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Siehe Nachwort des Herausgebers Joerg K. Sommermeyer, S. 322 ff.
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Seitenzahl: 371
Veröffentlichungsjahr: 2018
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RAT ACBO
Reihe
Alte Tradition
Azurcelesteblueoscuro
herausgegeben
von
Joerg K. Sommermeyer & Orlando Syrg
Exemplarische Werke der Weltliteratur
herausgegeben von
Joerg K. Sommermeyer
»Rilke hat gleichsam zum ersten Mal die Welt betreten; er hat keine übernommen ... Alles lässt er an sich herankommen, aber nur Erwähltes in sich dringen. Was er aufnimmt, verwandelt er.« (Max Rychner) »Dieser große Lyriker hat nichts getan, als dass er das deutsche Gedicht zum ersten Mal vollkommen gemacht hat.« (Robert Musil)
Skeptisch gegenüber allen einseitig rationalen, psychologisch-soziologischen Welterklärungen entwirft er mit poetischen Mitteln, aufgrund einer Welterfahrung, die in Amouren und der Beziehung zu europäischen Zeitgenossen, Freunden, Bewunderern und Mäzenen wurzelt, sein Weisheitsbild. Liebe, Hinfälligkeit, Tod, das menschliche Verhältnis und Empfinden, Heilssuche und Daseinsdeutung, Wahrheitsgehalt von Dichtung, Leben und Fiktion kleidet er ins Gewand seiner bilderreichen, musikalischen Sprachmagie. (siehe auch das Nachwort von JS, unten S. 322 ff.)
Rainer Maria Rilke (René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke), * 4. Dezember 1875, Prag/ Österreich-Ungarn. Problembeladene Kindheit und Jugend (die Mutter steckt ihn in Mädchentracht, der Vater sieht ihn als Krieger). Frühes Schreiben. Häufige Wohnungswechsel; unentwegtes Reisen (Frankreich, Italien, Spanien, Schweiz, Russland, Ägypten, etc.). Liebesabenteuer (Valerie von David-Rhonfeld, Lou Andreas-Salomé; Clara Westhoff, die er heiratet, aber bald wieder verlässt; Mimi Romanelli, Lulu Albert-Lazard, Claire Studer, etc.). Zwölf Jahre währende Schaffenskrise. Gedichte, Dichtungen in Prosa, Dramen, Roman »Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge«, Erzählungen und Skizzen, Theoretische Schriften, Aufsätze und Rezensionen, Briefe, Übersetzungen. Im Sanatorium Valmont sur Territet bei Montreux stirbt Rainer Maria Rilke am 29. Dezember 1926 an Leukämie. (siehe den detaillierten Lebenslauf im Nachwort des Herausgebers Joerg K. Sommermeyer, S. 322 ff.)
Joerg K. Sommermeyer (JS), * 14.10.1947 in Brackenheim, Sohn des Physikers Kurt Hans Sommermeyer (* 23. März 1906, Schleusingen/Thüringen - † 13. Februar 1969, Freiburg i. Brsg./Bd.-Wrtt; Physikalische Grundlagen der Medizin, Biophysik, Radiologie, Quantenbiologie, Korpuskularstrahlung). Kindheit in Freiburg. Studierte Jura, Philosophie, Germanistik, Geschichte und Musikwissenschaft. Klassische Gitarre bei Viktor v. Hasselmann und Anton Stingl. Unterrichtete in den späten Sechzigern Gitarre am Kindergärtnerinnen-/Jugendleiterinnenseminar und in den Achtzigern Rechtsanwaltsgehilfinnen an der Max-Weber-Schule in Freiburg. 1976 bis 2004 Rechtsanwalt in Freiburg. Setzte sich für eine Stärkung des Rechtsschutzes bei Grundrechtseingriffen ein (Unterbringungsrecht, Untersuchungshaft, Durchsuchungsrecht, strafprozessuale Überholung). Zahlreiche Veröffentlichungen in juristischen Fachzeitschriften sowie Artikel in Musikblättern. Gründer und Vorsitzender der Internationalen Gitarristischen Vereinigung, Organisator und Künstlerischer Leiter der Freiburger Gitarren- und Lautentage, Herausgeber und Redakteur der Zeitschrift Nova Giulianiad: Saitenblätter für die Gitarre und Laute. Juror beim Schlesischen Gitarrenherbst in Tychy und Internationalen Gitarrenkongress Freiburg/Basel/Straßburg. Komponierte Songs, schrieb Liedtexte, Arrangements, Instrumentalmusik. 7 CDs, u. a.: Total Overdrive, Those Rocks & Lieders, Nel Cuore Romanzo Rock, Ergo, 7 Celebrities. Prosa: Anton Unbekannt, Pathoaphysischer Antiroman, Tragigroteskenfragment, 2008/2009; Vernimm mein Schreien, 2017 /2018. Lieblingsmärchen, 2017/2018. Edition von Werken Josefa Gerhäusers, Franz Trellers, Oskar Panizzas, Fritz von Ostinis, Hugo Balls, Carl Einsteins, Ludwig Rubiners, Franz Kafkas, Heinrich von Kleists, Christian Morgensterns, Robert Müllers, Joseph von Eichendorffs, Adelbert von Chamissos, Georg Büchners, Denis Diderots, Wilhelm Heinrich Wackenroders und E. T. A. Hoffmanns.
Orlando Syrg, Berlin, 17. Juni 2018
Über dieses Buch
Der Autor
Der Herausgeber
Das Stunden-Buch
Erstes Buch – Das Buch vom mönchischen Leben
Zweites Buch – Das Buch von der Pilgerschaft
Drittes Buch – Das Buch von der Armut und vom Tode
Das Buch der Bilder
Des ersten Buches Erster Teil
Eingang
Aus einem April
Zwei Gedichte zu Hans Thomas sechzigstem Geburtstage
Mondnacht
Ritter
Mädchenmelancholie
Von den Mädchen
Andere müssen auf langen Wegen
Mädchen, Dichter sind, die von euch lernen
Das Lied der Bildsäule
Der Wahnsinn
Die Liebende
Die Braut
Die Stille
Musik
Die Engel
Der Schutzengel
Märtyrinnen
Die Heilige
Kindheit
Aus einer Kindheit
Der Knabe
Die Konfirmanden
Das Abendmahl
Des ersten Buches Zweiter Teil
Initiale
Zum Einschlafen zu sagen
Menschen bei Nacht
Der Nachbar
Pont du Carrousel
Der Einsame
Die Aschanti
Der Letzte
Bangnis
Klage
Einsamkeit
Herbsttag
Erinnerung
Ende des Herbstes
Herbst
Am Rande der Nacht
Gebet
Fortschritt
Vorgefühl
Sturm
Abend in Skåne
Abend
Ernste Stunde
Strophen
Des zweiten Buches Erster Teil
Initiale
Verkündigung – Die Worte des Engels
Die heiligen drei Könige – Legende
In der Certosa
Das jüngste Gericht – Aus den Blättern eines Mönches
Karl der zwölfte von Schweden reitet in der Ukraine
Der Sohn
Die Zaren – Ein Gedicht-Kreis
Das war in Tagen, da die Berge kamen
Noch drohen große Vögel allenthalben
Seine Diener füttern mit mehr und mehr
Es ist die Stunde, da das Reich sich eitel
Der blasse Zar wird nicht am Schwerte sterben
Noch immer schauen in den Silberplatten
Der Sänger singt vor einem Fürstenkind
Die aus dem Hause Colonna
Des zweiten Buches Zweiter Teil
Fragmente aus verlorenen Tagen
Die Stimmen – Neun Blätter mit einem Titelblatt
Titelblatt
Das Lied des Bettlers
Das Lied des Blinden
Das Lied des Trinkers
Das Lied des Selbstmörders
Das Lied der Witwe
Das Lied des Idioten
Des Lied der Waise
Das Lied des Zwerges
Das Lied des Aussätzigen
Von den Fontänen
Der Lesende
Der Schauende
Aus einer Sturmnacht – Acht Blätter mit einem Titelblatt
Die Blinde
Requiem
Schlussstück
Neue Gedichte
Früher Apollo
Mädchen-Klage
Liebes-Lied
Eranna an Sappho
Sappho an Eranna
Sappho an Alkaïos – Fragment
Grabmal eines jungen Mädchens
Opfer
Östliches Taglied
Abisag
Sie lag. Und ihre Kinderarme waren
Der König saß und sann den leeren Tag
David singt vor Saul
König, hörst du, wie mein Saitenspiel
König, der du alles dieses hattest
König, birgst du dich in Finsternissen
Josuas Landtag
Der Auszug des verlorenen Sohnes
Der Ölbaum-Garten
Pietà
Gesang der Frauen an den Dichter
Der Tod des Dichters
Buddha
L'Ange du Méridien – Chartres
Die Kathedrale
Das Portal
Da blieben sie, als wäre jene Flut
Sehr viele Weite ist gemeint damit
So ragen sie, die Herzen angehalten
Die Fensterrose
Das Kapitäl [Kapitell; Anm. d. Hrsg.]
Gott im Mittelalter
Morgue
Der Gefangene
Meine Hand hat nur noch eine
Denk dir, das was jetzt Himmel ist und Wind
Der Panther
Die Gazelle – Gazella Dorcas
Das Einhorn
Sankt Sebastian
Der Stifter
Der Engel
Römische Sarkophage
Der Schwan
Kindheit
Der Dichter
Die Spitze
Menschlichkeit: Namen schwankender Besitze
Und wenn uns eines Tages dieses Tun
Ein Frauen-Schicksal
Die Genesende
Die Erwachsene
Tanagra
Die Erblindende
In einem fremden Park –
Borgeby-Gård
Abschied
Todes-Erfahrung
Blaue Hortensie
Vor dem Sommerregen
Im Saal
Letzter Abend
Jugend-Bildnis meines Vaters
Selbstbildnis aus dem Jahre 1906
Der König
Auferstehung
Der Fahnenträger
Der letzte Graf von Brederode entzieht sich
Die Kurtisane
Die Treppe der Orangerie – Versailles
Der Marmor-Karren – Paris
Buddha
Römische Fontäne – Borghese
Das Karussell – Jardin du Luxembourg
Spanische Tänzerin
Der Turm – Tour St.-Nicolas, Furnes
Der Platz – Furnes
Quai du Rosaire – Brügge
Béguinage – Béguinage Sainte-Elisabeth, Brügge
Das hohe Tor scheint keine einzuhalten
Was aber spiegelt mit den tausend Scheiben
Die Marien-Prozession – Gent
Die Insel – Nordsee
Die nächste Flut verwischt den Weg im Watt
Als läge er in einem Krater-Kreise
Nah ist nur Innres; alles andre fern
Hetären-Gräber
Orpheus. Eurydike. Hermes
Alkestis
Geburt der Venus
Die Rosenschale
Der neuen Gedichte anderer Teil
Archaischer Torso Apollos
Kretische Artemis
Leda
Delphine
Die Insel der Sirenen
Klage um Antinous
Der Tod der Geliebten
Klage um Jonathan
Tröstung des Elia
Saul unter den Propheten
Samuels Erscheinung vor Saul
Ein Prophet
Jeremia
Eine Sibylle
Absaloms Abfall
Esther
Der aussätzige König
Legende von den drei Lebendigen und den drei Toten
Der König von Münster
Toten-Tanz
Das Jüngste Gericht
Die Versuchung
Der Alchimist
Der Reliquienschrein
Das Gold
Der Stylit
Die ägyptische Maria
Kreuzigung
Der Auferstandene
Magnificat
Adam
Eva
Irre im Garten – Dijon Irre im Garten
Die Irren
Aus dem Leben eines Heiligen
Die Bettler
Fremde Familie
Leichen-Wäsche
Eine von den Alten – Paris
Der Blinde – Paris
Eine Welke
Abendmahl
Die Brandstätte
Die Gruppe – Paris
Schlangen-Beschwörung
Schwarze Katze
Vor-Ostern – Neapel
Der Balkon – Neapel
Auswanderer-Schiff – Neapel
Landschaft
Römische Campagna
Lied vom Meer – Capri. Piccola Marina
Nächtliche Fahrt – Sankt Petersburg
Papageien-Park – Jardin des Plantes, Paris
Die Parke
Unaufhaltsam heben sich die Parke
Leise von den Alleen
Den Teichen und den eingerahmten Weihern
Und Natur, erlaucht und als verletze
Götter von Alleen und Altanen
Fühlst du, wie keiner von allen
Aber Schalen sind, drin der Najaden
Bildnis
Venezianischer Morgen
Spätherbst in Venedig
San Marco – Venedig
Ein Doge
Die Laute
Der Abenteuerer
Wenn er unter jene welche waren
In den Tagen
Falken-Beize
Corrida
Don Juans Kindheit
Don Juans Auswahl
Sankt Georg
Dame auf einem Balkon
Begegnung in der Kastanien-Allee
Die Schwestern
Übung am Klavier
Die Liebende
Das Rosen-Innere
Damen-Bildnis aus den Achtziger-Jahren
Dame vor dem Spiegel
Die Greisin
Das Bett
Der Fremde
Die Anfahrt
Die Sonnenuhr
Schlaf-Mohn
Die Flamingos – Jardin des Plantes, Paris
Persisches Heliotrop
Schlaflied
Der Pavillon
Die Entführung
Rosa Hortensie
Das Wappen
Der Junggeselle
Der Einsame
Der Leser
Der Apfelgarten – Borgeby-Gård
Mohammeds Berufung
Der Berg
Der Ball
Das Kind
Der Hund
Der Käferstein
Buddha in der Glorie
Requiem
Für eine Freundin
Für Wolf Graf von Kalckreuth
Das Marien-Leben
Geburt Mariae
Die Darstellung Mariae im Tempel
Mariae Verkündigung
Mariae Heimsuchung
Argwohn Josephs
Verkündigung über den Hirten
Geburt Christi
Rast auf der Flucht in Ägypten
Von der Hochzeit zu Kana
Vor der Passion
Pietà
Stillung Mariae mit dem Auferstandenen
Vom Tode Mariae (Drei stücke)
Derselbe große Engel, welcher einst
Wer hat bedacht, dass bis zu ihrem Kommen
Doch vor dem Apostel Thomas
Duineser Elegien
Die erste Elegie
Die zweite Elegie
Die dritte Elegie
Die vierte Elegie
Die fünfte Elegie
Die sechste Elegie
Die siebente Elegie
Die achte Elegie
Die neunte Elegie
Die zehnte Elegie
Die Sonette an Orpheus
Erster Teil
Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung!
Und fast ein Mädchen wars und ging hervor
Ein Gott vermags. Wie aber, sag mir, soll
O ihr Zärtlichen, tretet zuweilen
Errichtet keinen Denkstein. Lasst die Rose
Ist er ein Hiesiger? Nein, aus beiden
Rühmen, das ist's! Ein zum Rühmen Bestellter
Nur im Raum der Rühmung darf die Klage
Nur wer die Leier schon hob
Euch, die ihr nie mein Gefühl verließt
Sieh den Himmel. Heißt kein Sternbild ›Reiter‹?
Heil dem Geist, der uns verbinden mag
Voller Apfel, Birne und Banane
Wir gehen um mit Blume, Weinblatt, Frucht
Wartet ..., das schmeckt ... Schon ist's auf der Flucht
Du, mein Freund, bist einsam, weil
Zu unterst der Alte, verworrn
Hörst du das Neue, Herr
Wandelt sich rasch auch die Welt
Dir aber, Herr, o was weih ich dir, sag
Frühling ist wiedergekommen. Die Erde
Wir sind die Treibenden
O erst dann, wenn der Flug
Sollen wir unsere uralte Freundschaft, die großen
Dich aber will ich nun, Dich, die ich kannte
Du aber, Göttlicher, du, bis zuletzt noch Ertöner
Zweiter Teil
Atmen, du unsichtbares Gedicht!
So wie dem Meister manchmal das eilig
Spiegel noch nie hat man wissend beschrieben
O dieses ist das Tier, das es nicht gibt
Blumenmuskel, der der Anemone
Rose, du thronende, denen im Altertume
Blumen, ihr schließlich den ordnenden Händen
Wenige ihr, der einstigen Kindheit Gespielen
Rühmt euch, ihr Richtenden, nicht der
Alles Erworbne bedroht die Maschine, solange
Manche, des Todes, entstand ruhig geordnete Regel
Wolle die Wandlung. O sei für die Flamme
Sei allem Abschied voran, als wäre er hinter
Siehe die Blumen, diese dem Irdischen treuen
O Brunnen-Mund, du gebender, du Mund
Immer wieder von uns aufgerissen
Wo, in welchen immer selig bewässerten Garten
Tänzerin: o du Verlegung
Irgendwo wohnt das Gold in der verwöhnenden Bank
Zwischen den Sternen, wie weit
Singe die Gärten, mein Herz, die du nicht kennst
O trotz Schicksal: die herrlichen Überflüsse
Rufe mich zu jener deiner Stunden
O diese Lust, immer neu, aus gelockertem Lehm!
Schon, horch, hörst du der ersten Harken
Wie ergreift uns der Vogelschrei
Gibt es wirklich die Zeit, die zerstörende?
O komm und geh. Du, fast noch Kind, ergänze
Stiller Freund der vielen Fernen, fühle
Nachwort des Herausgebers Joerg K. Sommermeyer
Porträt Rainer Maria Rilke (Foto, 18. September 1900)
Enthaltend die drei Bücher:
Vom mönchischen Leben
Von der Pilgerschaft
Von der Armut und vom Tode
Gelegt in die Hände von Lou
Erstdruck beim Insel-Verlag, Leipzig 1905.
Erstes Buch/Das Buch vom mönchischen Leben, entstanden 1899, durchgesehen 1905.
Zweites Buch/Das Buch von der Pilgerschaft, entstanden 1901, durchgesehen 1903 und 1905.
Drittes Buch/Das Buch von der Armut und vom Tode, entstanden 1903, durchgesehen 1905.
Da neigt sich die Stunde und rührt mich an
mit klarem, metallenem Schlag:
mir zittern die Sinne. Ich fühle: ich kann –
und ich fasse den plastischen Tag.
Nichts war noch vollendet, eh ich es erschaut,
ein jedes Werden stand still.
Meine Blicke sind reif, und wie eine Braut
kommt jedem das Ding, das er will.
Nichts ist mir zu klein und ich lieb es trotzdem
und mal es auf Goldgrund und groß,
und halte es hoch, und ich weiß nicht wem
löst es die Seele los ...
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.
Ich habe viele Brüder in Sutanen
im Süden, wo in Klöstern Lorbeer steht.
Ich weiß, wie menschlich sie Madonnen planen,
und träume oft von jungen Tizianen,
durch die der Gott in Gluten geht.
Doch wie ich mich auch in mich selber neige:
Mein Gott ist dunkel und wie ein Gewebe
von hundert Wurzeln, welche schweigsam trinken.
Nur, dass ich mich aus seiner Wärme hebe,
mehr weiß ich nicht, weil alle meine Zweige
tief unten ruhn und nur im Winde winken.
Wir dürfen dich nicht eigenmächtig malen,
du Dämmernde, aus der der Morgen stieg.
Wir holen aus den alten Farbenschalen
die gleichen Striche und die gleichen Strahlen,
mit denen dich der Heilige verschwieg.
Wir bauen Bilder vor dir auf wie Wände;
so dass schon tausend Mauern um dich stehn.
Denn dich verhüllen unsre frommen Hände,
sooft dich unsre Herzen offen sehn.
Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden,
in welchen meine Sinne sich vertiefen;
in ihnen hab ich, wie in alten Briefen,
mein täglich Leben schon gelebt gefunden
und wie Legende weit und überwunden.
Aus ihnen kommt mir Wissen, dass ich Raum
zu einem zweiten zeitlos breiten Leben habe.
Und manchmal bin ich wie der Baum,
der, reif und rauschend, über einem Grabe
den Traum erfüllt, den der vergangne Knabe
(um den sich seine warmen Wurzeln drängen)
verlor in Traurigkeiten und Gesängen.
Du, Nachbar Gott, wenn ich dich manches Mal
in langer Nacht mit hartem Klopfen störe, –
so ist's, weil ich dich selten atmen höre
und weiß: Du bist allein im Saal.
Und wenn du etwas brauchst, ist keiner da,
um deinem Tasten einen Trank zu reichen:
Ich horche immer. Gib ein kleines Zeichen.
Ich bin ganz nah.
Nur eine schmale Wand ist zwischen uns,
durch Zufall; denn es könnte sein:
ein Rufen deines oder meines Munds –
und sie bricht ein
ganz ohne Lärm und Laut.
Aus deinen Bildern ist sie aufgebaut.
Und deine Bilder stehn vor dir wie Namen.
Und wenn einmal das Licht in mir entbrennt,
mit welchem meine Tiefe dich erkennt,
vergeudet sich's als Glanz auf ihren Rahmen.
Und meine Sinne, welche schnell erlahmen,
sind ohne Heimat und von dir getrennt.
Wenn es nur einmal so ganz stille wäre.
Wenn das Zufällige und Ungefähre
verstummte und das nachbarliche Lachen,
wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,
mich nicht so sehr verhinderte am Wachen –:
Dann könnte ich in einem tausendfachen
Gedanken bis an deinen Rand dich denken
und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),
um dich an alles Leben zu verschenken
wie einen Dank.
Ich lebe grad, da das Jahrhundert geht.
Man fühlt den Wind von einem großen Blatt,
das Gott und du und ich beschrieben hat
und das sich hoch in fremden Händen dreht.
Man fühlt den Glanz von einer neuen Seite,
auf der noch Alles werden kann.
Die stillen Kräfte prüfen ihre Breite
und sehn einander dunkel an.
Ich lese es heraus aus deinem Wort,
aus der Geschichte der Gebärden,
mit welchen deine Hände um das Werden
sich ründeten, begrenzend, warm und weise.
Du sagtest leben laut und sterben leise
und wiederholtest immer wieder: Sein.
Doch vor dem ersten Tode kam der Mord.
Da ging ein Riss durch deine reifen Kreise
und ging ein Schrein
und riss die Stimmen fort,
die eben erst sich sammelten
um dich zu sagen,
um dich zu tragen
alles Abgrunds Brücke –
Und was sie seither stammelten,
sind Stücke
deines alten Namens.
Der blasse Abelknabe spricht:
Ich bin nicht. Der Bruder hat mir was getan,
was meine Augen nicht sahn.
Er hat mir das Licht verhängt.
Er hat mein Gesicht verdrängt
mit seinem Gesicht.
Er ist jetzt allein.
Ich denke, er muss noch sein.
Denn ihm tut niemand, wie er mir getan.
Es gingen alle meine Bahn,
kommen alle vor seinen Zorn,
gehen alle an ihm verloren.
Ich glaube, mein großer Bruder wacht
wie ein Gericht.
An mich hat die Nacht gedacht;
an ihn nicht.
Du Dunkelheit, aus der ich stamme,
ich liebe dich mehr als die Flamme,
welche die Welt begrenzt,
indem sie glänzt
für irgend einen Kreis,
aus dem heraus kein Wesen von ihr weiß.
Aber die Dunkelheit hält alles an sich:
Gestalten und Flammen, Tiere und mich,
wie sie's errafft,
Menschen und Mächte –
Und es kann sein: eine große Kraft
rührt sich in meiner Nachbarschaft.
Ich glaube an Nächte.
Ich glaube an Alles noch nie Gesagte.
Ich will meine frömmsten Gefühle befrein.
Was noch keiner zu wollen wagte,
wird mir einmal unwillkürlich sein.
Ist das vermessen, mein Gott, vergib.
Aber ich will dir damit nur sagen:
Meine beste Kraft soll sein wie ein Trieb,
so ohne Zürnen und ohne Zagen;
so haben dich ja die Kinder lieb.
Mit diesem Hinfluten, mit diesem Münden
in breiten Armen ins offene Meer,
mit dieser wachsenden Wiederkehr
will ich dich bekennen, will ich dich verkünden
wie keiner vorher.
Und ist das Hoffart, so lass mich hoffärtig sein
für mein Gebet,
das so ernst und allein
vor deiner wolkigen Stirne steht.
Ich bin auf der Welt zu allein und doch nicht allein genug,
um jede Stunde zu weihn.
Ich bin auf der Welt zu gering und doch nicht klein genug,
um vor dir zu sein wie ein Ding,
dunkel und klug.
Ich will meinen Willen und will meinen Willen begleiten
die Wege zur Tat;
und will in stillen, irgendwie zögernden Zeiten,
wenn etwas naht,
unter den Wissenden sein
oder allein.
Ich will dich immer spiegeln in ganzer Gestalt,
und will niemals blind sein oder zu alt
um dein schweres schwankendes Bild zu halten.
Ich will mich entfalten.
Nirgends will ich gebogen bleiben,
denn dort bin ich gelogen, wo ich gebogen bin.
Und ich will meinen Sinn
wahr vor dir. Ich will mich beschreiben
wie ein Bild das ich sah,
lange und nah,
wie ein Wort, das ich begriff,
wie meinen täglichen Krug,
wie meiner Mutter Gesicht,
wie ein Schiff,
das mich trug
durch den tödlichsten Sturm.
Du siehst, ich will viel.
Vielleicht will ich Alles:
das Dunkel jedes unendlichen Falles
und jedes Steigens lichtzitterndes Spiel.
Es leben so viele und wollen nichts,
und sind durch ihres leichten Gerichts
glatte Gefühle gefürstet.
Aber du freust dich jedes Gesichts,
das dient und dürstet.
Du freust dich Aller, die dich gebrauchen
wie ein Gerät.
Noch bist du nicht kalt, und es ist nicht zu spät,
in deine werdenden Tiefen zu tauchen,
wo sich das Leben ruhig verrät.
Wir bauen an dir mit zitternden Händen
und wir türmen Atom auf Atom.
Aber wer kann dich vollenden,
du Dom.
Was ist Rom?
Es zerfällt.
Was ist die Welt?
Sie wird zerschlagen
eh deine Türme Kuppeln tragen,
eh aus Meilen von Mosaik
deine strahlende Stirne stieg.
Aber manchmal im Traum
kann ich deinen Raum
überschaun,
tief vom Beginne
bis zu des Daches goldenem Grate.
Und ich seh: meine Sinne
bilden und baun
die letzten Zierrate.
Daraus, dass Einer dich einmal gewollt hat,
weiß ich, dass wir dich wollen dürfen.
Wenn wir auch alle Tiefen verwürfen:
wenn ein Gebirge Gold hat
und keiner mehr es ergraben mag,
trägt es einmal der Fluss zutag,
der in die Stille der Steine greift,
der vollen.
Auch wenn wir nicht wollen:
Gott reift.
Wer seines Lebens viele Widersinne
versöhnt und dankbar in ein Sinnbild fasst,
der drängt
die Lärmenden aus dem Palast,
wird anders festlich, und du bist der Gast,
den er an sanften Abenden empfängt.
Du bist der Zweite seiner Einsamkeit,
die ruhige Mitte seinen Monologen;
und jeder Kreis, um dich gezogen,
spannt ihm den Zirkel aus der Zeit.
Was irren meine Hände in den Pinseln?
Wenn ich dich male, Gott, du merkst es kaum.
Ich fühle dich. An meiner Sinne Saum
beginnst du zögernd, wie mit vielen Inseln,
und deinen Augen, welche niemals blinzeln,
bin ich der Raum.
Du bist nicht mehr inmitten deines Glanzes,
wo alle Linien des Engeltanzes
die Fernen dir verbrauchen wie Musik, –
du wohnst in deinem allerletzten Haus.
Dein ganzer Himmel horcht in mich hinaus,
weil ich mich sinnend dir verschwieg.
Ich bin, du Ängstlicher. Hörst du mich nicht
mit allen meinen Sinnen an dir branden?
Meine Gefühle, welche Flügel fanden,
umkreisen weiß dein Angesicht.
Siehst du nicht meine Seele, wie sie dicht
vor dir in einem Kleid aus Stille steht?
Reift nicht mein mailiches Gebet
an deinem Blicke wie an einem Baum?
Wenn du der Träumer bist, bin ich dein Traum.
Doch wenn du wachen willst, bin ich dein Wille
und werde mächtig aller Herrlichkeit
und ründe mich wie eine Sternenstille
über der wunderlichen Stadt der Zeit.
Mein Leben ist nicht diese steile Stunde,
darin du mich so eilen siehst.
Ich bin ein Baum vor meinem Hintergrunde,
ich bin nur einer meiner vielen Munde
und jener, welcher sich am frühsten schließt.
Ich bin die Ruhe zwischen zweien Tönen,
die sich nur schlecht aneinander gewöhnen:
denn der Ton Tod will sich erhöhn –
Aber im dunklen Intervall versöhnen
sich beide zitternd.
Und das Lied bleibt schön.
Wenn ich gewachsen wäre irgendwo,
wo leichtere Tage sind und schlanke Stunden,
ich hätte dir ein großes Fest erfunden,
und meine Hände hielten dich nicht so,
wie sie dich manchmal halten, bang und hart.
Dort hätte ich gewagt, dich zu vergeuden,
du grenzenlose Gegenwart.
Wie einen Ball
hätt ich dich in alle wogenden Freuden
hineingeschleudert, dass einer dich finge
und deinem Fall
mit hohen Händen entgegenspringe,
du Ding der Dinge.
Ich hätte dich wie eine Klinge
blitzen lassen.
Vom goldensten Ringe
ließ ich dein Feuer umfassen,
und er müsste mir's halten
über die weißeste Hand.
Gemalt hätt ich dich: nicht an die Wand,
an den Himmel selber von Rand zu Rand,
und hätt dich gebildet, wie ein Gigant
dich bilden würde: als Berg, als Brand,
als Samum, wachsend aus Wüstensand –
oder
es kann auch sein: ich fand
dich einmal ...
Meine Freunde sind weit,
ich höre kaum noch ihr Lachen schallen;
und du: du bist aus dem Nest gefallen,
bist ein junger Vogel mit gelben Krallen
und großen Augen und tust mir leid.
(Meine Hand ist dir viel zu breit.)
Und ich heb mit dem Finger vom Quell einen Tropfen
und lausche, ob du ihn lechzend langst,
und ich fühle dein Herz und meines klopfen
und beide aus Angst.
Ich finde dich in allen diesen Dingen,
denen ich gut und wie ein Bruder bin;
als Samen sonnst du dich in den geringen
und in den großen gibst du groß dich hin.
Das ist das wundersame Spiel der Kräfte,
dass sie so dienend durch die Dinge gehn:
in Wurzeln wachsend, schwindend in die Schäfte
und in den Wipfeln wie ein Auferstehn.
Stimme eines jungen Bruders:
Ich verrinne, ich verrinne
wie Sand, der durch Finger rinnt.
Ich habe auf einmal so viele Sinne,
die alle anders durstig sind.
Ich fühle mich an hundert Stellen
schwellen und schmerzen.
Aber am meisten mitten im Herzen.
Ich möchte sterben. Lass mich allein.
Ich glaube, es wird mir gelingen,
so bange zu sein,
dass mir die Pulse zerspringen.
Sieh, Gott, es kommt ein Neuer an dir bauen,
der gestern noch ein Knabe war; von Frauen
sind seine Hände noch zusammgefügt
zu einem Falten, welches halb schon lügt.
Denn seine Rechte will schon von der Linken,
um sich zu wehren oder um zu winken
und um am Arm allein zu sein.
Noch gestern war die Stirne wie ein Stein
im Bach, geründet von den Tagen,
die nichts bedeuten als ein Wellenschlagen
und nichts verlangen, als ein Bild zu tragen
von Himmeln, die der Zufall drüber hängt;
heut drängt
auf ihr sich eine Weltgeschichte
vor einem unerbittlichen Gerichte,
und sie versinkt in seinem Urteilsspruch.
Raum wird auf einem neuen Angesichte.
Es war kein Licht vor diesem Lichte,
und, wie noch nie, beginnt dein Buch.
Ich liebe dich, du sanftestes Gesetz,
an dem wir reiften, da wir mit ihm rangen;
du großes Heimweh, das wir nicht bezwangen,
du Wald, aus dem wir nie hinausgegangen,
du Lied, das wir mit jedem Schweigen sangen,
du dunkles Netz,
darin sich flüchtend die Gefühle fangen.
Du hast dich so unendlich groß begonnen
an jenem Tage, da du uns begannst, –
und wir sind so gereift in deinen Sonnen,
so breit geworden und so tief gepflanzt,
dass du in Menschen, Engeln und Madonnen
dich ruhend jetzt vollenden kannst.
Lass deine Hand am Hang der Himmel ruhn
und dulde stumm, was wir dir dunkel tun.
Werkleute sind wir: Knappen, Jünger, Meister,
und bauen dich, du hohes Mittelschiff.
Und manchmal kommt ein ernster Hergereister,
geht wie ein Glanz durch unsre hundert Geister
und zeigt uns zitternd einen neuen Griff.
Wir steigen in die wiegenden Gerüste,
in unsern Händen hängt der Hammer schwer,
bis eine Stunde uns die Stirnen küsste,
die strahlend und als ob sie Alles wüsste
von dir kommt, wie der Wind vom Meer.
Dann ist ein Hallen von dem vielen Hämmern
und durch die Berge geht es Stoß um Stoß.
Erst wenn es dunkelt lassen wir dich los:
Und deine kommenden Konturen dämmern.
Gott, du bist groß.
Du bist so groß, dass ich schon nicht mehr bin,
wenn ich mich nur in deine Nähe stelle.
Du bist so dunkel; meine kleine Helle
an deinem Saum hat keinen Sinn.
Dein Wille geht wie eine Welle
und jeder Tag ertrinkt darin.
Nur meine Sehnsucht ragt dir bis ans Kinn
und steht vor dir wie aller Engel größter:
ein fremder, bleicher und noch unerlöster,
und hält dir seine Flügel hin.
Er will nicht mehr den uferlosen Flug,
an dem die Monde blass vorüberschwammen,
und von den Welten weiß er längst genug.
Mit seinen Flügeln will er wie mit Flammen
vor deinem schattigen Gesichte stehn
und will bei ihrem weißen Scheine sehn,
ob deine grauen Brauen ihn verdammen.
So viele Engel suchen dich im Lichte
und stoßen mit den Stirnen nach den Sternen
und wollen dich aus jedem Glanze lernen.
Mir aber ist, sooft ich von dir dichte,
dass sie mit abgewendetem Gesichte
von deines Mantels Falten sich entfernen.
Denn du warst selber nur ein Gast des Golds.
Nur einer Zeit zuliebe, die dich flehte
in ihre klaren marmornen Gebete,
erschienst du wie der König der Komete,
auf deiner Stirne Strahlenströme stolz.
Du kehrtest heim, da jene Zeit zerschmolz.
Ganz dunkel ist dein Mund, von dem ich wehte,
und deine Hände sind von Ebenholz.
Das waren Tage Michelangelos,
von denen ich in fremden Büchern las.
Das war der Mann, der über einem Maß,
gigantengroß,
die Unermesslichkeit vergaß.
Das war der Mann, der immer wiederkehrt,
wenn eine Zeit noch einmal ihren Wert,
da sie sich enden will, zusammenfasst.
Da hebt noch einer ihre ganze Last
und wirft sie in den Abgrund seiner Brust.
Die vor ihm hatten Leid und Lust;
er aber fühlt nur noch des Lebens Masse
und dass er Alles wie ein Ding umfasse, –
nur Gott bleibt über seinem Willen weit:
da liebt er ihn mit seinem hohen Hasse
für diese Unerreichbarkeit.
Der Ast vom Baume Gott, der über Italien reicht,
hat schon geblüht.
Er hätte vielleicht
sich schon gerne, mit Früchten gefüllt, verfrüht,
doch er wurde mitten im Blühen müd,
und er wird keine Früchte haben.
Nur der Frühling Gottes war dort,
nur sein Sohn, das Wort,
vollendete sich.
Es wendete sich
alle Kraft zu dem strahlenden Knaben.
Alle kamen mit Gaben
zu ihm;
alle sangen wie Cherubim
seinen Preis.
Und er duftete leis
als Rose der Rosen.
Er war ein Kreis
um die Heimatlosen.
Er ging in Mänteln und Metamorphosen
durch alle steigenden Stimmen der Zeit.
Da ward auch die zur Frucht Erweckte,
die schüchterne und schönerschreckte,
die heimgesuchte Magd geliebt.
Die Blühende, die Unentdeckte,
in der es hundert Wege gibt.
Da ließen sie sie gehn und schweben
und treiben mit dem jungen Jahr;
ihr dienendes Marien-Leben
ward königlich und wunderbar.
Wie feiertägliches Geläute
ging es durch alle Häuser groß;
und die einst mädchenhaft Zerstreute
war so versenkt in ihren Schoß
und so erfüllt von jenem Einen
und so für Tausende genug,
dass alles schien, sie zu bescheinen,
die wie ein Weinberg war und trug.
Aber als hätte die Last der Fruchtgehänge
und der Verfall der Säulen und Bogengänge
und der Abgesang der Gesänge
sie beschwert,
hat die Jungfrau sich in anderen Stunden,
wie von Größerem noch unentbunden,
kommenden Wunden
zugekehrt.
Ihre Hände, die sich lautlos lösten,
liegen leer.
Wehe, sie gebar noch nicht den Größten.
Und die Engel, die nicht trösten,
stehen fremd und furchtbar um sie her.
So hat man sie gemalt; vor allem Einer,
der seine Sehnsucht aus der Sonne trug.
Ihm reifte sie aus allen Rätseln reiner,
aber im Leiden immer allgemeiner:
sein ganzes Leben war er wie ein Weiner,
dem sich das Weinen in die Hände schlug.
Er ist der schönste Schleier ihrer Schmerzen,
der sich an ihre wehen Lippen schmiegt,
sich über ihnen fast zum Lächeln biegt –
und von dem Licht aus sieben Engelskerzen
wird sein Geheimnis nicht besiegt.
Mit einem Ast, der jenem niemals glich,
wird Gott, der Baum, auch einmal sommerlich
verkündend werden und aus Reife rauschen;
in einem Lande, wo die Menschen lauschen,
wo jeder ähnlich einsam ist wie ich.
Denn nur dem Einsamen wird offenbart,
und vielen Einsamen der gleichen Art
wird mehr gegeben als dem schmalen Einen.
Denn jedem wird ein andrer Gott erscheinen,
bis sie erkennen, nah am Weinen,
dass durch ihr meilenweites Meinen,
durch ihr Vernehmen und Verneinen,
verschieden nur in hundert Seinen
ein Gott wie eine Welle geht.
Das ist das endlichste Gebet,
das dann die Sehenden sich sagen:
Die Wurzel Gott hat Frucht getragen,
geht hin, die Glocken zu zerschlagen;
wir kommen zu den stillern Tagen,
in denen reif die Stunde steht.
Die Wurzel Gott hat Frucht getragen.
Seid ernst und seht.
Ich kann nicht glauben, dass der kleine Tod,
dem wir doch täglich übern Scheitel schauen,
uns eine Sorge bleibt und eine Not.
Ich kann nicht glauben, dass er ernsthaft droht;
ich lebe noch, ich habe Zeit zu bauen:
mein Blut ist länger als die Rosen rot.
Mein Sinn ist tiefer als das witzige Spiel
mit unsrer Furcht, darin er sich gefällt.
Ich bin die Welt,
aus der er irrend fiel.
Wie er
kreisende Mönche wandern so umher;
man fürchtet sich vor ihrer Wiederkehr,
man weiß nicht: ist es jedes Mal derselbe,
sind's zwei, sind's zehn, sind's tausend oder mehr?
Man kennt nur diese fremde gelbe Hand,
die sich ausstreckt so nackt und nah –
da da:
als käm sie aus dem eigenen Gewand.
Was wirst du tun, Gott, wenn ich sterbe?
Ich bin dein Krug (wenn ich zerscherbe?)
Ich bin dein Trank (wenn ich verderbe?)
Bin dein Gewand und dein Gewerbe,
mit mir verlierst du deinen Sinn.
Nach mir hast du kein Haus, darin
dich Worte, nah und warm, begrüßen.
Es fällt von deinen müden Füßen
die Samtsandale, die ich bin.
Dein großer Mantel lässt dich los.
Dein Blick, den ich mit meiner Wange
warm, wie mit einem Pfühl, empfange,
wird kommen, wird mich suchen, lange –
und legt beim Sonnenuntergange
sich fremden Steinen in den Schoß.
Was wirst du tun, Gott? Ich bin bange.
Du bist der raunende Verrußte,
auf allen Öfen schläfst du breit.
Das Wissen ist nur in der Zeit.
Du bist der dunkle Unbewusste
von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Du bist der Bittende und Bange,
der aller Dinge Sinn beschwert.
Du bist die Silbe im Gesange,
die immer zitternder im Zwange
der starken Stimmen wiederkehrt.
Du hast dich anders nie gelehrt:
Denn du bist nicht der Schönumscharte,
um welchen sich der Reichtum reiht.
Du bist der Schlichte, welcher sparte.
Du bist der Bauer mit dem Barte
von Ewigkeit zu Ewigkeit.
An den jungen Bruder:
Du, gestern Knabe, dem die Wirrnis kam:
Dass sich dein Blut in Blindheit nicht vergeude.
Du meinst nicht den Genuss, du meinst die Freude;
du bist gebildet als ein Bräutigam,
und deine Braut soll werden: deine Scham.
Die große Lust hat auch nach dir Verlangen,
und alle Arme sind auf einmal nackt.
Auf frommen Bildern sind die bleichen Wangen
von fremden Feuern überflackt;
und deine Sinne sind wie viele Schlangen,
die, von des Tones Rot umfangen,
sich spannen in der Tamburine Takt.
Und plötzlich bist du ganz allein gelassen
mit deinen Händen, die dich hassen –
und wenn dein Wille nicht ein Wunder tut:
Aber da gehen wie durch dunkle Gassen
von Gott Gerüchte durch dein dunkles Blut.
An den jungen Bruder:
Dann bete du, wie es dich dieser lehrt,
der selber aus der Wirrnis wiederkehrt
und so, dass er zu heiligen Gestalten,
die alle ihres Wesens Würde halten,
in einer Kirche und auf goldnen Smalten
die Schönheit malte, und sie hielt ein Schwert.
Er lehrt dich sagen:
Du mein tiefer Sinn,
vertraue mir, dass ich dich nicht enttäusche;
in meinem Blute sind so viel Geräusche,
ich aber weiß, dass ich aus Sehnsucht bin.
Ein großer Ernst bricht über mich herein.
In seinem Schatten ist das Leben kühl.
Ich bin zum ersten Mal mit dir allein,
du, mein Gefühl.
Du bist so mädchenhaft.
Es war ein Weib in meiner Nachbarschaft
und winkte mir aus welkenden Gewändern.
Du aber sprichst mir von so fernen Ländern.
Und meine Kraft
schaut nach den Hügelrändern.
Ich habe Hymnen, die ich schweige.
Es gibt ein Aufgerichtetsein,
darin ich meine Sinne neige:
du siehst mich groß und ich bin klein.
Du kannst mich dunkel unterscheiden
von jenen Dingen, welche knien;
sie sind wie Herden und sie weiden,
ich bin der Hirt am Hang der Heiden,
vor welchem sie zu Abend ziehn.
Dann komm ich hinter ihnen her
und höre dumpf die dunklen Brücken,
und in dem Rauch von ihren Rücken
verbirgt sich meine Wiederkehr.
Gott, wie begreif ich deine Stunde,
als du, dass sie im Raum sich runde,
die Stimme vor dich hingestellt;
dir war das Nichts wie eine Wunde,
da kühltest du sie mit der Welt.
Jetzt heilt es leise unter uns.
Denn die Vergangenheiten tranken
die vielen Fieber aus dem Kranken,
wir fühlen schon in sanftem Schwanken
den ruhigen Puls des Hintergrunds.
Wir liegen lindernd auf dem Nichts
und wir verhüllen alle Risse;
du aber wächst ins Ungewisse
im Schatten deines Angesichts.
Alle, die ihre Hände regen
nicht in der Zeit, der armen Stadt,
alle, die sie an Leises legen,
an eine Stelle, fern den Wegen,
die kaum noch einen Namen hat, –
sprechen dich aus, du Alltagssegen.
und sagen sanft auf einem Blatt:
Es gibt im Grunde nur Gebete,
so sind die Hände uns geweiht,
dass sie nichts schufen, was nicht flehte;
ob einer malte oder mähte,
schon aus dem Ringen der Geräte
entfaltete sich Frömmigkeit.
Die Zeit ist eine vielgestalte.
Wir hören manchmal von der Zeit,
und tun das Ewige und Alte;
wir wissen, dass uns Gott umwallte
groß wie ein Bart und wie ein Kleid.
Wir sind wie Adern im Basalte
in Gottes harter Herrlichkeit.
Der Name ist uns wie ein Licht
hart an die Stirn gestellt.
Da senkte sich mein Angesicht
vor diesem zeitigen Gericht
und sah (von dem es seither spricht)
dich, großes dunkelndes Gewicht
an mir und an der Welt.
Du bogst mich langsam aus der Zeit,
in die ich schwankend stieg;
ich neigte mich nach leisem Streit:
jetzt dauert deine Dunkelheit
um deinen sanften Sieg.
Jetzt hast du mich und weißt nicht wen,
denn deine breiten Sinne sehn
nur, dass ich dunkel ward.
Du hältst mich seltsam zart
und horchst, wie meine Hände gehn
durch deinen alten Bart.
Dein allererstes Wort war: Licht:
da ward die Zeit. Dann schwiegst du lange.
Dein zweites Wort ward Mensch und bange
(wir dunkeln noch in seinem Klange)
und wieder sinnt dein Angesicht.
Ich aber will dein drittes nicht.
Ich bete nachts oft: Sei der Stumme,
der wachsend in Gebärden bleibt
und den der Geist im Traume treibt,
dass er des Schweigens schwere Summe
in Stirnen und Gebirge schreibt.
Sei du die Zuflucht vor dem Zorne,
der das Unsagbare verstieß.
Es wurde Nacht im Paradies:
sei du der Hüter mit dem Horne,
und man erzählt nur, dass er blies.
Du kommst und gehst. Die Türen fallen
viel sanfter zu, fast ohne Wehn.
Du bist der Leiseste von Allen,
die durch die leisen Häuser gehn.
Man kann sich so an dich gewöhnen,
dass man nicht aus dem Buche schaut,
wenn seine Bilder sich verschönen,
von deinem Schatten überblaut;
weil dich die Dinge immer tönen,
nur einmal leis und einmal laut.
Oft wenn ich dich in Sinnen sehe,
verteilt sich deine Allgestalt:
du gehst wie lauter lichte Rehe
und ich bin dunkel und bin Wald.
Du bist ein Rad, an dem ich stehe:
von deinen vielen dunklen Achsen
wird immer wieder eine schwer
und dreht sich näher zu mir her,
und meine willigen Werke wachsen
von Wiederkehr zu Wiederkehr.
Du bist der Tiefste, welcher ragte,
der Taucher und der Türme Neid.
Du bist der Sanfte, der sich sagte,
und doch: wenn dich ein Feiger fragte,
so schwelgtest du in Schweigsamkeit.
Du bist der Wald der Widersprüche.
Ich darf dich wiegen wie ein Kind,
und doch vollziehn sich deine Flüche,
die über Völkern furchtbar sind.
Dir ward das erste Buch geschrieben,
das erste Bild versuchte dich,
du warst im Leiden und im Lieben,
dein Ernst war wie aus Erz getrieben
auf jeder Stirn, die mit den sieben
erfüllten Tagen dich verglich.
Du gingst in Tausenden verloren,
und alle Opfer wurden kalt;
bis du in hohen Kirchenchoren
dich rührtest hinter goldnen Toren;
und eine Bangnis, die geboren,
umgürtete dich mit Gestalt.
Ich weiß: Du bist der Rätselhafte,
um den die Zeit in Zögern stand.
O wie so schön ich dich erschaffte
in einer Stunde, die mich straffte,
in einer Hoffart meiner Hand.
Ich zeichnete viel ziere Risse,
behorchte alle Hindernisse, –
dann wurden mir die Pläne krank:
es wirrten sich wie Dorngerank
die Linien und die Ovale,
bis tief in mir mit einem Male
aus einem Griff ins Ungewisse
die frommste aller Formen sprang.
Ich kann mein Werk nicht überschaun
und fühle doch: es steht vollendet.
Aber, die Augen abgewendet,
will ich es immer wieder baun.
So ist mein Tagwerk, über dem
mein Schatten liegt wie eine Schale.
Und bin ich auch wie Laub und Lehm,
sooft ich bete oder male
ist Sonntag, und ich bin im Tale
ein jubelndes Jerusalem.
Ich bin die stolze Stadt des Herrn
und sage ihn mit hundert Zungen;
in mir ist Davids Dank verklungen:
ich lag in Harfendämmerungen
und atmete den Abendstern.
Nach Aufgang gehen meine Gassen.
Und bin ich lang vom Volk verlassen,
so ist's: damit ich größer bin.
Ich höre jeden in mir schreiten
und breite meine Einsamkeiten
von Anbeginn zu Anbeginn.
Ihr vielen unbestürmten Städte,
habt ihr euch nie den Feind ersehnt?
O dass er euch belagert hätte
ein langes schwankendes Jahrzehnt.
Bis ihr ihn trostlos und in Trauern,
bis dass ihr hungernd ihn ertrugt;
er liegt wie Landschaft vor den Mauern,
denn also weiß er auszudauern
um jene, die er heimgesucht.
Schaut aus vom Rande eurer Dächer:
da lagert er und wird nicht matt
und wird nicht weniger und schwächer
und schickt nicht Droher und Versprecher
und Überreder in die Stadt.
Er ist der große Mauerbrecher,
der eine stumme Arbeit hat.
Ich komme aus meinen Schwingen heim,
mit denen ich mich verlor.
Ich war Gesang, und Gott, der Reim,
rauscht noch in meinem Ohr.
Ich werde wieder still und schlicht,
und meine Stimme steht;
es senkte sich mein Angesicht
zu besserem Gebet.
Den andern war ich wie ein Wind,
da ich sie rüttelnd rief.
Weit war ich, wo die Engel sind,
hoch, wo das Licht in Nichts zerrinnt –
Gott aber dunkelt tief.
Die Engel sind das letzte Wehn
an seines Wipfels Saum;
dass sie aus seinen Ästen gehn,
ist ihnen wie ein Traum.
Sie glauben dort dem Lichte mehr
als Gottes schwarzer Kraft,
es flüchtete sich Luzifer
in ihre Nachbarschaft.
Er ist der Fürst im Land des Lichts,
und seine Stirne steht
so steil am großen Glanz des Nichts,
dass er, versengten Angesichts,
nach Finsternissen fleht.
Er ist der helle Gott der Zeit,
zu dem sie laut erwacht,
und weil er oft in Schmerzen schreit
und oft in Schmerzen lacht,
glaubt sie an seine Seligkeit
und hangt an seiner Macht.
Die Zeit ist wie ein welker Rand
an einem Buchenblatt.
Sie ist das glänzende Gewand,
das Gott verworfen hat,
als Er, der immer Tiefe war,
ermüdete des Flugs
und sich verbarg vor jedem Jahr,
bis ihm sein wurzelhaftes Haar
durch alle Dinge wuchs.
Du wirst nur mit der Tat erfasst,
mit Händen nur erhellt;
ein jeder Sinn ist nur ein Gast
und sehnt sich aus der Welt.
Ersonnen ist ein jeder Sinn,
man fühlt den feinen Saum darin
und dass ihn einer spann:
Du aber kommst und gibst dich hin
und fällst den Flüchtling an.
Ich will nicht wissen, wo du bist,
sprich mir aus überall.
Dein williger Evangelist
verzeichnet alles und vergisst
zu schauen nach dem Schall.
Ich geh doch immer auf dich zu
mit meinem ganzen Gehn;
denn wer bin ich und wer bist du,
wenn wir uns nicht verstehn?
Mein Leben hat das gleiche Kleid und Haar
wie aller alten Zaren Sterbestunde.
Die Macht entfremdete nur meinem Munde,
doch meine Reiche, die ich schweigend runde,
versammeln sich in meinem Hintergrunde
und meine Sinne sind noch Gossudar.
Für sie ist beten immer noch: Erbauen,
aus allen Maßen bauen, dass das Grauen
fast wie die Größe wird und schön, –
und: jedes Hinknien und Vertrauen
(dass es die andern nicht beschauen)
mit vielen goldenen und blauen
und bunten Kuppeln überhöhn.
Denn was sind Kirchen und sind Klöster
in ihrem Steigen und Erstehn