Radio - Klang der Welt - Helmut Matt - E-Book

Radio - Klang der Welt E-Book

Helmut Matt

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Beschreibung

Radio steht im Zentrum des Buchs. Es soll keine Anleitung und auch kein kompliziertes Fachbuch sein. Radio als Tor zur Welt, das ist das zentrale Thema - amüsant erzählt, mit vielen farbigen Bildern. Die Welt kommt zum Hörer - und es bringt ihn hinaus in die weite Welt. Lauschen, empfangen, schreiben, reisen. Bis nach China und Taiwan hat das Radio den Autor geführt - und die Wellen bewegen immer noch sein Leben und verbinden ihn mit der ganzen Welt.

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Radiogedanken

Mein Radio

Kindheit

Dann kam das erste eigene Radio

Meine erste QSL-Karte

Mein erster Weltempfänger

Briefe an die Sender

Spionage, Geheimsender, Störsender

Propaganda von der Gegenseite

Religion und Glaube im Radio

Von Holzflaschen und Wettbewerben

Piraten und freie Radios

Funkdienste

Freundschaft

DX-Camps und Hörertreffen

Der erste Schritt in die Welt - Radio Prag

China Radio International

Radio Rumänien International

Stimme der Türkei

RTI - 20 Jahre Deutsch aus Taipei

CRI - Die olympischen Sommerspiele in China

Der CRI-Klub

50 Jahre deutsch aus Beijing. EXPO Shanghai

Die besten CRI-Hörerclubs der Welt

Zu Gast bei Radio Bulgarien

Radio heute

Einleitung

Viele Bücher sind schon über das Radio geschrieben worden. Besonders in diesen Tagen, in denen das Radio seinen 100. Geburtstag feiert. Ich denke, die Geschichte des Rundfunks wurde bereits oft genug geschrieben. Handbücher für Radiofreunde, Radiobastler oder Radioamateure gibt es ebenfalls hinreichend.

Meine ganz persönliche Radiogeschichte möchte ich erzählen. Natürlich werden Informationen zum Hintergrund des Rundfunks nicht zu kurz kommen und wer sich noch nie mit dem Rundfunkfernempfang beschäftigt hat, wird trotzdem alles, was hier erzählt wird, problemlos verstehen können.

So habe ich mir die zentrale Frage gestellt, wie man zum Radioamateur, zum DXer wird und was für eine Motivation dazu geführt hat, sich für die Radiowellen zu interessieren.

Dieses Buch gibt nicht nur einen Einblick in die faszinierende Welt des Radiofernempfangs. Es blickt auch hinter die Kulissen dieser Welt, erklärt die Bedeutung der Sender für den Hörer und umgekehrt. Auch von der Begeisterung für QSL-Karten, Wimpel und andere Radiosouvenirs wird erzählt – ebenso von den verschiedenen Arten, auf Kurzwelle zu senden und die vielfältigen Möglichkeiten, die Sender zu empfangen.

Für mich war das Radio auch sprichwörtlich das Tor zur Welt. Es brachte nicht nur ferne Länder in das kleine Schwarzwalddörfchen, in dem ich aufgewachsen bin. Es brachte auch mich an die Orte, von denen die Funkwellen stammten. Die sehr unterschiedlichen Reisen zu den Sendern und mit den Sendern sind ganz nah mit meiner Liebe zum Radio verbunden. Diesen Reisen gehört ein weiterer Teil der Geschichte, die ich nun erzählen werde.

Am Schluss erfährt man, was heute noch übrig ist von den Wellen, die einen großen Teil meines Lebens bedeutet haben und immer noch bedeuten.

Herbolzheim im Sommer 2024

Helmut Matt

Radiogedanken

Großes Konzert, störender Klangteppich, banales Geplapper, hochwissenschaftliche Vorträge renommierter Professoren, Quelle für sachliche Information oder Medium zur Manipulation von Massen: Die Vielfalt an Attributen und die Dimension der Gegensätze ist kaum zu überschauen. Das Radio ist ein Medium, das von Anfang an in all seiner Vielfalt den unterschiedlichsten Zielsetzungen unterworfen wurde – sowohl von Seiten der Radiomacher als auch von den Konsumenten.

Wollte man ermitteln, welche persönliche Bedeutung das Radio für den Einzelnen hat, dann gäbe es sicherlich ebenso viele unterschiedliche Erklärungsversuche, wie es Hörer gibt. Das Verbindende am Radio ist die einzigartige Möglichkeit, mit Menschen akustisch Kontakt aufzunehmen, mit Menschen zu kommunizieren und an die menschliche Suggestivkraft zu appellieren. Im Gegensatz zum Fernsehen und zu gedruckten Medien gibt es beim Radio keine fertigen Bilder - weder authentisch noch gefälscht - auf die der Fokus projiziert und durch welche die Kraft des gesprochenen Wortes gemindert wird. Der Radiorezipient nimmt zwar Eindrücke von außen auf, ist jedoch zur Verarbeitung des Gehörten auf seine eigene Vorstellungskraft angewiesen.

Radio ist ein ganz besonderes, ein einzigartiges Medium, das Nachrichten übermitteln, Kontinente verbinden, Völker vereinen und den menschlichen Geist erweitern kann. Es gibt aber auch hinreichend Beispiele dafür, dass die Rundfunkwellen zum entgegengesetzten Zweck ge- bzw. missbraucht werden können. Stellvertretend seien Hitlerdeutschland oder Nordkorea genannt. Mit gewissen Einschränkungen ließen sich wohl auch die Länder des früheren Warschauer Paktes nennen. Menschen wurden und werden auch heute noch gezielt durch Zensur, bewusste Desinformation und manipulative Propaganda im Sinne einer allmächtigen Staatmacht zu Opfern einer geistigen Gleichschaltung, für die das Radio ebenso, wie anderen Medien eingesetzt werden. Auch gezielte Unterwanderung durch Parteien und Interessengruppen, wie wir sie in diesen Tagen erleben, dürfen dabei nicht unerwähnt bleiben.

Und doch: Internetleitungen lassen sich kappen, Fernsehprogramme sind ohnehin nur lokal verfügbar, Satellitenempfang lässt sich weitgehend einschränken und kontrollieren. Radiowellen jedoch sind im Mittel- und Kurzwellenbereich durchaus geeignet, die Erde zu umkreisen und Informationen in die hintersten Winkel eines auch noch so hermetisch abgeriegelten Landes zu transportieren. BBC London, Radio Moskau, Radio Beromünster – das waren die Schreckensworte, die einst dem Propagandaminister Goebbels das Blut in Wallung bringen konnten. Auch heute noch wird das Medium Radio dazu benutzt, Menschen mit Informationen von außen zu versorgen, wenn im eigenen Land geistige Unfreiheit und Medienkontrolle herrscht. Auch in den Jahren des kalten Krieges gelang es den Regierungen jenseits des Eisernen Vorhangs trotz Störsendern und Verboten nicht, Sender wie die BBC, die Deutsche Welle oder die Stimme Amerikas zum Schweigen zu bringen.

Ob in einem Land mit strenger Zensur oder in einer echt pluralistischen Welt - es bleibt immer dem Einzelnen überlassen, die Spreu vom Weizen zu trennen und objektive Tatsachen von bewusster Meinungsmache zu unterscheiden. Ebenso wie Bilder können auch Worte Suggestionen entwickeln - je nachdem wie sie ausgesprochen und betont werden. Auch in der sogenannten freien Welt gibt es immer wieder Versuche verschiedenster Parteien, Firmen und Organisationen, Menschen im Sinne einer Idee zu mobilisieren und zu manipulieren. Gerade unter extremen Bedingungen zeigt es sich, dass Radio durchaus auch ein Medium ist, das von seinen Nutzern eine wirklich kritische Distanziertheit und Vorsicht abverlangt.

Mit dem Radio verbindet mich selbst seit nun schon über 50 Jahren eine ganz besondere Beziehung – eine Faszination, die mich ergriffen hat, als ich noch ein kleiner Junge war und zum ersten Mal auf der Mittelwellenskala unseres alten Dampfradios auf Sendersuche ging. Geheimnisvolle Namen lockten meine Neugier: Kalundborg, Moskau, London, Beromünster. Dieses innere Drängen erzeugt aus Wissensdurst, Forscherdrang und kindlicher Neugier beseelt mich noch heute. Das Radio ist für mich noch immer ein wichtiger Bestandteil meines Lebens, den ich, gäbe es ihn nicht, schmerzlich vermissen würde.

Radio bringt die große, weite Welt nach Hause und lässt uns ferne Regionen und Kulturen persönlich erleben. Zahlreiche echte Freundschaften, die mein Leben bereichern, entstanden durch das Radio und durch meine Korrespondenzen mit den Sendern. Bis nach China und Taiwan, in die Türkei, nach Rumänien, Bulgarien und in die Tschechische Republik hat sie mich schon geführt, die Liebe zum Radio und die Freundschaft zu den Sendern aus vielen Ländern der Erde.

Informationsquelle, Hobby, technische Faszination, Forscherleidenschaft, Brücke zur Welt – in meinem Leben ist das Radio in vielerlei Facetten präsent. Wer einmal von der Magie der Rundfunkwellen erfasst wurde, der bleibt für immer in Ihrem Bann.

Das Funker-Alphabet

Mein Radio

Ein Radio in Papas Raum

Das war mein schönster Kindertraum.

Hab um Erlaubnis nicht gefragt

Und ging schon bald auf Wellenjagd.

Auf UKW war nicht viel los.

Stattdessen war AM ganz groß.

Ob Moskau oder DDR,

Das Wellenreiten gab viel her.

Das Radio war bald zu klein,

Ein Weltempfänger, das wär‘ fein.

Ich schraubte ohne Ruh und Rast,

Bald war die ganze Welt zu Gast.

Im Äther gab’s den kalten Krieg,

In Störsendern sah man den Sieg.

Fast jedes Land war da zu hören

Auch Jamming konnte uns kaum stören.

Der Grenzwall fiel, es kam die Wende,

Und mit dem Rundfunk ging’s zu Ende.

Zu Ende schien’s mit den Gefahren,

Die Gelder wollte man nun sparen.

So machte man die Sender dicht.

Im Internet sah man das Licht.

Und in der Welt gab es kein Halten

Die Sender alle abzuschalten.

Doch wird es Rundfunk immer geben,

Die Menschen halten ihn am Leben.

Man hört ganz kleine Sender heute,

Mit Enthusiasmus und mit Freude.

Noch immer gibt es viel zu hören

Fast keine Jammer, die uns stören.

Nun hört man viele freie Sender,

Denn sie beleben jetzt die Bänder.

Das Internet kann man blockieren,

Was man nicht will, neutralisieren.

Wellen, die sich frei bewegen,

Die kann man nicht in Ketten legen.

So hält man die Zensoren klein.

Schaltet die Sender wieder ein.

Drum wird das Radio weiterleben.

Es wird auch immer Hörer geben.

Kindheit

Lange ist es her. In einem kleinen Dorf mitten im Schwarzwald bin ich aufgewachsen. Es war ein sehr einsamer, beschaulicher Ort: Die Straße, der Bach, schmale Auen, eine Handvoll Häuser, die Berge. Es gab auch eine Kirche, eine kleine Friedhofskapelle und sogar eine Schule und mehrere Wirtshäuser.

Still war es noch, damals in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Ab und zu wurde das endlose Rauschen des Bachs durch ein Motorengeräusch unterbrochen: Die Post, der Förster, ein Traktor.

Sie waren einfache Leute, meine Eltern. Fleißig, sparsam, schweigsam – und erfüllt vom Glauben an Gott und seine Gnade. Es war eine stille Zeit. Noch kaum hatte die technische Welt unser behütetes Dasein berührt. Das Holz für den Winter wurde noch mit der Axt geschlagen, das Heu für die Tiere manuell gewendet und auf den Handkarren geladen. Reichere Bauern hatten immerhin einen Ochsen oder zwei – bei uns wurde die Ernte noch mit rein menschlicher Kraft nach Hause bracht.

Keine Technik weit und breit. Wirklich? Tatsächlich hatte mein Vater sich von seinen ersten Ersparnissen eine der ganz großen Erfindungen des 20. Jahrhunderts gekauft: Ein Radio. Geheimnisvoll, glänzend schön und blank poliert stand es in einem dazu passenden Schrank. Fasziniert bestaunten auch wir Kinder die beleuchtete Skala und wie ein Wunder aus verzauberten Märchen öffnete und schloss sich dessen „magisches Auge“. „Grundig 2035 3D Klang“ – Dampfradio würde man es heute nennen: Poliertes und lackiertes Holzgehäuse, weiße Tasten, ungewohnt klingende Stimmen. Bekannte und fremde Namen auf der Skala: München, London, Kalundborg, Beromünster. Ganz Europa hatte sich da versammelt und wartete darauf, entdeckt und gehört zu werden.

Zu Anfang, als wir noch ganz klein waren, freuten wir uns immer sehr, wenn Papa sich abends nach getaner Arbeit endlich an sein Radio setzte. Auf UKW liefen dann die Nachrichten aus Stuttgart – von denen wir Kinder nicht viel verstanden haben. Es gab aber auch schöne Musik – und ganz still wurde es im Zimmer, wenn der Kinderfunk begann oder wenn nach den Nachrichten der freundliche Onkel seine Gute-Nacht-Geschichte erzählte. Jeden Tag eine neue. Er hatte anscheinend einen unerschöpflichen Fundus davon. Einen Fernseher gab es damals in unserem Haus nicht, aber das Radio wurde nicht nur für unseren Vater, sondern auch für mich zu einem täglichen Begleiter.

Das „magische Auge“, besonders aber die vielen Namen auf der Mittel- und Langwellenskala weckten schon recht früh meine Neugier und so machte ich mir schon bald selbst an dem Gerät zu schaffen – wenn niemand sonst in der Nähe war. Die Enttäuschung war groß, als ich feststellte, dass es auf den Bändern, die mir die Welt versprachen, fast nichts zu hören gab. Natürlich wusste ich nicht, dass es dort erst bei Einbruch der Dunkelheit richtig bunt wurde. Ich bin nicht mehr sicher, wer genau mir das verraten hat. Jedenfalls begann mit genau diesem Hinweis mein Leben mit dem Radio und meine Faszination für das Wellenreiten – und es hat mich bis heute nicht mehr losgelassen.

Dann kam das erste eigene Radio

Die Neugier war geweckt und mir wurde bald klar, dass es so etwas wie Empfangsschwankungen gab. Von elektromagnetischen Beeinträchtigungen war in der damaligen Zeit noch nichts zu bemerken. Es gab ja auch nicht viele elektronische Geräte, die für einen Störnebel hätten sorgen können. Dennoch konnte man den einen oder anderen Sender mal gut, mal weniger gut oder manchmal auch sehr schwach empfangen.

Papas Dampfradio

Die Magie verwandelte sich in eine akustische Reise durch das eigene Land und auch in die Nachbarstaaten – auch hinter dem sogenannten eisernen Vorhang. Was man da alles hören konnte:

Hamburg, RIAS Berlin, den österreichischen Rundfunk – aber auch die Stimme der DDR, Radio DDR und sogar in deutscher Sprache die Sendungen von Radio Prag und Radio Moskau. Die Sendungen des Schweizer Rundfunks aus Beromünster waren eine wirkliche Herausforderung: Im mittleren Schwarzwald spricht man zwar ebenfalls einen alemannischen Dialekt. Das Idiom der Schweiz klingt aber doch ganz anders und es gibt zudem viele ganz eigene Begriffe, die in unserer Sprache nicht zu finden sind. Das war sicherlich die wesentliche Ursache dafür, dass ich diesen Sender eher selten gehört habe.

Es hat auch eine ganze Weile gedauert, vermutlich einige Jahre, bis ich verstanden habe, dass nicht jedes Wort, was da über die Wellen getragen wird, auf die Goldwaage gelegt werden darf. Dass insbesondere die expliziten Auslandsdienste aus Moskau oder der CSSR ihre Sendungen nicht aus reiner Menschenliebe oder aus Freude am Radio ausgestrahlt haben, habe ich erst nach und nach verstanden – und damit begonnen, den „Informationen“ sowohl aus dem Osten, als auch aus dem eigenen Land, mit einer gewissen Vorsicht zu begegnen.

Dann war er da, der große Tag: Ich glaube, es war ein Geschenk meiner Eltern zu meinem Geburtstag. Ich war um die zwölf oder 13 Jahre alt. Mein erstes eigenes Radio! Es war die Zeit, als man die ersten kleinen Taschenradios kaufen konnte. Es konnte nur die Mittelwelle empfangen. UKW war für mich sowieso nicht sehr interessant – und so ging ich ans Werk und schraubte und testete und hörte. Oft bis in die späte Nacht. Sehr empfangsstark war es nicht, mein erstes tragbares Transistorradio – aber es war mein erstes eigenes und ich habe es geliebt.

Es war an einem schneereichen Wintertag. Warm eingepackt wollte ich den neuen Schlitten ausprobieren. Der Abhang, den ich mir für die erste Schlittenfahrt ausgesucht hatte, war aber ein wenig zu steil, so dass ich mit hoher Geschwindigkeit gegen die Wand unseres Hauses sauste. Da gab es kein Besinnen – einer unserer Bekannten aus dem Dorf hatte ein Auto, mit dem er mich ins Krankenhaus brachte. Weil man dort feststellte, dass ich das linke Bein verstaucht hatte, musste ich gleich dableiben. Dass ich all das nicht in schlechter Erinnerung behalten habe, verdanke ich dem Radio. Neben Zahnbürste, Seife und Hausschuhen musste natürlich auch mein erster Transistorempfänger mit ins Gepäck – und dieser half mir dann auch, die langen Tage im Bett zu überbrücken und das Gefühl für die verrinnende Zeit nicht zu verlieren. Dabei musste ich die Ohrhörer verwenden um die Leute in den Nachbarbetten nicht zu stören. Vor allem in den dunklen Abendstunden hieß es zudem immer aufgepasst, dass die Krankenschwester mich nicht dabei erwischte, wie ich, statt zu schlafen, an meinen Radio hing. Zumal es tagsüber auf der Mittelwelle wenig zu empfangen gab. Ich habe damals noch nicht so recht verstanden, dass die Sonne dafür verantwortlich ist, dass durch ihre Energie dämpfende Schichten entstehen, die sich in der Nacht in Nichts auflösen und dass dann genau aus diesem Grund weit entfernte Radiosignale gehört werden konnten. Aber auch ohne die genauen Hintergründe zu kennen, habe ich das Phänomen erkannt und das Radio entsprechend benutzt.

Meine erste QSL-Karte

Einsam, still, scheinbar weit weg von der tosenden Welt und doch voller Glück – so habe ich meine Kindheit in Erinnerung, meine Heimat, unser Dorf, mein Leben. Und neben der Stille gab es eine Tür, die man immer dann öffnete, wenn man heraustreten wollte aus dem behüteten, ländlichen Mikrokosmos dieser Tage. Die Radiowellen brachten die große, weite Welt zum Klingen. Mit wachsendem Interesse hörte ich die Sendungen, die in Moskau und in anderen Ländern für die deutschsprachigen Hörer produziert wurden. Keineswegs waren das nur ideologisch eingefärbte Nachrichten und Berichte - obwohl auch daran nicht gespart worden ist. Mir gefielen die farbenfrohen Beiträge über Land und Leute, über das geheimnisvolle Sibirien, das Leben in den orientalischen Republiken Zentralasiens, die Einsamkeit im Nordmeer und die große Weite der Taiga. Auch die russischen Lieder und Tänze, die Vielfalt an Traditionen und kunsthandwerklichem Schaffen – all das war für mich neu, geheimnisträchtig, groß, beeindruckend. Radio Moskau habe ich damals besonders gern gehört.

Am Ende jeder Sendung haben die Sender ihre Hörer aufgefordert, ihnen zu schreiben, ihnen zu sagen, was gefallen hat und was nicht, was man verbessern kann – und vor allem, wo und in welcher Qualität man sie gehört hat. Es dauerte schon seine Zeit, aber dann fasste auch ich mir ein Herz und schrieb, voll innerer Aufregung, meinen ersten Brief nach Moskau. Ich weiß nicht mehr alle Details, aber ganz sicher habe ich geschrieben, wer und wie alt ich bin, wo ich wohne – und dass ich die Sendungen in deutscher Sprache regelmäßig auf der Mittelwelle höre. Datum, Frequenz, Uhrzeit und ein paar Worte über dem Empfänger, die Empfangsqualität und den Inhalt habe ich ganz sicher auch mit in meinen Brief hineingepackt. Und ab ging die Post: „UdSSR. Moskau. Radio“ – das war die Adresse, die man am Radio genannt hat. Damit ging mein Brief dann ab in die ferne Sowjetunion.

Danach sind wohl ein paar Wochen ins Land gegangen. Ich kam von der Schule nach Hause, als meine Mama mir einen Briefumschlag neben den Suppenteller legte. Ein Brief, wie er nach meinen damaligen Vorstellungen geheimnisvoller kaum sein konnte: Der Absender in fremder Schrift, kyrillisch, wie ich nun lernte, schön bedruckt mit einer Szene aus der russischen Hauptstadt, wunderbar bunte Briefmarken: „СССР. Москва. Радио“ stand da in fremdartiger Schrift. Natürlich konnte ich das nicht lesen, weil ich bis dahin nichts oder nur wenig von der russischen Sprache wusste. Aufgeregt, voll Neugier und Spannung saß ich da, sollte aber zuerst meine Suppe essen, bevor sie kalt wurde – sagte meine Mutter. Natürlich konnte ich nicht so lange warten. Ich öffnete den Brief und hielt meine erste QSL-Karte in der Hand. Auf der Vorderseite eine gemalte Szene aus der sowjetischen Hautstadt Moskau, auf der Rückseite eine detaillierte Bestätigung meines „Empfangsberichts“. Dazu ein freundliches Schreiben mit der Aufforderung, auch in Zukunft so häufig wie möglich die Sendungen zu hören und auch zu schreiben. Auch über musikalische Grüße im Wunschkonzert würde man sich sehr freuen. Das alles in deutscher Sprache. So kam es dazu, dass ich im Alter von 14 Jahren, ohne genau zu wissen, was das ist, einen Empfangsbericht verschickt hatte, der dann auch prompt zu meiner ersten QSL-Karte führte.

Mein erster Weltempfänger

In dieser Zeit begann ich auch damit, mir regelmäßig sogenannte DX-Sendungen anzuhören. Das waren Radioprogramme, in denen man u.a. erfuhr, dass es für den Fernempfang neben der Mittel- und der Langwelle auch eine Kurzwelle gab – mit der man sich anscheinend Sender aus noch weiter entfernten Regionen der Erde ins Haus holen konnte. Eines Tages las ich dann einen Artikel in unserer Heimatzeitung, der mich sehr aufwühlte: Dort wurde über ein Hobby mit dem Namen „DXen“ berichtet: Ferne Länder im eigenen Zimmer, Ritt auf den Wellen der Welt, Briefkontakt und Brieffreundschaft mit allen Teilen der Erde. Ein Weltempfänger sei da nötig, ein Radio, mit dem man nicht nur UKW, Lang- und Mittelwelle empfangen konnte, sondern eben auch diese geheimnisvolle Kurzwelle. Und nicht nur das: Diese Kurzwelle bestand, wenn ich das richtig verstanden hatte, aus verschiedenen „Bändern“. Was es damit genau auf sich hatte, wurde allerdings in diesem Zeitungsartikel noch nicht ganz verständlich erklärt.

Mehrere Artikel in der Zeitschrift „Gong“, hilfreiche DX-Programme und auch ein paar Besuche bei einem nahegelegenen Radiofachgeschäft halfen mir, nach und nach zu verstehen, dass ich ganz dringend einen Weltempfänger brauchte. Ein Weltempfänger also – aber welchen? Von Grundig gab es damals ein Radio, das sich „Satellit 2000“ nannte und das mir sehr gefiel. Aber leider zu einem Preis, der alles überstieg, was ich mir damals leisten konnte. Ganz ausgezeichnet fand ich auch den Touring Studio Doppelsuper von „ITT Schaub Lorenz“: Nicht nur technisch, sondern auch optisch ein Genuss. Doch auch dieses Gerät sollte mehr als 300,00 DM kosten. Geld, das ich mir damals als vierzehnjähriger Bube vom Land nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln konnte.

Es war ein sonniger Frühsommer im Jahr 1974, als ich beschloss, mich zumindest vorübergehend selbstständig zu machen, um genug Geld für meinen „Touring“ zu verdienen. Die Ferien hatten begonnen und was lag näher, als in den Wäldern die reifen, süßen Heidelbeeren zu sammeln und diese dann an die damals noch zahlreichen Konditoreien zu verkaufen. So machte ich mich täglich frühmorgens mit dem Fahrrad und mit leeren Körben und Eimern auf den Weg, fuhr am Vormittag mit der ganz frischen Ernte zu den Cafés und kehrte gegen Mittag mit für damalige Verhältnisse üppigem Taschengeld wieder nach Hause zurück. Das ging so mehrere Wochen lang – und tatsächlich hatte ich gegen Ende des Sommers genügend Geld beisammen, um mit stolz erhobenem Haupt dem Radiohändler zu verkünden, dass er meinen Traumempfänger für mich bestellen darf.

Das kleine Taschenradio habe ich nicht mehr. Allzu lange hat es leider nicht funktioniert. Das schöne Grundig-Dampfradio meines Vaters aber prunkt jetzt hier in meinem heutigen Radiozimmer – ebenso wie mein allererster Weltempfänger. Für den Empfang benutze ich heute zwar weitaus lieber meine stationären Kommunikationsempfänger mit drehbarer Dachantenne, aber es gibt auch immer wieder herrlich nostalgische Gefühle, wenn ich diese schönen alten Radios einschalte. Beide Geräte funktionieren noch heute ganz ausgezeichnet. Lediglich für den alten Grundig 3D-Klang musste ich ein neues „magisches Auge“ kaufen und einbauen. Das war eine Röhre, die ich für teures Geld im Internet besorgen konnte. Vollkommen unbenutzt!

Und es ging los: Der Rundfunk, besonders aber mein neues Weltempfänger-Kofferradio waren für mich und mein Leben prägend: Es war nicht nur das große Tor in eine neue, spannende Welt der Information und Desinformation: Mit wachsender Begeisterung lauschte ich auch den Hörspielen und ganz besonders den Konzerten und Opernübertragungen, die mich ebenso wie der Kurzwellenrundfunk, bezauberten und mein Leben bereicherten. Die klassische Musik hat mich mit ihrer schier unerschöpflichen Vielfalt und Schönheit ergriffen, bewegt, bezaubert und bis heute nicht mehr losgelassen. Auch das war ein Resultat meines neuen Radiogeräts, mit dem ich vor allen an den Wochenenden abends „Österreich 1“ einschaltete. Jede Woche eine neue Oper. Ö1 war ein Sender, den wir damals an einigen exponierten Stellen im Haus auf UKW empfangen konnten.

In jeder Ausgabe der bereits erwähnten Zeitschrift „Gong“, von der ich mir immer die „abgelaufenen“ Hefte bei einer Nachbarin abholen durfte, gab es eine Rubrik für Freunde des Fernempfangs, eine sogenannte DX-Ecke. Was es da alles zu Lesen gab: Schon allein die technischen Beiträge habe ich verschlungen. Noch aufregender waren aber die vielen DX-Empfangstipps, mit denen ich mich dann auf Wellenjagd begeben habe. Es war eine Reise um die Welt, die bis in die heutigen Tage hinein ihre Faszination nicht verloren hat. Es war wirklich verblüffend, was man da alles in deutscher oder englischer Sprache empfangen konnte - und es war kein Märchen: Radio HCJB aus Quito in Ecuador, Radio Peking, Radio Sofia, die BBC London, Radio Canada International, Radio RSA aus dem südafrikanischen Johannesburg, Radio Japan. Sogar FR3 Radio Tahiti und auch Radio Neuseeland waren in den Sommermonaten häufig zu hören.

Mein erster Weltempfänger