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Mit Gleitsichtbrille und Käsesahnetorte in den Generationenkampf – der Nachfolgeband des SPIEGEL-Bestsellers der Macher:innen von alman_memes2.0. Anette ist Bürgermeisterin! Doch wie von Göttergatte Achim bereits vor der Wahl befürchtet, geht der Trubel jetzt erst richtig los. Anettes erstes Großprojekt steht direkt in den Startlöchern: die Umgestaltung des heruntergekommenen Jugendtreffs «Haus der offenen Tür» (kurz: HoT) in ein schickes Mehrgenerationen-Projekt. Schließlich war der Jugendtreff den Ü40-Hildenbergern schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Statt Komasaufen, Zigarettenstummel, Scherben und Alkopops sollen sich Jung und Alt bei gemeinsamen Bastel-, Koch- und Spieleabenden wohlfühlen. Doch mit dem jugendlichen Gegenwind, der Anette in den darauffolgenden Wochen entgegenschlägt, hat sie nicht gerechnet. Denn die Hildenberger Jugend macht mobil gegen die Pläne der neuen Bürgermeisterin … «Überhaupt ist die Erzählung von zahlreichen Anspielungen auf Loriot durchzogen, dessen trocken-absurder Komik ‹Noch 3 Treuepunkte› in nichts nachsteht.» Die Welt
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Seitenzahl: 275
Sina Scherzant • Marius Notter
Mehr Kleinstadt-Wahnsinn mit den Ahlmanns. Von den Macher:innen von alman_memes2.0
Mit Gleitsichtbrille und Käsesahnetorte in den Generationenkampf – der Nachfolgeband des SPIEGEL-Bestsellers der Macher:innen von alman_memes2.0.
Anette ist Bürgermeisterin! Doch wie von Göttergatte Achim bereits vor der Wahl befürchtet, geht der Trubel jetzt erst richtig los. Anettes erstes Großprojekt steht direkt in den Startlöchern: die Umgestaltung des heruntergekommenen Jugendtreffs «Haus der offenen Tür» (kurz: HoT) in ein schickes Mehrgenerationenprojekt. Schließlich war der Jugendtreff den Ü40-Hildenbergern schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Statt Komasaufen, Zigarettenstummeln, Scherben und Alkopops soll es für Jung und Alt gemeinsame Bastel-, Koch- und Spieleabende geben. Doch mit dem jugendlichen Gegenwind, der Anette in den darauffolgenden Wochen entgegenschlägt, hat sie nicht gerechnet. Denn die Hildenberger Jugend macht mobil gegen die Pläne der neuen Bürgermeisterin …
«Überhaupt ist die Erzählung von zahlreichen Anspielungen auf Loriot durchzogen, dessen trocken-absurder Komik ‹Noch 3 Treuepunkte› in nichts nachsteht.» Die Welt
Hinter @alman_memes2.0 verbergen sich Marius Notter und Sina Scherzant.
Seit April 2019 betreiben die beiden den Instagram-Account @alman_memes2.0, der schnell zum Internet-Hype wurde und neben typisch deutschen Klischees wie schlechten Wortspielen oder Lärmempfindlichkeit in der Nachbarschaft auch gesellschaftliche Missstände auf die Schippe nimmt. Die studierte Erziehungs- und Bildungswissenschaftlerin Sina Scherzant, die u.a. als Dozentin im Bildungsbereich und (Comedy-)Autorin tätig ist, und Marius Notter, der u.a. für Spiegel Online arbeitete und verschiedene Social-Media-Formate als Producer verantwortete, entdecken hin und wieder auch typisch deutsche Eigenarten an sich, vor allem, wenn es ums Teilen der Restaurantrechnung geht.
Widmung
Kapitel 1 Das Teelicht und die Kiwi
Kapitel 2 Anettes großer Coup
Kapitel 3 Unverhofft kommt oft
Kapitel 4 Die Schmiererei
Kapitel 5 Schicht im Schacht
Kapitel 6 Aufstand statt Abriss
Kapitel 7 Nackte Tatsachen
Kapitel 8 Albträume werden wahr
Kapitel 9 Wie Frau Merkel
Kapitel 10 Finale mit Fleischkäse
Für E
«Und jetzt gespreizte Kaktusarme … Nabel einziehen … fließend rüber ins leichte Hohlkreuz … Sehr gut, und weiter mit der Ausatmung in den runden Rücken, und die Arme umschließen eine imaginäre Kugel … Die Schulter unten lassen, Anette, nicht den Nacken so stauchen …»
Anette Ahlmann zuckte zusammen, zog rasch die Schultern nach unten und reckte ihren Hals ein wenig nach vorne, was an eine Schildkröte erinnerte, die neugierig den Kopf aus ihrem Panzer steckte.
«Na, na … der Kopf bleibt unten, ganz entspannt», ermahnte die sanfte Stimme sie erneut.
Anette ließ den Kopf sinken, was ihr sehr entgegenkam. So konnte wenigstens niemand sehen, dass sie knallrot geworden war. Verdammte Axt! Heute wollte es einfach nicht klappen!
«Wir kommen jetzt wieder in den Schneidersitz, nehmt gerne euer Kissen oder euren Yogaklotz zur Stabilisierung hinzu, der Rücken ist gerade, der Blick nach vorn … Anette, auch hier sind die Schultern unten …» Yogatrainer Manuel war wie aus dem Nichts hinter Anette erschienen und drückte ihre Schultern sachte Richtung Boden. Sie spürte, dass die Blicke der anderen Teilnehmenden auf ihr lagen. Nicht beachten, Anette, nicht beachten, wiederholte sie mantraartig in ihrem Kopf, richtete den Blick starr nach vorne und heftete ihn fest an die weiße Wand des Kursraumes. Manuel lief geräuschlos wieder nach vorn zu seiner eigenen Matte und begann eine Dehnübung für den Schulter- und Nackenbereich vorzuführen, die sie bisher noch nie gemacht hatten. Jetzt, da die Aufmerksamkeit der anderen wieder auf ihren Trainer gerichtet war, traute sich Anette, den Blick vorsichtig durch den Raum schweifen zu lassen.
Von weiter vorne warf ihre beste Freundin Biggi ihr einen fragenden Blick zu. Anette zuckte ratlos die Schultern, ließ sie dann aber schnell wieder sinken. Nicht dass Manuel dachte, sie hätte das mit der Schulterposition immer noch nicht verstanden.
Wie jeden Dienstagabend gab sich Anette auch heute große Mühe, seinen Anweisungen zu folgen, doch es fiel ihr viel schwerer als sonst. Ständig rauschten ihre Gedanken in alle Richtungen davon, und sie bekam sie einfach nicht wieder eingefangen.
Zugegeben, sie ahnte schon, warum heute ein bisschen der Wurm drin war. Schließlich war sie in aller Eile nach Feierabend direkt zur Volkshochschule aufgebrochen und hatte den grauen Altbau nur wenige Minuten vor Beginn der Stunde erreicht. Da war keine Zeit gewesen, mal kurz durchzuschnaufen. Normalerweise achtete sie darauf, nicht völlig abgehetzt beim Yoga anzukommen, das merkte Manuel nämlich sofort und erinnerte alle stets mit sanft-mahnender Stimme an die Bedeutung freier Energiekanäle. Heute war es aber nun mal nicht anders gegangen! Morgen stand Anettes erste große Bewährungsprobe im Rathaus an, und die musste bis ins kleinste Detail ausgearbeitet sein, damit sie am Ende nicht doof dastand. Der Wiedenmaier und die Baumgärtner aus der Opposition würden sich ordentlich ins Fäustchen lachen, wenn sie gleich zu Beginn scheiterte. Das durfte sie auf keinen Fall zulassen!
Erst vor wenigen Wochen hatte Anette ihr Amt als Bürgermeisterin von Hildenberg angetreten und sich nach einer ersten Orientierungsphase sofort in die Arbeit gestürzt. Es gab einiges zu tun! Doch darüber sprechen wollte sie erst, wenn morgen alles glattgegangen war. Bisher hatte sie Biggis Fragen glücklicherweise gut ausweichen können, denn die wollte – als ehemaliges Mitglied von Anettes Wahlkampfteam und Unterstützerin der ersten Stunde – natürlich ganz genau wissen, was gerade Thema im Rathaus war.
Ganz bewusst hatte Anette sich zu Beginn der Yogastunde einen Platz am hintersten Ende des Raums gesucht, da sie wusste, dass es Biggi immer in den vorderen Bereich zog. Und so war es auch gekommen. Kaum hatte Biggi in Begleitung von Yogatrainer Manuel den Kursraum betreten, ließ sie ihre Matte in der ersten Reihe, nur wenige Zentimeter von Manuels Unterlage entfernt, sinken. Anschließend sah sie sich im Raum um und erspähte Anette. «Ist das okay, wenn ich hier vorn liege?», fragte sie ihre Freundin im Flüsterton, aber mit überdeutlichen Lippenbewegungen.
Anette hatte mit den Händen gewedelt und tonlos ein «Jaja, wir reden später» geformt.
Der Kurs, den Anette und Biggi bei Manuel besuchten, war für «Fortgeschrittene». Seit fast acht Jahren machten die beiden jetzt schon gemeinsam Yoga, und eigentlich hatte Anette auch bei den dynamischeren Übungen mittlerweile einen guten Atem- und Bewegungsrhythmus entwickelt. Manchmal zeigte Manuel ihnen nur so zum Spaß anspruchsvollere Übungen mit Kopfstand, Handstand und allem möglichen Pipapo. Da winkte Anette dann aber meistens doch direkt ab. Das sollten die jungen Hüpfer ruhig allein machen. Biggi, die auf ihrer Poleposition natürlich vor Manuel glänzen wollte, probierte auch die noch so ausgefallenste Übung aus, während alle anderen schon aufgegeben hatten. So kam es, dass sie sich vor ein paar Monaten ganz böse die Schulter geprellt hatte, als sie aus dem Kopfstand abgerutscht war.
Natürlich tat Biggi Anette leid, als sie schwankend, von Manuel gestützt, hinaus auf den Parkplatz geführt wurde, wo bereits ihr Göttergatte Jörg wartete, um sie in die Notaufnahme zu fahren. Dennoch … Wenn Biggi nicht immer so übertreiben würde, wär ja nichts passiert!
«Klar tut Biggi mir leid. Jetzt muss sie die Schulter ein paar Wochen schonen und kann kaum was machen, aber sie ist auch ein bisschen selbst schuld. Man muss ja mit fünfzig Jahren keinen Kopfstand mehr machen …», hatte Anette damals beim Abendbrot zu Achim gesagt und entrüstet den Kopf geschüttelt.
Mittlerweile war Biggis Schulter jedoch verheilt und ihr Enthusiasmus ungebrochen. So bewegte sie sich auch heute voller Elan durch die Übungen, ganz im Gegensatz zu Anette, der jetzt beim Wechsel vom «herabschauenden Hund» in den «heraufschauenden Hund» der Atemrhythmus vollkommen durcheinandergeriet, sodass sie sich im Schneidersitz auf ihre Matte setzen musste, um den aufkommenden Schwindel zu vertreiben.
Anette musste zugeben, dass Biggi wirklich was hermachte, wie sie da in ihren lachsfarbenen, dreiviertellangen Yogapants und dem grau melierten Tanktop nahezu mühelos aus der vorherigen Position in die Kobra wechselte. Da konnten sich manche der Jüngeren tatsächlich noch eine Scheibe von abschneiden. Sie beobachtete Biggi eine Weile von ihrer Ruheposition aus, bis der Schwindel verflogen war, legte sich dann wie die anderen auf den Rücken und stieg wieder ein.
«Und jetzt mit ein bisschen Schwung nach oben kommen mit den Beinen, sehr schön, nehmt die Hände zur Unterstützung, die Ellenbogen drücken fest in den Boden, und so kommen wir in den Schulterstand», hallte Manuels Stimme sanft durch den Raum.
«Bei uns hieß das früher Kerze», brummelte Babsi, die neben Anette lag.
Anette schob ihre Beine langsam nach oben, merkte aber, dass diese bedrohlich schwankten und sie heute keinen guten Stand mit den Ellenbogen fand.
Da rumste es neben ihr.
Babsi war aus dem Schulterstand gepurzelt und lag verknotet neben ihrer Matte.
«Na gut», meinte sie, «dann heute eben keine Kerze, dann bleib ich einfach in der Teelicht-Position!»
Anette gluckste, und auch um sie herum ertönte gedämpftes Gelächter.
«Im Teelicht … herrlich», kicherte Petra zu Babsis anderer Seite.
Anette spähte an ihren Beinen vorbei und sah, dass Biggi als Einzige nicht lachte.
Stattdessen war ihr Gesicht vor Anstrengung verzerrt. Ihre Kette war ihr unter die Ohren gerutscht, und der zugehörige matt silberne Anhänger in Elefantenform, den Jörg ihr zum letzten Hochzeitstag geschenkt hatte, baumelte über ihrer Nase. Mein lieber Schwan, dachte Anette im Stillen, man kann’s auch übertreiben, ’n bisschen Spaß sollte es doch wohl auch noch machen.
Als Manuel endlich die Abschluss-Entspannung einläutete, war Anette heilfroh. Zwar war sie in der letzten Viertelstunde doch einigermaßen gut mitgekommen, aber so richtig in den Flow kam sie heute trotzdem einfach nicht. Außerdem knurrte ihr Magen alle fünf Minuten bedrohlich, da sie mittags nur schnell ein paar trockene Cracker aus ihrer eisernen Bürosnack-Reserve gefuttert hatte.
«Dann kommt jetzt alle langsam wieder in diesem Raum an, öffnet die Augen, wenn ihr so weit seid … Streckt die Arme aus oder bewegt die Zehen, spürt mal in euch rein, welche Bewegung euer Körper gerade ausführen möchte … Und dann kommt ganz allmählich ins Sitzen …», sagte Manuel kurze Zeit später und setzte sich in den Schneidersitz. Er führte die Arme vor der Brust zusammen und machte eine kleine Verbeugung im Sitzen, Anette und die anderen taten es ihm nach.
Geschafft! Anette stand langsam auf, zog ihre Socken wieder an, rollte ihre Matte zusammen und machte sich auf den Weg zur Umkleidekabine. Biggi stand vorne bei Manuel und unterhielt sich angeregt mit ihm. Während sie mit dem jungen, muskulösen Mann sprach, drehte sie betont lässig eine Strähne ihrer blond gelockten Kurzhaarfrisur zwischen den Fingern. Anette verdrehte innerlich die Augen, sagte aber nichts.
Fünf Minuten später betrat auch Biggi die Umkleide.
«Na, was gab’s noch Wichtiges zu besprechen?», fragte Anette und bemühte sich um einen gelassenen Tonfall.
«Ach, du, ich hab immer das Gefühl, dass ich mein Powerhouse beim Schulterstand nicht richtig aktiviert kriege. Aber Manu meinte, dass das bei mir doch klasse ausgesehen hätte …», schwatzte Biggi sofort drauflos.
«Hmmmhhh», antwortete Anette nur. Wie hatte ihre Tochter Annika das letztens noch genannt? Wenn Leute sich selbst kritisierten, aber eigentlich nur hören wollten, dass sie es super gemacht hatten? Compliments fischen oder so.
Das war einfach wieder typisch Biggi. Diese ständige Einschmeichelei bei ihrem Trainer war in den vergangenen Monaten sogar noch schlimmer geworden. Seit am Wahlsonntag im vergangenen September zufällig herausgekommen war, dass Manuel eine Liaison mit der vierzehn Jahre älteren Friseurin Ulrike hatte, schien es, als hätte Biggi ihre Bemühungen, ihn zu bezirzen, noch verstärkt. Ganz so als glaubte sie, die Beziehung belege, dass ihr Trainer grundsätzlich nicht die Finger von älteren Frauen lassen könnte. So ein Unfug! Es musste irgendwas anderes sein, das Manuel und Ulrike verband. Anette hatte sich zwar auch sehr über diese Verbindung gewundert, aber wenn die zwei glücklich waren, meine Güte! Dann sollte es eben so sein. Leben und leben lassen! Was Biggi mit ihrer ständigen Flirterei bezweckte, war ihr wirklich schleierhaft. Vor allem war sie doch seit Ewigkeiten mit Jörg verheiratet und machte – wenn sie nicht gerade beim Yogakurs war – auch immer einen auf verliebtes Täubchen. Jörg hier und Jörg da. Das hatte Anettes Göttergatte Achim ja schon seit Längerem angeprangert. Später, wenn sie nach Hause kam, würde sie Achim direkt erzählen, wie Biggi sich heute wieder aufgeführt hatte. Unmöglich!
«Babsi, wo warste denn letzte Woche? Nicht dass hier der Schlendrian einkehrt», rief Biggi gerade quer durch die Umkleide.
«Du, der Dirk und ich waren doch ’n paar Tage in der Sächsischen Schweiz!», antwortete Babsi.
«Ach, das soll ja herrlich sein», klinkte sich Petra ein.
«Ich sag es euch, wun-der-schön! Glaubt man gar nicht, was wir für ’ne sagenhafte Natur hier in Deutschland haben, da muss man nicht immer wer weiß wohin fliegen. Und die Luuuuft erst!», meinte Babsi, während sie ihre Yogamatte schulterte. «Also dann, ihr Lieben, bis nächste Woche!»
Die ganze Umkleide flötete im Chor «Bis nächste Woche, Babsi!» und wandte sich dann wieder den jeweiligen Sporttaschen und -beuteln zu.
«Du, Anette, was ich dich mal fragen wollte, wie heißt eigentlich das Hotel, in das ihr immer am Gardasee fahrt? Hatte den Achim letztens schon beim Bäcker danach gefragt, aber da isses ihm nicht eingefallen. Der Thomas und ich wollten dieses Frühjahr so gerne mal wieder an den Lago!», ertönte plötzlich Petras Stimme direkt neben Anette, die sich gerade ihre neuen, gefütterten Outdoorstiefel zuschnürte und Petra nicht hatte kommen sehen.
«Äh … äh … Du, wo du mich so fragst, ich weiß es gerade auch nicht … ist so ’n ungewöhnlicher Name, weißt du», erwiderte Anette stockend und lachte nervös.
«Du, kein Problem, wenn du dran denkst, kannste ja zu Hause mal nachschauen, und dann sagste es mir einfach nächste Woche!», entgegnete Petra und verließ mit einem «Alsooo, tschüsschen, ihr Lieben!» die Umkleide.
Anette und Biggi tauschten einen Blick und grinsten.
«Die Petra ist ja wirklich ’ne Nette, aber im Urlaub muss ich die nicht auch noch um mich haben», raunte Anette Biggi zu.
«Nee, das muss wirklich nicht sein. Wenn sich das erst mal rumspricht, hocken da dann plötzlich nicht nur Petra und Thomas, sondern Hinz und Kunz aus ganz Hildenberg», flüsterte Biggi zurück.
«Eben! Das isses ja!», meinte Anette und war froh, dass Achim das tolle Balkonzimmer im Hotel Renata für diesen Sommer bereits gebucht hatte. Das würde ihnen keiner wegschnappen!
«Aber jetzt sag mal», Biggis Stimme war nun lauter, da auch die übrigen Kursteilnehmerinnen die Umkleide verlassen hatten, «was war denn vorhin mit dir los? Warst ja ganz durch’n Wind!»
Anette nestelte ein wenig an ihrem Sportbeutel herum, um nicht sofort antworten zu müssen. Dann atmete sie einen kurzen Moment tief durch, straffte die Schultern und schlüpfte gedanklich in ihr Bürgermeisterinnenkostüm.
«Es ist momentan im Rathaus einiges los, Birgit, so viel kann ich sagen, allerdings ist es mir aktuell noch nicht möglich, mit Außenstehenden über Details zu sprechen.» Anette bemühte sich, ihrer Stimme einen professionellen Ton zu geben, fügte dann allerdings noch ein freundschaftliches «Ich hoffe, du verstehst das» hinzu.
Biggi sah enttäuscht aus. «Oh … ja, natürlich», sagte sie mit leiser, belegter Stimme, die so gar nicht nach der sonst immer fröhlichen Biggi klang. Anettes Magen zog sich schmerzhaft zusammen.
Schweigend verstauten die beiden ihre restlichen Sachen in den Sportbeuteln, schulterten ihre Matten und verließen die Volkshochschule.
Anette ärgerte sich. Vielleicht hätte sie Biggi einfach erzählen sollen, welchen großen, politischen Coup sie derzeit plante. Bald würde sowieso ganz Hildenberg davon erfahren, was machten da schon ein paar Tage früher oder später aus? ‹Hildenberg wird nur davon erfahren, wenn der Stadtrat das Projekt durchwinkt›, sagte eine mahnende Stimme in ihrem Kopf. Richtig. Sie musste sich jetzt einfach professionell verhalten und konnte nicht nach Lust und Laune über Interna aus dem Rathaus plaudern.
«An der Spitze kann es manchmal ganz schön einsam werden», hatte der ehemalige Bürgermeister Rudolf Kolloczek kurz nach Anettes Wahlsieg zu ihr gesagt. Ja, sieht ganz so aus, dachte sie jetzt mit einem Anflug von Bitterkeit.
Die Freundinnen traten hinaus auf den Parkplatz vor der Volkshochschule, und Anette blickte sich auf dem Parkplatz um. «Wo ist denn dein Wagen?», fragte sie betont lässig in der Hoffnung, dass sich Biggi schon wieder gefangen hatte.
«Jörg hat mich vorhin abgesetzt», meinte Biggi. «Na ja, ist ja nicht so weit, ich dachte, ich kann auch zurücklaufen … Bewegung tut ja gut, was?» Sie kicherte nervös.
«Biggi, jetzt mach dich nicht lächerlich, wir wohnen direkt nebeneinander. Natürlich nehme ich dich mit!», sagte Anette energisch und deutete auf ihr Auto, das sie einige Meter entfernt abgestellt hatte. Ein Chevrolet Spark, in einem schicken Kiwigrün, den Anette sich zu Beginn ihrer Amtszeit nach langem Überlegen zugelegt hatte.
Eigentlich war sie immer der Auffassung gewesen, dass ein Auto ausreiche und Achim und sie sich den Zafira ohne Probleme teilen konnten. Klar, manchmal hatte das ein paar logistische Überlegungen mehr erfordert, aber im Großen und Ganzen hatte es geklappt. Außerdem hielt sie ein Auto sowieso mehr für einen nützlichen Gebrauchsgegenstand als für ein Statussymbol und war sich sicher, dass Achim – im Gegensatz zu seinem Bruder Ralf, der alle paar Monate mit einem neuen Leasing-Wagen um die Ecke kam – genauso dachte. Als sie jedoch ihre neue Stelle im Rathaus angetreten hatte, war es schwierig geworden mit dem innerfamiliären Carsharing. Anette hatte häufig Außentermine, musste oft auch am Wochenende noch mal auf eine Gartencenter-Eröffnung oder ein Schulfest, und Achim beschwerte sich zunehmend, dass er zu gar nix käme, da er ständig Anette durch die Gegend fahren müsste, um anschließend das Auto mal für zwei Stunden für sich zu haben.
Natürlich hätte es die Möglichkeit gegeben, den alten Dienstwagen des Rathauses zu nutzen, den bereits ihr Vorgänger Rudolf Kolloczek gefahren war. Aber der alte Prius stank wie ein Aschenbecher, und Anette hatte jedes Mal, wenn sie aus dem Wagen ausgestiegen war, das Gefühl gehabt, nach Kneipe zu riechen, was für wichtige Businesstermine ihrer Meinung nach nicht gerade förderlich war. Außerdem hatte die alte Rostlaube so viele Kilometer weg, dass Anette Sorge hatte, das Ding würde bei der leichtesten Bewegung auseinanderfallen. Als sie den Stand des Kilometerzählers mal nebenbei in einem Gespräch mit Biggi erwähnte, hatte diese nur wissend genickt.
«Die Meier hat den Kolloczek doch vor zig Jahren mal mit dem Dienstwagen auf der Autostrada in Italien gleich hinterm Brenner gesehen! Urlaub mit der ganzen Familie auf Spritkosten des Steuerzahlers! Weißt du das nicht mehr? Das war doch der Skandal in Hildenberg!»
Bei Biggis Worten hatte sich irgendwas im Hinterstübchen von Anettes Bewusstsein geregt, und ihr war eingefallen, wie sich der Kolloczek auf einer extra einberufenen Pressekonferenz gegen die Vorwürfe gewehrt und erklärt hatte, dass er den Wagen ausschließlich dienstlich nutze und bei kleineren Umwegen das Spritgeld aus eigener Tasche zahle. Das sei alles transparent und vorschriftsgemäß im Fahrtenbuch eingetragen, hatte er hoch und heilig geschworen.
«Spritgeld für kleinere Umwege … bei ’nem Hybrid, verarschen kann ich mich selber!», hatte die Meier noch Tage später gewettert und jedem, der es hören wollte, lang und breit erzählt, wo genau sie die Kolloczeks gesehen hatte und dass der Rudolf trotz der Kinder auf der Rückbank ’ne Fluppe auf’m Zahn gehabt hätte. «Das muss man sich mal vorstellen!»
Anette hatte damals nichts auf die Geschichte gegeben – wusste doch jeder, dass die Meier für einen guten Skandal ihr letztes Hemd geben würde. Doch später, da sie die 200000 Kilometer auf dem Zähler gesehen und das Quietschen der Bremsen gehört hatte, war sie sich plötzlich nicht mehr so sicher gewesen. Klar gewesen war allerdings, dass sie mit Kolloczeks Räucherkammer keinen Meter mehr fahren würde.
Als die logistischen Probleme schließlich zu einer Reihe kleinerer Streitigkeiten zwischen Achim und ihr führten, hatte Anette sich ein Herz gefasst und vorgeschlagen, einen Zweitwagen anzuschaffen. Nach Anettes Vorstoß hatte Achim fast eine ganze Minute lang geschwiegen und dann gemeint: «Dann müssen wir uns wohl mal schlaumachen!»
Anette vermutete, dass Achim an das viele Geld dachte, das sie für einen neuen Wagen lockermachen müssten. Erst vergangenen Herbst hatten sie sich neue Steinplatten für den Weg zwischen Terrasse und Geräteschuppen gegönnt, eine weitere große Anschaffung innerhalb weniger Monate konnte einem schon mal ordentlich die Laune verhageln. Doch dann fiel ihr ein, dass Achims Bruder Ralf schon mehrfach großspurig erzählt hatte, dass er dem Huber vom Autohaus einen saftigen Leasing-Rabatt von zwanzig Prozent abgequatscht und das Auto «quasi geschenkt bekommen» hatte. Warum es also nicht mal beim Autohaus Huber im Gewerbegebiet Sarlhöhe versuchen?
Sie hatte Achim damals nichts von ihrem Vorhaben erzählt und sich stattdessen eines Mittags in der Pause von Biggi zum Autohaus kutschieren lassen. Beim Anblick der schicken, bunten Neuwagen im Autohaus packte Anette dann plötzlich die Kauflust. Abgesehen von den Garten-Steinplatten hatte sie sich seit Jahren nichts so Teures mehr gegönnt. Ja nicht einmal daran gedacht! Und Herr Huber war äußerst zuvorkommend. Mit jeweils einer dampfenden Tasse Kaffee ausgerüstet, auf der in blauer Schrift dick das Firmenlogo prangte, ging er Anettes Wünsche sehr ausführlich mit ihr im Katalog durch. Zwischendurch füllte ein junger Azubi regelmäßig den Teller mit Keksen auf, die Biggi in Rekordtempo verspeiste, während sie unbeteiligt auf ihrem Smartphone herumtippte.
Um die Sache perfekt zu machen, erzählte ihr der Huber dann noch von seiner aktuellen Frühjahrsaktion, bei der es «unglaubliche zwanzig Prozent auf Neuwagen!» gab. Obwohl Anette bei der Aussicht auf zwanzig Prozent bereits innerlich jubelte, blieb sie äußerlich ruhig, gab nur ein vages «Hmmh» von sich und blätterte noch einmal, vermeintlich unentschlossen, durch den Katalog.
Als so ein paar stille Sekunden verstrichen waren, beugte der Huber sich zu Anette vor, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch bevor sie erfahren konnte, was er wollte, kam der Azubi vorbei und schenkte ihnen Kaffee nach. Herr Huber lehnte sich mit einem Lächeln wieder zurück und wartete ab, bis der junge Mann außer Hörweite war, um dann zu flüstern: «Für unsere Bürgermeisterin gibt es natürlich auch noch einen Satz brandneue Sommerreifen gratis dazu!»
«Aber … aber das kann ich doch nicht annehmen, das ist doch …», Anette senkte ebenfalls die Stimme, «Amtsmissbrauch!»
«Quatsch!», riefen Herr Huber und Biggi wie aus einem Munde. Und so knickte Anette schließlich ein, ließ Herrn Huber die Formulare aufsetzen und lehnte sich mit klopfendem Herzen auf dem leicht wippenden Lederstuhl zurück.
Zwischendurch kamen ihr dann doch wieder Zweifel, ob sie eine so große Entscheidung wirklich ohne Achim treffen sollte, aber Biggi winkte ab. «Mach dir keinen Kopf!», meinte sie nur und wedelte dabei leicht mit der Hand, als wären Anettes Bedenken eine nervige Fliege, die um sie herumschwirrte. «Der wird froh sein, wenn du dich allein um die Sache kümmerst. Der ist doch sonst auch immer von allen Kleinigkeiten so gestresst! Das hier ist ein typischer Fall von ‹Selbst ist die Frau!›. Wenn du das nicht in die Hand nimmst, Netti, wird sich das noch ewig hinziehen. Glaub mir, der Achim wird be-geis-tert sein!»
Achim blickte von der Fernsehzeitschrift auf, die er gerade mit auf der Nasenspitze sitzender Lesebrille eingehend studiert hatte, als er Motorengeräusche in der Einfahrt hörte. Mit einem Brummen erhob er sich vom Sofa und schlurfte träge in die Küche. Er blickte durchs Küchenfenster und sah Anettes kiwifarbenes Auto die Einfahrt hinaufkriechen. Einige Meter hinter seinem Zafira, der im Carport stand, kam der Chevrolet Spark zum Stehen.
«Fahr doch dichter ran, da passen doch noch zwei LKWs dazwischen», knurrte Achim und zog sich in den Schatten der dunklen Küche zurück, als er sah, dass Anette und Nachbarin Biggi mit geschulterten Yogamatten ausstiegen und noch ein paar Sätze wechselten.
Achim warf einen letzten Blick auf die Szenerie in seiner Einfahrt und ging zurück ins Wohnzimmer.
Wie er den Anblick dieser quietschgrünen Nuckelpinne hasste. Er konnte es auch jetzt – Wochen später – immer noch nicht fassen, dass Anette sich das Teil einfach gekauft hatte, ohne sich mit ihm abzustimmen.
Seit Jahren musste er mitansehen, wie sein Bruder Ralf alle zwölf Monate mit einem neuen schicken Auto durch die Gegend heizte. Es kostete ihn jedes Mal seine komplette Willenskraft, nicht nachzufragen, ob er mal eine Runde mit dem SUV, Cabriolet oder Sportwagen drehen durfte. Diesen Triumph wollte er seinem Bruder einfach nicht gönnen. Bei jedem kleinen Mätzchen, das der Zafira machte, keimte in ihm die Hoffnung auf, dass er jetzt endlich einen triftigen Grund hätte, sich nach einem schickeren, eindrucksvollen Modell umzusehen. Aber Pustekuchen! Die alte, anthrazitfarbene Rostlaube berappelte sich jedes Mal wieder und fuhr und fuhr. Achim konnte sich nicht dazu durchringen, den Wagen abzugeben oder verschrotten zu lassen, solange er ihm noch gute Dienste erwies.
Als sich dann Anfang des Jahres abgezeichnet hatte, dass Anette und er mit ihrem bisherigen Ein-Auto-Konzept logistisch nicht mehr hinkamen und Anette ihm vom Zustand des Dienstwagens berichtete, hatte Achim das als Geschenk des Himmels angesehen. Das war die perfekte Win-win-Situation. Anette konnte den Zafira weiterfahren und er sich endlich … Ja, was denn eigentlich? Die Auswahl war ja riesig! Mit vor Aufregung schwitzigen Fingern und der nach vorne geschobenen Lesebrille hatte er Abend für Abend vor einem daumendicken Haufen Ausdrucke gesessen, die ihm sein Azubi zusammengestellt hatte.
Seinen Azubi Thorben hatte Achim nämlich gleich am nächsten Tag mit einem Pfiff und einer wedelnden Handbewegung in sein Büro beordert. Es kam ihm gelegen, dass der Bursche schon eine abgebrochene Kfz-Lehre hinter sich hatte und sich somit einerseits mit Autos auskannte und andererseits aufgrund des kleinen Knicks im Lebenslauf immer einen guten Eindruck bei seinem Chef, Herrn Ahlmann höchstpersönlich, machen wollte. So war er von Achim sofort in den Autoauswahlprozess eingespannt worden. Als der junge Mann ihm dann auf dem Firmen-PC eine große Vorauswahl an Autos zeigte, die infrage kamen, wurde Achim fast schwindelig.
«Kann man das auch irgendwie ausdrucken, damit ich mir das mal in Ruhe ansehen kann?», fragte er grummelig und schaute in ein entgeistertes Gesicht. Doch am nächsten Tag lag auf seinem Schreibtisch ein fein säuberlich gestapelter Stoß Papier. Bedruckt. Fast 70 Seiten mit Autos, die Achims Kriterien erfüllten und bei Vergleichsportalen, lokalen Händlern oder sonstigen Plattformen zu finden waren. Sein Azubi hatte ganze Arbeit geleistet.
Ab diesem Zeitpunkt verbrachte Achim jede freie Minute im Keller damit, verschiedene Modelle in verschiedener Ausführung zu verschiedenen Preisen zu vergleichen. Dabei markierte er mit einem Textmarker in Neongelb, was in die engere Auswahl kam, und in Neonorange die Wagen, die er ausschließen konnte. Als er mit der Vorauswahl durch war, ging er noch mal mit einem grünen Marker durch die Liste und markierte seine Top-Favoriten.
Und dann stand eines Abends einfach diese grüne Frechheit von Auto in seiner Einfahrt – daneben Anette und Biggi mit jeweils einem Glas Prosecco in der Hand.
«Überraschung!», brüllte Anette, als er aus seinem Zafira stieg. Die Proseccoflasche, die an ihrem Gartenzaun lehnte, war bereits zur Hälfte geleert.
«Schiffe weiht man doch auch mit einer Flasche Schampus ein, warum nicht auch ein neues Auto?», fragte Biggi keck und bot ihm ebenfalls ein Glas an, das Achim schnaubend ablehnte.
«Die zerschlagen die Flasche aber am Bug des Schiffs und kippen den Stoff nicht in sich rein», fauchte er und stürmte ins Haus.
Einige Minuten lang saß Achim reglos auf dem Sofa, so von den Socken war er. Schließlich – nach einigen tiefen Seufzern und einem großen Schluck Obstler – fing er sich wieder einigermaßen und stiefelte nach draußen.
«Musste mir erst mal die Hände waschen», brummte er in Richtung Anette und Biggi, die immer noch mit den Proseccogläsern dastanden. Mittlerweile war auch Jörg dazugekommen und besah sich das Soundsystem des Wagens.
Bevor Achim irgendwelche Fragen stellen konnte, plapperte Anette drauflos und erzählte von den zwanzig Prozent Rabatt und dem gratis Satz Sommerreifen, führte ihm die Vorteile auf und endete schließlich mit einem verzückten: «Ist er nicht süß?»
«Sieht irgendwie aus wie ’ne Kiwi», sagte Achim nur und klopfte mit vermeintlicher Kennermiene gegen die Reifen.
«Ja, cool, oder?», antwortete Biggi und strich liebevoll über die Motorhaube, als wäre es ihr Auto.
Für Achim war das kein Auto, das war eine Frechheit auf vier viel zu kleinen Reifen! Aber er hielt den Mund.
Seine Disziplin war einige Tage später erneut auf die Probe gestellt worden. Denn da hatte plötzlich sein Bruder Ralf vor der Tür gestanden – mit einem Grinsen, das von Hildenberg bis an den Ballermann reichte.
«Mir ist zu Ohren gekommen, ihr habt ein neues Auto, das wollte ich mir ansehen, aber ich sehe da draußen nur dieses Bobbycar!»
Wenn er nur daran dachte, wurde Achim fast so wütend wie damals, als Sebastian Vettel beim Großen Preis von Japan durch den Niederländer Verstappen von der Strecke abgedrängt worden war und diese Hohlköpfe von TV-Experten doch tatsächlich dem deutschen Rennfahrer selbst die Schuld für sein Ausscheiden zugesprochen hatten.
Fast zwei Stunden hatte sich Ralf über das neue Auto, Achims Versagen in der Angelegenheit und die traurige Entwicklung, die Männer angeblich durchmachten, wenn sie bei ihren Frauen «unterm Pantoffel standen», ausgelassen. Achim hätte sich in den Hintern beißen können. Hätte er Ralf in den Wochen zuvor doch bloß nicht erzählt, dass er sich einen schicken SUV kaufen wollte und bereits mit einem Profi auf Autosuche war! Dass es sich bei dem «Profi» um seinen Azubi handelte, hatte er in weiser Voraussicht immerhin ausgespart.
Neben Ralfs Spott musste er nun zu allem Überdruss täglich an dieser hässlichen, kleinen Kiwi, die grün glänzend und aus seiner Sicht höchst provokant in der Einfahrt stand, vorbei zu seinem in die Jahre gekommenen Zafira laufen. Das durfte einfach alles nicht wahr sein!
Das Drehen des Haustürschlüssels riss Achim aus seinen trüben Gedanken. Schnell eilte er zurück ins Wohnzimmer und ließ sich aufs Sofa fallen. Anette sollte natürlich nicht wissen, dass er sie durchs Fenster beobachtet hatte.
«Hallo, ich bin’s! Meine Güte, bin ich platt, das sag ich dir aber», hallte Anettes Stimme vom Flur ins Wohnzimmer. «Biggi war heute wieder drauf, das hättest du mal sehen sollen. Wie die sich wieder an Manuel rangeschmissen hat, und dann war se auch noch beleidigt, weil ich ihr nix ausm Rathaus erzählen wollte!»
Kurz darauf saßen Achim und Anette zusammen am Küchentisch und aßen zu Abend. Wobei Achim nicht aß, sondern mit zusammengepressten Lippen und skeptischem Blick seinen Teller inspizierte.
«Was ist das denn?», fragte er und drückte mit der Gabel auf einer kleinen dunkelgrünen Tasche herum.
«Das ist ein gefülltes Weinblatt», antwortete Anette knapp und schnitt ihr eigenes Weinblatt mit Messer und Gabel in mundgerechte Stücke.
«Aha», machte Achim, «und seit wann essen wir so ’n Zeug?»
Anette ließ genervt Messer und Gabel sinken.
Als Biggi vorhin nach dem Yogakurs zu ihr ins Auto gestiegen war, hatte sie erzählt, dass sie unbedingt noch beim Feinkost Schulze vorbeimüsse, um ihren Olivenvorrat aufzustocken. Sie sei einfach «süchtig nach den Dingern», hatte Biggi betont und Anette die gesamte Autofahrt über von Herrn Schulzes köstlichen Antipasti-Leckereien vorgeschwärmt. Anette, erleichtert und froh, dass Biggi nach der bürgermeisterlichen Ansage so schnell wieder zu alter Stärke zurückgefunden hatte, ließ ihre Freundin nicht nur ausschweifend reden, sondern begleitete sie sogar in den Feinkostladen, den sie bisher nur zweimal in ihrem Leben betreten hatte. Das erste Mal war sie vergangenen Sommer beim Stadtfest «Hildenberger Tage» in Herrn Schulzes Laden gewesen, um ein von ihrem ehemaligen Konkurrenten Sebastian Wotzke konstruiertes Debakel zu verhindern, und beim zweiten Mal hatte sie dort einen Fresskorb für Heinz Kaltmeier zusammenstellen lassen, den ihm die Belegschaft als Dankeschön auf der letztjährigen Weihnachtsfeier überreichte. Noch nie war sie auf die Idee gekommen, im Feinkostladen etwas für sich selbst zu kaufen. War ja schließlich schweineteuer, das Zeug!
Doch als sie gemeinsam mit Biggi durch den Laden schlenderte und ihre Freundin ständig stehen blieb, auf verschiedene Produkte zeigte und sagte: «Das ist köstlich, das musst du mal testen!», ließ Anette sich mitreißen. Außerdem ahnte sie, dass der Kühlschrank zu Hause fast leer war, denn Achim hatte sich sicher wieder vorm Wocheneinkauf gedrückt.
«Wir essen so was, weil wir doch auch mal was Neues ausprobieren können, der Kühlschrank leer ist, du nicht einkaufen warst und ich eh zufällig mit Biggi beim Schulze war», sagte sie daher jetzt zu Achim und hörte selbst den gereizten Unterton in ihrer Stimme mitschwingen.
«Beim Schulze? In dem teuren Laden? Ist jetzt hier der Wohlstand ausgebrochen, oder was?», polterte Achim los.
«Soooo teuer ist es da gar nicht, und wie gesagt, sonst hätte es gar nix zum Abendbrot gegeben», erwiderte Anette spitz.
«Ich hab dir gesagt, wie ich das hasse, nach Feierabend einkaufen zu gehen», brummte Achim und beäugte das Innere des Weinblatts. «Um die Zeit sind da immer die Jugendlichen und kaufen Energydrinks! Und dann lungern die da auf’m Parkplatz rum, da kann ich den Wagen ja gar nicht guten Gewissens stehen lassen!»
«Die sind doch unter der Woche da gar nicht!»
«Oh doch, und wie die da sind! Hat die Frau Meier letztens auch noch erzählt, der ganze Parkplatz sei mittlerweile voll mit Zigarettenstummeln, und als sie ausm Laden kam, hätte die Bande um ihren Hund rumgestanden. Wer weiß, was passiert wär, wenn sie nur ’ne Minute später rausgekommen wär!»
«Seit wann scherst du dich denn um das Geplapper der Meier, geschweige denn um ihren ollen Kläffer?», fragte Anette und schnitt sich ein Stück Ziegenkäse ab.
«In dem Fall hat die Meier nun mal recht!»
«Jaja, du weißt doch, dass ich an der Problematik dran bin, Achim.» Sie warf ihrem Göttergatten einen vielsagenden Blick zu.
«Das wird auch Zeit!», meinte Achim, ohne sich zu erkundigen, wie Anette mit ihren Plänen vorankam.
«Morgen fällt die Entscheidung, ob es klappt», sagte sie und wartete auf eine Reaktion ihres Mannes.
«Na, da bin ich ja mal gespannt», brummte dieser nur und bestrich das Crostini in seiner Hand sparsam mit Pistazien-Kürbis-Paste.
«Hoffen wir mal, dass die das durchwinken», sagte Anette, während Achim abbiss und das Gesicht verzog.
«Die wären schön blöd, wenn nicht!»