Rainer Maria Rilke. Gesammelte Werke. Illustriert - Rainer Maria Rilke - E-Book

Rainer Maria Rilke. Gesammelte Werke. Illustriert E-Book

Rainer Maria Rilke

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Beschreibung

Beeinflusst durch die Philosophen Schopenhauer und vor allem Nietzsche, deren Schriften er früh kennengelernt hatte, ist Rilkes Werk durch eine scharfe Kritik an der Jenseitsorientierung des Christentums und an einer einseitig naturwissenschaftlich-rationalen Weltdeutung geprägt. Mit seiner in den Neuen Gedichten vollendeten, von der bildenden Kunst beeinflussten Dinglyrik gilt er als einer der bedeutendsten Dichter der literarischen Moderne. Aus Rilkes Werk sind etliche Erzählungen, ein Roman und Aufsätze zu Kunst und Kultur sowie zahlreiche Übersetzungen von Literatur und Lyrik bekannt. Sein umfangreicher Briefwechsel gilt als wichtiger Bestandteil seines literarischen Schaffens. Inhalt:  1. Roman - Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge 2. Lyrische Prosa - Die Erzählungen - Erzählungen aus dem Nachlaß 3. Kunstwerke - August Rodin - Offener Brief an Maximilian Harden - Von Kunst-Dingen: Kritische Schriften — Dichterische Bekenntnisse 4. Gedichte - Mir zur Feier - Engellieder - Mädchen-Gestalten - Lieder der Mädchen - Gebete der Mädchen zu Maria - Das Marien-Leben - Das Stunden-Buch - Duineser Elegien - Requiem: Für eine Freundin (Für Paula Modersohn Becker) - Requiem: Für Wolf Graf von Kalckreuth - Das Buch der Bilder - Neue Gedichte - Der neuen Gedichte anderer Teil - Gedichte von 1906 bis 1910 - Gedichte von 1910 bis 1922 - Die Sonette an Orpheus - Sieben Gedichte - Erste Gedichte - Gedichte in französischer Sprache 5. Dramen - Ohne Gegenwart - Die weisse Fürstin 

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Seitenzahl: 2524

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Rainer Maria Rilke

Gesammelte Werke

 Gedichte.Erzählungen.Roman. Dramen.Schriften zu Kunst und Literatur

Beeinflusst durch die Philosophen Schopenhauer und vor allem Nietzsche, deren Schriften er früh kennengelernt hatte, ist Rilkes Werk durch eine scharfe Kritik an der Jenseitsorientierung des Christentums und an einer einseitig naturwissenschaftlich-rationalen Weltdeutung geprägt.

Mit seiner in den Neuen Gedichten vollendeten, von der bildenden Kunst beeinflussten Dinglyrik gilt er als einer der bedeutendsten Dichter der literarischen Moderne.

Aus Rilkes Werk sind etliche Erzählungen, ein Roman und Aufsätze zu Kunst und Kultur sowie zahlreiche Übersetzungen von Literatur und Lyrik bekannt. Sein umfangreicher Briefwechsel gilt als wichtiger Bestandteil seines literarischen Schaffens.

 

1. Roman

- Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge

 

2. Lyrische Prosa

- Die Erzählungen

- Erzählungen aus dem Nachlaß

 

3. Kunstwerke

- August Rodin

- Offener Brief an Maximilian Harden

- Von Kunst-Dingen: Kritische Schriften — Dichterische Bekenntnisse

 

4. Gedichte

- Mir zur Feier

- Engellieder

- Mädchen-Gestalten

- Lieder der Mädchen

- Gebete der Mädchen zu Maria

- Das Marien-Leben

- Das Stunden-Buch

- Duineser Elegien

- Requiem: Für eine Freundin (Für Paula Modersohn Becker)

- Requiem: Für Wolf Graf von Kalckreuth

- Das Buch der Bilder

- Neue Gedichte

- Der neuen Gedichte anderer Teil

- Gedichte von 1906 bis 1910

- Gedichte von 1910 bis 1922

- Die Sonette an Orpheus

- Sieben Gedichte

- Erste Gedichte

- Gedichte in französischer Sprache

 

5. Dramen

- Ohne Gegenwart

- Die weisse Fürstin

 

Inhalt
Roman
Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge
11. September, Rue Toullier
Aus dem Nachlaß zu den Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge
Lyrische Prosa
Die Erzählungen
Feder und Schwert: Ein Dialog (1893)
Das Christkind (1893)
Pierre Dumont (1894)
Die Näherin (1894)
Die goldene Kiste (1894)
Mohn … (1895)
Ein Charakter: Skizze (1895/96)
Und doch in den Tod (1896)
Das Ereignis: Eine ereignislose Geschichte (1896)
Der Sterbetag (1896/97)
Die Flucht (1896/97)
Weißes Glück (1896/97)
Die Stimme (1896/97)
Eine Tote: Psychologische Skizze (1896)
Der Apostel (1896)
Ihr Opfer (1896)
Im Vorgärtchen: Skizze (1896)
Sonntag (1896)
Heiliger Frühling: Skizze (1897)
Das Familienfest (1897)
Das Geheimnis (1897)
Greise (1897)
Kismét: Skizze aus dem Zigeunerleben (1897)
Alle in Einer (1897)
Einig (1897)
König Bohusch (1897)
Die Geschwister (1897)
Ewald Tragy (1898)
Masken: Eine Farbenskizze (1898)
Fernsichten: Skizze aus dem Florenz des Quattrocento (1898)
Leise Begleitung (1898)
Generationen (1898)
Im Leben (1898/99)
Teufelsspuk (1898/99)
Im Gespräch (1898/99)
Der Liebende (1898/99)
Die Letzten (1898/99)
Das Lachen des Pán Mráz (1899)
Wladimir, der Wolkenmaler (1899)
[Aufzeichnung: Ein Abend]
(3. November [1899] Mitternacht nah)
Ein Morgen (1899)
Der Kardinal: Eine Biographie (1899)
Frau Blaha’s Magd (1899)
Reflexe (1899)
Das Haus (1899)
Vitali erwachte … (1900)
Aus einem Mädchenbrief (1900)
[Zwei Fragmente] (1900)
Albrecht Ostermann Fragment 1900/01
Der Drachentöter (1901)
Der Totengräber (1901/02)
Die Turnstunde (1902)
Erzählungen aus dem Nachlaß
Das Eine
Der Rath Horn
Der Dreiklang
»Der Dreiklang«
Was toben die Heiden?
Silberne Schlangen
Ein Nachtstück
»To«
Der Tod
Der Ball
Der Betteltoni
Eine Heilige
Die rothe Liese: Die Geschichte einer Unglücklichen
Zwei Schwärmer
Ein Capitel aus dem Buche der Thorheit
Bettys Sonntagstraum
Totentänze: Zwielicht-Skizzen aus unseren Tagen
Requiem
Erzählungen und Skizzen
Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke
Der Brief des jungen Arbeiters
Das Märchen von den Händen Gottes
Frau Blahas Magd
Geschichten vom Lieben Gott
Eine Geschichte, dem Dunkel erzählt
Wie der Verrat nach Rußland kam
Der fremde Mann
Warum der liebe Gott will, daß es arme Leute giebt
Wie der alte Timofei singend starb
Das Lied von der Gerechtigkeit
Eine Szene aus dem Ghetto von Venedig
Von einem, der die Steine belauscht
Wie der Fingerhut dazu kam, der liebe Gott zu sein
Ein Märchen vom Tod und eine fremde Nachschrift dazu
Ein Verein, aus einem dringenden Bedürfnis heraus
Der Bettler und das stolze Fräulein
Briefe an einen jungen Dichter
Brief 1
Brief 2
Brief 3
Brief 4
Brief 5
Brief 6
Brief 7
Brief 8
Brief 9
Brief 10
Kunstwerke
August Rodin
Erster Teil (1902) Einer jungen Bildhauerin
Zweiter Teil Ein Vortrag (1907)
Offener Brief an Maximilian Harden
Von Kunst-Dingen: Kritische Schriften — Dichterische Bekenntnisse
Der Wanderer
Gedankengang und Bedeutung des Goethe’schen Gedichtes
Böhmische Schlendertage
Detlev von Liliencron »Poggfred«
Moderne Lyrik
Über Kunst
Der Wert des Monologes
Hermann Hesse Eine Stunde hinter Mitternacht
Ein Prager Künstler
Offener Brief an Maximilian Harden
Russische Kunst
Friedrich Huch Peter Michel (Dritte Besprechung)
Das Überbrett’l-Gastspiel
Maurice Maeterlinck
Heinrich Vogeler
Thomas Mann’s »Buddenbrooks«
Herman Bang Das weiße Haus
Das Jahrhundert des Kindes (Ellen Key)
Moderne russische Kunstbestrebungen
Jakob Wassermann Der Moloch
Samskola
Furnes
Über den Dichter
Erlebnis
Über den jungen Dichter
Puppen Zu den Wachs-Puppen von Lotte Pritzel
Erinnerung (Bruchstück)
Ur-Geräusch
(Entwurf einer politischen Rede)
(Vorrede zu einer Vorlesung aus eigenen Werken)
Das Testament
Das Testament
(Aus einem Brief-Entwurf)
(Briefentwurf)
Worpswede: Monographie einer Landschaft und ihrer Maler
Fritz Mackensen
Otto Modersohn
Fritz Overbeck
Hans am Ende
Heinrich Vogeler
Gedichte
Mir zur Feier
Motto
Ich bin so jung
Ich will ein Garten sein
Ich will nicht langen
Meine frühverliehnen Lieder
Die armen Worte
Arme Heilige aus Holz
Ich geh jetzt immer den gleichen Pfad
Das ist der Tag
Weiße Seelen mit den Silberschwingen
Ich bin zu Hause
In der Dämmerung
Den wir alle sangen
Du wacher Wald
Du musst das Leben nicht verstehen
Ich möchte werden wie die ganz Geheimen
Vor lauter Lauschen und Staunen sei still,
Träume, die in deinen Tiefen wallen
Engellieder
Ich ließ meinen Engel lange nicht los
Seit mich mein Engel nicht mehr bewacht
Hat auch mein Engel keine Pflicht mehr
Wenn ich einmal im Lebensland
Seine Hände blieben wie blinde Vögel
Um die vielen Madonnen sind viele ewige Engelknaben
Lauschende Wolke über dem Wald
Abendschweigen
Gehst du außen Mauern entlang, kannst du die vielen Rosen
Ist ein Schloß
Zur kleinen Kirche musst du aufwärts steigen
Das sind die Gärten, an die ich glaube
Schau, wie die Zypressen schwärzer werden
Erste Rosen erwachen
Blendender Weg, der sich vor Licht verlor
Da steht er gestützt am Turm
Im flachen Land war ein Erwarten
Wer einst das einsame Haus erbaut
Das ist dort, wo die letzten Hütten sind
Manchmal geschieht es in tiefer Nacht
Wir wollen, wenn es wieder Mondnacht wird
Gebet
Mädchen-Gestalten
Als du mich einst gefunden hast
Viele Fähren sind auf den Flüssen
Ich bin ein Waise
Ich war ein Kind und träumte viel
Lieder der Mädchen
Ihr Mädchen seid wie die Gärten
Jetzt sind sie alle schon selber Frauen
Geh ich die Gassen entlang
Königinnen seid ihr und reich
Die Welle schwieg euch nie
Die Mädchen sehn der Kähne Fahrt
Ihr Mädchen seid wie die Kähne
Die blonden Schwestern flochten froh
Wenn die blonden Flechterinnen
Eh der Garten ganz beginnt
Alle Straßen führen jetzt grade hinein
Noch ahnst du nichts vom Herbst des Haines
Die Zeit, von der die Mütter sprachen
Wir haben lange im Licht gelacht
Die Mädchen am Gartenhange
Ich war in ferner Fremde Kind
Es müsste mich einer führen
Wir sind uns alle schwesterlich
Gebete der Mädchen zu Maria
Mach, dass etwas uns geschieht
Du wolltest wie andern sein, die sich scheu in Kühle kleiden
Schau, unsre Tage sind so eng
Von so vielem blieb uns der Sinn
Dein Garten wollt ich sein zuerst
Unsre Mütter sind schon müd;
Ich war einmal so kinderkühl
Maria, du weinst
Gestern hab ich im Traum gesehn
Wie kam, wie kam aus deinem Schoß
Deiner ernsten Engel einen
Oh, dass wir so endlos werden mussten
Mir wird mein helles Haar zur Last
Und in allen Jahren war ich feierlich und froh
Sie sagen alle: Du hast Zeit
Wird dieses ungestüme, wilde Hinsehen meinen Schwestern schwer
Ich aber fühle, wie ich wärmer und wärmer werde
Unsere Träume sind Marmorhermen
Es ist noch Tag auf der Terrasse
Das sind die Stunden, da ich mich finde
Der Abend ist mein Buch
Oft fühl ich in scheuen Schauern
Und so ist unser erstes Schweigen
Aber der Abend wird schwer
Wir sind ganz angstallein
Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort
Nenn ich dich Aufgang oder Untergang
Senke dich, du langsame Serale
Kann mir einer sagen
Wie wir auch alles in der Nacht benannten
Die Nacht wächst wie eine schwarze Stadt
Auch du hast es einmal erlebt
Wenn die Uhren so nah wie eigenen Herzen schlagen
Ich weiß es im Traum, und der Traum hat recht
Fürchte dich nicht, sind die Astern auch alt
Du darfst nicht warten, bis Gott zu dir geht
Das Marien-Leben
Geburt Mariae
Die Darstellung Mariae Im Tempel
Mariae Verkündigung
Mariae Heimsuchung
Argwohn Josephs
Verkündigung Über Den Hirten
Geburt Christi
Rast Auf Der Flucht In Aegypten
Von Der Hochzeit Zu Kana
Vor Der Passion
Pietà
Stillung Mariae Mit Dem Auferstandenen
Vom Tode Mariae (Drei Stücke)
Das Stunden-Buch
Erstes Buch: Das Buch vom mönchischen Leben (1899)
Zweites Buch: Das Buch von der Pilgerschaft (1901)
Drittes Buch: Das Buch von der Armut und vom Tode (1903)
Duineser Elegien
Die Erste Elegie
Die Zweite Elegie
Die Dritte Elegie
Die Vierte Elegie
Die Fünfte Elegie
Die Sechste Elegie
Die Siebente Elegie
Die Achte Elegie
Die Neunte Elegie
Die Zehnte Elegie
Requiem: Für eine Freundin (Für Paula Modersohn Becker) (1908)
Requiem: Für Wolf Graf von Kalckreuth
Das Buch der Bilder
Des ersten Buches. Erster Teil
Eingang
Aus einem April
Zwei Gedichte zu Hans Thomas sechzigstem Geburtstage
Mädchenmelancholie
Von den Mädchen
Das Lied der Bildsäule
Der Wahnsinn
Die Liebende
Die Braut
Die Stille
Musik
Die Engel
Der Schutzengel
Martyrinnen
Die Heilige
Kindheit
Aus einer Kindheit
Der Knabe
Die Konfirmanden
Das Abendmahl
Des ersten Buches. Zweiter Teil
Initiale
Zum Einschlafen zu sagen
Menschen bei Nacht
Der Nachbar
Pont du Carrousel
Der Einsame
Die Aschanti
Der Letzte
Bangnis
Klage
Einsamkeit
Herbsttag
Erinnerung
Ende des Herbstes
Herbst
Am Rande der Nacht
Gebet
Fortschritt
Vorgefühl
Sturm
Abend in Skåne
Abend
Ernste Stunde
Strophen
Des zweiten Buches. Erster Teil
Initiale
Verkündigung
Die heiligen drei Könige
In der Certosa
Das jüngste Gericht
Karl der zwölfte von Schweden reitet in der Ukraine
Der Sohn
Die Zaren
Der Sänger singt vor einem Fürstenkind
Die aus dem Hause Colonna
Des zweiten Buches. Zweiter Teil
Fragmente aus verlorenen Tagen
Die Stimmen
Von den Fontänen
Der Lesende
Der Schauende
Aus einer Sturmnacht
Die Blinde
Requiem
Schlußstüc
Neue Gedichte
Früher Apollo
Mädchenklage
Liebeslied
Eranna An Sappho
Sappho An Eranna
Sappho An Alkaïos (Fragment)
Grabmal Eines Jungen Mädchens
Opfer
Östliches Taglied
Abisag
David Singt Vor Saul
Josuas Landtag
Der Auszug Des Verlorenen Sohnes
Der Ölbaumgarten
Pietà
Gesang Der Frauen An Den Dichter
Der Tod Des Dichters
Buddha
L'Ange Du Méridien (Chartres)
Die Kathedrale
Das Portal
Die Fensterrose
Das Kapitäl
Gott Im Mittelalter
Morgue
Der Gefangene
Der Panther (Im Jardin Des Plantes, Paris)
Die Gazelle (Antilope Dorcas)
Das Einhorn
Sankt Sebastian
Der Stifter
Der Engel
Römische Sarkophage
Der Schwan
Kindheit
Der Dichter
Die Spitze
Ein Frauenschicksal
Die Genesende
Die Erwachsene
Tanagra
Die Erblindende
In Einem Fremden Park (Borgeby-Gård)
Abschied
Todeserfahrung
Blaue Hortensie
Vor Dem Sommerregen
Im Saal
Letzter Abend (Aus Dem Besitze Frau Nonnas)
Jugendbildnis Meines Vaters
Selbstbildnis Aus Dem Jahre 1906
Der König
Auferstehung
Der Fahnenträger
Der Letzte Graf Von Brederode Entzieht Sich Türkischer Gefangenschaft
Die Kurtisane
Die Treppe Der Orangerie (Versailles)
Der Marmorkarren (Paris)
Buddha
Römische Fontäne (Borghese)
Das Karussell (Jardin Du Luxembourg)
Spanische Tänzerin
Der Turm (Tour St.-Nicolas, Furnes)
Der Platz (Furnes)
Quai Du Rosaire (Brügge)
Béguinage (Béguinage Sainte-Elisabeth, Brügge)
Die Marienprozession (Gent)
Die Insel (Nordsee)
Hetärengräber
Orpheus. Eurydike. Hermes
Alkestis
Geburt Der Venus
Die Rosenschale
Der neuen Gedichte anderer Teil (1908)
Archaïscher Torso Apollos
Kretische Artemis
Leda
Delphine
Die Insel der Sirenen
Klage um Antinous
Der Tod der Geliebten
Klage um Jonathan
Tröstung des Elia
Saul unter den Propheten
Samuels Erscheinung vor Saul
Ein Prophet
Jeremia
Eine Sibylle
Absaloms Abfall
Esther
Der aussätzige König
Legende von den drei Lebendigen und den drei Toten
Der König von Münster
Toten-Tanz
Das Jüngste Gericht
Die Versuchung
Der Alchimist
Der Reliquienschrein
Das Gold
Der Stylit
Die ägyptische Maria
Kreuzigung
Der Auferstandene
Magnificat
Adam
Eva
Irre im Garten
Die Irren
Aus dem Leben eines Heiligen
Die Bettler
Fremde Familie
Leichen-Wäsche
Eine von den Alten
Der Blinde
Eine Welke
Abendmahl
Die Brandstätte
Die Gruppe
Schlangen-Beschwörung
Schwarze Katze
Vor-Ostern
Der Balkon
Auswanderer-Schiff
Landschaft
Römische Campagna
Lied vom Meer
Nächtliche Fahrt
Papageien-Park
Die Parke
Bildnis
Venezianischer Morgen
Spätherbst in Venedig
San Marco
Die Laute
Der Abenteuerer
Falken-Beize
Corrida
Don Juans Kindheit
Don Juans Auswahl
Sankt Georg
Dame auf einem Balkon
Begegnung in der Kastanien-Allee
Die Schwestern
Übung am Klavier
Die Liebende
Das Rosen-Innere
Damen-Bildnis aus den Achtziger-Jahren
Dame vor dem Spiegel
Die Greisin
Das Bett
Der Fremde
Die Anfahrt
Die Sonnenuhr
Schlaf-Mohn
Die Flamingos
Persisches Heliotrop
Schlaflied
Der Pavillon
Die Entführung
Rosa Hortensie
Das Wappen
Der Junggeselle
Der Einsame
Der Leser
Der Apfelgarten
Mohammeds Berufung
Der Berg
Der Ball
Das Kind
Der Hund
Der Käferstein
Buddha in der Glorie
Gedichte von 1906 bis 1910
Die Menschen gehn
An Karl von der Heydt
Für Ernst Hardt
Sinnend von Legende zu Legende
Liebende und Leidende verwehten
Der Anfänger
Nonnen-Klage
Gedichte von 1910 bis 1922
Da ward ein solcher Vorrat Königseins
Euch könnt ich Freund sein
Und der Letzte geht vielleicht vorüber
So wie eine Türe, die nicht zubleibt
Und wo sich aus dem übervollen Blocke
Ach, ach liegt in der Luft
Sieh, der Gott hat sich zu mir entschlossen
An allen Dingen fühlt sich neu die Frühe
Schmerz-Bringerin immer noch geh ich verhüllter Seele
Fragment einer Auferstehung
Und zieht mich
Ich hielt mich überoffen
Fühlend Götter
Abend-Lied
Soll ich die Städte rühmen
Blicke hielten mich hin
Soll ich noch einmal Frühling haben
Erscheinung
Ach wie du ausholst, Vogel
Wen aber des Leidens je der Eifer ergriff
Perlen entrollen
Ach, da wir hülfe von Menschen erharrten
O die Kurven meiner Sehnsucht durch das Weltall
Komm wann du sollst
Unendlich staun ich euch an
Ich Wissender: oh der ich eingeweiht
Die spanische Trilogie
Himmelfahrt Mariae
An den Engel
Auferweckung des Lazarus
Dass ich, entartet meinem Tod
Der Geist Ariel
Die weißen Häuser hin ein Überfließen
Da rauscht der Bach
Wird mir nichts Nächstes? Soll ich nur noch verweilen
So angestrengt wider die starke Nacht werfen sie ihre Stimmen ins Gelächter
Wir wissen nicht, was wir verbringen
Lange musst du leiden
Wehe ein Sterblicher, weh
Weißt du nicht, wird der Rotdorn bald unser Gefühl bemühn
Wer verzichtet, jenen Gram zu kennen
Es war ein kühne Bestürzung
Unwissend vor dem Himmel meines Lebens
Was, was könnte dein Lächeln mir
Überfließende Himmel verschwendeter Sterne
Aus einem Frühling
Emmaus
Narziss (Erste Fassung)
Narziss (Zweite Fassung)
Christi Höllenfahrt
Sankt Christofferus
Die Tauben
Bestürz mich, Musik, mit rythmischem Zürnen
Ich bins, Nachtigall
Staune, siehe
Die ich als Lehrling verließ
Nun wachen wir mit den Erinnerungen
Dich aufdenkend wird mein Wesen erglühter
Was, Geliebte, bist du nicht eine unter den Sternen
Dunkles spiegelnde Quelle
Wie lange schon
Nicht, wie du ihn nennst
Wie junge Wiesen
Hinter den schuldlosen Bäumen
Hinschwindende ganz leicht
Witwe
Ist Schmerz, sobald an eine neue Schicht die Pflugschar reicht
Ob ich damals war — oder bin: du schreitest über mich hin
Der du mich mit diesen überhöhtest: Nächten
Wie das Gestirn, der Mond, erhaben, voll Anlass
Wer sagt, dass, wenn ich an ein Fenster träte
Hingestellte
Verständigt mit abnehmender Natur
O Herz, vom Leben langsam abgeschnürt
Wege, offne
Wer den Geist der fernsten Freuden hatte
Öfter, fühlend
Das Elend hat ja nie auf mir bestanden
Ist dort nicht Lächeln?
Tränen, Tränen, die aus mir brechen
Fünf Sonette
Winterliche Stanzen
Dass ich dereinst
Siehe, Engel fühlen durch den Raum
Atmete ich nicht aus Mitternächten
So, nun wird es doch der Engel sein
Hinweg, die ich bat, endlich mein Lächeln zu kosten
Einmal nahm ich
Gedanken der Nacht
An das Stillende hinaufgekehrt
Warum überredet uns der Tag
Warte meine Wahl nicht ab
Wie hinhielt ich dies Antlitz
Wenn ich so an deinem Antlitz zehre
Nun erst, Nachtstunde, bin ich ohne Angst
O von Gesicht zu Gesicht
Stimme eines Armen an der Hand des Engels
Liebe Maria, dein Leiden
Guter Tag
O Leben Leben, wunderliche Zeit
Die Getrennten
Leicht verführt sich der Gott zur Umarmung
In sich blätternder Hain
Wo soll ich hin während in mir Berge stürzen
Ritter in der Hölle
Wie der Abendwind
Du im Voraus verlorne Geliebte
Einst war dies alles anders aufgeteilt
Die Große Nacht
Hinhalten will ich mich
Zu der Zeichnung, John Keats im Tode darstellend
Vom Zeichner dringend hingeballter Schatten…
Seit den wunderbaren Schöpfungstagen
Ach aus eines Engels Fühlung falle
Hebend die Blicke vom Buch
Flutet mir in diese trübe Reise
Oh wie fühl ich still zu dir hinüber
Oh wie schälst du mein Herz aus den Schalen des Elends
Dich zu fühlen
Regenbogen
Aus unvordenklichem Greis
Siehe das leichte Insekt
Waldteich, weicher, in sich eingekehrter
Wendung
Man muss sterben weil man sie kennt
Heute will ich dir zu Liebe Rosen fühlen
Gewitter Gewitter
Wo wir uns hier, in einander drängend
Fünf Gesänge
Der Gedanke spielte mit seinen Möglichkeiten
So lernen wir am Hiesigen Gefühle
Und wenn wir uns einander zuempfanden
Sehet ein Ding, das vielfach umwunden
Es winkt zu Fühlung fast aus allen Dingen
Der Gartenweg
Fast wie am Jüngsten Tag
Der Freundin
Heimkehr
Über anderen Jahren standest du verhüllt
Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens
Sind wirs, Lulu
Lass mich nicht an deinen Lippen trinken
Einmal noch kam zu dem Ausgesetzten
Siehe, ich wusste es sind solche
O wie sind die Lauben unsrer Schmerzen dicht geworden
Durch den plötzlich schönen Garten
Wie der Wasser Oberflächen schweigend
Nächtens will ich mit dem Engel reden
Wo die Wurzeln ihrer Liebe ringen
Aus der Trübe
Wie die Vögel
Wir haben eine Erscheinung
Endlich ist bei diesem Schaun und Tauchen
Sieh, ich bin nicht
An Hölderlin
Herrn von Mosch
Weißt du noch: auf Deinem Wiesenplatze
Oft wenn in diesen letzten Jahren
Immer wieder
Vor Weihnachten 1914
Oft bricht in eine leistende Entfaltung
Vorschläge zu einem Haus-Spruch
Einmalige Straße wie ein Sternenfall
Du nur, einzig du bist
Nur das Geräusch
Liebesanfang
Ode an Bellman
Erränge man's wie einst
O alte Sanftmut meines Herzens
Du aber warst schon da
Der Tod Moses
Ach wehe, meine Mutter reißt mich ein
Reden will ich
Requiem auf den Tod eines Knaben
Siehe reinen Raum auf diesem Eiland stehn
Frage an den Gott
Des Gottes Antwort
O Funkenglück
Wer darf dies anders sehen
Der Mann mit dem verregneten Gesichte
Graue Liebesschlangen
Die Jugend haben
Kleine Gegengabe ins Gemüt der Schläferin
An die Musik
Die Sonette an Orpheus
Erster Teil
Zweiter Teil
Sieben Gedichte
Erste Gedichte
LARENOPFER (1896):
IM ALTEN HAUSE
AUF DER KLEINSEITE
EIN ADELSHAUS
DER HRADSCHIN
BEI ST. VEIT
IM DOME
IN DER KAPELLE ST. WENZELS
VOM LUGAUS
DER BAU (1)
IM STÜBCHEN (2)
ZAUBER (3)
EIN ANDERES (4)
NOCH EINES (5)
UND DAS LETZTE (6)
IM ERKERSTÜBCHEN (7)
DER NÖVEMBERTAG
IM STRAßEN KAPELLCHEN
DAS KLOSTER
BEI DEN KAPUZINERN
ABEND
JAR. VRCHLICKÝ
IM KREUZGANG VON LORETTO
DER JUNGE BILDNER
FRÜHLING
LAND UND VOLK
DER ENGEL
ALLERSEELEN
BEI NACHT
ABEND
AUF DEM WOLSCHAN
WINTERMORGEN
BRUNNEN
SPHINX
TRÄUME
MAITAG
KÖNIG ABEND
AN DER ECKE
HEILIGE
DAS ARME KIND
WENNS FRÜHLING WIRD
ALS ICH DIE UNIVERSITÄT BEZOG
SUPERAVIT
TROTZDEM
HERBSTSTIMMUNG
AN JULIUS ZEYER
DER TRÄUMER
DIE MUTTER
UNSER ABENDGANG
KAJETAN TÝL
VOLKSWEISE
DAS VOLKSLIED
DORFSONNTAG
MEIN GEBURTSHAUS
IN DUBIIS
BARBAREN
SOMMERABEND
GERICHTET
DAS MÄRCHEN VON DER WOLKE
FREIHEITSKLÄNGE
NACHTBILD
HINTER SMICHOV
IM SOMMER
AM KIRCHHOF ZU KÖNIGSAAL (aula regis)
VIGILIEN
DEK LETZTE SONNENGRUSS
KAISER RUDOLF
AUS DEM DREISSIGJÄHRIGEN KRIEGE
BEI DEN URSULINEN
AUS DER KINDERZEIT
RABBI LÖW
DIE ALTE UHR
KÄMPFEN I
SIEGEN II
IM HERBST
DER KLEINE »DRATENÍK«
IN DER VORSTADT
BEI ST. HEINRICH
MITTELBÖHMISCHE LANDSCHAFT
DAS HEIMATLIED
TRAUMGEKRÖNT (1897):
KÖNIGSLIED
TRÄUMEN
LIEBEN
ADVENT
GABEN AN VERSCHIEDENE FREUNDE
PFAUENFEDER
DAMIT ICH GLÜCKLICH WÄRE
FAHRTEN
VENEDIG
ENGLAR IM EPPAN
TENNO
CASABLANCA
ARCO
I MULINI
BODENSEE
KONSTANZ
FUNDE
MÜTTER
Gedichte in französischer Sprache
Notre avant-dernier mot…
Un cygne avance sur l'eau…
Tous mes adieux sont faits. Tant de départs…
L’Attente
Dramen
Ohne Gegenwart
Personen
Erster Akt
Erste Szene
Zweite Szene
Dritte Szene
Vierte Szene
Fünfte Szene
Sechste Szene
Zweiter Akt
Erste Szene
Zweite Szene
Dritte Szene
Vierte Szene
Die weisse Fürstin
Szene

Roman

Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge

11. September, Rue Toullier

So, also hierher kommen die Leute, um zu leben, ich würde eher meinen, es stürbe sich hier. Ich bin ausgewesen. Ich habe gesehen: Hospitäler. Ich habe einen Menschen gesehen, welcher schwankte und umsank. Die Leute versammelten sich um ihn, das ersparte mir den Rest. Ich habe eine schwangere Frau gesehen. Sie schob sich schwer an einer hohen, warmen Mauer entlang, nach der sie manchmal tastete, wie um sich zu überzeugen, ob sie noch da sei. Ja, sie war noch da. Dahinter? Ich suchte auf meinem Plan: Maison d’Accouchement. Gut. Man wird sie entbinden — man kann das. Weiter, Rue Saint-Jacques, ein großes Gebäude mit einer Kuppel. Der Plan gab an Val-ge-grâce, Hôpital militaire. Das brauchte ich eigentlich nicht zu wissen, aber es schadet nicht. Die Gasse begann von allen Seiten zu riechen. Es roch, soviel sich unterscheiden ließ, nach Jodoform, nach dem Fett von Pommes frites, nach Angst. Alle Städte riechen im Sommer. Dann habe ich ein eigentümlich starblindes Haus gesehen, es war im Plan nicht zu finden, aber über der Tür stand noch ziemlich leserlich: Asyle de nuit. Neben dem Eingang waren die Preise. Ich habe sie gelesen. Es war nicht teuer.

Und sonst? ein Kind in einem stehenden Kinderwagen: es war dick, grünlich und hatte einen deutlichen Ausschlag auf der Stirn. Er heilte offenbar ab und tat nicht weh. Das Kind schlief, der Mund war offen, atmete Jodoform, Pommes frites, Angst. Das war nun mal so. Die Hauptsache war, daß man lebte. Das war die Hauptsache.

Daß ich es nicht lassen kann, bei offenem Fenster zu schlafen. Elektrische Bahnen rasen läutend durch meine Stube. Automobile gehen über mich hin. Eine Tür fällt zu. Irgendwo klirrt eine Scheibe herunter, ich höre ihre großen Scherben lachen, die kleinen Splitter kichern. Dann plötzlich dumpfer, eingeschlossener Lärm von der anderen Seite, innen im Hause. Jemand steigt die Treppe. Kommt, kommt unaufhörlich. Ist da, ist lange da, geht vorbei. Und wieder die Straße. Ein Mädchen kreischt: Ah tais-toi, je ne veux plus. Die Elektrische rennt ganz erregt heran, darüber fort, fort über alles. Jemand ruft. Leute laufen, überholen sich. Ein Hund bellt. Was für eine Erleichterung: ein Hund. Gegen Morgen kräht sogar ein Hahn, und das ist Wohltun ohne Grenzen. Dann schlafe ich plötzlich ein.

Das sind die Geräusche. Aber es gibt hier etwas, was furchtbarer ist: die Stille. Ich glaube, bei großen Bränden tritt manchmal so ein Augenblick äußerster Spannung ein, die Wasserstrahlen fallen ab, die Feuerwehrleute klettern nicht mehr, niemand rührt sich. Lautlos schiebt sich ein schwarzes Gesimse vor oben, und eine hohe Mauer, hinter welcher das Feuer auffährt, neigt sich, lautlos. Alles steht und wartet mit hochgeschobenen Schultern, die Gesichter über die Augen zusammengezogen, auf den schrecklichen Schlag. So ist hier die Stille.

Ich lerne sehen. Ich weiß nicht, woran es liegt, es geht alles tiefer in mich ein und bleibt nicht an der Stelle stehen, wo es sonst immer zu Ende war. Ich habe ein Inneres, von dem ich nicht wußte. Alles geht jetzt dorthin. Ich weiß nicht, was dort geschieht.

Ich habe heute einen Brief geschrieben, dabei ist es mir aufgefallen, daß ich erst drei Wochen hier bin. Drei Wochen anderswo, auf dem Lande zum Beispiel, das konnte sein wie ein Tag, hier sind es Jahre. Ich will auch keinen Brief mehr schreiben. Wozu soll ich jemandem sagen, daß ich mich verändere? Wenn ich mich verändere, bleibe ich ja doch nicht der; der ich war, und bin ich etwas anderes als bisher, so ist klar, daß ich keine Bekannten habe. Und an fremde Leute, an Leute, die mich nicht kennen, kann ich unmöglich schreiben.

Habe ich es schon gesagt? Ich lerne sehen. Ja, ich fange an. Es geht noch schlecht. Aber ich will meine Zeit ausnutzen. Daß es mir zum Beispiel niemals zum Bewußtsein gekommen ist, wieviel Gesichter es gibt. Es gibt eine Menge Menschen, aber noch viel mehr Gesichter, denn jeder hat mehrere. Da sind Leute, die tragen ein Gesicht jahrelang, natürlich nutzt es sich ab, es wird schmutzig, es bricht in den Falten, es weitet sich aus wie Handschuhe, die man auf der Reise getragen hat. Das sind sparsame, einfache Leute; sie wechseln es nicht, sie lassen es nicht einmal reinigen. Es sei gut genug, behaupten sie, und wer kann ihnen das Gegenteil nachweisen? Nun fragt es sich freilich, da sie mehrere Gesichter haben, was tun sie mit den andern? Sie heben sie auf. Ihre Kinder sollen sie tragen. Aber es kommt auch vor, daß ihre Hunde damit ausgehen. Weshalb auch nicht? Gesicht ist Gesicht.

Andere Leute setzen unheimlich schnell ihre Gesichter auf, eins nach dem andern, und tragen sie ab. Es scheint ihnen zuerst, sie hätten für immer, aber sie sind kaum vierzig; da ist schon das letzte. Das hat natürlich seine Tragik. Sie sind nicht gewohnt, Gesichter zu schonen, ihr letztes ist in acht Tagen durch, hat Löcher, ist an vielen Stellen dünn wie Papier, und da kommt dann nach und nach die Unterlage heraus, das Nichtgesicht, und sie gehen damit herum.

Aber die Frau, die Frau: sie war ganz in sich hineingefallen, vornüber in ihre Hände. Es war an der Ecke Rue Notre-Dame-des-Champs. Ich fing an, leise zu gehen, sowie ich sie gesehen hatte. Wenn arme Leute nachdenken, soll man sie nicht stören. Vielleicht fällt es ihnen doch ein.

Die Straße war zu leer, ihre Leere langweilte sich und zog mir den Schritt unter den Füßen weg und klappte mit ihm herum, drüben und da, wie mit einem Holzschuh. Die Frau erschrak, und hob sich aus sich ab, zu schnell, zu heftig, so daß das Gesicht in den zwei Händen blieb. Ich konnte es darin liegen sehen, seine hohle Form. Es kostete mich unbeschreibliche Anstrengung, bei diesen Händen zu bleiben und nicht zu schauen, was sich aus ihnen abgerissen hatte. Mir graute, ein Gesicht von innen zu sehen, aber ich fürchtete mich doch noch viel mehr vor dem bloßen wunden Kopf ohne Gesicht.

Ich fürchte mich. Gegen die Furcht muß man etwas tun, wenn man sie einmal hat. Es wäre sehr häßlich, hier krank zu werden, und fiele es jemandem ein, mich ins Hôtel-Dieu zu schaffen, so würde ich dort gewiß sterben. Dieses Hôtel ist ein angenehmes Hôtel, ungeheuer besucht. Man kann kaum die Fassade der Kathedrale von Paris betrachten, ohne Gefahr, von einem der vielen Wagen, die so schnell wie möglich über den freien Plan dort hinein müssen, überfahren zu werden. Das sind kleine Omnibusse, die fortwährend läuten, und selbst der Herzog von Sagan müßte sein Gespann halten lassen, wenn so ein kleiner Sterbender es sich in den Kopf gesetzt hat, geradenwegs in Gottes Hôtel zu wollen. Sterbende sind starrköpfig, und ganz Paris stockt, wenn Madame Legrand, Brocanteuse aus der Rue des Martyrs, nach einem gewissen Platz der Cité gefahren kommt. Es ist zu bemerken, daß diese verteufelten kleinen Wagen ungemein anregende Milchglasfenster haben, hinter denen man sich die herrlichsten Agonien vorstellen kann; dafür genügt die Phantasie einer Concierge. Hat man noch mehr Einbildungskraft und schlägt sie nach anderen Richtungen hin, so sind die Vermutungen geradezu unbegrenzt. Aber ich habe auch offene Droschken ankommen sehen, Zeitdroschken mit aufgeklapptem Verdeck, die nach der üblichen Taxe fuhren: Zwei Francs für die Sterbestunde.

Dieses ausgezeichnete Hôtel ist sehr alt, schon zu König Clodwigs Zeiten starb man darin in einigen Betten. Jetzt wird in 559 Betten gestorben: Natürlich fabrikmäßig. Bei so enormer Produktion ist der einzelne Tod nicht so gut ausgeführt, aber darauf kommt es auch nicht an. Die Masse macht es. Wer gibt heute noch etwas für einen gut ausgearbeiteten Tod? Niemand. Sogar die Reichen, die es sich doch leisten könnten, ausführlich zu sterben, fangen an, nachlässig und gleichgültig zu werden; der Wunsch, einen eigenen Tod zu haben, wird immer seltener. Eine Weile noch, und er wird ebenso selten sein wie ein eigenes Leben. Gott, das ist alles da. Man kommt, man findet ein Leben, fertig, man hat es nur anzuziehen. Man will gehen oder man ist dazu gezwungen: nun, keine Anstrengung: Voilà votre mort, monsieur. Man stirbt, wie es gerade kommt; man stirbt den Tod, der zu der Krankheit gehört, die man hat (denn seit man alle Krankheiten kennt, weiß man auch, daß die verschiedenen letalen Abschlüsse zu den Krankheiten gehören und nicht zu den Menschen; und der Kranke hat sozusagen nichts zu tun).

In den Sanatorien, wo ja so gern und mit soviel Dankbarkeit gegen Ärzte und Schwestern gestorben wird, stirbt man einen von den an der Anstalt angestellten Toden; das wird gerne gesehen. Wenn man aber zu Hause stirbt, ist es natürlich, jenen höflichen Tod der guten Kreise zu wählen, mit dem gleichsam das Begräbnis erster Klasse schon anfängt und die ganze Folge seiner wunderschönen Gebräuche. Da stehen dann die Armen vor so einem Haus und sehen sich satt. Ihr Tod ist natürlich banal, ohne alle Umstände. Sie sind froh, wenn sie einen finden, der ungefähr paßt. Zu weit darf er sein: man wächst immer noch ein bißchen. Nur wenn er nicht zugeht über der Brust oder würgt, dann hat es seine Not.

Wenn ich nach Hause denke, wo nun niemand mehr ist, dann glaube ich, das muß früher anders gewesen sein. Früher wußte man (oder vielleicht man ahnte es), daß man den Tod in sich hatte wie die Frucht den Kern. Die Kinder hatten einen kleinen in sich und die Erwachsenen einen großen. Die Frauen hatten ihn im Schoß und die Männer in der Brust. Den hatte man, und das gab einem eine eigentümliche Würde und einen stillen Stolz.

Meinem Großvater noch, dem alten Kammerherrn Brigge, sah man eis an, daß er einen Tod in sich trug. Und was war das für einer: zwei Monate lang und so laut, daß man ihn hörte bis aufs Vorwerk hinaus.

Das lange, alte Herrenhaus war zu klein für diesen Tod, es schien, als müßte man Flügel anbauen, denn der Körper des Kammerherrn wurde immer größer, und er wollte fortwährend aus einem Raum in den anderen getragen sein und geriet in fürchterlichen Zorn, wenn der Tag noch nicht zu Ende war und es gab kein Zimmer mehr, in dem er nicht schon gelegen hatte. Dann ging es mit dem ganzen Zuge von Dienern, Jungfern und Hunden, die er immer um sich hatte, die Treppe hinauf und, unter Vorantritt des Haushofmeisters, in seiner hochseligen Mutter Sterbezimmer, das ganz in dem Zustande, in dem sie es vor dreiundzwanzig Jahren verlassen hatte, erhalten worden war und das sonst nie jemand betreten durfte. Jetzt brach die ganze Meute dort ein. Die Vorhänge wurden zurückgezogen, und das robuste Licht eines Sommernachmittags untersuchte alle die scheuen, erschrockenen Gegenstände und drehte sich ungeschickt um in den aufgerissenen Spiegeln. Und die Leute machten es ebenso. Es gab da Zofen, die vor Neugierde nicht wußten, wo ihre Hände sich gerade aufhielten, junge Bediente, die alles anglotzten, und ältere Dienstleute, die herumgingen und sich zu erinnern suchten, was man ihnen von diesem verschlossenen Zimmer, in dem sie sich nun glücklich befanden, alles erzählt hatte.

Vor allem aber schien den Hunden der Aufenthalt in einem Raum, wo alle Dinge rochen, ungemein anregend. Die großen, schmalen russischen Windhunde liefen beschäftigt hinter den Lehnstühlen hin und her, durchquerten in langem Tanzschritt mit wiegender Bewegung das Gemach, hoben sich wie Wappenhunde auf und schauten, die schmalen Pfoten auf das weißgoldene Fensterbrett, gestützt, mit spitzem, gespanntem Gesicht und zurückgezogener Stirn nach rechts und nach links in den Hof. Kleine, handschuhgelbe Dachshunde saßen, mit Gesichtern, als wäre alles ganz in der Ordnung, in dem breiten, seidenen Polstersessel am Fenster, und ein stichelhaariger, mürrisch aussehender Hühnerhund rieb seinen Rücken an der Kante eines goldbeinigen Tisches, auf dessen gemalter Platte die Sèvrestassen zitterten.

Ja, es war für diese geistesabwesenden, verschlafenen Dinge eine schreckliche Zeit. Es passierte, daß aus Büchern, die irgendeine hastige Hand ungeschickt geöffnet hatte, Rosenblätter heraustaumelten, die zertreten wurden; kleine, schwächliche Gegenstände wurden ergriffen und, nachdem sie sofort zerbrochen waren, schnell wieder hingelegt, manches Verbogene auch unter Vorhänge gesteckt oder gar hinter das goldene Netz des Kamingitters geworfen. Und von Zeit zu Zeit fiel etwas, fiel verhüllt auf den Teppich, fiel hell auf das harte Parkett, aber es zerschlug da und dort, zersprang scharf oder brach fast lautlos auf, denn diese Dinge, verwöhnt wie sie waren, vertrugen keinerlei Fall.

Und wäre es jemandem eingefallen zu fragen, was die Ursache von alledem sei, was über dieses ängstlich gehütete Zimmer alles Untergangs Fülle herabgerufen habe, — so hätte es nur eine Antwort gegeben: der Tod. Der Tod des Kammerherrn Christoph Detlev Brigge auf Ulsgaard. Denn dieser lag, groß über seine dunkelblaue Uniform hinausquellend, mitten auf dem Fußboden und rührte sich nicht. In seinem großen, fremden, niemandem mehr bekannten Gesicht waren die Augen zugefallen: er sah nicht, was geschah. Man hatte zuerst versucht, ihn auf das Bett zu legen, aber er hatte sich dagegen gewehrt, denn er haßte Betten seit jenen ersten Nächten, in denen seine Krankheit gewachsen war. Auch hatte sich das Bett da oben als zu klein erwiesen, und da war nichts anderes übriggeblieben, als ihn so auf den Teppich zu legen; denn hinunter hatte er nicht gewollt.

Da lag er nun, und man konnte denken, daß er gestorben sei. Die Hunde hatten sich, da es langsam zu dämmern begann, einer nach dem anderen durch die Türspalte gezogen, nur der Harthaarige mit dem mürrischen Gesicht saß bei seinem Herrn, und eine von seinen breiten, zottigen Vorderpfoten lag auf Christoph Detlevs großer grauer Hand. Auch von der Dienerschaft standen jetzt die meisten draußen in dem weißen Gang, der heller war als das Zimmer; die aber, welche noch drinnen geblieben waren, sahen manchmal heimlich nach dem großen, dunkelnden Haufen in der Mitte, und sie wünschten, daß das nichts mehr wäre als ein großer Anzug über einem verdorbenen Ding.

Aber es war noch etwas. Es war eine Stimme, die Stimme, die noch vor sieben Wochen niemand gekannt hatte: denn es war nicht die Stimme des Kammerherrn. Nicht Christoph Detlev war es, welchem diese Stimme gehörte, es war Christoph Detlevs Tod.

Christoph Detlevs Tod lebte nun schon seit vielen, vielen Tagen auf Ulsgaard und redete mit allen und verlangte. Verlangte, getragen zu werden, verlangte das blaue Zimmer, verlangte den kleinen Salon, verlangte den Saal. Verlangte die Hunde, verlangte, daß man lache, spreche, spiele und still sei und alles zugleich. Verlangte Freunde zu sehen, Frauen und Verstorbene, und verlangte selber zu sterben: verlangte. Verlangte und schrie.

Denn wenn die Nacht gekommen war und die von den übermüdeten Dienstleuten, welche nicht Wache hatten, einzuschlafen versuchten, dann schrie Christoph Detlevs Tod, schrie und stöhnte, brüllte so lange und anhaltend, daß die Hunde, die zuerst mitheulten, verstummten und nicht wagten sich hinzulegen und, auf ihren langen, schlanken, zitternden Beinen stehend, sich fürchteten. Und wenn sie es durch die weite, silberne, dänische Sommernacht im Dorfe hörten, daß er brüllte, so standen sie auf wie beim Gewitter, kleideten sich an und blieben ohne ein Wort um die Lampe sitzen, bis es vorüber war. Und die Frauen, welche nahe vor dem Niederkommen waren, wurden in die entlegensten Stuben gelegt und in die dichtesten Bettverschläge; aber sie hörten es, sie hörten es, als ob es in ihrem eigenen Leibe wäre, und sie flehten, auch aufstehen zu dürfen, und kamen, weiß und weit, und setzten sich zu den andern mit ihren verwischten Gesichtern. Und die Kühe, welche kalbten in dieser Zeit, waren hülflos und verschlossen, und einer riß man die tote Frucht mit allen Eingeweiden aus dem Leibe, als sie gar nicht kommen wollte. Und alle taten ihr Tagwerk schlecht und vergaßen das Heu hereinzubringen, weil sie sich bei Tage ängstigten vor der Nacht und weil sie vom vielen Wachsein und vom erschreckten Aufstehen so ermattet waren, daß sie sich auf nichts besinnen konnten. Und wenn sie am Sonntag in die weiße, friedliche Kirche gingen, so beteten sie, es möge keinen Herrn mehr auf Ulsgaard geben: denn dieser war ein schrecklicher Herr. Und was sie alle dachten und beteten, das sagte der Pfarrer laut von der Kanzel herab, denn auch er hatte keine Nächte mehr und konnte Gott nicht begreifen. Und die Glocke sagte es, die einen furchtbaren Rivalen bekommen hatte, der die ganze Nacht dröhnte und gegen den sie, selbst wenn sie aus allem Metall zu läuten begann, nichts vermochte. Ja, alle sagten es, und es gab einen unter den jungen Leuten, der geträumt hatte, er wäre ins Schloß gegangen und hätte den gnädigen Herrn erschlagen mit seiner Mistforke, und so aufgebracht war man, so zu Ende, so überreizt, daß alle zuhörten, als er seinen Traum erzählte, und ihn, ganz ohne es zu wissen, daraufhin ansahen, ob er solcher Tat wohl gewachsen sei. So fühlte und sprach man in der ganzen Gegend, in der man den Kammerherrn noch vor einigen Wochen geliebt und bedauert hatte. Aber obwohl man so sprach, veränderte sich nichts. Christoph Detlevs Tod, der auf Ulsgaard wohnte, ließ sich nicht drängen. Er war für zehn Wochen gekommen, und die blieb er. Und während dieser Zeit war er mehr Herr, als Christoph Detlev Brigge es je gewesen war, er war wie ein König, den man den Schrecklichen nennt, später und immer. Das war nicht der Tod irgendeines Wassersüchtigen, das war der böse, fürstliche Tod, den der Kammerherr sein ganzes Leben lang in sich getragen und aus sich genährt hatte. Alles Übermaß an Stolz, Willen und Herrenkraft, das er selbst in seinen ruhigen Tagen nicht hatte verbrauchen können, war in seinen Tod eingegangen, in den Tod, der nun auf Ulsgaard saß und vergeudete.

Wie hätte der Kammerherr Brigge den angesehen, der von ihm verlangt hätte, er solle einen anderen Tod sterben als diesen. Er starb seinen schweren Tod.

Und wenn ich an die andern denke, die ich gesehen oder von denen ich gehört habe: es ist immer dasselbe. Sie alle haben einen eigenen Tod gehabt. Diese Männer, die ihn in der Rüstung trugen, innen, wie einen Gefangenen, diese Frauen, die sehr alt und klein wurden und dann auf einem ungeheueren Bett, wie auf einer Schaubühne, vor der ganzen Familie, dem Gesinde und den Hunden diskret und herrschaftlich hinübergingen. Ja die Kinder, sogar die ganz kleinen, hatten nicht irgendeinen Kindertod, sie nahmen sich zusammen und starben das, was sie schon waren, und das, was sie geworden wären.

Und was gab das den Frauen für eine wehmütige Schönheit, wenn sie schwanger waren und standen, und in ihrem großen Leib, auf welchem die schmalen Hände unwillkürlich liegen blieben, waren zwei Früchte: ein Kind und ein Tod. Kam das dichte, beinah nahrhafte Lächeln in ihrem ganz ausgeräumten Gesicht nicht davon her, daß sie manchmal meinten, es wüchsen beide?

Ich habe etwas getan gegen die Furcht. Ich habe die ganze Nacht gesessen und geschrieben, und jetzt bin ich so gut müde wie nach einem weiten Weg über die Felder von Ulsgaard. Es ist doch schwer zu denken, daß alles das nicht mehr ist, daß fremde Leute wohnen in dem alten langen Herrenhaus. Es kann sein, daß in dem weißen Zimmer oben im Giebel jetzt die Mägde schlafen, ihren schweren feuchten Schlaf schlafen von Abend bis Morgen.

Und man hat niemand und nichts und fährt in der Welt herum mit einem Koffer und mit einer Bücherkiste und eigentlich ohne Neugierde. Was für ein Leben ist das eigentlich: ohne Haus, ohne ererbte Dinge, ohne Hunde. Hätte man doch wenigstens seine Erinnerungen. Aber wer hat die? Wäre die Kindheit da, sie ist wie vergraben. Vielleicht muß man alt sein, um an das alles heranreichen zu können. Ich denke es mir gut, alt zu sein.

Heute war ein schöner, herbstlicher Morgen. Ich ging durch die Tuilerien. Alles, was gegen Osten lag, vor der Sonne, blendete. Das Angeschienene war vom Nebel verhangen wie von einem lichtgrauen Vorhang. Grau im Grauen sonnten sich die Statuen, in den noch nicht enthüllten Gärten. Einzelne Blumen in den langen Beeten standen auf und sagten: Rot, mit einer erschrockenen Stimme. Dann kam ein sehr großer, schlanker Mann um die Ecke, von den Champs-Elysées her; er trug eine Krücke, aber nicht mehr unter die Schulter geschoben, — er hielt sie vor sich her, leicht, und von Zeit zu Zeit stellte er sie fest und laut auf wie einen Heroldstab. Er konnte ein Lächeln der Freude nicht unterdrücken und lächelte, an allem vorbei, der Sohne, den Bäumen zu. Sein Schritt war schüchtern wie der eines Kindes, aber ungewöhnlich leicht, voll von Erinnerung an früheres Gehen.

Was so ein kleiner Mond alles vermag. Da sind Tage, wo alles um einen licht ist, leicht, kaum angegeben in der hellen Luft und doch deutlich. Das Nächste schon hat Töne der Ferne, ist weggenommen und nur gezeigt, nicht hergereicht; und was Beziehung zur Weite hat: der Fluß, die Brücken, die langen Straßen und die Plätze, die sich verschwenden, das hat diese Weite eingenommen hinter sich, ist auf ihr gemalt wie auf Seide. Es ist nicht zu sagen, was dann ein lichtgrüner Wagen sein kann auf dem Pont-neuf oder irgendein Rot, das nicht zu halten ist, oder auch nur ein Plakat an der Feuermauer einer perlgrauen Häusergruppe. Alles ist vereinfacht, auf einige richtige, helle Plans gebracht wie das Gesicht in einem Manetschen Bildnis. Und nichts ist gering und überflüssig. Die Bouquinisten am Quai tun ihre Kästen auf, und das frische oder vernutzte Gelb der Bücher, das violette Braun der Bände, das größere Grün einer Mappe: alles stimmt, gilt, nimmt teil und bildet eine Vollzähligkeit, in der nichts fehlt.

Unten ist folgende Zusammenstellung: ein kleiner Handwagen, von einer Frau geschoben; vorn darauf ein Leierkasten, der Länge nach. Dahinter quer ein Kinderkorb, in dem ein ganz Kleines auf festen Beinen steht, vergnügt in seiner Haube, und sich nicht mag setzen lassen. Von Zeit zu Zeit dreht die Frau am Orgelkasten. Das ganz Kleine stellt sich dann sofort stampfend in seinem Korbe wieder auf, und ein kleines Mädchen in einem grünen Sonntagskleid tanzt und schlägt Tamburin zu den Fenstern hinauf.

Ich glaube, ich müßte anfangen, etwas zu arbeiten, jetzt, da ich sehen lerne. Ich bin achtundzwanzig, und es ist so gut wie nichts geschehen. Wiederholen wir: ich habe eine Studie über Carpaccio geschrieben, die schlecht ist, ein Drama, das »Ehe« heißt und etwas Falsches mit zweideutigen Mitteln beweisen will, und Verse. Ach, aber mit Versen ist so wenig getan, wenn man sie früh schreibt. Man sollte warten damit und Sinn und Süßigkeit sammeln ein ganzes Leben lang und ein langes womöglich, und dann, ganz zum Schluß, vielleicht könnte man dann zehn Zeilen schreiben, die gut sind. Denn Verse sind nicht, wie die Leute meinen, Gefühle (die hat man früh genug), — es sind Erfahrungen. Um eines Verses willen muß man viele Städte sehen, Menschen und Dinge, man muß die Tiere kennen, man muß fühlen, wie die Vogel fliegen, und die Gebärde wissen, mit welcher die kleinen Blumen sich auftun am Morgen. Man muß zurückdenken können an Wege in unbekannten Gegenden, an unerwartete Begegnungen und an Abschiede, die man lange kommen sah, — an Kindheitstage, die noch unaufgeklärt sind, an die Eltern, die man kränken mußte, wenn sie einem eine Freude brachten und man begriff sie nicht (es war eine Freude für einen anderen —), an Kinderkrankheiten, die so seltsam anheben mit so vielen tiefen und schweren Verwandlungen, an Tage in stillen, verhaltenen Stuben und an Morgen am Meer, an das Meer überhaupt, an Meere, an Reisenächte, die hoch dahinrauschten und mit allen Sternen flogen, — und es ist noch nicht genug, wenn man an alles das denken darf. Man muß Erinnerungen haben an viele Liebesnächte, von denen keine der andern glich, an Schreie von Kreißenden und an leichte, weiße, schlafende Wöchnerinnen, die sich schließen. Aber auch bei Sterbenden muß man gewesen sein, muß bei Toten gesessen haben in der Stube mit dem offenen Fenster und den stoßweisen Geräuschen. Und es genügt auch noch nicht, daß man Erinnerungen hat. Man muß sie vergessen können, wenn es viele sind, und man muß die große Geduld haben, zu warten, daß sie wiederkommen. Denn die Erinnerungen selbst sind es noch nicht. Erst wenn sie Blut werden in uns, Blick und Gebärde, namenlos und nicht mehr zu unterscheiden von uns selbst, erst dann kann es geschehen, daß in einer, sehr seltenen. Stunde das erste Wort eines Verses aufsteht in ihrer Mitte, und aus ihnen ausgeht.

Alle meine Verse aber sind anders entstanden, also sind es keine. — Und als ich mein Drama schrieb, wie irrte ich da. War ich ein Nachahmer und Narr, daß ich eines Dritten bedurfte, um von dem Schicksal zweier Menschen zu erzählen, die es einander schwermachten? Wie leicht ich in die Falle fiel. Und ich hätte doch wissen müssen, daß dieser Dritte, der durch alle Leben und Literaturen geht, dieses Gespenst eines Dritten, der nie gewesen ist, keine Bedeutung hat, daß man ihn leugnen muß. Er gehört zu den Vorwänden der Natur, welche immer bemüht ist, von ihren tiefsten Geheimnissen die Aufmerksamkeit der Menschen abzulenken. Er ist der Wandschirm, hinter dem ein Drama sich abspielt. Er ist der Lärm am Eingang zu der stimmlosen Stille eines wirklichen Konfliktes. Man möchte meinen, es wäre allen bisher zu schwer gewesen, von den Zweien zu reden, um die es sich handelt; der Dritte, gerade weil er so unwirklich ist, ist das Leichte der Aufgabe, ihn konnten sie alle. Gleich am Anfang ihrer Dramen merkt man die Ungeduld, zu dem Dritten zu kommen, sie können ihn kaum erwarten. Sowie er da ist, ist alles gut. Aber wie langweilig, wenn er sich verspätet, es kann rein nichts geschehen ohne ihn, alles steht, stockt, wartet. Ja und wie, wenn es bei diesem Stauen und Anstehn bliebe? Wie, Herr Dramatiker, und du, Publikum, welches das Leben kennt, wie, wenn er verschollen wäre, dieser beliebte Lebemann oder dieser anmaßende junge Mensch, der in allen Ehen schließt wie ein Nachschlüssel? Wie, wenn ihn, zum Beispiel, der Teufel geholt hätte? Nehmen wir’s an. Man merkt auf einmal die künstliche Leere der Theater, sie werden vermauert wie gefährliche Löcher, nur die Motten aus den Logenrändern taumeln durch den haltlosen Hohlraum. Die Dramatiker genießen nicht mehr ihre Villenviertel. Alle öffentlichen Aufpassereien suchen für sie in entlegenen Weltteilen nach dem Unersetzlichen, die die Handlung selbst war.

Und dabei leben sie unter den Menschen, nicht diese »Dritten«, aber die Zwei, von denen so unglaublich viel zu sagen wäre, von denen noch nie etwas gesagt worden ist, obwohl sie leiden und handeln und sich nicht zu helfen wissen.

Es ist lächerlich. Ich sitze hier in meiner kleinen Stube, ich, Brigge, der achtundzwanzig Jahre alt geworden ist und von dem niemand weiß. Ich sitze hier und bin nichts. Und dennoch, dieses Nichts fängt an zu denken und denkt, fünf Treppen hoch, an einem grauen Pariser Nachmittag diesen Gedanken:, Ist es möglich, denkt es, daß man noch nichts Wirkliches und Wichtiges gesehen, erkannt und gesagt hat? Ist es möglich, daß man Jahrtausende Zeit gehabt hat, zu schauen, nachzudenken und aufzuzeichnen, und daß man die Jahrtausende hat vergehen lassen wie eine Schulpause, in der man sein Butterbrot ißt und einen Apfel?

Ja, es ist möglich.

Ist es möglich; daß man trotz Erfindungen und Fortschritten, trotz Kultur, Religion und Weltweisheit an der Oberfläche des Lebens geblieben ist? Ist es möglich, daß man sogar diese Oberfläche, die doch immerhin etwas gewesen wäre, mit einem unglaublich langweiligen Stoff überzogen hat, so daß sie aussieht wie die Salonmöbel in den Sommerferien?

Ja, es ist möglich.

Ist es möglich, daß die ganze Weltgeschichte mißverstanden worden ist? Ist es möglich, daß die Vergangenheit falsch ist, weil man immer von ihren Massen gesprochen hat, gerade, als ob man von einem Zusammenlauf vieler Menschen erzählte, statt von dem einen zu sagen, um den sie herumstanden, weil er fremd war und starb?

Ja, es ist möglich.

Ist es möglich, daß man glaubte, nachholen zu müssen, was sich ereignet hat, ehe man geboren war? Ist es möglich, daß man jeden einzelnen erinnern müßte, er sei ja aus allen Früheren entstanden, wüßte es also und sollte sich nichts einreden lassen von den anderen, die anderes wüßten?

Ja, es ist möglich.

Ist es möglich, daß alle diese Menschen eine Vergangenheit, die nie gewesen ist, ganz genau kennen? Ist es möglich, daß alle Wirklichkeiten nichts sind für sie; daß ihr Leben abläuft, mit nichts verknüpft, wie eine Uhr in einem leeren Zimmer —?

Ja, es ist möglich.

Ist es möglich, daß man von den Mädchen nichts weiß, die doch leben? Ist es möglich, daß man »die Frauen« sagt, »die Kinder«, »die Knaben« und nicht ahnt (bei aller Bildung nicht ahnt), daß diese Worte längst keine Mehrzahl mehr haben, sondern nur unzählige Einzahlen?

Ja, es ist möglich.

Ist es möglich, daß es Leute gibt, welche »Gott« sagen und meinen, das wäre etwas Gemeinsames? — Und sieh nur zwei Schulkinder: es kauft sich der eine ein Messer, und sein Nachbar kauft sich ein ganz gleiches am selben Tag. Und sie zeigen einander nach einer Woche die beiden Messer, und es ergibt sich, daß sie sich nur noch ganz entfernt ähnlich sehen, — so verschieden haben sie sich in verschiedenen Händen entwickelt. (Ja, sagt des einen Mutter dazu: wenn ihr auch gleich immer alles abnutzen müßt. — ) Ach so: Ist es möglich, zu glauben, man könne einen Gott haben, ohne ihn zu gebrauchen?

Ja, es ist möglich.

Wenn aber dieses alles möglich ist, auch nur einen Schein von Möglichkeit hat, — dann muß ja, um alles in der Welt, etwas geschehen. Der Nächstbeste, der, welcher diesen beunruhigenden Gedanken gehabt hat, muß anfangen, etwas von dem Versäumten zu tun; wenn es auch nur irgendeiner ist, durchaus nicht der Geeignetste: es ist eben kein anderer da. Dieser junge, belanglose Ausländer, Brigge, wird sich fünf Treppen hoch hinsetzen müssen und schreiben, Tag und Nacht, ja er wird schreiben müssen, das wird das Ende sein:

Zwölf Jahre oder höchstens dreizehn muß ich damals gewesen sein. Mein Vater hatte mich nach Urnekloster mitgenommen. Ich weiß nicht, was ihn veranlaßte, seinen Schwiegervater aufzusuchen. Die beiden Männer hatten sich jahrelang, seit dem Tode meiner Mutter, nicht gesehen, und mein Vater selbst war noch nie in dem alten Schlosse gewesen, in welches der Graf Brahe sich erst spät zurückgezogen hatte. Ich habe das merkwürdige Haus später nie wiedergesehen, das, als mein Großvater starb, in fremde Hände kam. So wie ich es in meiner kindlich gearbeiteten Erinnerung wiederfinde, ist es kein Gebäude; es ist ganz aufgeteilt in mir; da ein Raum, dort ein Raum und hier ein Stück Gang, das diese beiden Räume nicht verbindet, sondern für sich, als Fragment, aufbewahrt ist. In dieser Weise ist alles in mir verstreut, — die Zimmer, die Treppen, die mit so großer Umständlichkeit sich niederließen, und andere enge, rundgebaute Stiegen, in deren Dunkel man ging wie das Blut in den Adern; die Turmzimmer, die hoch aufgehängten Balkone, die unerwarteten Altane, auf die man von einer kleinen Tür hinausgedrängt wurde: — alles das ist noch in mir und wird nie auf hören, in mir zu sein. Es ist, als wäre das Bild dieses Hauses aus unendlicher Höhe in mich hineingestürzt und auf meinem Grunde zerschlagen.

Ganz erhalten ist in meinem Herzen, so scheint es mir, nur jener Saal, in dem wir uns zum Mittagessen zu versammeln pflegten, jeden Abend um sieben Uhr. Ich habe diesen Raum niemals bei Tage gesehen, ich erinnere mich nicht einmal, ob er Fenster hatte und wohin sie aussahen; jedesmal, sooft die Familie eintrat, brannten die Kerzen in den schweren Armleuchtern, und man vergaß in einigen Minuten die Tageszeit und alles, was man draußen gesehen hatte. Dieser hohe, wie ich vermute, gewölbte Raum war stärker als alles; er saugte mit seiner dunkelnden Höhe, mit seinen niemals ganz aufgeklärten Ecken alle Bilder aus einem heraus, ohne einem einen bestimmten Ersatz dafür zu geben. Man saß da wie aufgelöst; völlig ohne Willen, ohne Besinnung, ohne Lust, ohne Abwehr. Man war wie eine leere Stelle. Ich erinnere mich, daß dieser vernichtende Zustand mir zuerst fast Übelkeit verursachte, eine Art Seekrankheit, die ich nur dadurch überwand, daß ich mein Bein ausstreckte, bis ich mit dem Fuß das Knie meines Vaters berührte, der mir gegenübersaß. Erst später fiel es mir auf, daß er dieses merkwürdige Benehmen zu begreifen oder doch zu dulden schien, obwohl zwischen uns ein fast kühles Verhältnis bestand, aus dem ein solches Gebaren nicht erklärlich war. Es war indessen jene leise Berührung, welche mir die Kraft gab, die langen Mahlzeiten auszuhalten. Und nach einigen Wochen krampfhaften Ertragens hatte ich, mit der fast unbegrenzten Anpassung des Kindes, mich so sehr an das Unheimliche jener Zusammenkünfte gewöhnt, daß es mich keine Anstrengung mehr kostete, zwei Stunden bei Tische zu sitzen; jetzt vergingen sie sogar verhältnismäßig schnell, weil ich mich damit beschäftigte, die Anwesenden zu beobachten.

Mein Großvater nannte es die Familie, und ich hörte auch die andern diese Bezeichnung gebrauchen, die ganz willkürlich war. Denn obwohl diese vier Menschen miteinander in entfernten verwandtschaftlichen Beziehungen standen, so gehörten sie doch in keiner Weise zusammen. Der Oheim, welcher neben mir saß, war ein alter Mann, dessen hartes und verbranntes Gesicht einige schwarze Flecke zeigte, wie ich erfuhr, die Folgen einer explodierten Pulverladung; mürrisch und malkontent wie er war, hatte er als Major seinen Abschied genommen, und nun machte er in einem mir unbekannten Raum des Schlosses alchymistische Versuche, war auch, wie ich die Diener sagen hörte, mit einem Stockhause in Verbindung, von wo man ihm ein-oder zweimal jährlich Leichen zusandte, mit denen er sich Tage und Nächte einschloß und die er zerschnitt und auf eine geheimnisvolle Art zubereitete, so daß sie der Verwesung widerstanden. Ihm gegenüber war der Platz des Fräuleins Mathilde Brahe. Es war das eine Person von unbestimmtem Alter, eine entfernte Cousine meiner Mutter, von der nichts bekannt war, als daß sie eine sehr rege Korrespondenz mit einem österreichischen Spiritisten unterhielt, der sich Baron Nolde nannte und dem sie vollkommen ergeben war, so daß sie nicht das geringste unternahm, ohne vorher seine Zustimmung oder vielmehr etwas wie seinen Segen einzuholen. Sie war zu jener Zeit außerordentlich stark, von einer weichen, trägen Fülle, die gleichsam achtlos in ihre losen, hellen Kleider hineingegossen war; ihre Bewegungen waren müde und unbestimmt, und ihre Augen flossen beständig über. Und trotzdem war etwas in ihr, das mich an meine zarte und schlanke Mutter erinnerte. Ich fand, je länger ich sie betrachtete, alle die feinen und leisen Züge in ihrem Gesichte, an die ich mich seit meiner Mutter Tode nie mehr recht hatte erinnern können; nun erst, seit ich Mathilde Brahe täglich sah, wußte ich wieder, wie die Verstorbene ausgesehen hatte; ja, ich wußte es vielleicht zum erstenmal. Nun erst setzte sich aus hundert und hundert Einzelheiten ein Bild der Toten in mir zusammen, jenes Bild, das mich überall begleitet. Später ist es mir klargeworden, daß in dem Gesicht des Fräuleins Brahe wirklich alle Einzelheiten vorhanden waren, die die Züge meiner Mutter bestimmten, — sie waren nur, als ob ein fremdes Gesicht sich dazwischengeschoben hätte, auseinandergedrängt, verbogen und nicht mehr in Verbindung miteinander.

Neben dieser Dame saß der kleine Sohn einer Cousine, ein Knabe, etwa gleichaltrig mit mir, aber kleiner und schwächlicher. Aus einer gefältelten Krause stieg sein dünner, blasser Hals und verschwand unter einem langen Kinn. Seine Lippen waren schmal und fest geschlossen, seine Nasenflügel zitterten leise, und von seinen schönen dunkelbraunen Augen war nur das eine beweglich. Es blickte manchmal ruhig und traurig zu mir herüber, während das andere immer in dieselbe Ecke gerichtet blieb, als wäre es verkauft und käme nicht mehr in Betracht.

Am oberen Ende der Tafel stand der ungeheure Lehnsessel meines Großvaters, den ein Diener, der nichts anderes zu tun hatte, ihm unterschob und in dem der Greis nur einen geringen Raum einnahm. Es gab Leute, die diesen schwerhörigen und herrischen alten Herrn Exzellenz und Hofmarschall nannten, andere gaben ihm den Titel General. Und er besaß gewiß auch alle diese Würden, aber es war so lange her, seit er Ämter bekleidet hatte, daß diese Benennungen kaum mehr verständlich waren. Mir schien es überhaupt, als ob an seiner in gewissen Momenten so scharfen und doch immer wieder aufgelösten Persönlichkeit kein bestimmter Name haften könne. Ich konnte mich nie entschließen, ihn Großvater zu nennen, obwohl er bisweilen freundlich zu mir war, ja mich sogar zu sich rief, wobei er meinem Namen eine scherzhafte Betonung zu geben versuchte. Übrigens zeigte die ganze Familie ein aus Ehrfurcht und Scheu gemischtes Benehmen dem Grafen gegenüber, nur der kleine Erik lebte in einer gewissen Vertraulichkeit mit dem greisen Hausherrn; sein bewegliches Auge hatte zuzeiten rasche Blicke des Einverständnisses mit ihm, die ebenso rasch von dem Großvater erwidert wurden; auch konnte man sie zuweilen in den langen Nachmittagen am Ende der tiefen Galerie auftauchen sehen und beobachten, wie sie, Hand in Hand, die dunklen alten Bildnisse entlanggingen, ohne zu sprechen, offenbar auf eine andere Weise sich verständigend. Ich befand mich fast den ganzen Tag im Parke und draußen in den Buchenwäldern oder auf der Heide; und es gab zum Glück Hunde auf Urnekloster, die mich begleiteten; es gab da und dort ein Pächterhaus oder einen Meierhof, wo ich Milch und Brot und Früchte bekommen konnte, und ich glaube, daß ich meine Freiheit ziemlich sorglos genoß, ohne mich, wenigstens in den folgenden Wochen, von dem Gedanken an die abendlichen Zusammenkünfte ängstigen zu lassen. Ich sprach fast mit niemandem, denn es war meine Freude, einsam zu sein; nur mit den Hunden hatte ich kurze Gespräche dann und wann: mit ihnen verstand ich mich ausgezeichnet. Schweigsamkeit war übrigens eine Art Familieneigenschaft; ich kannte sie von meinem Vater her, und es wunderte mich nicht, daß während der Abendtafel fast nichts gesprochen wurde.

In den ersten Tagen nach unserer Ankunft allerdings benahm sich Mathilde Brahe äußerst gesprächig. Sie fragte den Vater nach früheren Bekannten in ausländischen Städten, sie erinnerte sich entlegener Eindrücke, sie rührte sich selbst bis zu Tränen, indem sie verstorbener Freundinnen und eines gewissen jungen Mannes gedachte, von dem sie andeutete, daß er sie geliebt habe, ohne daß sie seine inständige und hoffnungslose Neigung hätte erwidern mögen. Mein Vater hörte höflich zu, neigte dann und wann zustimmend sein Haupt und antwortete nur das Nötigste. Der Graf, oben am Tisch, lächelte beständig mit herabgezogenen Lippen, sein Gesicht erschien größer als sonst, es war, als trüge er eine Maske. Er ergriff übrigens selbst manchmal das Wort, wobei seine Stimme sich auf niemanden bezog, aber, obwohl sie sehr leise war, doch im ganzen Saal gehört werden konnte; sie hatte etwas von dem gleichmäßigen unbeteiligten Gang einer Uhr; die Stille um sie schien eine eigene leere Resonanz zu haben, für jede Silbe die gleiche.

Graf Brahe hielt es für eine besondere Artigkeit meinem Vater gegenüber, von dessen verstorbener Gemahlin, meiner Mutter, zu sprechen. Er nannte sie Gräfin Sibylle, und alle seine Sätze schlossen, als fragte er nach ihr. Ja, es kam mir, ich weiß nicht weshalb, vor, als handle es sich um ein ganz junges Mädchen in Weiß, das jeden Augenblick bei uns eintreten könne. In demselben Tone’ hörte ich ihn auch von »unserer kleinen Anna Sophie« reden. Und als ich eines Tages nach diesem Fräulein fragte, das dem Großvater besonders lieb zu sein schien, erfuhr ich, daß er des Großkanzlers Conrad Reventlow Tochter meinte, weiland Friedrichs des Vierten Gemahlin zur linken Hand, die seit nahezu anderthalb hundert Jahren zu Roskilde ruhte. Die Zeitfolgen spielten durchaus keine Rolle für ihn, der Tod war ein kleiner Zwischenfall, den er vollkommen ignorierte, Personen, die er einmal in seine. Erinnerung aufgenommen hatte, existierten, und daran konnte ihr Absterben nicht das geringste ändern. Mehrere Jahre später, nach dem Tode des alten Herrn, erzählte man sich, wie er auch das Zukünftige mit demselben Eigensinn als gegenwärtig empfand. Er soll einmal einer gewissen jungen Frau von ihren Söhnen gesprochen haben, von den Reisen eines dieser Söhne insbesondere, während die junge Dame, eben im dritten Monate ihrer ersten Schwangerschaft, fast besinnungslos vor Entsetzen und Furcht neben dem unablässig redenden Alten saß.