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Mehr als 22 000 evangelische Bürgerinnen und Bürger des Kirchenstaats Salzburg verloren durch das Reichsemigrationspatent des Salzburger Fürsterzbischofs Firmian 1731 ihre Heimat. Nur eine kleine Gruppe war zur Übersiedlung nach Amerika bereit. In mehreren Transporten zogen die Salzburger erst staatenlos durch Deutschland. Das Spendenaufkommen und die Gastfreundschaft der Bevölkerung gegenüber den Vertriebenen waren unbeschreiblich groß. Ganz Europa nahm am Schicksal der Salzburger teil. Anhand von Briefen, Tagebüchern und anderer historischer Quellen zeichnet das Buch den Weg der aus Salzburg vertriebenen Protestanten und den Aufbau ihres neuen Lebens in Amerika nach, wo sie unter großen persönlichen Opfern ihre Stadt "Eben-Ezer" am Savannah-Fluss errichteten und eine bleibende Heimat fanden.
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Seitenzahl: 563
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Christoph Lindenmeyer
Rebeller, Opfer, Siedler
CHRIStOPH LINDeNmeyeR
Die Vertreibung der Salzburger Protestanten
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2015 Verlag Anton Pustet5020 Salzburg, Bergstraße 12Sämtliche Rechte vorbehalten.
Coverbild:akg-images
Grafik, Satz und Produktion: Tanja KühnelLektorat: Martina SchneiderDruck: Druckerei Theiss, St. Stefan im LavanttalGedruckt in Österreich
ISBN 978-3-7025-0786-2
1 2 3 4 5 6 / 17 16 15 14 15
www.pustet.at
I. Georgia
II. Salzburg
III. America
IV. Salzburg
V. Eben-Ezer
VI. Savannah
VII. Salzburg
VIII. Georgia
IX. Salzburg
X. Eben-Ezer
XI. Salzburg
XII. Baiern
XIII. Eben-Ezer
XIV. Alte Orte
XV. Venedig. Salzburg
XVI. Neu-Eben-Ezer
XVII. Augsburg
XVIII. Auf See
XIX. Zwickau
XX. Georgia
XXI. Leibzig. Zerbst
XXII. Neu-Eben-Ezer
XXIII. Vor Berlin
XXIV. Georgia
XXV. Berlin
XXVI. Eben-Ezer
XXVII. Ostpreußen und Amerika
XXVIII. Georgia
XXIX. Augsburg
XXX. Salzburg. Savannah
Nachwort
Anhang
Bibliografische Hinweise
Von Mitternacht her kommt Wetter und von Mitternacht Kälte.
Von Mitternacht kommt Gold.
Um Gott her ist schrecklicher Glanz.
Buch Hiob
Das, was niemand sieht,
hat einen Sinn, aufgeschrieben zu werden.
Thomas Bernhard
Nie allein, keinen einzigen Augenblick allein. Sich nicht in die Zwischenräume der Stille versenken zu können, wenn die Geräusche des langen Tages verstummen und die Dunkelheit noch nicht zu weinen beginnt. Tagsüber der ewige Wechsel der Brettersägen, das Hämmern, das Blöken und Muhen der Tiere, die Stimmen der Siedler, ihre Klagen, die Gebete, die Wünsche, die Lieder. Nicht allein sein an den Nachmittagen, wenn die Regenwolken schwer über dem Savannah-Fluss hängen, nicht an den Abenden. Denn abends klopfen die Nachbarn an die Tür des Bretterhauses.
Nur in den späten Nächten ist es still, wenn nicht von ferne her und immer näher kommend das Heulen der Wölfe den Schreiber erschreckt. Die Nachtschlangen rascheln draußen durch das Laub. Die Mitternachtsvögel sind erwacht, und der Wind streift vom Fluss her. Im Haus das Knistern, wenn der Schreiber die Seiten des Tagebuchs umwendet, das Kratzen der Feder und ihre metallische Berührung des Tintenglases. Mücken. Mäuse. Aber endlich wird es still in den Stunden vor dem Aufgang der Sonne. Manchmal ein Weinen. Ein Wimmern. Boltzius schreibt in den Nächten. Er schreibt, seit er auf die große Reise von Halle nach Amerika ging, und er schreibt, seit er hier in der neuen englischen Kolonie Georgia lebt. Sein Tagebuch spiegelt die schweren Tage wider, sein Schreiben ist Widerstand gegen die Flüchtigkeit der Gedanken. Jenseits des Atlantiks werden seine Briefe und Tagebücher längst erwartet. Hier in Amerika überflutet die Dunkelheit wie eine schwarze Welle die Hütten und Straßen. Zu Hause nahm sich die Dämmerung mehr Zeit. Er schreibt.
Die Witterung hier im Lande ist überaus unbeständig. Vor einigen Tagen war es ängstlich heiß, ietzo ist wieder bey Tag und Nacht eine ziemliche Kälte eingefallen, die allem Ansehen nach das Garten-Gewächse, welches zu früh gesäet worden, noch mehr ersticken, oder am Wachsthum hindern wird. Auch sind die Winde unterweilen so starck, daß man besorget, die auf schlechtem Grund gebauete Häuser werden davon umgerissen werden.
Boltzius ist in seiner Bretterhütte in Eben-Ezer am Savannah-Fluss allein. Die beiden letzten Nächte waren kühl und angenehm. Noch vor einer Woche aber hatte es starke Regenfälle und Gewitter gegeben. Der halbe Teil des neu angepflanzten Gartens wurde überschwemmt. Hochwasser und Wolkenbrüche haben fast alle frisch eingesetzten Pflanzen aus dem Boden gespült. Jetzt trocknet das Land wieder. Die Krume spaltet sich in kleine und große Risse.
Wie eine undurchdringliche Wand, dunkelgrün verschattet, steht hinter der neuen Siedlung der Wald. Hier wachsen Eichen, Fichten, Nussbäume, Weihrauchbäume, hier wachsen Sassafras, Kräuter und wilde Weinreben. Unter den Wipfeln und Baumkronen liegen die Sümpfe. Die Salzburger nennen sie Schwämme. Auch neben den Sümpfen dampft und schmatzt der Morast, dunkles Wasser steht in den Creeks. Zum Flussufer hin krümmen sich dichte Mangroven, in denen Krokodile leben: Immer wieder einmal fallen sie die Kälber an und töten sie, wenn der Wasserspiegel im Savannah-Fluss fällt und die Kälber deshalb die Böschung hinunterstolpern. Wenn die Flut steigt und sich in die sandigen Ufer hineinfrisst, kriechen die Krokodile die Böschung hinauf. In den Wäldern leben Wölfe, die erst jetzt von den Siedlern entdeckt wurden, und nachts schnüren Füchse über die wenigen Lichtungen. Das Geheul der Wölfe kommt immer näher heran. Sie singen und wimmern wie die Stürme in Salzburg, sagen die Alten, aber die Blätter der Bäume zittern jetzt nicht, nur die Dachbalken und Bretter der Holzhütten ächzen auch in windstillen Zeiten. Flaute und Sturm, Ebbe und Flut wechseln sich bis weit in den Strom hinauf ab.
In den Nächten sind die Feinde unterwegs. Es ist gut, die Fensterläden zu schließen. Sie dämpfen die Geräusche nicht, denn in den Fenstern ist kein Glas eingesetzt. Nachts dringen die Ängste aus uralten Zeiten durch die Ritzen der Balken und die Schlitze der Fensterläden in das Innere der Holzhäuser. Sie fließen mit den Ängsten zusammen, die sich hier schon längst eingenistet haben. In den Nächten horchen die Siedler darauf, was in ihnen lärmt. Bittere Erinnerungen tauchen auf, Schuldgefühle und Worte, die ungesagt blieben, weil die meisten Siedler ihr Land verlassen mussten, ohne sich verabschieden zu können.
Man nennet sie thumbe Leute, um dadurch seinen Haß gegen sie an den Tag zu legen. Sie sollen durch ihre Widersätzlichkeit und übelgegründeten Willen seyn bewogen worden, aus dem Lande zu emigriren.
Draußen werden die Rinder und die Schweine unruhig, wenn sie die Wölfe wittern. Oft kommen die Salzburger zu Boltzius, wenn sie es nicht mehr aushalten, mit sich allein zu sein. Dann erzählen sie ihm, was sie seit der Vertreibung aus Salzburg bedrückt, was ihre Seele aus den Bergen und Tälern in die neue Welt mitgeschleppt hat, alte Sünden und Ängste. Boltzius hört den Salzburgern zu und tröstet sie, so gut er kann. Wer dicht an der hölzernen Wand steht, kann hören, was im leisen Zwiegespräch ausgetauscht wird.
Zwei Frauen aus seinem Ort haben sich im Wald verirrt. Die Aufregung ist groß. Die Schweighofer! Die Eischberger! Wo sind die beiden? Sie müssen gesucht werden. Wer geht mit?
Diesen Morgen langte ich durch göttlichen Beystand über Haberkorn wieder in Eben-Ezer an, unser Boot aber wird mit einiger Provision zu Wasser nachkommen. Schon in Haberkorn erhielt ich die betrübte Nachricht, daß sich zwey fromme Weiber aus der Gemeine im Walde verloren hätten.
Das Boot mit dem Lebensmittel-Proviant für die Gemeinde Eben-Ezer wird bald eintreffen. Vor Savannah ist endlich wieder ein Schiff aus England angekommen; unter den Passagieren sollen einige Schweizer Knechte und Mägde sein, die sich in Eben-Ezer ansiedeln wollen. Boltzius und seine Begleiter sind mit dem kleinen Boot vorausgerudert. Das große Boot ist mit frischen Lebensmitteln aus dem Store-Haus von Savannah beladen, auch mit einem Fass Madeira-Wein für Boltzius, der das Getränk unter den Kranken verteilt. Für Boltzius gab es keinen Platz mehr in dem größeren Ruderboot. Er will schnell wieder in Eben-Ezer zurück sein. Es ist nicht gut, zu lange der Gemeinde fern zu bleiben. Er hat einen Teil der Briefe aus England und Deutschland bei sich. Die Salzburger sehnen sich sehr nach Post, weil sie nicht genau wissen, ob sie in Eben-Ezer bleiben müssen oder ob sie doch noch einmal umsiedeln dürfen. Das ihnen zugewiesene Areal für die Stadtgründung ist ein elendes Stück Land. Sie können ihre Siedlung aber nicht selbst verlegen, denn die Entscheidungen fallen in London, nicht in der neuen Kolonie. Die Briefnachrichten aus Salzburg, England und Preußen, die Schreiben ihrer Freunde und Gönner aus London, Augsburg und Halle tragen sie durch die Tage und sie machen ihnen Mut. So sind sie nicht allein auf sich gestellt, hier am Ende der Welt. Einige Siedler hoffen auf die Zusendung von Korn und Bohnen.
Heute ist der 23. Juli 1734. Die Salzburger wohnen seit Kurzem in Eben-Ezer. Der Ortsname stammt nicht von ihnen, sondern von James Oglethorpe, dem Gouverneur der Kolonie Georgia. Eben-Ezer: So hatte Samuel einen Stein genannt, seinen »Stein der Hilfe«. Noch stand keine einzige Hütte am Savannah-Ufer, da war das Areal für die künftigen Siedler schon benannt. Als sie noch an Bord der großen Segelschiffe waren, buchstabierten sie diese vier Silben immer wieder: ein neuer Name für ihre Zuversicht. Da war das amerikanische Festland als Kontur noch nicht aus dem Atlantik aufgetaucht.
Als ihr Land hinter den Grenzen und ihr alter Kontinent hinter dem Horizont im Osten des Atlantiks versanken, setzten die Schmerzen ein. Das Heimweh. Die bitteren Erinnerungen an Gewalt und Hass. Die Erfahrung dieser Sekundenblitze in den Augen der Zuschauer am Straßenrand, wenn ihre Kolonne bei ihrem Marsch durch die Residenzstadt Salzburg von den rechtgläubigen Bürgern gemustert wurde. Diese wissenden Blicke von Nachbarn, die gar nichts sagen müssen. Es reicht, die Abweichler, die Rebeller, die Unbotmäßigen und Andersgläubigen mit einem Augenaufschlag zu streifen. Nicht allein Worte können verletzen, es waren diese Blicke der Leute, die immer auf der richtigen Seite stehen, ganz nahe bei der Macht und den Mächtigen. Weg mit euch! Ihr jämmerlichen Staats- und Kirchenfeinde werdet hier bei uns nicht mehr geduldet. Niemals mehr! Niemals!
Weg, weg aus dem Lande mit Euch, ihr ketzerischen Hunde! Fahrt zum Teufel, Ihr unverschämten Rebeller!
Ihr werdet schon sehen. Ihr werdet als Sklaven in die Türkei verkauft.
Ihr werdet in Ketten gelegt.
Ihr werdet von den Soldaten im Meer ertränkt.
Jeden Tag hören die Exulanten neue Drohungen.
Bleibt hier, kehrt um, schwört eurer Aufsässigkeit ab!
Wenn ihr geht, geht ihr zugrunde!
Was? Dann geht doch endlich! Seid froh, wenn ihr lebend hier heraus kommt. Wir wollen euch Abtrünnige und Rädelsführer nicht mehr hier bei uns sehen! Für euch gibt es keinen Platz auf dieser Welt!
Ein Salzburger hat im Wald hinter Eben-Ezer eine Menge Weinreben im Wald gefunden: Die Beeren sind von sonderbarer Größe, ihre Schale ist dünner als die der Trauben in Deutschland und sie sind von starkem Geschmack. Vielleicht lassen sich hier Weinstöcke anpflanzen.
In den letzten Tagen, bevor Boltzius mit dem Boot nach Savannah abreiste, haben Indianer die Salzburger Siedlung Eben-Ezer besucht; sie kommen immer wieder einmal vorbei und betteln um leere Arzneifläschchen, in denen sie Fett aufbewahren wollen, um ihre Flinten zu schmieren. Sie werden immer dreister, und die Situation wird vor allem dann gefährlich, wenn sie Rum getrunken haben. Zwei Indianer kommen am nächsten Tag wieder, um Wildbret vorbeizubringen. Sie bedanken sich dafür, dass sie zuvor von den Salzburgern in Eben-Ezer gastlich aufgenommen und bewirtet worden waren, obwohl die Vorräte längst zur Neige gehen.
Als Boltzius endlich in Eben-Ezer eintrifft, stürzen ihm die Leute entgegen. Die Frauen sind inzwischen im Wald aufgefunden worden. Unter freiem Himmel haben sie die Nacht verbringen müssen. Sie schliefen unter Sträuchern. Um in der schwarzen, sternlosen Nacht nicht in einem Creek zu ertrinken, sangen sie sich ihre alten Salzburger Lieder vor. Dass die Bewohner von Eben-Ezer Feuer angezündet hatten, damit die beiden Frauen dem Lichtsignal folgen könnten, sahen sie nicht. Am nächsten Tag brechen noch einmal acht Männer in die Wälder auf. Denn Resch ist nicht zurückgekommen, einer vom Suchtrupp, der die verirrten Frauen hätte finden sollen. Bevor sie aufbrechen, gießen die Männer Wasser auf die Feuerstellen, damit Dampf zum Himmel aufsteigt. Rauchzeichen als Wegweiser. Sie finden Resch nicht. Resch kommt nicht zurück. Resch bleibt in den Wäldern verschwunden.
Die acht Saltzburger, die gestern dem verirrten Resch nachgegangen sind, kamen diesen Morgen wieder, ihn aber haben sie nicht finden können, ob sie wol ihren möglichsten Fleiß gethan. Unter andern hat mir dis sehr wohl gefallen, daß sie viele dürre Bäume umgehauen und um einen noch stehenden Baum herumgesetzt, und mit leicht brennenden Dingen angezündet haben, da denn das Feuer über den Wald hinaus gangen, und von weitem zu sehen gewesen ist. Zugleich haben sie von diesem Feuer-Platz an bis an unsern Ort die Bäume gezeichnet, daß, wenn er zu der noch fortwährenden Gluth und grossem Dampf kommen möchte, er den Weg leicht finden könnte. Heute haben sich wieder andere bey mir gemeldet, in den Wald zu gehen und an einem anderen Ort diese Methode zu versuchen. Dieses verirrten Mannes Weib ist sehr niedergeschlagen, und wolte sich nicht zufrieden geben, war auch Willens ihren Mann selbst aufzusuchen, da er durch die Saltzburger nicht könne gefunden werden. Doch, ich ließ sie zu mir kommen, und redete nach ihren Umständen und nach ihrer gegenwärthigsten Fassung des Gemüths aufs einfältigste mit ihr, und GOtt Lob! nicht ohne allerley Effect. Die Schweighoferin ist in einen nicht geringen Kummer und Gewissens-Angst gekommen, daß sich Resch verirret hat, und noch nicht wiedergekommen ist. Sie meynet, sie sey an seinen ietzigen elenden Umständen schuld, weil er sich alsdann verirret hat, als er mit andern Leuten sie und die andere Saltzburgerin aufzusuchen ausgegangen. Sie vergoß bey meinem Besuch viel Thränen, und preisete zwar GOtt, der sie aus der Irre zu ihren noch jungen Kindern wieder heim gebracht, aber ietzo wegen des dem Resch begegneten Zufalles sehr gebeuget und bekümmert habe …
Die Reschin ist noch immer wegen ihres im Walde verlohrnen Mannes bekümmert, und verlangte heute, daß noch mal einige Leute des Suchens wegen in den Wald geschicket werden möchten: worin ihr auch gewillfahret wird, damit sie zu ihrer mehrern Beruhigung sehe, daß man gern alles mögliche thun, und nichts, was zu seiner Wiederbringung dienen möchte, versäumen will, ob man wol übrigens allezeit in Sorgen stehet, es möchte bey solchem Suchen wieder aufs neue iemand sich verirren, und also unsere Bekümmerniß vermehren.
In der Suche nach Verirrten sind die Salzburger durchaus erfahren. Handlungsreisende haben sich zu Hause oft verstiegen. Kinder verlaufen. Leute aus der Stadt verirrt. Oft musste Vieh gesucht werden. Jeden Weg hätten die Bauern und die Bergleute auch in der Nacht gefunden, sie kennen jeden Steig. Sie wissen, welche Klamm unpassierbar ist, die Umwege bei Hochwasser sind ihnen vertraut, die Spalten der Felsen und die Hänge, die im Winter niemand betreten sollte. Sie wissen genau, welche Stellen von den Soldaten kontrolliert werden, wo sie postiert sind, woher sie heraufsteigen. Wie sich die Kontrollposten umgehen lassen.
Hier in Eben-Ezer mit seinen Sümpfen und Wäldern ist alles neu für sie. Die spitzen Scherben des Sonnenlichts in den Wäldern unterscheiden sich von der durchsichtigen Helligkeit an Salzburger Föhntagen, Wege gibt es nicht und die Fußspuren von gestern verlieren sich unter den Blättern und in den Creeks. Viele Pflanzen kennen sie nicht, und die Geräusche sind ihnen noch fremd. Insekten stechen. Wildkatzen sind unterwegs. Dornen ritzen blutige Linien in die Haut. Stolpern bei fast jedem Schritt. Kein gutes Land, um Verlorene zu suchen.
Diesen Nachmittag sind abermal acht Männer in den Wald gegangen, den verirrten Resch aufzusuchen. Sie haben alles unter einander so abgeredet, daß keiner von ihnen selbst verloren gehe. Auch habe meine Knaben zu Pferde nach Haberkorn geschickt, daß daselbst die Canonen heute und morgen gelöset werden möchten, als womit wir noch nicht versehen sind. Ohnerachtet alles fleissigen Suchens, so die Saltzburger in diesen Tagen angestellet, hat der verirrte Resch doch nicht ausgefunden werden können.
Drei Tage suchen sie nach Resch. Doch er bleibt in den Wäldern und im Gelände zwischen den Mangroven und den Sümpfen unauffindbar. Heute ist der 18. August. Reschs Frau bat heute Morgen, noch einmal einen Suchtrupp auszuschicken, um ihren Mann aufzuspüren. Die Tage sind heiß. Die Salzburger arbeiten am frühen Morgen und am Abend. Tagsüber ist es in der feuchten Hitze nicht auszuhalten. Die Frau weint ohne Unterbrechung. Sie ist unruhig, geht hin und her. Boltzius hat ein langes Gespräch mit ihr geführt. Inzwischen glaubt auch er nicht mehr daran, dass Resch zurückkommt.
Veit Landfelder und die Witwe des verstorbenen Schopacher haben in den letzten Tagen geheiratet.
Ruprecht Steiners Kind ist gestern gestorben, kränklich vom ersten Tag seiner Geburt an. Auch Moshammer ist inzwischen tot, die Kalckerin seit einigen Wochen krank.
Rauschgott geht es sehr schlecht, er hört fast nichts mehr und ist unendlich schwach. Boltzius bat eine alleinstehende Frau darum, ihn zu pflegen. Denn für seine Körperpflege hat der todkranke Rauschgott keine Kraft mehr. Es gibt wenig Aufbruch in den ersten Zeiten, es gibt so viele Abschiede. Boltzius schreibt jeden Namen sorgfältig auf. Wie nach den schweren Regenfällen die Wassertropfen an den Zweigen reihen sich die Tage aneinander. Manchmal fällt ein Tropfen herab. Jetzt sticht wieder die Sonne.
Wir haben seit dem letzten Regen schon über vierzehen Tage keinen mehr, sondern sehr heiß Wetter gehabt. Die Nächte sind kühle, und kommt der schöne Thau den Feld-Früchten sehr wohl zu statten.
Boltzius sitzt fast jede Nacht an seinen Aufzeichnungen, er schreibt Briefe. Seine eigenen und viele Briefe für andere. Er lässt sich von den Salzburgern sagen, was er für sie aufschreiben soll. Denn nur wenige Bewohner von Eben-Ezer können lesen und schreiben. Selbst wenn sie inzwischen die Schrift gelernt haben, fehlt es ihnen, wie sie meinen, an der richtigen Sprache für ihre Briefe nach Europa. Es ist nicht angebracht, im Dialekt zu schreiben. Das gehöre sich nicht, meinen sie. Das Papier ist feucht und wellt sich. Die Tinte trocknet im Glas, nicht aber auf dem Blatt. Boltzius schreibt und lauscht dem Geheul der Wölfe. Sie haben wieder einmal ein paar Schweine und Kälber gerissen. Er schreibt auf, worüber die Männer und Frauen mit ihm reden, wenn sie in sein Bretterhaus kommen. Jedes Wort, das im Haus gesprochen wird, kann draußen gehört werden. Das ist ein Problem. Einmal schwatzt ein Zuhörer weiter, was er aufgeschnappt hat und was er nicht hören sollte. Boltzius hofft, dass er für sich später einmal ein besseres Haus bauen lassen kann, eine Hütte, die besser abgedichtet ist.
Mit dem Bauen geht es langsam her, weil wir nur einen einzigen Zimmermann bekommen haben, dem die Saltzburger wegen ihrer eigenen Geschäffte ietzt nicht helfen können, indem es hohe Zeit ist, ihre Samen in die Erde zu bringen, wo sie noch dis Jahr was ernten wollen.
Es gibt Wichtigeres zu tun, als ein besseres Haus für Boltzius zu bauen. Noch ist die Reihe nicht an ihm, dem Seelsorger, der für alles zuständig ist. Erst bedarf sein Kollege Gronau, der mit ihm aus Halle kam, eines guten Hauses.
Wir haben gestern einen bequemen Platz ausser der Stadt zu einem Kirchhofe ausgesucht.
Rauschgott ist inzwischen gestorben. Ein feiner Mann aus dem Salzburgischen. Er hat nicht geklagt. Ganz still ging er aus dem Leben. Der Abschied macht Boltzius traurig. Die Arzneien des Apothekers Zwifler blieben bei dem alten Mann wirkungslos. Viele Salzburger, die hier ankamen, leben nicht mehr. Die Kinder sterben schnell und leise. Die wenigsten überleben die ersten Wochen. Es gibt fast niemanden in Eben-Ezer, der nicht an Fieberschüben leidet. Auch Boltzius hat ständig Fieber. Arme und Beine schwellen an. Der Husten klingt nicht ab. Er schwitzt. Er friert. Er nimmt keine Rücksicht auf seinen Zustand.
Im Monat Iunio erhielten wir einen Vorrath an Indianischen Erbsen zum Samen, den wir auch unter die Saltzburger hin und wieder vertheilet haben. Sie wachsen gleich den Indianischen Bohnen in allerley Boden, sind viel kleiner als die teutschen Erbsen, und doch von ziemlich gutem Geschmack. Von Savannah habe ich einen guten Vorrath von grober Leinwand mitgebracht, davon die Armen unter uns Hosen, Hemden und andere höchstnöthige Dinge bekommen. Wer noch etwas Geld hat, machet sich ein Gewissen, denen, die noch ärmer sind, diese Wohlthat wegzunehmen, welches ein gar gut Zeichen ist. Neulich sind viele in der Gemeine mit Schuhen nothdürftig versehen worden, die sie am Sonntage anzuziehen pflegen.
Ein frommer Saltzburger, der ihm einige Tage her etwas Erbauliches vorgelesen und vorgebetet, versicherte, daß er bey diesem verstorbenen Rauschgott eine grosse Liebe und Begierde nach dem Guten gefunden, und daß es ihm allezeit sehr lieb gewesen, wenn er zu diesem Zweck zu ihm gekommen: wie denn auch wir dieses von ihm wissen, daß er uns gerne bey sich gehabt und mit uns gebetet hat. Er meynte, daß er sich diese Kranckheit zugezogen, da er neulich mit dem Pferde durch ein tiefes Wasser den Ochsen, die er geweidet, nachreiten müssen, und da er in den nassen Kleidern gesessen, habe er gleich einen üblen Effect am Leibe verspüret.
Die Kalckerin ist einige Wochen kräncklich, auch unterweilen bettlägerig gewesen. Sie war gestern gegen Abend bey mir, sich wegen des Zustandes ihrer Seele mit mir zu unterreden. Die Bacherin war auf ihrem Kranckenbette in ihrem Gemüth sehr bekümmert, weil sie nicht recht wisse, wie sie mit ihrem Heyland dran sey.
Gestern gegen Abend kamen drey Leute von den Evangelischen aus Purysburg zu uns, unter welchen auch war der neulich bestellte Schulmeister, der um einige Bücher für die armen Kinder, und um einige Anweisung, mit den Kindern recht umzugehen, bat: womit man ihm auch theils schriftlich, theils mündlich dienen wollen. Und weil wir vor einiger Zeit einige ABC-Tafeln, wie auch einen guten Vorrath von ABC-Büchern und Catechismis aus Teutschland bekommen haben, so haben wir ihm auch einige davon gegeben, damit er in der Schule einerley Bücher habe, welches die Kinder im Lernen sehr fördert. Die Bücher müssen allezeit in seiner Verwahrung bleiben, und dürfen den Kindern nicht nach Hause gegeben werden.
Die Bücher verwittern schnell. Wie in Salzburg zählen sie zum wichtigsten Besitz. Manchmal kommen neue Bücher aus Augsburg, aus Halle, auch aus London. Boltzius hat inzwischen gelernt, ohne Hemmungen in seinen Briefen immer wieder um neue Bücher zu bitten. Wer nicht lesen kann, dem wird vorgelesen. So war das auch daheim. Alle Salzburger wollen lernen. Die Kinder sollen unterrichtet werden. Zu lange waren sie nicht mehr in der Schule. Auf Schiffen gibt es keine Klassenzimmer. Die Erwachsenen wollen sich weiterbilden. Ohne Bücher ist das nicht möglich. Wenn das Klima feucht ist, setzt sich Schimmel zwischen den Buchseiten an. Insekten fressen sich in das Papier und den Einband hinein. Aus den evangelischen Städten in Deutschland und England gehen Bücher in alle Welt ab, deshalb ist es richtig, auch für die Salzburger immer wieder um Lektüre, um Gesangbücher, um Schulbücher und Lehrbücher für die Erwachsenen zu bitten. Boltzius schreibt auf, was die Leute dringend brauchen. Immer wieder landen Schiffe in Savannah an. Mit ihren beiden Booten holen die Salzburger die Buchpakete, die gespendeten Stoffe und das Werkzeug ab, Medikamente und andere brauchbare Sachen. Die Pflanzen in der Gegend von Eben-Ezer sollen bestimmt werden, es bedarf auch des guten Rats für den Umgang mit der Natur. Täglich wächst die praktische Erfahrung der Siedler. Es ist gut, sie durch das Wissen der Bücher zu vertiefen.
Es ist unsern Leuten sonst gesagt worden, daß die Potates oder Erd-Aepfel hiesigen Landes in allerley Boden und also auch an unserm Orte wachsen würden; welches sie aber ietzt anders erfahren, indem von der Wurtzel, die sie in die Erde geleget, zwar Kraut, aber sonst nichts gewachsen ist. Da man einen Planteur aus Carolina um die Ursache dessen fragte, gab er zur Antwort: die Potates erforderten zwar nicht das beste, doch aber auch gut und fettes Land, an unserm Ort würden sie ohne Düngen nicht wachsen. Es ist eine süsse und wohl schmeckende Frucht, darauf sich die Leute sehr gefreuet haben, weil sie sie an statt des Brodts geniessen können.
Es fehlt an fast allem. Ziegel können nicht gebrannt werden, weil es keinen Ton gibt, Lehm für die Isolierung der Hüttenwände und für den Bau von Kaminen ist rar und sehr teuer. Er muss von weither mit dem Boot herangeschafft werden. Niemand kann das bezahlen. Werkzeug fehlt. Baumaterialien sind nicht vorhanden. Es gibt nur Holz. Die Transporte von Savannah hierher sind gefährlich und mühsam. Manchmal ist der Savannah-Fluss ein dünnes Rinnsal, die Boote haben keine ausreichende Wassertiefe, dann wieder zeigt er sich als gewaltiger Strom voller Strudel und Wasserwirbel.
Der Regen hat dem Lande einige Wochen her sehr gefehlet, daher denn auch unser Fluß abermal sehr klein und zum Fahren mit einem Boot unbrauchbar worden ist. So bald das Wasser gewachsen ist, werden uns einige von unsern Leuten Leimen holen, damit wir einen Stuben-Camin machen lassen wollen, damit wir nächstkommenden Winter nicht von der Kälte vielerley Incommodität leiden und an der Arbeit gehindert werden dürfen. Man hätte im Sommer dazu gethan und bey Hrn. Causton um gebrannte Steine nochmals, wie sonst geschehen, angehalten, wenn man Gewissheit erlanget hätte, ob wir hier bleiben würden, oder nicht. Meines lieben Collegen Haus ist heute von unsern Zimmerleuten völlig ausgebauet worden, und wird er nun endlich auch eine ordentliche Wohnung bekommen, da er sich bisher in einem schlechten und kleinen Häuschen beholfen hat, welches ihm aber durch göttliche Beschirmung an seiner Gesundheit nichts geschadet.
Zum Glück versteht sich Boltzius sehr gut mit Bürgermeister Causton von Savannah, der für die Salzburger im Auftrag der englischen Krone und ihrer für die Besiedelung von Georgia zuständigen Gesellschaften der wichtigste Ansprechpartner in der Region ist. Im Store-Haus seiner Stadt wird eingelagert, was den Salzburgern vertraglich zusteht, was sie brauchen, kaufen und was ihnen darüber hinaus geschenkt wird. In den ersten Wochen werden die Waren zu ihnen gebracht, wenn ein Boot zur Verfügung steht. Bald aber müssen sie ihre Bootsladungen in Savannah selbst abholen. Ihre eigenen Boote aber sind für diese langen Fahrten nicht gut geeignet.
Das Wasser ist in unserm Fluß so hoch aufgeschwollen, als wirs noch nie gesehen haben. Es tritt aus dem Ufer heraus, so, daß nicht nur unser Garten einer Elle hoch unter Wasser gesetzt ist, sondern auch verschiedener Leute Kuh-Ställe mit Wasser voll gefüllet, viele Keller verdorben, und die Aecker um den gantzen Fluß herum überschwemmet worden. Die Brücken nach Haberkorn, die nur neulich theils ausgebessert, theils verlängert worden, sollen ruiniret seyn, und möchte es auch mit der Brücke über unsern Fluß misslich stehen, wenn das Wasser nur noch ein wenig wachsen solte. Auf die Nacht hatten wir ein ziemlich starckes Donnerwetter. Wegen der oft vorzunehmenden nöthigen Reise nach Savannah oder Purysburg haben wir uns ein eigenes leichtes und hurtig gehendes Boot anschaffen müssen. Das zur Gemeine gehörige Boot ist schwer, wanckend, löchericht und fast nicht mehr zu brauchen, daher Hr. Causton ietzt ein breites und grosses, darin auf einmal viel Provision zu uns gebracht werden kann, verfertigen lässet, welches aber für uns, die wir gern unsere Reise geschwind absolviren, nicht dienlich seyn wird.
Herr Causton hat gestern Hüner und Hähne, zusammen 60 Stück, hergeschickt, welche man heute unter die neuen Saltzburger vertheilet. Die Saltzburger haben so wol in dem gemeinschaftlichen Felde, als auch in ihren Gärten, zwar wenig Korn, aber ziemlich viel Bohnen bekommen. Sie wachsen, wie wir vorher gehöret und ietzt erfahren, in allerley, auch dem schlechtesten Boden, der auch nicht sonderlich zubereitet werden darf. Selbst das Unkraut hindert ihren Wachsthum nicht, wenn es gleich häufig mit aufwächset. Das grosse Wasser hat in unsern und andern Gärten diesen Bohnen viel Schaden gethan.
Seit März 1734 leben Boltzius, sein Mitarbeiter Israel Christian Gronau und die Siedler hier. Georgia ist die dreizehnte britische Kronkolonie. Im südlichen Florida wohnen die Spanier, die Franzosen sitzen im westlichen Louisiana. Dass die Siedler aus dem Salzburgischen hier in Georgia ansässig geworden sind, verdanken sie der englischen Siedlungspolitik und dem Engagement vieler Wohltäter, die sich für die verfolgten Salzburger eingesetzt haben und die seitdem mit ihnen in Verbindung stehen. Sie wollen erfahren, wie es den Neusiedlern geht. So notiert Boltzius in seinen Tagebuch-Ausgaben, die nach Europa geschickt werden, die großen und die kleinen Ereignisse in Eben-Ezer, dieser winzigen Stadt auf dem unwirtlichen Uferstreifen zwischen zwei Flüssen.
Ein Saltzburger hatte eine Rattle-Schlange erschlagen, die dreyzehn Rattellen oder Klappern am Schwantz hatte. Ihre Länge war sieben und ein halb Schuh, und die Dicke anderthalb Spannen. Dergleichen ungeheure Schlangen hat noch keiner unter uns gesehen.
Am 7. August kommt in Savannah das Gerücht auf, Boltzius selbst habe sich nahe Eben-Ezer im Urwald verirrt. Je mehr darüber geredet wird, umso mehr verzweifeln die Siedler. Ein Schiffskapitän macht sich mit fünf Indianern auf Anordnung des Bürgermeisters Causton von Savannah auf die Suche. Die Indianer bewegen sich sicher in den Wäldern, durch die Creeks, Mangroven und Sümpfe. Unter den Leuten des Kapitäns ist ein Engländer, der die indianische Sprache versteht. Morgen werden sie die Wälder durchsuchen, am Vorabend treffen sie in Eben-Ezer ein. Boltzius empfängt den Suchtrupp. Die Lage ist schnell geklärt. Nicht er, sondern der Apotheker Johann Andreas Zwifler ist im Wald verschollen. Dieser Mann ist ein exzellenter Kenner von Heilkräutern. Die Salzburger nehmen an, dass er auch jetzt wieder in den Wäldern Heilpflanzen sucht. Oder er ist auf der Jagd. Zwifler redet meist nicht darüber, was er vorhat. Jetzt ist er weg und er kommt aus den unheimlichen Wäldern und Sümpfen nicht wieder zurück. Das ist eine Katastrophe, ein Unglück, eine neue Heimsuchung Gottes, denn der Apotheker Zwifler arbeitet längst auch als Arzt für die Salzburger und bei Notfällen auch für die Indianer, weil es weit und breit niemanden gibt, der die Kranken versorgen oder bei Verletzungen eine erste Hilfe leisten kann.
Die Indianer, die, den Herrn Zwifler zu suchen, hergeschickt waren, sind nun wieder fortgereiset, weil sie nichts von ihm finden können. Man vermuthet, daß er ein Tiger- oder ander reissendes Thier habe schiessen wollen, und weil er es nicht recht getroffen, von demselben zerrissen worden sey. Die Gegend, wo er hinein gegangen, ist nach Aussage derer, die nachgeschickt worden, von solcher Beschaffenheit, daß sich ein Mensch, der ein wenig Nachdencken hat, nicht leicht verlieren kann.
Einer von unsern Saltzburgern, Namens Schweiger, ging heute aus der Bewegung seines Hertzens in den nahe anliegenden Wald zu beten, da er dann unversehens den Herrn Zwifler, den wir bisher als verloren gehalten, antraff, ihn selbst aber nicht bewegen konnte, so gleich mit ihm zu gehen; daher kam er voller Freude zu uns gelaufen. Einer von uns ging gleich mit, und fand ihn, wegen bisheriger Ermangelung der nöthigen Pflege des Leibes, in einem kümmerlichen Zustande. Das meiste war an Kleidern zerrissen und verloren, und was er redete, war ziemlich confus. Er gab vor, er sey schon seit acht Tagen in dieser Gegend gewesen; habe sich aber doch nicht zu rechte finden, noch bis an unsern Ort kommen können. Inzwischen habe er sich mit blauen Beeren den Hunger gestillet, und sein Leben erhalten. Er war aber so matt, verfallen und elend, daß er kaum auf den Füssen stehen konnte. Nachdem Herr Zwifler ausgeruhet, und sich durch ordentliches Essen und Trincken erquicket hat, finden sich die Leibes- und Gemüths-Kräfte ziemlich wieder. Er redet heute wieder gantz ordentlich, und thut ihm leid, daß er gestern manche Dinge confus vorgebracht, als worauf er sich noch gar wohl besinnen kann. Nachdem er an dem ersten Tage einem Rehe, so er geschossen, nachgesetzet, sey er in solche Confusion gerathen, daß er sich nicht wieder aus der Irre heraus bringen können, ob er sich gleich nach der Sonnen gerichtet, und sich diese und jene Vorstellungen gemacht habe. Er habe auch einen Indianer angetroffen, der ihm wieder zu rechte helfen wollen, sich aber in der Nacht von ihm verloren hätte. Gestern frühe sey ihm vorgekommen, als sähe er den Herrn Sen. Urlsperger mit zween ihm wohlbekannten Predigern, die ihme den Weg zu einigen aufgebaueten Hütten gezeiget hätten. Da er diesem Wege nachgegangen, habe er unsere Hütten erblicket: Doch durch diesen Anblick habe er keine Freude erlanget, weil er wie im Traum gewesen, und ihm vorgekommen, als sey er beständig zu Eben-Ezer gewesen, und sey nur ietzo Schiessens wegen ausgegangen.
Zwifler ist mit der ersten Gruppe der am 31. Oktober 1731 aus Salzburg vertriebenen lutherischen Protestanten hierher in die Kolonie Georgia gekommen. Auch er hatte die englische Staatsangehörigkeit angenommen, Voraussetzung für eine Ansiedlung und Einbürgerung in der neuen Kron-Kolonie Georgia. Am 14. Mai 1734 schreibt er aus Eben-Ezer an einige Bekannte in Augsburg einen Brief. Sicher wird sich in Savannah oder in Charleston ein Schiffskapitän finden lassen, der das Schreiben nach Europa mitnimmt. Boltzius kennt die Captains. Die meisten kennen ihn. In diesem Land müssen alle zusammenhalten. Hin und wieder kommt einer von ihnen auch in Savannah vorbei. Die Salzburger sind beliebt. Weil sie so viel arbeiten und weil über ihrer Arbeit trotz mancher Unfälle und Enttäuschungen ein sichtbarer Segen liegt, werden sie schnell als Vorbilder für alle Siedler in Georgia bekannt. Sie sind nicht zänkisch, sie sind ehrlich. Sie trinken nicht. Anders als die Spanier und die Franzosen. Anders als die Indianer. Der Ausschank von Rum ist in Eben-Ezer verpönt. Alkohol wird nur gestattet, um die Kranken zu stärken. Johann Andreas Zwifler schreibt einen Brief.
Daß es mir allhier wohl gehet, könnet Ihr aus meiner annoch flüchtigen Hand sehen. Ich gestehe es gar gerne, daß ich hier so gern bin als mein Tage irgend an einem Orte gewesen. Ich sehe hin und wieder den Segen GOttes reichlich auf mich fliessen, und mögen die vielen tausend Vergelts GOtt! von unsern lieben Saltzburgern vieles beytragen, die auf unserer Reise, welche 8 gantzer Wochen auf der See daurete, wie leicht zu erachten, manchen Anstoß hatten. GOtt aber segnete meine wenige Artzneyen, daß ich sie alle wieder zu recht brachte, und kein einziger, weder groß noch klein, stürbe, sondern alle gesund ans Land kamen. Ich lernte auf dieser Reise mehr, als ich sonst prästiren konnte. Ich lernte von mir selbst das Balbiren, ferner das Aderlassen, wozu mir GOtt die Hand geführet, daß ich glücklich bin, und keinen Fehler begehe. Habe bereits mehr denn 20 Personen die Ader geöffnet, dazu auch den beyden Herren Predigern, die sich meiner Hand willig unterworfen. Wir leben hier in einem guten Lande, denn GOtt Lob! es fehlet uns nicht an allerhand Wildpret, Indianischen Hühnern, Rebhühnern, gute Fische haben wir hier im Überfluß. Wir können GOtt nicht genugsam dancken, der uns mit allerhand Victualien reichlich versiehet und versehen hat. Wir haben Rind- und Schweine-Fleisch, Erbsen, Bohnen, Reiß, Mehl, Saltz, Butter, Käse, Pfeffer, allerhand Wurtzeln, nebst 60 Arten von Samen, item mehr als 20 Kühe, 7 Pferde, auch Ochsen, bekommen, und erwarten noch ferner mehrere Geschencke. Wir vermögen die grossen Wohlthaten, die uns von den Herren Trustées von England geschehen, nicht genug zu bewundern, und werden wir reichlicher als alle Einwohner beschencket. In dem Lande findet man Honig und Terpentin. So sey es dann für diesmal genug.
Zwifler kam gerne mit nach Savannah. Die Salzburger brauchen ihn. Er ist unentbehrlich. Aber eines fernen Tages wird er beschließen, mit seiner Frau Amerika wieder zu verlassen und erst einmal nach London zurückzukehren. In Eben-Ezer werden die Kranken ohne ihn zurückbleiben. Ohne ihren Arzt und Apotheker. Zwifler ist physisch und psychisch bald am Ende. Das Wetter und die Situation in Eben-Ezer machen ihn fertig. Seit er sich im Wald verirrt hatte, reift der Plan in ihm, die Kronkolonie Georgia wieder zu verlassen. Hier kann er nicht bleiben, glaubt er, ohne zugrunde zu gehen. Früher oder später. Seine Frau und er sind in der neuen Siedlung der Salzburger einsam geblieben. Viel zu selten treffen Arzneien aus Europa bei ihm ein, zu selten findet er brauchbare Heilkräuter in Savannah. Ohnehin kann niemand bezahlen, was für die Patienten dringend beschafft werden müsste. Die Wälder und die Sümpfe mit ihren Myriaden Mücken und anderen Insekten, die Trockenzeiten des Flusses und sein Hochwasser, die schwüle feuchte Hitze und die eiskalten Winterzeiten hält er nicht mehr aus. Noch bleibt er in Savannah, aber er will bald den Antrag stellen, nach Großbritannien zurückzureisen. Mit niemandem hat er darüber gesprochen. Niemand weiß, was er vorhat. Es ist besser, in London neu anzufangen, als hier der Arzt für die Gemeinde zu bleiben. Vom Hof in London muss die Erlaubnis erteilt werden, Eben-Ezer verlassen zu dürfen. Denn niemand darf in dieser englischen Kolonie einfach kommen und gehen, wie er will.
Wie sieht ein Paradies aus? Das Paradies grenzt gegen Morgen an Österreich und die Steiermark, gegen Mittag an Kärnten und gegen Abend an Berchtesgaden und Tirol, gegen Mitternacht an Bayern. Im Süden mögen die Bezirke im Fürsterzbistum Salzburg grob und bergig sein, gegen Norden zu verfügt es über fette Weiden, gesundes Vieh, über Wild, Vögel, fischreiche Seen, gesunde Bäder, ergiebige Erzbergwerke, über reichhaltige Marmorgruben und vortreffliche Salzlager. Erzählt wird von unzähligen Hirschen, Rehen, Gämsen, Steinböcken, Mardern, Füchsen und Hasen, seit alten Zeiten gilt das Staunen der Fülle an Auerhähnen, Spillhähnen und Steinhühnern, Schnee- und Haselhühnern, wilden Tauben, Enten und Gänsen. Ein Paradies für alle, die sich an seine Gesetze halten: das Fürsterzbistum Salzburg. Dieser Gottesstaat mit seinen Kirchtürmen und Kuppeln. Nicht sichtbar aber sind die unterirdischen Verließe.
Die Gemsen gehen dort offt mit unter dem Viehe. Gleichwol aber ist ihnen sehr beyzukommen. Denn, so bald sie nur das geringste mercken, so pfeifen sie sich einander als Menschen zu, und retirieren sich in der Geschwindigkeit auf die höchsten Felsen. Sie haben ein braunes Haar und kohlschwartze Hörner, die etwa einer Viertheil-Ellen lang sind. Diese Thiere werden aus Saltzburg in die entlegensten Orte verschicket.
In Preußen schreibt der Pfarrer Gerhard Gottlieb Günter Göcking auf, was ihm die Augenzeugen über ihr Paradies erzählen. Kaum hat er die Berichte zu Papier gebracht, werden ihm die Seiten aus der Hand gerissen: Korrekturen und Ergänzungen anzufertigen ist ihm nicht mehr möglich, denn Göckings Buch soll so schnell wie möglich gedruckt und vertrieben werden. Schon drei Jahre nach der Vertreibung der Salzburger lutherischen Protestanten ist der Druck seiner beiden Berichtsbände vollendet. Der Schreiber beklagt sich über die Eile. Inzwischen hat er endlich einen Verleger gefunden. Am 22. Oktober 1732 stellt er sich dem Augsburger Senior des Pfarrkapitels zu St. Anna vor. Er hat einen Stapel Berichte aus eigener Hand über die Vertreibung der Salzburger dabei. Seine Bücher könnten doch auch im Verlag der Buchhandlung des Augsburger Waisenhauses erscheinen? Dazu kommt es nicht. 1734 erscheint sein erster Band in Frankfurt und Leipzig mit Ortsbeschreibungen aus einem auf den ersten Blick paradiesischen, aber längst unglücklichen Land.
An zahmem Vieh ist dieses Land gleichfalls reich gesegnet. Viele von den Land-Leuten ernähren sich meistens von der Vieh-Zucht. Man hat daselbst sehr schöne Schweine, Schafe und Böcke. Allein Hüner, Gänse, Enten und Kalekutsche Hennen hat man dort nicht in solcher Menge, als in unsern Landen.
Göcking lebt in Halle. Er lernt aus seinen Gesprächen mit den vertriebenen Salzburgern, dass die Ackerbauern dort über etliche Pferde verfügen. Einige haben drei, andere bis zu zwanzig Pferde. Die Erde im Salzburgischen ist schwer zu bestellen. Drei bis vier Pferde sind jeweils erforderlich, um den Pflug zu ziehen. Zwei Jahre tragen die Felder Roggen, Weizen, Gerste, Erbsen, Hafer. Im dritten Jahr wird das Grasland zweimal gemäht. Hanf und Flachs werden angebaut, die Holzwirtschaft in den großen Waldgebieten sichert ein gutes Einkommen. Gerühmt werden die Backwaren und der Schnaps, den die Salzburger aus schwarzen Kirschen, Pflaumen, Heidelbeeren, Brombeeren und deren Wurzeln, aus Birnen, Holzäpfeln und Holzbirnen destillieren.
Man hat ferner gut Bier in diesem Lande. Es wird dasselbe von Gerste gesotten, und übertrifft das Bier hier zu Lande an Güte. Der Ort, da das beste Bier gebrauet wird, ist Kaltenhausen, welches eine halbe Viertheil-Stunde von Hallein lieget.
Dieses wird auf sechs, acht, zehen und mehr Meilweges verfahren. Doch ist das Bier im Saltzburgischen sehr theuer.
Das Salzburger Land hat keine Weinberge. Wein wird aus Deutschland oder Italien importiert. An keinem Ort Deutschlands gibt es eine solche Vielfalt an Weinen wie in Salzburg. Wein ist das Getränk der Geistlichkeit und des Adels. Wer fein ist, lässt sich nicht lumpen. Göcking spricht mit den Bergleuten Bartholomäus Krähkel und Sebastian Stöckel, mit dem Schmelzer Sebastian Schiffer, mit Matthias Bacher, Joseph Steinert, mit Bartholomäus und Hans Hoyer, mit dem berühmt-berüchtigten Widerständler Stulebmer, mit anderen Rebellern gegen die Unterdrückung einer freien Religionsausübung, mit den von der Regierung gescholtenen Püffels-Köpfen, den Büffelschädeln, mit vielen Menschen, die aus diesem Paradies vertrieben wurden: damals, am Anfang des Winters, als eine kleine Eiszeit in Mitteleuropa angebrochen war und der Frost die Marschkolonnen der Vertriebenen fast erstarren ließ, weil sie vor der Deportation ihre Winterkleidung nicht mehr aus den Häusern holen durften. Vom Feld weg wurden sie in die Kolonnen eingereiht.
Schnell weg, schnell weg sollen sie gebracht werden.
Rebeller haben keinen Anspruch auf Schonung. Wegen der ständig steigenden Zinslasten und der Ernteausfälle verschuldeten sich auch viele wohlhabende Bauern. Der Bergbau war ohnehin schon wegen der verstärkten Einfuhr von Edelmetallen aus Südamerika in eine Existenzkrise geraten. Da muss nur abgewartet werden, bis die Protestanten vertrieben werden. Wer im Land bleibt, rechnet sich schon seine Vorteile für die Notverkäufe der Güter durch die Protestanten aus.
Göcking berichtet, dass vor der Vertreibung und dem Aufbruch in das Exil mehr als eineinhalbtausend Männer, Frauen und Kinder im Bergbau tätig waren: in den acht Hauptgruben und den kleinen Stollwerken. Zweihundert Bergleute arbeiteten im Silber- und Goldbergwerk in Gastein. Sein Begründer Christoph Weitmoser hatte so viel Geld in den Ausbau dieses Bergwerks investiert, dass er ohne einen Kredit von einhundert Reichstalern durch den Fürsterzbischof wirtschaftlich nicht überlebt hätte.
Diese Bergwercke tragen alle Jahr fünff Centner Silber, bald drüber, bald drunter. Ein jeder Centner Silber gibt sechszehen Pfund Gold. Von dem Silber wird das Pfund nicht unter zwey und dreyssig Gulden verkauffet; und von dem Golde kostet das Loth aufs wenigste achtzehen Kayser-Gulden. Rechnet man nun dieses zusammen, was die Bergwercke im Saltzburgischen jährlich nur an Gold und Silber ungefehr austragen; so findet sichs, dass es auf wenigste zwey und vierzig tausend Reichsthaler träget. Man nimmt aber hiervon noch aus das Gold, welches man in der Rauris und in der Gastein findet. Dieses gehet nicht durchs Feuer, sondern wird nur ausgewaschen. Und eben deswegen ist es auch viel kostbarer, als das andere, welches durchs Feuer gehet. Von dieser Art Gold gibt es in der Rauris alle jahr ungefehr acht Pfund; in der Gastein aber trägets bey zwanzig Pfund. Das Lot davon wird niemals unter zwanzig Gulden verkauffet. Man kann hieraus abnehmen, was die Bergwercke in diesem Lande einbringen müssen. Denn man findet darin ausser Gold und Silber die schönsten Mineralien. Eysen, Stahl, Kupffer, Vitriol, Quecksilber und Galmey, alles dieses ist daselbst im Überfluß. Es fehlet von allen diesen Sachen nichts, als Bley. Man hat zwar Bley genug, aber es ist gantz unbrauchbar. Daher muß alles Bley aus fremden Landen dahin geholet werden. Von den Saltzwercken daselbst könnte man vieles melden, aber es mag genug seyn gesagt zu haben, dass die vier Saltz-Pfannen, die darinn sind, dem Ertz-Bischoffe unglaublich viel einbringen, und dass wenigstens sechshundert Saltz-Knappen darinn arbeiten.
Göcking schwärmt von den schönen Brunnen und den frischen Heilbädern im Salzburgischen. Seit dem Jahr 680 fließt im Gasteiner Wildbad heißes Wasser mit Anteilen von Spießglas, Marcasit, Wismuth und auch Gold. Oder im Aigner-Bad eine Stunde vor Salzburg gelegen: eine Felsenquelle mit Alaun, Salpeter, Schwefel, Galmey für die Metalllegierungen und kleinen Spuren Bimsstein.
So also sieht das Paradies auf Zeit aus, dieser Garten Eden seit Jahrhunderten. Die Leute, mit denen Göcking spricht und deren Geschichten er mit zunehmender Hast aufschreibt, wären dort gerne geblieben. Aber sie werden mit Gewalt und mit dem Gesetz vertrieben. Das Paradies mit den fünf Städten Salzburg, Laufen, Tittmoning, Hallein und Radstadt teilt sich in vierzig Ämter auf. Diese Bezirke heißen Landgerichte, Pfleggerichte und Richter-Ämter. In jedem Amt sitzt einer, der regiert, und er wiederum wird vom Regenten und seinem Hofstaat in der Residenzstadt beherrscht. Herrschaft heißt auch, so hört Göcking, um jeden Preis die ständig steigenden Abgaben von den Untertanen einzutreiben, blinden Gehorsam zu verlangen, die vom Bezirksfürsten angeordnete Ruhe und Ordnung zu bewahren. Notfalls auch durch den Einsatz von Militär und Polizei. Die katholischen Geistlichen leben von den Abgaben. In der Messe beten sie, nach der Messe kassieren sie. Das kann nicht gutgehen.
Die Haupt- und Residenzstadt Salzburg: unüberwindlich die Feste Hohensalzburg. Prächtig die Residenz des Fürsterzbischofs, heiter anzusehen der Sommerpalast Mirabell, fröhlich die städtische Trinkstube in einem der schönsten Gebäude der Stadt an der Salzach. Kostbarste Messgewänder in der fürstlichen Kunstkammer, Tapezereien, deren Wert auf etliche Tonnen Gold geschätzt wird. Der Dom St. Ruprecht, hochgemauert mit Quadersteinen und ganz mit Kupfer bedeckt. Die Fenster sind mit Marmorsteinen ausgelegt. Im Schatten der Domkuppel einundzwanzig Kirchen und Klöster und ganz oben die Kirche im Berg. Ihr Altar ist im Schlossberg eingehauen. Wer zum Altar treten will, muss einen einstündigen Fußmarsch auf sich nehmen. Er muss um den ganzen Berg herumgehen. Göcking kennt nur das Flachland und wenige Höhenzüge zu Hause. Er schreibt und staunt. Verschlossen aber war dieses Paradies von seiner Erschaffung an immer für Jesuiten und Juden. Die hatten hier nichts zu suchen, nichts zu treiben. Später war das dann anders. Da waren wenigstens die Jesuiten willkommen, um im Land aufzuräumen.
Die heiligen Wallfahrtsorte. Treffpunkt für die Bauern und Bergleute, Tagelöhner und Kaufleute. Reiseziele für die Einwohner dieses Paradieses, die sonst nicht weit herumkommen. Sie treffen sich bei den Wallfahrten, in Waging und Teisendorf, Straßwalchen, Neumarkt, Seekirchen, Kaltenhausen, Abtenau, Gastein, Großarl, in Rauris, Taxenbach und Zell, Saalfelden, Windisch-Matrei, Defereggen, Zell im Zillertal, in Hopfgarten und Lofer. Das Siechenspital Mariendorf der Stadt Salzburg mit seiner Besonderheit: Einem Holzbild im Hochaltar wächst ein Bart nach, von Jahr zu Jahr. Der Bartwuchs bewirkt Wunder.
Man kann leicht erachten, was ein solches Bild, das ohne Leben ist, und dem doch der Bart wächst, für Wunder-Dinge müsse thun können. Gebrechliche, lahme, blinde und andere preßhaffte Leute dürffen sich nur nach dem Bilde ecce homo ins Siechen-Spital zu Saltzburg verfügen: Sie werden alsobald mit gesunden Gliedern und Leibern wieder davon gehen. Allein sie müssen nur nicht vergessen ein gutes Opfer mit sich zu nehmen.
Eylet demnach, ihr Pilgrim, die ihr Wallfahrten anstellet, eylet nach Mariendorff in Saltzburg, bringet ein Opfer mit, betet vor dem Hoch-Alter das ecce homo an: Ihr werdet Wunderdinge sehen! Man hat aber auch schon vorher nach diesem Spital Wallfahrten angestellet. Das wundervolle Gnadenbild der Jungfrau Maria, welches daselbst stehet, hat schon von langen Zeiten her an den dorthin gekommenen Pilgrim seine Krafft bewiesen. Ja man machet dem gemeinen Mann im Saltzburgischen gar weiß, dass die Wunder-Krafft von diesem Bild sich so gar auf die Lutheraner erstrecke.
Man schleppet sich daher in gedachtem Lande allenthalben mit folgendem Mährlein. Ein gewisser Weinhändler aus dem Württembergischen hatte in Bayern ein schön Pferd gekauffet, welches er seinem Fürsten schencken wollen. Da er nun in der Stadt Saltzburg sich etliche Wochen aufhielt, und seinen Wein verhandelte, erkranckete ihm das Pferd, und wollte in zween Tagen nicht fressen. Er klagete solches der Wirthin. Diese wußte gleich Rath, wenn der Weinhändler nur gut papistisch wäre. Und was war denn das für ein Rath? Er sollte nach Mariendorff gehen, daselbst Hülffe suchen, und dem Wunder-vollen Gnadenbild ein klein Opffer bringen: Die Kranckheit des Pferdes würde alsobald nachlassen. Was war dem Württemberger leichter, als dieses Mittel zu ergreiffen? Er gieng aus Liebe zu seinem Pferde dahin, ließ drey Messen lesen, zahlete dafür drey halbe Gulden. In den Stock legte er drey gantze Gulden, opfferte dabey ein Wachs Pferd zu funfzehen Kreutzer: Und damit kehrte er wieder zurück in sein Quartier. Und hier sahete er Wunder. Sein Pferd war frisch und gesund, und er brachte dasselbe glücklich nach Württemberg. Herzliche Sachen!
In diesem Paradies ereignen sich Wunder zuhauf. Der Schreiber in Preußen glaubt kaum, was er zu hören bekommt. Er beginnt erst zurückhaltend, dann mit jeder neuen Seite ungestümer und zorniger seine Meinung zu äußern. Gerade frommen Menschen darf das logische Denken doch nicht verboten werden!
Ist das Pferd aus natürlichen Ursachen gesund geworden, dann hätten Mensch und Tier keiner Wallfahrt nach Mariendorf bedurft. Half ihnen ein Wunder, dann kann es von Gott oder vom Teufel bewirkt worden sein. Gott aber hätte leicht auf die fünf Gulden Spende verzichten können, um das Pferd zu heilen. War aber der Teufel Urheber des Wunders, nein, das ist doch gar nicht möglich, denn dann wäre der Ruf der Wallfahrtstätte gründlich ruiniert. Göcking fragt sich, weshalb das Pferd eines protestantischen Weinhändlers durch den Anblick des hölzernen Bilds mit Bart im Altar geheilt worden sein soll, und er kommt zu dem Schluss: Die gesamte Veranstaltung dient nur dem Zweck, den Protestanten durch ein Wundermärchen die Augen zu blenden und sie im Katholizismus festzuhalten. Wenn der römisch-katholische Gott und die römisch-katholische Maria sogar Ketzerpferde gesund machen – was, wer kann dagegen bestehen? Ganz sicher nicht der Glaube der Rebeller. Der Weinhändler, sinniert Göcking, muss einen starken Glauben gehabt haben.
7. November 1733. Die lange Reise der beiden Prediger Boltzius und Gronau aus Halle nach Amerika beginnt. Bisher haben beide als Erzieher in dem Waisenhaus Glaucha in der südlichen Altstadt von Halle gearbeitet. Sie übernachten in Wernigerode. Am nächsten Mittag speisen sie in Quedlinburg. Die Hochgräflichen Herrschaften lassen die beiden, deren Bedeutung als künftige und ständige Begleiter der Salzburger Protestanten in die neue Kolonie Georgia ihnen als Information voraus eilt, mit Pferden nach Osterwick bringen. Boltzius erwähnt fast beiläufig seinen großen Abschiedsschmerz. Der Aufbruch erfolgt hastig. Die Kommissare der Exulanten-Transporte wollen nicht länger warten. Nicht Boltzius, nicht Gronau bestimmen den Zeitplan. Boltzius kann sich wegen des Zeitdrucks nicht mehr von seiner Mutter verabschieden. Er kennt bisher die Salzburger nicht persönlich, ist über ihr Schicksal nur durch Bücher, Zeitungen, Briefe, mündliche Berichte aus dem Salzburgischen und die Informationen aus Augsburg, Halle und Regensburg ins Bild gesetzt. Ganz Deutschland befasst sich mit dem Schicksal der lutherischen Salzburger. Den Auftrag, nach Amerika zu gehen, und die Berufungsurkunde erhielten beide aus Augsburg, wohl durch eine Empfehlung aus Halle. Boltzius und Gronau haben sich freiwillig als Seelsorger für die Überfahrt nach Amerika und ständige Pfarrer der künftigen Gemeinde in Eben-Ezer gemeldet. Dass gerade sie beauftragt wurden, ist eine große Ehre für sie. Oder gab es einen heimlichen Zwang?
Hamm, die einstige Hansestadt Lünen und Wesel sind die weiteren Stationen. Am 20. November 1733 brechen sie nach Nimwegen auf und einen Tag später gehen sie an Bord. Ihr Ziel ist Rotterdam. Dort sollen sie sich mit der ersten Gruppe der Salzburger treffen, die dem englischen König zugesagt haben, als Siedler nach Georgia zu gehen. Schiffsreisen sind eintönig. Deshalb lesen Boltzius und Gronau der Besatzung aus erbaulichen Schriften vor. Ein Matrose revanchiert sich durch eine Lesung aus der Holländischen Bibel. Die Stimmung schwankt zwischen euphorischen Augenblicken und nagenden Ängsten. Noch nie ist Boltzius so weit gereist. Am 25. November treffen sie in Rotterdam ein. Dort sollen sie die Salzburger und den Reisebegleiter im Auftrag der englischen Krone, den Königlich Groß-Britannischen Kommissar Philip Georg Friedrich von Reck treffen. Er wollte von Augsburg mit der ersten Salzburger Gruppe aufbrechen. Vielleicht ist er schon in Rotterdam angekommen.
Johann Martin Boltzius ist jung, ein guter Prediger und Organisator. Gronau hat von der Welt bisher wenig gesehen. In Halle und Leipzig aber sind die ersten Berichte über die geplante und teilweise schon vollzogene Vertreibung von mehr als 22 000 Salzburger Protestanten Augsburgischen Bekenntnisses erschienen. Der Welt bleibt nicht verborgen, was sich in den weit entfernten Ebenen, Bergwerken, Salinen und Gebirgstälern hinter Bayern ereignet. Ganz Europa empört sich über die Verstöße der katholischen Salzburger Regierung gegen Geist und Gesetz des Westfälischen Friedens. Die Nachrichten und Berichte werden geschrieben und gedruckt und verbreitet, ganz anders als damals bei der Verfolgung der Hugenotten in Frankreich. Damals wussten nur wenige Bescheid. Es gab kaum Nachrichten aus Frankreich. Jetzt aber sollen alle Menschen guten Willens wissen, was im Erzbistum Salzburg vor sich geht. Zwischen den evangelischen Städten und den evangelischen Regierungen in Europa pendeln Kuriere mit immer neuen Berichten aus dem Salzburger Land. Kaufleute und Handwerker schmuggeln Informationen über die streng kontrollierten Grenzen heraus. Ganz sicher hat Boltzius, Inspector Vicarius an der Lateinischen Schule des Waisenhauses zu Glaucha, die schnell gedruckten Bücher und Hefte mit den Augenzeugenberichten der Verfolgten und den diplomatischen Protestnoten der evangelischen Höfe gelesen, sich auch in die diplomatischen Erklärungen des Evangelischen Corpus des Reichstags zu Regensburg vertieft, als ihn und seinen Kollegen Israel Christian Gronau die dringende Bitte erreicht, die Salzburger Emigranten nach Georgia zu begleiten. Gronau arbeitet in dem Waisenhaus als Präceptor. Er und Boltzius kennen sich und schätzen sich wohl auch. Gronau ist ein gebildeter Mann, ein wissenschaftlicher Kopf, aber kein Tatmensch, und ganz sicher kein Entscheider. Der Druck aus Halle war sicher stark. Sie und niemand sonst sollten sich auf den Weg nach Georgia machen. Möglichst schnell. Am liebsten sofort. Vielleicht war es anders. Vielleicht ist es auch so, dass Boltzius und Gronau endlich in die Welt hinaus wollten. Doch darüber schreiben sie nichts.
Kommen wir auf Augspurg, so ist bereits durch offentlichen Druck bekannt, in was für Terminis der alldortige Evangelische Magistrat sich bey Ihro Kayserl. Majestät selbst und dem ReichsConvent zu Regenspurg über den Catholischen Magistrats-Theil allda und dessen gegen die Saltzburger bezeugtes harte, lieblose und unchristliche Verfahren zu beklagen gezwungen worden.
Es muss sehr schnell gehen. Denn in der Silvesternacht des Jahres 1731 stehen die ersten Exulanten vor den Stadttoren von Augsburg: Sie sind enteignet worden, wenn sie über Besitz verfügten, sie sind entrechtet und vor allem staatenlos. Sie führen nur wenige Habseligkeiten mit sich, und der seit Neujahr amtierende katholische Magistrat der paritätisch verwalteten Stadt weigert sich, den Salzburgern Quartiere anzubieten oder sie gar in die Stadt einzulassen. Sie gelten als dahergelaufene, unverschämte Rebeller, die vom Westfälischen Friedensschluss gar nicht betroffen sein können, weil sie lutherische Sektierer sind: keine Angehörigen eines offiziell anerkannten Bekenntnisses. Das behauptet wenigstens die Obrigkeit.
Es hatten die Evangelischen Burger eine hertzliche Begierde diese Frembdlinge nicht allein zu beherbergen, sondern auch sonderlich von den zwey ersten Transporten, so meistens in ledigen Leuten bestanden, viele in Dienste aufzunehmen; allein es hatte sich der Catholische Magistrats-Theil nicht allein solchem Christlichen Willen auf das hefftigste widersetzet, sondern auch so gar im kältesten Winter die Stadt-Thore zuschliessen lassen, welches derselbe um so eher de facto und mit Gewalt ausüben können, weilen eben damal der ältere Burgermeister Catholisch war, und die Thor-Schlüssel in seiner Verwahrung hatte. Man ließ sich zwar Catholischer Magistrats-Seits gegen den Evangelischen Raths-Theil schrifftlich vernehmen, daß man Catholischer Seits gegen diese arme Leute selbst eine Compassion habe, und gantz gerne gönnen wolle, wann ihnen viele Barmhertzigkeit und Wohlthaten erzeiget würden: Allein, heißt das Compassion haben? heißt das gerne gönnen, wenn man ihnen viele Barmhertzigkeit erzeiget? Wenn man vor solchen armen in der grössesten Kälte vor der Stadt angekommenen, und durch langwierigen Marsch fast erfrohrnen Leuten die Thore zusperret, und die Evangelischen Bürger gewaltthätiger Weise hindert, daß sie nicht einmal zu ihnen hinaus gehen, und etwas zu essen oder zur Erquickung hinaus bringen können. Man hat es dadurch deutlich und vor aller Welt zur Schande gezeiget, was für ein hertzliches Mitleyden man mit diesen würcklich mitleydenswürdigen Menschen gehabt: Denn da die Thore verschlossen waren, konnte kein Mensch weder aus noch ein.
Es waren krancke Personen unter ihnen, und man mußte für die Passirung eines D.Medicinä ein Billet haben, daß er zum Einlaß hinaus gehen dörffen, womit er aber einen Umweg bey einer halben Stunde nehmen müssen. Das Bauers-Volck, so alles selbst Catholisch war, stund häuffig vor dem Thore, und verlangete auf den Marckt: Aber die Thore waren und blieben den gantzen Tag verschlossen. Und es kostete Mühe, daß noch drey davon gegen Abend wieder eröffnet wurden. Doch besetzte man sie mit doppelter Wache. (*Diß war höchstnöthig, sonst hätten die mit Hasel-Stecken bewaffnete Saltzburger in die Stadt einen Einfall thun, dieselbe bestürmen, alle Einwohner überrumpeln, und die gantze grosse Stadt Augspurg einnehmen mögen.) derselben war befohlen, keinen eintzigen Saltzburger hinein zu lassen, wenn man sie auch gleich in Dienste aufnehmen wolte. Dahero, als Herr D.Med. Geiger einen solchen Saltzburger mit sich in die Stadt in seinen Dienst nehmen wolte, man denselben mit Gewalt von der Gutschen herab gerissen, und wieder zu den andern hinaus getrieben: Und es fehlete nicht viel, daß man nicht auch diejenigen, die man von dem ersten Trupp noch endlich nach langem Zanck und Streit in Dienste aufnehmen dürffen, wiederum aus der Stadt schaffete.
Boltzius weiß wenig über Amerika. Sein geografischer Horizont endet hinter dem Flusstal der Saale, aber er weiß eines: Er will diesen vertriebenen Menschen beistehen. Und wie die Welt wirklich aussieht, das ist aus den Büchern zu erfahren, die in August Hermann Franckes Bibliothek gesammelt worden sind, aus seinen Schriften und Predigten. Seit Franckes Tod hat sein Sohn, Professor wie der Vater, dessen Vermächtnis übernommen und Halle weiter zu einem Zentrum des Wissens und des Glaubens und einer christlichen Lebensmoral ausgebaut; die Halle’schen Anstalten sind in Europa und sogar in Teilen Asiens längst berühmt.
Glaube ist nicht Ritual. Glaube ist nicht die Befolgung von Geboten, von Anweisungen der Kirche und ihren Fürsten. Glaube ist nicht Anbetung von Heiligenfiguren. Glaube ist ein christliches Leben nach der Bekehrung. Glaube kann auch nicht bedeuten, das letzte Geld aus den Gläubigen wie in Salzburg herauszupressen, um Pracht und Glanz zu finanzieren.
Glaube ist Wissen, das weitergegeben und geprüft werden muss, ist praktische Lebensregel für den Menschen, dem es nicht gut geht. Für jeden, der Sehnsucht nach Wissen und Freiheit hat und der selbstbestimmt und menschenwürdig leben will. Natürlich gibt es keine Freiheit ohne Gesetze. Aber die Gesetze werden nicht allein von den Königen und Fürsten gemacht. Glaube also ist Bildung und sittliches Handeln zugleich. Nie wieder soll es eine gottlose Kirche geben.
Boltzius schreibt seiner Mutter am 6. Januar 1734 aus Dover einen langen Brief.
Ich glaube wohl, es werde Euch etwas schmertzlich seyn, daß ich einen so weiten Weg von Euch gereiset, und nicht einmal Abschied von Euch nehmen können. Dencket ja nicht, als hätte ich keine kindliche Liebe zu Euch; sonst würde ich etwas diesen Beruf nicht angenommen, oder doch Euch um Rath gefraget haben. Den Beruf konnte ich unmöglich ausschlagen, sonst wäre ich dem himmlischen Vater ungehorsam gewesen, als welcher mich von seinem Willen genugsam versichert. Von Euch mündlich Abschied zu nehmen, ließ die Zeit nicht zu: ich mußte meiner lieben Gemeine, die schon unterweges war, mit meinem lieben Collegen nacheilen. Vielleicht meinet ihr, der Weg sey gefährlich, und ich werde an meiner Gesundheit Schaden nehmen. Aber ihr wisset wohl, daß der allmächtige GOtt allenthalben ist; auf den traue ich, und der hat mich auch bis hieher in meinem Vertrauen nicht zu schanden werden lassen, sondern mich zu meiner eigenen Verwunderung so gesund und munter gemacht, als ich weder in Berlin noch in Halle gewesen. Ausser dieser großen Wohlthat, die ich nicht genug zu rühmen weiß, schenckt mir der liebe GOtt im leiblichen und Geistlichen so viel Vergnügen, daß ich vor Freuden weinen möchte. Meine Gemeine, zu der mich der wunderbare GOtt geführet, ist zwar ietzt noch klein, bestehet aber gröstentheils aus solchen Leuten, die schon um Christi willen vieles gelitten, und also ihr Christenthum nicht bloß im Munde, sondern im Hertzen haben, und in der That beweisen.
Daher ich diese redliche Leute nicht nur von Hertzen lieb habe, und mit Freuden bey ihnen in America leben und sterben will; sondern sie lieben mich auch mehr, als ich werth bin, und würden, wenn sie könten, ihr Hertz mit mir theilen. Und da ich so täglich mit ihnen umgehe, und ihnen das Wort GOttes verkündige; so geniesse ich täglich viel Freude und Vergnügen in meiner Seelen. Auch im Leiblichen hat mich der liebe GOtt wohl versorget. Ich habe mit meinem lieben Collegen nicht nur freye Reise-Unkosten und Reise-Kleider bekommen; sondern, auf Unkosten der Wohlthäter in England, sind mir auch Bücher, Betten, und viel Hausrath gekauft worden, und geniesse im Schiffe solche Bequemlichkeit, im Essen, Schlafen etc. daß ich mirs nicht besser wünschen kann. Überdem habe ich auch für einen Priester-Rock, und was sonst ein Prediger in der Kirche nöthig hat, nicht sorgen dürfen, sondern es ist alles angeschafft worden. Mit einem Worte: Ich geniesse so viel geistliche und leibliche Wohlthaten, daß den himmlischen Vater dafür nicht genug preisen kann, und ich mir vorher nicht vorstellen können. mein Vollege liebet mich als seinen leiblichen Bruder, und hilft mir also durch seine Treue und Liebe mein Amt erleichtern.
Eine See haben wir GOtt Lob schon zurücke geleget, und nun ist die grösseste von England bis nach America noch zu überwinden. Weil der Wind gut geworden, so schiffen wir heute ab, und wenn der Wind gut bleibet, kommen wir mit göttlicher Hülfe in 5 oder 6 Wochen an Ort und Stelle, wohin wir uns recht hertzlich sehnen, weil es ein gutes Land seyn soll. Es beten viel hundert Christen für uns, das weiß ich; und also fürchten wir uns vor dem ungestümen Meer nicht …