Psychosomatische Medizin und Palliative Care -  - E-Book

Psychosomatische Medizin und Palliative Care E-Book

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Beschreibung

Psychosomatische Medizin und Palliativmedizin weisen viele Parallelen auf: Das bio-psycho-soziale Modell der Psychosomatik findet seine Entsprechung im Total Pain- oder Total Suffering-Konzept der Palliativmedizin. Beide Fächer entwickeln in multiprofessionellen Behandlungsteams ganzheitliche Therapiekonzepte und nehmen kranke Menschen mit ihrer einzigartigen Lebensgeschichte und Persönlichkeit wahr, um Besserung oder Linderung von Beschwerden oder belastenden Symptomen zu erreichen. In diesem Buch versammeln renommierte Autorinnen und Autoren aus Palliativmedizin, Psychosomatischer Medizin und Psychologie wertvolle Anregungen für die Praxis.

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Inhalt

Cover

Titelei

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Geleitwort

Geleitwort

Statt eines Vorworts – ein Dialog

Literatur

1 Total pain – Was die Psychosomatik von Cicely Saunders lernen kann

1.1 Für das ausgeschlossene Subjekt sorgen

1.2 Schmerz in multidimensionaler Perspektive

1.3 Ist Schmerz eine Kategorie, eine Dimension oder ein Typos?

1.4 Professionalisierung vs. Deprofessionalisierung

1.5 Leid und Leiden

1.6 Aushandeln als Teil der Schmerzarbeit

1.7 Bio-psycho-sozio-spirituelle Medizin

1.8 Zusammenfassung: Was Palliative Care und Psychosomatische Medizin voneinander lernen

Literatur

2 Ein blinder Fleck? – Funktionelle Beschwerden und Bodily Distress bei Todkranken und Sterbenden

2.1 Subjektivität und Objektivität in der Palliativmedizin

2.2 Begriffe, Konzepte, Diagnosen

Psychosomatische Beschwerden

Somatisierung

Funktionelle Beschwerden

Bodily Distress

Psychologische Faktoren oder Verhaltensfaktoren bei anderenorts klassifizierten Krankheiten

2.3 Diagnostisches und therapeutisches Vorgehen bei funktionellen Beschwerde‍(anteile)‌n und Bodily Distress in der Palliativmedizin

Gespräch und Zuwendung

Psychoedukation

Autonomie und Partizipation

Psychotherapeutische (Schmerz-)‌Behandlung

Medikamentöse Therapie

2.4 Last but not least: Funktionelle Beschwerden und Bodily Distress bei palliativmedizinischem Personal

2.5 Zusammenfassung und Ausblick

Literatur

3 Psycho-existenzielles Leiden am Lebensende

3.1 Begriffsbestimmung

3.2 Bedeutung psycho-existenziellen Leidens in der Palliativversorgung

3.3 Psychotherapeutische Behandlungsansätze

Supportiv-expressive Gruppentherapie (SEGT)

Sinnzentrierte Psychotherapie (Meaning-Centered Psychotherapy)

Managing Cancer and Living Meaningfully (CALM)

Würdezentrierte Therapie (dignity therapy)

3.4 Fazit

Literatur

4 Depression und Demoralisierung

4.1 Einführung

4.2 Symptomatologie und Ätiologie

Depression

Demoralisierung

Exkurs zur Geschichte des Begriffs »Demoralisierungssyndrom«

4.3 Diagnose und Differenzialdiagnose

Depression – Diagnose

Demoralisierung – Kriterien

Differenzialdiagnose Depression – Demoralisierung

4.4 Therapie und Resilienz

Depression

Demoralisierung

Vulnerabilität und Resilienz

Psychotherapeutisches Vorgehen

4.5 Resümee

Literatur

5 Der Leib des sterbenden Menschen

5.1 Leib und Körper

5.2 Sterben als leiblich-körperliches Geschehen

5.3 Selbstentzug

5.4 Zeitlichkeit des sterbenden Menschen

5.5 Räumlichkeit des sterbenden Menschen

Literatur

6 Das Delir – eine psychosomatische Erkrankung in der Palliativmedizin?

6.1 Delir und »terminale Unruhe« – Begrifflichkeit

6.2 Das Delir am Lebensende

6.3 Die Pathogenese des Delirs am Lebensende

6.4 Prävention und Diagnose des Delirs

6.5 Die Behandlung des Delirs

6.6 Psychiatrische/psychosomatische Erkrankungen in Verbindung mit dem Delir

Demenz

Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS)

6.7 Psychosomatische Medizin und Palliative Care

Literatur

7 Kommunikation am Lebensende – Die Hoffnung stirbt zuletzt

7.1 Einleitung

7.2 Die Palliativmedizin

7.3 Kommunikative Anforderungen

7.4 Hoffnung

7.5 Zusammenfassung

Literatur

8 Bindungstheorie als Grundlage psychotherapeutischer Interventionen in der Palliativmedizin

8.1 Bindungstheorie am Lebensende?

Bindung am Lebensende

8.2 Bedeutung der Bindungsmuster für die Palliativversorgung

8.3 Psychosomatische Aspekte

8.4 Psychotherapeutische Interventionen in der Palliativmedizin auf Basis der Bindungstheorie

8.5 Fallbeispiele

Unsicher-distanzierte Bindung im klinischen Kontext

Desorganisierte Bindung

8.6 Schlussbemerkung

Literatur

9 »Wozu leben?« – Sinnzentrierte Interventionen in Palliative Care

9.1 Einleitung: Die Relevanz von Sinnfragen bei fortgeschrittenen Erkrankungen

Sinn – eine definitorische Annäherung

Die Relevanz von Sinn

9.2 Sinnzentrierte Interventionen in Palliative Care

Logotherapie und Meaning-Centered Psychotherapy

Lebensrückblick-Interventionen

Existenzielle Psychotherapie

Werte-Arbeit in der Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT)

Spiritual Care

»Sinn ist das, was für den Patienten bedeutsam ist«: die Interventionen CALM und Outlook

9.3 Schlussbetrachtung

Literatur

10 Psychoanalytisch orientierte Supervision in palliativen Kontexten

10.1 Begriffsklärungen

10.2 Supervisorische Praxis

10.3 Supervisorische Themen

10.4 Supervision im »archetypischen Feld«

10.5 Konsequenzen

Literatur

11 Eine Szene, die bleibt – Chancen des Klassischen Psychodramas im palliativen Kontext

11.1 Psychodramatischer Prozess: Ablauf einer psychodramatischen Intervention

11.2 Anwendungsmöglichkeiten psychodramatischer Techniken bei der Begleitung von Palliativpatienten

11.3 Mensch – Patient – Rolle

11.4 Psychodramatischer Ansatz im palliativen Kontext

11.5 Eine Holzkiste und ihre symbolischen Figuren

Beispiel einer Szene: »Was mir wichtig ist in meinem Leben«

11.6 Von der Idee zum Aufbau und Durchführung einer Studie

Zeitachse und Ausblick der Studie

Literatur

12 Wie palliativ ist die Psychosomatische Medizin und Psychotherapie?

12.1 Zum Begriff »palliativ«

12.2 Begriffsverbindungen von »palliativ« mit Psycho-Ausdrücken

12.3 Literaturüberblick in Auswahl

12.4 Diskussion

12.5 Fazit

Literatur

13 Moralischer Stress bei der Betreuung von Patienten am Lebensende – Implikationen für die Lehre im Fach Palliativmedizin

13.1 Begriffsbestimmung

13.2 Moralischer Stress bei der Betreuung von Patienten am Lebensende

13.3 Die besondere Situation der Medizinstudierenden

13.4 Bewältigung und Prävention von moralischem Stress bei Medizinstudierenden

Literatur

Sachwort- und Personenregister

Münchner Reihe Palliative CarePalliativmedizin – PaIIiativpflege – Hospizarbeit

Band 17

Schriftleitung

Prof. Dr. med. Gian Domenico Borasio (federführend)Prof. Dr. med. Monika Führer (federführend)Prof. Dr. med. Dr. phil. Ralf Jox (federführend)Prof. Dr. rer. biol. hum. Maria Wasner (federführend)

Prof. Dr. med. Johanna AnneserDipl.-Soz.-Päd. Dipl.-Theol. Josef RaischlProf. Dr. theol. Traugott RoserProf. Dr. rer. biol. hum. Henrikje Stanze

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/muenchner-reihe-palliative-care

Die Herausgeber

Prof. Dr. med. Johanna Anneser, Neurologin und Palliativmedizinerin, leitet den Funktionsbereich Palliativmedizin, Klinikum rechts der Isar der TU München.

Prof. Dr. med. Eckhard Frick sj, FA für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychiater und Psychoanalytiker, Professur für Spiritual Care und psychosomatische Gesundheit an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinikum rechts der Isar der TU München.

Johanna AnneserEckhard Frick(Hrsg.)

Psychosomatische Medizin und Palliative Care

Perspektiven und Ansätze aus multiprofessioneller Sicht

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbeipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtsverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hinweise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtsverletzungen bekannt werden, werden die betroffenen externen Links soweit möglich unverzüglich entfernt.

1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-036248-2

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-036249-9epub: ISBN 978-3-17-036250-5

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Prof. Dr. med. Johanna AnneserFunktionsbereich PalliativmedizinKlinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und PsychotherapieKlinikum rechts der Isar, TU MünchenIsmaninger Str. 22, D-81675 Mü[email protected]

Prof. Dr. med. Gian Domenico BorasioLehrstuhl für PalliativmedizinUniversität LausanneChefarzt, Abteilung Palliative CareUniversitätsklinikum Lausanne (CHUV)Av. Pierre Decker, 5, CH-1011 [email protected]

Univ.-Prof. Dr. phil. Dr. theol. Reinhold EsterbauerLeiter des Instituts für PhilosophieKatholisch-Theologische Fakultät der Universität GrazHeinrichstraße 78, A-8010 [email protected]

Prof. Dr. med. Eckhard FrickProfessur für Spiritual Care und psychosomatische GesundheitKlinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und PsychotherapieKlinikum rechts der Isar, TU MünchenLangerstr. 3, D-81675 Mü[email protected]

Prof. Dr. med. Constanze Hausteiner-WiehlePsychosomatik und PsychotherapieOberärztinNeurologie, Klinische Neurophysiologie und Stroke UnitBG Unfallklinik MurnauProf.-Küntscher-Str. 8, D-82418 [email protected]

Prof. Dr. rer. soc. Peter HerschbachKlinik für Psychosomatische Medizin und PsychotherapieKlinikum rechts der Isar, TU MünchenLangerstr. 3, D-81675 Mü[email protected]

Prof. Dr. med. Peter HenningsenDirektor der Klinik für Psychosomatische Medizin und PsychotherapieKlinikum rechts der Isar, TU MünchenLangerstr. 3, D-81675 Mü[email protected]

Karin JostDipl.-Medienwirtin (FH), Psychodrama-Praktikerin & Coach,Mitgründerin der Deutschen Akademie für junge KarrierenDachauer Str. 4, D-85778 [email protected]

Dr. Dirk KratzDipl.-Pädagoge, Psychodrama-Praktiker,Geschäftsführer Therapieverbund Ludwigsmühle gGmbH undInhaber von Blick-Zwei – Praxis für Therapie und EntwicklungMark-Twain-Str. 8, D-69126 [email protected]

Dr. phil. Klaus LangPsychologischer PsychotherapeutPraxis für PsychotherapieSendlinger-Tor-Platz 11, D-80336 Mü[email protected]

Dr. hum. biol. Jakob J. MüllerUniversitätsklinikum HeidelbergInstitut für Psychosoziale PräventionBergheimer Str. 54, D-69115 [email protected]

Dr. med. Yvonne PetersenInternistin/PalliativmedizinMemeler Str. 99, D-81929 Mü[email protected]

Heribert Sattel, Dipl.-Psych.Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und PsychotherapieKlinikum rechts der Isar, TU MünchenLangerstraße 3, D-81675 Mü[email protected]

Prof. Dr. med. et phil. Gabriele Stotz-IngenlathKatholische Stiftungshochschule München (KSH)Preysingstraße 83, D-81667 Mü[email protected]

Tamara Thurn, Dipl.-Psych.Fachpsychologin Palliative Care (BDP-DGP), Psychologische PsychotherapeutinFunktionsbereich PalliativmedizinKlinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und PsychotherapieKlinikum rechts der Isar, TU MünchenIsmaninger Str. 22, D-81675 Mü[email protected]

Prof. Dr. phil. Ralf T. VogelPsychotherapeut, Honorarprofessor für Psychotherapie und Psychoanalyse an der HfBK DresdenPrivatpraxis für Psychotherapie und SupervisionUhlandstr.11, D-85055 Ingolstadt

Geleitwort

von Peter Henningsen

Die Palliativmedizin ist in Deutschland mittlerweile aus der klinischen Versorgung nicht mehr wegzudenken. Aber nicht nur in der Versorgung der Patienten, auch in Forschung und Lehre und damit an den medizinischen Fakultäten hat sie inzwischen ihren Platz.

Palliativmedizin kümmert sich um Patienten mit nicht mehr heilbarer Erkrankung in somatischer, psychischer, sozialer und auch spiritueller Hinsicht. Sie hat – wie das bei erfolgreichen Kindern so ist – viele klinische Väter und Mütter aus Medizin und Pflege, von Anästhesie über Onkologie bis Neurologie sind verschiedene Fächer dabei. Sie hat aber auch Geschwister, und als ein solches hat sich die Psychosomatische Medizin entpuppt – denn diese ist mittlerweile nicht mehr einseitig auf »psychogene Erkrankungen«, sondern genauso wie die Palliativmedizin genuin bio-psycho-sozial ausgerichtet, kümmert sich um den Patienten in psychischer, somatischer und sozialer – und oft auch in spiritueller – Hinsicht.

In der von Gian Domenico Borasio begründeten Münchner Tradition der akademischen Palliativmedizin konnte diese Geschwisterschaft besonders deutlich werden. Prof. Borasio hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Geschwister am Universitätsklinikum rechts der Isar der TU München unter einem Dach leben: der Palliativmedizinische Dienst und jetzt auch die Palliativstation sind dort an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie angesiedelt, zu der auch eine Forschungsstelle für Spiritual Care gehört.

Aber Strukturen allein sind es nicht, auf die Personen kommt es an: Die Herausgeber dieses Buchs, Prof. Johanna Anneser und Prof. Eckhard Frick, sie Neurologin, Palliativmedizinerin und Leiterin der Palliativmedizin am Klinikum rechts der Isar und er Psychosomatiker, Psychoanalytiker, Philosoph, und Leiter der Forschungsstelle Spiritual Care, verkörpern die Nähe von Palliativ- und Psychosomatischer Medizin in besonderer Weise. Sie konnten für dieses Buch erfahrene und renommierte Autorinnen und Autoren gewinnen, die typische palliativmedizinische Themen in der besonderen Perspektive der Psychosomatik und Psychotherapie beleuchten. Damit belegt dieses Buch, dass Geschwister nicht nur gut unter einem Dach zusammenleben, sondern auch sehr produktiv zusammenarbeiten können – ich wünsche ihm den verdienten Erfolg und allen Lesern und Leserinnen bereichernde Erfahrungen im genaueren Kennenlernen dieser Geschwisterperspektive.

Im Herbst 2022Peter Henningsen

Geleitwort

von Gian Domenico Borasio

Die noch junge Geschichte der Palliativmedizin ähnelt der der meisten medizinischen Fachdisziplinen. Jedes neue Fachgebiet in der Medizingeschichte musste anfangs seine Eigenständigkeit gegen die alteingesessenen Fächer und die damit verbundenen Machtstrukturen durchsetzen. So durfte zum Beispiel vor etwa 100 Jahren der erste Lehrstuhlinhaber des neuen Faches Kinderheilkunde an der Berliner Charité nicht mit den anderen Ordinarien zu Mittag essen; der erste Lehrstuhlinhaber für Palliativmedizin in München durfte sich sein ärztliches Personal nicht selbst aussuchen, sondern bekam es von der Anästhesie und der Onkologie zugeteilt.

In Deutschland sind es justament die Anästhesie und die Onkologie, welche die Elternschaft (und das »Sorgerecht«) über die Palliativmedizin für sich reklamieren. Erstere begründet ihren Anspruch mit der zentralen Rolle der Schmerztherapie in der Palliativmedizin, Letztere auf das Überwiegen von Krebspatienten in Palliativeinrichtungen. Bei Lichte besehen, halten beide Ansprüche einer Überprüfung durch die Realität nicht stand: Nur 25 % der Menschen sterben an Krebs, und die Schmerztherapie macht nur ca. ein Sechstel der Palliativbetreuung aus. Aber es geht hier ja nicht primär um Argumente, sondern um Macht und Geld, wie auch sonst im Gesundheitssystem.

Die Psychosomatik und die Palliativmedizin haben in dieser Hinsicht mehr als eine Gemeinsamkeit, weshalb die Bezeichnung als »Schwesterdisziplinen« (▸ Geleitwort von Prof. Henningsen) sehr passend erscheint. Drei der wichtigsten Berührungspunkte seien im Folgenden kurz skizziert:

Beide Disziplinen basieren auf einem bio-psycho-sozio-spirituellen Verständnis von Krankheit und Gesundheit. Dies unterscheidet sie von allen anderen Fachgebieten der Medizin, die so tun, als ob man Körper und Seele sauber voneinander trennen könnte. Die dadurch verursachten Schäden, immense Kosten und das viele unnötige Leiden sind jedem ersichtlich, der sich unser hochspezialisiertes Gesundheitssystem aus der Nähe anschauen möchte.

Beide Disziplinen sind zutiefst und strukturell multi- und interprofessionell angelegt. Psychologinnen und Therapeuten, Pflegende, Sozialarbeiterinnen und Seelsorger spielen in der Psychosomatik und in der Palliativmedizin wesentliche Rollen und arbeiten auf Augenhöhe mit den Ärztinnen. Auch dies ist für die übrige, starr hierarchische und iatrozentrische Medizin schwer nachzuvollziehen.

Und schließlich sind beide Disziplinen für das Gesundheitssystem auf erfrischende Art und Weise unbequem, weil sie unangenehme Wahrheiten aussprechen und aufmüpfige Fragen stellen, wie etwa: »Ist alles in der Medizin sinnvoll, bloß weil es machbar ist?«. Das hat logischerweise zur Folge, dass beide Disziplinen eher toleriert als geliebt werden, was sich unter anderem darin zeigt, dass sie bei weitem nicht an allen Universitäten in Deutschland adäquat akademisch repräsentiert sind.

Daher ist die Verschwesterung der beiden Fachgebiete, wie sie erfolgreich an der TU München, aber auch zum Beispiel an der Universität Basel gelebt wird, eine innovative und spannende Verbindung, die zur gegenseitigen Befruchtung und Horizonterweiterung führen kann. Der vorliegende Band ist ein sehr schöner Ausdruck davon und wird den geneigten Leserinnen und Lesern viel Freude und Erkenntnisgewinn bereiten.

Lausanne/München, im Herbst 2022Gian Domenico Borasio

Statt eines Vorworts – ein Dialog

zwischen Johanna Anneser und Eckhard Frick

Eckhard Frick: Psychosomatische und Palliative Medizin seien Geschwister, sagt Peter Henningsen. Wo ist denn da der Familienzusammenhalt, um welches Thema geht es in dieser Familie?

Johanna Anneser: Geschwister sind manchmal ähnlicher, manchmal verschiedener. Sie verstehen sich oft unterschiedlich gut, manchmal ist es auch ganz harmonisch. Gelegentlich gibt's Auseinandersetzungen. So wird es wahrscheinlich auch mit der Geschwisterschaft zwischen medizinischen Fachrichtungen sein. Wie ist das nun bei Psychosomatischer Medizin und Palliativmedizin? Ich glaube, der wesentliche Punkt, der »Familienzusammenhalt« ist, dass sich beide Fachrichtungen bemühen, den Menschen – um jetzt psychosomatisch zu sprechen – in seinem bio-psycho-sozialen Zusammenhang zu verstehen. Sie versuchen herauszufinden, was er oder sie als Person in einer konkreten Situation und in all diesen unterschiedlichen Aspekten gerade braucht. Gleichzeitig versuchen beide, bei diesem Blick aufs Ganze auch die Details zu beachten – oder wie Cicely Saunders es formuliert hat: attention to detail. Das geht am besten im multi-professionellen Behandlungsteam, wo die Behandler auch aufeinander hören.

Eckhard Frick: Dieses berühmte bio-psycho-soziale und vielleicht sogar auch -spirituelle Modell wird ja von wenigen bestritten. Aber was heißt das in der technischen, ökonomischen und organisatorischen Realität so eines High-Tech-Klinikums? Wie lässt sich da Palliative Care implementieren?

Johanna Anneser: Der kontroverseste Punkt des bio-psycho-sozialen Modells im High-Tech-orientierten Gesundheitssystem ist vermutlich der soziale Aspekt, der ja das Umfeld des Patienten, die Angehörigen oder Zugehörigen mit einschließt. Hier ist sicher nicht nur in der Palliativmedizin, sondern vor allem in vielen anderen Bereichen noch ein längerer Weg zu gehen. Aber ich glaube, dass es in der Palliativmedizin dazu gute Ansätze gibt, die zum Teil auch vorbildhaft sein könnten. Wenn man die ökonomische Seite ansieht, so gibt es in der Palliativmedizin Abrechnungsziffern, in die Leistungen, die an An- und Zugehörigen erbracht wurden, mit einfließen, beispielsweise Gespräche, die mit diesen geführt werden, erhöhen dann den erzielten Erlös – das ist in vielen anderen Fachbereichen nicht so. Allerdings zweifle ich manchmal daran, ob die Sichtweise eines bio-psycho-sozialen Modells und dessen Bedeutung bei den Kostenträgern schon zur Gänze angekommen ist. Ich erinnere mich an einen Patienten, nach dessen Versterben wir abschließend Gespräche mit den Angehörigen geführt und diese für die Abrechnung auch dokumentiert haben. Diese Leistungen wurden dann von der Krankenkasse gestrichen mit der lapidaren Begründung, dass die Leistungspflicht des Kostenträgers mit dem Tod des Versicherten erlischt.

Eckhard Frick: Das Erlöschen der Leistungspflicht mit dem Versterben ist ein auffälliges Stichwort. Spiritualität hat es ja mit Transzendenz zu tun. Unser Menschsein geht auch über solche Grenzen hinweg. Trauer, Erinnerung, Auseinandersetzung mit dem Tod gehören zum Leben. Es scheint in den Kosten-Überlegungen schwer abzubilden zu sein, dass all das zum Leben gehört. Auch die Trauer, gewissermaßen die Nacharbeit und die bleibende Präsenz eines verstorbenen Menschen gehört zu unserem Leben, ist nicht einfach zu Ende mit dem Feststellen des Todes.

Johanna Anneser: Ja, ganz genau. Andererseits ist die Bedeutung von Spiritualität und Spiritual Care, wie wir wissen, ja nicht beschränkt auf die Palliativmedizin, sondern hat mit allen Lebens- und Krankheitsphasen und allen medizinischen Fachrichtungen zu tun. Das müsste allerdings erst einmal in die Köpfe, seien es jetzt die der Ärzte, des Pflegepersonals als auch in die Köpfe derer, die die Finanzierung in Händen halten. Vorerst ist aber die Palliativmedizin die einzige Fachrichtung, die spirituelle Bedürfnisse in ihrer Definition aufführt und als integralen Bestandteil betrachtet – so ist es ja auch in der Definition der WHO von »Palliative Care« aufgeführt. Wie das dann im Einzelfall funktioniert, ist natürlich wieder sehr unterschiedlich gelebt. Es gibt da die aktuelle Diskussion der Abrechenbarkeit von spiritueller Begleitung bei Palliativmedizin. Da gab es einige Urteile, die ja sehr positiv waren.

Eckhard Frick: Trotz des Rollbacks nach den Urteilen der Sozialgerichte...

Johanna Anneser: ... ja: positiv war dann das darauffolgende Engagement der beiden großen Kirchen, die genauso wie wir in der Palliativmedizin in ihrer Stellungnahme sagen: Spiritual Care ist Teil der Behandlung und diejenigen, die diese Leistung erbringen, sind Team-Mitglieder. Dies muss dann auch in die Dokumentation und Abrechnung einfließen können. Was meinst Du: welche Initiativen brauchen wir, damit Spiritual Care besser berücksichtigt wird?

Eckhard Frick: Wir haben von spirituellen Bedürfnissen kranker Menschen gesprochen. Die gibt es nicht nur in der Palliativmedizin, wir haben sie z. B. gerade in einer großen internistisch-chirurgischen Notfallambulanz untersucht (Büssing et al. 2021; Frick et al. 2021). Darüber hinaus müssen wir auch an die spirituellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden denken, also an ihre Motivation. Alles, was sie stärkt, was sie an spirituellen Ressourcen mitbringen, selbstverständlich in der ganzen Pluralität, die den Begriff »Spiritualität« ausmacht. Welche Kraftquellen haben Menschen, damit sie diese anstrengenden Berufe ausüben können? Und zwar nicht nur in der Begeisterung der ersten Jahre, sondern ein langes Berufsleben lang. Da denke ich ganz besonders an die Pflege. Pflegenotstand ist nicht nur ein Problem der Finanzen, also der Unterbezahlung der Pflege hierzulande, sondern hängt auch von der Art ab, wie die Pflege eingesetzt wird, wie die persönlichen Ressourcen gefördert werden. Da sind beide Bereiche Vorreiter, sowohl Palliativ- als auch psychosomatische Medizin, wegen des interprofessionellen Charakters und der hohen Bedeutung der Pflege, die keineswegs überall so ist. Der Beitrag könnte sein, auf die Ressourcen der Mitarbeitenden zu schauen und ganz ähnlich wie Cicely Saunders, von der Unit of Care spricht, auf das Caring für die Carers zu achten.

Johanna Anneser: Noch ein anderer Punkt: Unsere Klinik heißt ja »für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie«. Was kann denn die Palliativmedizin lernen von der Psychotherapie?

Eckhard Frick: Ich denke, in erster Linie das Verstehen von Beziehungen und von Geschichten, von Ereignissen, die sich zwischen Menschen abspielen. Psychotherapie ist ja eine sehr arme Art von Medizin. Wir haben keine Medikamente. Wir können eigentlich nur reden und zuhören. Es gibt zwar auch übende, leiborientierte und kreative Elemente. Aber im Wesentlichen geht es über die Sprache. Also: Welche Ressourcen, welche Probleme bestehen aktuell in der Familie der Patienten und Patientinnen oder aber in ihrer Erinnerung, welche in ihrem Beruf, in ihrem sozialen Umfeld? Was gibt es da zu klären? Wo haben sich vielleicht sogar Störungen gebildet? Im Sinn von Angststörungen oder depressiven Störungen oder auch der sogenannten funktionellen Störungen? Um Verstehen geht es aber auch, wenn eine Patientin oder ein Patient »aus der Beziehung aussteigt«, z. B. ins Delir rutscht und nicht mehr erreichbar ist. Dann denken viele nur: Jetzt müssen wir Medikamente geben, was natürlich notwendig sein kann. Andererseits: Gerade dann hat auch Psychotherapie eine Chance, wenn wir nichts verstehen, nicht mit dem Anspruch daherkommen, alles zu psychologisieren. In Situationen, wo der zerebrale Zustand gewissermaßen die Führung übernimmt und z. B. er oder sie nicht mehr in der Lage ist, klar am Gespräch teilzunehmen. Auch das sind wichtige Momente, weil wir auch da das Team unterstützen können und, je nach Krankheitsverlauf den Patienten unterstützen, wieder in die Normalität der Beziehungen zurückzukehren.Ein wichtiges interdisziplinäres Gebiet ist auch die Sinnsuche kranker Menschen und ihrer Familien und vor allem die Auseinandersetzung mit der Sinnlosigkeit. Das hat einen spirituellen und einen psychotherapeutischen Aspekt, ohne dass man beide Seiten gegeneinander ausspielen darf. Deshalb entwickeln wir jetzt gemeinsam das Projekt »legacy«: Was wollen Sterbende noch erledigen, was wollen sie als Vermächtnis hinterlassen? Welchen Raum und welche Unterstützung brauchen sie dazu?

Johanna Anneser: Die »legacy« hat dann schon was mit der Bezogenheit, mit der Relationalität zu denen, die dableiben, zu tun. Gäbe es da nochmal verstärkt eine Rolle für Psychotherapie oder Spiritual Care, was die Angehörigen betrifft? Könnte man sich da vielleicht vorstellen, präventiv zu arbeiten, dass die Menschen mit dem Verlust, der ja dann unvermeidlich auftritt, besser zurechtkommen?

Eckhard Frick: Innerhalb der Psychotherapie gibt es familientherapeutische Ansätze, z. B. die systemische Therapie, die nicht nur auf den individuellen Patienten schauen, was wir meistens auch in der Medizin machen, siehe unser Beispiel der Abrechnung von Trauerbegleitung, sondern immer systemisch vorgehen, also den Patienten innerhalb eines Kontextes sehen, innerhalb einer Unit of Care. Und über das Professionelle hinaus gibt es das Selbsthilfe-Potenzial. Also: Wie können wir Räume zur Verfügung stellen, dass Menschen sich auch selbst organisieren, voneinander wissen, sich in Gruppen zusammentun und sich gegenseitig unterstützen? Da haben wir eher eine Hebammenfunktion, spielen nur die zweite Geige. Denn wir müssen das nicht als Profis in der Hand behalten, sondern vielmehr anregen und bestärken, wie wichtig dieses Selbsthilfepotenzial ist: In der sozialen Unterstützung, in ganz konkreten Dingen und dann auch in den Fragen, die du ansprichst, in der Verarbeitung der Trauer, also sowohl dieses Abschieds, wenn Menschen sehr schwer krank sind und sich das Sterben abzeichnet.Noch einmal zum »Geschwisterpaar« Palliativmedizin und Psychosomatische Medizin: Wo können sich beide in der Forschung unterstützen?

Johanna Anneser: Palliativmedizin hat in jedem Haus, in dem sie etabliert ist, eine andere Färbung, ein eigenes Erscheinungsbild. Das hängt vor allem auch damit zusammen, dass die komplett eigenständigen palliativmedizinischen Kliniken und Abteilungen in der Minderheit sind. Die meisten palliativmedizinischen Einheiten sind an eine andere Klinik angegliedert. Ich glaube, es macht schon einen Unterschied, ob man als Palliativmedizin Teil einer onkologischen Klinik, einer Anästhesiologie, Neurologie, Strahlentherapie oder eben einer Psychosomatik ist.Das wird die klinische Arbeit und auch die Forschungsinteressen prägen. Wir werden in den kommenden 10 – 20 Jahren weitersehen, wie diese Kooperation zwischen den einzelnen Fachrichtungen, in unserem Fall mit der Psychosomatik, wiederum Auswirkungen auf die Palliativmedizin selber hat: auf die Form, wie dieses sich entwickelnde und sich weiterentwickelnde Fach gelebt werden wird und sich aus den »Mutterkliniken« auch emanzipiert.

Eckhard Frick: Das sind ja auch wissenschaftspolitische Fragen. Palliativmedizin ist ein recht junges Fach und wie bei allen jungen Fächern gibt es da auch entweder entwicklungsfreudige Geschwister oder andere, die sagen: »Was will denn die jetzt hier, die kleine Schwester? Das haben wir doch bisher alles gut selbst gemacht. Was soll denn jetzt eigentlich dieser neue Ansatz?« Das kann auch erst einmal stören, weil es da jemanden gibt, der neue und eigene Sachen einbringt. Gibt es schon Anzeichen, wie diese Entwicklung gerade in der universitären Palliativmedizin verlaufen wird?

Johanna Anneser: Meines Erachtens wird die spannendste Entwicklung nicht in den Fragen der Symptomkontrolle liegen. Ich glaube, Schmerzen, Atemnot, die meisten körperlichen Symptome bekommt man mittlerweile ganz gut in den Griff – aber natürlich gibt es auch da noch Verbesserungsmöglichkeiten. Hier sind wir relativ weit. Ich glaube, das Spannendste wird die weitere Auseinandersetzung mit ethischen Fragen und auch mit spirituellen Fragen sein. Es bleibt die Auseinandersetzung mit den existenziellen Fragen: Die Unausweichlichkeit des Todes und das Leben mit der Gewissheit des möglicherweise sehr bald eintretenden Todes, der Verlust von geliebten Angehörigen. Wie kann ich die Situation bewältigen, sodass für die einen das Leben weitergeht und für die anderen, die gehen müssen, das möglichst nicht in vollkommener Verzweiflung und als Katastrophe erlebt wird.

Eckhard Frick: Wenn ich zurückdenke an meinen eigenen medizinischen Werdegang, kann ich da schon mit einer historischen Betrachtung aufwarten. Ich erinnere mich an chirurgische Visiten, ganz hinten im kleinen Zimmer war ein Patient, wo das Tumorleiden die Bauchwand perforierte. Dort wurde kaum Visite gemacht, kaum mit ihm gesprochen. Vor der Tür hieß es dann; »nur noch palliativ!«. Ich habe im Studium das Wort »palliativ« meistens mit dem Zusatz »nur noch« gehört ...

Johanna Anneser: ... oder dieses doch sehr schlimme Wort der Minimaltherapie. »Wir machen nur mehr Minimaltherapie« oder: »Der Patient verstarb unter Minimaltherapie«. Das verkennt völlig, dass Palliativmedizin in den meisten Fällen gar keine Minimaltherapie ist, sondern oft hoch aufwändig sein kann, was sich ja darin widerspiegelt, dass Palliativstationen, die den Namen auch verdienen, personell ausgerüstet sein müssen.

Eckhard Frick: Ja, in der Palliativmedizin geht es zwar um Trauer und um eine Haltung der Abschiedlichkeit, aber nicht um Niedergeschlagenheit oder eine permanente Depression. Es ist ein dynamisches Feld, das deshalb gut zur Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie passt.

Johanna Anneser: Das stimmt. Zur Abschiedlichkeit und dem Traurig-Sein am Lebensende gehört durchaus auch das Lachen und der Humor. Ich denke, dass viele in Palliative Care tätige Menschen bestätigen können, dass es auf einer Palliativstation oft erstaunlich fröhlich zugeht. Und auch das ist vielleicht ein gemeinsames Merkmal der beiden Fächer: das interessierte Mitgehen mit unseren Patienten und ihren Zugehörigen, eben auch durch verschiedene Höhen und Tiefen. Etwa so wie Thomas Mann den Protagonisten Hans Castorp im »Zauberberg« erkennen lässt: Alles Interesse an Krankheit und Tod ist nur ein anderer Ausdruck für das Interesse am Leben.

Literatur

Büssing A, Wapler C, Dodt C, Beivers A, Härtl K, Frick E (2021) Spiritual needs of patients' relatives. In: A. Büssing (Hrsg.) Spiritual needs in research and practice. S. 397 – 406. Cham: Springer.

Frick E, Büssing A, Rodrigues Recchia D, Härtl K, Beivers A, Wapler C, Dodt C (2021) Spirituelle Bedürfnisse von Patienten eines Notfallzentrums. Medizinische Klinik Intensivmedizin und Notfallmedizin 116: 245 – 253.

1 Total pain – Was die Psychosomatik von Cicely Saunders lernen kann

Eckhard Frick

1.1 Für das ausgeschlossene Subjekt sorgen

Gesellschaftliche Diskurse dienen der Machtausübung durch äußere Kontrolle (z. B. Verbote), durch innere Kontrolle (z. B. Beschränkung der Gegenstände oder Methoden innerhalb einer Disziplin) sowie durch Verknappung und Zulassungsbeschränkung der Diskursberechtigten (Foucault 1972/1991). Die Fortschritte der wissenschaftlich begründeten Medizin, insbesondere die erfolgreiche Bekämpfung der Infektionskrankheiten (seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts) wurden dadurch erkauft, dass der kranke Mensch zugunsten der Krankheit aus dem medizinischen Diskurs ausgeschlossen und in ein Objekt der Medizin transformiert wurde.

Für die Vorgeschichte der psychosomatischen Medizin spielt der medizinische Hysterie-Diskurs eine wichtige Rolle. So identifizierte der Neurologe Jean-Martin Charcot (1825 – 1893) innerhalb der unter Anfällen leidenden Patientinnen diejenigen, deren Symptomatik durch Hypnose beeinflussbar war, die unter hysterischen (pseudo-epileptischen) Anfällen litten. Die diesbezügliche ärztliche Macht liegt nicht nur in der Fähigkeit zur Suggestion und De-Suggestion und im hypnotischen »Rapport« der Patientinnen zum Hypnotiseur, Vorläufer des psychoanalytischen Übertragungsgeschehens. Vielmehr hatte Charcots diagnostische und therapeutische Autorität auch die Konsequenz, den Hysteriediskurs zu begründen und das Leid der »Nervösen« aus der Neurologie auszuschließen.

In der gegenwärtigen medizinischen Praxis und Lehre wird dieser Ausschluss durch mehrere Diskurs-Strategien fortgeführt: Marginalisierung oder sogar völliges Verschweigen der Thematik, durch Bestreitung des Krankheitswertes von Beschwerden, Gleichsetzung mit Simulation, massive Entwertung der betroffenen Patientinnen und Patienten (Schimak 2014). »Subjektiv« heißt in dieser Argumentation: nicht fassbar oder sogar nicht glaubwürdig.

Der genannte diskursive Ausschluss betrifft nicht nur Patientinnen und Patienten, sondern auch die Subjektivität von Ärztinnen und Ärzten: Auch der Arzt handelt nicht mehr als Subjekt innerhalb der therapeutischen Beziehung, sondern als Agent des herrschenden Diskurses, sodass Lebrun (2017) von einem »doppelten Ausschluss« des Subjektes spricht. Durch die Abstraktion von der Singularität des Subjekts vermag die evidenzbasierte Medizin Symptome des einzelnen Kranken als Zeichen einer Krankheit einzuordnen und aufgrund von an vielen Patienten durchgeführten empirischen Studien zu behandeln, was vielen Individuen zugutekommt (Generalisierung von Diagnose, Prognose und Therapie).

Auf den doppelten Ausschluss der Subjektivität von Arzt und Patient bezieht sich Viktor von Weizsäckers »Einführung des Subjektes«, womit kein Psychologisierungsprogramm gemeint ist, sondern »ein methodisches Prinzip: die (Wieder-) Einführung einer intentionalen, also teleologischen Beschreibungs- und Erklärungsebene« (Henningsen 2007, S. 30):

»Sodann hat die Einführung des Subjektes nicht etwa die Bedeutung, dass die Objektivität damit eingeschränkt würde. Es handelt sich weder um Subjektivität allein noch um Objektivität allein, sondern um die Verbindung beider. Eben darum ist nun hier doch eine Veränderung des Wissenschaftsbegriffes zu bemerken. Wissenschaft gilt nämlich hier nicht als ,objektive Erkenntnis' schlechthin, sondern Wissenschaft gilt als eine redliche Art des Umganges von Subjekten mit Objekten. Die Begegnung, der Umgang ist also zum Kernbegriff der Wissenschaft erhoben« (Weizsäcker 1933/1997, S. 96).

»Subjekt« heißt nicht »Psyche«; auch unabhängig von psychischen Merkmalen des Wissenschaftlers geht es im Umgang mit dem Lebendigen, z. B. auch mit Tieren, um die Berücksichtigung der eigenen Perspektive, also um Wieder-Einführung des ausgeschlossenen Subjekts. Dieses Empowerment steht im Gegensatz zur Naturalisierung der Beschwerden kranker Menschen, wie sie insbesondere durch die »Ausschlussdiagnostik« erfolgt, durch die nach umfangreichen, häufig sogar mehrfach durchgeführten Untersuchungen alle Negativbefunde in die Restkategorie »Befindlichkeitsstörungen ohne Befund« einsortiert werden. Im Englischen heißt diese Restkategorie häufig: »medically unexplained symptoms«, in der ICD-11 sowohl bei der Körperstressstörung (6C20) als auch bei den dissoziativen Störungen (6B60‐6B6Z) zu finden. Sowohl Patienten als auch Ärzte äußern häufig ein Unbehagen mit einer derartigen Ausschlussdiagnostik (Burbaum et al. 2010). Das Fehlen »harter« somatischer Befunde führt zur Annahme eines »psychogenen« oder »somatoformen« Schmerzes und zur Kodierung im F-Kapitel der ICD-10 (Nilges und Diezemann 2018). Die S3-Leitlinie »Funktionelle Körperbeschwerden« empfiehlt hingegen:

·

»Warten Sie nicht die »vollständige« somatische Ausschlussdiagnostik ab, bevor Sie erstmals (auch nur geringfügige) Hinweise auf psychosoziale Belastungen aufgreifen. Sie signalisieren sonst eine Nachrangigkeit psychosozialer Aspekte und erhöhen das Risiko einer »iatrogenen Chronifizierung« und Stigmatisierung.

·

Vermeiden Sie dualistische (»Entweder-Oder-Modell«) oder hierarchische Erklärungsmodelle (»körperliche Erkrankungen sind wichtiger/gefährlicher als psychische«, »jetzt, wo organische Ursachen ausgeschlossen sind, muss es doch ein psychisches Problem sein«). Die Erklärungsmodelle der beteiligten Behandler sollten miteinander kompatibel sein.

·

Vermeiden Sie einseitige »Psychologisierung« (mangelndes Einbeziehen des Körpers, mangelnde Flexibilität im Umgang mit somatischen Behandlungswünschen) ebenso wie eine einseitige »Somatisierung« (Nicht-Einbeziehung psychosozialer Umstände und Beschwerden)« (AWMF 2019, S. 189 – 190).

Weizsäcker verwendet die Metapher der Drehtür, um den Umgang des Subjektes Arzt mit dem Objekt Krankheit und dem Subjekt Patient, sein Hin- und Hergehen zwischen der Welt des medizinischen Diskurses und der Welt des ausgeschlossenen Subjekts zu kennzeichnen:

»Diese Lage gleicht der eines Menschen, welcher, in einer Drehtür eingesperrt, im Kreis gehen muss, um dabei abwechselnd den Innenraum des Hauses und die Außenwelt desselben zu Gesicht zu bekommen« (Weizsäcker 1944/1987, S. 24).

In der ersten Welt wird untersucht und gemessen, werden körperliche, aber auch psychische Funktionen operationalisiert, sodass sie kategorial beurteilbar (krank vs. nicht krank) und damit behandelbar werden. Die erste Welt funktioniert in der Dritte-Person-Perspektive, also durch Objektivierung. Die zweite Welt der Subjektivität und Intersubjektivität ist hingegen von der Erste-Person-Perspektive der Selbstmitteilung und der Zweite-Person-Perspektive des (therapeutischen) Dialogs geprägt. Hier geht es um die Seele, die als solche kein Gegenstand der Wissenschaft ist, die aber Wissenschaftler, Ärztinnen, Pflegekräfte insofern betrifft, als sie sich (auch) um die Seele sorgen (Voll et al. 2017).

Subjektivität ist vermittelt über den Leib, von dem wir im Wahrnehmen, Bewegen, Denken und Fühlen nicht abstrahieren können. Auch die therapeutische Präsenz ist verleiblicht (»embodied«), zwischenleiblich (Merleau-Ponty 1960/2007). Der Leib ist immer »mit dabei« (Husserl 1952), aber dieses Mitgegebensein ist implizit und unbewusst. Das eigenleibliche Spüren geschieht im Auftauchen und Wiederverschwinden von »Leibesinseln« (Schmitz 1998/2007), die ich wahrnehme und lokalisiere, als Enge, Weite, Druck, Entspannung oder Schmerz.

Der Schmerz alarmiert mich und lässt mich z. B. fragen: Woher kommt das? Hat mich jemand geboxt? Hat mich ein Insekt gestochen? Ist es ein störender Fremdkörper? Ist es der Magen oder sind es die Gallensteine usw.? In dieser Erste-Person-Perspektive äußert sich Schmerz als »sinnlicher Zweifel«, der mich als Subjekt verunsichert. Der Schmerz lässt mich Antworten auf die erwähnten Fragen suchen und provoziert eine Unterscheidung zwischen mir als Subjekt und dem unklaren Gegenstand Schmerz:

»Gerade, dass diese Unterscheidung noch schwebt, zeigt deutlich die Unfähigkeit des rein objektiven Es-Denkens (welches das naturwissenschaftliche ist), den Schmerz richtig zu denken, nämlich eben als schwebende Entscheidung zwischen Ich und Es« (Weizsäcker 1926/1987, S. 33).

Der Schmerz kann mich dazu bringen, meinen Leib als Gegenstand, als Körper zu behandeln (zu objektivieren und zu korporifizieren). Auch die auf professionell-wissenschaftlichen Standards beruhende Behandlung in Medizin und Pflege ist eine derartige Korporifizierung: Auch die »personalisierte« Präzisions-Medizin bedeutet keine Begegnung auf Augenhöhe zwischen zwei Personen, sondern die möglichst passgenaue Einordnung der Patientin in den medizinischen Diskurs durch Diagnose und Therapie.

1.2 Schmerz in multidimensionaler Perspektive

Cicely Saunders (2000) leitet das Konzept »total pain« aus ihrer klinischen Erfahrung ab. Auf die Bitte, ihren Schmerz zu beschreiben, hatte ihr eine Patientin geantwortet:

»Well, doctor, it began in my back but now it seems that all of me is wrong. [...] I could have cried for the pills and the injections, but I knew that I mustn't. Nobody seemed to understand how I felt, and it was as if the world was against me. My husband and son were marvelous, but they were having to stay off work and lose their money. But it's wonderful to begin to feel safe again«.

Saunders fasst diese kurze Beschwerdeschilderung folgendermaßen zusammen: »Physical, emotional and social pain and the spiritual need for security, meaning and self-worth, all in one answer« (Saunders 2000, S. 9). Das »total pain«-Konzept ist geboren, das den Kern der WHO-Definition von Palliative Care bildet:

»Palliativversorgung ist ein Ansatz, der die Lebensqualität von Patienten und deren Familien verbessert, die mit den Problemen im Zusammenhang einer lebensbedrohenden Erkrankung konfrontiert sind, dies mittels Prävention und Linderung von Leiden durch frühzeitiges Erkennen und umfassende Erfassung sowie durch die Behandlung von Schmerz und anderen Problemen auf körperlichen, psychosozialen und spirituellen Ebenen« (Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin o. J.).

1.3 Ist Schmerz eine Kategorie, eine Dimension oder ein Typos?

»Insgesamt kann bei Klassifikation zunächst ganz grundsätzlich zw. kategorialen, dimensionalen und typologischen Vorgehensweisen unterschieden werden. Kategoriale Vorgehensweisen nehmen dabei qual. unterschiedliche Phänomene an, die sich inhaltlich eindeutig voneinander abgrenzen lassen und durch klare Kriterien festgelegt sind. Dimensionale Vorgehensweisen gehen von einem Kontinuum des interessierenden Merkmals aus und stellen (meist mehrdimensional) die Frage nach dem differenzierten Ausprägungsgrad bzw. der Häufigkeit seines Auftretens. Typologische Vorgehensweisen gehen von prototypischer Konstellation versch. Merkmale aus, denen einzelne Fälle mehr oder weniger genau entsprechen – konstituieren sich i. Ggs. zur kategorialen Vorgehensweise jedoch nicht durch klare, notwendige und hinreichende Kriterien« (Strohmer 2020, o. S.).

Im medizinischen Alltag werden Krankheiten häufig als Kategorien »behandelt« (terminologisch und therapeutisch-praktisch), die der erkrankte Mensch entweder »hat« oder nicht. Auch im Bereich der Psychopathologie bemüht man sich um möglichst trennscharfe diagnostische Kriterien. Diese werden in multiaxialen Klassifikationssystemen wie der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD 2004) durch eine (multi-)‌dimensionale Betrachtungsweise ergänzt. Für Saunders und die zitierte WHO-Definition sind jedoch weder die Elemente physisch – psychisch – sozial – spirituell noch der diese Elemente umfassende (»totale«) Schmerz trennscharfe Kategorien. Es handelt sich nicht um nosologische oder symptomatologische Kriterien, auch nicht um ein klinisches Syndrom oder eine Konstellation von Komorbiditäten, die additiv zu behandeln wären, etwa durch eine Verordnungsliste von Medikamenten und anderen therapeutischen Interventionen. Vielmehr soll der Ausdruck »total pain« menschliches Leiden als »single, integrated, multi-dimensional experience« (Krikorian und Limonero 2012, S. 29) zusammenfassen. Die Bevorzugung der dimensionalen Betrachtungsweise oder wenigstens ihre Gleichberechtigung mit der kategorialen ermöglicht die psychotherapeutische (Mit-)‌Behandlung auch auf der Ebene sub-syndromaler Befindlichkeitsstörungen (Valdes-Stauber und Bachthaler 2016).

Saunders, die durchaus auch im kategorialen Sinn eine Pionierin ist (durch Erkennen einzelner Schmerzkomponenten bei Tumorkranken und deren gezielte Opiat-Behandlung) denkt offensichtlich dimensional, wenn sie von »Total Pain« spricht, genauer gesagt: multidimensional. Als Klinikerin hat sie darüber hinaus konkrete Patientinnen und Patienten vor Augen, die sich in Praxis und Lehre zu Typen verdichten. Insbesondere die existenziell-spirituelle Dimension muss auch typologisch beschrieben werden (ausgehend von konkreten Kasuistiken), um für die Gesundheitsberufe verständlich zu werden (Kissane 2012).

In mehrdimensionaler und typologischer Hinsicht stellt Monika Müller (2007) das Total-Pain-Konzept als Synonym für die Trauer- und Abschiedsarbeit Sterbender vor. So wichtig und geradezu lebensnotwendig die kategoriale Symptomkontrolle in der Schmerztherapie ist, so zentral ist gleichzeitig der Verzicht auf das totale Kontrollieren-Können, auf das »perimortale Omnipotenzsyndrom« (Heller 2012):

»Dies erfordert von den Betreuenden nochmals einen anderen Umgang und Handlungsauftrag, in dem es primär weniger um »Kontrolle« und Beseitigung umfassender Schmerzen und weiterer damit verbundener Phänomene geht, es auch nicht um die fremdeinschätzende Deutung dessen geht, was der schwer kranke und sterbende Mensch erlebt, sondern [... ] die Einzigartigkeit, die Einmaligkeit und Individualität des sterbenden Menschen zu verstehen und zu bedienen« (Müller 2007, S. 413).

Auch die Schmerz-Definition der International Association for the Study of Pain (IASP: www.dgss.org) entscheidet sich klar für die Erste-Person-Perspektive des unter einem Schmerz leidenden Menschen (»Patient‍[in]«): »Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit einer tatsächlichen oder drohenden Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird« und für eine multidimensionale, akausale (nicht nach Ursachen klassifizierende) Betrachtungsweise. Sie verzichtet darauf, die »Glaubwürdigkeit« der Beschwerden zu bewerten:

»Many people report pain in the absence of tissue damage or any likely pathophysiological cause; usually this happens for psychological reasons. There is usually no way to distinguish their experience from that due to tissue damage if we take the subjective report. If they regard their experience as pain, and if they report it in the same ways as pain caused by tissue damage, it should be accepted as pain. This definition avoids tying pain to the stimulus. Activity induced in the nociceptor and nociceptive pathways by a noxious stimulus is not pain, which is always a psychological state, even though we may well appreciate that pain most often has a proximate physical cause« (Treede 2018, S. 2).

1.4 Professionalisierung vs. Deprofessionalisierung

Es war die Begegnung mit schwerkranken, unter Schmerzen leidenden Menschen, die in allen an Palliative Care beteiligten Berufen zur jeweiligen spezifischen Professionsentwicklung führte, z. B. zur Verankerung in der ärztlichen Approbationsordnung und zur Einführung der Zusatz-Weiterbildung Palliativmedizin in Deutschland.

Ist mit dieser Professionsentwicklung in Medizin, Pflege, Sozialer Arbeit, Psychologie, Seelsorge usw. auch eine Professionalisierung von Palliative Care und im Umgang mit dem Schmerz sterbender Menschen verknüpft? Ja und nein:

Einerseits führen Erwerb und Ausüben spezialisierter Kompetenzen zur Professionalisierung dessen, was zuvor ein allgemein-professioneller oder sogar nur mitmenschlicher Auftrag war. Professionalisierung als Professionsentwicklung liegt z. B. vor, wenn die Äthermasken-haltende Narkoseschwester durch die Fachärztin für Anästhesiologie ersetzt oder aus dem gelegentlich Kranke besuchenden Seelsorger ein hochspezialisierter Klinikseelsorger wird. Klinische Routine, Forschung und Lehre verstärken diese Tendenzen zur Professionalisierung von Palliative Care.

Andererseits führt interprofessionelle Teamarbeit zu Kompetenz-Erwerb und -Ausübung, die gemeinsam wahrgenommen und vom Patienten auch ohne Berücksichtigung von Berufsgrenzen (transprofessionell) abgerufen werden. Insbesondere die Kompetenz für Spiritual Care wächst paradoxerweise nicht nur durch Professionalisierung, sondern auch durch Deprofessionalisierung, durch Mobilisierung von mitfühlendem Wahrnehmen und Handeln (compassion). Compassion jedoch wächst nicht automatisch mit Professionalisierung, es wird in gewisser Weise sogar durch (Über-)‌Professionalisierung gestört (Frick 2020). Mit Deprofessionalisierung ist alles andere als naives Gutmenschentum gemeint. Hier ist wiederum die professionelle und persönliche Biografie Cicely Saunders' lehrreich: Ihre unterschiedlichen professionellen Rollen hinderten sie nicht daran, ein transprofessionelles, am existenziellen Leiden orientiertes Schmerzmodell zu entwickeln.

1.5 Leid und Leiden

Das Hauptwort »Leid« kommt von ahd. leid (das angetane Böse, Unrecht, Schädigung, Kränkung, Beleidigung, Sünde, durch Schädigung hervorgerufener Kummer, Schmerz, Betrübnis, Sorge). Das Zeitwort »leiden« hingegen kommt vom ahd. līdan (ertragen, erdulden, sich fortbewegen, in die Fremde ziehen, Not durchstehen). In der Umgangssprache wird zwischen Leid und Leiden meist nicht unterschieden. In therapeutischer Hinsicht ist es jedoch hilfreich, die Bedeutungsunterschiede zu differenzieren:

Leid ist ein objektiver Umstand, der einem anderen Menschen oder mir selbst unvermittelt zustoßen oder angetan werden kann, z. B. durch äußere Gewalt oder durch eine plötzlich ins Leben tretende Erkrankung. Leid wird durch die medizinische Diagnostik abgebildet, klassifiziert, behandelt, insofern es »Krankheitswert« besitzt. Ob die Medizin Leid als Krankheit anerkennt oder nicht, für die leidtragende Person bleibt es oft für lange Zeit fremd, übermächtig, möglicherweise traumatisch belastend.

Leiden hingegen ist kein äußerliches Faktum, sondern der innere Prozess der Auseinandersetzung, Aneignung und Annahme des leidenden Subjekts, also der Patientin oder des Patienten.

Das Subjekt »Patient« ist dem Leid gegenüber passiv (lat. subiectus: unterworfen), überwältigt. Im Leiden hingegen ist das Subjekt sowohl passiv als auch aktiv in der eigenen Krankheitsverarbeitung, in der Sinnsuche, in der Entwicklung einer subjektiven Krankheitstheorie, zu der Kausal- und Kontrollattribution gehören.

Diagnostik in einer psychosomatisch orientierten Medizin muss sich am Leid und am Leiden orientieren, an objektiven Befunden ebenso wie am subjektiven Befinden. Die Frage »Worunter leiden Sie?« ist die Schlüsselfrage, um das subjektive Erleben des Patienten zu erfassen (Sack 2019). Sie kann verschieden formuliert werden, kommt möglicherweise durch die Gestaltung der Situation, durch Tonfall, Mimik und Gestik, durch Pausieren (kurze Unterbrechung der klinischen Routine) bei der Patientin an, die sich durch die Offenheit des Arztes »traut«, darüber zu sprechen, wie es ihr wirklich geht.

1.6 Aushandeln als Teil der Schmerzarbeit

Viktor von Weizsäcker beschreibt die folgende »Urszene« der Schmerzbehandlung:

»Wenn die kleine Schwester den kleinen Bruder in Schmerzen sieht, so findet sie vor allem Wissen einen Weg: schmeichelnd findet den Weg ihre Hand, streichelnd will sie ihn dort berühren, wo ihm weh tut. So wird die kleine Samariterin zum ersten Arzt. Ein Vorwissen um eine Urwirkung waltet unbewusst in ihr; es leitet ihren Drang zur Hand und führt die Hand zur wirkenden Berührung. Denn dies ist es, was der kleine Bruder erfahren wird: die Hand tut ihm wohl. Zwischen ihn und seinen Schmerz tritt die Empfindung des Berührtwerdens von schwesterlicher Hand, und der Schmerz zieht sich vor dieser neuen Empfindung zurück. Und so entsteht auch der erste Begriff des Arztes, die erste Technik der Therapie« (Weizsäcker 1926/1987, S. 27).

Die Behandlung fängt mit der kindlichen Hand an: Weizsäcker spricht eher nüchtern und wenig emotional von »Technik«. Behandlung setzt voraus, dass beide aushand