Race to Zero - Benedict Probst - E-Book

Race to Zero E-Book

Benedict Probst

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Beschreibung

Realistische Wege zur Klimaneutralität für Unternehmen Unternehmen mit einer ambitionierten Klimastrategie stehen vor einer riesigen Herausforderung: Um den Klimawandel beherrschbar zu halten, müssen einerseits deutlich weniger Treibhausgase ausgestoßen werden, andererseits ist CO2-neutrale Produktion in vielen Fällen nicht möglich. Auch die heute gängige CO2-Kompensation wird die Klimabilanz unserer Wirtschaft nicht retten. Demnach müssen wir Technologien etablieren, die dazu geeignet sind, bereits freigesetzte Treibhausgase wieder aus der Atmosphäre zu holen. Marian Krüger und Benedict Probst beschreiben die erfolgversprechendsten Möglichkeiten der Kohlendioxid- Entfernung und geben praktische Tipps, wie Unternehmen die neuen Technologien bereits heute selbst nutzen können, um ihre Ökobilanz zu verbessern.

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Cover for EPUB

Benedict ProbstMarian Krüger

RACE TO ZERO

Wie Unternehmen den Wettlauf zur Klimaneutralität gewinnen

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Spannende Möglichkeiten zur Klimaneutralität in UnternehmenUnternehmen stehen vor einer riesigen Herausforderung: Um den Klimawandel beherrschbar zu halten, müssen einerseits deutlich weniger Treibhausgase ausgestoßen werden, andererseits ist CO2-neutrale Produktion in vielen Fällen nicht möglich. Auch CO2-Kompensation wird die Klimabilanz unserer Wirtschaft nicht retten. Demnach müssen wir Technologien etablieren, die dazu geeignet sind, bereits freigesetzte Treibhausgase wieder aus der Luft und der Atmosphäre zu holen.Benedict Probst und Marian Krüger beschreiben die erfolgversprechendsten Möglichkeiten der Kohlendioxid-Entfernung und geben praktische Tipps, wie Unternehmen die neuen Technologien selbst nutzen können, um ihre CO2-Bilanz zu verbessern.

Vita

Dr. Benedict Probst ist Umweltökonom an der ETH Zürich und Universität Cambridge, Berater und Autor. Seine Artikel erschienen unter anderem in der Süddeutschen Zeitung und in führenden Fachjournalen wie Nature Sustainability. Zuletzt ist von ihm das Buch »Save For the Planet. Wie du nachhaltig investierst« im Rowohlt Verlag erschienen (mit Nina Martin), das medial für Aufsehen sorgte.Marian Krüger ist Gründer und Leiter von remove, einer Organisation zur Unterstützung europäischer Carbon Removal Start-ups. Zuvor leitete der studierte Verhaltensökonom das Sustainability in Business Lab an der ETH Zürich, beriet Industrieunternehmen und öffentliche Institutionen zur Dekarbonisierung und gründete ein erfolgreiches Solar-Start-up.

FÜR UNSERE FAMILIEN

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

INHALT

Impressum

INHALT

VORWORT

TEIL I

DER WETTLAUF ZU NETTONULL — WO STEHEN WIR UND WO MÜSSEN WIR HIN?

Kapitel 1

DER WEG ZU NETTONULL

Die Welt von morgen

Netto-Was?

Was ein ambitioniertes Klimaziel ausmacht

Das Rennen zur Null mit SBTi

SBTi ist nicht perfekt

Warum deutsche Firmen noch zurückhaltend sind

Kapitel 2

Der CO2-Kompensationsdschungel

Wie der freiwillige Kompensationsmarkt entstanden ist

Wie Kompensationsprojekte funktionieren

Was schiefläuft im Kompensationsmarkt

Verschiedene Arten von Zertifikaten

CO2-Kompensationen für Nettonull

Für Nettonull brauchen wir CO2-Entfernung

Der Weg nach vorn

TEIL II

CO2-ENTFERNUNG — WELCHE LÖSUNGEN UNS INS ZIEL BRINGEN KÖNNEN

Kapitel 3

Die wichtigsten CO2-Entfernungsmethoden im Überblick

Eine Welt – zwei Kreisläufe

Kapitel 4

DIE NATUR MACHT DIE ARBEIT

Aufforstung

Regenerative Landwirtschaft

Moore

Biomassekonservierung

Blauer Kohlenstoff

Kapitel 5

DER NATUR UNTER DIE ARME GREIFEN

Beschleunigte Verwitterung

Verstärkte Erhöhung der Alkalinität der Ozeane

Pflanzenkohle

Kapitel 6

Technische Lösungen von Bioenergie bis CO2-Saugern

Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung

Direct Air Capture

CO2-Speicherung I – geologisch

CO2-Speicherung II – in Produkten

TEIL III

DIE ERSTEN METER

Kapitel 7

WIE LAUFE ICH LOS?

Kapitel 8

Sichere, gerechte und bezahlbare CO2-Entfernung – über die Firma hinaus

NACHWORT

DANK

QUELLEN

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nachwort

ÜBER DIE AUTOREN

VORWORT

Die Zukunft ist schon hier, sie ist nur ungleich verteilt.

William Gibson, Science-Fiction-Autor

Die Nachhaltigkeitschefin eines bekannten deutschen Unternehmens fährt sich durch die Haare. Die Anspannung steht ihr ins Gesicht geschrieben. In einigen Tagen muss sie dem Vorstand ihre Klimastrategie für das Unternehmen vorlegen. Doch sie weiß nicht weiter. Besonders einige der schwer zu vermeidenden Emissionen bereiten ihr Kopfzerbrechen. Wie sollte das Unternehmen mit diesen Restemissionen langfristig umgehen? Billige Optionen gab es zuhauf – Klimakompensationen aus tropischen Waldschutzprojekten. »Aber ist das wirklich vertrauenswürdig?«, fragte sie uns.

Ihre Skepsis ist verständlich. Klimakompensationen standen in der Vergangenheit immer wieder in der Kritik, und sie machte sich große Sorgen um den Ruf des Unternehmens. Wer sollte schon gerne in einer Bloomberg-Schlagzeige landen wie: »Delta und Credit Suisse basieren ihre Klimaneutralitätsversprechen auf Junk-Klimakompensationen«. Doch das wäre der einfachste Weg gewesen: externe Firma engagieren, Emissionen messen und kompensieren. Voilá – weder teuer noch schwierig, und die schicke Marketingkampagne mit Bildern des tiefgrünen Regenwaldes gäbe es gleich mitgeliefert.

Ähnlich wie der Nachhaltigkeitschefin ging es anderen Unternehmen. In den letzten Monaten haben sich Firmen immer wieder mit der Frage an uns gewandt, wie sie zu Nettonull kommen sollen – also irgendwann nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als sie aktiv aus der Luft entfernen. Während es für viele Unternehmen klare Weisungen von Gruppen wie der »Science Based Target initiative« (SBTi) für die Reduktion der eigenen Emissionen gibt, ist für andere der Umgang mit Restemissionen ein großes Fragezeichen.

Vorreiter wie Microsoft geben den Ton an; bis 2030 möchte das amerikanische Softwareunternehmen mit einer Mischung aus CO2-Reduktion und -Entfernung die Null knacken. Danach möchte es sogar all seine historischen Emissionen wieder aus der Luft entfernen. Ähnliche Pläne haben Stripe, McKinsey und Shopify. Diese Unternehmen haben einzeln oder zusammen stringente Standards entwickelt, wie sie ihre Restemissionen ausgleichen.

Jedoch haben nicht viele Unternehmen ein ganzes Team, das sich alleine mit der Beschaffung von CO2-Zertifikaten beschäftigt. Freiwillige CO2-Märkte sind ein Dschungel: Zertifikate aus verschiedenen Projekten – über Waldschutz in Brasilien, energieeffiziente Öfen in Kenia und erneuerbare Energien in China.

Hinzu kommt nun eine Reihe neuer Technologien, die versuchen, CO2 langfristig aus der Atmosphäre zu entfernen. Im Gegensatz zu Waldschutz- oder Erneuerbare-Energien-Projekten vermeiden diese Projekte eben nicht Emissionen, die andernfalls in die Atmosphäre gelangt wären. Im Gegenteil: Diese Ansätze entfernen Emissionen aus der Atmosphäre, die bereits dort gelandet sind.

Sie sind also eine Art Saubermacher der Lüfte. Auch hier gibt es mehr als ein Dutzend Optionen – von Pflanzenkohle bis hin zu beschleunigter Verwitterung ist alles vertreten. Die Preise gehen weit auseinander, hinzu kommen wissenschaftliche Unsicherheiten über die Sicherheit und Skalierbarkeit dieser neuartigen Ansätze. Wenn dir diese Begriffe noch nichts sagen oder dir jetzt schon der Kopf schwirrt: nicht verzagen.

In letzter Zeit haben wir uns immer wieder mit den Unternehmen und Journalist:innen durch den Nettonull-Dschungel geschlagen. Wer sind wir? Marian und Ben. Marian als Gründer und Leiter der Non-Profit-Organisation remove, die Start-ups bei ihrem ambitionierten Ziel unterstützt, klimaschädliche Gase wie CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen. Und Ben, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München, der sich seit vielen Jahren mit CO2-Märkten und Klimastrategien von Unternehmen beschäftigt.

Begegnet sind wir uns bei unserer gemeinsamen Arbeit in der Group for Sustainability and Technology von Professor Volker Hoffmann an der ETH Zürich und haben schnell gemerkt, dass wir uns ergänzen. Marian ist als ehemaliger Gründer tief in der europäischen Start-up-Szene verwurzelt, während Ben die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen im Detail kennt, welche Unternehmen in ihrer Reise zu Nettonull prägen werden. Und vielleicht der wichtigste Grund: Weil es uns Spaß macht.

Bei all unseren Gesprächen mit Unternehmen ist uns eines klar geworden: Viele Firmen nehmen die Klimakrise ernst und wollen etwas tun. Das spiegelt sich auch in den Klimazielen wider: Über 4 000 Unternehmen hatten im Dezember 2023 bereits mithilfe der Science Based Target initiative ambitionierte Ziele entwickelt. SBTi wurde gegründet, um die Ziele der Pariser Klimaverträge wissenschaftlich fundiert in Unternehmensziele umzuwandeln.

Unter SBTi dürfen sich Unternehmen in der Regel nur dann als klimaneutral bezeichnen, wenn sie mindestens 90 Prozent der eigenen Emissionen reduziert und den letzten Teil durch permanente CO2-Entfernung neutralisiert haben. Unter diesen stringenten Standards sind uns keine Unternehmen bekannt, die schon Nettonull erreicht haben.

Wahrlich nicht alle Unternehmen haben sich SBTi und stringenten Nettonull-Zielen verschrieben. Andere treten schon heute durch öffentlichkeitswirksames Marketing in Erscheinung. Mittlerweile sind viele Produkte scheinbar klimaneutral – klimaneutrales Autofahren und Fliegen sind in aller Munde. Manche gehen sogar noch einen Schritt weiter: Selbst Babybrei gibt es heute schon »klimapositiv« – also nicht nur gut für den kleinen Magen, sondern auch fürs Klima.

Wie gefährlich diese halbherzige Klimastrategie ist, zeigen Enthüllungen der britischen Zeitung The Guardian. Verschiedene Unternehmen – inklusive Gucci und Nestlé – hatten CO2-Zertifikate von Waldschutzprojekten gekauft, um ihre Produkte als klimaneutral zu vermarkten. Doch das ist Augenwischerei: Die Waldschutzprojekte schützen den Wald nicht wirklich. Doch viele dieser Unternehmen emittierten guten Gewissens weiter, obwohl die Projekte keine Emissionen einsparten. Das Label »klimaneutral« ist mittlerweile wieder von Nestlés KitKat und Nespresso-Kapseln verschwunden.

Unabhängig davon, ob sich Unternehmen ambitionierte Klimaziele auf die Fahnen schreiben oder durch Taschenspielertricks schon heute »klimaneutral« sind, werden sie politische und ökonomische Realitäten dazu zwingen, Strategien für Nettonull umzusetzen. Nicht nur entwickelt die EU gerade Standards, welche Klimabehauptungen Unternehmen künftig kommunizieren dürfen. Ambitionierte Klimapolitik in Europa und anderorts wird alle Unternehmen erfassen – egal ob sie wollen oder nicht. Und ist es dann nicht gut, das Ganze proaktiv anzugehen?

Aus diesen Fragen und Überlegungen ist dieses Buch entstanden. Dafür haben wir neben unseren eigenen Recherchen mit rund 30 Expert:innen gesprochen. Gemeinsam gehen wir der Frage nach, wie Unternehmen das Rennen zu Nettonull gewinnen können. Besonderes Augenmerk legen wir auf den negativen Teil von Nettonull – also wie Unternehmen mit Restemissionen umgehen sollten. Denn während sich die Reduktionsansätze zwischen Firmen und Industrien stark unterscheiden werden, wird sich die Strategie zum Erwerb negativer Emissionen stark ähneln – egal wie unterschiedlich die Industrien sind.

In unserem Buch wollen wir Klarheit in die undurchsichtigen CO2-Märkte bringen, einige Pionier:innen der CO2-Entfernung vorstellen und Potenziale und Risiken für Unternehmen aufzeigen. Wir fokussieren uns auf CO2, da dies den Großteil der klimaschädlichen Gase ausmacht. Das heißt natürlich nicht, dass andere klimaschädliche Gase wie Methan keine wichtige Rolle spielen, geht aber über den Fokus des Buches hinaus.

Im ersten Teil des Buches findest du eine Diskussion über die besten Frameworks für Unternehmensklimastrategien. Wir zeigen auch auf, was gerade falsch läuft und was Unternehmen aus den Skandalen des aktuellen freiwilligen Kompensationsmarktes ziehen können. Im zweiten Teil stellen wir dir neue Möglichkeiten der Klimakompensation vor, die sogenannten negativen Emissionsansätze. Im dritten Teil des Buches besprechen wir, wie Unternehmen schon heute loslegen können, sich um negative Emissionen zu kümmern, und was es noch bedarf, damit der neue Markt von negativen Emissionen gerecht, sicher und erschwinglich wird.

Um im Bild des Rennens zu Nettonull zu bleiben: Im ersten Teil geht es darum, Ziele zu setzen und den Pfad zu Nettonull zu identifizieren. Hier ist wichtig: keine Abkürzungen, denn diese holen die meisten irgendwann ein. Im zweiten Teil geht es dann um die konkreten Ressourcen, die für den Lauf wichtig sind. Was beim Rennen die Laufuhr und die Laufschuhe sind, sind die verschiedenen Ansätze von CO2-Entfernung, welche dir auf dem Weg zu Nettonull zur Verfügung stehen. Wir zeigen dir, wie negative Emissionstechnologien eine zentrale Rolle im Rennen zur Null spielen können. Und zuletzt besprechen wir, wie du heute schon loslaufen kannst.

Wir wollten kein trockenes Fachbuch schreiben, deshalb verzichten wir an manchen Stellen auf die Details der akademischen Debatte. Jedoch findest du alle Quellen am Ende des Buches. Besonders wichtig ist uns, dass du aus jedem Kapitel mit einer klaren Handlungsanweisung rausgehst. Zudem findest du am Anfang jedes Kapitels eine Übersicht der Inhalte sowie eine Zusammenfassung »Für Eilige« am Ende jedes Kapitels. Das Buch ist modular geschrieben, du kannst somit auch einzelne Kapitel zuerst lesen, die dich besonders interessieren.

Um es hier noch einmal zu betonen: Wir sind der festen Überzeugung, dass negative Emissionsansätze einen wichtigen Beitrag leisten können, damit Unternehmen und Staaten den Weg zur Null schaffen. Dies beinhaltet naturbasierte Ansätze wie die Regeneration tropischer Ökosysteme sowie hochtechnische Lösungen wie CO2-Luftsauger.

Aber die Priorität auf Unternehmensebene muss zuallererst die Reduktion der eigenen Emissionen haben. Und natürlich ist Technologie nicht alles; um die Klimakrise zu bewältigen, bedarf es mehr, als neue Technologien zu entwickeln. Aber sie spielen eben eine zentrale Rolle – wie Solar- und Windstrom schon heute im Kampf gegen die Klimakrise.

Vielleicht ist dir aufgefallen, dass wir auf dem Cover das Wort Klimaneutralität verwenden und nicht Nettonull. Diese sind keine Synonyme, wie wir in Kapitel 2 beschreiben. Wieso haben wir uns trotzdem für das Wort Klimaneutralität entschieden? Kurz gesagt: Nettonull wäre zwar korrekt gewesen, aber für die meisten Leser:innen ist Nettonull kein bekannter Begriff. Deshalb haben wir uns für das Wort Klimaneutralität entschieden, meinen aber Nettonull.

Also los geht’s, stürzen wir uns zusammen in den Nettonull-Dschungel.

Und jetzt viel Spaß beim Lesen

Ben & Marian

TEIL I

DER WETTLAUF ZU NETTONULL

WO STEHEN WIR UND WO MÜSSEN WIR HIN?

Kapitel 1 DER WEG ZU NETTONULL

Es ist nicht das, was du nicht weißt, das dich in Schwierigkeiten bringt. Es ist das, was du sicher weißt, das aber gar nicht so ist.

Gewöhnlich dem Schriftsteller Mark Twain zugeschrieben, Herkunft unbekannt

Die Geschichte vieler Unternehmen lässt sich mit folgendem Satz zusammenfassen: Wer die Zeichen der Zeit nicht sieht, segnet bald das Zeitliche. So erging es auch Blockbuster.

Blockbusters schneller Aufstieg zu einem der wichtigsten Videoverleiher der USA begann in den 1980ern. Der blau-gelbe »Blockbuster«-Name, der aussieht wie ein abgerissenes Kinokartenticket, säumte in der Hochphase über 9 000 Geschäfte in den USA.

Doch trotz des schnellen Aufstiegs braute sich etwas zusammen. Viele Menschen waren unglücklich über die hohen Strafen, die bei versäumter Rückgabe fällig wurden. Einer der unglücklichen Kunden war Reed Hastings, der die 40 Dollar nicht zahlen wollte, weil er einen Film zu spät zurückgebracht hatte.

Der Name Reed Hastings ist vielleicht nicht allen ein Begriff. Die Firma, die er gründete, mittlerweile schon: Netflix. Doch Blockbusters Zukunft hätte auch ganz anders aussehen können.

Als die Gründer von Netflix in den 23. Stock des imposanten Hochhauses aus Stahl und Glas fuhren, hatten sie nur ein Ziel: ihre Firma an Blockbuster zu verkaufen. Sie hatten wochenlang auf diesen Termin gewartet, doch ganz wohl war ihnen nicht bei der Sache.

Wie sich der Netflix-Manager Marc Randolph später in der Vanity Fair erinnerte: »Ich fühlte mich bereits ein wenig wie eine Landmaus in der großen Stadt.« Der Blockbuster-CEO John Antioco und sein Rechtsberater kamen herein, in blütenweißen Hemden und teuren italienischen Schuhen, während die Netflix-Gründer in Hawaii-Shirts dasaßen.

Netflix war zudem nicht in einer starken Verhandlungsposition. Die Dotcom-Blase der neuen, schönen Internetwelt war gerade geplatzt, und um die Jahrtausendwende hatten sich viele Investierende ihre Finger verbrannt.

Blockbuster hingegen mit seinen Ladengeschäften konnte man anfassen. Doch die Gründer von Netflix waren gut vorbereitet. Reed lehnte sich über den Tisch und legte das »Scheiße-Sandwich« zusammen, wie es Randolph später nennen würde. Eine nette Sache sagen, dann etwas Negatives, dann etwas Nettes.

Ja, Blockbuster hätte viele Geschäfte und Millionen aktive Kunden. Doch besonders im Onlinegeschäft liefe es schleppend. Dann legte er die Hände zusammen: Wir sollten zusammenarbeiten, sagte er. Wir machen das Onlinegeschäft, ihr das Ladengeschäft. Reed lehnte sich zurück, das Sandwich hing zwischen den beiden Parteien in der Luft. Würde der CEO anbeißen?

Wie viel wollten sie denn dafür haben, wollte der CEO wissen? Kurzes Schweigen. »Fünfzig Millionen«, sagte der Netflix-Chef Hastings. Der Blockbuster-CEO, ein Veteran der Industrie, ruhig und zugewandt, hielt den Augenkontakt zu Reed. Doch dann passierte etwas Unerwartetes. Langsam und kaum sichtbar zogen sich seine Mundwinkel nach oben. Wie Randolph später schrieb: »Aber sobald ich es sah, wusste ich, was geschah: John Antioco versuchte, nicht zu lachen.«

Danach ging alles ganz schnell, und die Netflix-Gründer standen wieder vor dem Hochhaus. »Blockbuster will uns nicht«, sagte Randolph und lächelte grimmig. »Also ist jetzt klar, was wir tun müssen. Sieht so aus, als müssten wir ihnen in den Hintern treten.«

Und genau das taten sie. Von den 9 000 Filialen ist noch eine übrig geblieben. Diese ist in der Kleinstadt Bend, im Bundesstaat Oregon. Mehrere Tausend loyale Fans und Urlaubsgäste halten sie am Leben. Die Location befindet sich mittlerweile sogar auf Airbnb, man kann dort eine Nacht verbringen.

Der Untergang von Blockbuster lässt sich nun sogar in einem Dokumentarfilm bestaunen: The last blockbuster. Diesen kann man kostenlos streamen, natürlich auf Netflix.

Aber nicht nur Blockbuster ging es so – viele Firmen sehen große äußere Veränderungen nicht oder nehmen diese nicht ernst. Dies gilt oftmals für Firmen, die im aktuellen System sehr erfolgreich sind, denn für sie kann es besonders schwer sein, den Kurs zu wechseln. Anstatt sich neuen Produkten zuzuwenden, verbessern sie ihre Produkte für ihre existierende Kundschaft.

Eine solche äußere Veränderung kann die Digitalisierung sein, wie im Fall von Blockbuster, aber auch künstliche Intelligenz und der demografische Wandel haben das Potenzial, die großen Disruptoren zu sein. Mittlerweile ist die durchschnittliche Verweildauer einer Firma im amerikanischen Leitindex von 61 Jahren im Jahre 1958 auf heute 18 Jahre gefallen.

Jedoch gibt es natürlich einen weiteren großen Disruptor: das sich aufheizende Klima. Menschen wollen wissen, was Firmen mit ihrem eigenen Fußabdruck machen. Unternehmen stehen öffentlich in der Kritik, Investierende schauen immer genauer hin. Politische Entscheidungen und Regulatorik verschärfen sich zunehmend. Ressourcen, auf die Unternehmen angewiesen sind, werden knapp oder zunehmend teuer – wie seltene Erden aus China oder Lithium aus Chile.

Klimafreundlicher zu wirtschaften, ist selbstredend nicht unbedingt billig. Aber noch teurer ist, es nicht zu tun. Denn früher oder später wird die Regulatorik und die Konkurrenz Firmen zwingen, einen klimafreundlicheren Kurs einzuschlagen. Und das Gute am Klima: Wir haben einen evidenz-basierten Fahrplan der nächsten Jahrzehnte, während wir für andere Megatrends, wie KI, nicht einmal wissen, wie die Welt in einem Jahr aussieht. Die größere Klarheit beim Klima ist natürlich nicht nur gut: Wir steuern sehenden Auges in die Katastrophe. Noch bleibt Zeit zum Umlenken.

Auch Blockbuster wusste, dass die Digitalisierung ein ernstes Problem werden könnte. Aber sie haben es zu spät realisiert, und dann war der Zug bereits abgefahren.

Wie also einstellen auf die Welt von morgen?

Intro

In diesem Kapitel erfährst du:

wieso ambitionierte Klimaziele wichtig sind, um sich auf die Welt von morgen vorzubereiten.

was ein ambitioniertes Klimaziel ist.

wieso Reduktion von CO2-Emissionen wichtig ist, aber die Neutralisierung von etwaigen Restemissionen schon heute Teil der Klimastrategie sein sollte.

Die Welt von morgen

Wir starten mit einer Quizfrage: Welches ist das wertvollste Autounternehmen der Welt im Jahr 2023? Volkswagen, Daimler oder General Motors? Keines davon. Wie viele von euch sicherlich wissen: der Elektroautobauer Tesla.

In den letzten Jahren haben immer wieder etablierte Unternehmen die Zeichen der Zeit verkannt und sind daran fast zugrunde gegangen. Wie der deutsche Energiegigant RWE. Noch im Jahre 2012 sagte der RWE-Chef Jürgen Großmann, Solarenergie in Deutschland sei so sinnvoll, »wie Ananas züchten in Alaska«.

In den nächsten Jahren verlor RWE immer weiter den Anschluss an die Energiewende und rutschte zunehmend in die roten Zahlen. Bis der Konzern umsteuerte und verstärkt auf erneuerbare Energien setzte. Auch wenn RWE noch immer kein vollends geglücktes Beispiel einer grünen Transformation ist, stieg der Konzern in den letzten Jahren zu einem der größten Produzenten von erneuerbarer Energie der Welt auf.

Natürlich gibt es viele Gründe, weshalb Firmen den Anschluss an die großen Trends verpassen, inklusive Bürokratie, Konkurrenz und schlechter Planung. Das passiert aber nicht nur Firmen, die nachlässig sind, sondern vielen wachsamen Unternehmen, die aggressiv in neue Technologien investieren und nah an ihren Kunden sind.

In Bereichen wie der künstlichen Intelligenz ist es schlichtweg nicht absehbar, wie schnell sich die Technologie verändern wird und welche Bereiche sie erfasst. Während die Garde um Elon Musk einen Stopp der Entwicklung von KI-Systeme forderte, gibt es viele Fachleute, welche diese Forderungen für überzogene Schwarzmalerei halten.

Mit dem Klimawandel verhält es sich anders: Es gibt einen überwältigenden Konsens in der Wissenschaft zur Gefahr und klare Fahrpläne, wie der Temperaturanstieg gestoppt werden sollte. Diese Pläne sind in den Pariser Klimaverträgen aus dem Jahr 2015 verankert, in dem sich fast 200 Länder dazu verpflichtet haben, den Temperaturanstieg auf deutlich unter 2 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen.

Aus diesem Temperaturziel leiten Länder und Regionen ihre eigenen Strategien ab, wie ihre Volkswirtschaften nicht mehr Treibhausgase ausstoßen und sie aktiv aus der Luft entfernen. Und aus diesen Strategien wird klar: Wir stehen vor massiven industriellen und politischen Veränderungen in den nächsten Jahren.

Die Europäische Union will bis 2050 Nettonull erreichen, Deutschland sogar schon bis 2045. Allein bis 2030 will die Europäische Union den CO2-Ausstoß gegenüber 1990 mehr als halbieren, ab 2035 sollen keine neuen Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren mehr auf die Straßen kommen. Vor einigen Jahren waren diese Ziele noch undenkbar.

Nicht nur Europa, die ganze Welt befindet sich im Umbruch, weil der Druck, zu handeln, zunehmend steigt. Der größte Solarexporteur der Erde ist heute China. Bis spätestens 2060 will das Land Nettonull erreichen. In den USA nimmt Präsident Biden gewaltige Geldsummen in die Hand, um den Umbau der Wirtschaft zu beschleunigen.

Wir stehen an der Schwelle zur nächsten industriellen Revolution. Dafür wird es nicht nur ein paar »grüne« Firmen geben müssen, sondern die gesamte Volkswirtschaft muss neu ausgerichtet werden – von Zement-, Stahl- und Chemieherstellern bis zur Schiff- und Luftfahrt. Diese industrielle Revolution wird alle Lebensbereiche erfassen, von der Art und Weise, wie wir wohnen, über das, was wir essen, bis hin zu der Frage, wie wir uns fortbewegen.

Natürlich geht es mit dem Klimaschutz vielerorts langsamer voran, als für die Erreichung der Klimaziele notwendig wäre. Aber blickt man zurück auf die letzten Jahre wird deutlich: Politische Veränderungen passieren oft deutlich schneller, als wir denken. Manchmal bedarf es nur eines 16-jährigen Mädchens im gelben Regenmantel und einem Plakat mit der Aufschrift: »Schulstreik für das Klima«, um massive politische Veränderungen loszutreten.

Nicht immer geht es vorwärts, aber die Richtung ist klar. Für Firmen bedeutet dies, dass sich eine vorausschauende Klimastrategie an dem Fahrplan der Staaten orientiert. Konkret heißt das, Nettonull-Treibhausgasemissionen bis ungefähr 2050.

Netto-Was?

Das Konzept von Nettonull ist aber ziemlich verwirrend, wie so vieles im Klimabereich. Wir versuchen es mit einer Badewannen-Analogie.

Denn man kann sich die Atmosphäre als große Badewanne vorstellen, die einen Hahn und einen Abfluss hat. Aber anstatt eines entspannten Bades mit Duftkerzen und Kräuterzusätzen, klemmt der Hahnhebel, und du stehst panisch am Badewannenrand. Es gibt auch einen Abfluss, dieser ist jedoch weitestgehend verstopft, und du siehst zu, wie das Wasser stetig Richtung Badewannenrand steigt.

Um das steigende Wasser in den Griff zu bekommen, damit es nicht die gesamte Wohnung überflutet, gibt es nun zwei Ansätze. Zum einen müssen wir den Hahn so weit wie möglich zubekommen. Zum anderen müssen wir den Abfluss freibekommen, damit Wasser wieder abfließen kann. Aus der Analogie wird deutlich, dass es sinnvoll ist, zuerst den Wasserhahn ins Auge zu fassen.

Während du darüber nachdenkst, ob deine Hausratversicherung Wasserschäden deckt, stemmst du dich auf den Hebel, er gibt langsam nach, aber du bekommst ihn nicht ganz zu. Das Wasser steigt weiter. Du greifst ins Wasser und versucht den Abfluss freizubekommen. Ein kleiner Wirbel zeichnet sich ab, und etwas Wasser fließt langsam ab. Ganz frei ist der Abfluss nicht, aber Wasser fließt endlich wieder ab.

Es strömt weiterhin etwas Wasser in die Badewanne, aber dieselbe Menge fließt wieder aus der Badewanne. Die Wassermenge ist kurz unter dem Rand zum Halten gekommen und steigt nicht weiter.

Im Klimajargon spricht man in einer solchen Situation davon, dass sich Emissionsquellen (hier der Hahn) und Senken (Abfluss) ausgleichen. Erst in einer solchen Situation erwärmt sich die Atmosphäre nicht weiter (Füllstand der Badewanne). Da CO2 ein sehr langlebiges Gas ist, werden wir uns aber mit dieser Erwärmung für Jahrtausende rumschlagen müssen, also mit Stürmen, Dürren und anderen Wetterextremen.

Wo sich das Wasser in unserem Badewannenbeispiel einpendelt, pendelt sich auch der Temperaturanstieg ein. Jedoch gibt es eine Möglichkeit, den Temperaturanstieg wieder abzusenken. Du ahnst es vielleicht: Wir müssen den Abfluss noch weiter freibekommen. Dann fließt mehr Wasser ab, als in die Wanne gerät.

Den Klimafachleuten unter euch ist sicherlich aufgefallen, dass es noch andere schädliche Treibhausgase gibt, wie beispielsweise Methan. Diese sind kurzlebiger, aber wir wollen das Beispiel nicht unnötig komplex machen.

Woher wissen wir, wie viel Wasser noch in die Wanne laufen kann, bis sie überläuft? Fachleute haben ein CO2-Budget berechnet, das angibt, wie viel wir noch ausstoßen können, bis das Temperaturziel der Pariser Klimaverträge überschritten wird. Da sich CO2 gleichmäßig in der Atmosphäre verteilt, bezieht sich das Budget auf alle Länder der Welt.

Wir wissen also, wie viel Zeit uns noch bleibt. Doch wie das Budget aufgeteilt wird, ist eine andere Frage. Der Weltklimarat hat über 200 Szenarien entwickelt, die alle das Temperaturziel erfüllen. Das Budget sagt uns aber nicht, was eine gerechte Aufteilung zwischen Ländern, Sektoren und einzelnen Firmen ist. Dazu gleich mehr.

Nettonull bedeutet also, dass wir den Hebel so weit wie möglich zubekommen, damit der Abfluss ausreichend Wasser aus der Badewanne leiten kann, um eine Überschwemmung zu verhindern. Somit steigt das Wasser nicht weiter. Im Klimakontext bedeutet das: Die Temperatur steigt nicht weiter.

Was ein ambitioniertes Klimaziel ausmacht

In unserem Badewannenbeispiel musst du dich nur gegen den Hebel stemmen, und der Wasserfluss nimmt ab. In der Realität ist es natürlich komplexer. Forschende und politisch engagierte Menschen versuchen seit Jahrzehnten den Wasserfluss zu stoppen, aber immer mehr Wasser dringt in die Badewanne. Zudem verstopft der Abfluss weiter. Die Badewanne füllt sich immer schneller.

Wir befinden uns also in einem Rennen gegen die Zeit. Denn jedes Jahr nähern wir uns ein Stückchen dem Badewannenrand. Es muss also schnell gehen – doch wie schnell? Und wie können sich Unternehmen auf diese neue Klimarealität einstellen?

Wie bei jedem Rennen muss zuerst definiert werden: Wo wollen wir hin?

Diese Zielvereinbarungen gibt es mittlerweile zuhauf. Viele dieser Ziele sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind. Laut des Net-Zero-Tracker erfüllen zwei von drei Firmenziele nicht einmal minimale Qualitätsstandards, wie klare Zwischenziele und klare Reporting-Richtlinien auf dem Weg zu Nettonull.

Doch ein Ansatz hebt sich von der Masse ab. Dieser Ansatz basiert auf den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen, an denen sich auch Regierungen orientieren, wenn sie politische Maßnahmen ergreifen. Sich als Firma daran auszurichten, lohnt sich, denn künftige politische Maßnahmen werden sich vermutlich auch daran orientieren.

Der evidenzbasierte Ansatz steckt schon im Namen: Science Based Target initiative (SBTi). Diese Initiative wurde im Jahr 2015 von einem Zusammenschluss führender Organisationen an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Umwelt gegründet, um Unternehmen zu unterstützen, die Ziele des Pariser Klimavertrags umzusetzen. »SBTi ist mittlerweile zum Standard geworden«, sagt der unabhängige Klimaexperte Robert Höglund, »es gibt keine wirkliche Konkurrenz.«

SBTi hilft Unternehmen dabei, eine Zielvorgabe für ihr eigenes Rennen zu Nettonull zu definieren, das im Einklang mit den wissenschaftlichen Klimazielen steht. Falls deine Firma bereits SBT-Ziele hat, kannst du direkt zum nächsten Kapitel springen. Für alle anderen stellt sich die Frage, wie die SBTi vorgeht.

Zuerst bekundet eine Firma ihr Interesse an wissenschaftsbasierten Zielen. Im Anschluss entwickeln dann Firmen anhand der SBTi-Kriterien Emissionsreduktionsziele (dazu gleich mehr). Diese werden an SBTi zur Validierung geschickt. SBTi prüft, ob die Ziele tatsächlich ihre Kriterien erfüllen. Diese Ziele werden anschließend auf der Website von SBTi kommuniziert. Zuletzt veröffentlichen Unternehmen in der Regel ihre Emissionsdaten, die dann mit den Zielen jährlich abgeglichen werden.

Wie werden die Ziele in Schritt zwei definiert? SBTi nimmt zuerst das verbleibende CO2-Budget – also wie viel Wasser noch in die Badewanne geleitet werden darf, bis sie überläuft. Dieses wird dann anhand eines Szenarios auf die verbleibenden Jahre bis 2050 verteilt. Daraus lässt sich ableiten, wie viel Firmen jedes Jahr reduzieren müssen, um das Temperaturziel zu erreichen.

Als Beispiel kann man die erste Firma heranziehen, deren Ziel unter dem SBTi Net Zero Standard zertifiziert wurde: TDC NET, eine dänische Firma, welche digital Infrastruktur bereitstellt. TDC NET plant, Nettonull bis 2030 zu erreichen, ein sehr ambitioniertes Ziel.

Zuallererst steht hier die Reduktion der eigenen Emissionen im Vordergrund. »Für uns ist die beste Energie diejenige, die wir einsparen«, sagt Peter Søndergaard Andersen, Head of Sustainability bei TDC NET im Interview mit SBTi. »Daher investieren wir in die energieeffizientesten Technologien und arbeiten kontinuierlich daran, unseren Netzwerk-Energieverbrauch durch die Außerbetriebnahme von Alttechnologie zu reduzieren.« Diese Art der Reduktion wird typischerweise Scope-1-Emissionen genannt, da sie direkt von der Firma ausgestoßen werden.

Neben der Reduktion der direkten Emissionen nimmt TDC NET auch die Energie in den Blick, die es von außen einkauft: die Scope-2-Emissionen. »Um Verantwortung für die Integration erneuerbarer Energien ins dänische Netz zu übernehmen«, sagt Andersen, »hat TDC NET 2021 einen Stromabnahmevertrag für vier neue Solarparks in Dänemark unterzeichnet.« Schon im Jahr 2028 soll dann der gesamte Strom von TDC NET aus regenerativen Quellen kommen.

Wie vielen Firmen bereiten TDC NET aber Emissionen Bauchschmerzen, die in der Wertschöpfungskette der Firma entweder vor- oder nachgelagert sind, sogenannte Scope-3-Emissionen. »Unsere größte Herausforderung in Bezug auf die Dekarbonisierung sind unsere Emissionen entlang der Wertschöpfungskette, da wir weltweit mehr als 3 500 Lieferanten haben«, sagt Andersen. SBTi sieht vor, dass Firmen, deren Scope-3-Emissionen mindestens 40 Prozent der Gesamtemissionen ausmachen, auch dafür ein Ziel aufstellen.

Deshalb habe TDC NET im Jahr 2021 ein Programm gestartet, um die Zulieferer zu ambitionierteren Klimazielen zu bewegen. Ihre Zulieferer habe sie in diejenigen mit hohen und diejenigen mit niedrigen Emissionen aufgeteilt. Die hohen Emittenten habe man unterstützt, »eigene wissenschaftsbasierte Ziele mit dem SBTi zu setzen«, so Andersen. »Danach werden wir uns den Emittenten mit geringerem Ausstoß zuwenden.«

Andersen räumt ein, dass das Nettonull-Ziel aufwändig ist. Aber trotz des hohen Aufwands zieht Andersen eine positive Bilanz. TDC NET hätte durch seine ambitionierte Strategie frisches Geld über grüne Anleihen einsammeln können. Zudem wirke sich seine Strategie positiv auf die Motivation der Mitarbeitenden aus. »Unsere Kollegen sind stolz auf unseren Beitrag«, sagt Andersen.

Das Rennen zur Null mit SBTi

TDC NET hat ein besonders ambitioniertes Ziel. Die meisten Firmen, die sich ein SBT-Ziel auf die Fahnen geschrieben haben, wollen zwischen 2040 und 2050 Nettonnull erreichen. Der Weg zur Null ist konkret im »Corporate Net Zero Standard« beschrieben, der erstmals im Jahr 2021 erschien und seither mehrmals aktualisiert wurde.

Der Net Zero Standard lässt sich anhand von vier Elementen beschreiben:

Kurzfristiges Ziel (5 bis 10 Jahre),

Langfristiges Ziel (bis 2050 oder früher),

Emissionen mit permanenter CO2-Entfernung neutralisieren,

Minderung außerhalb der Wertschöpfungskette.

Zuerst geht es darum, ein kurzfristiges Ziel aufzustellen, das in den nächsten fünf bis zehn Jahren erreicht werden kann. Für Scope-1 und -2-Ziele heißt das mindestens eine absolute Reduktion von 4,2 Prozent jährlich und für Scope 3 eine Reduktion von 2,5 Prozent. Für eine Firma, die beispielsweise 2021 als Startjahr gewählt hat, heißt das konkret eine Reduktion der Scope-1 und -2-Emissionen um rund die Hälfte bis 2030.

Das langfristige Ziel bezieht sich auf die Reduktionen der Emissionen bis spätestens 2050. Hier sieht SBTi eine Reduktion von mindestens 90 Prozent vor. Stromerzeuger und die Schifffahrt müssen das Ziel aber bereits 2040 erreichen. Stromerzeuger haben ambitioniertere Ziele, denn grüner Strom spielt eine zentrale Rolle in anderen Sektoren, sei es in der Elektromobilität oder bei grünem Wasserstoff. Ohne ausreichend grünen Strom kann die Energiewende nicht gelingen.

SBTi gibt Firmen zudem die Möglichkeit, keine absoluten Ziele, sondern Ziele für die CO2