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Stimmen aus dem Schatten – leise, aber unüberhörbar
In "Rebellische Geister" erhebt Khalil Gibran seine Feder gegen das, was das Herz verstummen lässt. Drei Erzählungen – jede ein Echo einer Seele, die sich weigert zu beugen. Nicht laut, nicht gewaltsam. Sondern menschlich. Tief. Wahr.
Hier begegnen wir Frauen, deren Liebe nicht sündig, sondern ehrlich ist. Armen, deren Schweigen lauter spricht als jede Anklage. Menschen, die sich der Macht nicht entgegenstellen, um zu siegen – sondern weil sie nicht anders können. Es ist ein Aufstand, der nicht in Parolen, sondern in Blicken lebt. In Entbehrung. In Würde. Gibrans Figuren sind keine Revolutionäre mit Bannern – sie sind einfache Menschen mit offenen Wunden und aufrechtem Blick.
Zwischen Ketten und Licht – der Mensch als heilige Mitte
Gibrans Sprache ist wie der Morgen nach einer stürmischen Nacht: klar, weich, durchdrungen von Hoffnung. Er erzählt nicht nur – er erinnert. An das, was in jedem von uns wohnt: das stille Wissen, dass Liebe größer ist als Gesetz, dass Würde stärker ist als Furcht. In diesen Erzählungen liegt der Anfang eines Denkens, das Gibran später zu einem der großen spirituellen Stimmen der Welt machen sollte. Doch hier ist er noch ungeschliffen, nah, brennend. Ein junger Geist, der sich nicht mit Ungerechtigkeit abfindet.
Rebellion als Mitgefühl – ein frühes Meisterwerk
"Rebellische Geister" ist kein Manifest – es ist eine poetische Sammlung innerer Aufbrüche. Ein Werk, das nicht zerstören, sondern heilen will. Das aufrüttelt, ohne zu schreien. Und das vor allem eines tut: erinnern, dass der Mensch nicht geboren ist, um zu gehorchen – sondern um zu fühlen. Ein Buch für alle, die noch fragen. Für alle, die sehen wollen, was andere übersehen. Und für jene, die glauben, dass wahre Rebellion mit einem einzigen, aufrechten Satz beginnt: „Ich bin.“
Über Khalil Gibran
„Khalil Gibrans Worte erinnern uns daran, dass Freiheit nicht nur politisch, sondern auch innerlich ist. Seine Botschaft ist heute ebenso notwendig wie damals.“ - Barack Obama
„Gibrans Schriften gehören zur geistigen Heimat des arabischen Erbes – sie atmen die Weite, die heute so oft fehlt.“ - Queen Noor von Jordanien (Menschenrechtsaktivistin)
„Wenn du wissen willst, was Liebe, Freiheit und Glaube bedeuten können – lies Gibran.“ - Bono von U2
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Khalil Gibran
RebellischeGeister
Erzählungen
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© 2025 aionas verlag
Khalil Gibran • Rebellische Geister
Übersetzung: Alexander Varell
aionas Verlag, Böhlaustraße 9, 99423 Weimar
ISBN Printausgabe: 978-3-96545-092-9 ISBN eBook: 978-3-96545-095-0
Elend ist der Mann, der eine Frau liebt, sie zur Frau nimmt, ihr den Schweiß seiner Haut, das Blut seines Körpers, das Leben seines Herzens zu Füßen legt – und ihr die Früchte seiner Mühe, den Ertrag seines Fleißes in die Hände gibt. Doch wenn er langsam erwacht, erkennt er, dass das Herz, das er zu gewinnen suchte, längst einem anderen gehört – freiwillig, aufrichtig, mit ganzer Seele. Einem anderen, dem es seine tiefste Liebe schenkt, dem es seine verborgensten Geheimnisse offenbart.
Elend ist die Frau, die aus der Unachtsamkeit und Ruhelosigkeit der Jugend erwacht und sich an der Seite eines Mannes wiederfindet, der sie mit Gold überschüttet, mit kostbaren Geschenken umwirbt, sie mit den Ehren verschwenderischer Feste umgibt – doch nicht vermag, ihre Seele mit jenem göttlichen Wein zu nähren, den Gott aus den Augen eines geliebten Mannes in das Herz einer Frau gießt.
Ich kannte Rashid Bey Namaan seit meiner Jugend. Ein Libanese, geboren und aufgewachsen in Beirut. Er entstammte einer alten, wohlhabenden Familie, die Tradition und Ruhm der Vorfahren mit Stolz bewahrte. Rashid erzählte gern Geschichten, in denen sich das Echo seines Erbes spiegelte, Erzählungen über Adel und Ehre, über Namen, die von vergangenen Zeiten leuchteten. Und so folgte er in seinem Leben den Bräuchen und Überzeugungen, die seine Familie ihm hinterlassen hatte, den Regeln, die einst den Nahen Osten prägten.
Rashid Bey Namaan war großzügig, von gutem Herzen. Doch wie viele seiner Landsleute sah er nur, was glänzte, nicht, was wahrhaft war. Er hörte nicht auf die Stimme seines Herzens, sondern gehorchte dem, was die Welt ihm zurief. Er ließ sich von schimmernden Dingen verführen, die seine Augen blendeten und sein Herz für die Geheimnisse des Lebens verschlossen. Seine Seele war abgelenkt von den Gesetzen der Natur und wandte sich der flüchtigen Lust zu. Ein Mann, der rasch liebte, rasch hasste – und oft zu spät bereute. Doch wenn er dann den Preis seiner Unbedachtheit zahlte, empfing ihn nicht Mitleid, nicht Strafe – nur Spott, nur Scham.
Diese Unrast trieb ihn dazu, Rose Hanie zu heiraten, lange bevor ihre Seele sich der seinen öffnete, lange bevor die Liebe sie in jenes sanfte Licht hüllte, das zwei Menschen in ein Paradies verwandelt.
Nach Jahren der Abwesenheit kehrte ich zurück nach Beirut. Ich suchte Rashid Bey Namaan auf – und fand ihn blass, ausgemergelt. In seinem Gesicht lag das fahle Echo einer bitteren Enttäuschung. In seinen Augen schwammen Schatten, die einst ein gebrochenes Herz wirft. Sein Körper war schwach, seine Seele müde. Ich zögerte nicht, ihn zu fragen:
„Was ist aus dir geworden, Rashid? Wo ist das strahlende Lächeln geblieben, das dich all die Jahre begleitet hat? Hat der Tod dir einen geliebten Menschen genommen? Oder haben die schwarzen Nächte dir das Gold geraubt, das du am hellen Tage angehäuft hast? Sag mir, im Namen der Freundschaft – was hat diese Traurigkeit in dein Herz gepflanzt, was hat deinen Körper so geschwächt?“
Er sah mich an – als hätte meine Frage Erinnerungen geweckt, die er tief begraben wollte. Mit stockender Stimme, schwer vor Kummer, sprach er:
„Verliert ein Mensch einen Freund, trösten ihn die anderen Freunde um ihn herum. Verliert er sein Gold, denkt er nach, hadert, aber vertreibt schließlich das Unglück aus seinem Geist – solange er gesund ist, solange sein Ehrgeiz noch brennt. Doch wenn ein Mensch den Frieden seines Herzens verliert – wo findet er Trost? Wodurch kann er ihn ersetzen? Welche Kraft kann ihn beherrschen?
Wenn der Tod dich trifft, wirst du leiden. Doch die Zeit verstreicht, und irgendwann spürst du wieder die sanfte Berührung des Lebens, dann wirst du lächeln, dann wirst du dich freuen.
Doch das Schicksal kommt unerwartet. Es bringt Sorge mit sich, es starrt dich an mit finsteren Augen, packt dich mit eiskalten Fingern an der Kehle, wirft dich nieder, trampelt auf dir herum. Und dann lacht es und geht weiter. Doch irgendwann hält es inne, blickt zurück, bereut, streckt die Hand aus, hebt dich auf, singt dir das Lied der Hoffnung – und für einen Moment vergisst du den Schmerz. Für einen Moment kehrt die Zuversicht zurück.
Wenn dein Schicksal ein Vogel ist, ein wunderschöner Vogel, den du mit all deiner Liebe fütterst, dem du dein Herz zum Käfig machst, deine Seele zum Nest – und er fliegt fort, hoch in den Himmel, um in einen anderen Käfig einzuziehen, nie wieder zu dir zurückzukehren… Was bleibt dir dann? Wo findest du Geduld? Wie erweckst du Hoffnung, wenn sie erloschen ist? Welche Kraft kann das aufgewühlte Herz beruhigen?“
Nachdem er diese Worte mit erstickter Stimme und einem Geist voller Qual gesprochen hatte, stand Rashid Bey Namaan zitternd da, wie ein Schilfrohr, das vom Nord und Südwind gepeitscht wird. Seine Hände zuckten, als wollten seine gekrümmten Finger etwas greifen – etwas zerschmettern, das unsichtbar vor ihm lag. Sein faltiges Gesicht schimmerte bläulich, seine Augen weiteten sich, als ob er eine schattenhafte Gestalt erblickte, einen Dämon, der aus dem Nichts kam, um ihn heimzusuchen. Doch dann traf sein Blick den meinen, und mit einem Mal wandelte sich sein Ausdruck. Sein Zorn, der ihn eben noch durchdrang, zerfloss in tiefen Schmerz, in eine unerträgliche, hoffnungslose Trauer.
Er stieß einen Schrei aus, rau und voller Bitterkeit:
„Es ist die Frau, die ich aus den tödlichen Klauen der Armut gerettet habe! Ich öffnete ihr meine Schatzkammer, kleidete sie in Seide und Gold, ließ sie unter den Frauen leuchten wie ein Juwel, das alle neidisch macht. Ich schenkte ihr prächtige Kutschen, gezogen von feurigen Pferden, gab ihr alles, was ein Herz sich wünschen kann. Sie war die Frau, die mein Herz begehrte, der ich mit aufrichtigem Geist und treuer Hand diente. Und doch war sie es, die mich verriet.
Sie verließ mich – für einen anderen, um mit ihm das Elend zu teilen, sein böses Brot zu essen, geknetet mit Scham, getränkt mit Schande. Die Frau, die ich liebte, der schöne Vogel, den ich nährte, dem ich mein Herz zum Käfig machte, meine Seele zum Nest – sie ist mir entflogen und hat sich in einen anderen Käfig gesetzt.
Und nun erscheint sie mir nicht mehr als jener sanfte Engel, den ich einst kannte. Nein! Jetzt sehe ich nur noch einen Dämon, der in die tiefste Finsternis hinabgestiegen ist, um für ihre Sünden zu büßen – und mich, mich auf Erden für ihr Verbrechen leiden zu lassen.“
Er barg sein Gesicht in den Händen, als wolle er sich selbst verbergen, sich vor dem Schmerz verstecken, der ihn von innen zerriss. Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann, mit einem langen, schweren Seufzer, sagte er leise:
„Das ist alles, was ich dir sagen kann. Bitte frage nicht weiter. Mach aus meinem Unglück keinen Aufschrei. Lass es ein stilles Unglück sein – vielleicht wächst es in der Stille so sehr, dass es mich schließlich abstumpft. Vielleicht finde ich dann endlich Ruhe.“
Ich erhob mich, meine Augen feucht, mein Herz schwer vor Mitleid. Ich verabschiedete mich schweigend. Keine Worte konnten sein verwundetes Herz trösten, keine Weisheit dieser Welt eine Fackel entzünden, die das Dunkel in seiner Seele erhellen konnte.
Ein paar Tage später traf ich Madame Rose Hanie zum ersten Mal – in einer einfachen Hütte, umgeben von Blumen und Bäumen. Ich wusste von ihr nur durch Rashid Bey Namaan, den Mann, dessen Herz sie gebrochen, dessen Liebe sie zertreten und den sie den erbarmungslosen Hufen des Schicksals ausgeliefert hatte.
Doch als ich in ihre klaren, leuchtenden Augen blickte und ihre aufrichtige Stimme hörte, fragte ich mich: Kann dies wirklich die Frau sein, die man eine Verräterin nennt? Kann dieses sanfte, strahlende Gesicht eine hässliche Seele verbergen, ein Herz, das zur Grausamkeit fähig ist? Ist dies die Ehebrecherin, die Untreue, die Schlange, die ich mir in der Gestalt eines schönen Vogels vorgestellt habe? Und wieder flüsterte es in mir: Ist es wirklich dieses Antlitz, das Rashid Bey Namaan ins Unglück stürzte? Haben wir nicht oft gehört, dass Schönheit trügerisch ist – dass sie zugleich das Licht der Sehnsucht und den Schatten des Schmerzes wirft? Ist nicht der glänzende Mond, der die Dichter inspiriert, derselbe, der mit seinem kalten Licht die See erzürnt, bis sie tobt und bricht?
Als wir uns setzten, schien Madame Rose Hanie meine Gedanken gelesen zu haben. Sie wollte keinen Zweifel in mir wachsen lassen. Sie stützte ihr schönes Haupt in ihre Hände, ihre Stimme – sanft wie der Klang einer Leier – füllte den Raum:
„Ich habe Sie nie getroffen, doch ich kenne Sie aus den Worten der Menschen. Ich weiß, dass Sie barmherzig sind, dass Sie Verständnis haben für Frauen, die unterdrückt wurden, deren Herzen sich nach Freiheit sehnten. Lassen Sie mich Ihnen mein Herz öffnen, damit Sie erkennen, dass Rose Hanie niemals eine untreue Frau war.
Ich war kaum achtzehn, als das Schicksal mich Rashid Bey Namaan zuführte. Er war vierzig. Er verliebte sich – so sagten die Menschen – in mich. Und so nahm er mich zur Frau, brachte mich in sein prächtiges Haus, kleidete mich in Seide, schmückte mich mit Edelsteinen. Er führte mich in die Häuser seiner Freunde und Verwandten wie eine seltene Kostbarkeit. Ich sah, wie er triumphierte, wenn er ihre staunenden Blicke bemerkte, wie er sein Kinn hob, wenn die Damen von mir sprachen, voller Lob, voller Bewunderung. Doch er hörte nicht das Flüstern hinter vorgehaltener Hand:
Ist dies die Frau von Rashid Bey Namaan – oder seine Adoptivtochter?
Und ein anderer lachte leise:
Hätte er in seiner Jugend geheiratet, wäre sein Erstgeborener jetzt älter als Rose Hanie.
All das geschah, bevor meine Seele aus der tiefen Ohnmacht der Jugend erwachte. Bevor Gott in meinem Herzen das Feuer der wahren Liebe entfachte. Bevor die Samen der Zuneigung in mir keimten. Ja, all das geschah in jener Zeit, in der ich noch glaubte, dass wahres Glück in schönen Kleidern, in prächtigen Villen liegt.
Doch als ich aus dem Schlummer der Kindheit erwachte, fühlte ich eine Glut in meinem Herzen brennen, einen Hunger, der an meiner Seele nagte und mich leiden ließ. Ich spürte, wie meine Flügel sich regten, als wollten sie aufsteigen in das weite Firmament der Liebe – doch ich zitterte und fiel zurück, gefesselt von den unsichtbaren Ketten eines Gesetzes, das mich an einen Mann band, bevor ich die wahre Bedeutung dieser Bindung kannte.
Und so erkannte ich, dass das Glück einer Frau nicht in Ruhm und Ehre liegt, nicht in der Großzügigkeit oder Zuneigung eines Mannes – sondern in der Liebe. In einer Liebe, die zwei Herzen vereint, die sie zu einem Atemzug des Lebens macht, zu einem Wort auf den Lippen Gottes.
Als sich mir diese Wahrheit offenbarte, fand ich mich eingesperrt im goldenen Käfig der Villa von Rashid Bey Namaan. Ich war wie ein Dieb, der sich in den dunklen Winkeln der Nacht versteckt, mit einem Brot, das nicht das seine ist. Jede Stunde, die ich mit ihm verbrachte, wurde zur Lüge – eine Lüge, die mit feurigen Buchstaben auf meine Stirn geschrieben stand, sichtbar vor Himmel und Erde.
Ich konnte ihm meine Liebe nicht als Gegenleistung für seine Großzügigkeit schenken. Ich versuchte es – oh, ich versuchte es so sehr. Doch Liebe ist eine Macht, die unsere Herzen formt, während unsere Herzen diese Macht nicht erschaffen können.
Und so betete ich. Nächtelang flehte ich zu Gott, er möge in mir eine Brücke schlagen, eine spirituelle Bindung weben zwischen mir und dem Mann, der für mich als Lebensgefährte bestimmt worden war…“
Meine Gebete blieben unerhört, denn Liebe steigt nicht auf Bitten herab, nicht durch das Flehen eines Einzelnen – sie ist der Wille Gottes, der sich in unsere Seelen senkt. So blieb ich zwei Jahre im Haus dieses Mannes und beneidete die Vögel auf dem Feld um ihre Freiheit, während meine Freunde mich um die goldenen Ketten beneideten, die mich in Schmerz und Ohnmacht hielten. Ich war wie eine Mutter, die von ihrem einzigen Kind getrennt wurde, wie ein Herz, das ohne Anker durch die Zeit trieb, wie ein Opfer, das unter der Härte menschlicher Gesetze verblutete. Ich verdorrte vor Durst, verhungerte nach Leben, während meine Seele in der Kälte der Leere erstarrte.