Psychologie der Macht - Michael Schmitz - E-Book

Psychologie der Macht E-Book

Michael Schmitz

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Beschreibung

Psychologe und Management-Top-Coach Michael Schmitz, ZDF-Ex-Chefreporter, kennt die Mächtigen dieser Welt und weiß, wie Macht funktioniert. Macht betrifft jeden: Sie ermöglicht Lebensgestaltung, gibt Handlungsfreiheit und steigert das Selbstwertgefühl. Doch Macht macht auch korrupt. Für sie sind Menschen bereit, zu manipulieren, zu intrigieren und den persönlichen Vorteil über alles zu stellen. Macht macht süchtig. Wer sich einmal eine Machtposition erarbeitet hat, will sie kaum wieder aufgeben - viele Beispiele aus Wirtschaft und Politik zeigen das. Machtgefüge halten auch die Wirtschaft in Gang. Um auf der Karriereleiter nach oben zu klettern, braucht es eine ordentliche Portion Biss, um sich gegen Konkurrenten durchzusetzen. Bestimmte Menschentypen sind da besonders erfolgreich - Narzissten und kaltblütige Psychopathen, die an der Grenze zwischen Genie und Wahnsinn manövrieren. Da ist es zum bösen Antlitz der Macht nicht mehr weit, das nur danach trachtet, seine Feinde zu demütigen und zu vernichten. Dieses Buch analysiert umfassend die verschiedenen Facetten der Macht und macht es möglich, sich selbst in den Machtgefügen des Lebens zu positionieren und gleichzeitig Machtmissbrauch und Persönlichkeitsdeformationen zu verhindern.

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Michael Schmitz

Psychologie der Macht

Michael Schmitz

Psycho­logie der Macht

Kriegen, was wir wollen

www.kremayr-scheriau.at

ISBN 978-3-218-00852-5 Copyright © 2012 by Verlag Kremayr & Scheriau KG, Wien Alle Rechte vorbehalten Schutzumschlaggestaltung: Kurt Hamtil, Wien Typografische Gestaltung: Ekke Wolf, typic.at Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien

Für Carl und Rosa und Margot

Inhalt

Persönliche Einflüsse

Teil 1 Macht – Wie sie die Welt im Innersten zusammenhält

Die Anatomie der Macht

Was ist Macht?

Grundlagen der Macht

Warum geben Menschen Macht nach?

Nutzen und Verführungen der Macht

Machtkämpfe

Paradoxien der Macht

Macht über uns selbst

Was wir wollen

Orientierung

Das innere Team

Der Wille zur Macht

Ordnung und Unterordnung

Macht und Machtmissbrauch

Schwankendes Selbstbewusstsein

Die Macht der Gefühle

Was uns wichtig ist

Logische Gefühle und unlogischer Verstand

Angst, die lähmt. Stolz, der aufrichtet.

Leitgefühle und Bauchentscheidungen

Macht ausüben durch Gefühle

Managermacht und -ohnmacht

Wie Vorgesetzte ticken

Der Versuch, alles im Griff zu haben

Nett sein reicht nicht!

Machtmelange

Die Mitarbeitermacht, gebraucht zu werden

Wie Freunde in der Macht verloren gehen

Geld regiert die Welt! Oder doch nicht?

Haben sie das verdient?

Gründer-Tücken

Arme Mächtige in der Politik

M&A: Machtrausch und Akquise

Firmenübernahme als Besatzung

Wie Machtgier blind macht

The Giving Pledge

Teil 2 Macht – Die gefährliche Geliebte

Wie Macht Menschen verändert

Karussell der Korruption

Mächtige sind die besseren Lügner

Mächtige haben weniger Skrupel

Minister Gnadenlos

… Kontrolle ist besser

Machthunger und Machtsucht

Das System Kohl

Macht erwächst aus machen

Der Machiavelli-Irrtum

Machtakrobatik in der Politik

Menschenfischer

Über das Merkeln

Versprechungen statt Kompetenz

Sympathieboni

Gezänk statt Streitkultur

Profilierungsfallen

Krisenmanager und Sinnestäuscher

Politik der Schmerzvermeidung

Medienmacht

Wer benutzt wen?

Brender gegen Schröder

Die Gier nach Skandalen

Eitle Selbstdarsteller

Öffentlich-rechtliche Parteijournalisten

Narzissten und Psychopathen an der Macht

Der Neutronen-Bomber

Genialität und Wahnsinn

Produktive und destruktive Narzissten

Kaltblütige Karrieristen

Die Macht des Bösen und das Böse an der Macht

Menschliche Abgründe

Der »normale« Mord

Schwankendes Selbstbewusstsein

Böse Idealisten und ihre willigen Helfer

Wie gute Menschen Monster werden

»Spaß und Spiel« in Abu Ghraib

Anders Behring Breivik – Monster, Mörder, Geisteskranker?

Politische Motive

Teil 3 Macht – Die Voraussetzungen für echte Leadership

Was ist Wissen noch wert?

Denkblockaden guter Gewohnheit

Die Grenzen des reinen Verstandes

Der Verlust des universellen Wissens

Komplex statt kompliziert

Führung und Macht

Allein, verlassen und verloren

Kontraproduktive Vielredner

Die Suche der Gurus nach Wahrheit

Die Kunst, sich zu verständigen

Integrität bewahren

Charismatiker und Verführer

Kollaboration in neuer Dimension

Dharma und die Tücken der Moral in der Politik

Abschied von Illusionen

Danksagung

Anmerkungen und Quellen

Literatur

Persönliche Einflüsse

Macht bin ich im Laufe meines Lebens auf sehr verschiedene Weise begegnet. In unterschiedlichen Situationen, Berufen und Rollen, mit variierenden Ambitionen. Oft nicht sehr reflektiert. Irgendwann wollte ich mich nicht mehr mit Betrachtungen von Phänomenen zufriedengeben, sondern verstehen, wie Macht sich entfaltet, was ihre Quellen und Konstanten sind, was sie mit Menschen und Beziehungen macht.

Verschiedene Berufe, die ich ausübe und ausgeübt habe, sind eng an Macht gekoppelt: Ich war lange Journalist, bin seit vielen Jahren Management-Coach und unterrichte als Professor für Psychologie und Management an der Lauder Business School, einer internationalen Wirtschaftsschule.

Der Journalismus verschaffte mir das Privileg, viele Politiker in ihren Kämpfen um Macht aus der Nähe beobachten zu können. Gerhard Schröder, zum Beispiel, lernte ich kennen, als er noch am Zaun des Kanzleramtes in Bonn rüttelte und rief: »Ich will hier rein«, Angela Merkel, als die DDR zusammenbrach und sie sich noch schüchtern der Politik näherte. Ich hatte damals das Glück, Korrespondent des ZDF in Ost-Berlin zu sein, als dort große Geschichte gemacht wurde. Auf Korrespondentenposten in Wien und Washington und als ZDF-Chefreporter begegnete ich Ministern, Regierungs- und Staatschefs auf Reisen, in Hintergrundgesprächen, in internen Runden und Kabinetten, auf internationalen Konferenzen. Ich konnte verfolgen, was politische Entscheidungen bewirken oder nicht bewirken. Als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien und im Golf sah ich Macht in brutalster Art.

Als Management-Coach arbeite ich mit Menschen, die Macht in der Wirtschaft ausüben, als Firmenbesitzer, Geschäftsführer, Unternehmensvorstand. Ihnen allen geht es um Macht. Sie wollen sich durchsetzen, gegenüber Mitarbeitern und Kollegen, gegen Konkurrenz auf dem Markt. Wer als Manager erfolgreich sein will, muss wissen, wie Macht funktioniert. Und er muss dazu eine persönliche Haltung entwickeln.

An der Lauder Business School unterrichte ich »Leadership«. Meine Studenten wollen später Führungsfunktionen übernehmen. Sie werden Macht beanspruchen. Sie müssen lernen, wie sie das erfolgreich tun können, je nach Situation und Umfeld. Ich biete ihnen meine Coaching-Erfahrung, die auf sehr verschiedenen Branchen, Unternehmensgrößen und Ländern beruht, und das, was die Wissenschaft zur Erkenntnis über Führung und Macht beizutragen hat.

Keiner kann zu Macht alles sagen und schon gar nicht das letzte Wort beanspruchen, dazu ist das Thema zu komplex. Ich habe in diesem Buch berücksichtigt, was die Psychologie und die Managementlehre zur besseren Einsicht offerieren. Dazu gebe ich mein Erfahrungswissen, auch das aus eigenen Verwicklungen in Machtkämpfe. Geschrieben habe ich wie ein Journalist, sodass die Texte verständlich und leicht zu lesen sind.

Mit dem Buch möchte ich dazu beitragen, Macht besser zu verstehen, den Nutzen, den sie schaffen, und den Schaden, den sie anrichten kann. Macht betrifft uns alle. Jeder von uns muss sein persönliches Verhältnis zu Macht klären. Die Lektüre dieses Buches soll helfen, Orientierung zu finden.

Teil 1

Macht – Wie sie die Welt im Innersten zusammenhält

Die Anatomie der Macht

Macht können wir nicht ausweichen. Ob wir wollen oder nicht, wir werden unaufhörlich in Machtspiele oder Machtkämpfe hineingezogen. Oft zetteln wir sie selber an. Aus Lust oder aus Frust. Der Begriff Macht ist anrüchig und elektrisierend zugleich. Er aktiviert aufgeladene Ambivalenzen. Macht und Machtmissbrauch liegen so eng beieinander, dass wir das eine kaum ohne das andere denken können. Doch wir müssen Macht erobern. Ohne Macht sind wir ohnmächtig. Nur mit Macht kriegen wir, was wir wollen.

Was ist Macht?

Der Begriff Macht weckt eine Fülle unterschiedlicher Assoziationen: Herrschaft, Gewalt, Zwang, Kampf, Unterdrückung, Eroberung, Kraft, Unterwerfung, Befehl und Gehorsam, Manipulation, Recht, Willkür, Freiheit ebenso wie Unfreiheit. Macht hat mit all dem zu tun. Doch sie ist nicht auf einzelne Aspekte zu reduzieren. Sie kommt in diversen Varianten daher, stets begleitet von Unterordnung und Gegenmacht.

Die Psychologie der Macht erklärt die verschiedensten Verhältnisse und Facetten der Macht. Ihre Erkenntnisse sind nutzbar, um sich in Machtauseinandersetzungen zurechtzufinden, Widerstände und Verführungen zu erkennen, eigene Ziele besser zu verstehen und zu erreichen.

Als mächtig gelten Konzernchefs, Gewerkschaftsbosse, Banker, Hedgefonds, Ratingagenturen, Minister, Leiter von Behörden, Zeitungsverleger, Chefredakteure, Theater- und Opernintendanten, Universitätspräsidenten, Vorsitzende von großen Sportvereinen oder gemeinnützigen Einrichtungen. Sie üben Macht aus und bedienen Kaskaden der Macht. Sie geben Verantwortung weiter an Personen, die Funktionen auf nachgeordneten Ebenen der jeweiligen Organisation ausüben, und diese setzen die abgestufte Distribution der Macht fort. So entstehen Hierarchien, so werden sie erhalten. Mit ihrer Funktion avancieren Mitarbeiter, differenziert nach ihrem jeweiligen hierarchischen Rang, zu Teilhabern der Macht. Wie stark die Macht ist, hängt ab von persönlichen Eigenschaften und der Position im Gefüge, mehr noch von der Macht der Organisation. Das gilt auch für die, die an ihrer Spitze stehen.

In Institutionen der Politik, der Wirtschaft, in Verbänden oder Vereinen erscheint Macht besonders ausgeprägt. Sie zeigt sich in Entscheidungsmacht, der Verfügung über Budgets und Personal, in Weisungsbefugnissen, Einkommen, Privilegien und Insignien, in Ansehen und Netzwerken, mit denen Machthaber – über den eigenen unmittelbaren Bereich hinaus – Einfluss geltend machen.

Macht gibt es ebenso in persönlichen Beziehungen, obwohl viele Menschen meinen, da sollte sie nichts zu suchen haben. Doch geht es auch dort (meist) nicht um machtneutrale Sympathie, Zuneigung oder Liebe. Macht wird spürbar, wenn Interessen aufeinanderprallen, darum gerungen wird, wer sich mit eigenen Bedürfnissen und Wünschen durchsetzt, und wenn dazu die entsprechenden Mittel eingesetzt werden. In einer Familie kann die Kontroverse darum gehen, wer eher für die Kinder und den Haushalt zuständig ist oder berufliche Ambitionen verfolgen darf. Oft sind die Ergebnisse solcher Auseinandersetzungen nicht das Resultat gütlich verhandelter Übereinkunft. Sie entstehen, weil einer sich gegen den anderen durchsetzt. Auf dessen Kosten. Wer in einer Beziehung um Zuneigung ringen muss, verfügt über weniger Macht als der, dessen Zuneigung begehrt wird. Wer sich vergeblich um Zuneigung oder Liebe bemüht, erlebt sich als macht- und wertlos.

Das Repertoire der Machtinstrumente ist in vielen Situationen im Grundsatz gleich. Im Wesentlichen beruht das Arsenal der Mittel auf Belohnung oder Bestrafung. Was jeweils dazu taugt, hängt von der Situation, der besonderen Beziehung der handelnden Personen zueinander und von deren jeweiligen persönlichen Möglichkeiten ab. Die Psychologen Vescio, Snyder und Butz betrachten Macht von den Wirkungen aus, die sie erzielt: »Eine Person verfügt über Macht, wenn er/sie die Möglichkeit hat, andere in psychologisch bedeutsamer Weise zu beeinflussen, sodass sich deren Verhalten, Meinungen, Einstellungen, Ziele, Bedürfnisse, Werte und sonstige Aspekte im Seelenleben ändern.«1 Beeinflussung kann durch Druck, Umgarnung, Bedürftigkeit, Hilfe, Irreführung, Appelle an Werte oder durch Überzeugung erfolgen.

Je unterschiedlicher die Mittel verteilt sind, umso größer die Unterschiede im Machtpotenzial. Schon die Möglichkeit, Übermacht auszuspielen, mag dazu führen, dass dies gar nicht nötig wird, sofern das Potenzial erkannt und ab und an auch gespürt wird – die Unterordnung findet freiwillig statt, weil die Ungleichheit des Machtpotenzials die Chance nimmt, in Machtauseinandersetzungen zu reüssieren. Macht gehört zu unserem Alltag. Das ist die Banalität der Macht.

Was Macht ausmacht, ist oft nicht unmittelbar zu greifen. Es gibt eine Fülle verwirrender Definitionen, die sich festmachen an einzelnen Aspekten der Macht. Damit wollen wir uns nicht aufhalten. Mit klassischer Schlichtheit notierte Max Weber: »Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen.«2 Macht ist die Möglichkeit von Einzelnen oder Gruppen, das Verhalten von anderen zu steuern, um eigene Interessen und Vorstellungen durchzusetzen und andere davon zu überzeugen oder dafür zu vereinnahmen. Macht ist gekoppelt an Ambitionen und an die Mittel, mit denen Ziele erreicht werden sollen. Mit Anlehnung an Letitia Slabu und Ana Guinote können wir sagen: Macht ist, was wir brauchen, um zu kriegen, was wir wollen.3 Das ist die Essenz der Macht.

Grundlagen der Macht

Macht speist sich aus unterschiedlichen Quellen. Die Psychologen John French und Bertram Raven schlagen zur Einteilung verschiedene Kategorien vor:4

Legitime Macht – sie ist gegeben mit einer bestimmten Rolle oder Funktion, als CEO oder Richter, Lehrer oder Manager, Priester oder Feuerwehrhauptmann.

Belohnungs- und Bestrafungsmacht haben alle, die Vorgesetzte sind oder öffentliches Ansehen beeinflussen, wie zum Beispiel Journalisten; ebenso verfügen Eltern oder Beziehungspartner darüber, sie können mit Aufmerksamkeit, Lob, Zärtlichkeit belohnen und mit Liebesentzug, Zurückweisung, Vorwürfen strafen.

Expertenmacht – Experten können andere beeinflussen, indem sie Wissen und Erfahrung zur Verfügung stellen, das andere nicht haben, aber brauchen.

Referenzmacht üben Menschen aus, die eine besondere Ausstrahlung haben und in anderen den Wunsch hervorrufen, auch so sein zu wollen; diese Ausstrahlung kann gekoppelt sein an eine Funktion oder ein Amt. Lehrer können sie ebenso genießen wie Chefs oder Politiker, oder wie Prominente aus Sport und Showgeschäft. Macht begründet sich aus Funktionen, Ämtern, Status, Wissen und Persönlichkeit oder aus all dem gemeinsam, in wechselhafter Mischung.

Was in den bisherigen Kategorien allerdings fehlt, ist Eigentum und Besitz. Auf die Bedeutung materieller Ressourcen wies bereits der Nationalökonom John Kenneth Galbraith hin. Zusätzlich führte er Persönlichkeit an und betonte die Wichtigkeit institutioneller Verankerung, die er als Kategorie Organisation aufführte.5 Damit lässt sich weiterdenken.

Zur Kategorie Persönlichkeit können wir Eigenschaften zuordnen, die Zugang zu Macht erleichtern, wie zum Beispiel Eloquenz, Hartnäckigkeit, Fokus, Selbstbewusstsein, Charme, Charisma, Energie, Ausdauer, Handlungswille, Durchsetzungskraft, auch Egoismus bis hin zu Rücksichtslosigkeit. Wie die jeweiligen Eigenschaften – oder besser: die Kombinationen von Eigenschaften – zur Geltung kommen, hängt ab von der Personenkonstellation und der Situation. Unter verschiedenen Umständen sind unterschiedliche Eigenschaften eher gefragt und effektiv. Einige, wie Selbstbewusstsein, Hartnäckigkeit, Durchsetzungskraft, spielen immer eine Rolle. Verschieden freilich bleibt, je nach Lage, ihre optimale Ausprägung.

Macht verlangt – zur Eroberung, Ausübung und Absicherung – koordinierte Aktion, also Unterstützer, willfährige Helfer, Vollstrecker, die sich als zusammengehörig empfinden, sich für gleiche Ziele und Werte einsetzen und dafür aufeinander abgestimmte Aufgaben übernehmen. Macht muss strukturiert und organisiert werden. Macht verlangt Organisation. Eine effektive Organisation wird selbst zur Quelle von Macht. Wer in einer Organisation eine Funktion übernimmt, erhält, abhängig von der hierarchischen Einstufung, ein Stück Organisationsmacht. Psychologen vernachlässigen diesen systemischen Zusammenhang leicht, wenn sie zu eng auf Individuen schauen. Die Bedeutung von Eigentum und Besitz entgeht ihnen nahezu völlig.

Großes Geld kauft fast alles. Reiche erwerben sich gesellige Unterhaltung, Liebhaber, Lobbyisten und Politiker. Sie bestechen durch Sponsoring und Mäzenatentum. Wer aus reichem Hause kommt, genießt in vielfacher Hinsicht bessere Startbedingungen, um aufzusteigen. Dafür sorgt schon der Ruf der Familie. Dazu kommt (meist) bessere Bildung, förderliche Netzwerke, größere Unabhängigkeit.

Als sich mit dem Niedergang des Sozialismus die politische Linke nahezu auflöste, wurden Unternehmermacht und Privateigentum kaum noch infrage gestellt. Mancher – wie Francis Fukuyama – verkündet schon das Ende der Geschichte.6 Seit der 2008 ausgebrochenen Krise freilich wird Kapitalismuskritik wieder lauter. Sogar in der FAZ und auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos ist sie schon zu vernehmen. »Der Kapitalismus erlebt eine echte Krise … eine Vertrauenskrise«, diagnostiziert Gerhard Cromme, Aufsichtsrats-Chef bei Siemens und bei Thyssen-Krupp, Mitglied des Aufsichtsrates auch bei der Allianz, ein Mann, der das System personifiziert. Als Ursache ortet er vor allem das Gebaren der Finanzwirtschaft.7

Unkontrollierte Finanzmacht wird zunehmend als eine Ursache für hemmungslose Abzocke und all die sozialen Turbulenzen gesehen, in die wir weltweit geraten sind.

Wer für das Umfeld, in dem er agiert, über Eigenschaften verfügt, die als Führungsqualitäten gewertet werden, und versteht, Gelegenheiten auszunutzen, um Ansprüche durchzusetzen, und das zudem als Vorteil für andere darstellen kann, der steigt rasanter auf. Reputation wird zum Machtfaktor. Deswegen investieren Machtmenschen so viel in Imagepflege. Mächtige wollen als wohltätig erscheinen.

Wer aufsteigt in Schaltstellen und Organisationsmacht erwirbt, bildet sich schnell ein, auch diese Macht seiner Persönlichkeit zu verdanken. Er darf sogar darauf hoffen, dass die anderen das genauso sehen, vor allem wenn er sich selbstbewusst, von sich überzeugt, präsentiert. Das beeindruckt und wirkt – sofern Selbstbewusstsein nicht in Arroganz umkippt. Sowohl Machthaber als auch Machtanpasser schreiben Status und Einfluss persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten zu, obwohl diese zu einem wesentlichen Maße aus der Funktion für die Organisation entstehen. Ohne Organisation fehlt Wirksamkeit, egal über welche Persönlichkeitsmerkmale Machtambitionierte verfügen mögen. Macht ist immer nur im sozialen Kontext zu verstehen. Und den müssen Ambitionierte verstehen, um Macht zu erlangen und zu erhalten.

Organisationsmacht wird auf Funktionäre übertragen und muss von ihnen zum Zweck des Unternehmens, der Organisation, der Partei, des Verbandes exekutiert werden. Persönliche Ambitionen sollen Amtsträger unterordnen. Vorstandsvorsitzende von Organisationen heißen deshalb im internationalen Sprachgebrauch auch Chief Executive Officer. Stehen persönliche Interessen im Vordergrund, verüben sie Machtmissbrauch. Woher ihre Macht tatsächlich stammt, wird offensichtlich, wenn Funktionen verloren gehen, Ämter aufgegeben werden, Rollen ausgespielt sind. Macht und Machtillusion liegen mitunter dicht beieinander. Entmachtete sind desillusionierte, traurige Gestalten.

Macht nährt sich selbst. Sie stärkt Selbstwirksamkeit und Selbstwert. Sie verschafft Ansehen, Anerkennung, Anhänger. Machtinhabern wird gehuldigt. Für sie besteht ein eigenes Protokoll. Sie erhalten Insignien und Privilegien – standesgemäße Büros, Autos, Flugtickets, Hotels, Geschäftsessen, Dienstpersonal. Manche bekommen Chauffeure, Kofferträger, eigene Aufzüge, Türöffner. Sie erfreuen sich der Macht. In diesem Sinne kann Macht an sich ein Ziel sein. Was sonst durch sie zu erreichen ist, mag für Machtlüsterne und Machtverwöhnte nachgeordnet sein – oder werden.

Doch wir müssen nicht nur an die Spitze von Hierarchien schielen. Da Macht immer relativ ist, kann sie schon auf niedrigerer Stufe persönliche Ansprüche erfüllen. Es kommt eben auf die Ansprüche an. Entscheidend ist, dass sie ein Verhältnis von »oben« und »unten« etabliert.

Mächtige bemühen sich eifrig darum, persönliche Interessen zu verschleiern. Verschleierung beginnt schon mit der Wortwahl. Niemand möchte als machthungrig gelten. Politiker behaupten, ihnen ginge es nicht um Status und Macht, sondern um das Gemeinwohl. Unternehmen verbergen ihr Profitstreben. Schon den Begriff Profit vermeiden sie. Sie erklären, Gewinne nutzten der Entwicklung des Unternehmens und die wiederum diente dem allgemeinen Wohlstand.

Jeder, der über etwas verfügt, was andere möchten, aber selbst nicht haben, genießt Machtvorteile. Je größer und vielfältiger die persönlichen und von anderen begehrten Ressourcen, umso größer die Macht. Da aber jeder nicht nur besitzt, sondern auch begehrt, wechseln Machtverhältnisse. Asymmetrien definieren »über« und »unter«. Sie können sich, je nach Situation oder Personenkonstellation, dramatisch verschieben und geradezu umkehren. Reichtum kann Liebe nicht kaufen. Liebe kann beweisen, wie machtlos Reichtum sein mag. Wer Zwang und Gewalt ausübt, mag Gehorsam, Anpassung oder Bekenntnisse bewirken, aber keine Zustimmung, Überzeugung oder Verinnerlichung von Werten. Ein Chef kann Mitarbeitern befehlen, sie unter Druck setzen, abstrafen, womöglich zu Handlungen bringen, die sie freiwillig nie ausüben würden, aber er kann sie nicht zu Engagement, Kreativität und Loyalität zwingen.

Schon geringe Macht kann kollektiv zur Gegenmacht werden, die Übermacht aushebelt. Besonders wenn sie wirksam kommuniziert wird und sich viele verbinden. Das ist mit neuen Kommunikationsmitteln, durch das Internet und Smartphones, leichter geworden. Untergebene können Leistung verdeckt verweigern und Projekte scheitern lassen, Konsumenten sich zum Waren- oder Firmenboykott entschließen, der Unternehmen in Krisen treibt. Beharrlicher Volksaufstand stürzt Diktatoren.

Warum geben Menschen Macht nach?

Das kann der Fall sein, weil Macht repressiv ist, körperliche und/oder seelische Gewalt ausübt gegenüber denen, die ihr nicht gehorchen. Unterwerfung unter Macht kann weniger schmerzhaft sein als die Sanktionen, die der erleidet, der sich ihr widersetzt. Das kann zutreffen in der Konfrontation mit diktatorisch-staatlicher oder autoritär-unternehmerischer Macht. Offen repressive Macht ist allerdings, salopp gesagt, aus der Mode gekommen. Sie gilt als anstößig. In der internationalen Politik ebenso wie in der Wirtschaft. »Mobbing« steht in vielen Unternehmen auf dem Index. Missbrauch ist schon in privaten Verhältnissen strafbar. Soweit jedenfalls die Theorie. Immerhin setzt sie Maßstäbe.

Menschen begeben sich bereitwillig in die Obhut von Macht, weil sie Schutz und Sicherheit suchen – regelmäßiges Einkommen, Ordnung und Orientierung. Gerade in Zeiten, die als unwegsam und bedrohlich erlebt werden, ist das der Fall. Andere Bedürfnisse werden dem Wunsch nach Schutz und Sicherheit schnell nachgeordnet.

Akzeptanz von Macht kann entstehen, weil Mächtige ihrer Gefolgschaft glaubhaft versprechen, sich wirksam für Ziele und Werte einzusetzen, die diesen Menschen wichtig sind. Dann folgen Anhänger aus Überzeugung – mit Herz und Verstand – der Macht und stellen sich in deren Dienst. Menschen suchen nach Sinn. Macht kann sinnstiftend wirken. In Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Verwaltungen, Vereinen oder Verbänden. Es geht, wie immer, um persönliche Ambitionen, aber ebenso um Weltanschauungen und Seelenheil.

Akzeptanz entsteht – ohne Druck – aus einer Art Gegengeschäft: nämlich wenn Macht für die, die sich fügen, etwas Lohnenswertes zu bieten hat – Einkommen, attraktive Beschäftigung, Anerkennung, Status, Zuneigung, Zugehörigkeit. Das kann gleichermaßen der Fall sein in politischen, wirtschaftlichen, sonstigen institutionellen oder privaten Beziehungen. Nachgeben, anpassen, Konformität, Unterordnung garantieren Wohlwollen und Gratifikation. Durch Identifikation mit der Macht gelingt das Austarieren von Interessen geschmeidiger, ohne innere Widersprüche.

So kann es sein, dass Macht gar nicht mehr als Macht wahrgenommen wird. Kognitive Dissonanzen – gedankliche Widersprüche – und die damit verbundenen emotionalen Spannungen reguliert das menschliche Gehirn gerne runter, löscht sie sogar aus, indem es die Wahrnehmung der Realität reduziert. Wünsche lenken den Verstand und verleiten ihn zu Irrationalität.

So identifizieren sich Arbeitnehmer vielfach mit dem Zweck ihres Unternehmens, weil sie sich dort wohlfühlen und abgesichert sehen wollen. Sie möchten eine sinnvolle Arbeit verrichten. Das würde nicht gehen, wenn sie die Ziele ihres Unternehmens für nicht akzeptabel halten würden. Angestellte von Firmen, die Atomanlagen herstellen, sind zum überwiegenden Teil Befürworter der Atomenergie und halten sie für sicher, selbst wenn Reaktorschmelzen eine andere Wahrheit verkünden. Beschäftigte der Tabakindustrie leiden unter dem schlechten Ruf der Branche, fühlen sich diskriminiert und behaupten gerne, Zigaretten riefen keine Sucht hervor, sondern seien ein Genussmittel, schädlich allenfalls im Übermaß, so wie alles, was im Übermaß konsumiert werde. Vertreter von Big Pharma behaupten mit fester Überzeugung, dass alle Medikamente, die sie auf den Markt bringen, echte medizinische Verbesserungen böten und niemals ein nur recyceltes Altprodukt, ein Marketingschmäh seien, allein um Patente zu erneuern, die Extraprofite garantieren. Ebenso rechtfertigen sie die enormen Profitraten der Branche damit, dass ihre Unternehmensgewinne so hoch sein müssten, um teure Forschung finanzieren zu können – obwohl diese tatsächlich nur einen Bruchteil dessen kostet, was Big Pharma mit seinen Blockbustern verdient.

Unterordnung kann bis zur Selbstaufgabe gehen. Das ist auch in privaten Beziehungen zu beobachten. Es geschieht nicht selten, dass Menschen sich an »Partner« binden, obwohl sie von ihnen nicht gut behandelt werden: wenn sie glauben, sogar trotz Missachtung, Betrug oder Gewalt keine Wahl zu haben, fürchten, ganz allein und hilflos dazustehen, falls sie aus der Beziehung aussteigen. Wenn sie sich nicht zutrauen, eine bessere finden zu können. Mangelnder Mut, mangelndes Selbstbewusstsein und mangelnde Wertschätzung für sich selbst tragen dazu bei, die Verhältnisse zu beschönigen, Macht und Machtmissbrauch zu relativieren und zu erdulden.

Zur Dialektik der Macht gehört es, dass sie stets sowohl Unterordnung als auch Gegenmacht hervorruft. Politiker müssen sich bei Wahlen Konkurrenten stellen – und vor allem vor Wählern bestehen. Wenn sie nur noch tun, was Wähler wollen und keine eigenen Vorstellungen durchsetzen, nicht staatsmännisch, sondern opportunistisch handeln, geben sie Macht auf, ebenso wie Journalisten, wenn sie nur gefällig berichten, was Leser, Zuhörer oder Zuschauer erfahren und wie sie es serviert bekommen wollen, und sich bedingungslos Einschaltquoten und Verkaufszahlen unterwerfen. Manager unterliegen immer wieder der Macht des Marktes, einer anonymen und oft unberechenbaren Macht. Paare scheitern an der Macht schlechter Gewohnheiten. Sie beharren auf Arbeitsteilungen oder Streitritualen, mit denen sie sich nichts Gutes tun.

Macht ist immer ein Balanceakt. Oft wird die Balance nicht gefunden oder geht verloren. Schafft Macht Ausgleich, bedient sie in großem Maße Bedürfnisse, so minimiert sie Konflikte und Spannungen, wird akzeptiert und für legitim gehalten. Dann begegnet sie nur geringem Widerstand, erhält sich leichter und gewinnt an Stabilität. Deswegen ist es für Machthaber sinnvoll, Übermacht nicht rücksichtslos auszuspielen. Unternehmen verfügen (in aller Regel) über größere Macht als Gewerkschaften, trotzdem setzen sie (meist) auf einen gewissen sozialen Ausgleich. Manager müssen dafür sorgen, dass das Arbeitsklima in Ordnung ist, weil sonst die Leistungsbereitschaft von Mitarbeitern sinkt. Wer das als Chef ignoriert, zahlt drauf.

Unternehmen beschwören gerne die »Sozialpartnerschaft«. Der Begriff verschleiert die tatsächliche Asymmetrie der Macht, die zwischen Arbeit und Kapital strukturell besteht. Appelle an die »Partnerschaft« dienen oft dazu, die andere Seite zum Verzicht auf Forderungen zu bewegen, weil sonst die Beziehungen, die angeblich auf Gleichheit beruhen, gefährdet werden – durch rücksichtsloses Beharren auf einseitige Vorteile. Helfen Appelle nicht, schlagen sie freilich auch um in Drohungen. Das gilt für beide Seiten. Jede verfügt über ihre Machtmittel. Gewerkschaften können zum Streik aufrufen, Unternehmen aussperren, Standorte verlagern und Arbeitsplätze »abbauen«.

Schon Nähe zur Macht empfinden viele Menschen als Teilhabe an der Macht und als Statusgewinn. Nähe zur Macht nährt persönlichen Selbstwert. Selbstwertgefühle können schon bei denen verstärkt werden, die zur Entourage, zum Personal von Mächtigen gehören, deren Zu- oder Mitarbeiter sind, die der Macht dienen. Macht versorgt sie mit Posten und Status. Für manche reicht zur Partizipation bereits, Mächtige zu kennen. So sonnen sich Möchtegern-Prominente und Journalisten in der Ausstrahlung der Macht, indem sie sich an die drängen, die über politischen oder wirtschaftlichen Einfluss oder Prominenz verfügen, also über die Macht öffentliche Aufmerksamkeit erheischen. Macht bedient Eitelkeit.

Nutzen und Verführungen der Macht

Wo Macht sich konzentriert und über längere Zeit besteht, verändert sie Menschen. Das geschieht nach und nach. Ideale bleiben auf der Strecke oder verkommen zur Feiertagsrhetorik. Persönliche Ambitionen und Annehmlichkeiten rücken in den Vordergrund. Wir sehen es bei vielen, deren Aufstieg wir über längere Zeit beobachten. Sie sehen zunehmend sich selbst. Sie nehmen andere weniger ernst und benutzen sie eher wie ein Werkzeug, um eigene Interessen zu verfolgen. Die Distanz zur eigenen Person, die Reflektion erlaubt, schwindet. Etablierte Machthaber lassen sich weniger sagen und machen für sich eigene Regeln und Ansprüche geltend. Sie heben ab in eigene Sphären. Macht macht korrupt, heißt es. Wir finden dafür tagtäglich neue Beispiele. Andauernde Macht stärkt Selbstsucht. »Nur in seltenen Fällen kann jemand Machtmissbrauch widerstehen«, urteilt der Sozialpsychologe Erich Witte. Dacher Keltner meint zugespitzt: »Man kann Machterfahrung als einen Vorgang beschreiben, bei dem jemand einem den Schädel öffnet und den Teil herausnimmt, der besonders wichtig für Mitgefühl und sozial angemessenes Verhalten ist.«8

Bei Machtkämpfen in Politik und Wirtschaft geht es oft um den persönlichen Vorteil statt um allgemeines Wohl. Solche Gefechte haben oft weitreichende Folgen – mit Kollateralschäden für ganze Unternehmen, Regionen oder gar die Gesellschaft. Diese Machtkämpfe betreffen viele Menschen, selbst wenn sie fern und absurd erscheinen oder nicht durchschaubar sind. Macht verlangt Kontrolle. Selbst wer sich raushalten will, kann sich den Auswirkungen großer Machtkämpfe nicht entziehen.

Macht kann unterdrücken. Doch sie ist nicht mit Unterdrückung gleichzusetzen. Ebenso wenig mit Willkür, Zwang oder Gewalt. Sie manifestiert sich überall, wo Menschen zusammenkommen. Der Philosoph Michel Foucault rang in diversen Schriften mit sich selbst um begriffliche Klarheit. Er irrte, als er meinte, »Macht ist im Wesentlichen, was unterdrückt.«9 Macht beruht nicht notwendig auf Repression. Richtig ist vielmehr: Macht begrenzt, indem sie sich manifestiert. Sie schränkt für die, denen sie Grenzen setzt, die ihr unterliegen, Optionen ein, Verhalten, Egoismen, auch Freiheiten. In jedem Zusammenleben stoßen unaufhörlich gegensätzliche Interessen aufeinander. Deshalb wird um Möglichkeiten, also um Macht, immer wieder neu gerungen und verhandelt. Macht ist nicht statisch und beständig. Sie ist nicht gewiss. In diesem Sinne ist Jürgen Habermas zu verstehen, als er bemerkte: »Macht besitzt eigentlich niemand, sie entsteht zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln.«10 Jeder trägt durch sein Verhalten dazu bei, dass die Machtverhältnisse so sind, wie sie sind.

Auch das gilt es anzuerkennen: Ohne Machtstreben kommt niemand mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen voran, schon gar nicht in eine Führungsposition, egal in welcher Organisation oder in welchem Unternehmen, egal ob in einer Universität, einer Partei, der Kirche oder der freiwilligen Feuerwehr, einem Verein oder einem Kulturbetrieb. Macht entwickelt Menschen und gibt Gestaltungskraft. Kompetenz allein reicht nicht.

Das bemerkte auch Foucault. So erkannte er, nicht frei von Ambivalenz, in Macht nicht nur das Unterdrückende, sondern ebenso das Positive, Konstruktive und Befreiende. Er mahnte: »Man muss aufhören, die Macht immer nur negativ zu beschreiben, als ob sie nur ›ausschließen‹, ›unterdrücken‹, ›verdrängen‹, ›zentralisieren‹, ›abstrahieren‹, ›maskieren‹, ›verschleiern‹ würde. In Wirklichkeit ist Macht produktiv.«11 Ganz in unserem Sinne, dass sie uns unsere Verhältnisse gestalten lässt und uns verschafft, was wir wollen. Dazu brauchen wir allerdings zweckmäßige Mittel, Strategien und ein Verhaltensrepertoire, mit dem wir, im jeweiligen sozialen Kontext, dafür sorgen können, dass wir kriegen, was wir wollen. Macht verlangt Machtausübung, also Handeln.

Wer Macht zweckmäßig gebrauchen will, muss wissen: Was will ich? Auf die Frage gibt es nur persönliche Antworten. Jeder muss es für sich begreifen. Wer Ziele erreichen will, muss zweckmäßig handeln, das heißt: Macht geschickt anwenden. Keiner, der kriegen will, was er braucht, kann auf Macht verzichten. Ohne Macht, also ohnmächtig und hilflos zu sein, hält niemand aus.

Machtkämpfe

Meist sind wir Einzelkämpfer – für die eigenen Ambitionen. Wir machen Bedürfnisse andauernd gegeneinander geltend. Status ist uns wichtig, sozialer Rang, die Positionierung in Hierarchien. Wir gehen in den Wettbewerb und das heißt, wir wollen andere verdrängen. Niemand lebt in natürlicher Harmonie. Auf freien Märkten mit begrenzten Möglichkeiten herrschen raue Sitten. Um zu kriegen, was wir brauchen, bekriegen wir uns, sind ruppig und hemmungslos, reklamieren Territorium, setzen Grenzen, verteidigen uns gegen Angriffe, nicht immer nach den Regeln von Fairness und Anstand. Wir rufen Ablehnung und Widerstand hervor, oft mit ungeahnter Vehemenz und nicht kalkulierten Folgeschäden. Wir kämpfen um persönlichen Erfolg und darum, Niederlagen abzuwenden, mit wechselnden Ergebnissen. Enttäuschungen sind unvermeidbar. »Wenn der individuelle Lebensweg beherrscht wird von der Chance des Hochkletterns und der Gefahr des Absturzes, vom Erfolg und Misserfolg im Wettbewerb mit anderen, dann muss die eigene Biografie als Sequenz freiwilliger und unfreiwilliger, gewonnener und verlorener Machtkämpfe empfunden werden«, notiert Heinrich Popitz.12 Nüchtern stellt er fest: »Macht verbirgt sich in allem; man muss sie nur sehen.«13

Diejenigen, die Macht beanspruchen, geben es lieber nicht offen zu. Sie bevorzugen Worte, mit denen sie ihre Ambitionen verkleiden können. Sie sprechen lieber von »Einfluss«. Das klingt weniger ansprüchlich, aggressiv oder egoistisch. Begriffe können Absichten verschleiern. Macht und Einfluss sind, streng genommen, nicht gleichzusetzen. »Einfluss kann machtneutral sein … Die Möglichkeit der Einflussnahme mündet nicht von sich aus in ein Machtverhältnis ein«, bemerkt Byung-Chul Han.14 Einfluss wird genommen. Macht muss beansprucht werden. Der Wille zur Macht muss hervortreten. Mit dem Begriff »Einfluss« werden meist Machtanspruch und persönliche Begehrlichkeiten kaschiert. Im weiteren Text wird zwischen Einfluss und Macht nicht weiter unterschieden, um der semantischen Tarnung nicht weiter Vorschub zu leisten.

Nichts wird uns von selbst beschert, das Wenigste allein durch freundliches Bitten. Eigene Bedürfnisse, Wünsche und Ambitionen müssen uns klar sein. Dann können wir angehen, was sich uns bietet. Möglichkeiten müssen genutzt, gegen andere durchgesetzt und verteidigt werden. Im Job, in der Gesellschaft, sogar unter Freunden.

Paradoxien der Macht

Macht offenbart uns ein Lebensparadox: Wir wollen alle möglichst unbeeinflusst und unabhängig sein und sehnen uns doch immer wieder umstandslos nach Nähe zu anderen, nach trauter Beziehung, sozialer Sicherheit und Gemeinschaft. In der Konkurrenzgesellschaft blühen wir auf und sie macht uns zu schaffen. Unsere Begehren zerren uns in verschiedene Richtungen und bringen uns immer wieder in Konflikte – mit uns selbst und mit anderen. Bedürfnisse nach Individualität und Autonomie schlagen in jeder Gemeinschaft immer wieder durch. Gehen wir diesen Bedürfnissen nicht ausreichend nach, fehlt uns etwas Wesentliches: Persönlichkeit und Lebensfreude.

Wir geraten immer wieder in dasselbe Dilemma. Wir wollen und können unser Ego nicht ausschalten. Persönliche Freiheit ist ohne Macht nicht zu haben. Wir benötigen sie, um uns gegen andere durchsetzen, abgrenzen und behaupten zu können. Je mehr wir das wollen, umso mehr Macht brauchen wir. Macht und Autonomie gehören zusammen. Doch um Unterstützung, Zuwendung, Wertschätzung und Geborgenheit zu bekommen, müssen wir immer wieder auf Machtansprüche verzichten. Egoismus ist gesund. Bis zu einer gewissen Dosierung. Egozentrik geht anderen auf die Nerven und führt zu sozialer Unverträglichkeit.

Wir bestimmen selbst, wie wir anderen begegnen und somit auch, wie sie uns behandeln. Wer keine Grenzen zieht, wird nicht ernst genommen, nicht respektiert und erreicht nichts. Um uns durchzusetzen, müssen wir bisweilen unfreundlich sein und unseren Ärger zeigen, wenn andere uns hindern wollen, zu kriegen, was wir brauchen. Wer selbst anderen ins Gehege kommt, erlebt deren Widerstand. Oder deren Unterwerfung.

Macht muss nicht böse sein. Doch das Böse an der Macht ist fürchterlich. Wir versuchen, uns gegen das Böse zu wappnen, aber wir rotten das Böse im Menschen niemals aus. Es trifft uns immer wieder wie aus heiterem Himmel. Die Einsicht erschreckt, denn sie konfrontiert uns mit den Grenzen unserer Kontrollmacht. Sie setzt uns unserer Ohnmacht aus. Die wollen wir nicht gerne wahrhaben.

Macht will Sicherheit durch Kontrolle schaffen. Angst, keine ausreichende Kontrolle über das eigene Leben zu haben, treibt genauso zur Macht wie die Lust an Herrschaft. Wer egozentrisch nach Macht strebt, andere zu Werkzeugen eigener Begehrlichkeiten macht, reflektiert meist nicht, was er tut, und erkennt die Folgen seiner Handlungen nicht. So treibt er in Gemeinschaften an den Rand oder in die Isolation. Die größte Tücke tut sich für den auf, der nicht weiß, was er will. Er hat keine Macht über sich selbst. Das ist der Tiefpunkt der Machtlosigkeit.

Das Verständnis, wie Macht sich mit Funktionen und Rollen verbindet, worauf sie sich begründet, wie sie sich entfaltet, wie sie funktioniert, wie ihre Regeln sind und ihre Mechanismen wirken, gibt uns für unser Leben Gestaltungsmacht. Statt uns von Macht treiben oder uns in ihr zerreiben zu lassen, können wir uns selbstwirksam einmischen – im Spiel oder im Kampf um Macht. Und – wo auch immer – die Position erobern, die uns ermöglicht, zu kriegen, was wir wollen.

Macht über uns selbst

Die Frage stellt sich jeder, irgendwann: Was will ich? Was ist mir wirklich wichtig, nicht nur hier und jetzt, sondern auf lange Sicht? Damit stellen wir uns die tiefgehenden Fragen: Wer bin ich? Und: Wer will ich sein? Es sind Fragen nach Identität und Sinn. Sie gehen an unsere Substanz. Darauf eine angemessene Antwort zu finden, ist nicht leicht. Und im Laufe unseres Lebens mögen sich die Antworten für uns ändern. Bedürfnisse, Wünsche und Ambitionen stehen gegeneinander. Oder sie liegen im Verborgenen. Wenn wir sie nicht verstehen und abwägen, fehlt uns die Orientierung. Wir lassen uns durchs Leben treiben. Wir haben keinen Willen über uns selbst. Wir sind ohne Macht über uns. Wille zur Macht, so lehrte schon Nietzsche, ist zu allererst Wille zur Macht über sich selbst. Wir brauchen den Willen, uns selbst zu begreifen, damit unser Leben gelingen kann.

Dass sie selbst nicht genau wissen, was sie wollen, irritiert viele Menschen, vor allem die, die besonders umtriebig sind. Die Frage taucht auf, wenn sie mit ihrem Lebenskonzept nicht mehr weiterkommen oder sie keinen Sinn mehr finden in dem »weiterkommen« wie bisher. Sie haben das Gefühl, an ihrem Leben vorbeizuleben, nicht das daraus zu machen, was möglich wäre und sie zufriedener mit sich selbst werden ließe. Solche Gefühle können entstehen, wenn Menschen gegen Mauern rennen, sich den Kopf anstoßen, in einen Karriereknick stolpern oder vor lauter Optionen nicht mehr erkennen, welche sie am besten verfolgen sollten, damit es ihnen möglichst gut geht.

Plötzlich ahnen sie, wie sehr sie sich selbst unbekannt sind. Sie suchen Orientierung, einen inneren Kompass, der ihnen den Weg weist, damit sie Verirrungen vermeiden, sich nicht mehr so hin- und hergeworfen fühlen. Wenn wir nicht wissen, was wir wollen, können wir nicht Herr oder Frau über uns selber sein. Wir begreifen nicht richtig, was uns not- und was uns wohltut. Wir haben keine ausreichende Macht über unser Leben. Wir sind womöglich lebenstüchtig, aber nicht lebensmächtig.

Die Frage »was will ich?« wirklich zuzulassen und nicht loszulassen, sich einzugestehen, dass man sich selbst nicht richtig versteht, verunsichert, bedroht. »Was will ich?« können wir übersetzen in »wer bin ich?« und: »wer könnte ich sein?«.

Sinnkrisen erzeugen Druck, nach Neuorientierung zu suchen. Damit meldet sich der nächste Schrecken. Denn Neuorientierung verlangt, Gewohntes aufzugeben und unbekanntes Terrain zu betreten. Wir wissen nicht, ob das, was wir neu gewinnen, aufwiegt, was wir aufgeben. Verwirrend ist zudem, dass wir ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben, sogar welche, die sich gegenseitig widersprechen. Sie fördern Ideen, die wir nicht unter einen Hut kriegen. An uns zerren Ambivalenzen, das Nebeneinander von gegensätzlichen Gefühlen, Wünschen und Vorstellungen. Unser Bewusstsein – das Wissen über unser Sein – ist verwirrt.

Wir müssen uns aufmachen, uns selbst zu verstehen, dazu hinabsteigen in die Tiefen unseres Unbewussten, entdecken, was uns bisher verborgen blieb, was im Dunkeln liegt. Mit Aufmerksamkeit für uns selbst, für die verschiedenen Bedürfnisse und Ambitionen, können wir Licht ins Dunkel bringen, erhellen, was sonst unsichtbar, nicht zu benennen und nicht zu begreifen ist.

Gefühle zu benennen fällt vielen Menschen schwer. Sie können oft nur sagen, ob es ihnen »gut« oder »schlecht« geht. Doch Gefühle sind vielfältig. Sie sagen uns, was wir wollen. Wir müssen deshalb lernen, unsere Gefühle zu verstehen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass sie kein Eigenleben mehr führen und uns nicht länger beherrschen. Nur so können wir zu einer kompletten, selbstbewussten, selbstwirksamen Person werden.

Solche Inneneinsichten müssen wir uns erarbeiten. Sie verlangen uns Ausdauer und Beharrlichkeit, also Mühe ab. Wir müssen Beharrung im Gewohnten überwinden, die sich aus Angst vor Veränderung nährt. Das erfordert Selbstüberwindung. Selbstüberwindung, so argumentierte schon Nietzsche, ist Voraussetzung für Selbsterhalt, denn erhalten können wir uns tatsächlich nur selbst, wenn wir uns ständig weiterentwickeln, wenn wir uns anhalten zur »Selbststeigerung«.

Der Wille zur Macht ist für Nietzsche zuallererst der Wille zur Macht über sich selbst. Und die ist nur zu erlangen durch Selbstüberwindung, die zu Selbstbewusstsein, zu Kenntnis von sich selbst führt. Dann erst können wir die Frage, »was will ich?« richtig beantworten.

Was wir wollen

Was treibt Menschen an? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Psychologie seit Langem. Immer wieder neu. Psychologen beantworten sie unterschiedlich. Doch das ist durchaus von Vorteil. Denn verschiedenen Perspektiven erweitern unser Verständnis.

Am mächtigsten, argumentierte Abraham Maslow, seien körperliche Grundbedürfnisse – Hunger, Durst, Sexualität. Auf dieser Grundlage entstehe eine »Bedürfnispyramide« mit dem Bedürfnis nach Sicherheit – Schutz, Stabilität, Geborgenheit –, gefolgt von sozialen Bedürfnissen wie Zuneigung und Zugehörigkeit. Seien diese Bedürfnisse befriedigt, könnten »höhere« verfolgt werden, nach Anerkennung und Wertschätzung und schließlich – als höchste Stufe der Pyramide – Selbstverwirklichung.15

Macht war für Maslow keine ausdrücklich erwähnte Kategorie. Doch ohne Macht kann keines der von ihm benannten Bedürfnisse befriedigt werden, weder jenes nach Sicherheit noch jenes nach Selbstverwirklichung. Was Selbstverwirklichung bedeutet, muss jeder für sich herausfinden. Auch dahinter steckt die Frage: Was will ich? Und: Was sind meine Potenziale? Nicht jeder kann und will das Gleiche. Gleichheit wäre demnach eine fragwürdige Kategorie für persönliche Entwicklung. Freiheit ist entscheidend. Also hilft keine Chancengleichheit. Erforderlich sind Gelegenheiten, das zu tun, was den individuellen Bedürfnissen am besten entspricht. Nur darin kann Selbstverwirklichung entstehen. Je nachdem, wie weit diese Bedürfnisse reichen und von Bedürfnissen anderer beschränkt werden, variiert das Maß der Macht, das erforderlich ist, eigene Motive zu verfolgen.

David McClelland ortete drei grundlegende Bedürfnisse: Erfolg, Macht und Zugehörigkeit. Das Erfolgsmotiv erfüllt sich durch Leistung, die Bewältigung von Aufgaben.16 Wir wollen alle etwas schaffen, uns selbst und anderen unsere Leistungsfähigkeit – oder wie Albert Bandura17 es sagen würde –, unsere Selbstwirksamkeit beweisen. Mit Selbstwirksamkeit wissen wir, was wir erreichen können und sind in der Lage, Kontrolle, also Macht auszuüben.

Ist Erfolg messbar, umso besser; das hilft, die eigene Position klarer im Verhältnis zu anderen zu markieren. Für Manager bedeuten Umsätze, Gewinne, Börsenkurse das Zahlenwerk, an dem sie ihren Erfolg ablesen. Sportler haben Höhen, Weiten, Geschwindigkeiten, um ihren Erfolg zu messen. Politiker glauben, ihn in Popularität zu erkennen. Menschen, die vornehmlich auf Erfolg orientiert sind, wollen immer viel leisten, ständig besser, erfolgreicher werden. Aus Erfolg ziehen sie das meiste Selbstbewusstsein und den größten Stolz. Richtig gut geht es ihnen nur, wenn sie fortlaufend Erfolge feiern können. Schlecht dagegen fühlen sie sich, wenn sie dieses Bedürfnis nicht ausreichend verfolgen – weil sie sich selbst daran hindern oder von anderen daran gehindert werden. Das Sich-selbst-Hindern tritt ein, wenn falsche Prioritäten gesetzt werden. Das kann geschehen, wenn nicht klar ist, wie wichtig das Bedürfnis nach Erfolg wirklich ist, wenn konkurrierende Vorstellungen oder Bedürfnisse dazwischentreten, etwa das Bedürfnis nach Zugehörigkeit.

Um uns zugehörig zu fühlen, müssen wir anderen Menschen nahe sein, von ihnen akzeptiert und gemocht werden. Kein Mensch kommt ohne Erfolge aus und keiner ohne Zugehörigkeit. Aber beide Bedürfnisse sind individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt und oft nicht leicht gemeinsam zu erfüllen. Wem es vor allem wichtig ist, von anderen gemocht zu werden, der neigt dazu, sich eher um die persönlichen Beziehungen zu bemühen, andere so zu behandeln, dass Sympathiewerte und Zuneigung steigen. Wer so tickt, investiert weniger in Erfolge, verteilt seine Energien anders. Außerdem stellt er Erfolgsambitionen eher zurück, wenn diese zu Interessensgegensätzen mit anderen führen können. Das kann der Fall sein, weil sie andere Interessen oder weil sie die gleichen Interessen verfolgen. Das mag eine Rolle spielen bei der Entscheidung im Job, bei der Frage, welche Projekte bevorzugt verfolgt und wie Ressourcen verteilt werden sollen. Beziehungsorientierte scheuen vor Konkurrenzkämpfen zurück. In der Familie gibt der, dem es mehr um spannungsfreie Verhältnisse und Harmonie geht, eher nach, weil so das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Nähe am leichtesten zu verwirklichen ist.

Konflikte bereiten den Zugehörigkeits-Menschen seelische Last. Mit Konflikten ist das Risiko von Zurückweisung verbunden. Zurückweisungen sind für Zugehörigkeits-Menschen schmerzvoll, die wollen sie vermeiden. Menschen, die ein hohes Bedürfnis nach Zugehörigkeit haben und somit eine hohe Angst vor Zurückweisung, Ignoranz und Ausschluss, wollen es eher anderen recht machen. Sie kämpfen ungern gegen andere um Posten. Denen, die ihre Ellenbogen ausfahren, lassen sie den Vortritt. Steigen sie dennoch in Machtpositionen auf und werden sie Manager, die andere führen sollen, geraten sie leicht in ein inneres Dilemma, wenn Mitarbeiter die in sie gesetzten Erwartungen – aus Unvermögen oder Unwilligkeit – nicht erfüllen. Als Chefs, die Resultate und Erfolge zu präsentieren haben, sind sie gehalten, dafür Sorge zu tragen, dass die Ergebnisse stimmen. Als Zugehörigkeits-Abhängige sind sie jedoch nicht in der Lage, diejenigen zu drängen und womöglich unter angemessenen Druck zu setzen, die nicht liefern, was sie müssten.

Machtbedürfnisse zielen auf Einfluss und Kontrolle. Immer, wenn wir kriegen wollen, was wir brauchen, müssen sie zur Geltung kommen. Sonst kriegen wir es eben nicht.

McClelland unterscheidet zwischen dem Bedürfnis nach persönlicher Macht (personalized power) und Macht, mit der für andere etwas bewirkt werden soll (socialized power). Der persönlichen Macht geht es um den persönlichen Vorteil. Sie sucht Dominanz gegenüber anderen und Kontrolle über deren Tun, Denken und Empfinden, um persönliche Ziele wirkungsvoller durchsetzen zu können. Machtansprüche können auch darauf zielen, Macht um der Macht willen auszuüben. Macht wird als erhebendes Gefühl erlebt. Es gibt Menschen, denen es Spaß macht, Macht über andere zu spüren und auszuüben, zu bestimmen, was für sie möglich ist und was nicht. Dienen Machtansprüche dazu, den eigenen Selbstwert zu erhöhen, speist sich der Selbstwert vornehmlich aus dem Gefühl der Macht, wecken diese Ansprüche ständigen Machthunger. Um den zu stillen, ist schnell jedes Mittel recht – Manipulation, Mobbing, Charme, Lüge, Drangsal – im Extrem Gewalt.

Machtmenschen gehen Beziehungen, Koalitionen, Bündnisse vornehmlich aus taktischen Erwägungen ein. Die darin involvierten anderen Menschen dienen ihnen lediglich als ein Instrument. Ambitionen nach Macht und Erfolg können mit kühl kalkuliertem Umgang verfolgt werden, Bedürfnisse nach Zugehörigkeit nicht. Unbekümmert nach persönlicher Macht streben die, denen Nähe, Zuneigung, Geborgenheit nicht so wichtig sind, jedenfalls nicht in der öffentlichen Arena. Die geringeren Bedürfnisse, die sie danach haben, suchen sie vielleicht im engen Familienkreis zu bedienen. Richtige Freunde haben sie meist nicht.

Wer hoch aufsteigen will in der Macht, darf keine so starken Bedürfnisse nach sozialen Bindungen haben. Sie würden nur daran hindern, aus Rücksicht auf andere Interessen, die Macht zielgerichtet auszuüben. Zur Machtausübung gehört die Fähigkeit, Interessen zu vermitteln, zu moderieren, Kompromisse oder – besser – Konsens auszuhandeln. Oft geht das nicht, sind Gegensätze nicht zu überbrücken, müssen Entscheidungen getroffen werden, um nicht in Lähmung zu erstarren. Das gilt für Investitionsprojekte oder Postenvergaben ebenso wie für Entscheidungen, wofür eine Familie ihr Einkommen ausgibt.

Wer nach Macht greift, um Ideen, Ideale, Weltanschauungen oder Projekte voranzubringen, von denen es heißt, sie dienten dem Wohl anderer, womöglich sogar dem Wohl aller anderen, der hält sich edle Motive zugute. Die gibt es durchaus, doch um dafür einzutreten, braucht es immer auch den Willen zur Macht, und dieser speist sich nur aus persönlichen Machtbedürfnissen. Was gerne als Mittel zum Zweck ausgegeben wird, »es geht mir allein um die Sache«, weil solche Erklärungen doch sympathischer wirken, eher sozial akzeptiert werden, Vertrauen und Anhänger schaffen, entpuppt sich oft als falsches Versprechen.

Orientierung

Paul Lawrence und Nitin Nohria von der Harvard Business School argumentieren: »Unser Verhalten wird getrieben von der Konkurrenz unserer Gefühle, nicht allein durch vernünftige Erwägungen.«18 Sie identifizieren vier zur menschlichen Natur gehörende Antriebe, die alle irgendwie ins Spiel kommen, wenn wir Entscheidungen darüber treffen, was uns wichtig ist und auf welche Ziele wir zusteuern. Es sind dies die Antriebe, uns etwas anzueignen, zu besitzen (to acquire), uns an andere zu binden, uns zu verbinden (to bond), zu lernen (to learn) und uns zu verteidigen (to defend). Macht nennen sie nicht als eigenes Motiv, doch auch nach ihrer Logik ist Macht gefordert, um Bedürfnisse zu befriedigen.

Das Bedürfnis »zu besitzen« beziehen sie sowohl auf materielle Güter als auch auf soziale Positionen, damit ist auch der Wunsch nach Status verbunden, also das Streben nach sozialem Rang. Das hat zur Folge, dass darum gerungen wird, in Hierarchien möglichst weit aufzusteigen. Dieser Drang ist unmittelbar und unersättlich. »Wie intensiv die Gefühle von Freude und Glück auch sein mögen, wenn die Ereignisse eintreten, diese Gefühle schwinden schnell und die Menschen sind dann nur mehr so glücklich wie zuvor. Ihr Verlangen zu besitzen kehrt mit voller Kraft zurück.«19

Doch werden wir eben nicht allein durch diesen Trieb bestimmt. Lawrence und Nohria weisen darauf hin, dass schon Adam Smith bemerkte, die Menschen seien von Natur aus sozial (»sociably by nature«), und auch Charles Darwin in uns »soziale Wesen« (»man is a social being«) erkannte. Um Nähe zu anderen herzustellen, müssen wir anderen einiges bieten: Respekt, Wertschätzung, Zuneigung, Mitgefühl, Verlässlichkeit, Partnerschaft und Liebe, wir müssen uns dazu in andere hineinversetzen können, sie so behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen, jedenfalls meist, Versprechen halten, nicht brechen, andere nicht hintergehen und reinlegen, uns fair verhalten.