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In seinen brillanten Essays hat der amerikanische Philosoph Ralph Waldo Emerson (1803–1882) das Ethos eines heroischen Individualismus entfaltet. Emersons unerschütterlicher Glaube an die Macht des Individuums führte ihn zu entsprechenden Ansichten über Staat und Politik. Er glaubte, dass eine ideale Regierung nur die Aufgabe habe, die Rechte und das Wachstum des Individuums zu schützen, und dass sie sich letztendlich von allein auflöse, wenn die Verbesserung des menschlichen Charakters durch Liebe und Weisheit den Staat allmählich überflüssig mache. Der Einzelne wäre erst dann für die Demokratie bereit, wenn er völlig unabhängig und ganz auf sich gestellt wäre. Die Intelligenz würde über Geschäfts-interessen und Politik triumphieren, denn der Geist ist das reichste Gut, das man haben kann. Sein Essay Politics (1844) wird in vorliegendem E-Book auszugsweise veröffentlicht, hier erstmals in deutscher Übersetzung.
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Amerikanischer Pioniergeist, Naturmystik und die Philosophie des deutschen Idealismus — vor allem Goethes und Schellings — verbinden sich in der Person des aus Neuengland stammenden Literaten Ralph Waldo Emerson (1803–1882). Ohne Emerson, diesen Erwecker des amerikanischen Transzendentalismus, wäre weder die bahnbrechende Grashalme-Lyrik eines Walt Whitman noch der zivile Ungehorsam eines Henry David Thoreau denkbar gewesen – ja, ohne ihn, der die Stilform des literarischen Essays zur Meisterschaft vollendete, hätte schließlich auch ein Friedrich Nietzsche seine kristallklaren Aphorismen nicht schreiben können. Dieser bekannte sich offen als ein Bewunderer des Amerikaners Ralph Waldo Emerson, und noch in seinem letzten Buch (Götzendämmerung, 1889) beschreibt er ihn so: »Viel aufgeklärter, schweifender, vielfacher, raffinierter als Carlyle, vor allem glücklicher (...) Ein solcher, der sich instinktiv bloß von Ambrosia nährt, der das Unverdauliche in den Dingen zurücklässt. (...) Emerson hat jene gütige und geistreiche Heiterkeit, welche allen Ernst entmutigt; er weiß schlechterdings nicht, wie alt er schon ist und wie jung er noch sein wird (...).«[1]
Ralph Waldo Emerson trägt den Geist Amerikas in sich, einen Geist radikaler Demokratie, wie er in Jefferson und Abraham Lincoln lebte, aber auch den Geist Europas, besonders den der Romantiker, der Dichter und der Naturphilosophen. Mit Carlyle, Wordsworth und Coleridge stand er in persönlicher Verbindung; den Geist Platons, Shakespeares, Swedenborgs und Goethes hatte er tief in sich aufgenommen. Als Heroen des Geistes galten ihm jene Europäer, die er in seiner Sammlung Essays on Representative Men (1850) als die höchsten Vertreter des Menschengeschlechts feierte. Kaum ein amerikanischer Philosoph wurzelte so tief im Europäertum wie er, aber kaum ein anderer war wie er in der Lage, den Geist Europas zu durchdringen mit dem freiheitlichen Unabhängigkeitswillen Amerikas, mit einem ganz bodenständigen amerikanischen Individualismus, der sich einerseits aus dem Ethos religiösen Nonkonformismus, andererseits aus dem wild-romantischen Siedlerleben in unberührter Natur herleitet.
In seinen brillanten Essays (1841) hat Ralph Waldo Emerson erstmals den Ethos eines heroischen Individualismus entfaltet, der sich dann bei Nietzsche zum schwindelerregenden Gipfelgedanken des Übermenschentums steigert. Im Mittelpunkt seiner Lebensphilosophie, in zahlreichen Schriften und Essays niedergelegt, steht der Begriff des self-reliance, zu Deutsch Selbstvertrauen: ein bedingungsloser Glaube an die Kräfte des eigenen Selbst, das als Kern der bewussten Persönlichkeit nicht etwa das niedere Ego, sondern etwas Überpersönlich-Kosmisches darstellt. Emerson wirft uns zurück auf unser Ureigenstes, Innerstes, auf unser eigentliches Selbst; und er lehrt uns, nicht Vorbildern und Autoritäten nachzueifern, sondern ganz aus dem Ureigenen heraus zu schaffen. Denn jeder Mensch, der wahrhaft »Ich bin!« zu sich selbst sagen kann, stellt etwas Einmaliges, Unwiederbringliches dar.
Der kategorische Imperativ, den Emerson aufstellt, lautet nicht: Sei einem höherem Gesetz gehorsam!, sondern er lautet schlicht und einfach: »Sei du selbst!« Das bedeutet auch: Vertraue dir selbst! Sei dein eigener Gesetzgeber, dein eigener König und Hohepriester, sei der Vollender deines eigenen Wesens! Das Moralgesetz, nach dem du handelst, steht nicht in irgendwelchen als heilig erachteten Schriften niedergeschrieben; es leuchtet in Flammenschrift in deinem eigenen Herzen. Wie Nietzsche und Max Stirner bemüht sich Emerson um eine selbstgesetzgebende Moral, frei von Geboten, Verordnungen und Gesetzen, herausgeboren aus dem Inneren des zu sich selbst erwachten Einzelnen. Bei Nietzsche ist dies die Moral des »Übermenschen«, der – ganz im Bewusstsein seines einmaligen Selbst – sich aus dem Bann allgemeinen Herdenmenschentums herausgelöst hat, um selbst im Angesicht einer scheinbar sinnlosen »Ewigen Wiederkehr des Gleichen« den selbstgesetzten Sinn eines tätigen Schöpfertums zu verwirklichen.
Die Erhebung einer Institution, Lehre, Ideologie oder Religion zu einer Art Über-Ich, der sich das Ich des Einzelnen willig unterzuordnen habe, bedeutet für Emerson ein Gräuel; die einzige Untugend ist die des Konformismus. Daher: Keine Konformität mehr, keine Anpassung an Normen und Schablonen, die Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben! Es gibt keine Allgemeingültigkeit im gesellschaftlichen Leben, es kann keine geben, denn jedes Individuum ist eine Welt für sich, und es trägt einen ganzen Kosmos in sich. Was für den Einen gilt, muss nicht für Alle gelten! In seinem Essay Self-Reliance (Selbstvertrauen) hat Emerson diesen Gedanken in aphoristische Klarheit gefasst. Er sagt dort: »Wer ein Mensch sein will, der muss Nonkonformist sein. Wer unsterbliche Siege erringen will, darf sich nicht durch den Namen der Güte behindern lassen, sondern muss erforschen, ob es Güte sei. Nichts ist endlich heilig als die Integrität deines eigenen Geistes. Sprich dich von dir selbst frei, und du wirst auf der Welt ein Stimmrecht haben.«[2]