerk mit sehr konkreten Anleitungen zur Umsetzung.

Den Autor*innen und Herausgeber*innen gilt Dank, dass sie die vielen Fragen, die in den motivierten Kliniken, die alsbald StäB umsetzen wollen, immer wieder gestellt werden, mit ihren internationalen und nationalen Erfahrungen anschaulich beantworten.

Gesetzliche Grundlagen, Vereinbarung der Selbstverwaltung, Beschreibung der Zielgruppe und vor allem eine sehr konkrete Anleitung zur Umsetzung, machen dieses Handbuch zu einem Grundlagenwerk stationsäquivalenter Behandlung. Die eigenen jahrelangen Erfahrungen aus den Zentren für Psychiatrie Südwürttemberg machen beim Lesen Mut, in den eigenen Kliniken das Projekt stationsäquivalente Behandlung umzusetzen.

Allen Autor*innen und Herausgeber*innen sei für diese Initiative gedankt, verbunden mit dem Wunsch, dass die Leser des Handbuchs motiviert werden, die Chance, die der Gesetzgeber uns mit den stationsäquivalenten Leistungen eröffnet hat, zeitnah umzusetzen, um die Versorgung für Menschen mit psychischen Erkrankungen um eine wesentliche Behandlungsform im häuslichen Umfeld zu ergänzen.

Dr. med. Iris HauthGeschäftsführerin und Ärztliche Direktorin der Alexianer St. Josephs Krankenhaus Berlin-Weißensee GmbH; als Past President Mitglied des Vorstandes der DGPPN

Vorwort zur 2. Auflage

 

 

Liebe Leserinnen,

im Jahr 2018 wurde die 1. Auflage dieses Handbuchs erarbeitet und veröffentlicht. Damals war die stationsäquivalente Behandlung (StäB) in Deutschland noch weitgehend Neuland. Wir hatten aus den Modellprojekten einige Vorerfahrung gesammelt und gründeten darauf basierend unsere Konzepte. Aber erst wenige Monate später konnten wir auch konkrete Umsetzungserfahrung vorweisen. StäB wurde von vielen noch als ein sehr zartes Pflänzchen mit ungewisser Zukunft betrachtet.

Mittlerweile sind knapp drei Jahre vergangen und es ist, darin waren sich Autoren und Verlag einig, dringend notwendig, eine 2., stark überarbeitete Auflage herauszugeben. Denn wir wollen mit diesem Handbuch am Puls der Zeit sein, Sie mit den aktuellen Entwicklungen vertraut machen und der Umsetzung von StäB in Deutschland weiterhin neue Impulse geben.

In unseren Einrichtungen in Südwürttemberg können wir mittlerweile auf weit über 1.500 Behandlungen in dieser neuen aufsuchenden Form der Akutbehandlung zu Hause zurückschauen. Wir verfügen über persönliche Erfahrungen, über Zahlen und Fakten und auch über wissenschaftlich erhobene Rückmeldungen unserer Patientinnen. Aus dem Pflänzchen ist ein Baum mit tragfähigem Stamm und stabilen Ästen geworden.

Auf Bundesebene hat sich die anfangs kleine Interessengruppe StäB etabliert und führt als Facharbeitsgruppe der DGPPN eine lebhafte Diskussion um die beste Umsetzung von StäB und tauscht Erfahrungen und Konzepte aus.

Im Rahmen des Innovationsfonds des GBA wird die sogenannte AKtiV-Studie als multizentrische Studie zur umfassenden Erforschung der Implementierung und der Wirksamkeit von StäB durchgeführt. Studienbeginn war im Sommer 2020, erste Ergebnisse werden 2022 vorliegen (Baumgardt et al. 2020, 2021). Auch in den wissenschaftlichen Fachzeitschriften wurde StäB durch eine Reihe von Veröffentlichungen in den letzten beiden Jahren viel Aufmerksamkeit gewidmet. Die neueste Literatur ist in den Verweisen zu den einzelnen Kapiteln entsprechend eingearbeitet.

Manche Bundesländer haben sich in ihrer Landeskrankenhausplanung mit StäB befasst und in dem einen oder anderen Bundesland wurden klare und verlässliche Strukturen zur planerischen Umsetzung von StäB geschaffen.

Parallel zu diesen Entwicklungen wurde die neue Behandlungsform schon in ihren ersten beiden Umsetzungsjahren einem maximalen Stresstest ausgesetzt: Die Corona-Pandemie war auch für die Einführung und Entwicklung von StäB eine Herausforderung. Zum einen hatten die Kliniken plötzlich ganz andere und grundsätzliche Probleme und Sorgen, zum anderen war die Frage zu beantworten, ob StäB unter Corona-Bedingungen möglich – oder vielleicht sogar geboten – ist.

Da sich all dies in den vergangenen drei Jahren entwickelt und ergeben hat, haben wir uns zu dieser 2. Auflage entschlossen.

Wir wollen weiterhin ein überschaubares, handhabbares und leicht zu lesendes Handbuch vorlegen. Aus diesem Grund haben wir an Stellen, wo neue Kapitel notwendig waren, alte Kapitel gestrichen oder ersetzt. Strategien und Konzepte wichen der Beschreibung von Umsetzungserfahrungen und bewährten Prozessen. Die o. g. neuen Themen wurden als eigene Kapitel aufgenommen. Gestärkt wurde auch der uns sehr wichtige Blickwinkel der Betroffenen, einerseits durch entsprechende Statements von Vertretern entsprechender Organisationen, andererseits durch die Darstellung von neuesten Forschungsergebnissen.

Wir hoffen, dass wir auch mit dieser Auflage Ihr Interesse getroffen haben und dass wir mit Ihnen gemeinsam der stationsäquivalenten Behandlung zu einer weiteren Verbreitung helfen können. Wir sind überzeugt, dass dies für unsere Patientinnen von hoher Bedeutung ist. Zudem haben wir die Erfahrung gemacht, dass der Arbeitsplatz psychiatrisches Krankenhaus durch StäB eine neue Attraktivität gewinnt.

Im Folgenden wird zur Bezeichnung gemischtgeschlechtlicher Personen und Gruppen aus Gründen der Lesbarkeit abwechselnd pro Sinnabschnitt die männliche und weibliche Form verwendet. Gemeint sind stets alle Geschlechter.

Südwürttemberg, im Herbst 2021Die Autorinnen

Literatur

Baumgardt J, Schwarz J, Bechdolf A et al. (2021) Implementation, efficacy, costs and processes of inpatient equivalent home-treatment in German mental health care (AKtiV): protocol of a mixed-method, participatory, quasi-experimental trial. BMC Psychiatry 21(1): 173.

Baumgardt J, Schwarz J, von Peter S et al. (2020) Aufsuchende Krisenbehandlung mit teambasierter und integrierter Versorgung (AKtiV). Nervenheilkunde 39(11): 739–745.

Die Gastbeiträger

 

 

Dr. phil. Johanna Baumgardt: Sozialwissenschaftlerin (M. A.), Wissenschaftlerin und Forschungskoordinatorin an den Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik mit Vivantes Klinikum Am Urban und Vivantes Klinikum im Friedrichshain, Akademische Lehrkrankenhäuser Charité – Universitätsmedizin Berlin, wissenschaftliche Mitarbeiterin der AG Sozialpsychiatrische & partizipative Forschung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Prof. Dr. med. Andreas Bechdolf: M. Sc. Gesundheitsökonomie und Krankenhausmanagement, Psychiater und Psychotherapeut. Chefarzt an den Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik mit Vivantes Klinikum am Urban und Vivantes Klinikum im Friedrichshain, Akademische Lehrkrankenhäuser Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Prof. Dr. med. Isabel Böge: Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Chefärztin der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, ZfP Südwürttemberg.

Dr. med. Raoul Borbé: MHBA, Psychiater und Psychotherapeut. Leitet den Regionalen Geschäftsbereich Arbeit und Wohnen Ravensburg-Bodensee, ZfP Südwürttemberg.

A. D.: StäB-Erfahrene

Dr. med. Dieter Grupp: MBA, Dipl. Psychologe, Psychiater und Psychotherapeut. Geschäftsführer ZfP Südwürttemberg und ZfP Reichenau.

Rainer Höflacher: Vorsitzender des Landesverbands Psychiatrie-Erfahrener Baden-Württemberg (LVPEBW) e. V. Mitglied im Landesarbeitskreis Psychiatrie des Landes Baden-Württemberg, Ausschussmitglied im Hilfsverein für seelische Gesundheit BW.

Inhaltsverzeichnis

 

 

Geleitwort zur 1. Auflage

Vorwort zur 2. Auflage

Die Gastbeiträger

1   Einleitung

2   Gesetzliche Grundlagen und Vereinbarungen der Selbstverwaltung

2.1   PsychVVG – Gesetz und Begründung

2.2   Rahmenvereinbarung zwischen DKG und GKV-Spitzenverband

2.3   Umsetzungsempfehlungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG)

2.4   OPS

2.5   Krankenhausplanerischer Umgang mit StäB

3   Kritische Einordnung

3.1   Politische Einordnung

Dieter Grupp

3.2   Einordnung in nationale und internationale Ansätze der aufsuchenden Behandlung

Raoul Borbé

3.2.1   Historische Entwicklung: die Klinik als Ort der Behandlung

3.2.2   Aufsuchende Behandlung in Deutschland

3.2.3   Internationale Ansätze aufsuchender Behandlung

3.2.4   Zusammenfassende Einordnung

3.3   Einordnung der StäB aus der Perspektive der Betroffenen

3.3.1   StäB und weitere Aspekte von aufsuchender Hilfe aus Sicht des Landesverbandes Psychiatrie-Erfahrener Baden-Württemberg

Rainer Höflacher

3.3.2   Erfahrungsbericht einer Psychiatrie-Erfahrenen mit StäB

A. D. im April 2021

3.4   Einordnung der StäB aus der Perspektive der Angehörigen

3.4.1   Bezug zu Fallbeispielen

3.4.2   Daten aus einer Zufriedenheitsbefragung

4   Beschreibung der Zielgruppe

4.1   Allgemeine Grundlagen

4.1.1   F00-F09 Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen

4.1.2   F10-F19 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen

4.1.3   F20-F29 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen

4.1.4   F30-F39 Affektive Störungen

4.1.5   F40-F48 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen

4.1.6   F60-F69 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen

4.1.7   F70-F79 Intelligenzstörung

4.2   Indikationsstellung und Therapiezielplanung

4.2.1   Indikation zur stationären Behandlung

4.2.2   Indikationsstellung zur stationsäquivalenten Behandlung (StäB) bei Vorliegen der stationären Behandlungsbedürftigkeit

4.2.3   Therapiezielplanung

4.3   StäB in der Kinder- und Jugendpsychiatrie

Isabel Böge

4.3.1   Beschreibung der Zielgruppe

4.3.2   Indikationsstellung und Therapiezielplanung

5   Einführung und Umsetzung der StäB

5.1   Budgetierung und Ressourcenplanung

5.1.1   Personalbedarf und Kalkulation des Personalaufwandes

5.1.2   Technische Ausstattung

5.1.3   Verwaltung, Organisation und Logistik

5.2   Personalgewinnung

5.3   Personalorganisation

5.4   Dokumentation

5.5   Krisenplanung

5.6   MDK-Strategie

5.7   Finanzierungsstrukturen

5.8   Kooperation mit Niedergelassenen und Institutionen der Sozialpsychiatrie

5.9   Häufig gestellte Fragen

6   Erfahrungen aus der Praxis sowie erste Forschungsergebnisse und Behandlungsdaten

6.1   Beispielhafte Organisation und Aufbau eines StäB-Teams in Südwürttemberg

6.2   Routinedaten der bis Ende 2020 behandelten 1.000 Fälle in der Erwachsenenpsychiatrie am ZfP Südwürttemberg und der PP.rt Reutlingen

6.3   Ergebnisse aus ersten Patientenbefragungen zur Behandlungszufriedenheit in StäB

6.4   Aufsuchende Krisenbehandlung mit teambasierter und integrierter Versorgung (AKtiV) – Eine multizentrische kontrollierte Beobachtungsstudie zur Evaluierung stationsäquivalenter psychiatrischer Behandlung

Johanna Baumgardt und Andreas Bechdolf stellvertretend für die AKtiV-Forschungsgruppe

6.5   StäB in Zeiten der Corona-Pandemie

7   Zusammenfassung und Ausblick

Anhang

Anhang 1: Gemeinsames Eckpunktepapier zur stationsäquivalenten Behandlung (StäB)

Anhang 2: Kriterienkatalog

Anhang 3: Fragebogen zur Patientenzufriedenheit in StäB

1          Einleitung

 

 

Der Erfolg hat bekanntlich viele Mütter und Väter. Dies gilt auch für die Einführung der stationsäquivalenten Behandlung (StäB). Im Rahmen des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) kann sie seit dem 01.01.2018 durch psychiatrische Kliniken und psychiatrische Abteilungen mit Versorgungsverpflichtung in Deutschland durchgeführt werden.

Die Grundidee kann man bereits dem Bericht der Psychiatrie-Enquête von 1975 (Deutscher Bundestag 1975) entnehmen. Die Grundsätze der gemeindenahen Versorgung und der Leitgedanke »ambulant vor stationär« sind bereits dort zu finden, wenngleich eine Akutbehandlung im häuslichen Umfeld die Vorstellungskraft der Autorinnen zum damaligen Zeitpunkt noch überstiegen hat. Über die Einrichtung von Tageskliniken und psychiatrischen Institutsambulanzen wurde seitdem jedoch der Weg gebahnt in Richtung einer gemeindeintegrierten Versorgung psychisch kranker Menschen, unterstützt durch flankierende Maßnahmen in der Eingliederungshilfe und Pflege. Seit Beginn des dritten Jahrtausends war es im Rahmen von Modellprojekten nach § 140 SGB V (Integrierte Versorgung) und später nach § 64 b SGB V möglich, eine aufsuchende Behandlung zu Hause zu erproben und darin Erfahrungen zu sammeln. Die Intensität der Behandlung im häuslichen Umfeld sollte dabei immer deutlich höher sein, als dies durch die psychiatrischen Institutsambulanzen möglich war. In einzelnen Regionen konnten sogenannte Regionalbudgets vereinbart werden, die eine umfassende Erprobung solcher Strukturen mit fließendem Übergang zur stationären Behandlung ermöglichten (Faulbaum-Decke und Zechert 2010; Nolting und Hackmann 2012; König et al. 2010; Deister und Wilms 2014; von Peter et al. 2019; Schwarz et al. 2021).

Unterstützt wurden die positiven Erfahrungen aus den deutschen Modellprojekten durch die praktischen Erkenntnisse und die Forschungsergebnisse aus verschiedenen Formen des Hometreatment in den angloamerikanischen Ländern. Innerhalb des dortigen Gesundheitssystems sind aufsuchende Akutbehandlungsteams schon längere Zeit nachweislich erfolgreich im Einsatz (Johnson et al. 2008; Smith et al. 2008).

Viele in der Psychiatrie Tätige haben gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden, den Verbänden der Angehörigen und der Betroffenen sowie manchen Gesundheitspolitikern seit langem darauf hingearbeitet, dass auch in Deutschland flächendeckend eine Akutbehandlung zu Hause ermöglicht wird. Dies ist nun mit dem PsychVVG und der darin beschriebenen Möglichkeit zur Einführung der StäB nach § 115 d SGB V umgesetzt. Die Details des Gesetzestextes waren heftig umstritten – und auch heute sind nicht alle mit der endgültigen Version des Gesetzes zufrieden, da nicht alle Hoffnungen erfüllt werden konnten. StäB ermöglicht einen neuen, nach Ansicht der Autoren dieses Buches revolutionären, Schritt in der Versorgung psychisch Kranker (Längle 2018). Dennoch sind wir uns alle im Klaren darüber, dass dies noch nicht der letzte Schritt in der Überwindung der strukturellen Trennung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung, stationärer und häuslicher Versorgung sein kann.

Der Weg vom Gesetz in die klinische Praxis ist weit. Die Erfahrenen wissen dies aus der Umsetzung von Gesetzen zur Trennung von Behandlungs- und Pflegefällen, zur Einrichtung der psychiatrischen Institutsambulanzen, der Erneuerung des Entgeltsystems (»PEPP« und »PPP-RL«) und anderen Gesetzen zur psychiatrischen Versorgung, zuletzt dem Bundesteilhabegesetz.

Es zeichnet sich ab, dass dies auch für StäB gilt. Viele psychiatrisch Tätige, viele Klinikträger und auch manche Fachverbände waren und sind zögerlich in der Umsetzung der neuen gesetzlichen Behandlungsmöglichkeit und dies aus verschiedenen Gründen: Es sind rechtliche, personelle, organisatorische und nicht zuletzt budgetäre Fragen zu berücksichtigen. Behandlungskonzepte müssen entwickelt und erprobt werden und auf die jeweilige Versorgungssituation zugeschnitten werden. Für viele ist die Arbeit im ambulanten Kontext, im häuslichen Umfeld und damit die aufsuchende ambulante Behandlung in der Gemeinde Neuland, das erobert werden will. Inzwischen gibt es über drei Jahre Erfahrungswerte aus dem klinischen Alltag von StäB, die Mut machen und zeigen, dass dies gut gelingen kann (Gottlob et al. 2021; Boyens et al. 2020).

Dieses Handbuch soll dazu beitragen, dass die Einführung und Umsetzung von StäB in der eigenen Einrichtung möglichst reibungslos funktionieren kann. Es will darüber hinaus Mut machen, diese Behandlungsform den Patientinnen zur Verfügung zu stellen und so einen weiteren Fortschritt in der Behandlung psychisch kranker Menschen zu ermöglichen.

Das Buch ist so aufgebaut, dass es den Weg vom Rahmen, den das Gesetz vorgibt, über die entsprechenden auf Bundesebene getroffenen verbindlichen Vereinbarungen bis hin zu den ganz konkreten Fragen der Organisation, der Budgetermittlung und der fachlichen Konzeption in der einzelnen Klinik nachzeichnet und nachvollziehbar macht. Wir stützen uns dabei zunächst auf die Gesetzestexte und auf die von den Organen der Selbstverwaltung ausgehandelten Rahmenvereinbarungen und Abrechnungsmodalitäten, auf ausgewählte Kommentierungen von Organen und Verbänden und auf die eigenen Erkenntnisse aus der Beteiligung an den entsprechenden Verhandlungen und Gesprächen.

Zur Umsetzung der stationsäquivalenten Behandlung im klinischen Alltag können wir uns auf eigene jahrelange Erfahrungen mit einem IV-Modell in den Südwürttembergischen Zentren für Psychiatrie (ZfP Südwürttemberg) und der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen (PP.rt) stützen. Darüber hinaus wurden im ZfP Südwürttemberg im Vorgriff auf die Umsetzung von StäB ab Herbst 2016 Erprobungsprojekte nach den Konditionen der heutigen StäB-Behandlung an zwei Standorten, einmal im ländlichen, einmal im städtischen Raum, durchgeführt. Dies geschah im Rahmen eines umfassenden Change-Management-Projektes, in dem unter Projektleitung der Autoren das ZfP Südwürttemberg und die PP.rt auf die Umsetzung der StäB-Behandlung ab 01.01.2018 vorbereitet wurden. Darauf aufbauend konnte im ersten Quartal 2018 an fünf unserer Klinikstandorte und damit in vier Landkreisen in Baden-Württemberg mit StäB begonnen werden. Inzwischen wurden in unseren Häusern weit über 1.500 Patienten in StäB behandelt. Dabei waren zunächst vielfältige konzeptionelle, organisatorische und personelle, aber auch rechtliche und finanzielle Fragen zu klären. Dies ist mittlerweile gut gelungen, die StäB ist längst in die Routine übergegangen. Dennoch gibt es immer wieder neue Situationen, Fragen, die erstmalig auftreten, und Problemlagen, die mit administrativer Fantasie und therapeutischer Kompetenz gelöst werden müssen. Dies gilt für alle Bereiche des Klinikapparates vom therapeutischen Team über das Controlling und das Personaldatenmanagement bis hin zu den Verantwortlichen für den Fuhrpark und die IT. Einen Einblick in unsere Routinedaten und einzelne Forschungsdaten finden Sie in Kapitel 6 (Kap. 6). Die Schritte zur Planung und Einführung von StäB in einer Klinik werden auf diesem Hiintergrund in Kapitel 5 systematisch dargestellt (Kap. 5). Auch in einem Sonderheft der Nervenheilkunde und einem weiteren Praxisbuch wurden hierzu aktuelle Beiträge veröffentlicht (Weinmann et al. 2020; Brieger und Bechdolf 2020). Auch dieses Kapitel wurde anhand der neuen Erkenntnisse u. a. zu Finanzierungsmodellen und der MDK-Thematik aus unseren Kliniken und anderen Häusern in Deutschland umfassend überarbeitet und aktualisert.

Der relativ enge gesetzlich vorgegebene Rahmen für StäB mit einer Beschränkung auf die akut erkrankten und stationär behandlungsbedürftigen Patienten erfordert eine genaue Prüfung, was zum Leistungsspektrum der StäB gehören muss – und gehören kann. Nicht alle Erfahrungen oder Vorgehensweisen aus Hometreatment-Modellen können deshalb in StäB umgesetzt werden (Längle 2018; Becker et al. 2017; Lambert et al. 2017). Aber es ist ein sehr breites Behandlungsangebot für eine Vielzahl unserer Patienten möglich – und sollte diesen auch angeboten werden.

Der Schwerpunkt dieses Buches, wie auch der Rahmenvereinbarungen und der offiziellen Texte der Verbände, liegt in der stationsäquivalenten Behandlung erwachsener psychisch kranker Menschen. Viele Überlegungen und Regelungen gelten in gleicher Weise für den Kinder- und Jugendbereich, Besonderheiten sind jedoch zu beachten. Diese werden deshalb in einem gesonderten, völlig neu bearbeiteten und erweiterten Kapitel erläutert. Der Text baut auch hier auf jahrelangen Erfahrungen mit einem entsprechenden Forschungsprojekt und nun der dreijährigen Umsetzungserfahrung von StäB im Routinebetrieb bei Kindern und Jugendlichen auf (Boege et al. 2014; Corpus et al. 2014; Boege et al. 2015).

In einem Sonderkapitel (Kap. 3) stellen befreundete Autorinnen einzelne Aspekte zu StäB aus ihrer speziellen Kompetenz und ihrem besonderen Blickwinkel dar. Hier ist auch die Stellungnahme des Vertreters des Betroffenenverbandes aus Baden-Württemberg enthalten.

In die Gestaltung des Buches wurden und werden weiterhin viele Fragen von Teilnehmern an Tagungen, Kongressen, Seminaren und Vorträgen einbezogen, die uns in den letzten Monaten und Jahren gestellt wurden und die zeigen, wo die grundsätzlichen, aber auch die ganz praktischen, alltäglichen Probleme bei der Implementierung von StäB in anderen Häusern liegen.

Im Rahmen der Befassung mit der Umsetzung der StäB entstanden viele kollegiale Kontakte zu Verantwortlichen in psychiatrischen Kliniken bundesweit. Wir danken für die interessanten Diskussionen und hoffen, dass diese auch mit den Leserinnen dieses Buches fortgeführt werden können. In der dazu gegründeten AG StäB der DGPPN wollen wir die Erkenntnisse aus der Umsetzung dieser neuen Behandlungsform auch weiterhin zusammentragen und ein Diskussionsforum für alle Interessierten anbieten.

Literatur

Becker T (2009) Mobiles Krisenteam (Home Treatment). Projektbericht. Bezirkskrankenhaus Günzburg.

Becker T, Claus S, Deister A et al. (2017) Positionspapier zur Leistungsbeschreibung der stationsäquivalenten Behandlung bei Erwachsenen. (https://www.dgppn.de/_Resources/Persistent/6a32b1531f474c898fc8ec49c7bf6614cb95ac15/2017-06-13_STN_DGPPN_ST%C3%84B_fin.pdf, Zugriff am 14.07.2021).

Boege I, Corpus N, Schepker R (2014) Behandelt zu Hause Gesund werden. Hometreatment in Verzahnung mit Klinikelementen, Chancen und Herausforderungen. Zeitschrift für Kinder und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie 42(1): 27–37.

Boege I, Corpus N, Schepker R et al. (2015) Cost-effectiveness of intensive home treatment enhanced by inpatient treatment elements in child and adolescent psychiatry. Europ. Psychiatr 30 (5): 583–58.

Boyens J, Hamann J, Ketisch E et al. (2020) Vom Reißbrett in die Praxis – Wie funktioniert stationsäquivalente Behandlung in München? Psychiatrische Praxis, eFirst, 24.11.2020.

Brieger P, Bechdolf A (2020) Stationsäquivalente Behandlung: Konzepte, Erfahrungen und Perspektiven. Sonderheft Nervenheilkunde, 39(11): 704–739.

Corpus N, Schepker R, Fegert JM et al. (2014) Eltern und Patienten als Subjekt der Behandlung. Psychotherapeut, 59: 378–384.

Deutscher Bundestag (1975) Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland – zur psychiatrischen und psychotherapeutisch/psychosomatischen Versorgung der Bevölkerung. Bundestagsdrucksache 7/4200 25.11.1975.

Deister A, Wilms B (Hrsg.) (2014) Regionale Verantwortung übernehmen. Modellprojekte in Psychiatrie und Psychotherapie nach § 64b SGB V. Bonn: Psychiatrie-Verlag.

Faulbaum-Decke W, Zechert C (Hrsg.) (2010) Ambulant statt stationär: Psychiatrische Behandlung durch integrierte Versorgung. Bonn: Psychiatrie-Verlag.

Gottlob M, Holzke M, Raschmann S et al. (2021) Stationsäquivalente Behandlung – Wie geht das? Umsetzungsstrategien aus acht psychiatrischen Fachkliniken und –abteilungen in Deutschland. Psychiat Prax. eFirst, 20.05.2021.

Gouzoulis-Mayfrank E, Längle G, Koch-Stoecker S (2016) Kriterien stationärer psychiatrischer Behandlung. Leitfaden für die klinische Praxis. Stuttgart: Kohlhammer.

Johnson S, Needle J, Bindman JP et al. (2008) Crisis Resolution and Home Treatment in Mental Health. Cambridge: Cambridge University Press.

König H-H, Heinrich S, Heider D et al. (2010) Das Regionale Psychiatriebudget (RPB): Ein Modell für das neue pauschalierende Entgeltsystem psychiatrischer Krankenhausleistungen? Analyse der Kosten und Effekte des RPB nach 3,5 Jahren Laufzeit. Psychiatrische Praxis 37: 34–42.

Längle G (2018) Stationsäquivalente Behandlung (StäB) – ein großer Schritt in die richtige Richtung. Debatte – Pro. Psychiatrische Praxis 45(03): 122–123.

Lambert M, Karow A, Gallinat J et al. (2017) Evidenzbasierte Implementierung von stationsäquivalenter Behandlung in Deutschland. Psychiatrische Praxis 44(02): 62–64.

Nolting H-D, Hackmann T (2012) Bestandsaufnahme von komplexen lokalen, regionalen und überregionalen sektorübergreifenden Modellprojekten zur Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. 2012. (https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/krankenhaeuser/psychiatrie/KH_IGES-Gutachten_Modellprojekte_nach__64_b_2012_03.pdf, Zugriff am 14.07.2021).

Schwarz J, Schmid C, Neumann A et al. (2021) Implementierung eines globalen Behandlungsbudgets in der Psychiatrie–Welche Anreize, Voraussetzungen und Herausforderungen gibt es? Psychiatrische Praxis. eFirst, 26.04.2021.

Smith M, Hefferman K, Rowland A (2008) Crisis Resolution and Home Treatment. National Institute for Mental Health England, NIMHE West Midlands. (http://bcu.ac.uk/Download/Asset/50450b3b-d18c-4900-b985-5218b3b13afb, Zugriff am 14.07.2021).

von Peter S, Schwarz J, Bechdolf A et al. (2019) Analyse von Implementierungsmerkmalen psychiatrischer Modellvorhaben (nach § 64b SGB V) in Schleswig-Holstein im Vergleich zum Bundesgebiet. Das Gesundheitswesen 83(01): 33–39.

Weinmann S, Bechdolf A, Greve N (Hrsg.) (2020) Psychiatrische Krisenintervention zuhause – Das Praxisbuch zu StäB & Co. Köln: Psychiatrie-Verlag.

2          Gesetzliche Grundlagen und Vereinbarungen der Selbstverwaltung

 

 

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind im Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) verankert, welches zum 01.01.2017 in Kraft trat. Darin war unter anderem geregelt, dass der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, der Verband der Privaten Krankenversicherung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft Regelungen im Hinblick auf die Qualität, die Dokumentation sowie die Beauftragung an der ambulanten Behandlung beteiligter Leistungserbringer ausarbeiten. Der vom Gesetzgeber dafür vorgegebene Zeitrahmen war sehr eng gefasst, um eine rasche Realisierung von StäB zu ermöglichen. Dieselben Vertragsparteien sollten weiterhin eine Leistungsbeschreibung als Grundlage für die Entwicklung eines Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS) vereinbaren. Die in einem aufwendigen und zeitweise höchst kontroversen Beratungs- und Verhandlungsprozess entstandene Rahmenvereinbarung sowie der OPS-Kode werden, ebenso wie die relevanten Stellen aus dem PsychVVG, in den folgenden Kapiteln dargestellt.

2.1       PsychVVG – Gesetz und Begründung

Im Folgenden werden aus dem »Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und Vergütung der psychiatrischen und psychosomatischen Leistungen« (PsychVVG) die für StäB relevanten Textstellen aus dem Gesetzestext sowie der Begründung dargestellt. Die Textstellen sind dem PsychVVG gemäß den Drucksachen 18/9528 (Deutscher Bundestag 2018a) und 18/10289 (Deutscher Bundestag 2018b) beziehungsweise dem SGB V sowie dem Gesetz zur Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Krankenhausfinanzierungsgesetz – KHG) entnommen.

§ 39 Absatz 1 SGB V

Die Krankenhausbehandlung wird vollstationär, stationsäquivalent, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant erbracht. Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre oder stationsäquivalente Behandlung durch ein nach § 108 zugelassenes Krankenhaus, wenn die Aufnahme oder die Behandlung im häuslichen Umfeld nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Die Krankenhausbehandlung umfasst im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind, insbesondere ärztliche Behandlung (§ 28 Abs. 1), Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Unterkunft und Verpflegung; die akutstationäre Behandlung umfasst auch die im Einzelfall erforderlichen und zum frühestmöglichen Zeitpunkt einsetzenden Leistungen zur Frührehabilitation. Die stationsäquivalente Behandlung umfasst eine psychiatrische Behandlung im häuslichen Umfeld durch mobile ärztlich geleitete multiprofessionelle Behandlungsteams. Sie entspricht hinsichtlich der Inhalte sowie der Flexibilität und Komplexität der Behandlung einer vollstationären Behandlung.

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde in der Begründung die Änderung des §39 wie folgt erläutert:

Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 18/9528 vom 05.09.2016, S. 46f (Auszug aus der Begründung)

Durch die Änderung in Satz 1 wird eine stationsäquivalente psychiatrische Behandlung im häuslichen Umfeld als neue Behandlungsform der Krankenhausbehandlung eingeführt. Die leistungs- und leistungserbringerrechtlichen Einzelheiten dieser Behandlungsform sind in den neuen Sätzen 4 und 5 und im neuen § 115d geregelt.

Satz 2 regelt, dass die stationsäquivalente Krankenhausbehandlung als alternative Behandlungsform gleichwertig neben der vollstationären Aufnahme in das Krankenhaus steht. Bei Vorliegen der leistungsrechtlichen Voraussetzungen entscheidet das Krankenhaus, ob es die Krankenhausbehandlung vollstationär oder stationsäquivalent durchführt. Ein Vorrangverhältnis besteht insoweit nicht. (…)

Die neuen Sätze 4 und 5 enthalten die leistungsrechtliche Regelung der Behandlungsform einer stationsäquivalenten psychiatrischen Behandlung im häuslichen Umfeld. Durch die Einführung dieser Behandlungsform wird eine Lücke geschlossen, die bei der Behandlung psychisch schwer kranker Menschen besteht. Sofern die Betroffenen im Rahmen einer ambulanten oder teilstationären Behandlung in einer Tages- oder Nachtklinik nicht angemessen versorgt werden können, besteht bisher nur die Möglichkeit, sie stationär aufzunehmen, da insbesondere Patienten mit kompliziertem Krankheitsverlauf und psychosozialen Beeinträchtigungen häufig nicht in der Lage sind, die vorhandenen Behandlungsangebote aktiv aufzusuchen. Versorgungsangebote für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen sollten jedoch möglichst dicht an ihrer Lebenswelt angesiedelt sein. Wenn die Betroffenen bei Vorliegen einer stationären Behandlungsnotwendigkeit in akuten Krankheitsphasen während der Behandlung in ihrem gewohnten Lebensumfeld bleiben können, führt dies zu geringeren Einschnitten in ihrem Alltagsleben und ermöglicht eine stärkere individuelle Ausrichtung der Behandlung auf den persönlichen Lebenskontext der Patienten. Dies kann den Betroffenen helfen, Trennungen und Beziehungsabbrüche zu vermeiden, Bindungen aufrechtzuerhalten und Familienkompetenzen zu erhalten oder zu verbessern und dadurch die Nachhaltigkeit der Behandlung zu stärken. Dadurch ist die stationsäquivalente psychiatrische Behandlung insbesondere auch für psychisch kranke Menschen geeignet, die Kinder zu versorgen haben. Durch die Behandlung im häuslichen Kontext können die Erziehungskompetenz des betroffenen Elternteils erhalten und verbessert und somit die familiären Verhältnisse stabilisiert werden. Dies kommt insbesondere den Kindern psychisch kranker Eltern zugute. Außerdem ist diese Behandlung auch für psychisch kranke Kinder und Jugendliche geeignet; psychisch kranke Kinder und Jugendliche sind in besonderem Maße auf die sie umgebenden Systeme, wie beispielsweise das System Familie, angewiesen. Zugleich wird hierdurch eine konstante therapeutische Beziehung unter Einbeziehung des sozialen Umfelds gefördert, etwa wenn die Krankenhausbehandlung im häuslichen Umfeld fortgesetzt wird. Die Kontinuität einer therapeutischen Beziehung ist einer der effektstärksten Wirkfaktoren in der Therapie psychisch kranker Menschen. Da die Behandlung im häuslichen Umfeld erfolgt und für eine Patientin oder einen Patienten immer das gleiche Behandlungsteam zuständig ist, können Orts-, Arzt- und Therapeutenwechsel weitestgehend vermieden und ein gleitender Übergang von der stationären in die ambulante Versorgung ermöglicht werden.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist bei schweren psychiatrischen Leiden eine stationäre Behandlung erforderlich im Sinne des § 39 Absatz 1 Satz 2, wenn nur auf diese Weise ein notwendiger komplexer Behandlungsansatz erfolgversprechend verwirklicht werden kann, weil es auf das Zusammenwirken eines multiprofessionellen Teams aus z. B. Diplom-Psychologen, Sozialpädagogen, Ergo-, Bewegungs- und sonstigen Therapeuten sowie psychiatrisch geschultem Pflegepersonal unter fachärztlicher Leitung ankommt. Bei einer stationsäquivalenten psychiatrischen Behandlung im häuslichen Umfeld, die einen intensiven, in Inhalt, Flexibilität und Komplexität der vollstationären Behandlung vergleichbaren psychiatrischen Behandlungsansatz umfasst, werden die Patienten bei stationärer Behandlungsnotwendigkeit in akuten Krankheitsphasen durch mobile, ebenfalls fachärztlich geleitete und multiprofessionelle Behandlungsteams aus den vorhandenen Klinikressourcen in ihrem gewohnten Lebensumfeld versorgt. Wenn im häuslichen Bereich der kranken Person Kinder leben, fällt gleichzeitig auch das Wohl der Kinder verstärkt in den Blick. Im Bereich der Gerontopsychiatrie kann bei Patientinnen und Patienten, die in einem Alten-oder Pflegeheim leben, die stationsäquivalente Behandlung in diesem Heim erfolgen. Neben täglichen Therapiekontakten und einer integrierten multimodalen psychiatrischen Behandlung werden durch die permanente und rasche Verfügbarkeit der Mitarbeiter eine 24-stündige klinische Therapieverantwortung und individuelle Hilfeleistungen an sieben Tagen der Woche gewährleistet. Voraussetzung für eine stationsäquivalente psychiatrische Behandlung im häuslichen Umfeld ist, dass die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit während der gesamten Behandlungsdauer fortbesteht. Bei dieser Behandlungsform handelt es sich daher nicht um eine Behandlung, die nach Art und Intensität auch durch sonstige aufsuchende Behandlungsformen erbracht werden kann. Es handelt sich vielmehr um eine komplexe Behandlungsform des Krankenhauses, die patientenorientiert und medizinisch indiziert nicht an ein stationäres Bett gebunden ist. Stationäre Aufenthalte können hierdurch verkürzt oder ganz vermieden werden. Es ist daher zu erwarten, dass diese »Krankenhausbehandlung ohne Bett« im häuslichen Umfeld auch zu einem Abbau nicht mehr benötigter Krankenhausbetten führen wird.

Die neue Behandlungsform der stationsäquivalenten psychiatrischen Behandlung im häuslichen Umfeld greift bestehende Versorgungsansätze zur Versorgung psychisch schwer kranker Menschen auf und leitet sie in die Regelversorgung über. Modellvorhaben nach § 64b Absatz 1 Satz 1, die eine komplexe psychiatrische Behandlung im häuslichen Umfeld zum Gegenstand haben, bleiben unberührt.

Zu §39 Absatz 1 Satz 4 SGB V wurde im Laufe der Verhandlungen des PsychVVG der Hinweis »während akuter Krankheitsphasen« gelöscht. Auf diese Änderung bezieht sich der folgende Hinweis in der Begründung:

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – Drucksache 18/10289 vom 09.11.2017 S. 51 (Auszug aus der Begründung)

Durch die Änderung wird auf eine einschränkende Voraussetzung für die Durchführung der stationsäquivalenten Behandlung verzichtet mit dem Ziel, die stationsäquivalente Behandlung zu erleichtern. Die stationsäquivalente Behandlung soll eine kontinuierliche Begleitung von Patientinnen und Patienten während einer Krankheitsphase ermöglichen, um stationäre Aufnahmen zu vermeiden. Eine stationsäquivalente Behandlung nur während einer akuten Krankheitsphase könnte dagegen dazu führen, dass sie vorrangig bei Spontaninterventionen zur Anwendung kommt.