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Radikal führen – das heißt, die Wurzeln des Managements freizulegen. Es heißt, sinnlose Konventionen zu verwerfen und falsche Autoritäten zu stürzen. Reinhard K. Sprenger hat in diesem Buch die Kernaufgaben der Führung definiert, präzise und auf der Basis einmaligen Erfahrungswissens. Dieses Standardwerk zum Thema zeigt, wie die Kernaufgaben zusammenwirken, und beantwortet somit die Frage: Was ist und wie geht Führung? In der erweiterten Neuausgabe des Bestsellers ordnet Sprenger die Herausforderungen ein, die sich für Führungskräfte im Zuge von Homeoffice, New Work und Digitalisierung ergeben. Es geht dabei um nicht weniger als um die Infragestellung vertrauter Unternehmensstrukturen. »Sprenger hat mit ›Radikal führen‹ seine Erkenntnisse und Erfahrungen in einer vorläufig ultimativen Zusammenschau kondensiert, die an Klarheit und analytischer Schärfe kaum einen Wunsch offenlässt.« Süddeutsche Zeitung »Ein epochaler Meilenstein des buchtechnisch verfügbaren Führungswissens.« changeX »Deutschlands meistgelesener Managementautor.« Der Spiegel
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Seitenzahl: 387
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Reinhard K. Sprenger
Radikal führen
Campus VerlagFrankfurt/New York
Über das Buch
Radikal führen – das heißt, die Wurzeln des Managements freizulegen. Es heißt, sinnlose Konventionen zu verwerfen und falsche Autoritäten zu stürzen. Reinhard K. Sprenger hat in diesem Buch die Kernaufgaben der Führung definiert, präzise und auf der Basis einmaligen Erfahrungswissens. Dieses Standardwerk zum Thema zeigt, wie die Kernaufgaben zusammenwirken, und beantwortet somit die Frage: Was ist und wie geht Führung?In der erweiterten Neuausgabe des Bestsellers ordnet Sprenger die Herausforderungen ein, die sich für Führungskräfte im Zuge von Homeoffice, New Work und Digitalisierung ergeben. Es geht dabei um nicht weniger als um die Infragestellung vertrauter Unternehmensstrukturen. »Sprenger hat mit ›Radikal führen‹ seine Erkenntnisse und Erfahrungen in einer vorläufig ultimativen Zusammenschau kondensiert, die an Klarheit und analytischer Schärfe kaum einen Wunsch offenlässt.« Süddeutsche Zeitung»Ein epochaler Meilenstein des buchtechnisch verfügbaren Führungswissens.« changeX»Deutschlands meistgelesener Managementautor.« Der Spiegel
Vita
Reinhard K. Sprenger gilt als der profilierteste Managementberater Deutschlands. Er wurde 1953 in Essen geboren und wohnt heute in Zürich und Santa Fe, New Mexico. Zu seinen Kunden gehören internationale Konzerne und fast alle Dax-100-Unternehmen. Viele seiner Bücher wurden Bestseller. Sie liegen in etlichen Sprachen vor und wurden allein im deutschsprachigen Raum über 800 000 Mal verkauft.
Cover
Titel
Über das Buch
Vita
Inhalt
Impressum
Vorwort zur Neuauflage 2023
Einleitung Worum es nicht geht
Worum geht es dann?
Der Mensch in der Organisation
Was gibt’s Neues?
Führung
Wozu Führung?
Der Zweck der Führung
Dafür werden Sie nicht bezahlt
Erfolg – was ist das?
Gibt es »gute« Führung?
Was ist Führung?
Führen als Nebenbei-Tätigkeit
Führen als Etikett
Wer beobachtet wen beim Beobachten?
Wechselseitige Abhängigkeit
Was prägt das Führungsverhalten?
Führung ist mehr als Führungskraft
Institution und Individuum
Gute Leute? Oder passende Leute?
Arbeit im System und Arbeit am System
Der Manager: Held oder Opfer?
Das System hat ein Gesicht
Wie kann Führung Wandel bewirken?
Erste Kernaufgabe Zusammenarbeit organisieren
Einer für alle, alle für einen
Eine kleine Naturgeschichte
Zusammenarbeit als Kern des Unternehmens
Was behindert Zusammenarbeit?
Institution
Was Zusammenarbeit ermöglicht
Kooperationsstützende Systeme
Kleine Einheiten
Räumliche Nähe
Die Überschrift ändern
Konsequenz für die Personalauswahl
Individuum
Das Anderssein des Anderen
Wenn der Andere nicht kooperieren kann
Fremdoptimierung
Commitment für Zusammenarbeit
Zweite Kernaufgabe Transaktionskosten senken
Was sind Transaktionskosten?
Knappheit
Effizienz
Vom Wettbewerber zum Kooperationspartner
Interne Märkte
Institution
Planungen und Zielvereinbarungen überprüfen
Mitarbeiter-Loyalität erhöhen, Fluktuation mindern
Kundenorientierung
Vertrauenskultur
Individuum
Das Unsichtbare sehen
»Auf-den-anderen-zu«
Risikomündigkeit und Selbstvertrauen
Dritte Kernaufgabe Konflikte entscheiden
Entscheidungen
Die Überfülle der Möglichkeiten
Entscheidbarkeit sichern
Entscheidung oder Wahl?
»Richtige« Entscheidungen
Zielkonflikte und Wertkonflikte
Institution
Auf Prinzipien verzichten
Widersprüche aushalten
Von der Moral zum Kunden
Individuum
Führen – die Kunst des Als-ob
Entscheidungsstärke
Toleranz für Mehrdeutigkeiten
Gelassenheit – die Leidenschaft des Ausgleichs
Verhalten im Konfliktfall
Entscheiden mit der Sherlock-Holmes-Regel
Vierte Kernaufgabe Zukunftsfähigkeit sichern
Allgemeines
Wir Reaktionäre
Die Erfolgsfalle
Erfolgsrezepte: Ursache, Wirkung und das Problem der Zukunft
Nach der Krise ist vor der Krise
Warum Resilienz immer wichtiger wird
Der Störungsauftrag des Managements
Die Spannung zwischen Zukunftsfähigkeit und Transaktionskosten
Institution
Zelte statt Paläste
Experimentieren
Schwache Signale erkennen
Von der Zukunft her denken
Projektmanagement
Dezentral ist stärker
Planungen mittlerer Reichweite
Redundanzen bilden
Störung
Individuum
Möglichkeitsbewusstsein und andere Notwendigkeiten
Zukunft rekrutieren
Offensiver werden
Sich selbst unterbrechen
Vertrauen in die gemeinsame Zukunft entwickeln
Fünfte Kernaufgabe Mitarbeiter führen
Finden Sie die Richtigen!
Wen suchen Sie?
Wie erkennen Sie die Besten?
Fordern Sie sie heraus!
Was uns antreibt
Sich bewähren dürfen
Sprechen Sie oft miteinander!
Kontakt statt Lob
Sich Zeit nehmen
Sprechen statt Schreiben
»… wie dich selbst«
Vertrauen Sie ihnen!
Wozu Vertrauen?
Was ist Vertrauen?
Vertrauen schaffen
Vertrauen zerstören
Zutrauen schafft Unternehmertum
Bezahlen Sie gut und fair!
Gehen Sie aus dem Weg!
Führung zur Selbstführung
Was tun?
Seien Sie ein Beitragender!
New Work – Zukunft der Arbeit oder Management-Mode?
Bergmann: New Work und das wirkliche Wollen
Agil – die neue Unschärfe
Homeoffice
Purpose: Unsinn im Sinn
Literatur
Register
Alles, was man braucht – das war der Anspruch, mit dem ich dieses Führungs-Handbuch zu schreiben begann. Der Haltlosigkeit der Management-Moden und einer hektisch flimmernden Wirtschaftswelt wollte ich zeitlose Führungsaufgaben gegenüberstellen. Es wurden fünf. Ich ging dabei von der Überzeugung aus, dass komplexe Strukturen und beschleunigte Änderungsprozesse nur durch Konzentration auf das Wesentliche zu bewältigen sind.
Dies scheint gelungen zu sein. Das Buch wurde – und wird – trotz des durchaus provokanten Titels sehr wohlwollend aufgenommen. Es liegt wohl auch daran, dass ich die personenzentrische Tradition nicht gegen den systemischen Ansatz ausspiele, sondern beide miteinander verbinde. Zudem konzentriere ich mich auf das Was der Führung, überlasse das Wie dem Einzelnen. Insofern koppelt der Inhalt mit unterschiedlichen Unternehmenskulturen.
In einem für die vorliegende Ausgabe neu geschriebenen Kapitel werfe ich einen Blick auf den angesagten Trend von New Work und versuche eine Einordnung: Ist New Work die Zukunft der Arbeit oder nur eine weitere Mode im Management?
Mehr ist einleitend zur Wiederauflage nicht zu sagen. Wer da meint, das sei aber knapp, ist unversehens beim zentralen Thema der Ökonomie – der Knappheit. Deshalb: Was zählt? Was treibt? Was bleibt?
Winterthur, im Januar 2023
Wenn Sie bei einem bekannten Buchversandhandel das Suchwort »Management« eingeben – was schätzen Sie, wie viele Bücher werden Ihnen angezeigt? Fünftausend? Fünfzigtausend?
Es sind über eine halbe Million. Stellen Sie sich das in Regalmetern vor: über eine halbe Million Bücher! Da müsste doch alles zum Thema gesagt sein. Woraus sich die Frage ergibt: Warum sollten Sie ausgerechnet dieses Buch lesen? Die erste Antwort lautet: Weil es vieles weglässt.
Worum es in diesem Buch nicht geht, das soll deshalb hier an erster Stelle stehen. Es geht nicht um eine neue Leadership-Mode. Viele Autoren beschreiben nur einzelne Facetten der Führungsarbeit, die dafür sehr detailliert – aber das Gesamtbild bleibt unscharf. Eine Menge Bücher (meine frühen Werke gehören dazu) machen auch relativ abstrakte Wertgesichtspunkte geltend, um faktisch bestehende Führungsstrukturen im Namen dessen zu kritisieren, was sein »sollte«. Also: Hier finden Sie keine Anekdoten-Promenade, keine Exzellenz-Beispiele, keine Von-XY-lernen-Galerie. Ich mutmaße auch keinen Zusammenhang von Führungs-Stilen, Persönlichkeitseigenschaften und Führungserfolg. Auch zwischen Führung und Management wird nicht unterschieden. Ich gehe davon aus, dass die meisten Manager mit ihren Mitarbeitern in Interaktion treten, also führen, und die meisten Führungskräfte auch werkzeugbasierte Verwaltungsaufgaben erledigen, also managen. Und einem Leader ohne Managementfähigkeiten wird bald die Luft wegbleiben; einem Manager ohne Leadership-Fähigkeiten fehlt die Richtung. Ebenso unterscheide ich nicht zwischen Mitarbeiter-Orientierung und Aufgaben-Orientierung: Diese Trennung ist in der Praxis künstlich – man braucht eben beide.
Um diese Frage zu beantworten, will ich eine kurze biografische Bemerkung machen.
Auf der Suche danach, worauf es bei der Führung wirklich ankommt, habe ich mich noch einmal auf die Praxis eingelassen. Für dreieinhalb Jahre übernahm ich wieder operative Verantwortung im Executive Committee eines Unternehmens, das in fast achtzig Staaten etwa 21 Milliarden Euro umsetzt. Ich wollte wieder Führungsalltag spüren, Spreu von Weizen trennen, Unverzichtbares von nur Wünschbarem.
Ich habe viel gelernt, was Führungskräfte tun. Mehr aber habe ich davon gelernt, was sie nicht tun. Was sie unterließen – weil sie es für unwichtig hielten oder einfach nicht wollten oder konnten. Das half mir, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Was mir dabei immer klarer wurde: Die eigentlichen Aufgaben werden von Führungskräften nicht diskutiert, sie werden als selbstverständlich vorausgesetzt: »Um sie muss ich mich auch nicht kümmern – ich bin ja bereits Führungskraft, weil ich aus Sicht meiner Chefs den Aufgaben gewachsen bin.« Sie sehen ihr Handeln in keinem größeren Zusammenhang; sie »managen« halt, das heißt sie »wursteln sich durch«. Das Nachdenken über Aufgaben stört da nur. Und wenn sie über ihr Tun reflektieren, dann über das WIE, über Adjektive wie »kooperativ«, »dialogisch« oder gar »transformatorisch« – nicht über das WAS. Dabei ist dieses WAS keineswegs selbstverständlich, sondern erntet Erstaunen, bringt man es zur Sprache. Es sind keine Kleinigkeiten, die da beiseitegelassen werden. Im Gegenteil. Genau auf diesen blinden Fleck der meisten Führungskräfte will ich mich konzentrieren. Also: Führung ist die Antwort – was war noch mal die Frage?
Dabei gehe ich von folgender Ursprungs-Situation aus: Eine Gruppe von Menschen hat sich zu einem bestimmten Zweck zusammengefunden. Schon bald bildet sich jemand als Führungskraft heraus, je nach Gruppengröße und -dauer entstehen auch Führungsstrukturen. Warum? Was sind »Gründe« für Führung, die sich aus Tatsachen ergeben, nicht aus willkürlichen Zielen? Wie heißt das Problem, für das Führung die Lösung ist?
Ich bin davon überzeugt, dass die Aufgaben von Führung Universalien sind – sie werden auch in vielen Hundert Jahren dieselben sein. Schließlich gab es Führung schon immer – seit Menschen in Gruppen leben. Und auch die neue Welt der Netzwerke und Heterarchien kann ich nicht führerlos denken. Im Gegenteil: Nach nichts sehnen sich die Menschen mehr als nach einer kraftvollen Führungsidee und einem Menschen, der sie verkörpert. Deshalb können wir von einer »arché« sprechen, einem Urprinzip, auf die sich eine »Arché-ologie« richtet, die es erforscht. Jedenfalls scheint mir die Suche nach festen »Gründen« der Führung auch in Zeiten der Kontingenz, der Abwesenheit des letzten Grundes, noch nicht abgeblasen.
Ich will der Führung also mit einer Archäologie auf den Grund gehen. Und liefere Beispiele für deren praktische Anwendbarkeit. Und obwohl natürlich die Auswahl mit einem unvermeidlichen Faktor an Subjektivität verbunden ist, ist sie keineswegs beliebig, sondern beansprucht den Status der Notwendigkeit. Denn das ist die Grunderfahrung mit der menschlichen Geschichte: Wie wenig sich doch selbst dort ändert, wo sich fast alles geändert hat.
Wer dabei von »radikal führen« spricht, muss mit Missverständnis rechnen. Hierzulande und in Zeiten politisch korrekter Uneindeutigkeit darf man ja alles Mögliche sein, nur nicht radikal. Dieser Vorbehalt verkennt jedoch die Herkunft des Wortes: lateinisch »radix« – die Wurzel. Es geht bei Radikaler Führung also um die Wurzel der Führung – in der sie verankert ist und aus der sie wächst. Denn wer wirklich etwas im Unternehmen verändern will, der muss bei der Wurzel anfangen. Die vielen Change-Initiativen scheitern, weil sie – um im Bild zu bleiben – an der Oberfläche verweilen und den Dingen nicht auf den Grund gehen. Sie wären erfolgreich, gründeten sie in den Kernaufgaben von Führung.
Wenn ich frage: »Wie heißt das Problem, für das Führung die Lösung ist?«, dann spreche ich bewusst von Führung – und meine damit nicht nur Führungskräfte. Denn Führung ist mehr als das Handeln von Individuen. Führung äußert sich auch in Strukturen, Instrumenten und Institutionen – in Organisation eben. Niemand fängt von vorne an. Immer schon ist etwas da, in das man hineintritt, an das man anknüpft.
Dieses Buch will also Ichstärke des Individuums und Struktursteuerung durch die Organisation vermitteln, und in der Tat lässt sich keins von beiden je ganz zum Verschwinden bringen (nicht einmal in totalitären Systemen). Ich will beiden Seiten die Ehre geben, weil ich der Überzeugung bin, dass sie sich nicht ausschließen und die Gefechtsstellung zwischen beiden künstlich ist.
Dazu werde ich für die einzelnen Kernaufgaben der Führung je zunächst den institutionellen Rahmen als Bedingung von Führung beschreiben, und in einem zweiten Schritt die individuellen Eigenschaften, die geeignet sind, diese Führungsaufgabe zu erfüllen.
Der erfahrene Leser wird mich fragen: Steht in Ihrem Buch etwas Neues? Erlauben Sie die Gegenfrage: Wann wurde jemals etwas Neues geschrieben? Wie oft schon hielt ich einen Gedanken für »neu« – und dann las ich etwas Ähnliches oder gar Identisches in irgendeinem alten Schmöker. Wirkliche Originalität ist äußerst selten. Ihr Anschein wird meistens von der Wortwahl und der Form der Darreichung erzeugt, nicht vom Inhalt.
Um die Frage nach dem Neuen trotzdem zu beantworten: Natürlich knüpfe ich an das an, was ich schon in früheren Büchern formulierte. Aber dennoch: Ein solches Buch, das die Kernaufgaben von Führung archäologisch herauspräpariert, gab es noch nicht. Ein Buch, das umfassend und unter Vermittlung von systemischen Vorgaben und individuellen Eigenschaften beschreibt, was an Führung wirklich zeitlos und essenziell ist, das gab es noch nicht. Wer also mit diesem Buch führt, der führt radikal, weil er die Wurzeln der Führung kennt. Und so hoffe ich denn, dass mein Schreiben ein Säen ist und neue Wurzeln bildet.
Führung ohne Wissen um ihren Zweck ist »grundlos«. Daher steht die Frage nach dem Zweck der Führung am Anfang unserer Betrachtung. Im Anschluss daran wenden wir uns der Führung selbst zu, fahnden nach guter Führung sowie nach den Bedingungen, die Führungs-Verhalten prägen.
Wofür werden Führungskräfte bezahlt? Um diese Frage zu beantworten, will ich mit einer scheinbaren Selbstverständlichkeit beginnen. »Wirtschaften« kommt von »Wert schaffen«. Darum geht es auch im Unternehmen – als einer Form des Wirtschaftens. Und in Unternehmen gibt es so etwas wie »Führung«. Welchen Wert schafft Führung? Fragen Sie sich selbst: Was ist Ihr Beitrag als Führungskraft? Was verkaufen Sie Ihrer Firma? Warum stehen Sie auf der Gehaltsliste?
Es überrascht, dass die Frage nach dem Endprodukt von Führung bisher wenig beachtet wird. Immer geht es um das WIE der Führung, um »richtiges« und »gutes« Management, um Führungsstile und Techniken, die je nach Sichtweise mehr oder weniger sympathisch klingen. Von der Überbetonung des Führungsstils sich zu verabschieden scheint aber dringend erforderlich. Wir müssen bei der Führung vom Mittel zum Zweck kommen. Was ist der Zweck der Führung?
Die konzentrierteste Antwortet lautet: das Überleben des Unternehmens zu sichern. Ein Unternehmen strebt – wie alle sozialen Systeme – nach Selbsterhaltung. Es geht vorrangig darum, weiter zu existieren, weiter »mitspielen« zu dürfen. Und dafür sollen Führungskräfte – Sie! – einen Beitrag leisten.
Um zur Überlebenssicherung des Unternehmens beizutragen, muss mindestens eine Voraussetzung gegeben sein: Die Führungskraft muss mehr leisten, als sie kostet. Wir vergessen oft, dass wir nur dann eine Existenzberechtigung im Unternehmen haben, wenn das der Fall ist. Wenn unsere Produktivität höher ist als unser Preis für das Unternehmen. Oder, um es noch grundsätzlicher auszudrücken: Wenn wir mehr »geben« als »nehmen«. Man darf mit Recht bezweifeln, ob dieser Grundsatz überall befolgt wird.
Sie mögen vielleicht einwenden, das »Überleben des Unternehmens« sei für Sie keine relevante Kategorie, Sie seien kein Mitglied der Geschäftsführung, Ihnen seien Ihre Ziele präzise vorgegeben. Das ist sicher zu berücksichtigen. Aber wenn wir uns auf das Wesentliche reduzieren, auf das Kerngeschäft der Führung, dann ist dies auf allen Führungsebenen nahezu gleich. Unterschiedlich ist nur die Reichweite.
Und einen Beitrag zur Überlebenssicherung zu leisten – das werden Sie sicher für sich reklamieren. Was immer das sein mag: Umsatz, Wachstum, Kostenreduktion, Temposteigerung, Senkung des Krankenstandes, geringere Fluktuation, kürzere Lieferfristen.
Das Überleben sichern – diese sehr allgemeine Antwort auf die Frage nach dem Zweck der Führung lässt sich schlecht operationalisieren. Woran soll man Ihren Beitrag zur Überlebenssicherung festmachen? An irgendeinem Kriterium muss man ablesen können, ob Sie Ihren Job machen.
Spielen wir einige von ihnen durch. Dabei gehen wir zunächst negativ vor – und schauen uns also an, wofür Sie das Unternehmen nicht bezahlt.
Zum Beispiel: für Führung! Man stößt auf eine der größten Merkwürdigkeiten der Managementtheorie, wenn man sich klarmacht, dass Führungskräfte für alles Mögliche bezahlt werden, aber nicht für Führung. Führung gibt es nämlich nicht als »Ding an sich«. Auch nach jahrelangem Ausspähen ist mir, so sehr ich mich auch mühte, Führung als »Ding an sich« noch nicht begegnet. Sollte es mir über den Weg laufen, würde ich natürlich unverzüglich die Gemeinschaft der Interessierten informieren, aber in naher Zukunft wird wohl kaum damit zu rechnen sein. Nein, im Ernst: Ich habe noch niemanden gesehen, der wegen »guter Führung« befördert wurde. Wegen »guter Führung« wird man allenfalls entlassen. Auf Bewährung.
Selbst wenn Sie zögern, dieser Sichtweise zuzustimmen, vielleicht überzeugt Sie dies: Bei einer Schweizer Bank wurden Führungskräfte gefragt: »Werden Sie für Ihre tägliche Führungsarbeit anerkannt und belohnt?« Knapp 70 Prozent der Befragten verneinten diese Frage überwiegend oder vollständig. Die Konsequenz daraus ergab sich als Antwort auf eine andere Frage: »Verbringen Sie den größten Teil Ihrer Arbeitszeit mit Führungsaufgaben oder Sachaufgaben?« Deutlich über 70 Prozent gaben an, sich größtenteils mit Sachaufgaben zu beschäftigen. Das kann dann vor dem Hintergrund der ersten Antwort nicht verwundern. Offenbar gibt es beim Thema Führung eine tiefe Kluft zwischen der guten Absicht und dem operativen Alltag. Nein, Führung wird nicht für Führung bezahlt.
Fragen wir also weiter: Werden Sie für Ihre Teamfähigkeit bezahlt? Ich kenne zwar keine Stellenanzeige, in der nicht Teamfähigkeit als unabdingbare Einstellungsvoraussetzung ausgelobt wird. Aber die Unternehmenswirklichkeit spricht eine andere Sprache. Oder haben Sie schon mal gehört, dass ein Team befördert wurde?
Weiter, was ist mit Arbeitszeit? Werden Sie dafür bezahlt? Sicher nicht. Der Verkauf von Arbeitszeit dominiert zwar noch die alten Schornstein-Industrien, aber ein rein quantitativer Arbeitsbegriff gehört ins Archiv. Wir vergessen das oft, wenn wir mechanisch morgens zur Arbeit gehen, angestellt sind und einen festen Arbeitsvertrag haben – was immer heute »fest« bedeutet.
Verkaufen Sie denn »Motivation«? Mit Motivation allein ist noch nichts gewonnen; sie ist nicht einmal Voraussetzung für Leistung (wie in naiver Weise immer wieder behauptet wird), vielmehr deren Folge. Natürlich, Sie haben sich angestrengt, viele Stunden gearbeitet, waren immer erreichbar, immer zur Stelle – aber ist auch etwas dabei herausgekommen? Jedenfalls wäre es ein Irrglaube, dass es vorrangig um Fleiß und Einsatz ginge. Ihre Leistungs-Fähigkeit ist mindestens so wichtig. Zudem müssen die Leistungs-Möglichkeiten vorhanden sein. Also, auch viele »Versuche« (wie zum Beispiel Kundenbesuche) zählen nicht, mögen sie auch noch so zählbar sein.
Verkaufen Sie denn »Leistung«, auf die man sich oberflächlich gerne einigt? Jetzt wird es kompliziert. Leistung ist einer der Begriffe, die enorme Bedeutungs-Lasten bündeln und einfache Entscheidungen schlicht überfordern. Der Rückgriff auf die Physik – Leistung ist Kraft mal Weg unter Berücksichtigung der Zeit – führt in sozialen Zusammenhängen nicht weit. Vergleichen Sie mal den Mitarbeiter, der jedes Jahr 100 Prozent irgendeiner Messgröße abliefert, mit einem anderen Mitarbeiter, der sich jedes Jahr um 10 Prozent steigert: von 60 auf 70 Prozent, von 70 auf 80. Wessen Leistung ist höher zu bewerten? Die Antwort fällt nur scheinbar leicht, 100 Prozent sind immer noch mehr als 80. Doch in der Steigerung der Leistung steckt eine Dynamik, die positiv auf das Unternehmen wirken kann. Die eine Leistung ist resultativ, die andere prozessual gedacht. Und es gehört eine Menge mehr zur »Leistung«. Auch nicht Zählbares: zum Beispiel, wie Sie Ihren Kollegen geholfen haben; auch angepasstes Verhalten etwa; oder die berühmte »Parkettfähigkeit«, über die der eine verfügt und der andere eben nicht.
Fragen wir uns ein letztes Mal: Verkaufen Sie denn »Ergebnisse«? Geht es um »Resultate«, wie es so oft zum »Leading for Results« verdichtet wird? Auch das greift zu kurz. Denn Daten und Fakten bedeuten zunächst einmal – nichts. Sie sind aussagelos. Erst, wenn sie mit Erwartungen verglichen werden, beginnen sie zu sprechen. Wenn Sie zum Beispiel eine Eigenkapitalrendite von – sagen wir – 20 Prozent erreichen wollen, dann kann das unter normalen Umständen ein hervorragendes Ergebnis sein. Hat der Wettbewerb aber 30 Prozent erreicht, dann ist Ihr Ergebnis ein Flop. Deutlich wird: Die Begriffe »Leistung« und »Ergebnis« täuschen eine Objektivierbarkeit der Arbeit im Unternehmen bloß vor. Als Grundlage für die Bewertung dieser Arbeit taugen sie nicht.
Aber wofür werden Sie dann bezahlt?
Für Erfolg.
Erfolg ist sozial anerkannte Leistung – also das, worauf sich zwei oder mehrere Vertragspartner geeinigt haben. Was immer das sei: Für ein Familienunternehmen kann langjährige Unabhängigkeit ein Erfolg sein, für den Manager die Entwicklung des Aktienkurses, für den Mitarbeiter die Lohnerhöhung oder die Karriere. Es mag Profit sein, Umsatz, Umsatzrendite, Kapitalrendite, Marktanteil, Fluktuation, Lieferfristen. Alles das kann als Erfolg akzeptiert werden. Der Begriff »Erfolg« ist mithin hier bedeutungsoffen gefasst. Füllen Sie in diese Hülse hinein, was Sie mögen!
Wichtig ist: Der Erfolg, also das, »worum es geht«, ist nicht gleichsam naturgesetzlich vorgegeben, sondern Verhandlungssache. Man muss sich nur einigen über das, was als Erfolg gelten soll. Diese Einigung gilt über einen definierten Zeitraum – und darf nicht unterwegs willkürlich verändert werden (was leider in der Praxis häufig geschieht). Hinterher vergleicht man die Ergebnisse mit der Vereinbarung, und wenn der Vergleich für uns positiv ausfällt, dann dürfen wir weitermachen. Wenn nicht, bekommen wir Schwierigkeiten. Erfolg hebt also Leistung heraus, macht sie erkennbar.
Mit Erfolg kann also ganz unspezifisch das gemeint sein, »was folgt« und was insgesamt dem Führungshandeln zugeschrieben wird. Erfolg muss dabei nicht notwendigerweise zählbar sein, er kann auch qualitativ sein. Ein Mensch kann in seiner Gesamtheit ja auch kaum von einem Buchhalter beurteilt werden. Es kann auch die Erfüllung eines normativ gesetzten Kriteriums gemeint sein. Zum Beispiel, welches Image ein Unternehmen im umgebenden Meinungsklima hat – auch dafür muss man Jahrzehnte arbeiten. Und Erfolg kann – wenn man sich darauf einigt – nicht nur im Ergebnisnutzen bestehen, sondern auch im Prozessnutzen, also dem Weg, auf dem ein Ergebnis erreicht wird. Dennoch: Immaterielle Werte sind in ihrem Rang nachgeordnet. Das zu ummänteln wäre töricht. Entscheidend ist, wie man so sagt, »was hinten rauskommt.« Erfolg ist die Gegenleistung für das Geld, das wir verdienen.
Manch einer wird mich schnurstracks über die »Eisberg- Theorie« aufklären wollen, nach der es zu kurz greife, nur auf die Spitze des Eisberges zu schauen. Neun Zehntel des Eisberges – die ergebnistragenden Prozesse – lägen unter der Wasseroberfläche verborgen; sie zu ignorieren hätte nicht nur der Titanic den Todesstoß versetzt. Es sei daher kurzsichtig, sich dem Ergebnis ausschließlich deshalb zuzuwenden, weil es messbar ist, und das Nichtmessbare zu ignorieren, wenn es doch wichtig ist. Wer wollte widersprechen? Vielleicht verweist er auf das berühmt-berüchtigte Beurteilungssystem »Neun-Box-Matrix« von Sergio Marchionne, dem Lenker von Fiat und Chrysler. Dieses trägt auf der einen Achse das »Potenzial« des Mitarbeiters ab, auf der anderen dessen »Performance«. Damit relativiert es den Erfolg; denn es spielt die Erwartung guter Leistung gegen den aktuellen Erfolg aus. Doch lassen wir es nicht an Klarheit fehlen: Wer über einen längeren Zeitraum so unterscheidet, verbrennt Geld, das ihm nicht gehört.
Um nicht missverstanden zu werden: Zweifellos ist es hilfreich, ein hohes Maß an Potenzial und Führungskompetenz im Unternehmen zu haben. Aber das ist kein Selbstzweck. Und es hilft nichts, Trost spendende Relativierungen sind vergeblich: Letztlich und langfristig verkaufen wir Erfolg. Und nicht Voraussetzungen dafür. Das ist bisweilen ungerecht, ja, bedauerlich, meinetwegen, auch unterkomplex, wie die Soziologen sagen würden. Aber wer das beklagt, sollte überlegen, wie viele erfolglose Manager über Jahre ihr Unwesen treiben durften, weil Seilschaften sie im Sattel hielten.
Führung wird also für Erfolg bezahlt. Und wir haben festgestellt, dass wir uns darüber verständigen müssen, was wir unter »Erfolg« verstehen. Diese Verständigung mag den meisten von Ihnen gelingen. Richtig kompliziert wird es, wenn nicht nur der Erfolg (das Ziel oder Ergebnis) gemessen und bewertet wird, sondern auch der Weg dahin ganz bestimmten Kriterien genügen soll. Dann geht es nicht mehr darum, ob eine Führungskraft einen Beitrag zum Überleben der Organisation leistet, sondern auch wie sie das macht. Umgangssprachlich nennt man das »gute Führung«.
Hinter dem Konzept der »guten« Führung steckt ein Verlust von Unterscheidungen, der im Management zu beobachten ist. In einer Gesellschaft, in der das schlechte Gewissen zum Normalzustand wurde, moralisiert sich auch das Management, gerade nach den Ereignissen der Wirtschaftskrise. Betrieben sowohl von der Politik, den Medien, aber auch den Konsumenten müssen Unternehmen nicht etwa wirtschaften, nein, »verantwortungsvoll« sollen sie das tun. Nicht Qualität hat mehr ihren Preis, sondern der Grad moralischer Unbedenklichkeit. Und Führungskräfte sollen Modelle sein von Tugend, Moral und Werten, authentisch, »Vorbilder« möglichst, menschlich und fachlich gleichermaßen. Gefragt wird: Führt die Führungskraft »kooperativ«? Mit »langfristiger« Perspektive? »Ethisch einwandfrei«? »Nachhaltig« ist dabei das neue Vaterunser. Überall bemühen sich Unternehmen, durch Leitlinien, Führungsgrundsätze und andere säkularisierte Bibeln das Verhalten der Führungskräfte zu prägen. Die Melodie dazu: »Wir sind alle kleine Sünderlein«, Willy Millowitschs Karnevalsschlager aus den 60er Jahren. Gemessen werden Manager dann kaum mehr an ihren Erfolgen, sondern daran, ob sie auch bescheiden genug auftreten. Nicht wenige von ihnen erliegen der Verführung dieser Moral-Blähung. Sie reden mitunter, als hätten sie sich auf einen Kirchentag verirrt. Und machen weiter wie bisher – nur jetzt mit schlechtem Gewissen.
Lassen Sie uns nüchtern die Dinge klären. Erstens: Meinen zwei Menschen dasselbe, wenn sie von »guter Führung« sprechen? Zweitens: Ist es nachweisbar, dass »gute Führung« wirklich ursächlich für Erfolg ist? Drittens: Sind Unternehmen als Gesinnungsgemeinschaften zu verstehen (etwa wie politische Parteien)?
Die Fragen stellen heißt, sie beantworten: »Nein«, lautet die Antwort in jedem der Fälle.
Zu eins: Seit Jahrzehnten sind Untersuchungen verfügbar, die Selbstbild von Fremdbild unterscheiden. Die meisten Führungskräfte halten sich zum Beispiel für »kooperativ«, werden aber von ihren Mitarbeiter häufig für autoritär gehalten. Entsprechend leicht ist es, jemandem »Führungsschwäche« vorzuwerfen. Eben, weil jeder unter »Führung« etwas anderes versteht, selbst wenn man sich auf einschlägige Formulierungen einigt.
Zu zwei: Es gibt bislang keine einzige Studie weltweit, die einen kausalen Zusammenhang zwischen »guter Führung« und Unternehmenserfolg nachgewiesen hätte – so sehr ich mir das auch wünschte. Beobachtet wurden gewisse Korrelationen, aber eine ursächliche Verbindung bleibt bislang Wunschdenken. Ein Grund (unter vielen): Der Zufall spielt für den Erfolg eine erhebliche Rolle. Was wäre aus Bill Gates geworden, wenn IBM den Vertrag über die Erstellung eines Betriebssystems für die neuen Personalcomputer nicht mit Microsoft geschlossen hätte? Durch einen ganz unwahrscheinlichen Zufall hatte sich sein Konkurrent zuvor selbst aus dem Rennen geworfen. So war der Weg frei für Gates‹ MS-DOS. Ungeklärt ist zudem die Frage: Führt gutes Führungsverhalten zum Unternehmenserfolg, oder erlaubt Unternehmenserfolg gutes Führungsverhalten?
Zu drei: In einer pluralistischen Gesellschaft müssen Unternehmen offen sein für unterschiedliche Werte, Traditionen und Gesinnungen. Eine zu »spezifische« Unternehmenskultur wäre ein Wettbewerbsnachteil. Deshalb sollten Unternehmen sich darauf konzentrieren, im Rahmen sicherer Eigentumsrechte und eines freien Wettbewerbs ihre ökonomische Kernfunktion zu erfüllen. Sie sind keine Kirchen. Und wenn eine Führungskraft erfolgreich ist und sich dabei innerhalb des gesetzlichen Rahmens bewegt, dann besteht kein Grund, korrigierend einzugreifen. Es sei denn, Sie sind aus der Abteilung »Gesinnungsnötigung«. Diese fördert Ja-Sager-Kultur, Anpassertum und Gesichtslosigkeit. Sie stützt die unselige Tendenz, berechtigte Individualinteressen gesinnungsethisch zu unterlaufen.
Soll also »gute Führung« nicht ein leerer Begriff bleiben, dann wäre doch das die entscheidende Frage: Bin ich als Manager bereit und berechtigt, betriebswirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen, um einer bestimmten Idee von »guter« Führung zu entsprechen? Wer eine unterscheidbare Sonderstellung dieses Wertes reklamiert, der muss fordern, dass auf Möglichkeiten des Geldverdienens verzichtet wird.
Das kann mit Wirklichkeitssinn niemand fordern. Das darf – übergangsweise – auch nur ein Eigentümer-Unternehmer tun; es steht ihm frei, sein eigenes Geld zu verbrennen. Ein Manager darf das nicht: Er verwaltet das Geld anderer Leute. Es wäre ein Handeln zu Lasten Dritter; es wäre, spreche ich es aus: kalte Enteignung. Langfristig aber zählt für den Unternehmer wie für den Manager der kalkulierbare Moral-Ertrag. Alles andere ist zeitgeistliche Schminke.
Unternehmen sind Veranstaltungen zur Erzeugung und zum Vertrieb von Gütern und Dienstleistungen. Dabei gilt zwingend das ökonomische Prinzip. Der Kern von Führung ist dabei die Überlebenssicherung dieser Veranstaltung. Es geht darum, den Bestand und die dauerhafte Rentabilität des Unternehmens zu sichern. Ein Unternehmen ist dann gut geführt, wenn es gute Produkte produziert und diese zu fairen, marktgebildeten Preisen anbietet – und gerade in letzter Hinsicht sind nicht wenige Unternehmen (weil subventioniert) in Deutschland schlecht geführt. Es bleibt also bei der unternehmerischen Verantwortung innerhalb des rechtlichen Rahmens. Gute Führung ist das, was genau das leistet.
Ich will das bisher Gesagte auf den Punkt bringen: Es gibt keine »gute« Führung; es gibt nur »erfolgreiche« Führung – oder eben »nicht erfolgreiche«. Erfolg ist wichtiger als Führungsstil. Es gibt auch kein »richtiges« Management, das unaufhaltsames Vorwärtskommen garantiert. Es gibt auch keine »Führungspersönlichkeit«, die Merkmale aufweist, die gleichsam »automatisch« die Mitarbeiter energetisieren. Im Gegenteil: Beim »Evergreen Project« unter Leitung von Nitin Nohria (2009), bei dem 220 Erfolgsfaktoren des Managements bei 160 Unternehmen zehn Jahre lang beobachtet wurden, lautete das Ergebnis: Es besteht kein nachweisbarer Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen der Top-Manager und dem wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen. Es ist irrelevant, ob der Geschäftsführer charismatisch, bescheiden, visionär, technokratisch, selbstsicher, zurückhaltend, vorbildlich oder authentisch ist. Und das entspricht exakt meiner Erfahrung. Die erfolgreichen Führungskräfte, denen ich im Laufe der Zeit begegnet bin, haben auf mich zum Teil extrem unterschiedlich gewirkt: Vom leise sprechenden Schöngeist über primitive Protzer bis zum eloquenten Souverän war alles dabei. Nur wenige von ihnen würde ich als charismatisch bezeichnen; ob sie als Vorbilder galten, war für mich nebensächlich; und sie verhielten sich (mir gegenüber) auch nicht authentisch. Glücklicherweise. Die meisten waren ganz normale Mitmenschen mit leicht überdurchschnittlichem Selbstbewusstsein. Mehr noch: Ich mache manchmal die irritierende Erfahrung, dass Manager, die keine Ansprüche an »gute« Führung haben, zum Teil ausgesprochen erfolgreich sind: Die Ergebnisse stimmen; die Atmosphäre zwischen den Menschen stimmt. Weit erstaunlicher noch: Eine Führungskraft, die geradezu einem Modellheft der Managementliteratur entsprungen scheint, scheitert unter optimalen Bedingungen. Wer immer das zu erklären versucht, spekuliert nur. Aber man sieht: Es ist wenig hilfreich, mit moralgetränkten Idealisierungen um sich zu werfen oder gedankenvoll nickend hochimpressionistische Urteile über »gute Führung« auszutauschen.
Aber brauchen wir nicht ein gemeinsames Führungsverständnis? Gegenfrage: Wie soll das aussehen? Was soll das sein? Beschreiben Sie mir einen Unterschied, an dem man das für alle sichtbar illustrieren kann! Sollten wir nicht jedem – innerhalb des legalen Rahmens! – die Freiheit geben, seinen eigenen Weg zu gehen? Können wir aushalten, dass es unterschiedliche Wege zum Führungserfolg gibt? Dass es kein gesichertes Wissen gibt über den ursächlichen Zusammenhang von Erfolg und einem bestimmten Führungsverhalten? Und dass es jedem freisteht, ein bestimmtes Ideal von »guter Führung« zu entwerfen, er aber – nach allem, was wir wissen – keineswegs sicher sein kann, dass es auch erfolgreich ist? Können Sie akzeptieren, dass Sie, anstatt Wirklichkeiten zu normativieren, besser Möglichkeiten verwirklichen sollten? Und dass Sie dabei auf eine direkte Einflussnahme verzichten, vielmehr Hindernisse aus dem Weg räumen sollten, die Erfolg vereiteln?
Der Zweck der Führung ist nun hinreichend beschrieben. Aber was meinen wir denn, wenn wir von »Führung« sprechen? Was ist das eigentlich – Führung?
Wie immer, wenn ein Begriff zu viel leisten muss, bleibt er unklar. Das gilt auch für Führung. Der Begriff ist positiv aufgeladen, darin ähnlich anderen Kollektivsingularen wie Freiheit, Bildung oder Fortschritt; aber auch rätselhaft, kalt analysiert und heiß diskutiert. Alle nutzen ihn, jeder versteht etwas anderes darunter. Viele Jahrzehnte akademischer Analyse haben Hunderte Definitionen hervorgespült, und doch gibt es keine, die eine gewisse Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen könnte. Vielleicht gehört Führung zu den Dingen, die, wie Blaise Pascal meinte, man nicht definieren kann, ohne sie zu verdunkeln. Und nicht trotz, sondern wegen seiner Unklarheit ist der Begriff »Führung« so beliebt in der Wirtschaftswelt. Er eignet sich besonders dazu, Teilaspekte zum Dogma zu erheben, ohne dass man das begründen müsste. Über wenige Gegenstände ist daher so viel fugenloser Unfug geschrieben worden.
Versuchen wir dem Führungsbegriff näherzukommen durch Rückgriff auf das härteste Kriterium, das wir für Bedeutungszuweisungen haben: Zeit. Wenn wir wissen wollen, was einem Menschen wirklich wichtig ist, dann müssen wir schauen, wie er seine Zeit verbringt. Da können wir feststellen: Bei Terminkollisionen werden immer leicht die Führungs-Termine verschoben. Und wer die Frage stellt »Wie viel Zeit verbringen Sie mit eigentlichen Führungsaufgaben?«, löst regelmäßig großes Rätselraten aus, was denn »eigentliche« Führungsaufgaben seien. Die weitaus treffendste Zustandsbeschreibung hörte ich von einem Manager des amerikanischen Autoteilekonzerns Federal Mogul: »Ich habe keine Zeit zum Führen, ich muss ja noch arbeiten.« Volltreffer. Führen ist offenbar keine Arbeit, sondern eine Nebenbei-Tätigkeit, die gleichsam verschiedene Handlungen verbindet und zu einem verstehbaren Ganzen ordnet. Und sie wird in umso stärkerem Maße zu einer Nebenbei-Tätigkeit, je weiter man die Hierarchie hinabsteigt.
Versuchen wir es weiter mit Praxis. Es gibt kaum etwas, was Führungskräfte mehr interessiert, als eine Antwort auf die Frage, was sie eigentlich tun. Problematisch sind aber nicht die wenigen Antworten, sondern ihre Überzahl. Ist Führung Wissenschaft? Kunst? Handwerk? Beruf im klassischen Sinne? Fragen Sie sich selbst: Was ist Ihr Selbstverständnis als Führungskraft? Dirigieren Sie ein Symphonie-Orchester, wie oft zu lesen? Formen Sie – wie Altmeister Peter Drucker meinte – aus vielen Einzelleistungen eine Gesamtleistung? Formulieren Sie Strategien, planen Sie oder denken Sie »voraus«? Verstehen Sie sich als »Troubleshooter« oder eher als »Jongleur«? Entwickeln Sie Visionen und weisen Sie den Weg? Stürmen Sie voran wie die preußischen Soldatenführer? Oder gehen Sie »hinter« den Menschen, wie es buddhistische Weisheitslehren empfehlen?
Wahrscheinlich von allem ein bisschen. Manche halten Führen gar für eine innere Haltung, eine bestimmte Qualität des Bewusstseins. Aber irgendwie scheint man durch diese bildhaften Vergleiche dem Kern der Führung auch nicht näherzukommen.
Bleiben wir daher noch einen Augenblick hartnäckig und schauen von außen auf das Handeln einer Führungskraft: Was tun Sie, wenn Sie führen? Was kann man sehen, wenn man Sie als Führungskraft beobachtet? Wahrscheinlich dieses: Sie reden viel – damit andere etwas tun. Sie sitzen in Meetings herum, telefonieren, sprechen mit Kunden, Kollegen, Mitarbeitern, reisen durch die Gegend, warten in Flughafen-Lounges auf den verspäteten Flieger, spielen mit Ihrem Handy und starren auf den Bildschirm Ihres Laptops. Als Sie noch nicht Führungskraft waren, haben Sie das so ähnlich zwar auch schon gemacht. Aber jetzt heißt es eben Führung.
Wenn zum Beispiel ein Mitarbeiter die Anweisung seines Chefs befolgt, ist das dann Führung? Oder ist das nicht allenfalls eine Erklärung für diesen Zusammenhang? Niemand kann in den Mitarbeiter hineinschauen und dort dessen Motivation erkennen. Vielleicht hätte der Mitarbeiter ja auch ohne die Existenz des Chefs genau das getan, was er tat.
Das korrespondiert mit der Antwort vieler Führungskräfte auf die Frage: »Was hat sich eigentlich an dem Tag geändert, als Sie Führungskraft wurden?« Die häufigste Antwort: »Nichts.« Im Grunde läuft alles so weiter wie bisher. Gestern machten Sie etwas, heute führen Sie – tun aber mehr oder weniger dasselbe. Denn Leistung, Verantwortung und Kommunikation gibt es ja auch jenseits der Führungsaufgabe. Erst später dann verschieben sich ein paar Schwerpunkte, kommen ein paar Handlungen dazu.
Führung ist also kein Ding, welches man unmittelbar wahrnehmen könnte, sondern ein Etikett, das von außen aufgeklebt wird. Wer Führung beobachtet, setzt sie als Motivationshintergrund bestimmter Handlungen voraus. Sie ist eine zusammenfassende Beschreibung für unterschiedliche Handlungen, die halt irgendwohin »führen«. Man kann diese Verhaltensweisen registrieren, aber ihr Sinn wird hinzugefügt – er ist Zuschreibung. »Führung« ist mithin ein Konstrukt. Wie der Yeti, der rätselhafte Schneemensch: Alle sprechen darüber, aber noch niemand hat ihn je gesehen.
Lassen Sie uns festhalten: Wir sollten nicht um jeden Preis definieren wollen, was Führung ist. Es ginge uns leicht wie einem, der ein Echo zum Sprechen bringen will. Führung realisiert sich in ihren Auswirkungen. Man kann sie nicht sehen, sondern nur machen.
Für die Nicht-Sichtbarkeit von Führung gibt es drei Gründe.
Der erste Grund ist die Tatsache, dass gerne von Führung gesprochen wird, wenn sie zu fehlen scheint. Wenn sie vermisst wird, ähnlich wie Vertrauen, dann wird sie kenntlich: »Hier ist doch Führung gefordert«, heißt es dann, oder: »Das ist doch Chefsache!« Und wenn eine Organisation ein Problem hat, dann wird von »mangelnder Führung« gesprochen. In ihrer Nicht-Sichtbarkeit ähnelt Führung der Hausfrauenarbeit, die oft erst dann wertgeschätzt wird, wenn sie ungetan bleibt.
Die tiefere Bedeutung von etwas Wichtigem erfassen wir ohnehin erst, wenn wir zuvor nicht darauf achteten, es nun aber vermissen. Führung ist daher – so hätte es der Philosoph Martin Heidegger gesagt – in ihrer Anwesenheit abwesend. Ihre Erscheinungsweise ist ihr Nicht-Vorhandensein. Je mehr wir uns mit Führung beschäftigen, desto weniger scheinen wir davon zu haben. So wie viele Dinge nur vor dem Negativen sichtbar sind. Die Entdeckung der Raumfahrt war ja nicht der Weltraum, sondern die Erde, die bis dahin für ihre Bewohner immer unsichtbar war, nun aber sichtbar wurde wie eine bewohnbare Insel in einem Meer der Unbewohnbarkeit.
Der zweite Grund liegt in der Tatsache, dass es für Führung kaum ein Set festgelegter Verfahrensweisen gibt. Anders als in der Medizin oder bei der Tätigkeit eines Ingenieurs gibt es wenig kodifiziertes Wissen, wenig Regeln und eben keine Gesetzmäßigkeiten, die allgemeine Gültigkeit beanspruchen könnten. Deshalb kann bei der Führung auch jeder mitreden.
Der dritte Grund ist: Führung ist immer schon sozial eingebunden und konstituiert sich in der Begegnung mit anderen. Sie kann also ihre Identität nicht aus eigenen Mitteln gewinnen (etwa qua Anspruch, »natürlicher« Autorität, Positionsautorität oder Training), sondern bleibt auf die Bestätigung durch andere angewiesen. Das heißt: Führung, was immer Sie darunter verstehen, muss von anderen anerkannt werden, sonst existiert sie nicht. Diese Anerkennung ist abhängig von dem,
was überhaupt beobachtet werden kann,
was davon tatsächlich beobachtet wird,
wer da wen beobachtet und
welche Beziehung das Beobachtete zum Beobachter
hat.
Die Interpretationen können sehr weit auseinanderliegen. Der eine Beobachter kann eine Handlung für aktive Führung halten, was einem anderen eher als Passivität erscheint und einem dritten vielleicht gar nicht auffällt. Wie oben gesagt: Führung ist ein Echo Ihres Handelns – andere halten das, was Sie tun, für Führung. Für wieder andere rennen Sie bloß herum und bringen alle durcheinander.
Die Anerkennung von Führung hat in hierarchischen Systemen zwei Seiten: hierarchisch »oben« und »unten«. Und da kann »oben« etwas anderes beobachten als »unten«. Bleiben wir zunächst bei »hierarchisch oben«. Es gibt nachweislich etliche Menschen, die ausgeprägte Führungseigenschaften aufweisen, jedoch keine Führungskräfte geworden sind. Aus irgendeinem Grunde wurden sie übersehen, übergangen, passten nicht zur Linie, waren gerade nicht zur Stelle oder als Sachbearbeiter unabkömmlich. Stellt man also Ihnen die Frage »Warum wurden Sie Führungskraft?«, dann mögen Sie mit Recht auf Ihr Talent verweisen. Eine nüchterne Antwort könnte aber lauten: Weil Führung mit dem Finger auf Sie gezeigt hat! Weil eine hierarchisch höher gestellte Führungskraft Sie für fähig hielt. Das geht meist nicht sehr wissenschaftlich zu, auch oft nicht fair, schon gar nicht »objektiv« – aber das System will es so. Und eine bessere Alternative ist weit und breit nicht zu sehen. Führung ist mithin das, was Führung als Führung definiert.
Für Karriereorientierte ergibt sich daraus die Frage: Von wem werde ich beobachtet? Und in Bezug auf was?
Wenn nun »Hierarchisch oben« sagt: »Sie sind jetzt Führungskraft!« – sind Sie dann eine? Formal ja, etwa im Sinne eines verwaltungstechnisch »Vorgesetzten«, mit Orden und Ehrenzeichen, disziplinarischer Gewalt und meist höherem Gehalt. Und Führung wird ja oft vorrangig als Ausübung formaler Autorität verstanden. Aber formale Autorität ist als Machtquelle sehr begrenzt. Nicht, dass jemand offen opponiert. Das geschieht selten. Die formale (und damit angemaßte) Positionsautorität wird vielmehr leise von den Mitarbeitern ausgebremst. Sie lassen die Impulse ins Leere laufen, lassen Initiativen verebben. Und ein Stein im Sumpf wirft bekanntlich keine Ringe. Wenn Führung also etwas bewirken will, dann ist sie von der Zustimmung der Mitarbeiter abhängig.
Das hat der Philosoph Friedrich Hegel mit dem Gleichnis vom Herrn und Knecht in unvergängliche Form gegossen. Wir können die philosophische Grundproblematik hier beiseitelassen und uns nur für einen Aspekt interessieren: Wodurch wird der Herr zum Herrn? Dadurch, dass er vom Knecht anerkannt wird! Er ist auf die Anerkennung seiner Herrschaft durch den Knecht angewiesen – sein Status ist vom Knecht abgeleitet. Ohne Knecht ist er kein Herr. Der Mitarbeiter hingegen ist und bleibt Mitarbeiter auch ohne Führungskraft. Aber eine Führungskraft ohne Mitarbeiter gibt es nicht. Der Mitarbeiter ist die Bedingung ihrer Existenz.
Und wodurch wird der Knecht zum Knecht? Dadurch, dass er sich dem Herrn unterwirft. Der Herr ist nur Herr, indem der Knecht ihn als Herrn anerkennt; und der Knecht ist nur Knecht, weil der Herr ihn als Knecht anerkennt. Wir sind also in unseren Rollen, so Hegels Perspektive, wechselseitig abhängig von der Anerkennung durch andere. Das heißt: In jeder Führungsaufgabe sind wir auf das Mitsein-mit-anderen zwingend angewiesen. In gewissem Sinne lösen sich damit die Gegensätze zwischen Führen und Geführt-Werden auf. Im praktischen Leben ist es deshalb hilfreich, von wechselseitiger Abhängigkeit zu sprechen.
Nun ist Anerkennung ein nie abschließbarer, nie vollständiger Prozess. Um Anerkennung muss man täglich werben. Führung ist mithin ein Geschehen, das sich täglich ereignet und immer nur eine mögliche Beziehung zwischen Menschen beschreibt. Sie könnte auf die Anerkennung von unten natürlich verzichten – und es gibt ja auch nicht wenige Führungskräfte, die ihren Job lediglich deshalb behalten, weil sie von oben geschützt werden. Aber Sie werden als Führungskraft lächerlich, wenn Ihnen diese Anerkennung versagt wird. Wenn Sie glauben, Sie könnten führen, ohne dass Ihnen die Leute folgen.
Fassen wir zusammen. Es ist ein Paradox: Führung ist nicht direkt beobachtbar. Und doch machen Beobachter die Führung zur Führung. Indem sie sie anerkennen.
Dass Führung nur erkannt werden kann, wenn sie beobachtet wird, verweist schon darauf, dass zu kurz springt, wer sie aus sich selbst heraus erklären will. So wie Führung für ihre Anerkennung den Anderen braucht, wird sie auch in der Praxis nicht allein durch die individuelle Führungskraft geprägt, sondern auch durch das System, innerhalb dessen sie agiert – durch Institutionen.
Die ersten Führungskonzepte der Managementtheorie verbanden Führungserfolg eng mit Eigenschaften des Individuums. Bringt man es auf einen einfachen Nenner, dann galten charismatische Personen als natürliche Führer – männlich, versteht sich. Das Problem dieser Konzeptionen war, dass man hier kaum Gestaltungsspielraum hatte. Führung war »angeboren«. Man konnte es – oder man konnte es nicht.
Die nächste Theoriegeneration glaubte weniger an das »Angeborene«, vielmehr (im Zuge des Bildungsoptimismus der 60er Jahre) an die »Gestaltbarkeit«. Führung wurde nun als lernbar beschrieben. Man entwarf ein idealtypisches Führungsverhalten – gleichsam als Handwerk mit den entsprechenden Werkzeugkästen und für jedermann zugänglich, der nur lernen wollte. Man baute Video-Kameras auf, übte das »Mitarbeitergespräch« oder die »konstruktive Kritik« und polierte seine Instrumente: präsentieren, Sitzungen leiten, Arbeitsprozesse strukturieren.
Nun ist Führung sicher auch Handwerk. Aber schon das Führen eines Mitarbeitergesprächs, das den Ehrentitel des »Gesprächs« verdient, geht über das Handwerkliche hinaus. Man verstand daher Führung mit Blick auf Mitarbeiter zunehmend als Beziehungspflege: Das Menschliche wurde wichtiger als das Technische. Zudem wurde mehr und mehr anerkannt, dass Menschen unterschiedlich sind, dass Begriffe wie »Personal« oder gar »Belegschaft« diese Varianz nur ungenügend abbilden. Kurz: Nicht alle waren über einen Kamm zu scheren.
Aus dieser Erkenntnis entwickelte sich die Forderung des »situativen Führens«. Gemeint war damit die Fähigkeit der Führungskraft, das eigene Verhalten dem »Reifegrad« des konkreten Mitarbeiters anzupassen. Das war ein ambitionierter (wenn man kritisch sein will: überheblicher) Vorschlag, aber er war mit Blick auf die Mitarbeiter ungleich optimistischer als das Great-man-Denken der Vorgängergeneration. Im Kern aber war auch das »situative Führen« wenig mehr als das Vermeiden extremer Entmündigungsspitzen.
Das Problem all dieser Konzepte ist, dass Führung personalisiert wird – als einseitige, von einer Person ausgehende Einflussnahme. Führung ist danach Eigenschaft und Verhalten einer Person, eben der Führungskraft. Das heißt: Was sich als Effekt von Führung zeigt, wird einem Individuum zugerechnet. Die Führungskraft wird gedacht als aktiv-gebend-treibend, der Mitarbeiter als passiv-empfangend-angetrieben. In der Praxis hat sich dieses personenzentrische Konzept im Wesentlichen bis heute gehalten: Wer von Führung spricht, spricht im Regelfall von Führungskräften, von Menschen. Diese Individuen machen dann ihre Sache entweder gut oder schlecht.
Übergangen wird dabei zweierlei. Einerseits die Wechselwirksamkeit zwischen den Menschen. Das Verhalten eines Menschen ist ja nicht immer gleich, sondern wird von anderen Menschen in bestimmten Situationen beeinflusst. Die Interaktionen sind zirkulär, das heißt, man beeinflusst sich wechselseitig. Das bemerken Sie an sich selbst: In der Nähe mancher Menschen blühen Sie auf; in der Nähe anderer verkümmern Sie. Insofern griffen personenzentrische Konzepte schon immer zu kurz.
Zweitens, und weit wichtiger: Vollständig ausgeblendet blieb der institutionelle Rahmen eines Unternehmens, innerhalb dessen sich die Interaktionen vollziehen. Und dieser Rahmen prägt das Verhalten weit mehr, als die meisten Führungskonzeptionen anzuerkennen bereit waren. Führung »passiert« eben auch unpersönlich.
Die folgende Grafik fasst das bisher Gesagte zusammen:
Wenn wir über die Einflüsse nachdenken, die menschliches Führungsverhalten prägen, können wir mithin zwei Sichtweisen unterscheiden. Die eine personalisiert das Verhalten; sie fokussiert Charaktereigenschaften und Fähigkeiten von Einzelmenschen. Nach diesem Entwurf sollen Führungskräfte vor allem starke Persönlichkeiten sein. Verantwortungsbewusst sollen sie sein, visionär und emotional intelligent (was immer das sei). Das ist die Stunde der Psychologie. Sie favorisiert eine eigenschaftstheoretische Sichtweise, die auf »gute Leute« blickt, ihre Einstellungen, Fähigkeiten und Talente. Richtige und falsche Entscheidungen resultieren dann aus der Kompetenz des Individuums, seinem Können und seinem Versagen. Es ist ein heldenhaftes Managementkonzept im besten Sinne, eine heroische Art des Führens, der Hitzepol des Führungsdenkens. Er oder sie führt!
Fragt man dann, was das Handeln der einzelnen Führungskraft prägt, so stößt man auf einen bunten Strauß psychodynamischer Erklärungen, die sich lebensgeschichtlich verdichten und zur Führungspersönlichkeit summieren. Das individuelle Führungsverständnis entwickelt sich ja auch zweifellos über familiäre Erfahrungen, wie zum Beispiel der Vater und die Mutter »führten«, auch über Sporttrainer oder Lehrer. Später dann die Erfahrung mit dem ersten Chef, die oft ein ganzes Berufsleben lang die positive oder negative Blaupause für das eigene Führungshandeln bildet. Hinzu kommen kulturelle Prägungen, die zum Beispiel Führung in Europa und Asien an wichtigen Punkten unterscheiden.
Führung ist in diesem Entwurf ein »Von-innen-nach-außen-Handeln«. Und wenn Sie wissen wollen, warum Sie so handeln, wie Sie handeln, dann gehen Sie in die Innenschau. Und sollte jemand an Ihnen eine Führungsschwäche entdeckt haben, dann leuchten Sie tief hinein in Ihre persönliche Geschichte, um eine Stellschraube zu finden, mit der Sie dieses Defizit korrigieren können. So weit, so bekannt.
Eine andere Sichtweise bietet die Systemtheorie. Sie erinnert daran, dass wir Menschen nicht nur agieren, sondern auch reagieren. Wir treffen auf Vorhandenes und passen uns an. Die Systemtheorie beleuchtet daher nicht isolierte Individuen, sondern das, was »zwischen« ihnen stattfindet. Sie spekuliert nicht über das Innenleben des Menschen, sondern beobachtet das konkrete Verhalten. Deshalb fragt sie nicht »Warum?«, sondern nur »Was?«
Dieser Entwurf interessiert sich besonders für die Prägekraft von Institutionen. Er schaut zum Beispiel auf die Systemeigenschaften unserer Wirtschaftsordnung und der Unternehmensorganisation. Entsprechend ist das Verhalten eines Menschen weniger »von innen« heraus bestimmt, sondern »von außen« angeregt. So zum Beispiel durch die Strukturen eines Unternehmens, die ein bestimmtes Verhalten der Menschen wahrscheinlich oder unwahrscheinlich machen – denken Sie nur an Richtlinien oder Büro-Architekturen.
Auch Führungskräfte sind keine frei schwebenden Charaktere, sondern eingebunden in die strukturelle Verfasstheit eines Unternehmens. Zwar entscheiden sie zwischen verfügbaren Alternativen, aber die soziale Realität des Führens beinhaltet zahlreiche Vorentscheidungen