Queen of Fashion - Stephanie Holden - E-Book
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Queen of Fashion E-Book

Stephanie Holden

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Beschreibung

Rebellin, Designerin, Aktivistin – Vivienne Westwood.

1965: Geschieden und alleinerziehend, sieht Vivienne Westwood keine Alternative, als ihren Traum von einem anderen Leben abzuhaken und Lehrerin zu werden. Doch dann verliebt sie sich in den Kunststudenten Malcolm McLaren und eröffnet mit ihm in London einen Fashion-Shop, der zum Anlaufpunkt all jener wird, die gegen das Establishment rebellieren. Als Malcolm die »Sex Pistols« gründet und Vivienne die Outfits der Band entwirft, ist der Look des Punk geboren. Schon bald wird Vivienne für ihre provokanten, sexy Kreationen gefeiert, die Beziehung zu Malcolm gerät jedoch in die Krise … 

Der Roman über eine einzigartig selbstbestimmte Frau, die ihre Kunst mit dem Kampf für eine bessere Welt zu vereinen wusste.

Mit Madonna, The Sex Pistols, den britischen Royals u.v.a. 

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Seitenzahl: 334

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Über das Buch

1992: Die Queen ehrt die Modeschöpferin Vivienne Westwood mit der Verleihung des »Order of the British Empire«. Doch Vivienne geht es um viel mehr – sie kämpft für eine bessere, nachhaltigere Welt …

1965: Eigentlich sucht Vivienne Westwood in ihrem Leben nach Freiheit und künstlerischer Inspiration, doch als alleinerziehenden Mutter bleibt ihr dafür wenig Raum. Über ihren Bruder lernt sie den lebenshungrigen Kunststudenten Malcolm McLaren kennen und verliebt sich in ihn. Dann gründet Malcolm die Punkband »Sex Pistols«, und die Outfits, die Vivienne für die Musiker entwirft, werden zu Ikonen des Punk. Bald darauf wird ihr Fashion-Label für seine starke, feminine Mode gefeiert, doch sie will mehr, als nur Klamotten zu verkaufen. Und je mehr sie sich als Designerin entfaltet, desto schwieriger wird das Verhältnis zu Malcolm, der ihre Leistung nicht anerkennen will.

Über Stephanie Holden

Stephanie Holden, geboren 1973, begeisterte sich – zum Entsetzen ihrer Eltern – schon früh für Punk und New Wave, ohne jedoch zu wissen, dass dieser Look seinen Ursprung in den Kreationen einer einzigen Frau hatte: Vivienne Westwood. Später als Journalistin recherchierte sie zu Westwood und stieß auf eine durchsetzungsstarke Frau, die nicht nur Fashion-Geschichte schrieb und neben Lagerfeld, Armani oder Yves Saint Laurent zu den wichtigsten Modemachern ihrer Zeit gehörte, sondern sich auch als Aktivistin zeit ihres Lebens für Klimaschutz und Menschenrechte einsetzte. Fasziniert von diesem einzigartigen Frauenleben, beschloss sie, einen Roman über Vivienne Westwood zu schreiben.

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Stephanie Holden

Queen of Fashion

Für ihre Mode wird Vivienne Westwood gefeiert, doch sie will die Welt verändern

Roman

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Prolog

London, 15. Dezember 1992

Teil I — PUNK

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

London, 16. Dezember 1992

Teil II — FASHION

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

London, zwölf Jahre später

Teil III — FUTURE

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Epilog — Im Januar 1993

Nachbemerkung

Literatur

Bücher & Biographien

Zeitungs- & Zeitschriftenartikel

Dokumentationen & Sendungen

YouTube-Videos

Impressum

Wer von diesem Roman begeistert ist, liest auch ...

Prolog

»Vivienne!«

Die Stimme der kleinen Norma drang durch das nordenglische Moor, das sich einsam im Dunst des Abendlichts vor ihr ausbreitete.

Außer einem Rotmilan, der am Himmel majestätisch Kreise zog, war weit und breit nichts zu sehen. Stille und Frieden lagen über der idyllischen Landschaft.

»Vivienne!«, rief sie. »Wo bist du?«

Über Normas Kopf, in der Baumkrone einer schottischen Kiefer, hockte mit einem breiten Grinsen ihre Freundin, die jetzt lachend auf den weichen Moorboden sprang.

»Erste!«, rief Vivienne. »Ich hab gewonnen!«

Sie hatte Norma am Steinbruch abgehängt und damit das Wettrennen für sich entschieden, wieder einmal. In den Mooren und Wäldern der Umgebung kannte sie sich aus wie keine andere.

»Immer gewinnst du!«

Norma ließ sich frustriert ins Gras fallen. Vivienne sank neben sie und legte tröstend den Arm um ihre Schultern.

»Nächstes Mal schaffst du es. Ich zeig dir die Abkürzung, versprochen. Wir können beide gewinnen.«

Schweigend betrachteten die Mädchen die wilde Landschaft von Derbyshire. Die sanften Hügel und saftigen Wiesen, die sich schlängelnden Bächlein und das Moor mit seinen Kiefern und Schwarzerlen. Da hatte Vivienne eine Idee.

»Sollen wir den Steinbruch hochklettern?« Sie sprang auf. »Dort oben wachsen Kartäusernelken. Wir pflücken einen Strauß.«

»Der Steinbruch? Das ist viel zu gefährlich!«

»Komm schon, Norma. Das macht Spaß!«

Vivienne wusste, dass ihre Freundin nicht ohne Grund Angst hatte, aber wenn sie vorsichtig wären und die steile Kante umgingen, müssten sie sich keine Sorgen machen.

Norma betrachtete Vivienne auf eine Weise, dass diese fest damit rechnete, ihre Freundin würde ablehnen, doch stattdessen sagte sie: »Willst du tatsächlich ein Junge sein?«

»Wie meinst du das?«, fragte Vivienne schockiert.

»Du machst, was Jungen tun. Klettern, springen, Abenteuer erleben. Du hast gar keine Angst.«

»Deswegen will ich doch kein Junge sein!«

Sie war gern ein Mädchen, in ihren Augen gab es nichts Besseres. Auf keinen Fall wollte sie ein Junge sein. Sie fühlte sich wohl in ihrem Körper. Alles, was sie sein wollte, war lediglich …

»Ich will ein Held sein!«

»Das geht doch nicht«, stöhnte Norma. »Nur Jungen können Helden sein.«

So ein Unsinn, dachte Vivienne.

»Ich werde es dir beweisen. Ich werde eine Heldin sein.«

Blindlings lief sie zum Steinbruch und kletterte an der Steilwand hoch, und während Norma ihr bangend hinterhersah, erreichte sie die Plattform und pflückte eine Kartäusernelke.

»Trotzdem«, sagte Norma, als Vivienne zurück war und ihr die Blume überreichte. »Nur Jungen können Helden sein.«

Die Sache wurmte Vivienne für den Rest des Tages, selbst als sie später nach Hause zurückkehrte und ihre Mutter in dem kleinen Reihenhaus an der Nähmaschine vorfand, wo sie, begleitet vom Lärm des Radios, aus dem die unverwechselbare Stimme Winston Churchills dröhnte, Kleidung für die Familie anfertigte.

»Vivienne«, sagte Dora Swire zerstreut. »Gut, dass du da bist. Ich brauche deine Armlänge. Jetzt komm.«

Sie drehte das Radio ab, und Churchill verstummte. Vivienne sah, dass ihre Mutter wieder einmal Stoff aus der Fabrik mitgebracht hatte, in der sie tagsüber schuftete.

»Wird das ein Kleid für mich?«, fragte Vivienne und betrachtete unglücklich den gestärkten marineblauen Kattunstoff, der vor allem dafür gemacht war, widerstandsfähig und praktisch zu sein.

»So wie du wächst, bleibt uns ja nichts anderes übrig.« Ihre Mutter friemelte das Maßband auseinander. »Deinen Arm, Vivienne.«

Sie durfte sich nicht beschweren, sagte sich Vivienne, die ihrer Mutter den Arm hinhielt, schließlich war sie ordentlicher und gepflegter gekleidet als die meisten anderen Kinder in der Schule.

Trotzdem nagte die Enttäuschung über den rauen Stoff an ihr. Wie es wohl wäre, ein Kleid zu tragen, das sich anders anfühlte, seidig und leicht? Sie konnte es sich nicht verkneifen zu fragen: »Warum bekomme ich nicht eins dieser hübschen Kleider, wie sie die Prinzessinnen Elizabeth und Margaret tragen?«

Darüber konnte Dora nur schallend lachen. »Was hast du für Flausen im Kopf!« Kopfschüttelnd maß sie Viviennes Armlänge. »Wenn du mich fragst, kommt das davon, dass du zu viel liest. Damit macht man sich die Augen kaputt. Und den gesunden Menschenverstand erst recht.«

Sie hielt das Metermaß an den dunkelblauen Stoff und markierte ihn mit Kreide.

»Apropos«, sagte sie. »Ich habe den Bibliothekar getroffen. Du sollst nicht vergessen, die Bücher zurückzubringen. Die sind schon wieder überfällig.«

Vivienne hatte stapelweise Lektüre von Enid Blyton, Charles Dickens und Jane Austen neben ihrem Bett liegen. Alles längst gelesen, nur hatte sie wieder mal vergessen, die Bücher rechtzeitig abzugeben. Sie versprach, das gleich am nächsten Tag nachzuholen, und fragte, ob sie nach oben gehen dürfe.

Dora hob den Blick vom Stoff und betrachtete ihre Tochter missmutig.

»Mal im Ernst, Vivienne, das viele Lesen, das ist Zeitverschwendung. Ich mache mir Sorgen. Du solltest besser fürs Leben lernen. Für deine Zukunft.«

»Aber das tue ich. Die Lehrer in der Schule ermuntern uns, zu lesen. Die finden das gut.«

Dora verzog das Gesicht und griff nach dem Nadelkissen. »Lesen verdirbt den Charakter. Du solltest das wirklich lassen.«

Vivienne wartete schweigend darauf, entlassen zu werden, doch ihre Mutter fixierte sie.

»Ich sollte dir den Büchereiausweis abnehmen. Dann hat das leidige Thema ein Ende. Ich werde ihn einfach in den Ofen werfen.«

»Nein!«, rief Vivienne erschrocken. »Der gehört mir. Das kannst du nicht machen.«

Dora ließ sie nicht aus den Augen. »Fünf Schilling.«

Das brachte Vivienne zum Schweigen. Ihr wöchentliches Taschengeld betrug einen Schilling. Das war unfassbar viel Geld.

»Fünf Schilling«, wiederholte ihre Mutter. »Und du wirfst das Ding in den Ofen.«

Das Angebot war zu verlockend. Vivienne nickte zögernd, und ihre Mutter legte zufrieden den Stoff beiseite, stand auf und überwachte, wie ihre Tochter den Ausweis hervorzog und in den Holzherd in der Küche warf. Das Feuer züngelte an den Ecken, und mit Schrecken sah Vivienne ihren säuberlich geschriebenen Namen in Flammen aufgehen.

»Na also«, sagte ihre Mutter. »Und jetzt wasch dich. Es gibt gleich Abendessen.«

Der Schulranzen, den Vivienne am nächsten Morgen mit säumigen Büchern vollgestopft hatte, wog mindestens eine Tonne. Sie schleppte ihn die ganzen zwei Meilen bis zur Schule. Norma wartete schon auf dem Pausenhof auf sie, als die Glocke im Turm zur ersten Stunde läutete.

»Da bist du ja endlich«, begrüßte Norma sie. »Was hast du denn da in deinem Ranzen?«

»Ich muss nach der Schule zur Bücherei. Ach Norma … Kann ich dich um einen Gefallen bitten?«

»Na klar.«

»Kannst du mir deinen Büchereiausweis borgen?«

»Aber du hast doch selber einen.«

»Hab ihn verloren. Ich gebe ihn dir morgen wieder, versprochen.«

Norma fummelte den Ausweis aus ihrer Brusttasche hervor und überreichte ihn Vivienne.

»Jetzt lass uns reingehen«, drängte sie. »Der Direktor möchte in der ersten Stunde mit uns über Berufe sprechen.«

Vivienne steckte den Ausweis zufrieden ein. Die Welt des Wissens würde ihr weiterhin offen stehen. Sie musste die Bücher in Zukunft nur vor ihrer Mutter verstecken.

»Meine Mutter sagt, ich soll besser heiraten und Kinder kriegen«, sagte Norma. »Einen Beruf brauche ich gar nicht. Und alle sagen, es gibt sowieso nur vier Berufe, die eine Frau ergreifen kann. Also ist das Ganze wohl nicht so wichtig.«

»Vier? Und welche wären das?«

»Na, Friseurin, Krankenschwester, Lehrerin oder Sekretärin.«

Oder, fügte Vivienne in Gedanken hinzu, wenn man nichts gelernt hatte, arbeitete man wie ihre Mutter in der Fabrik. Wie nannte man Frauen, die in Fabriken arbeiteten? Gab es auch für sie eine Berufsbezeichnung?

»Welchen Beruf willst du nennen, wenn der Direktor dich drannimmt?«, fragte Norma. »Vielleicht Friseurin?«

»Nichts davon.«

»Und was sonst?«

Die letzten Kinder verschwanden im dunklen Portal des Schulgebäudes. Vivienne packte den Ranzen und lief ihnen hinterher. Sie blieb ihrer Freundin die Antwort schuldig.

»Los, Norma«, rief sie. »Wir kommen wieder zu spät.«

Denn wenn alle Berufe, die für sie in Frage kämen, die genannten wären, dachte Vivienne bei sich, dann würde es dabei bleiben, was sie Norma ohnehin schon gesagt hatte: Sie würde eben eine Heldin werden.

London, 15. Dezember 1992

Sie trat aus dem Buckingham Palace und steuerte auf die Meute der Journalisten und Fotografen zu. Was sie wohl in ihr sahen? Vivienne Westwood, Officer of the Order of the British Empire – das war nun ihr offizieller Titel. Aber was hieß das schon? Sie musste daran denken, was sie sich als Mädchen vorgenommen hatte, und lächelte. Heldin werden. Hatte sie irgendetwas Heldenhaftes geleistet auf ihrem unwahrscheinlichen Weg von den Mooren im Norden Englands, die sie als Kind aus der Arbeiterklasse durchstreift hatte, bis zu dieser Residenz der britischen Monarchin, die Vivienne zu einem royalen Empfang eingeladen hatte, um ihr den Verdienstorden des britischen Empires zu verleihen?

»Mrs Westwood!«, rief ihr ein Fotograf zu, damit sie in Richtung seiner Kamera schaute. »Hier, Mrs Westwood!«

Sie machte eine halbe Drehung, wodurch ihr wallendes Kleid zur Geltung kam. Der graue Wollstoff hob sich elegant vom cremefarbenen Kalkstein des Gebäudes ab. Der Buckingham Palace mit seinen Säulen und Balustraden war die perfekte Bühne für ihr Outfit.

»Mrs Westwood, wie fühlt es sich an, den Verdienstorden zu tragen?«

»Was hat die Queen zu Ihnen gesagt?«

»Mrs Westwood, ist es Ihnen schwergefallen, den Hofknicks zu machen?«

Was für eine Frage, dachte sie amüsiert. Sie war immer eine Rebellin gewesen, aber der Queen den formalen Gruß zu verweigern, wäre ihr albern vorgekommen.

»Ich hoffe, er ist mir gelungen«, sagte sie.

»Mrs Westwood, ist Ihr Kleid von Dior inspiriert?«

Diese Frage gefiel ihr schon besser. Die hochgeschlossene Kombination aus grauem Rock und Blazer, in Schnitt und Stoffauswahl angelehnt an eine viktorianische Uniform, verwandelte sich nämlich beim kleinsten Windzug in ein bauschendes Kleid, dessen seidene Innenseite in einem schillernden Bronzegoldton leuchtete.

»Vor allem spiegelt das Kleid die verschiedenen Epochen Britanniens wider«, sagte sie, doch ehe sie das erläutern konnte, folgte die nächste Frage.

»Wie fühlt es sich für einen Punk wie Sie an, von der Queen persönlich ausgezeichnet zu werden?«

Die Frage würde Norma sicher auch interessieren. Auf ihrer Reise war sie so vieles gewesen: alleinerziehende Mutter, Sozialhilfeempfängerin, Ausgestoßene, Skandalfigur, Hassobjekt, umjubelter Undergroundstar. Der Punk war der Anfang von allem gewesen. Dank ihm war sie geworden, wer sie war. Hör zu, kleine Norma, dachte sie, ich erzähle dir davon.

Doch schon kam die nächste Frage.

»Mrs Westwood, tragen Sie unter Ihrem Rock Unterwäsche?«

Überrascht nahm sie den Mann, der diese Frage gestellt hatte, in Augenschein. In seinem Trenchcoat sah er wie ein gewöhnlicher Lokalredakteur aus. Dann erinnerte sie sich, wie sie kürzlich öffentlich erklärt hatte, ihre Haltung zu Unterwäsche gleiche der des 18. Jahrhunderts.

»Ob ich Unterwäsche trage?«

In bester Marilyn-Monroe-Manier vollführte sie eine Pirouette, die ihren ausufernden Rock, meterweise weichen Stoff mit seidener Unterseite, hochfliegen ließ, höher, als von Vivienne erwartet. Und an den schockierten Gesichtern erkannte sie, dass sich nun alle ihr Bild machen konnten. Ein Raunen ging durch die Menge, Blitzlichtgewitter folgte, und Vivienne konnte nicht anders, sie musste lachen. Wenn Norma sie doch nur sehen könnte …

Teil I

PUNK

1965–1979

1

Liebevoll blickte Vivienne auf den schlafenden kleinen Jungen, sie hätte sich am liebsten zu ihm gelegt, ihn in ihrem Arm gehalten. Manchmal fragte sie sich, ob ihrem dreijährigen Sohn die vielen Veränderungen wohl am allerwenigsten ausmachten. Im Gegensatz zu allen anderen, die der Ansicht waren, ihr Leben sei zu Ende. Keiner sprach es laut aus, aber Vivienne konnte es an ihren Gesichtern ablesen, an den mitleidigen Mienen ihrer Eltern und Geschwister. Sie fanden, sie habe, noch keine fünfundzwanzig Jahre alt, ihre Zukunft bereits gegen die Wand gefahren.

Ob Ben später einmal verstehen würde, warum sie diese Entscheidung getroffen hatte? Ob er Verständnis für seine Mutter hätte, nachvollziehen könnte, dass sie nicht anders hatte handeln können?

Aus dem Postamt im Erdgeschoss, das ihre Eltern seit einigen Jahren im Norden Londons bewirtschafteten, drang die Stimme ihrer Mutter Dora. Da die Tür nach unten nur angelehnt war, kam Vivienne kaum umhin, mit anzuhören, was geredet wurde.

»Sie sagt, sie wohnt nur vorübergehend bei uns«, sagte Dora mit einem Seufzer. »Wo sie hinwill? Keine Ahnung.«

»Sie kann ihr Leben nicht allein in die Hand nehmen«, sagte eine andere Frau, in der Vivienne Maggie erkannte, die Freundin ihrer Mutter, die gern mit unterm Kinn zusammengeknotetem Kopftuch ins Postamt stiefelte, um sich bei einer Tasse Tee über den neuesten Tratsch auszutauschen. »Ich verstehe das nicht. Hat sie denn nie über ihre Ehe gesprochen? Was sie daran stört?«

»Was gab es da schon zu reden? Derek ist ein wundervoller Mann. Ich war überzeugt, mein kleines Mädchen würde eine ebenso glückliche Ehe führen wie ihre Eltern.«

»Ich auch, meine Liebe«, sagte Maggie mitfühlend. »Er geht doch genauso gern tanzen wie Vivienne, nicht wahr? Und dann sein gutes Aussehen! Ich wünschte nur, ich könnte verstehen, was Vivienne sich denkt.«

Da musste sich die gute Maggie in eine lange Schlange einreihen, dachte Vivienne. Dora war außer sich gewesen, ihre jüngeren Geschwister verstanden ebenfalls nicht, was sie antrieb. Und schon gar nicht die Nachbarn. Alle himmelten Derek an. Und da er sich offensichtlich nichts zuschulden hatte kommen lassen, musste es ja an Vivienne liegen.

Am liebsten hätte sie die Tür zugedrückt, doch Maggies verschwörerischer Tonfall ließ sie innehalten.

»Vielleicht sind es Kindbettdepressionen«, sagte sie, »das hört man immer wieder. Junge Mütter, die nach der Entbindung in rätselhafte Gemütslagen verfallen. Sie wäre nicht die einzige.«

»Ich weiß nicht, depressiv kommt sie mir nicht vor«, meinte Dora skeptisch und fügte dann hinzu: »Ach Maggie, was sollen nur die Leute sagen?«

Natürlich!, dachte Vivienne wütend. Am meisten sorgte sich ihre Mutter über das Urteil anderer Menschen. Zuerst hatte Dora darauf bestanden, dass geheiratet wurde. Vivienne war gerade einundzwanzig gewesen, und wenn sie einem Mann irgendwie näherkommen wollte, gab es keinen anderen Weg, als ihn zu heiraten. Dann legte Dora Wert darauf, dass eine kirchliche Hochzeit stattfand, obwohl weder Vivienne noch Derek es wünschten. Aber Dora hatte ihre Prinzipien, und eine kirchliche Trauung gehörte nun mal dazu. Diese Scheidung war ein Skandal!

»Was für Perspektiven hat eine geschiedene Frau?«, murmelte Maggie. »Das wird ihr ein Leben lang nachhängen.«

»Sie verdirbt sich alles.«

»Sie muss froh sein, wenn sie eine Anstellung findet. Dora, meinst du, sie kann in einer Fabrik arbeiten? Oder als Verkäuferin?«

»Jetzt ist sie erst mal am St. Gabriel’s Teacher Training College in Südlondon«, sagte Dora mit einer Spur Genugtuung in der Stimme. »Sie holt das Diplom in Pädagogik nach, um einen Job als Lehrerin zu finden.«

»Du denkst, in einer öffentlichen Schule nehmen sie auch Geschiedene?«

»Das müssen sie sogar, so dringend, wie Lehrerinnen gesucht werden.«

»Und der Junge?«, fragte Maggie. »Er wächst ohne Vater auf. Nicht auszudenken, wie er in der Schule gehänselt werden wird.«

Vivienne sah zu Ben, der friedlich in seinem Bettchen schlummerte. Habe ich die falsche Entscheidung getroffen?, fragte sie sich. Sind meine Träume wichtiger als das Glück meines Kindes?

Nein. Sie glaubte fest daran, dass es nicht so war. Ben würde eine starke Persönlichkeit werden, wie sie selbst es war. Wäre sie bei Derek geblieben, hätte sie ebenjene Depressionen bekommen, die Maggie ihr unterstellte. Und ein Kind brauchte eine Mutter, die glücklich war.

»Das verspreche ich dir, mein kleiner Ben«, sagte sie. »Ich werde dir im Glücklichsein ein Vorbild sein.«

Wie sollte sie den Leuten erklären, weshalb sie es in dieser Ehe keine Sekunde länger aushielt? Derek war ein anständiger Kerl, damit hatte Dora recht. Er war im Begriff, Pilot zu werden, und er bot ihr ein Leben in Sicherheit.

Aber genau das war es, was Vivienne Angst einjagte: ein Leben voller Konventionen. Sie wollte sich weiterentwickeln, wollte Freiheit, Selbstverwirklichung, Bildung. Sie war gerade erst fünfundzwanzig geworden. Sie wollte mehr sein als Hausfrau und Mutter.

Seit Viviennes Kunstlehrer ihr vor einigen Jahren eine Galerie in Manchester empfohlen hatte und sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit Gemälden konfrontiert worden war, wusste sie, dass da eine fremde Welt darauf wartete, von ihr entdeckt zu werden. Viviennes Sehnsucht war geweckt – nach Kunst und allem, was sie verheißen konnte. Vor allem hatte Vivienne begriffen, dass ihre bisherige Bildung nur an der Oberfläche all dessen kratzte, was sie so sehr anzog. Und an Dereks Seite würde sich daran nie etwas ändern.

Das Hupen eines Lieferwagens drang von draußen herein, und sie trat neugierig ans Fenster. Vor dem Postamt fuhr der Pritschenwagen einer Brauerei vorbei und gab die Sicht frei auf einen mintfarbenen Kastenwagen, der mit beschlagenen Fenstern unter der Eiche auf der anderen Straßenseite stand. Ein leicht verbeulter Morris Cowley, der ihrem Bruder Gordon gehörte. Ihr kleiner Bruder, der – wer hätte das je für möglich gehalten – seit einiger Zeit die Universität besuchte. Durch ihn hatte Vivienne junge Künstler und Intellektuelle kennengelernt, die ohne Reue ihren Träumen folgten. Auch Leute aus der Arbeiterklasse. Es war eine neue Welt, die sie durch Gordon an der Harrow Art School entdeckte, was ihre Entfremdung von Derek sicher befeuert hatte.

Die verbeulte Tür von Gordons Kastenwagen wurde von innen aufgestoßen, und dünne, knochige Beine erschienen. Ein alter schmutziger Mantel folgte, dann tauchte das verschlafene Gesicht von Gordons Freund Malcolm auf, der im Auto übernachtet hatte. Ein dürrer zwanzigjähriger Junge mit einer Haut bleich wie Milch und mit feuerrotem Haar. Malcolm zog den Mantel enger und zündete sich eine selbst gedrehte Zigarette an, wobei er den Rauch in die kalte Morgenluft blies. Er gähnte ausgiebig.

Vivienne wusste, dass er sein Gesicht mit Talkpuder bestäubte, um seine Blässe und den Kontrast zum roten Haar zu betonen. Niemand, den sie kannte, tat so was. Er reckte sich wie eine Katze und sah hinauf zu dem Fenster, hinter dem Vivienne stand. Er winkte.

Für ihn schien es ganz normal zu sein, in einem Auto zu wohnen. Bis vor Kurzem hatte er in einer Studentenbude gelebt, die seine Oma ihm besorgt hatte, doch als er die Miete nicht mehr zahlen konnte, war er rausgeflogen. Gordon hatte ihm das Auto überlassen, damit er nicht wie in den ersten Nächten nach dem Rauswurf auf dem nahe gelegenen Friedhof übernachten musste, und Malcolm schien ganz zufrieden mit seiner Unterkunft zu sein.

»So schnell wird sie nicht bei uns ausziehen können«, hörte sie nun Dora unten im Postamt sagen. »Das ist auch gut so. Sie hat ihre Eltern, wir helfen. Ich werde dem Jungen eine gute Großmutter sein, und Gordon wird ihm als Großvater den Vater ersetzen können.«

Vivienne hatte endgültig die Lust verloren, dem Gespräch zu lauschen, sie trat an die offene Tür und drückte sie zu. Schluss damit.

Seltsam, wie sich alles entwickelte, dachte sie. Denn das Leben, von dem sie heimlich träumte, wäre vor ein paar Jahren fast Realität für sie geworden. Der Kunstlehrer, der ihren ersten Museumsbesuch zu verantworten hatte, hatte eine ihrer Modeskizzen gesehen, die, wie Vivienne fand, nichts Besonderes war, ihn jedoch so begeisterte, dass er überzeugt war, sie solle zur Kunstakademie gehen. Im Alter von siebzehn Jahren war das für sie als Mädchen aus der Arbeiterklasse völlig undenkbar gewesen. Doch er half ihr, eine Mappe zu erstellen, und sie wurde tatsächlich angenommen.

Zuerst belegte sie Kurse im Schneidern, immerhin liebte sie Kleider und nähte sich ihre Garderobe seit Langem selbst, alles außer Mänteln jedenfalls. Sogar ihr Hochzeitskleid hatte sie selbst entworfen und genäht. Die anderen in ihrem Kurs, größtenteils verwöhnte Mittelschichtskinder, hatten keine Ahnung von der Do-it-yourself-Philosophie, die ihr ihre Mutter vorgelebt hatte. Vivienne war ihnen daher im Schneidern weit voraus. Außerdem wurde im Kurs wochenlang nur gezeichnet, es gab keine Praxis.

Diese Untätigkeit machte sie verrückt, deshalb wechselte sie in den Schmiedekurs, wo sie lernte, getriebene Kupferarmreifen und Silberringe herzustellen. Das machte ihr zwar Spaß, doch wie man damit seinen Lebensunterhalt verdienen sollte, schien außer ihr niemanden zu interessieren. Künstlerin zu sein, dachte sie damals, das hieß, Gemälde zu verkaufen. Wie sonst konnte man Geld verdienen? Als Frau aus einfachen Verhältnissen wusste sie nur zu gut, wie wichtig diese Frage war.

Sie brach das Kunststudium ab und wurde Lehrerin. Und heiratete Derek. Aber als sie Gordons Freundeskreis kennenlernte und ihrem Bruder dabei zusah, wie er sein Studium organisierte und sich anschickte, tatsächlich Künstler zu werden, begann sie ihre Entscheidung zu hinterfragen. Was, wenn es doch möglich war, mit Kunst seinen Lebensunterhalt zu verdienen? Was, wenn es für sie noch nicht zu spät war?

Nein. Sie musste sich und ihren Sohn über Wasser halten, und mit einer abgeschlossenen Lehrerinnenausbildung wäre das möglich. Vielleicht könnte sie sogar Kunst unterrichten. Dann hätte sie beides vereint.

Ben schlief tief und fest, und sie blickte wieder aus dem Fenster. Unten auf der Straße trat Malcolm seine Zigarette aus und sah zu ihr hoch. Er bedeutete ihr, dass er über die Mauer zum Sims hochklettern wolle. Durch die Tür zu spazieren war unmöglich, denn Dora konnte ihn nicht ausstehen. Er schnorrte sich manchmal ein Frühstück, wenn Gordon zu Hause war, bis Dora ihn entdeckte und mit dem Besenstiel aus dem Haus scheuchte.

Vivienne schob das Fenster hoch und beobachtete, wie der dürre junge Mann mit dem viel zu weiten Mantel ungelenk an der Mauer hochkletterte, sich schließlich über den Fenstersims rollte und polternd auf die Dielen fiel.

»Hey, Viv«, sagte er und stand auf. »Habt ihr noch Bohnen und Speck? Ich verhungere.«

»Klar, aber sei leise.«

»Du meinst wegen dieses feuerspeienden Drachen, der eure Mutter ist?«

»Nein, wegen Ben. Er ist gerade eingeschlafen.«

Er schnitt eine Grimasse und schlurfte an ihr vorbei in die Küche, wo er sich an den Tisch fläzte, als gehöre er zur Familie.

»Was ist mit Tee?«, fragte er und legte die Beine auf den Tisch. »Ist noch welcher da?«

Vivienne ging kopfschüttelnd an ihm vorbei und setzte Teewasser auf. Dann stellte sie die Pfanne auf den Gasherd, um die Reste des Frühstücks aufzuwärmen. Malcolm betrachtete sie aufmerksam.

»Gordon hat erzählt, du bist mal an der Kunstakademie gewesen«, stellte er fest. »Aber nur für ein paar Wochen?«

Vivienne drehte ihm den Rücken zu. »Ja. War nicht das Richtige.«

»Wie kann das nicht das Richtige sein? Da gehen alle hin, die sonst nirgendwo hinpassen. Also die interessanten Leute. Ehrlich, es ist ein toller Ort zum Abhängen.«

Vivienne konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Als wenn es einer Mutter, die sich um ein Kind kümmern musste, darum ginge, wo man am besten abhängen konnte.

»Komm schon, Viv. Du kannst mir nicht sagen, dass es lässiger ist, Lehrerin zu sein.«

»Das vielleicht nicht.« Mit dem Pfannenwender deutete sie zur Straße, wo Gordons Kastenwagen parkte. »Aber es bezahlt die Miete.«

Er zuckte gleichgültig die Schultern.

»Du solltest es noch mal probieren«, schlug er vor. »Mit einem Stipendium kannst du dich über Wasser halten.«

»Ja, vielleicht«, sagte sie vage und wandte sich wieder der Pfanne zu.

»Glaub mir, das ist ganz leicht«, redete er weiter. »Ich bin nicht nur an der Kunsthochschule von Harrow. Ich habe verschiedene Bewerbungen laufen, unter falschen Namen, versteht sich, um weitere Stipendien zu bekommen. Irgendwas geht immer. So kommt Geld zusammen.«

Ihr erster Impuls war, ihn zur Räson zu rufen, denn diese Art der Schummelei fand sie unerhört. Doch dann lachte sie nur. Er grinste zwar, schien jedoch nicht zu verstehen, worüber sie lachte.

Mit Blick auf ihren selbst gestrickten Pullover und den Schottenrock fragte er: »Ist es wahr, dass du jeden Sonntag in die Kirche gehst?«

»Ist richtig.«

»Und du willst Lehrerin werden?«

»Stimmt was nicht damit?«

Er hob abwehrend die Hände. Vivienne stellte einen Teller auf den Tisch, schob das Frühstück darauf und goss Tee ein. Er stürzte sich wie ein ausgehungerter Welpe auf das Essen.

Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Anrichte. Was für merkwürdiger Kerl. Gordon hatte ihr erzählt, dass Malcolm bei seiner durchgeknallten Großmutter aufgewachsen sei und einen ziemlichen Dachschaden habe. Doch Vivienne gefiel, dass er ganz anders dachte als die meisten Leute, die sie kannte. Er war auf jeden Fall nicht langweilig, und er brachte sie zum Lachen. Etwas, das sie nicht über viele Typen sagen konnte.

»Beeil dich«, sagte sie. »Wenn Dora hochkommt, möchte ich nicht in deiner Haut stecken.«

»Ich dachte, ich könnte vielleicht noch baden.«

»Du kannst dich am Becken waschen, aber das Wasser ist kalt.«

Er verzog den Mund, überlegte es sich offenbar anders und stopfte weiter Bohnen und Speck in sich hinein. Vivienne legte ihm ein Toast dazu.

Da fiel sein Blick auf den Schmuck neben dem Küchenradio, an dem sie gerade arbeitete. Um ein bisschen Geld zu verdienen, verkaufte sie selbst gefertigten Schmuck auf dem Markt in der Portobello Road. Damit wurde sie nicht reich, aber momentan war jeder Schilling willkommen, und so war ihr abgebrochenes Kunststudium doch noch für etwas gut.

»Hast du das gemacht?«, fragte er.

»Gefällt er dir nicht?«

»Na ja. Die bunten Steine sind … interessant. Aber ich würde es eher monochrom machen. Nimm die Farbtupfer raus und lass die Steine mit den beigefarbenen Schattierungen. Das könnte besser aussehen.«

Verwundert betrachtete sie die angefangene Kette, beugte sich vor und wechselte kurz entschlossen ein paar Steine aus. Zu ihrer Überraschung gefiel es ihr deutlich besser. Die Kette wirkte eleganter.

»Und die Silberplatten würde ich flacher anordnen«, fuhr er beinahe gelangweilt fort. »Du kennst doch die alten Tudor-Ketten? Nicht so pompös, versteht sich, sondern eher schlicht. Aber das Prinzip, das meine ich.«

Vivienne konnte nur staunen. Die Idee war großartig. Wieso war sie nicht selbst darauf gekommen?

»Das ist … deine Ideen sind gut!«

»Ach, im Grunde sind die gar nicht von mir. In der Welt der Kunst geht es doch nur ums Plagiieren. Wenn man nicht anfängt, sich von Dingen, die man bei anderen sieht, inspirieren zu lassen und auch mal Konzepte zu klauen, kommt man nicht von der Stelle.«

Sie betrachtete den Schmuck. Dann diesen blassen, ungezogenen jungen Typen, der ihre Ideen mit leichter Hand auf den Kopf stellte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, und als wollte er ihr Schweigen brechen, rülpste Malcolm laut. Vivienne konnte nicht anders, sie lachte wieder.

Da donnerte es gegen die Tür, die hinunter ins Postamt führte. Die beiden schraken zusammen.

»Vivienne!«, brüllte Dora hinter der Tür. »Hast du etwa abgeschlossen?«

»Meine Mutter«, flüsterte sie. »Hau ab, schnell!«

Malcolm ließ sich nicht zweimal bitten. Er schnappte sich die verbliebene Scheibe Toast, wischte sie mit der flachen Hand durch die Pfanne, um die restlichen Bohnen aufzuklauben, faltete sie zusammen und steckte sie in die Manteltasche. Dann floh er am schlafenden Ben vorbei über das Fensterbrett nach draußen.

»Vivienne, verflucht, warum ist die Tür zu!«

Sobald sein roter Haarschopf verschwunden war, riss sie die Tür zur Treppe auf. »Tut mir leid, Mama. Ich muss sie aus Versehen ins Schloss gedrückt haben.«

»Dein Bruder kommt«, sagte sie grimmig. »Kannst du Fleischpasteten fürs Mittagessen einkaufen? Ich passe so lange auf Ben auf.«

Vivienne, die sich auf Gordon freute und gespannt war, welche Neuigkeiten aus der Harrow Art School zu berichten waren, machte sich auf den Weg. Auf der Straße stand Malcolm breitbeinig vor dem Kastenwagen, als würde er das Mannsein proben, und wie um Vivienne zu imponieren, zog er mit einem überheblichen Lächeln das mit Tomatensauce durchtränkte Toast aus der Tasche und biss provokativ hinein.

Vivienne musste schon wieder lachen – was für ein albernes Theater – und spazierte weiter. Als sie vom Metzger zurückkehrte, war das Auto verschwunden. Von Malcolm keine Spur. Dafür erwartete sie oben in der Küche ein Mitbewohner ihres Bruders (Gordon sei noch im Seminar und verspäte sich), der Dave oder Dick hieß, ein amerikanischer Filmstudent, der in Gordons Wohngemeinschaft lebte, um dem Kriegsdienst zu Hause zu entkommen. Vivienne machte sich ans Mittagessen und beachtete ihn kaum, bis er ihr erzählte, dass er bei ihrem Bruder ausziehen müsse und einen Nachmieter suche.

»Ich kann doch einziehen«, sagte Vivienne.

Eine verheißungsvolle Vorstellung.

»Das kommt überhaupt nicht infrage!«, ging Dora dazwischen. »Das ist nicht der richtige Platz für dich. Ben braucht stabile Verhältnisse.«

»Er ist drei. Und ich gebe ihm Stabilität.«

»Wir helfen dir. Du ziehst nicht zu Gordon. Such dir erst mal Arbeit, dann sehen wir weiter.«

Dave oder Dick zog den Kopf ein, so unwohl fühlte er sich als Zeuge des familiären Disputs. Aber Vivienne konnte keine Rücksicht auf ihn nehmen.

»Ich muss auf eigenen Beinen stehen, Mutter. Ich bin alt genug.«

Sie stritten eine Weile, bis unten im Postamt die Glocke ging und Dora hinuntermusste. Der Amerikaner sah verlegen drein, doch Vivienne lächelte ihn an.

»Mach dir keine Sorgen, ich ziehe ein«, sagte sie. »Es ist perfekt.«

»Aber es ist eine Männer-WG.«

»Jetzt nicht mehr. Gordon wird sich dran gewöhnen.«

Fast schien es, als bereute der Junge, davon angefangen zu haben. »Da hängen komische Typen rum«, sagte er nun. »Ich meine nur, wegen dem Kind. Einer von Gordons Kumpels, der ständig da ist, lebt in seinem Auto. Ich weiß nicht, ob das der passende Umgang für ein Kind ist.«

»Du meinst Malcolm?«, fragte sie. »Den kenne ich.«

»Dann weißt du ja Bescheid. Der kann eine ganz schöne Nervensäge sein.«

Sie lachte. Als wenn sie das nicht wüsste.

»Mit dem komm ich klar.«

Zufrieden wandte sie sich der Fleischpastete zu. Die Entscheidung war gefallen, egal, was Dora dazu sagte.

2

Das Haus in der Kings Avenue entpuppte sich als heruntergekommenes, viktorianisches Reihenhaus mit einem winzigen Vorgarten, in dem sich zwischen Brennnesseln und verwildertem Liguster der Müll sammelte. Im Erdgeschoss befand sich das weitläufige Wohnzimmer mit prachtvollen Fensterfronten, und vom Flur führte eine schmale Treppe hinauf in das puppenstubenhafte Obergeschoss, das über eine Handvoll Schlafzimmer verfügte.

Trotz des Zustands verliebte sich Vivienne auf Anhieb in das Haus. Es war das Gegenteil von all dem, was Derek ihr hatte bieten wollen: ein Nest für sie als Hausfrau und Mutter, deren Lebenssinn darin liege, Kindern den Mund abzuwischen und für Nachbarinnen Kekse zu backen. Hier, zwischen überquellenden Aschenbechern, Künstlerutensilien und an die Wand plakatierten Postern, spürte sie einen Hauch von Anarchie, der unbegrenzte Möglichkeiten versprach.

Dave oder Dick, der Amerikaner, dessen Zimmer frei geworden war, zeigte Vivienne den winzigen Raum im Obergeschoss.

»Gordon ist in der Uni und kommt erst später«, erklärte er. Mit skeptischem Blick fügte er hinzu: »Bist du sicher, dass dir das Zimmer nicht zu klein ist? Dein Kind zieht mit ein, oder? Nicht gerade geeignet.«

»Im Gegenteil. Es ist genau, was ich gesucht habe!«

Ben, davon war sie überzeugt, würde glücklich sein, wo sie es war. Und an diesem Ort würde sie glücklicher sein als irgendwo sonst.

Der Amerikaner übergab ihr den Schlüssel und verabschiedete sich, woraufhin sie sich sofort daranmachte, das Zimmer zu putzen. Gerade brachte sie einen Eimer mit Schmutzwasser nach unten, als die Haustür aufgestoßen wurde und eine dürre Gestalt mit raspelkurzen roten Haaren und einem grünen Webmantel im Teddy-Boy-Stil eintrat. Es war Malcolm.

Unterm Arm trug er ein Netz mit Eiern und Milch – wusste der Himmel, wo er die geschnorrt hatte –, und seine Finger waren schwarz von Tusche. Er wandte sich um, den Mund geöffnet, um etwas zu rufen, als er sie auf der Treppe entdeckte und erstarrte.

»Was zur Hölle machst du hier?«

Er sah sich hektisch um.

»Putzt du jetzt für Gordon?«

Sie lachte. »Ich ziehe in das freie Zimmer.«

»Aber … das geht nicht!«

Er wirkte schockiert.

»Wir sind ein Männerhaushalt«, sagte er heftig. »Wir sind Künstler. Wir arbeiten in diesem Haus. Dass Mädchen daherkommen und hier wohnen wollen, das geht nicht.«

Sie schmunzelte. Es fiel ihr schwer, sein Entsetzen über ihr Auftauchen ernst zu nehmen. Kopfschüttelnd ließ sie ihn stehen und ging mit dem Eimer unterm Arm in die Küche.

Er eilte hinter ihr her.

»Du hast ein Kind!«, rief er.

»Ben zieht ebenfalls hier ein.«

»Kinder brauchen wir erst recht nicht. Du wirst alles kaputt machen!«

Malcolm, sonst so eloquent und sprachgewaltig, wirkte in seiner Verzweiflung beinahe wie ein Schuljunge. Ein Freund hatte Vivienne mal anvertraut, dass Malcolm noch Jungfrau sei, was keiner wissen dürfe, weil er Angst habe, konventionell oder naiv zu wirken.

Sie hatte sich darüber gewundert, denn Malcolm stammte aus einer weltgewandten jüdischen Familie, die von portugiesischen Diamanthändlern und namhaften Schneidern abstammte. Dass ausgerechnet er Jungfrau war, wo doch in Künstlerkreisen alle von der freien Liebe predigten, war ungewöhnlich, sollte sie im Grunde aber nicht weiter kümmern, schließlich wollte sie nichts von ihm. Er war viel zu jung für sie und überhaupt nicht ihr Typ. Trotzdem fragte sie sich, was dahintersteckte.

Sie kippte das Putzwasser weg, während er hinter ihr schimpfte, dass er sich bei Gordon beschweren werde. Dann stürmte er aus dem Haus und warf die Tür zu. Vivienne blieb mit dem leeren Eimer in der Hand stehen und sah ihm nach. Ein seltsamer Typ. Was war nur los mit ihm?

Am kommenden Tag zog sie in das Haus in der Kings Avenue ein. Malcolm hatte Gordon nicht überreden können, sie davon abzuhalten.

In den folgenden Wochen bekam sie Malcolm kaum zu Gesicht. Zwar schlief er ab und zu in der Kammer, in der eine alte Matratze auf dem Boden lag, doch meist waren er und Gordon in der Kunsthochschule. Oder sie lagen noch in den Betten, wenn Vivienne frühmorgens aufstand, Ben fertig machte und ihn auf dem Weg nach Südlondon bei Dora vorbeibrachte. Manchmal entdeckte sie schwarze Tuschezeichnungen von Malcolm in der Kammer, futuristische Stadtlandschaften, die auf seltsame Weise beunruhigend wirkten. Verspielt und dennoch düster, reizvoll fremd, doch dabei bedrohlich. Vivienne konnte sich die Zeichnungen stundenlang anschauen und hätte sie am liebsten mit Malcolm diskutiert. Doch es ergab sich keine Gelegenheit.

Wenn sie unten im Wohnzimmer waren, ignorierte er Vivienne demonstrativ, tat, als sei sie gar nicht anwesend. Erst als er sie einmal nach dem Bad nackt, wie sie es immer tat, durch das Haus laufen sah, verlor er die Fassung. Da sich aber sonst keiner daran störte, verlegte er sich eilig wieder darauf, sie zu ignorieren.

Nachdem Vivienne das College abgeschlossen hatte und auf eine Anstellung als Lehrerin wartete, ergab es sich, dass Malcolm und sie des Öfteren zur gleichen Zeit zu Hause waren. Wenn sich Malcolm langweilte, schlurfte er zu Vivienne in die Küche und fläzte sich an den Tisch, während sie für ihn kochte.

Er erzählte ihr von darstellender Kunst, von Film und Mode, Installationen, Musik und Performance und teilte seine komplexen Überlegungen zu all dem mit ihr. Vivienne, für die seine Sichtweisen neu und aufregend waren, saugte alles begierig in sich auf. Bis er sie spöttisch beäugte.

»Wieso interessiert dich das eigentlich?«, fragte er. »Dein Leben besteht daraus, dich um Ben zu kümmern. Pullover zu stricken, Freundinnen aus der Lehrerausbildung zu treffen und sonntags zur Kirche zu gehen.«

Obwohl er nicht ganz unrecht hatte, verletzte sie diese Bemerkung. »So denkst du über mich?«, fragte sie.

Er blieb ihr eine Antwort schuldig. »Wenn ich mal Künstler bin, dann werde ich kein typischer Kerl mit einem typischen Job sein. Das unterscheidet uns. Ich lasse mich auf ein viel größeres Abenteuer ein.«

Mit diesem Abenteuer meinte er nicht nur die Kunst, sondern all das, was gerade in der Welt im Wandel war. Er redete vom Vietnamkrieg, den Unruhen in Irland und der Revolution, die in der Luft lag. Von der Mode der Mods und ihren Ursprüngen in der afroamerikanischen Subkultur. Redete über Pinochet, die Schriften von John Berger, dem marxistischen Kunstkritiker, und anschließend schlug er einen Bogen zum Rock ’n’ Roll und den Beatles (»Die ich verachte!«), um die Popkultur in seinen Kunstbegriff einzubinden. Ihm zuzuhören war die reinste Achterbahnfahrt, und Vivienne fand es nicht minder unterhaltsam.

In den darauffolgenden Wochen verbrachten sie viel Zeit miteinander. Sie hockten stundenlang vor einer Heizsonne, die kaum mehr als lauwarm wurde, teilten sich gebackene Bohnen auf Toast, tranken Tee, rauchten Woodbines und kippten bis spät in die Nacht billigen Whiskey.

Vivienne lauschte Malcolms Ausführungen gebannt. Er war jung, manchmal ein Kind, doch er sprach eloquent und mit ausufernder Begeisterung. Es schien Vivienne, als habe er den Schlüssel zu so vielen Türen, die sie gern öffnen wollte. Mit ihm zusammen zu sein löste ein ähnliches Gefühl in ihr aus wie ihr allererster Besuch der Kunstgalerie in Manchester. Eine ganze Welt wartete darauf, von ihr entdeckt zu werden. Eine Welt, nach der sie sich ihr Leben lang gesehnt hatte, ohne es zu wissen. Und es war furchtbar aufregend, sie gemeinsam mit Malcolm zu betreten.

Eines Abends gestand sie ihm angetrunken, wie erleichtert sie war, der Ehe mit Derek entkommen zu sein. Sie erzählte von ihrem Horror, als Hausfrau und Mutter eine makellose Vorstadtehe zu führen. Dass sie deshalb Ben geschnappt hatte und abgehauen war, auch wenn es einen Skandal provoziert hatte.

Er hingegen erzählte von dem Groll auf seine ständig abwesenden Eltern. Von seiner verkorksten Mutter, die ihn verleugnet habe, um ihre Verhältnisse mit reichen Männern zu pflegen, von seiner exzentrischen Großmutter Rose und seinem nicht existenten Vater. Rose war eine Bohemienne, die Malcolm zu Ungehorsam und Kompromisslosigkeit erzogen hatte. Seine gestörte Familie, meinte er, habe aus ihm einen komischen Kauz gemacht. Doch so ungewöhnlich er auch sein mochte, er hatte es Vivienne angetan.

Am nächsten Morgen saßen sie beim Frühstück – die Geständnisse der Nacht ein unsichtbares Band zwischen ihnen, als er plötzlich aufstand und rief: »Lass uns einkaufen gehen, Viv! Ich komme aus einer Schneiderfamilie, wir reden ständig über die Mode der Mods. Du brauchst dringend neue Klamotten!«

»Das kann ich mir nicht leisten«, wehrte Vivienne ab. »Ich habe kein Geld, das weißt du doch.«

»Unsinn. Mode kann man sich immer leisten! Komm schon, ich habe eine Idee.«

Vivienne ließ sich von ihm mitnehmen, nach Soho und Mayfair, in die Oxford Street und die Bond Street, wo er mit ihr durch die Läden zog. Mit Geschmack und Stilempfinden könne man eine dünne Geldbörse ausgleichen, meinte er. Und obwohl er ebenfalls pleite war, kaufte er ihr ein komplettes Outfit: ein maritimes Ensemble, mit einem groben, marineblauen Kleid und einem weißen Faltenrock. Vor dem Spiegel bewunderte sie den Matrosenlook, der so viel raffinierter war als ihre selbst gestrickten Pullover.