Reinhard K. Sprenger
Mythos Motivation
Wege aus der Sackgasse
Mit Karrikaturen von Thomas Plaßmann
Campus Verlag Frankfurt/New York
Über das Buch
Ob Lob, Prämien oder Incentives – alles, was in Unternehmen zur Mitarbeiter-Motivation praktiziert wird, ist kontraproduktiv und hat negative Folgen. In diesem aktualisierten und erweiterten Klassiker der Managementliteratur zerlegt Reinhard K. Sprenger die weitverbreiteten Anreizsysteme in unseren Unternehmen und deckt ihre fatalen Konsequenzen auf. Er zeigt, welche Alternativen es gibt und wie Sie die Leistungsfreude Ihrer Mitarbeiter wirklich entfesseln.
»Deutschlands einziger Management-Guru, der diesen Titel wirklich verdient.« – Financial Times Deutschland
»Deutschlands Management-Autor Nr. 1« – Handelsblatt
Über den Autor
Dr. Reinhard K. Sprenger, promovierter Philosoph, gilt als der profilierteste Managementberater und Führungsexperte Deutschlands. Darüber hinaus ist er als kritischer Denker, der nachdrücklich zu neuem Denken und neuem Handeln auffordert, und als Autor bekannt. Mit seinen mittlerweile zu Klassikern avancierten Büchern Mythos Motivation, Das Prinzip Selbstverantwortung, Vertrauen führt und Radikal führen veränderte er die Managementwelt.
Inhalt
Vorwort zur Neuausgabe 2014
Vorwort zur erweiterten Ausgabe
Vorwort
Einleitung
Erster Teil: Sichtungen
Der Impuls aus der Praxis
Der Sprachnebel der »Motivation«
Die freizeitorientierte Schonhaltung
Der kurze Hebel der Motivierung
Verdacht als Unternehmenskultur
Grammatik der Ver-Führung
Zweiter Teil: Entlarvungen
Sisyphos: Belohnen und Bestechen
Loben als Herrschaftszynismus
Bonussysteme als Nullsummenspiele
Doping
Ideen bringen Geld. Bringt Geld auch Ideen?
Passivität als Führungskonzept
Revue der Abwertung
Gegen-Reden
Dritter Teil: Führungen
A. Fordern statt verführen
Exkurs: Dialogisch führen
B. Demotivation vermeiden
Beziehungskisten
Nicht-Zutrauen
Unterfordern der Leistungsfähigkeit
Zerteilung der Arbeit
Mangelnder Freiraum als fehlende Leistungsmöglichkeit
C. Epilog: Versuch über Selbstachtung
Von der Finanzkrise als Krise des Machbaren
Umrisse eines verführungsfreien Entgeltmanagements
Literatur
Register
Vorwort zur Neuausgabe 2014
Aktueller könnte ein Buch kaum sein. Schon gar nicht eines, das vor 25 Jahren geschrieben wurde. Mittlerweile regen sich vielerorts Zweifel, ob das Lenken, Steuern und Anreizen, das unser gesamtes gesellschaftliches Leben erfasst hat, eine kluge Entwicklung ist. Denn das, was von der Wissenschaft unter dem Begriff »moral hazard« breit erforscht und bestätigt wurde, korrumpiert sichtbar jeden aufrechten Gang, jede Bürgerwürde, jede Vertrauensbeziehung. Vor allem aber jede als sinnvoll erlebte, intrinsisch motivierte und nachhaltig engagierte Arbeit.
Reinhard K. Sprenger, Zürich 2014|7||8|
Vorwort zur erweiterten Ausgabe
Im Nachhinein weiß man immer besser, was man vorher hätte wissen sollen. Diejenigen, die sagen, sie hätten schon vor 2008 die Finanz- und Wirtschaftskrise kommen sehen, sind daher wahrscheinlich eher eitel als weitsichtig. Aber dieses Buch kann für sich in Anspruch nehmen, vor mehr als zwanzig Jahren die zentralen Fragen gestellt zu haben: Kann man Motivation kaufen? Sind Menschen steuerbar – und wenn ja, wie? Welche Folgen haben Anreize? Was sind die Spät- und Nebenfolgen der Bonussysteme? In Politik und Wirtschaft hätte man wissen können: Anreize unterlaufen die menschliche Freiheit – und das macht niemand straflos.
Meine Kritik an den Anreizsystemen schien schon damals – ich betone: schien – eine verspätete Position. Ein Rückzugsgefecht, das die Eigenschaft hat, ähnlich der »guten Sache« verloren zu sein. Es war daher nicht zu erwarten, dass der Weltlauf das Thema erneut auf die Tagesordnung setzte.
Ursprünglich wollte ich die Krise nutzen, um meine Bemerkungen zum Entgeltmanagement zu aktualisieren, die ich schon der 14. Auflage beigefügt hatte. Es ging mir darum, ihren Gebrauchswert zu erhöhen und im Licht der erneuten Diskussion um Managergehälter noch klarer zu akzentuieren. Während der Arbeit daran verspürte ich den Wunsch, beide Themenkomplexe – Krise und Entgeltpolitik – in einen philosophischen und geschichtlichen Zusammenhang zu setzen. Sie finden all das in den beiden Kapiteln am Schluss dieses Buches. Für den Rest des Buches sah ich keine Veranlassung, etwas am Text zu ändern. An |9|den Tatsachen ändert sich nichts, auch wenn der Sprachgebrauch sich ändert.
Ich hege keine Hoffnung, schon gar nicht erwarte ich, dass sich die im Folgenden dargestellten Erkenntnisse nunmehr auf breiter Basis durchsetzen. Aber vielleicht kann doch die eine oder andere Führungskraft für sich und ihre Mitarbeiter daraus etwas Gutes und Praktisches entstehen lassen.
Reinhard K. Sprenger, Zürich 2010|10|
Vorwort
Anfangen. Das ist das Schicksal des Individuums. Immer neu anfangen. Wir sind in die Freiheit der Selbstbestimmung entlassen, müssen unseren eigenen Weg durch das Dickicht der Ziele, Interessen und Meinungen finden. Dem wohnt, wie schon der Dichter wusste, ein Zauber inne. Der einer Schwindelei. Denn wer könnte wirklich von vorn beginnen? Schon wer anfängt zu schreiben, antwortet bereits auf etwas, das ihm vorangegangen ist, auf irgendeine Störung, ein Ereignis, das ihn wie eine Frage bedrängt.
Für Mythos Motivation war es wohl die Lesefrucht aus einem alten Pädagogikbuch, das mir nach Jahren zufällig wieder in die Hände fiel. »Ich glaube nicht, dass man Schüler motivieren kann«, stand da. Ich (war wirklich ich das gewesen?) hatte den Satz mit dünner Linie unterstrichen – und dann offenbar vergessen. Nicht ganz: Keine einzige Motivationstheorie, durch die ich mich während des Studiums arbeitete, konnte mich vollends überzeugen. Sie schienen mir eben – zu »theoretisch«. Später dann, während meiner Referendarzeit an der Schule, lernte ich »Motivationsphasen« und den »motivierenden Einstieg« kennen, der jedem Unterrichtsentwurf voranzustellen war. Als Lehrer sollte man sich wohl eine Pappnase aufsetzen, vor die Klasse springen, ein begeisterndes »… und heute: Die Weimarer Reichsverfassung von 1919!« ausrufen, woraufhin die zuvor träge dahinlümmelnden Schüler elektrisiert auf die Tische springen, sich vor die Brust schlagen und leuchtenden Auges »Captain, my Captain!« skandieren. Na ja, so ähnlich jedenfalls. Auf meine skeptische Bemerkung, ob man das nicht einfach lassen könnte, es hieße ja nicht, dass man |11|einen langweiligen Unterricht machen müsse, antwortete meine Fachleiterin trocken: »Das denke ich schon seit 30 Jahren.«
Im Unternehmen schließlich wurde ich Zeuge der facettenreichen Versuche, Mitarbeiter zur Leistung anzuspornen, zu schieben oder sonstwie bei Laune zu halten. Zunächst im Außendienst. Unausgesprochen erwarteten offenbar viele Mitarbeiter von mir, dass ich etwas tue, damit sie motiviert sind. Später dann als Seminarleiter, der sich nachhaltig mit der Frage der Manager konfrontiert sah: »Was muss ich tun, um meine Leute zu motivieren?« Ich unterdrückte die Gegenfrage: »Was haben Sie denn getan, um sie zu de-motivieren?« Bald stellte ich fest, dass es vornehmlich die schwachen Führungskräfte waren, die nach immer neuen Motivierungsrezepten fragten – jene, die weder führen wollten noch führen konnten.
In jener Zeit entstand dieses Buch. Als es 1991 erschien, hatte ich keineswegs das Gefühl, ein besonders aktuelles Thema aufzugreifen. Ich war einfach nur zornig über die Motivationslegenden und die zweifelhaften Versuche, Mitarbeiterleistung durch äußere Anreize zu steigern. Heute, mehr als 15 Jahre danach, hat das Thema nichts von seiner Aktualität eingebüßt, ja, es hat noch an herausfordernder Frische gewonnen. Denn insgesamt gibt es in dieser Angelegenheit mehr Rückschritt als Fortschritt: »Leistungsentlohnung« – sogar für öffentliche Verwaltungen, Krankenhäuser, Schulen – wird kaum mehr infrage gestellt; »erfolgsabhängige Vergütungskonzepte« werden von den fliegenden Händlern der Beratungsindustrie an allen Ecken angeboten; »Motivation als Managementaufgabe« ist ein Gemeinplatz. Insofern hat der Erfolg des Buches Symptomcharakter. Er ist Ausdruck einer ernsten Problemlage. Der dunkle Horizont, vor dem solche Gedanken Aufmerksamkeit erregen, ist jedenfalls nicht selbst gemalt.
Die Neuauflage fällt daher in eine Zeit, da die Frage nach den motivationalen Grundlagen von Leistung mit besonderem Nachdruck gestellt wird. Die konstante Nachfrage zeigt, dass das Buch von vielen als »notwendig« erlebt wird. Es ist ein Klassiker geworden. Es von zu sehr Zeitbedingtem zu befreien schien mir daher angebracht. Allerdings habe ich die Grundstruktur beibehalten, so wie sie mir damals aus der Feder floss. Erhalten blieb dadurch |12|auch die beispielhaft-erzählende, nicht streng systematische Darstellungsweise. Einige Wucherungen habe ich zurückgeschnitten, einige Bemerkungen (zum Beispiel zu Aktienoptionen) eingeflochten, die Literaturliste ergänzt. Selbst da, wo ich heute entschiedener formulieren würde, beließ ich es bei der alten Fassung.
Inhaltlich besteht ohnehin kein Grund, von der Analyse abzurücken. Im Gegenteil: Die neuere Motivationsforschung hat – soweit ich sehe – meine Analyse nahezu vollständig bestätigt (vgl. Frey/Osterloh 2000). Der Harvard-Professor Alfie Kohn schreibt: »Es gibt keine Studie weltweit, die eine dauerhafte Leistungssteigerung durch Anreizsysteme nachgewiesen hätte.« Mehr noch als zur Zeit der Niederschrift des Textes bin ich heute von einer negativen Beziehung zwischen extrinsischen (geldorientierten) Anreizen und intrinsisch motivierter Leistung überzeugt: Die Motivierung zerstört die Motivation. Und unter der Flagge der »leistungsorientierten Bezahlung« wird lediglich an Symptomen kuriert. Dabei ist man blind für die Spät- und Nebenfolgen, die dann andere oder gar wir alle als Gesellschaft ausbaden dürfen. Die Reparaturintelligenz inszeniert hier den aktionistischen Schein, um das eigentliche Problem nicht lösen zu müssen: passive und inkonsequente Führung.
Dass sich große Teile des Managements harthörig weigern, diese Zusammenhänge zur Kenntnis zu nehmen, illustriert einmal mehr die Tatsache, dass Unternehmen vieles sind, keinesfalls aber Veranstaltungen betriebswirtschaftlicher Rationalität.
Mythos Motivation ist zu wesentlichen Teilen ein Praxisbericht. Er entstand gleichsam auf den Beifahrersitzen »meiner« Außendienst-Mitarbeiter, Notizblock und Zettel auf den Knien, von einem Kunden zum anderen fahrend. Er wurde ergänzt durch meine Erfahrungen als Seminarleiter, als Zeit- und Leidensgenosse meiner Managerkollegen, als Vater zweier Kinder sowie als selbst Motivierungsgeschädigter, der durch so manches Gewitter der Fremdsteuerung gegangen ist … weshalb, wie manche Rezensenten bemerkten, er sich auch als Beitrag zu einer »Philosophie der Lebenskunst« lesen lässt. Als Buch aus der Praxis für die Praxis geht die Argumentation dabei Umwege über die Theorie, ohne theoretisieren zu wollen. Wenn Bertrand Russells Diktum gilt, |13|dass eine Kombination von Verständlichkeit und Genauigkeit unmöglich sei, habe ich mich (hoffentlich!) für die Verständlichkeit entschieden. An einigen Stellen ist es auch ein polemisches Buch, eine Streit-Schrift im besten Sinne. Auch dem Gelächter zu seinem Recht zu verhelfen schien mir bisweilen die passende Antwort auf die Absurdität des Vorgefundenen.
Aus der Fülle der Besprechungen will ich einen Kritikpunkt aufgreifen: Es würde nicht hinreichend dargestellt, wie man mit dem Thema Motivation »richtig« umgehen solle. In der Tat: In den ersten beiden Teilen des Buches überwiegen die kritischen, wenn man so will: die »schlechten« Nachrichten. Ich räume ein, dass ich dabei zu sehr der positiven Kraft des negativen Denkens vertraut habe. Etwas zu unterlassen schien mir oft aussagekräftiger, als etwas hinzuzufügen. Zudem ist es mir offenbar nicht gelungen, das letzte Buchdrittel als »gute Nachrichten« gebührend zur Geltung zu bringen. Zu dominant ist in der Wahrnehmung vieler Leser wohl der kritische Impuls der ersten beiden Buchteile. Daher an dieser Stelle abermals: Der Teil »Führungen« ist meine Antwort auf die Frage: »Wie denn besser?« Wer dies vertiefen möchte, dem seien meine Bücher Das Prinzip Selbstverantwortung und Aufstand des Individuums empfohlen.|14|
Einleitung
Die Mineralölfirmen »Super« und »Hyper« veranstalten alljährlich nach dem Vorbild der Universitäten Oxford und Cambridge einen Ruderwettkampf im Achter. In den letzten Jahren hat das »Super«-Boot immer verloren. Die Geschäftsleitung von »Super« beschließt daraufhin, die Videoaufzeichnungen des letzten Rennens zu analysieren: Im »Hyper«-Boot erkennt man acht Ruderer und einen Steuermann. Zum allgemeinen Erstaunen sieht man im »Super«-Boot aber acht Steuermänner und nur einen Ruderer. »Was können wir da machen?«, fragt der Geschäftsführer den Personalleiter. Darauf dieser: »Motivieren! Den Mann besser motivieren!«
Diese Geschichte ist mittlerweile weit verbreitet und variiert worden. Sie verweist auf etwas, was offensichtlich viele Mitarbeiter in unseren Unternehmen ähnlich empfinden. Wie in einem Brennspiegel konzentriert sie auch vieles von dem, was in diesem Buch entwickelt und begründet werden soll.
Ich möchte zeigen, dass der uns allen vertraute Pfad der Mitarbeiter-Motivierung ein Holzweg ist. Ich möchte zeigen, dass die »Motivation« genannte Antreiber-Praxis, so schlau und verdeckt sie sich auch gebärden mag, nicht funktioniert. »Nicht funktioniert« meint: Sie ist von vielen kontraproduktiven Nebenwirkungen und Spätfolgen begleitet, die den angestrebten leistungssteigernden Effekt aufheben.
Ich werde die These entfalten, dass der Motivierende einem Unternehmer gleicht, der wie gebannt auf das Steigen der Umsatzkurve starrt, die Kostenentwicklung aber keines Blickes würdigt. |15|Ich betrachte dabei jene Konsequenzen, die eine vordergründig »erfolgreiche« Motivierung für nachfolgende Handlungen hat: diejenigen psychosozialen Begleiterscheinungen, vor denen die Motivierungsenthusiasten die Augen verschließen. Ich werde zeigen, dass die Motivierung verhaltensökologische Zusammenhänge ignoriert und die innere Motivation des Einzelnen nachhaltig stört; dass der übliche Verdacht mangelnder oder zu steigernder Leistungsbereitschaft weitreichende Folgen hat. Kurz, meine These ist:
Alles Motivieren ist Demotivieren.
Erhebliche Energien werden so in Führungstechniken und Motivierungssysteme investiert, die in der Summe dem Unternehmen eher schaden als nützen. Zudem liefert die Motivierung ein Verhaltensmodell, aufgrund dessen nicht mehr gefordert, sondern nur noch verwöhnt wird und das die gesamte Organisationskultur vergiftet: In ihr wird alles Führen zum Ver-Führen.
Das ist ein Urteil auf Bewährung. Sind doch die Psychologen, Pädagogen, Verhaltensforscher und Organisationstheoretiker, die sich mit der Analyse menschlicher Motivation und ihrem Einfluss auf die Entstehung von Leistung beschäftigt haben, Legion; ist es doch unbestreitbar, dass Mitarbeiter über Anreizsysteme zu dem erwünschten Handeln »bewegt« werden können; boomt doch die Incentive-Branche; haben doch variable Vergütungen zur »Steigerung der Leistungsmotivation« heute längst auf allen Führungsebenen Konjunktur.
Wer zu neuen Ufern will, der muss zunächst aus dem altvertrauten Milieu, dem Spiegelkabinett der Motivierung, gedanklich ausbrechen. Denn hier verstellen uns unsere eigenen Systeme auf Schritt und Tritt den Weg. Wir begegnen nur noch dem, was unsere Systemplaner ausschwitzen und uns Anpassungszwänge auftürmt. Bahnen wir aber einen Weg in die Tiefe der Motivierungslogik, so müssen wir ohne Sicherheitsleine denken. Dazu möchte ich einladen.
Ich werde dabei weniger – wie das viele meiner amerikanischen |16|Kollegen bevorzugen – eine Kette anekdotischer Nachweise für die Stichhaltigkeit meiner Überlegungen vortragen. Auf diese Weise kämen wir dem Problemfeld nur mäßig nahe. Es geht in diesem Buch auch nicht um Techniken, wie man denn Mitarbeiter auf die »richtige« Weise motiviert. Keine behenden Antworten auf die Frage: »Wie schaffe ich es, dass der Mitarbeiter etwas tut, was er aus sich heraus nicht tun will?« Denn alle Führungstechnik bleibt auf der instrumentellen Ebene und wird eben als »Technik« schnell durchschaut und konterkariert.
Es geht hier vielmehr um die innere Einstellung, die den Instrumenten Sinn unterlegt und für die die Motivierungstechniken nur beobachtbare Verhaltensmuster auf der Erscheinungsebene sind. Aber ebenso wenig, wie man Führen lernen kann, wenn man es auf Tricks reduziert und dabei die alles tragende Voraussetzung, nämlich die Einstellungen, Werthaltungen, Prägungen, kurzum die Persönlichkeit der Führungskraft unberücksichtigt lässt, ebenso wenig kann man die Mechanik der Motivierung verstehen, wenn man nur auf die Instrumentenebene blickt.
Zu streiten ist mithin über die Funktionstüchtigkeit von Anreizsystemen. Zu streiten ist über die dahinter stehenden Grundannahmen der Motivierung. Zu streiten ist über die psychosozialen Nebenprodukte der un-heimlichen Verführungskünste vieler Ver-Führungskräfte. Zu streiten ist – mehr noch! – über Demotivation.
Dabei geht es in diesem Buch nicht um eine moralisch unterfütterte »Humanisierung der Arbeitswelt«. Nicht, dass nicht auch von ihr zu reden wäre. Es geht aber zunächst um Produktivität, Rentabilität, Fluktuationsraten, physische und psychische An- und Abwesenheit am Arbeitsplatz, Qualität und Quantität der Leistung, um spontanes und kreatives Verhalten jenseits der Rollenerwartung. Es geht letztlich um Profit.
Dazu muss jedoch auch von Menschenbildern die Rede sein, obwohl dies mit dem Risiko verbunden ist, dass alles Weitere dadurch in ein zweifelhaftes Licht gerückt wird.
Ich habe mir beim Schreiben Leser gewünscht, die den kalten Hauch des Nicht-Ernstnehmens, der Manipulation und der verdeckten Abwertung empfinden, wenn sie »motiviert« werden; |17|ihnen könnte das Buch etwas sagen. Es soll aber auch jene Menschen in den Unternehmen erreichen, die sich für das Verwirklichen eines anderen Menschenbildes entscheiden, vielleicht in der eher erfühlten als gesicherten Erkenntnis, dass die Welt unseren Willensakten dient. Nicht umgekehrt.|18|
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Der Impuls aus der Praxis
»Motivation« ist ein Schlagstock im unternehmensinternen Handgemenge: »Sie haben wohl Ihre Leute nicht richtig motiviert!?« Frage? Aussage? Jedenfalls ein treffsicherer Knüppel aus dem Sack des Manager-Angstmachens. Da der Begriff Motivation in den Augen nahezu sämtlicher Führungskräfte einen positiven Beiklang hat, ist dabei immer wieder zu beobachten, wie er mit leichter Hand zur Diffamierung von Führungsverhalten eingesetzt wird (ohne dass der Bezug gerechtfertigt wäre, wie wir noch sehen werden). Entsprechend gebetsmühlenartig wiederholt wird die Frage: »Wie motiviere ich meine Leute?« Aber die Verantwortung für die Motivation der Mitarbeiter, gerade erst freiwillig, unter Druck oder qua Rollenkonzept übernommen, wird möglichst schnell wieder wegdelegiert.
Zum Beispiel ans Training: »Nun motivieren Sie meine Leute mal so richtig!« waren die Worte, mit denen mir ein Verkaufsleiter seine Außendienst-Mannschaft überließ. Das irritierte: Ein Training sollte leisten, was er im Kontakt mit seinen Mitarbeitern nicht bewerkstelligte? Und einigermaßen verzweifelt klingt mir immer noch das Lamento einer Führungskraft auf einem Managementsymposium in den Ohren: »Wie sollen wir unsere Mitarbeiter motivieren, wenn unsere Motivation selbst täglich von oben zerstört wird?« Kein Zweifel: Führungskräfte fühlen sich für die Motivation ihrer Mitarbeiter verantwortlich (das sind sie in gewisser Weise auch, aber nicht so, wie es Unmengen goldener Regeln glauben machen wollen) und stehen dieser Aufgabe aus guten, noch näher zu bestimmenden Gründen oft hilflos gegenüber.|21|
Zu den Anstößen aus der Praxis, die mich das Thema Motivation aufgreifen ließen, gehört auch das grassierende Pay-for-Performance- und Incentive-Fieber, das in Gestalt von Boni und Aktienoptionsplänen längst auch in den Topetagen selbstverständlich geworden ist. Gerade durch Gespräche mit Führungskräften dieser Bereiche wurde mir klar, dass die Infizierung aller Initiative mit der Hoffnung auf Extra-Cash zu einer ganzen Kette paradoxer Begleiterscheinungen führt, die mich sehr bald an der Weisheit der Systeme zweifeln ließen: Das Klima zwischen Kollegen verspanne sich, Individual-Boni verunmöglichten kooperatives Handeln, der Abteilungsegoismus werde in bisher nicht gekanntem Maße angestachelt (»Abteilung« kommt von »abteilen«!). Mit kaum verhohlener Ironie erzählte mir ein Bereichsleiter eines bedeutenden Chemiekonzerns von der Regelpraxis in seinem Unternehmen, Prämien auf längst erbrachte Leistungen und Projekte zu vereinbaren: easy money – oft gerade für jene Manager, die der leistungssteigernden Wirkung von Anreizen aller Art vehement das Wort reden.
Auf der Führungsebene kommen zwei weitere Beobachtungen |22|hinzu: Vor allem die schwächeren Führungskräfte interessieren sich für die Tipps und Kniffe der Mitarbeiter-Motivierung, die erfolgreicheren hingegen verhalten sich anders: Sie motivieren nicht! Sie stehen Anreizsystemen eher mit Skepsis gegenüber und sind bar jeden Antreiber-Verhaltens.
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Der Außendienst, aus vielen traditionellen Gründen Dauer(versuchs)objekt der Motivierungs-Klempner, erscheint mir oft ähnlich distanziert. Auf meinen Reisen mit Außendienst-Mitarbeitern wurde mir immer wieder hinter vorgehaltener Hand die verdeckte Wirkungslosigkeit der Bonussystematik erklärt: Bonuspläne würden so verhandelt, dass mit ihnen »kein Schlag mehr« als notwendig zu leisten sei. Ganze Trickkisten zur Umgehung der Pläne öffneten sich dem staunenden Auge. Zynismus war das verbreitete Hilfsmittel gegen den nur allzu oft de-motivierenden Effekt so genannter Rennlisten. Man hat mit der Motivierung leben gelernt, sich ihr angepasst. Wenn das Gespräch auf sie kam, war leise Verachtung unüberhörbar.
Nicht Widerspruch gegen eine theoretische Position, sondern praktische Erfahrung bestimmte meine Neugier. Es musste eine Erklärung für diese paradoxen Phänomene geben, wo doch große Teile der Industrie nach den Denkschemata der Motivationstheorien organisiert sind. In Interviews, Mitreisen, Beobachtungen und Mitarbeiterbefragungen bin ich diesen Widersprüchen nachgegangen. Mir ist klar geworden, dass »Motivieren« nichts anderes meint als die fünf großen »B«: Belohnen, Belobigen, Bestechen, Bedrohen, Bestrafen. Mir ist klar geworden, dass »Führen« unter der kalten Sonne der Anreizsysteme immer »Ver-Führen« ist. Und es wurde für mich unabweisbar, dass jede Motivierung mit mechanischer Sicherheit ihr eigenes Gegenteil erschafft: Demotivation.
Was zu zeigen sein wird.|23|
Der Sprachnebel der »Motivation«
»Motivieren – aber richtig!« – »Erfolgreich motivieren« – »Motivationshilfen für die Praxis«, so lauten die Titel einiger Meter Aufrüstungsliteratur, die zum Thema Mitarbeitermotivation erschienen sind. »Erfahrung in der Motivation von Mitarbeitern« ist eine der meistgeforderten Qualifikationen in Stellenanzeigen für Führungskräfte.
»Motivieren können« gehört damit zweifellos zu den vorrangigen Managementfähigkeiten. Kaum ein Training, in dem lerntheoretische oder psychologische Motivationstheorien nicht im Mittelpunkt stehen; kaum eine Führungslehre, kaum ein Aufsatz über Führung, in dem nicht ein Kapitel dem »leistungssteigernden Antreiberverhalten« der Vorgesetzten gewidmet ist. Arbeit am Mythos.
Leistungssteigerung – das ist das Ziel der Anstrengung. Es setzt voraus, dass da etwas zu steigern ist und dass es sinnvoll ist, dies zu tun. Das treibt mitunter skurrile Blüten: »Trance-Motivations-Cassetten« eines Münchener Anbieters versprechen dem Anwender, durch »gezielte Motivation des Unterbewusstseins seine gesteckten Ziele … zu erreichen«. Je nach Bedarf: »Befreiung von Schuldgefühlen«, »Schluss mit dem Haarausfall«, »Ich werde geliebt«. Seither flattern die Haare, rauschen die Liebesschwüre auf den Chefetagen …
Synonym für Führung
»Motivation« ist heute ein Schlüsselwort, geradezu ein Synonym für »Führung«. Zugrunde liegt die Vorstellung von etwas latent |24|Vorhandenem, der Motivation nämlich, die unausgeschöpft vor sich hin dümpelt, bis sie durch geeignete Intervention (Führung) »angefacht« wird, um alsdann wieder in die Latenzphase abzusinken, weil der Mensch halt zur Trägheit neige.
»Motivieren« hat daher etwa diesen Bedeutungsumfang:
Jemanden mit Motiven ausstatten, die dieser vorher nicht hatte.
Jemanden bei seinen Motiven »abholen« und Möglichkeiten zu ihrer Realisierung bieten.
Verhaltensweisen mit subjektiver Bedeutung/Wichtigkeit aufladen.
Begeisterung entfachen.
Anreizen.
Motivation – Motivierung
Mit dem Wort »motivation« können Amerikaner etwas anfangen; die Eindeutschung ist unscharf: Gemeint sind die Beweggründe als eine Antwort auf das »Warum« des Verhaltens. »Wie auch immer Motivation definiert werden mag, ihr Studium betrifft die Begründung menschlichen Verhaltens, meint immer dasjenige in und um uns, was uns dazu bringt, treibt, bewegt, uns so und nicht anders zu verhalten.« So ein Handbuch-Artikel. In diesem Sinne geht das Nachdenken sogar zurück auf eines der frühesten Dokumente der Motivationsforschung: die Bibel.
Heutige Organisationspsychologen und Verhaltensforscher fragen: »Warum wählt ein Mitarbeiter diese Firma und nicht vielmehr jene?« – »Warum ist er engagiert bei dieser, weniger bei jener Arbeit?« – »Warum strengt sich Herr Meier nicht mehr an, obwohl doch eine so attraktive Incentive-Tour auf ihn wartet?«
Genau hier springt die Katze kreischend aus dem Sack: Während die Motivationspsychologen im »Warum« herumstochern, fragen die Manager händeringend nach dem »Wie«. »Wie bekomme ich die maximale Arbeitsleistung meiner Mitarbeiter?« – »Wie kann ich der inneren Kündigung vorbeugen?« – »Wie motiviere ich meine Leute dazu, Überstunden zu machen?«
Das Interesse des Managers ist also nicht, warum etwas passiert, sondern wie Verhalten zu beeinflussen ist. Dass er dafür in Zeiten unterschiedlicher Motivationslagen auch in die Niederungen des »Warum« einsteigen muss, um dort, am Individuum anknüpfend, umso wirkungsvoller die Leistung des Mitarbeiters zu steigern, verkompliziert die Sache. Die intensive Nachfrage nach Trainingsangeboten der Marke »How to« ist das Resultat.
Die Suche nach Erfolgsrezepten aber muss scheitern: Sie sind viel zu starr für eine sich permanent wandelnde Umwelt. Sie ignorieren die wesentliche Voraussetzung: die individuelle Persönlichkeit der Führungskraft. Sie ermöglichen lediglich Zugewinn an Verbalmacht, der von den Seminarteilnehmern allerdings als hilfreich begrüßt wird. Und sie blenden – last, but not least – alle Spätfolgen der »erfolgreichen« Motivierung aus.
Unter Motivation wird also auch das Erzeugen, Erhalten und Steigern der Verhaltensbereitschaft durch den Vorgesetzten beziehungsweise durch Anreize verstanden. Hier wird Leistung erbracht, weil der Mitarbeiter von außen (extrinsisch) angereizt, schlicht bezahlt wird. Für diese Fremdsteuerung verwende ich den Terminus »Motivierung« in deutlicher Abgrenzung von der Eigen|26|steuerung des Individuums. Ich nutze dabei die Möglichkeiten der deutschen Grammatik, die bei Verbalsubstantiven mit dem Suffix »-ung« den Ablauf eines Geschehens kennzeichnet (Isolierung, Zivilisierung), hingegen mit dem Suffix »-(t)ion« eher zustandsbeschreibende Verbalabstrakta (Isolation, Zivilisation) bildet.
Motivation verhält sich also zur Motivierung wie das Warum zum Wie. Beide sind voneinander abhängig und können daher nicht getrennt betrachtet werden. Ich habe wenig Hoffnung, dass sich die sprachliche Unterscheidung durchsetzt. Für das Folgende aber ist sie unverzichtbar.
Einflüsterungen
»Motivation« – ein sprachlicher Faltenwurf, der die Nähe eines Gedankens ahnen lässt, ohne ihn zu offenbaren. Ich habe früh gespürt, dass er Peinlichkeiten überspielen soll.
Ebenso schamhaft wie bezeichnend nämlich verschleiert die Verwendung des Wortes den Problemkern: Die übliche Sprachverwendung bindet die Einstellungsweise des Geführten schlankweg mit dem absichtsvollen Handeln des Führenden (als dessen Ergebnis die Motivation ja erst entstehen soll) zusammen. Ziel und Weg fallen in eins.
Eine ungenaue oder doppeldeutige Verwendung eines Begriffs bietet dem Missbrauch keinen Widerstand. Aber die verächtliche Weigerung, ihn zu präzisieren, wie man sie in der Managementliteratur antrifft, leistet dem Missbrauch nicht nur weiteren Vorschub, sondern hat System, weiß sich mindestens guter Gründe sicher. Einer dieser Gründe zielt auf das klassische Vorbild der ewig erfolgreichen Führungskraft. So wie die Tätigkeit der motivierenden, nach vorne treibenden Führungskraft unvermittelt mit der Einstellung des Mitarbeiters zusammengebunden wird, flüstert dieses Denken die Zielerreichung als nie gefährdete Selbstverständlichkeit ein: »Der Vorgesetzte muss nur etwas Motivierendes tun, dann stellt sich zwangsläufig die Motivation des Mitarbeiters ein.« Transportiert wird so die Zielerreichungskompetenz der exzellenten Führungskraft, die zwar im Übrigen Mittel und Wege |27|findet, ihnen aber jeden Eigenwert abspricht. In diesem Denken gleicht die Führungskraft dem Metzger, der schon Würste sieht, wo noch Schweine laufen.
Der übliche Sprachgebrauch vermittelt darüber hinaus: »Ihr seid als Führungskräfte verantwortlich für die Motivation eurer Mitarbeiter!« Dies entspricht wiederum dem allseits favorisierten Bild des »machenden« Managers (und nicht etwa dem des »denkenden«). Gefordert ist ein Manager, der das Beste aus seinen Mitarbeitern »herausholt« und dadurch – so die Vorstellung – positive Ergebnisse für sein Unternehmen erzielt.
Jetzt wird klar, warum der Manager etwaige Schuldgefühle bei demotivierten Mitarbeitern empfindet: Er hat dann wohl zu wenig oder nicht das Richtige »gemacht«. Die Führungskraft wird aber immer scheitern, wenn sie blind ist für den Doppelcharakter der Motivation; wenn sie nicht sieht, dass der Unterschied zwischen Eigen- und Fremdsteuerung durch den Sprachnebel der Motivation verschleiert wird.
Es ist also deutlich zu unterscheiden zwischen der
»Motivation«, die die Eigensteuerung des Individuums bezeichnet und daher diesem ganz allein eignet, ganz allein gehört, und der
»Motivierung«, als absichtsvollem Handeln eines Vorgesetzten oder Funktionieren von Anreizsystemen, die mithin notwendig als Fremdsteuerung auszuweisen ist.
Motivierung – Manipulation
Die Managementliteratur meidet das konsequente Wort »Motivierung« wie der Teufel das Weihwasser. Ist das Absichtsvolle hier vergleichsweise unverdeckt und damit die Nähe zur Fremdsteuerung, zur Manipulation, zu offensichtlich?
Ja, Manipulation. Motivierung ist und bleibt Fremdsteuerung, wie man es auch dreht und wendet, bleibt Manipulation (lat. für: mit der Hand ziehen). Der kontrollierende Aspekt ist überdeutlich. Auch dann, wenn man sich in methodisches Drumherumre|28|den flüchtet. Damit ist über deren moralische Wertigkeit zunächst noch überhaupt nichts ausgesagt.
Manipulation ist die mehr oder weniger heimlich (aber nicht notwendig zum Schaden des Betroffenen) erfolgte Verhaltensbeeinflussung. Mit Kunstgriffen bewegt der Manipulator andere zur Leistung, ohne direkten Widerspruch zu erregen. Er gibt bewusst veränderte, zugespitzte, geschönte, verkürzte oder verfälschte Informationen, um sie zu der erwünschten Handlung zu veranlassen.
»Motivation ist die Fähigkeit, einen Menschen dazu zu bringen, das zu tun, was man will, wann man will und wie man will – weil er selbst es will.« Diese vollmundige Manipulationsverherrlichung Dwight D. Eisenhowers – in Führungshandbüchern ein Gemeinplatz – kaschiert nur noch mühsam den Verlust der Eigensteuerung durch eine scheinbar sprachliche Paradoxie. Der andere soll zur Bedürfnisbefriedigung des einen »benutzt« werden. Das wird aber nicht ausgesprochen. Legitimiert wird es häufig als »notwendiges Übel«, um – gleichsam nebenbei – den Mitarbeiter auch zu seinem eigenen Nutzen zu beeinflussen. Was aber diesen Nutzen ausmacht – das entscheidet der Manipulator. Wichtig dabei ist: Der Manipulator muss von den versteckten Regungen, Bedürfnissen und Schwächen seines Opfers Kenntnis haben.
Für das dazu heute notwendige sensible Eingehen auf die Motive des Mitarbeiters in verführerischer Absicht, das den nun schon Jahrzehnte tobenden Kampf zwischen (legitimer) Motivation und (verabscheuungswürdiger) Manipulation beizulegen scheint, hat ein findiger Kopf (Rolf Balling) den Terminus »Motipulation« geprägt – ironisch gemeint, letztlich jedoch ebenfalls ein Sich-Fortstehlen aus dem Dilemma inkonsequenten Denkens.
Denn wer sagt, man müsse sich in die Motivationslage von Mitarbeitern versetzen, um ihren Motiven Entfaltungsraum zu geben, meint etwas Richtiges und Falsches zugleich. Etwas Falsches, weil kein Unternehmen, keine Sozietät völlig ohne Führung, keine Führung ohne Fremdsteuerung auskommt. Aber dabei kommt es nicht auf motivierendes »Mit-der-Hand-Ziehen« an, sondern auf das Offenlegen der Interessen, auf Verhandlung, auf Klarheit und Konsequenz. Zu diesem später mehr.|29|
Die freizeitorientierte Schonhaltung
Innere Kündigung
Ein Gespenst geht um in unseren Unternehmen – das Gespenst der »inneren Kündigung«. Die plakative Formel von Reinhard Höhn (den altbekannten »Dienst nach Vorschrift« modernisierend) für die mental ins Außerdienstliche emigrierten Mitarbeiter gehört mittlerweile zum Standardvokabular des Managers.
Dieses Gespenst ist alles andere als nur ein Spuk in den Hirnen jener, die Unverstandenes flink benennen oder die Abtrünnigen der Leistungsgesellschaft mit einem »Schlag«-Wort brandmarken wollen. Es treibt sein erschreckendes Spiel auch nicht allein in den zahllosen Meetings der Topetagen, auf Kongressen und Seminaren, wo verstanden, benannt, eingeordnet und stigmatisiert wird, was sich in die eingespielten Abläufe der Motivierungssystematik nicht fügen will. Führungskräfte, die oft nichts mehr zu verbinden scheint als die äußere Zeit ihres Lebens, schließen sich zusammen, das Gespenst zu verjagen. Denn es macht alle zu Verlierern: Wer an seinem Schreibtisch sitzt und von Hawaii träumt, ist weder an seinem Schreibtisch noch auf Hawaii.
Und so etwa sieht der innerlich gekündigte Mitarbeiter aus: Er hat kein Interesse mehr an Auseinandersetzungen, ist zum typischen Ja-Sager geworden. Wie ein Schrankenwärter wartet er aufs Klingeln. Er bringt keine Vorschläge mehr und nimmt Entscheidungen seines Chefs, insbesondere auch Eingriffe in seinen Kompetenzbereich, nur noch mit wohldosiertem Widerstand hin. Er rückt zwar noch gelegentlich mit seiner eigenen Meinung her|30|aus, stimmt aber eilends zu, wenn der Chef darauf beharrt, dass das Wasser den Berg hinauffließe. »Fehler vermeiden« heißt die Hauptdevise. Krankheit wird häufiger »gefeiert«. Das Interesse an Karriere ist zugunsten außerbetrieblicher Betriebsamkeit gesunken.
Bei einem Hauptabteilungsleiter klingt das so: »Ich habe meinem Chef bereits seit einiger Zeit meine innere Kündigung ausgesprochen. Ich werde die täglich anfallende Routinearbeit erledigen, mich nicht mehr aufregen, pünktlich erscheinen, vor allem aber pünktlich nach Hause gehen und mich meinem Privatleben, das heißt meiner Familie und meinen Hobbys, widmen.«
Die innere Selbstpensionierung limitiert dabei nicht notwendig die Karriere. Im Gegenteil: Anstatt die Verhaltensänderung als Warnsignal zu begreifen, glauben viele Führungskräfte, sie hätten den eigensinnigen Mitarbeiter »gezähmt«, und belohnen mit der Beförderung des ehemals Unangepassten ihre eigene Leistung. Engagierte Kollegen lernen daraus, dass mit der Devise »mit halber Kraft nur das Nötigste« letztlich mehr zu erreichen ist.
Die Konsequenz für das Unternehmen: Der »innerbetriebliche Vorruhestand« breitet sich wie eine hochinfektiöse Krankheit aus. Ganze Firmen können sich im Bannkreis der inneren Kündigung befinden. An der Art und Weise, wie man am Empfang begrüßt wird, am Umgangston im Vorzimmer und in der Telefonzentrale, an den Gesprächen mit den Fahrern der Firmen, an der Art, wie Mitarbeiter vor Dritten über ihre Firma sprechen, an der unpersönlichen Gestaltung der Arbeitsräume, am Mangel an Beschwerden und am Mangel an Humor kann man es erkennen: »Leben nach 17.00 Uhr«.
Auch in den Chefetagen ist die Arbeitswelt längst nicht mehr heil. Vor allem der Führungskräfte-Nachwuchs scheint mit den traditionellen Karrierevorstellungen und Unternehmenszielen nicht mehr konfliktfrei zu leben. Mit Geld und Status allein lässt sich heute kaum noch eine junge Nachwuchskraft die Lebenszeit abkaufen.
Die Datenbanken zur inneren Kündigung sind mittlerweile zum Bersten gefüllt; angst- und schwindelerregende Zahlen innerlich ganz, halb und teilgekündigter Arbeitnehmer erzwingen förmlich |31|das »Was tun?«. Same old story: Wenn den verstörten Zauberlehrlingen das Wasser bis zum Hals und höher steigt, rufen sie nach dem alten Hexenmeister, der die Dinge noch einmal zum Rechten wenden soll: Motivieren! Niemand kommt auf die Idee, dass die Mechanik der Motivierung selbst Ursache der inneren Kündigung sein könnte. Stattdessen: neue Hochkonjunktur für »Ihr müsst die Leute richtig motivieren!«. Neue Ideen, neue Tarnkappen für das verführerische Lächeln der Antreiber. Aber ganz offensichtlich greifen die angebotenen materiellen und immateriellen Anreize von Tag zu Tag kürzer. Die Verheißungen und Zumutungen der Motivierung ergeben keine ausgeglichene Bilanz mehr. Die eingespielten Gleichgewichte sind aus dem Lot geraten. Eine Erklärung dafür heißt: Wertewandel.
Wertewandel
Die ersten Kassandrarufe, dass der individuelle »Dienst nach Vorschrift« zu einem breiten Verweigerungstrend anwachse, erschollen schon 1975: Der amerikanische Sozialforscher Daniel Bell prognostizierte die Durchsetzung der »freizeitorientierten Schonhaltung« und eine Abwendung von Disziplin erfordernder Arbeit. Das lateinische »industria« (Fleiß) schien keinen Wert mehr an sich zu haben. Insbesondere Elisabeth Noelle-Neumann legt seitdem unablässig Daten vor, die die negative Einstellung zu Arbeit und Beruf belegen sollen. Sie war es auch, die meines Wissens erstmals das vermeintliche Absinken der beruflichen Leistungsbereitschaft aus dem unternehmensinternen Bedingungsrahmen herauslöste und mit der soziologischen Kategorie des Wertewandels begründete.
»Wertewandel« ist ein Begriff, dessen Sinngehalt sich umso mehr verflüchtigt, je mehr man ihn zu begründen versucht. Er bezieht sich weniger auf die Werte an sich als vielmehr auf die Einstellungen der Menschen zu ihnen sowie das daraus resultierende Handeln. Die soziologische Literatur, die den Wertewandel bis in die kleinsten gesellschaftlichen Verästelungen vermessen hat, ist zwischenzeitlich unübersichtlich geworden. Entsprechend das Ergebnis: unübersichtlich.|32|
Es ist interessant, den Bewusstseinswandel seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts nachzuvollziehen, um zu verstehen, wie sich die Einstellung zur Arbeit und Leistung verändert hat. Immer mehr haben sich die Grenzen zwischen Arbeit, Freizeit und Ausbildung heute verwischt. Angestrebt wird eine neue Ganzheit, ein ungeteiltes Leben.
Entsprechend haben sich die Schwerpunkte der sozialen Anerkennung massiv verschoben: Bis in die frühen 70er Jahre entschieden darüber vor allem »Verdienst« und »Prestige«; seit Anfang der 80er Jahre kommen mehr Jobqualität und Möglichkeiten der Selbstentfaltung hinzu. Neue Kritikfähigkeit (Bürgerinitiativen), basisdemokratische Ideen, Feminismus und Ökologiebewegung machen vor den Unternehmen nicht mehr Halt. Vor allem die 90er Jahre haben im Zeichen des Internetbooms gezeigt, dass für viele, vor allem jüngere und hoch qualifizierte Menschen »Unternehmen« wieder ganz wörtlich verstanden wurde: im Sinne von selbst etwas unternehmen, kreativ werden, die eigene Firma gründen – anstatt sich einzuordnen in eine große Organisation. Scharenweise wanderten gerade die High Potentials ab, um jenseits von planbaren Karrierehierarchien in kleinen, neu gegründeten Internetfirmen zu arbeiten. Dies oft bei – zunächst – deutlich geringeren Gehältern und fast immer höherer Arbeitsbelastung. Auch wenn sich inzwischen gezeigt hat, dass ein Firmenname mit Dotcom-Endung, drei BWL-Studenten und eine Garage noch keine Firma ausmachen, bestätigen seither zahllose Studien und die Erfahrungen vieler Manager sehr deutlich, wie hoch heute Selbstbestimmung im Arbeitsleben geschätzt wird. Gerade für die jüngeren Generationen gilt: Man sucht eine Tätigkeit, deren Zielsetzung man akzeptiert, deren Sinn man erkennen kann und die sinnvoll für das eigene Leben ist.
Sinkende Arbeitsmoral?
Lässt sich diesen Trends ein Verfall der Leistungsbereitschaft ablauschen? Wir wissen heute mit hinreichender Sicherheit (ich folge hier weitgehend den Forschungen Helmut Klages’), dass die Leistungsbereitschaft an sich ungebrochen ist, dass lediglich das |33|Werteverwirklichungsangebot der Arbeitswelt die gewandelten Einstellungen nicht mehr auffängt. Unternehmen, die in der Vergangenheit auf Marktveränderungen schnell und gezielt reagierten, reagieren auf veränderte Wertvorstellungen ihrer Mitarbeiter kaum oder allzu häufig sehr verzögert.
Versucht man, die Umfrageergebnisse der verschiedenen Forschungsinstitute zusammenzufassen und für unser Thema zu bündeln, so wird man Folgendes zur Kenntnis nehmen müssen:
Der »Beruf, der mir gefällt,« und die »Freizeitaktivität, die mir gefällt,« werden gleichermaßen aufgewertet;
ein tendenziell wachsender Teil der Arbeitnehmer will im Beruf »mehr Verantwortung« übernehmen, wobei die »zweite Reihe« häufiger als früher bevorzugt wird;
auf die Frage »Glauben Sie, es wäre am schönsten zu leben, ohne arbeiten zu müssen?« antworten heute kaum mehr Menschen mit »Ja« als vor 40 Jahren;
Menschen sind in dem Maße signifikant zufriedener, in dem ihr Handlungsspielraum während der Arbeit wächst;
»Arbeit, die Spaß macht,« ist für Berufstätige genauso wichtig wie ein höheres Einkommen;
»Arbeit, die Sinn macht,« erhält eine signifikant wachsende Bedeutung gegenüber Status und Karriere.
Es ist mithin keineswegs eindeutig, dass mehr oder weniger hedonistisch gelagerte Freizeitwerte die arbeitsbezogenen Werte ersetzen. Vielmehr erwartet der einzelne Mensch verstärkt Chancen, sich selbst und sein ganzes Persönlichkeitspotenzial einbringen zu können, das heißt als ganze Person angenommen, ernst genommen, einbezogen und anerkannt zu werden.
Besonders wichtig ist dabei: Es wird kein grundsätzlicher Unterschied zwischen Arbeitssphäre und den übrigen Lebensbereichen mehr gemacht. Arbeitssphäre und Freizeitsphäre verlieren ihre isolierte Stellung. Die Mitarbeiter sind immer weniger bereit, ihre Einstellungen und Wertorientierungen morgens beim Pförtner abzugeben. Sie verlangen in zunehmendem Maße, dass sich die Unternehmenspolitik auf die veränderten Sichtweisen der Mitarbeiter einstellt.|34|
Unverkennbar ist zum anderen, dass Freizeitideale wie Spaß, Aktiv-Sein und Selbstentfaltung das Verhalten am Arbeitsplatz mehr und mehr beeinflussen. Was sich die Arbeitnehmer als »ideales Arbeiten« erträumen, ist fast deckungsgleich mit dem, was viele schon in ihrer Freizeit tun und finden.
Trotz einer zunehmenden Freizeitorientierung des Lebens findet also die vielfach befürchtete Leistungsverweigerung im Berufsleben offenbar nicht statt. Ganz im Gegenteil: Das Bedürfnis, im Unternehmen etwas zu leisten, was Sinn und Spaß macht, ist größer denn je.
Unverträglichkeiten
Unsere Überlegungen haben jetzt einen Punkt erreicht, an dem der Blick frei ist für eine Neubewertung jener massenwirksamen Neigung zur inneren Kündigung, die von vielen Beobachtern als ein Driften der gesellschaftlichen Werte in Richtung hedonistischer Freizeitorientierung interpretiert wird. Es wird deutlich, dass sich die neuen Wertorientierungen zunächst unterschiedslos auf die gesamte Umwelt, also auch auf die Arbeitssphäre richten. Sie werden aber offensichtlich von der Arbeitswelt nicht ausreichend aufgefangen, sodass die freien Energien in die Freizeit umgelenkt werden, … wo sie offenbar eher Entfaltungsmöglichkeiten finden, wie das – als ein Beleg neben vielen – zum Beispiel die Konjunktur des »Aktiv-Urlaubs« plausibel macht. Die »subjektive Dimension der Arbeit«, von der Johannes Paul II. schon in seiner Enzyklika »Laborem Exercens« sprach, wird auf breiter Ebene entdeckt. Der Gegensatz von Arbeitswelt und Freizeitkultur befriedigt nicht mehr. Die Begriffe von Arbeit als Wirtschaftsressource und als Erfüllung menschlichen Gestaltungs- und Leistungswillens kommen einander wieder näher.
Das also ist der Kern des Wertewandels: eine gleichsam »unfreiwillige«, kompensatorische Werterfüllung in der Freizeit.
Aber die Verfechter der Mitarbeiter-Motivierung beäugen argwöhnisch weiterhin die Leistungsbereitschaft. Die veränderten Werthaltungen werden beharrlich ignoriert. Der »faule« Mitarbei|35|ter wird restauriert und auf seine »Motivierbarkeit« hin erforscht. »Individualisierung« der Belohnungsmechanik heißt die neue Masche. Im Regelfall wird der wachsende Motivierungsdruck mit einer entsprechenden Verfeinerung der klassischen Anreizsysteme (Geld und Status) beantwortet. Die »fortschrittlichen« Unternehmen hingegen starten im Sog der Corporate-Identity-Welle ganze Kaskaden von Sinnbewirtschaftungsmaßnahmen, ohne vom Prinzip des Blendens und Bestechens auch nur einen Zentimeter abzuweichen. Die Geste des Verführens bleibt erhalten. Der Geist der Motivierung lässt weiterhin die Fahnen der Incentives flattern. Ein wirkliches Ernstnehmen des Mitarbeiters findet nicht statt.
Und kaum jemand kommt auf die so naheliegende Idee, dass es möglicherweise die Motivierung selbst ist, die das Gespenst der inneren Kündigung unablässig wiederbelebt; dass die heimliche Illoyalität gerade Wirkung und Ergebnis der Motivierungspraxis sein könnte. Meine These: Die Motivierung ist die massenhafte Verführung zur inneren Kündigung.|36|
Der kurze Hebel der Motivierung
In der Praxis ist allenthalben zu beobachten, dass dort, wo motiviert werden muss, es ohnehin oft zu spät ist. Den »Abgestellten« wieder zu einem »Angestellten« zu machen ist ein überaus schwieriges Geschäft. Wo den Hebel ansetzen? Fast alle Motivierungstechnik hebelt in der Arbeitssphäre. Aber selbst wenn alle Bedingungen am Arbeitsplatz so optimal wie möglich gestaltet werden können, so ist allenfalls die notwendige Voraussetzung erfüllt, nicht die hinreichende. Denn es wird schlicht übersehen, dass die Motivation der Mitarbeiter sich aus einer Fülle von Einflüssen, unterschiedlichen Umständen und Gegebenheiten speist, die zum weitaus größten Teil außerhalb der Arbeitssphäre liegen. Ein kurzer Hebel also.
Die Arbeitssituation des Mitarbeiters ist mit den Elementen Aufgabeninhalte, Organisationsstruktur, Budgets, Informationsdichte und Führung für den Vorgesetzten noch einigermaßen steuerbar. Aber schon hier wird die mögliche Einflussnahme kompliziert, weil, wie wir heute wissen, vor allem bei längerfristigen Erwartungsenttäuschungen von Gruppen-Demotivationen ausgegangen werden muss. Gemeint sind hier breit streuende Demotivationslagen, die über formelle und informelle Kommunikationswege gruppenbildende Einstellungen und Haltungen prägen. Die berüchtigten »Jammerzirkel« sind die bekanntesten Phänomene dieses Typs mit hoher Infektionsdynamik.
Es bleibt aufzuzeigen, welche engen Grenzen die verbleibenden Einflusssphären den Motivierungsversuchen setzen.|37|
Das Individuum
Die Analyse der menschlichen Leistungsmotivation und deren Einfluss auf Entscheidungen haben die Organisationstheoretiker ebenso beschäftigt wie die Philosophen und Psychologen. Dass Handlungsmotive nicht reduziert werden können auf bloß äußere Motive, dass insbesondere rein ökonomische Motive sich zur Erklärung menschlicher Handlungsweisen als völlig unzulänglich erwiesen haben, gehört dabei zu den Konstanten der gesamten Organisationstheorie. Die häufig losgelöste Behandlung der diese Aspekte berührenden Fragen (insbesondere auch die Isolierung und Bevorzugung des ökonomischen Faktors) beruht auf tradierten philosophischen Vorurteilen.
Man geht heute relativ übereinstimmend davon aus, dass bei Handlungsentscheidungen ethische, psychosoziale und wirtschaftliche Aspekte miteinander verknüpft werden und zwar auf jeweils sehr individuelle Weise und situativ zumTeil außerordentlich unterschiedlich. Viele Studien haben nachgewiesen, dass die Auffassung, die Herzbergschen »Motivatoren« führten zu immer höherer Leistung, nicht gültig ist, sondern dass situative Variablen hierbei eine wesentliche Rolle spielen. Daraus erwächst für die Motivierungsanhänger unter den Führungskräften das Problem, die Motivationslage jedes einzelnen Mitarbeiters genau zu erforschen, etwaige mittelfristige Verschiebungen zu beobachten und sogar situationsbedingte Verwerfungen mit entsprechenden »Gegenmaßnahmen« aufzufangen. Und in der Tat wird in der einschlägigen Literatur verstärkt die Individualisierung der Anreizsysteme gefordert, wird das einfühlsame Aufgreifen der je spezifischen Motivationslage des Mitarbeiters zur Kardinaltugend der Führungskraft erkoren.
»Unmöglich!«, höre ich die Mehrzahl der Vorgesetzten rufen. »Dazu müssten wir alle noch Psychologie studieren und zudem einen 25-Stunden-Tag haben.« So rettet man sich in die Lektüre der regelmäßig veröffentlichten Forschungsberichte zur allgemeinen Motivationslage. Je nach Forschungsrichtung beweist dann die eine Erhebung beharrlich die materielle Orientierung der Arbeitnehmer, während die andere das Zeitalter der leistungs|38|scheuen Genusssucht heraufdämmern sieht. Es werden Fragen gestellt: »Wenn Sie die Wahl hätten zwischen mehr Freizeit (bei gleichem Gehalt) oder mehr Gehalt (bei gleicher Freizeit), welche Wahl würden Sie treffen?« Heraus kommen dann irgendwelche Prozentsätze, die vorgeblich die allgemeine Motivationslage der Mitarbeiter hinreichend sicher beschreiben. Da werden »Typen« identifiziert, Mischformen von Typen, differenziert nach Alter und Geschlecht, und Mischformen der Mischformen; was dem einen wichtig ist, gilt dem anderen nichts; die allgemeine »Leute abholen, wo sie stehen«-Praxis kurvt führerlos von einem Motivierungsansatz zum anderen. Was noch nicht in die Mühle der totalen Individualisierung geraten ist, wird dankbar aufgegriffen und zu Schlussfolgerungen verdichtet, die genaue Handlungsanweisungen für die Motivierungsmechanik liefern sollen.
Natürlich wissen die Forscher um die Unschärfe ihrer Erhebungen. Die Führungskräfte, denen die Ergebnisse ja Handlungsorientierung geben sollen, blenden diese Relativierungen jedoch zumeist aus und nehmen das Ergebnis als »Wahrheit« an. Nun ist aber der Soziodiagnostik seit einiger Zeit bekannt, dass die handlungserklärenden (nach der Handlung benannten) Motive nicht notwendig auch die handlungssteuernden (vor der Handlung wirksamen) Motive sind. Erklärungen – so weiß man auch – sind späte Rationalisierungen meist unbewusster Entscheidungsprozesse, die sich zudem mit der Üblichkeit zu harmonisieren versuchen. Die eigentlich handlungssteuernden Motive bleiben weitgehend im Dunkeln.
Vorsicht ist also geboten, will man aus den regelmäßigen Veröffentlichungen zur »Motivlage der Nation« weitreichende Schlüsse ziehen. Sie liefern Hinweise, mehr nicht. Festzuhalten bleibt, dass die intrapsychischen Ursachen der Entscheidungsfindung außerordentlich komplex sind und sich – wie Hawthorne in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts schon für Western Electric nachwies – zu einem erheblichen Prozentsatz unberechenbar-spontan artikulieren. Die Führungskraft, die nach dem Motto »alle wollen nur das eine« eine Motivierungspraxis unterschiedslos für alle Mitarbeiter gleichermaßen exekutiert, hat mithin zwangsläufig für viele Fische den falschen Köder aufgezogen.|39|
Jene Führungskraft aber, die sich psychologisch sensibel in die (je wechselnden) Motivationen ihrer Mitarbeiter hineinfühlt, wird nicht nur einen erheblichen Zeitaufwand betreiben müssen. (Das wäre noch zu legitimieren, wenngleich bei tendenziell sich verbreiternden Führungsspannen das Problem wächst.) Sie wird auch – nach allem, was wir heute über die Psychodynamik der Menschen wissen – in der Mehrzahl mit einer großen Unschärfe ihrer Analyse zu rechnen haben, die noch durch die ebenso naheliegende wie gefährliche Projektion der eigenen Bedürfnisse auf den Mitarbeiter weiter verstärkt wird.
Wen kann es also wundern, wenn Mitarbeiter aufgrund unterschiedlicher Motivationsstrukturen nicht in gleicher Weise auf die Kanalisierungsinstrumente des Unternehmens reagieren? Alle Formen des Rückzugsverhaltens sowie eine ausgeprägte Suchneigung sind die kostspieligen Folgen eines individuell als »unpassend« empfundenen Motivierungssystems. Wer hier hebeln will, muss mithin der völligen Individualisierung der Leistungsanreize das Wort reden. Zeitsparend ist das nicht. Ob es funktioniert, steht dahin.
Die Familie
Ein weiterer die Leistungsmotivation des Mitarbeiters beeinflussender Bereich ist zweifellos die Familie. Schwierigkeiten mit dem Partner sind eine wichtige Produktivitätsbremse. Auch die Wertschätzung, die die Familienmitglieder dem Beruf, der Firma und dem Arbeitseinsatz (als Ursache der Abwesenheit von der Familie) entgegenbringen, ist von hoher Bedeutung für das Selbstwertgefühl.
Die Motive, die die Mitarbeiter zur Mitarbeit im Betrieb veranlassen, werden letztlich weder vom Betrieb initiiert, noch beziehen sie sich auf ihn. Sie werden von anderen Institutionen vorgegeben, zu ganz wesentlichen Teilen von der Familie. Hier wird die Motivausstattung entwickelt, die in das Unternehmen mitgebracht wird. Und hier wirken auch die Sanktionsmechanismen mit unverdeckter Schärfe. Diese Sanktionen können im Wertebereich greifen, wenn etwa die Arbeit in der Nuklearwirtschaft auf |40|massiven familieninternen Protest stößt. In anderen Fällen, etwa bei (vordergründig) hochethischen Tätigkeitsfeldern, erfährt die Arbeit volle Unterstützung. Diese Sanktionen können sich jedoch auch schlicht auf den rein quantitativen Umfang der Arbeit beziehungsweise die arbeitsmarktkonformen Mobilitätserfordernisse der Lebensführung beziehen, die den Vater zum kaum noch wiedererkannten »fremden Onkel« werden lassen und dadurch die Stabilität des Familienzusammenhalts gefährden.
Die Unternehmen schenken daher dem familiären Umfeld ihrer Mitarbeiter verstärkt Beachtung. (Bekannt ist das unvermeidliche Familienfoto auf amerikanischen Chef-Schreibtischen, das selbst nach lange zurückliegender Trennung die Fassade aufrechterhält.) Die Ehepartner werden verstärkt in das Berufsleben einbezogen. Ihnen soll das Gefühl vermittelt werden, dass das Unternehmen auch an sie denkt (es denkt natürlich nur mittelbar an sie, gleichsam als unvermeidbares Übel; Ziel des Ganzen ist die Leistungssteigerung und Bindung des Mitarbeiters). Die Hebelmöglichkeiten, der potenziellen Bremsenergie des Ehepartners entgegenzuwirken, sind bekannt: Gutscheine für ein Essen zu zweit, Familienprogramme, Incentive-Reisen, Einbeziehung auf Betriebsfesten bis hin zur Unternehmenskultur als PR-Kampagne. Ehefrauen werden Weiterbildungsangebote gemacht. Das Motto dazu: »Der Erfolg macht nicht glücklich, aber der Glückliche ist erfolgreich.«
Das gesellschaftliche Umfeld