1,99 €
RACHE - die fesselnde Thriller-Serie von J.S. Frank!
Folge 5: Laura wird um Hilfe gebeten: Sie soll die Ehefrau des Ex-Polizisten Harald Brunner vor häuslicher Gewalt schützen. Die Kommissarin stutzt: Brunner hat eine brisante Verbindung zu Wolf. Doch der hat angeblich kein Interesse mehr an den alten Geschichten. Denn mit seiner geheimnisvollen Nachbarin Alina scheint endlich ein Neuanfang möglich ...
Über die Serie:
Laura Stein ist eine Getriebene. Die junge Kommissarin ging als Jugendliche durch die Hölle und überlebte. Aber die Vergangenheit verfolgt sie bis heute. Unerbittlich jagt sie seit Jahren dem Gangsterboss Victor Hansen hinterher. Um ihn zu stellen, ist ihr jedes Mittel recht. Selbst wenn sie einen Mörder als V-Mann rekrutieren muss ...
RACHE - die sechsteilige Thriller-Serie um Kommissarin Laura Stein und Ex-Gangster Wolf Berger. Knallhart, überraschend, nichts für schwache Nerven!
eBooks von beTHRILLED: Mörderisch gute Unterhaltung.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 143
Laura Stein ist eine Getriebene. Die junge Kommissarin ging als Jugendliche durch die Hölle und überlebte. Aber die Vergangenheit verfolgt sie bis heute. Unerbittlich jagt sie seit Jahren dem Gangsterboss Victor Hansen hinterher. Um ihn zu stellen, ist ihr jedes Mittel recht. Selbst wenn sie einen Mörder als V-Mann rekrutieren muss …
Laura wird um Hilfe gebeten: Sie soll die Ehefrau des Ex-Polizisten Harald Brunner vor häuslicher Gewalt schützen. Die Kommissarin stutzt: Brunner hat eine brisante Verbindung zu Wolf. Doch der hat angeblich kein Interesse mehr an den alten Geschichten. Denn mit seiner geheimnisvollen Nachbarin Alina scheint endlich ein Neuanfang möglich …
J. S. Frank hat nach seinem Germanistik-Studium mehr als zwanzig Jahre für ein internationales Medien-Unternehmen gearbeitet. Seit 2013 ist er freier Autor mit einem ungebrochenen Faible für die anglo-amerikanische und französische Literatur. J. S. Frank ist ein Pseudonym des Autors Joachim Speidel, der mit seinen Kurzgeschichten bereits zweimal für den Agatha-Christie-Krimipreis nominiert war. RACHE ist bereits seine zweite Thriller-Serie bei »be«.
AUGE UM AUGE
Folge 5
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Uwe Voehl
Lektorat/Projektmanagement: Lukas Weidenbach
Covergestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung von Motiven von © Shutterstock: charnsitr | Nejron Photo | Steve Collender
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-8536-6
Dieses eBook enthält eine Leseprobe des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes »Das Depot« von Mike Cooper.
be-ebooks.de
lesejury.de
Zielscheibenschießen.
Das Dumme ist nur: Du bist die Zielscheibe. Und der Schütze mit der Waffe ist nur knappe zwei Meter von dir entfernt.
Er sitzt am Boden. Beine gespreizt. Es sieht komisch aus. Er hält mit beiden Händen die Pistole. Sie ist auf dich gerichtet. Er zieht den Abzug.
Bang, bang, he shot me down …
Die erste Kugel trifft dich in die Brust. Es fühlt sich an wie ein wuchtiger Schlag mit einem Vorschlaghammer. Du taumelst zurück. Die zweite Kugel trifft dich irgendwo im Hüftbereich. Wieder so ein Vorschlaghammer-Treffer.
Du fliegst nach hinten. Schwebst in der Luft. Starrst dabei hoch zur grauen Decke des Appartementflurs.
Bang, bang, I hit the ground …
Du knallst mit dem Rücken und dem Hinterkopf auf den Boden. Du zerspringst in tausend Teile wie eine Glasvitrine. Jedenfalls kommt es dir so vor.
Ach ja, die Decke des Appartementflurs ist immer noch grau. Nach und nach fügen sich die tausend Teile wieder zu einem großen Ganzen zusammen.
Zu dir.
Dein Herzschlag wummert dir in den Ohren. Das Atmen fällt dir schwer. Du hebst den Kopf. Siehst an dir herunter. Siehst die beiden zerfransten Einschusslöcher in deinem Hemd. Siehst, wie das Blut heraussuppt.
Komisch, du spürst keine Schmerzen.
Noch nicht.
Du bist voll mit Adrenalin.
Du spürst nicht mal, wenn du verreckst.
»Leg ihn um, Harry«, sagt eine gepresst klingende Stimme wie von ganz weit weg. »Leg ihn schon um!«
Du kennst diesen Harry, der auf dich geschossen hat, aber du kennst ihn nur vom Sehen. Ihr seid euch vorher schon ab und zu begegnet. Eine miese Ratte.
Er steht keuchend auf. Du hast ihm ins Bein geschossen und anschließend in die Brust. Aber der Scheißkerl hat eine Panzerweste unter seinem Hawaiihemd.
Hinter ihm liegt sein Kumpel mit dem Bauch auf dem Appartementflurboden. Du hast ihm eine Kugel in den Rücken verpasst. Er windet sich wie ein Wurm. Von ihm kommt die gepresst klingende Stimme: »Harry, leg ihn um!«
Hawaiihemd ist unschlüssig. Das Gesicht ist schmerzverzerrt. Seine Blicke gehen von seinem Kumpel zu dir und wieder zurück.
Hawaiihemd humpelt zu seinem Kumpel. Der schnauzt ihn an: »Arschloch! Du hast keine Zeit mehr. Du musst ihn abknallen. Mach schon!«
Du spannst die Bauchmuskeln an, um hochzukommen.
Jetzt spürst du die Schmerzen. Glühende Klauen, die dich aufreißen. Sie rauben dir den Atem. Dir wird schwarz vor Augen. Aber irgendwas in dir sagt: »Steh auf! Das ist deine einzige Chance.« Also versuchst du aufzustehen.
Du bist auf allen vieren.
Hawaiihemd kommt auf dich zu. Du hörst die genagelten Schuhe. Er zieht das Bein mit der Schusswunde nach.
Du setzt dich auf die Knie.
Er hebt den Arm mit der Pistole. Du blickst in die Mündung.
Dann hörst du eine fremde Stimme, hart, laut, bestimmt: »Stopp! Waffe runter!«
Hawaiihemd drückt dir den Lauf gegen die Stirn.
Wieder die fremde Stimme: »Waffe runter, oder ich schieße!«
Hawaiihemd nestelt mit der freien Hand in der Brusttasche herum, findet einen Ausweis, dreht den Arm nach hinten: »Ich bin ein Kollege von euch. Drogenfahndung. Kommissar Brunner.«
Alles wimmelt von Polizisten in Uniform und in Zivil, von Kriminaltechnikern in Schutzanzügen und von Sanitätern und Notärzten.
Du bist immer noch auf den Knien. Eine Ärztin, rundes Gesicht, runde Schultern, runde Arme, sagt: »Wir legen Sie jetzt auf die Liege. Aber Sie müssen uns helfen. Hören Sie mich?«
Du hörst sie, aber du willst ihr nicht helfen. Du siehst, wie eine Liege aus der Wohnung der Nutte und ihres Zuhälters getragen wird. Das Skelettmädchen ist draufgeschnallt. Auf dem Gesicht eine Sauerstoffmaske. Sie lebt also noch.
Hawaiihemd steht mit dem Rücken zu dir. Dreht sich um. Sieht dich an. Ein Gesicht wie aus Beton. Die Finger formen sich zu einer Pistole.
Genau das Gleiche machst du auch. Ihr zielt aufeinander. Ihr drückt ab.
Überall Menschen. Der ganze Innenhof dieser Wohnanlage, dieses Betonbunkers, ist voll von Menschen. Sie wollen die Toten sehen, die Schwerverletzten.
Du bist auf einer Liege festgeschnallt. Die Räder der Liege klappen auf, du wirst zu dem Rettungswagen gerollt. An deinem Wagen vorbei. An deinem Ford Camaro.
Frankie, dein Bruder, sitzt noch hinter dem Lenkrad. Sein Kopf hängt zum Fahrerfenster heraus. Er ist voller Blut. An der Schläfe klafft ein Einschussloch.
Du schüttelst den Kopf, bis die Sauerstoffmaske von deinem Gesicht rutscht. Du rufst: »Frankie!« Immer wieder: »Frankie!« Du rüttelst an den Befestigungsriemen. Du willst dich losreißen.
Die Transportliege kommt ins Schlingern. Die Rettungssanitäter haben alle Hände voll zu tun, damit die Liege nicht umfällt.
Du rufst in einem fort: »Frankie!«
Und die Liege kippt um und …
»Wolf! Komm zu dir! Hörst du mich?«
Eine Stimme wie aus weiter Ferne. Alina Loban.
Wolf Berger riss die Augen auf. Sein Blick ging hoch zur Decke des Schlafzimmers. Raufasertapete. Weiß.
Er lag mit dem Rücken auf dem Boden neben seinem Bett. Alina kniete an seiner Seite.
»Was ist los?«, fragte Berger.
»Du hast geschrien und bist aus dem Bett gefallen«, sagte Alina. Ihre Augen, die im Normalzustand schon so groß waren wie Planeten, schienen jetzt noch größer zu sein.
»Was?«
»Du hattest einen Albtraum.«
»Was?«
»Wenn du noch einmal ›Was?‹ sagst, hau ich dir eine runter. Wäre im Übrigen nur so was wie ausgleichende Gerechtigkeit.«
Erst jetzt sah Berger, dass ihre linke Wange leicht gerötet war. Er richtete sich auf. »Himmel, hab ich dich geschlagen?«
»Sagen wir es so: Du hast mit den Armen wild rumgefuchtelt, und mein Kopf kam ihnen in die Quere.«
Er richtete sich schlagartig auf, nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie. Es tat gut, sie zu küssen.
Sie drückte ihn mit den Fäusten von sich. »Himmel, willst du mich erwürgen?«
»Tut mir leid«, sagte er. »Es tut mir so verdammt leid … ich wollte dich nicht …«
Sie winkte großzügig ab. »Alles halb so wild.« Sie zeigte wieder ihr bezauberndes Lächeln. Es war ihm ein Rätsel, wie schnell sie ihr Mienenspiel ändern konnte. Eben noch sah sie zutiefst besorgt aus, dann verärgert, und jetzt war sie die Gute-Laune-Fee. Sie stand auf. Warf die langen schwarzen Haare nach hinten. Sie trug eine Pyjamajacke von ihm. Die Ärmel waren hochgekrempelt. An ihr mit ihrem schmalen Körper sah die Jacke fast so aus wie ein Nachthemd. Sie sprang ins Bett und schlüpfte unter die Decke.
»Alles halb so wild?«, sagte Berger, »Das sehe ich nicht so. Ich hab dich geschlagen oder, wenn du willst, dir unbeabsichtigt eine runtergehauen. So was ist für mich nicht okay. Ich schlage keine Frauen.« Mit einem Satz war er auf den Beinen. Er strich die Haare zurück, kratzte sich an seinem Vollbart, der inzwischen mehr grau als schwarz war, und schlüpfte ebenfalls unter die Decke.
»Jetzt mach bloß kein Drama draus«, sagte Alina.
Die Beleuchtung am Betthaupt brannte. Der Funkwecker zeigte zwei Uhr vierundvierzig an.
»Mach ich auch nicht«, sagte Berger. »Ich will bloß keine Frauen schlagen, das ist alles.«
Sie richtete sich neben ihm auf. »Und? Hast du schon mal eine Frau geschlagen?«
Er sah zu ihr hinüber. Ließ sich mit seiner Antwort Zeit, sagte dann: »Ja.«
Ihre Augen blickten ernst. Ihre Lippen wurden schmal. Sie musterte sein Gesicht.
»Es ist lange her«, ergänzte er. »Und ich bin nicht stolz darauf.«
Sie musste husten. »Hast du davon geträumt, wie du eine Frau schlägst?«
Berger runzelte die Stirn. »Wie kommst du darauf, dass ich von so was geträumt habe?«
»Na ja, du hattest einen Albtraum.«
»Ich und Albtraum?«
»Genau!« Sie setzte sich auf, zog die Beine an und schlang die Arme darum. »Ich kenn mich mit Albträumen aus. Du hast dich im Bett herumgewälzt, hast undeutliches Zeugs gemurmelt und irgendwann geschrien, hast um dich geschlagen und bist schließlich aus dem Bett gefallen. Ein traumloser Schlaf sieht anders aus.«
Berger verschränkte die Arme hinter dem Kopf: »Ich hab nicht davon geträumt, dass ich eine Frau schlage. Ich hab von was anderem geträumt. War aber ähnlich beschissen.«
»Was war es? Von was hast du geträumt?«
»Warum willst du das wissen?«
Sie lächelte. »Hallo, Herr Berger! Eine Fachfrau für Albträume muss so etwas wissen. Wenn du mir deine Albträume erzählst – vielleicht kann ich dir ja dann helfen.«
»Ich hatte keinen Albtraum«, sagte er. »Ich hab von etwas geträumt, was vor langer Zeit passiert ist.«
»Willst du mir sagen, was das war?«
Er sah sie lange an. Alina Loban. Seine Wohnungsnachbarin. Sie kannten sich jetzt seit etwas mehr als einer Woche. Sie war zweiundzwanzig Jahre alt, studierte Jura. Sie war eine gebürtige Weißrussin, sprach perfekt Deutsch mit einem netten kleinen Akzent, der ihm ausnehmend gut gefiel. Wie ihm alles an ihr gefiel. Sie war sprunghaft, erfrischend verrückt, im einen Moment eine Drama-Queen, im nächsten ein Clown. Und ja, sie war äußerst sexy.
»Vielleicht irgendwann einmal«, antwortete er.
»Du hast Geheimnisse vor mir.«
»Du doch auch«, sagte er.
»Ich?«
»Ja, du! Die Fachfrau für Albträume! Du hast mir nie von deinen Albträumen erzählt und auch nicht, woher sie kommen.«
Alina hatte, kurz nachdem sie das Appartement neben Bergers Wohnung bezogen hatte, regelmäßig auf ein Schwätzchen bei ihm vorbeigeschaut. Anfangs fühlte er sich geschmeichelt. Eine junge, gut aussehende Frau interessierte sich für so einen alten Sack wie ihn! Wow! Es dauerte eine Weile, bis ihm aufging, dass sie einfach nicht gerne alleine war – und das nicht nur tagsüber. So stand sie eines Nachts plötzlich bleich und zitternd vor seiner Tür. Als er sie fragte, was los sei, war sie einfach an ihm vorbei in seine Wohnung geschlurft und hatte ihn gebeten, bei ihm schlafen zu dürfen. In dieser Nacht schlief sie noch auf seinem Sofa, in den folgenden Nächten in seinem Bett. Zuweilen gebärdete sie sich im Schlaf, als hätte sie einen epileptischen Anfall. Sie zitterte, der Puls raste, sie zuckte, sie stieß undeutliche Laute aus. Er nahm sie dann in den Arm, hielt sie fest, bis sie sich beruhigt hatte und wieder eingeschlafen war.
»Warum willst du den ganzen Mist von mir wissen?«, fragte sie.
»Mich würde er schon interessieren«, sagte er.
»Ich werde dir den Mist irgendwann erzählen, wenn du mir von deinem Mist erzählst, von deinen Träumen und wie du zu dem da gekommen bist.« Sie strich ihm über die Schusswunde auf der Brust. »Ich weiß, dass du was mit Gewichtheben, Kampfsport oder so gemacht hast oder immer noch machst. Die Muskeln, die du hast, kriegt man jedenfalls nicht beim Schachspielen. Und die Narben hier – die kriegt man nicht vom Apfelschälen.«
Sie strich ihm mit der Hand durch die Haare. Küsste ihn. »Ich find Geheimnisse klasse. Vor allem dann, wenn man sie teilt.«
Mit Geheimnissen kannte sich die LKA-Beamtin Laura Stein aus. Auch mit den Geheimnissen von Mareike Schwarz, geborene von Herder.
Gegen achtzehn Uhr siebenunddreißig klingelte Laura an der Haustür des kleinen Einfamilienhäuschens. Leichter Regen hatte eingesetzt, es war kalt. Das Licht über dem Eingang flackerte.
Die Tür ging auf. Eine junge Frau in einem buntscheckigen Hausanzug stand mit hochgezogenen Schultern und zitternd vor der LKA-Beamtin.
Laura sagte: »Sie sind Frau Mareike Schwarz, richtig?«
Die junge Frau nickte zögerlich. »Ja, und?«
»Hat Ihre Mutter mich nicht angekündigt?«
Die junge Frau knetete nervös die Hände und starrte auf Lauras rote Daunenjacke. Sie schaffte es nicht, Laura in die Augen zu sehen.
»Meine Mutter? Sie angekündigt? Sie meinen, sie hat Sie zu mir geschickt?«
»Ja«, sagte Laura, »sie hat gemeint, ich soll bei Ihnen vorbeischauen und mit Ihrem Mann reden. Wie sieht es aus? Darf ich reinkommen? Hier draußen kann man sich nicht so gut unterhalten. Finde ich jedenfalls.«
»Ja doch«, sagte Frau Schwarz. »Wobei …«
»Was?«
»Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee von meiner Mutter ist. Ich meine, die Sache mit meinem Mann.«
»Die Idee war und ist gut«, sagte Laura, drückte sich an der jungen Frau vorbei und machte die Haustür hinter sich zu.
Mareike Schwarz blieb wie angewurzelt stehen.
»Kommen Sie, gehen wir ins Wohnzimmer«, schlug Laura vor. Die junge Frau witschte, so schnell es ihr weicher, wabbliger Körper zuließ, an ihr vorbei und tippelte vor ihr her.
Laura hatte Mareikes Mutter, Thea von Herder, im Fitnesscenter kennengelernt. Sie trainierten dort gemeinsam. Thea von Herder war eine passionierte Marathonläuferin, ehemalige Richterin und emeritierte Professorin für Strafrecht. Sie verfügte noch über ein gutes Netzwerk in die verschiedensten Bereiche der Justiz und der Polizei und hatte so davon erfahren, dass eine der fähigsten Kommissarinnen, nämlich Laura Stein, nach einer mehrwöchigen Suspendierung beim LKA aufs Abstellgleis, sprich in den Innendienst verbannt worden war und dass sich ihre Begeisterung über die vermeintlich sinnlose Arbeit sehr in Grenzen hielt. In dieser Situation hatte Thea von Herder ihr etwas Sinnstiftendes vorgeschlagen. Sie hatte sie gefragt, nein, gebeten, ob sie sich nicht um ihre Tochter Mareike, verheiratete Schwarz, kümmern könne.
Mareike – Typ: hässliches Entlein, in der Schule gemobbt. Dann mit achtzehn ihr Herz an den ersten Jungen verloren, der bereit war, mit ihr ins Bett zu gehen. Danach Heirat. Schon bald gesegnet mit zwei liebenswerten Zwillingen und einem zum Arschloch mutierten Ehemann, der nicht nur fremdging, sondern seine Frau auch regelmäßig verprügelte. Thea von Herder hatte Angst, dass er sie irgendwann totschlug.
Laura wollte natürlich von der Ex-Richterin wissen, warum sie oder ihre Tochter nicht zur Polizei ging, aber Thea von Herder war das Thema sichtlich unangenehm. Ihre Tochter sei einfach, hm, etwas naiv. Sie habe um alles in der Welt Angst, sie könne ihren Mann verlieren. Sie wollte nicht, dass sich die Polizei einschaltet. Sie wollte nicht, dass ihr irgendjemand den Mann wegnahm. Das Äußerste, was Mareike sich vorstellen könne, wäre jemand, der ihm vielleicht eine Lektion in Anstand und richtigem Benehmen seiner Frau und seiner Familie gegenüber beibrächte …
Laura sah sich im Wohnzimmer um. Eine recht teure Ecksofa-Garnitur war zugemüllt mit Essensresten und Pizzakartons. Auf dem Boden türmten sich Spielsachen aller Art. Im Fernsehen lief eine Fernsehshow mit B-Stars und C-Sternchen.
»Wann kommt Ihr werter Gatte nach Hause?«, wollte Laura wissen.
Die junge Frau hob den Kopf, sie versuchte es sogar mit einem Lächeln. Was nicht sonderlich vorteilhaft aussah. Im Oberkiefer fehlte ein Zahn. »Gegen … gegen … acht … vielleicht. Aber sollten wir vorher nicht die ganze Sache bereden? Ich meine, das eine ist, was meine Mutter sagt, das andere ist, ob Ihre Hilfe überhaupt nötig ist … ich meine … Simon, das ist mein Mann, er meint es nicht böse. Er ist ein guter Mann, ehrlich.«
Sie schaute zu Boden.
Laura sagte: »Sehen Sie mich an.«
Die Frau hob erneut den Kopf. Um das linke Auge herum verlief eine beachtliche Schwellung, die leicht ins Grünliche ging. Auch einige Büschel Haare schienen ihr ausgerissen worden zu sein.
Laura deutete auf das Veilchen. »Ihr Göttergatte ist also ein guter Mann«, sagte sie. »Und das zeigt er Ihnen, indem er Sie regelmäßig verprügelt?«
Der Blick der jungen Frau senkte sich augenblicklich wieder.
»Nein … doch … mein Mann …«
»Wo sind die Kinder?«, fragte Laura.
»Sie sind oben. Sie schlafen. Also Selena und Arkadi.«
»Schön«, sagte Laura, zog die Daunenjacke aus, suchte nach einem sauberen Platz und legte sie über die Rückenlehne eines schweren Sessels. Aus der Innentasche holte sie einen Schlagring aus Messing.
Die junge Frau bekam große Augen.
»Was?«, fuhr Laura sie an.
»Ich … ich möchte … tun Sie ihm bitte nicht weh«, sagte Mareike.
»Das liegt allein an ihm«, sagte Laura.