Psychotherapie in der Klimakrise - Beatrice Jost - E-Book

Psychotherapie in der Klimakrise E-Book

Beatrice Jost

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Beschreibung

Im Zuge der Klimakrise entstehen viele Emotionen wie Angst, Trauer, Hilflosigkeit und Wut, die nicht nur PatientInnen, sondern ebenso PsychotherapeutInnen bedrücken und die zunehmend eine gesamtgesellschaftliche Relevanz bekommen. So belegen Studien deutliche Zusammenhänge zwischen Klimaveränderungen und psychischen Belastungen, wobei die Bewältigungsversuche ein Verleugnen der Klimakrise sowie Überaktionismus bis zur Erschöpfung oder auch Resignation umfassen. Dieses Buch gibt einen inhaltlichen Überblick über die Auswirkungen der Klimakrise auf das psychische Wohlbefinden. Der Fokus liegt dabei auf der Emotionsbewältigung und dem psychischen Umgang mit der aktuellen Bedrohung. Ziel ist es, PsychotherapeutInnen bezüglich dieser Thematik zu sensibilisieren und Selbstreflexionsprozesse anzuregen. Die ExpertInnen erhalten Handwerkszeug für ihre therapeutische Arbeit zur Förderung einer selbstfürsorglichen Emotionsbewältigung und daraus resultierendem konstruktiven sowie resilienten Handeln.

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Inhalt

Cover

01_Jost_Titelei

Danksagung

Vorwort

I Theoretische Hintergründe

1 Die Klimakrise und unser psychotherapeutischer Arbeitsauftrag

2 Psychologische Faktoren in der Bewertung der Klimakrise

2.1 Die systematische Unterschätzung der Bedrohung

2.2 Emotionale Reaktionen auf die wahrgenommene Bedrohung der Klimakrise

2.2.1 Flucht

2.2.2 Erstarren

2.2.3 Kampf

2.2.4 Therapeutische Relevanz und emotionaler Bezugsrahmen

3 Psychische Auswirkungen der Klimakrise

3.1 Auswirkungen von Naturkatastrophen und längerfristigen Klimaereignissen

3.2 Psychische Folgen durch antizipierte Folgen der Klimakrise

3.3 Klimagefühle

Klimaangst

Klimawut

Klimatrauer

Klimascham und -schuld

Klimahoffnung

Weitere Klimagefühle

4 Die Klimakrise und Psychotherapie

4.1 Gemeinschaftliche Betroffenheit

4.2 Klimagefühle als adaptive Reaktion

4.3 Überlegungen zu Diagnostik und Indikation

4.4 Berufsethische Aspekte

5 Förderung von Klimaresilienz

5.1 Resilienz im Allgemeinen

5.2 Ein theoretischer Einstieg in die Klimaresilienz

II Praktische Anwendung

6 Psychotherapeutische Methoden

6.1 Therapeutische Grundhaltung

6.2 Achtsamkeits- und akzeptanzbasierte Übungen

6.3 Emotionsbezogene Methoden

6.4 Kognitive Methoden

6.5 Umgang mit sich selbst im Rahmen von Engagement und Aktivismus

6.5.1 Selbstmitgefühl und Selbstwert

6.5.2 Selbstfürsorge

6.6 Verhaltensbezogene Maßnahmen

6.6.1 Werteorientierung und Nutzung der Krise als Chance

6.6.2 Naturverbundenheit

6.6.3 Klimaengagement und Finden einer Gemeinschaft

7 Abschließende Gedanken

III Verzeichnisse

Literaturverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Kohlhammer

Die Autorinnen

Beatrice Jost, M. Sc. Psych., geboren 1991, arbeitet in einer Gemeinschaftspraxis als Verhaltenstherapeutin. Sie hat in Jena und Freiburg studiert und die Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin in Dresden absolviert. Parallel engagiert sie sich bei den Psychologists/Psychotherapists for Future, einer Initiative von Psycholog:innen und Psychotherapeut:innen, die die Klimabewegung unterstützt und psychologisches Fachwissen zur Förderung einer nachhaltigen Zukunft einbringt.

Christine R. Steinmetz, M. Sc. Psych., Jahrgang 1988, studierte Psychologie in Gießen, Nancy (Frankreich) und Boston (USA). Sie arbeitet in der ambulanten Versorgung als Psychologische Psychotherapeutin (VT). Seit 2020 engagiert sie sich bei den Psychologists/Psychotherapists for Future und hält in diesem Zusammenhang Vorträge u. a. vor Berufsverbänden und leitet Workshops an. Außerdem ist sie im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit für den Verein aktiv. Beatrice Jost und sie bieten Seminare und Workshops zum Thema Klimaresilienz an.

Beatrice JostChristine R. Steinmetz

Psychotherapie in der Klimakrise

Gefühle anerkennen, regulieren und Klimaresilienz fördern

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbeipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

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Illustrationen: Jai Wanigesinghe

1. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-043241-3

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-043242-0epub: ISBN 978-3-17-043243-7

Danksagung

Die Fallstudien dieses Buches basieren auf realen Menschen, bei denen wir uns dafür bedanken möchten, dass sie ihre Geschichten und Erfahrungen zur Verfügung gestellt haben. Durch ihre Bereitschaft, sich mit ihren Klimagefühlen zu zeigen und sich darauf einzulassen, gewinnt dieses Buch an Tiefe und Lebendigkeit. Wir bedanken uns ebenso bei allen Menschen, die sich im Klimaschutz für unsere gemeinsame Zukunft engagieren und dafür aktiv werden.

Auch möchten wir uns bei Psychologists/Psychotherapists for Future bedanken. Erst durch den Verein haben wir beide begonnen, uns systematisch zu engagieren und festgestellt, wie viele Möglichkeiten wir haben, mit unserem Fachwissen einen Beitrag zu leisten. Wir sind den Gründungsmitgliedern für ihre Initiative, die Gruppe zu gründen, dankbar, ebenso schätzen wir die aktuelle Arbeit aller Mitglieder, die sie neben ihrer regulären Arbeit und ihrem privaten Alltag einbringen. Wir bedanken uns für das gesammelte Wissen und den wertvollen Austausch, sowie für die immer wohlwollende und anregende Atmosphäre unserer wunderbaren Regionalgruppe.

Danken möchten wir zudem Maja Dshemuchadse, Anna Georgi, Delaram Habibi-Kohlen, David Hiss und Constance Nennewitz für die Expert:inneninterviews, die unsere verhaltenstherapeutisch geprägte Sicht nicht nur im Buch um systemische, psychoanalytische und existenzielle Perspektiven erweitert haben.

Außerdem möchten wir unseren Korrekturlesenden danken: David Hiss, Claus Kulke und Beate Steinmetz. Vielen Dank für die Anmerkungen, die Kritik und die Hinweise, ebenso wie für das aufbauende Lob.

Besonders danken möchten wir auch Jai Wanigesinghe, für die wunderbaren und bereichernden Cartoons und seine gesamte Illustrationsarbeit, die er großzügig zur Verfügung stellt. Er schafft es damit, etwas Leichtigkeit und Humor in dieses ansonsten eher schwere Thema zu bringen.

Nicht zuletzt gilt unser Dank unseren Freundinnen, Partnern und Familien, für die bedingungslose Unterstützung, auch in stressigen Zeiten. Danke, dass ihr uns ermutigt, uns zugehört und für ausgleichende Regeneration gesorgt habt.

Vorwort

Als wir begonnen haben, unsere psychotherapeutische Kompetenz in Bezug auf die Klimakrise in Form von Vorträgen und Workshops anzubieten, haben wir sehr verschiedene Rückmeldungen hierzu erhalten. Menschen sagten uns, das sei nicht behandlungsrelevant und die Beschäftigung mit der Krise sei nur »ein vorübergehender Trend«. Gleichzeitig haben sowohl einzelne Personen wie auch Verbände und Vereine eine große Dankbarkeit ausgedrückt, dass wir uns dieses wichtigen Themas annehmen, weil jede und jeder davon in irgendeiner Form belastet sei. Auch bekommen wir über das Ehrenamt immer wieder mit, dass Aktivistinnen händeringend nach Therapeutinnen suchen, die die Belastungen in der Klimakrise verstehen und bei denen sie sich ernstgenommen fühlen. Sie berichten davon, dass ihre Probleme abgetan werden und fühlen sich in der Behandlung missverstanden und belächelt.

Für diese Gruppen von Menschen haben wir dieses Buch geschrieben. Manchmal würden auch wir gerne glauben, dass das nur eine vorübergehende Krise ist und wir mit unserem Engagement übertreiben. Und falls die Beschäftigung mit der Klima-Thematik und speziell dieses Buch sich dann doch als überflüssig erweisen sollte, dann wären wir tatsächlich über die Maßen erleichtert, hieße dies doch, dass die Perspektive der nächsten Jahre eben doch nicht so beängstigend ist. Nur leider spricht derzeit ein überwältigender Konsens wissenschaftlicher Fakten diametral dagegen.

Uns ist es wichtig deutlich herauszustellen, dass die Klimakrise nur kollektiv bewältigt werden kann und Klimagefühle nichts sind, was wir »wegtherapieren« sollten. Auch ist es wesentlich zu betonen, dass Psychotherapie nicht zwingenderweise bei der Bewältigung der Krise und beim Aufbau resilienter Strukturen notwendig ist. Wir beziehen uns deswegen im Verlauf des Buches immer wieder auch auf die gesamtgesellschaftliche Ebene. Da sich kollektive Transformationen aus vielen individuellen Handlungen und Veränderungen zusammensetzen, nutzen wir die Stellschraube, die uns in der Psychotherapie möglich ist: an individuell problematischen Verhaltens- und Denkmustern zu arbeiten und diese zu verändern, hier konkret im Umgang mit der Klimakrise. Die dysfunktionalen Muster, die uns bei der Arbeit mit den Klimagefühlen begegnen, sind oft auch wirksam in anderen Lebensbereichen, der Fokus dieses Buches liegt jedoch auf der Förderung der Funktionalität bezüglich der Klimakrise. Dabei ist die Reduktion des Leidensdrucks kein reiner Selbstzweck, sondern dient immer dem Ziel, Menschen zum Handeln zu ermächtigen.

Falls Sie sich im Verlauf der ersten Kapitel mit den vorgestellten Fakten überfordert fühlen und einen Wunsch zur inneren oder äußeren Vermeidung verspüren sollten, dann nehmen Sie das ruhig freundlich wahr und machen eine Pause oder springen zu einem anderen Kapitel, zum Beispiel zur Klimaresilienz. Sie können danach, wenn Sie sich besser gewappnet fühlen, wieder zurückkehren. Wenn Sie achtsam und wohlwollend mit Ihrem Wunsch nach Vermeidung umgehen und diesen bewusst wahrnehmen, können Sie ihm viel besser begegnen und hinterfragen, ob er der beste Weg ist. Auch haben wir regelmäßig sogenannte Selbsterfahrungsfragen eingebaut, um eine persönliche und emotionale Auseinandersetzung mit der Thematik zu unterstützen.

Auch wir kennen den Wunsch, sich nicht mehr mit der Thematik auseinanderzusetzen, wenn die Bedrohung allzu real wird. Unser resilienter Umgang damit war, dieses Buch zu schreiben. Das ist unsere Art und Weise mit unseren Fähigkeiten ins Handeln zu kommen. Das hat uns persönlich geholfen, weniger Hilflosigkeit und Ohnmacht zu erleben und das Gefühl zu haben, wenn auch nur im Kleinen, zu einer lebenswerten Zukunft beizutragen. Insgesamt hat das die klimabezogene Gefühlslage erträglicher gemacht, selbst wenn wir uns mehr als jemals zuvor mit der Klimakrise auseinandersetzen mussten.

Die Fallbeispiele sind selbstverständlich alle anonymisiert, die relevanten Angaben geändert. Ähnlichkeiten zu lebenden Personen sind dementsprechend zufällig.

Wir verwenden den Begriff »Klimagefühle« (sowie Klimaangst, Klimawut etc.) um Gefühle zu beschreiben, die sich explizit auf die Klimakrise beziehen. Das Vorwort »Klima« bedeutet jedoch nicht, dass die Gefühle in ihrer Qualität anders sind als Gefühle in anderen Kontexten. Auch suggeriert »Klima« eventuell fälschlicherweise, dass die Gefühle sich nur auf klimatische Veränderungen beziehen, obwohl viele verschiedene ökologische Krisen die Bedrohung ausmachen. Wir nutzen diese Wörter jedoch weiterhin im Buch, um den Bezugsrahmen mitzuliefern, ohne allzu viele Wörter gebrauchen zu müssen. Korrekter wäre sicherlich der Terminus »Angst im Zusammenhang mit den ökologischen Krisen« (Dohm, Chmielewski, Peter & Schulze, 2023).

Zum Thema Gendern möchten wir gerne noch anmerken: Wir haben uns entschieden, in unserem Buch das generische Femininum zu verwenden, bis auf wenige inhaltlich begründete Ausnahmen, in denen wir den Doppelpunkt nutzen. Dieser Entscheidung liegt zugrunde, dass sowohl überwiegend Frauen als Psychotherapeutinnen arbeiten, als auch dass Frauen von der Klimakrise emotional mehr betroffen sind (Searle & Gow, 2010). Auch eine gute Lesbarkeit des Buches war für uns ein relevanter Faktor. Eine konsequente Nutzung aller Geschlechter führte aus unserer Sicht zu einer Beeinträchtigung des Leseflusses. Eine optimale Lösung für das Problem der geschlechtergerechten Sprache zu finden, bei gleichzeitiger Beibehaltung des flüssigen Lesens, ist uns bisher leider noch nicht gelungen.

I Theoretische Hintergründe

1 Die Klimakrise und unser psychotherapeutischer Arbeitsauftrag

Zusammenfassung

Die Klimakrise hat bereits jetzt global massive Auswirkungen, so wie eine Zunahme von Naturkatastrophen und Nahrungsmittelknappheit. Und obwohl die verheerenden Folgen der steigenden Treibhausgasemissionen schon so lange bekannt sind, ist bisher nicht genug passiert, um die Katastrophe abzuwenden. Bedrohlich ist vor allem die Aussicht auf die kommenden Jahrzehnte. Viele beschreiben dementsprechend die Klimakrise als die größte Gefahr für die Menschheit und erleben dadurch existenzielle Ängste. Psychotherapeutisch Klimaresilienz zu fördern bedeutet, Menschen dabei zu unterstützen, mit diesen Gefühlen angemessen umzugehen sowie aus der Vermeidung heraus und ins Handeln zu kommen.

Die Klimakrise ist schon lange in unserem Alltag angekommen. Sie ist medial omnipräsent, und auch wir hier in Deutschland spüren inzwischen ganz reale Auswirkungen wie Hitzesommer, Flutkatastrophen und ausgedörrte Flussläufe. Was früher weit entfernt und für uns nicht relevant erschien, nimmt jährlich immer gewaltigere Formen an. Gleichzeitig, und das erscheint paradox, leben wir unseren oft klimaschädlichen Alltag weiter und verdrängen die Konsequenzen unseres Verhaltens.

In einem kürzlichen Gespräch mit Freundinnen kamen wir auf die Klimakrise zu sprechen. Wir teilten unsere starken Ängste und Sorgen und waren emotional deutlich aktiviert. Dann jedoch fuhr auf der Straße ein Oldtimer an uns vorbei und auf einmal waren Autos das Thema. Nicht etwa die verheerenden Folgen der Nutzung fossiler Brennstoffe im Individualverkehr, sondern die Ästhetik von bestimmten Automodellen und wer welches Auto schon immer mal ausprobieren wollte. Dabei wurde ein Gefühl von Entspannung und Leichtigkeit in Anbetracht des Themenwechsels deutlich spürbar – eine Erleichterung durch das emotional unbelastete neue Thema.

Ähnliche Szenen können wir oft beobachten: Sei es, dass Nachrichtensprecherinnen vom katastrophalen IPCC-Report (Pörtner et al., 2022) nahtlos in den lächelnd vorgetragenen Wetterbericht über sonnige Frühlingstemperaturen übergehen, oder dass in privaten Konversationen abrupt von der Klimakrise zu schönen Flugreisen und damit verbundenen lustigen Urlaubsanekdoten gewechselt wird. Eine Vermeidung der Thematik ist bei der aktuellen Omnipräsenz nur sehr schwer möglich, aber dennoch passiert paradoxerweise extrem wenig. Unser Verhalten und eben auch das Verhalten politischer Entscheidungsträgerinnen wird dadurch nicht nachhaltig beeinflusst. Wir bleiben in unseren alten klimaschädlichen Verhaltensmustern wie erstarrt. Es gibt offensichtlich psychologische Mechanismen, die eine intensivere Auseinandersetzung und somit das Fühlen der damit verbundenen aversiven Gefühle verhindern.

Zu einem gewissen Maß sind diese durchaus kurzfristig gesund: Sie erlauben uns, in Anbetracht der uns erwartenden Katastrophe, nicht in tiefe Verzweiflung zu stürzen. Immerhin kann die Angst in ihrer überwältigenden Intensität auch handlungsunfähig machen. Gleichzeitig verhindern die Abwehrmechanismen aber auch adäquates Handeln.

Dabei lässt die wissenschaftliche Forschung zum Thema Erderwärmung wenig Spielraum für Spekulationen: Mehr als 99 % der aktuellen Studien zeigen einen menschenverursachten Klimawandel (Lynas et al., 2021; Powell, 2017). Schon 1972 veröffentlichte der Club of Rome Die Grenzen des Wachstums und machte darin auf die begrenzten Ressourcen unseres Planeten aufmerksam. Auch der Mineralölkonzern Exxon, heute ExxonMobil, untersuchte schon 1982 den Treibhauseffekt. Die für die Studie engagierten Wissenschaftler:innen prognostizierten einen Anstieg des CO2-Gehalts der Atmosphäre und der Temperatur, der ungefähr den aktuellen Daten entspricht, und empfahlen gleichzeitig, diese Informationen nur intern weiterzugeben und nicht voreilig große Veränderungen in Energiegewinnung und -verbrauch vorzunehmen (Glaser, 1982). Im Verlauf der Jahre betonten die Führungskräfte des Konzerns, dass die Vorhersagen zu unsicher seien, um daraus relevante Entscheidungen abzuleiten und der Konzern engagierte sich zunehmend gegen klimaschützende Maßnahmen. Man kann vermuten, dass finanzielle Motive, genauer die Vermeidung von Einbußen in den Umsätzen durch die erwarteten negativen Konsequenzen, ausschlaggebend dabei gewesen sind.

Die Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln zieht sich durch die Thematik. Obwohl die relevanten Fakten seit den achtziger Jahren weitestgehend bekannt sind, hat sich die Lage in den letzten Jahrzehnten nicht verbessert. Im Gegenteil; sie hat sich deutlich verschlechtert. Die erste Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen über Klimaänderungen fand 1992 statt, das Kyoto-Protokoll der Vereinten Nationen wurde 1997 beschlossen, um den Klimaschutz völkerrechtlich verbindlich auszugestalten. Trotz dessen steigt der Ausstoß von Emissionen weiterhin an.

Relevante Studien zeigen recht einheitlich, dass der bisher erfolgte Temperaturanstieg um 1,1 °C auf die von Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen zurückzuführen ist (Wuebbles et al., 2017). Dementsprechend ist ein zügiges Senken der Emissionen dringend erforderlich, um eine weitere Erhöhung der Temperatur um mehr als die anvisierten 1,5 °C zu verhindern. Der bisherige Verlauf der Reaktionen lässt uns nicht optimistisch in die Zukunft schauen. Der US-Klimabeauftragte John Kerry spricht von einer erwarteten Erderwärmung von insgesamt 2,5 °C bis 3,5 °C. Die Spannbreite des geschätzten Temperaturanstiegs bis Ende des Jahrhunderts geht aber bei anderen Schätzungen bis zu 5 °C hoch, je nachdem wie konsequent wir jetzt den Klimaschutz verfolgen. Mit den aktuellen Plänen der Länder (Intended Nationally Determined Contributions) sind 2 °C nicht mehr zu erreichen (Rogelj et al., 2016). Auch der jährliche IPCC-Bericht warnt immer wieder vor den gravierenden Folgen, vor allem für vulnerable Menschen und gefährdete Ökosysteme, wenn nicht bis 2030 die Treibhausgasemissionen zumindest halbiert werden (Pörtner et al., 2022).

Der Global Risk Report 2021 des World Economic Forums schätzt umweltbezogene Risiken wie Verlust an Biodiversität, Extremwetterereignisse, menschengemachte Umweltschäden und »climate action failure« als wahrscheinlichste und zum Teil weitestreichende Risiken der nächsten Jahre ein. Das Versagen der Menschen in Anbetracht der Klimakrise hat neben Pandemien die stärkste Kombination von Wahrscheinlichkeit und Einfluss.

Spratt und Dunlop (2019) kreieren ein mögliches, und wie sie betonen, wenn auch nicht unabwendbares, so doch nicht unwahrscheinliches Szenario für 2050. Sie beschreiben die »Hothouse Earth«: der Meeresspiegel ist bereits um 0,5 Meter angestiegen und wird bis 2100 um zwei bis drei Meter ansteigen. 35 % der Erdoberfläche und 55 % der Weltbevölkerung sind mehr als 20 Tage im Jahr tödlicher Hitze ausgesetzt, die menschliches Überleben unmöglich macht. Ganze Ökosysteme wie das Great Barrier Reef und der Regenwald im Amazonas kollabieren. Großflächige Wüsten bilden sich vor allem in der Äquatorialregion, was wiederum drastische Einbußen in der Ernte von Grundnahrungsmitteln wie Weizen, Mais, Reis und Soja nach sich zieht. Die Folgen sind Nahrungsmittel- und Trinkwasserknappheit, die die ganze Welt betreffen. Eine Milliarde Menschen sind aufgrund der unbewohnbaren Gebiete und des steigenden Meeresspiegels auf der Flucht. Begrenzte Ressourcen und die Flüchtlingsbewegungen machen bewaffnete Kriege sehr wahrscheinlich. Gesellschaftsordnungen weltweit sind überwältigt von den Veränderungen und kollabieren, was globales Chaos nach sich zieht. Zusammengefasst lässt sich festhalten: Eine Erderwärmung um 4 °C wäre schlichtweg katastrophal für uns als Menschheit, ein Weiterleben wie bisher mit großer Wahrscheinlichkeit unmöglich. Die Vorhersagen reichen vom Sterben von bis zu 3 Milliarden Menschen bis zum Aussterben der gesamten menschlichen Art.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber bei mir löst ein solches Schreckensszenario sofort Beklemmung und Panik aus. Wenn ich mich mit den Fakten konfrontiere, bekomme ich Angst vor der Zukunft. Und damit bin ich nicht die Einzige: Eine groß angelegte weltweite Studie befragte 10.000 junge Menschen in zehn verschiedenen Ländern zur Klimaangst (Hickman et al., 2021). Beinah 60 % gaben an, sehr oder extrem besorgt angesichts der Klimakrise zu sein. Sie seien unter anderem ängstlich, verärgert, hilflos und traurig. Die Zukunft fühle sich bedrohlich an, die Menschheit sei dem Untergang geweiht und Regierungen täten nicht genug dagegen. Dies sind einige der Antworten, die über 50 % als zutreffende Gedanken ankreuzten. Diese Ängste zeigen sich unter anderem in drastisch formulierten Plakaten auf weltweiten Demonstrationen gegen die Klimakrise: »You will die of old age, I will die of climate change.«

Trotz aller Krisen der letzten Jahre, inklusive einer weltweiten Pandemie, dem Ukraine-Krieg und der globalen Inflation, schätzen die meisten Menschen die Klimakrise immer noch als die stärkste Bedrohung ein (gemäß einer Umfrage des Pew Research Centers an 24.525 Erwachsenen aus 19 Ländern im August 2022). Und gleichzeitig geht es gefühlt trotzdem weiter wie bisher. Es passiert einfach nicht genug.

2019 sagte Greta Thunberg auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos die berühmten Worte »I want you to panic«. Und obwohl eine große Anzahl der jungen Menschen, offensichtlich von Klimagefühlen belastet ist, besteht nicht der Eindruck, dass gesamtgesellschaftlich ausreichend Panik entstanden ist, um die fundamental notwendige Veränderung zu initiieren. Dabei erscheint uns eine nicht nur kognitive, sondern auch emotionale Auseinandersetzung mit der Klimakatastrophe als eine der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit, um eine wie oben skizzierte Zukunft abzuwenden.

Mit unserer Fachkompetenz als Psychologinnen und Psychotherapeutinnen müssen wir uns doch folgende Frage stellen: Wieso ist Panik keine konsensuelle Emotion, obwohl die Lage (wie soeben dargestellt) durchaus Panik evozieren sollte? Weiterführend ist aber mindestens ebenso relevant, ob Panik an dieser Stelle eine wünschenswerte oder hilfreiche Emotion ist? Was ist denn ein adäquater und hilfreicher emotionaler Umgang mit dieser immensen Bedrohung? Wie können wir in Anbetracht so überwältigender Probleme emotional resilient bleiben, um ins Handeln zu kommen?

Als Therapeutinnen geht es dabei nicht nur um uns selbst und unsere emotionale Resilienz, sondern auch um die der Patientinnen. Wie können wir durch unseren Beruf Menschen darin unterstützen, die richtige Balance zwischen Erstarrung und Überwältigung zu finden, wenn auch wir selbst manchmal oder oft belastet und in unserem Umgang nicht gefestigt sind? Die Psychologists/Psychotherapists for Future, ein Verein von Psycholog:innen und Psychotherapeut:innen, der ein Teil der For Future Bewegung ist, zitiert auf ihrer Website Bruce Poulson (2018): »Climate Change is a psychological crisis, whatever else it is.« In seinem Artikel schreibt der Autor weiter, dass die ökologische Bedrohung zu groß erscheint, um sie mit unseren aktuellen psychologischen Werkzeugen bewältigen zu können. Andererseits: Was ist die Alternative? Aufgeben und sich dem Schicksal ergeben? Wir denken, das kann nicht die Lösung sein. Deswegen möchten wir mit unserem Buch einen Beitrag dazu leisten, eben jene psychologischen Werkzeuge bereitzustellen und nutzbar zu machen.

Die Klimakrise stellt eine existenzielle Bedrohung für uns als Menschheit dar und damit ist sie eine psychologische Krise für uns alle. Als Psychotherapeutinnen erleben wir zunehmend die Relevanz dieser Thematik bei (vor allem jüngeren) Patientinnen, während wir gleichzeitig selbst auch davon betroffen sind. Sicherlich erleben wir immer wieder, dass Themen und Probleme, die Patientinnen mitbringen, Überschneidungen zu unserem Leben und Erleben aufweisen, dennoch sind es letzten Endes doch ihre Konflikte und Leidensgeschichten. Bei der Klimakrise ist dies anders – auch wir sind konfrontiert mit den Veränderungen, die wir bereits erleben und mit der Angst vor Veränderungen, die uns noch erwarten. Wir erleben zum Teil die gleichen Gefühle, die mit der Klimakrise assoziiert sind: die Ohnmacht, die Wut, die Angst und die Traurigkeit.

Das können (und müssen) wir auch nicht abstellen, wenn wir klimabelastete Menschen behandeln. Aber genau deshalb ist es so wichtig, dass wir uns unserer eigenen emotionalen Reaktion auf die Klimakrise und unserer Mechanismen im Umgang damit bewusst sind. Um erfolgreich zu behandeln, sollten wir nicht nur ein grundlegendes Verständnis der realen wissenschaftlichen Lage bezüglich der Klimakrise haben, sondern auch ein Konzept von unseren klimabezogenen Gefühlen, ebenso wie von unserer eigenen Vermeidung und Verdrängung. Dementsprechend laden wir Sie ein, sich auf die Selbsterfahrungselemente in diesem Buch einzulassen, mit Menschen in Ihrem Umfeld über Ihre Klimagefühle zu reden und in Kontakt zu kommen, mit sich, aber auch mit Anderen. Wenn wir von Patientinnen verlangen, sich den Gefühlen zu stellen, dann sollten wir auch selbst dazu in der Lage sein. Beobachten Sie Ihre eigenen Reaktionen beim Lesen und nutzen Sie die weiterführenden Fragen, um die Selbstreflexion zu vertiefen. Gleichzeitig möchten wir aufzeigen, dass wir als Psychotherapeutinnen durchaus eine Werkzeugkiste haben und Ihnen Möglichkeiten aufzeigen, Patientinnen zu behandeln, die von Klimagefühlen belastet sind.

Der generelle gesellschaftliche Kontext, in dem wir agieren, ist aktuell (noch) einer der systematischen Unterschätzung der Bedrohung durch die Klimakrise. Das zu ändern ist eine wichtige Aufgabe, auch von Psychologinnen, die zum Beispiel effektive Klimakommunikation erforschen. Das vorliegende Buch möchte sich jedoch explizit den Menschen widmen, die bereits Leidensdruck durch die Krise verspüren; entweder durch starke Klimagefühle oder durch die Überforderung, die Klima-Engagement mit sich bringen kann. Als Psychotherapeutinnen möchten wir ihnen dabei helfen, resilient mit den ausgelösten Gefühlen umzugehen. Ein Übermaß an Klimaemotionen oder ein inadäquater Umgang führt schließlich häufig dazu, dass sich Personen in die Vermeidung zurückziehen, weil sie sich nicht im Stande fühlen, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Dabei ist Aktivismus ein nicht zu unterschätzender Resilienzfaktor: Aus der Vermeidung herauszutreten und durch individuelle und kollektive Aktionen ins Handeln zu kommen, kann Menschen dabei helfen, sich weniger ohnmächtig und überwältigt zu fühlen und dadurch den Leidensdruck durch Klimagefühle mindern (Schwartz, Benoit, Clayton, Parnes, Swenson & Lowe, 2022). Und selbstverständlich ist der gesamtgesellschaftliche Nutzen davon, dass Menschen vom Vermeiden ins Handeln kommen, immens. Indem wir Personen genau dabei unterstützen, möchten wir unseren Beitrag dazu leisten, die Klimakrise bestmöglich zu bewältigen.

2 Psychologische Faktoren in der Bewertung der Klimakrise

Zusammenfassung

Es gibt verschiedene Gründe, warum die Klimakrise als nicht so bedrohlich bewertet wird, wie sie real ist. Dabei spielen kognitive Faktoren eine Rolle. Dazu gehört, dass der Mensch evolutionär betrachtet, nicht dafür konzipiert ist, auf so abstrakte Bedrohungen wie den Klimawandel zu reagieren. Denn dieser ist zum Beispiel nicht direkt beobachtbar, hat einen extrem langen Verlauf, unvorhersehbare Konsequenzen und keine eindeutige Lösung. Wenn denn doch eine Reaktion erfolgt, so ist sie auch nicht immer adaptiv. Der Grund dafür ist die existenzielle Angst, die durch die Krise ausgelöst wird und sich oft überwältigend anfühlt Die verschiedenen Möglichkeiten emotional zu reagieren kann man subsumieren unter: Flucht, Erstarren und Kampf. Dabei ist der Kampf, zumindest wenn er gegen die Klimakrise selbst kämpft, wohl der adäquateste Bewältigungsmechanismus, da er der Einzige ist, der an der Bedrohung selbst ansetzt, und nicht nur darauf abzielt, die emotionale Reaktion zu reduzieren.

Die Drastik der Klimakrise scheint trotz zunehmender medialer Repräsentanz bei einem Großteil der Bevölkerung und vor allem bei Entscheidungsträger:innen nicht in aller Deutlichkeit präsent zu sein und führt vor allem nicht zu der gewünschten Veränderung, um die Katastrophe zumindest abzumildern, wo ein Abwenden offensichtlich gar nicht mehr möglich ist. Dies mag verwunderlich erscheinen angesichts der unbedingten Notwendigkeit, sich besser früher als später mit der Thematik auseinanderzusetzen, um ins Handeln zu kommen. Es spielen verschiedene psychische Mechanismen eine Rolle dabei, warum wir die Bedrohung nicht so deutlich spüren, wie wir vielleicht sollten.

2.1 Die systematische Unterschätzung der Bedrohung

Das Nichterkennen oder Nichteinordnen der Klimakrise als Bedrohung ist offenkundig ein fundamentales Problem bei der lösungsorientierten Auseinandersetzung mit dieser. Und die Klimakrise ist leider genau die Art von Krise, mit der unser Verstand Schwierigkeiten hat (Dohm, Peter & Rodenstein, 2020). Evolutionär ist unser Gehirn dafür gewappnet, besonders gut auf Krisen zu reagieren, die im Hier und Jetzt stattfinden, beziehungsweise auf Situationen, wo die Gefahr deutlich sichtbar ist, und eine direkte Reaktion erfordert. Die Klimakatastrophe jedoch ist vermeintlich sowohl örtlich wie auch zeitlich weit weg und betrifft vor allem »die Anderen«.

Die Bedrohung ist aktuell trotz aller Umweltkatastrophen, die wir medial mitbekommen, in gewisser Hinsicht unsichtbar. Es ist in Deutschland, abgesehen von einzelnen Ereignissen wie der Flutkatastrophe im Ahrtal, durchaus möglich, den Klimawandel nicht zu sehen, wenn man sich dazu entscheidet, keine Medien diesbezüglich zu konsumieren. Dass Trockenperioden die Ernten belasten, fällt im Supermarkt, in dem immer eine Fülle an Lebensmitteln zur Verfügung steht, kaum auf. Menschen, die mit der Natur wenig Berührungspunkte haben, erleben zwar heißere Sommer und leiden vorübergehend darunter, aber sie spüren nicht unbedingt die problematischen Konsequenzen davon. Es wird berichtet, dass immer mehr heimische Bäume sterben, aber wir sehen doch überall Bäume und Wälder. Nicht nur die hierzulande kaum wahrnehmbaren Folgen machen die Klimakrise wenig sichtbar, sondern auch der nicht spürbare Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. Die Konsequenzen des eigenen Handelns sind nicht vorhersehbar und größtenteils indirekt. Ob ich heute alles in Plastikverpackungen kaufe, von Berlin nach München fliege oder jeden Tag Fleisch esse, hat für mich zumeist keine direkte negative Konsequenz. Auch global ist dies der Fall: Die westliche Welt ist zwar für den Großteil der Emissionen verantwortlich, die Auswirkungen des Klimawandels belasten aber aktuell vor allem den globalen Süden (Chaplin-Kramer et al., 2019; Fussel, 2009; Hickel, 2020).

Ein weiteres Problem ist, dass es einen solchen Klimawandel bisher noch nicht gegeben hat. Er ist in seiner Form einzigartig in der Menschheitsgeschichte, es gibt also noch keine Erfahrungswerte oder gar erprobte Lösungsansätze im Umgang damit. Es gibt auch keine eindeutige Lösung dieses Problems. Das stellt wiederum ein Hindernis für die erlebte Selbstwirksamkeit dar. Gemäß dem Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung initiiert der Mensch eine Handlung eher, wenn er oder sie sich davon Erfolg verspricht (Bandura, 1977). Bei der Klimakrise ist das Handeln jedoch häufig eben nicht erfolgversprechend, zumindest nicht das individuelle Handeln. Der Klimawandel ist ein globales Problem und multifaktoriell bedingt. Er kann nicht alleine gelöst werden und Veränderungen auf individueller Ebene, dem einzigen Bereich, über den wir Kontrolle haben, wirken manchmal nichtig im Vergleich zu den großen »global players« oder zu den Entscheidungen Milliarden anderer Menschen.

Erschwerend kommt der lange Verlauf hinzu. Schon vor vielen Jahrzehnten gab es Hinweise auf eine drohende ökologische Katastrophe und spätestens seit den Neunzigern des zwanzigsten Jahrhunderts herrscht weitestgehend Einigkeit über einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Ausstoß von Treibhausgasen und einem Temperaturanstieg. Gleichzeitig ist erst in den letzten Jahren wirklich ein Effekt spürbar. Das sehr langsame Feedback (sowohl positiv als auch negativ) hemmt die Handlungsmotivation, politisch ebenso wie individuell. Das seit Jahrzehnten mit erhobenem Zeigefinger weitergetragene Narrativ der Bedrohung durch die Klimakrise bewirkt, dass die Bedrohung eben doch nicht mehr allzu bedrohlich erscheint. Wie in der Fabel von Aesop, Der Hirtenjunge und der Wolf, nehmen die Dorfbewohner (im Fall der Klimakrise die Erdenbewohner) die Hilferufe nicht mehr ernst, denn: »Es ist ja bisher auch nichts Schlimmes passiert.«

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten: Es fehlt mitunter ein Problembewusstsein, aber ebenso fehlen Verantwortungsgefühl und Selbstwirksamkeit. Interessanterweise finden sich im Modell zur Erklärung individuellen Umweltschutzverhaltens ebendiese drei relevanten Punkte, welche die eigene ökologische Norm beeinflussen und damit die Motivation bedingen, sich nachhaltig zu verändern (Hamann, Baumann & Löschinger, 2016).

Hinzu kommt, dass der Mensch nur eine begrenzte Aufmerksamkeitskapazität hat. So zeigt eine Studie, dass in dem Umfang, wie die Sorgen um Corona und die Aufmerksamkeit auf die Pandemie bei Personen zunahmen, die auf den Klimawandel gelenkte Aufmerksamkeit abnahm. Und dies, obwohl sich Menschen weiterhin Sorgen um den Klimawandel machten (Sisco et al., 2020). Es ist schwierig, der Klimakrise im Bewusstsein genug Raum zu geben, wenn andere Belastungen wie Pandemien, Kriege, aber auch private Probleme den Alltag dominieren. Sorgen um die Klimakrise treten dementsprechend stärker in Ländern, die ein höheres Bruttoinlandsprodukt haben, auf und vermindern sich bei Einzelnen, wenn diese ökonomische Probleme erleben, z. B. durch Arbeitslosigkeit (Duijndam & van Beukering, 2021).

Ein weiterer relevanter kognitiver Prozess ist der sogenannte Optimism Bias: die Tendenz, die Wahrscheinlichkeit von positiven Ereignissen für sich selbst zu über- und die von negativen Ereignissen zu unterschätzen (Sharot, 2012). Er findet sich in Aussagen wieder wie »Wird schon alles (für mich persönlich) nicht so schlimm werden«. Bezüglich der Klimakrise ist der Optimism Bias natürlich fatal, da er eine massive Fehleinschätzung der Situation beinhaltet. Es gibt aktuell leider wenig Grund zum Optimismus (Pörtner et al., 2022). Und er behindert, so wie die anderen genannten Prozesse auch, eine emotionale Aktivierung. Ohne Emotion jedoch gelingt es nicht, ins Handeln zu kommen.

Aber auch wenn die Emotion ausgelöst und die Klimakrise als Bedrohung wahrgenommen wird, dann ist die Reaktion nicht automatisch hilfreich, wie wir uns im nächsten Kapitel anschauen werden. An dieser Stelle soll jedoch auch nicht unerwähnt bleiben, dass die Prozesse, die das Anerkennen des Klimawandels als Bedrohung behindern, in eine gesellschaftliche Struktur eingebettet sind. Das System, in dem wir leben, basiert auf stetigem Wachstum und damit auch auf Konsum. Wir sind aufgewachsen mit dem Rational, dass Wirtschaftswachstum immer ein erstrebenswertes Ziel ist und der menschlichen Entwicklung keine Grenzen gesetzt sind. Auch ist die Welt durch die Globalisierung scheinbar so unüberschaubar und die Prozesse sind so unübersichtlich geworden, dass die einzelne Person, überwältigt von der Unüberschaubarkeit und wahrgenommenen Unkontrollierbarkeit, sich tendenziell in den privaten Raum zurückzieht (Lertzman, 2015). Um ewig als Gesellschaft zu wachsen, müssen wir natürlich auch ewig leisten und konsumieren. »Mehr leisten« ist dementsprechend ein Muss für jeden Einzelnen. »Mehr konsumieren« ist nicht nur erlaubt, sondern erwünscht, um die Wirtschaft zu stärken. Die materielle Werteorientierung der Gesellschaft findet sich natürlich auch im Individuum wieder. Diese Grundkonzepte sind jedoch schlecht vereinbar mit den planetaren Grenzen und dem, was die Klimakatastrophe als Handeln erfordert.

2.2 Emotionale Reaktionen auf die wahrgenommene Bedrohung der Klimakrise

Die Klimakatastrophe ist eine existenzielle Bedrohung, die wir alle zu einem gewissen Grad abwehren müssen. Mit dem Wissen um den drohenden ökologischen Kollaps ist es sehr schwer, psychisch gesund zu bleiben. Es drohen überwältigende Gefühle von Ohnmacht, Angst und Hilflosigkeit. Die Anerkennung der Bedrohung bedeutet immerhin auch, dass wir die Konsequenzen der Bedrohung für uns und alle, die uns wichtig sind, anerkennen. Es bedeutet Todesangst. Es bedeutet aber eben nicht nur eine Bedrohung für uns und unsere Angehörigen, sondern potenziell auch für die gesamte Menschheit. Und es bedeutet ein Infragestellen unserer gesamten Lebensweise und des bisherigen gesellschaftlichen Wertesystems. Das produziert naturgemäß unerträglich erscheinende Affekte und aktiviert unser archaisches Bedrohungssystem (Scherer & Berghold, 2022). Dieses Bedrohungssystem hilft jedoch in der aktuellen Situation häufig leider nicht, die Bedrohung wirklich zu bewältigen. Im Gegenteil führt es teilweise zu paradoxen Reaktionen, die sich aus der Aggravation der Bedrohung ergeben.

Habibi-Kohlen schreibt aus psychoanalytischer Perspektive über diese fundamentale Problematik (2020, S. 25 – 26):

»Die neue Debatte über ›fünf vor zwölf‹ oder ›fünf nach zwölf‹ zwingt uns in ihrer neuen Anschaulichkeit zu einer Konfrontation mit so grundlegender Gefahr, dass wir alles daransetzen, sie abzuwehren, um unsere Identität nicht fundamental erschüttern zu lassen. Dabei ist diese Identität von außen betrachtet verrückt und suizidal, d. h. ressourcenverschwendend und erderwärmend bis zur Existenzbedrohung der Gattung Mensch (und Tier und Pflanzen), von innen jedoch »normal« und Sicherheit gebend, uns bestätigend.«