Red Rising - Im Haus der Feinde - Pierce Brown - E-Book

Red Rising - Im Haus der Feinde E-Book

Pierce Brown

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Beschreibung

Band 2 der New-York-Times-Bestsellertrilogie

Immer war Darrow stolz darauf, als Minenarbeiter auf dem Mars den Planeten zu erschließen. Bis er herausfand, dass die Oberschicht, die Goldenen, längst in Saus und Braus leben und alle anderen ausbeuten. Unter Lebensgefahr schloss er sich dem Widerstand an und ließ sich selbst zum Goldenen verwandeln. Nun lebt er mitten unter seinen Feinden und versucht die ungerechte Gesellschaft aus ihrer Mitte heraus zum Umsturz zu bringen. Doch womit Darrow nicht gerechnet hat: auch unter den Goldenen findet er Freundschaft, Respekt und sogar Liebe. Zumindest so lange ihn niemand verrät. Und der Verrat lauert überall.

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Seitenzahl: 785

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Zum Buch

Als seine Frau Eo starb, schwor der Minenarbeiter Darrow, sich an den Goldenen zu rächen. Selbst zum Goldenen verwandelt, meisterte er die unmenschlichen Prüfungen des Eliteinternats als Jahrgangsbester und wurde von seinem schlimmsten Feind, Nero au Augustus, adoptiert. Zwei Jahre später steht Darrow erneut vor harten Prüfungen. Er lebt nun mitten unter denen, deren Sturz er plant. Der Kontakt zur Widerstandsbewegung, den Söhnen des Ares, ist abgebrochen. Darrow hat dafür unter den Goldenen Freundschaft, Respekt und sogar Liebe gewonnen, aber auch die Feindschaft mächtiger Rivalen. Um seinen Kampf zu führen, der das Schicksal der Menschheit verändert, muss sich Darrow tödlichen Gefahren stellen. Und eine schreckliche Entscheidung treffen …

Zum Autor

Nach dem Collegeabschluss hätte Pierce Brown eigentlich nichts dagegen gehabt, seine Studien in Hogwarts fortzusetzen. Da es ihm dafür leider an der nötigen magischen Gabe fehlte, versuchte er es mit verschiedenen Jobs in der Medienbranche. Sein Debütroman Red Rising wurde ein so sensationeller Erfolg, dass Pierce Brown sich jetzt ganz dem Schreiben widmen kann. Der Autor lebt in L.A.

Lieferbare Titel

Red Rising

PIERCE BROWN

IM HAUS DER FEINDE

ROMAN

Aus dem Amerikanischen

von Bernhard Kempen

WILHELMHEYNEVERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Golden Son bei Del Rey, an imprint of Random House, New York

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © 2015 by Pierce Brown

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München,

nach dem Originalumschlag von Faceout Studio / David G. Stevenson

unter Verwendung einer Illustration von © David G. Stevenson

Redaktion: Christine Schlitt

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN: 978-3-641-18198-7 V002

www.heyne.de

www.diezukunft.de

Für meine Mutter,

die mir das Sprechen beibrachte

Dramatis Personae

Haus Augustus und Verbündete

Nero au Augustus    Erzgouverneur des Mars, Patriarch des Hauses Augustus, Vater von Virginia und Adrius

Virginia au Augustus/Mustang    Tochter von Nero, Zwillingsschwester von Adrius

Adrius au Augustus/Schakal    Sohn des Erzgouverneurs, Erbe des Hauses Augustus, Zwillingsbruder von Virginia

Plinius au Velocitor    leitender Politico des Hauses Augustus

Darrow au Andromedus/Schnitter    Erzprimus am Institut des Mars, Lanzenreiter des Hauses Augustus

Tactus au Rath    Lanzenreiter des Hauses Augustus

Roque auf Fabii    Lanzenreiter des Hauses Augustus

Victra au Julii    Lanzenreiterin des Hauses Augustus, Halbschwester von Antonia, Tochter von Agrippina

Kavax au Telemanus    Patriarch des Hauses Telemanus, Verbündeter des Hauses Augustus, Vater von Daxo und Pax

Daxo au Telemanus    Erbe und Sohn von Kavax, Bruder von Pax

Haus Bellona

Tiberius au Bellona    Patriarch des Hauses Bellona

Cassius au Bellona    Erbe des Hauses Bellona, Sohn von Tiberius, Lanzenreiter des Hauses Bellona

Karnus au Bellona    Sohn von Tiberius, älterer Bruder von Cassius, Lanzenreiter des Hauses Bellona

Kellan au Bellona    Prätor, Vetter von Cassius, Neffe von Tiberius

Bedeutende Goldene

Octavia au Lune    regierendes Oberhaupt der Weltengesellschaft

Lysander au Lune    Enkelsohn von Octavia, Erbe des Hauses Lune

Aja au Grimmus    Chefin der Leibwache des Oberhaupts

Moira au Grimmus    leitende Politico des Oberhaupts

Lorn au Arcos    ehemaliger Ritter des Zorns, Patriarch des Hauses Arcos

Fitchner au Barca    Ehemaliger Proktor Mars, Vater von Sevro

Sevro au Barca/Kobold    Anführer der Heuler, Sohn von Fitchner

Agrippina au Julii    Patriarchin des Hauses Julii, Mutter von Victra und Antonia

Antonia au Severus-Julii    ehemals vom Haus Mars, Halbschwester von Victra, Tochter von Agrippina

Söhne des Ares

Ares    Anführer der Terroristen, Farbe unbekannt

Dancer    Ares’ Stellvertreter, ein Roter

Harmony    Dancers Stellvertreterin, eine Rote

Mickey    ein Graveur, ein Violetter

Evey    ehemalige Sklavin von Mickey, eine Pinke

Prolog

Es war einmal ein Mann, der vom Himmel herabkam und meine Frau tötete. Nun gehe ich an seiner Seite über einen Berg, der über unserer Welt schwebt. Schnee fällt. Festungsmauern aus weißem Stein und schimmerndem Glas ragen aus dem Fels hervor.

Um uns herum tobt ein Chaos der Gier. All die großen Goldenen des Mars stürzen sich auf das Institut, um Anspruch auf die Besten und Klügsten des Jahrgangs zu erheben. Ihre Schiffe schwärmen am Morgenhimmel, ziehen über eine Welt aus Schnee und rauchenden Burgen hinweg zum Olympus, den ich erst wenige Stunden zuvor erstürmt habe.

»Schau dich ein letztes Mal um«, sagt er zu mir, als wir uns dem Shuttle nähern. »Alles, was bisher geschehen ist, war nur ein Flüstern unserer Welt. Wenn du diesen Berg verlässt, werden alle Verbindungen abgeschnitten, alle Schwüre zu Staub zerfallen. Du bist nicht vorbereitet. Niemand war es je.«

In der Menge sehe ich Cassius mit seinem Vater und seinen Geschwistern, die zu ihrem Shuttle unterwegs sind. Ihre Blicke fliegen brennend über das Weiß zu uns, und ich erinnere mich an das Geräusch, mit dem die letzten Herzschläge seines Bruders verstummten. Eine raue Hand mit knochigen Fingern legt sich besitzergreifend auf meine Schulter.

Augustus starrt zu seinen Feinden hinüber.

»Bellonas verzeihen und vergeben nicht. Sie sind zahlreich. Aber sie können dir nichts anhaben.« Seine kalten Augen blicken auf mich, seinen neuesten Gewinn. »Denn du gehörst jetzt mir, Darrow, und ich beschütze mein Eigentum.«

Genauso wie ich.

Seit siebenhundert Jahren lebt mein Volk in Sklaverei, ohne Stimme und ohne Hoffnung. Jetzt bin ich sein Schwert. Auch ich vergebe nicht. Also lasse ich mich von ihm in sein Shuttle führen. Soll er denken, dass er mich besitzt. Soll er mich in sein Haus einladen, damit ich es niederbrennen kann.

Doch dann nimmt seine Tochter meine Hand, und ich spüre die schwere Last all der Lügen auf meinen Schultern. Es heißt, ein gespaltenes Königreich kann nicht überleben. Und wie sieht es mit einem zerrissenen Herz aus?

ERSTER TEIL

Biegen

Hic sunt leones. »Hier sind Löwen.«

NERO AU AUGUSTUS

1    Kriegsherren

Mein Schweigen dröhnt. Ich stehe auf der Brücke meines Raumschiffs, mit gebrochenem Arm, der in einem Gelverband steckt, und den Wunden der Ionenverbrennungen am Hals. Ich bin drecksverdammt müde. Mein Razor windet sich wie eine kalte Metallschlange um meinen gesunden rechten Arm. Vor mir öffnet sich das All unermesslich und furchtbar. Kleine Fragmente aus Licht spicken die Finsternis, und urtümliche Schatten schieben sich vor die Sterne an den Rändern meines Sichtfeldes. Asteroiden. Sie umschweben langsam mein Kriegsschiff, die Quietus, während ich in der Schwärze nach meiner Jagdbeute suche.

»Siege«, sagte mein Meister zu mir. »Siege, wie es meine Kinder nicht können, und du wirst dem Namen Augustus Ehre bringen. Siege an der Akademie, und du wirst dir eine Flotte verdienen.« Er mag dramatische Wiederholungen. So geht es den meisten Politikern.

Er will, dass ich für ihn siege, aber ich werde für das Mädchen der Roten siegen, dessen Traum größer war, als sie selbst jemals sein konnte. Ich werde siegen, damit er stirbt und sich ihre Botschaft durch die Zeitalter brennt. Eine Kleinigkeit …

Ich bin zwanzig. Groß und mit breiten Schultern. Meine Uniform ist schwarz und nun zerknittert. Mein Haar ist lang, und meine Augen sind golden und blutunterlaufen. Mustang sagte einmal, ich hätte ein spitzes Gesicht, die Wangen und Nase scheinbar aus scharfem Marmor geschnitzt. Ich selbst vermeide Spiegel. Ich vergesse lieber die Maske, die ich trage, die Maske mit der winkligen Narbe der Goldenen, die die Welten von Merkur bis Pluto beherrschen. Ich gehöre zu den Einzigartig Vernarbten. Den grausamsten und klügsten Vertretern der gesamten Menschheit. Aber mir fehlt die freundlichste unter ihnen. Jene, die mich bat zu bleiben, als ich mich vor fast einem Jahr auf ihrem Balkon von ihr und dem Mars verabschiedete. Mustang. Ich gab ihr einen mit einem Pferd verzierten Goldring als Abschiedsgeschenk, und sie gab mir einen Razor. Passend.

In meiner Erinnerung schmecken ihre Tränen abgestanden. Ich habe nichts mehr von ihr gehört, seit ich den Mars verlassen habe. Viel schlimmer ist, dass ich nichts mehr von den Söhnen des Ares gehört habe, seit ich vor über zwei Jahren am Institut des Mars siegte. Dancer sagte, er würde mich nach meinem Abschluss kontaktieren, aber ich wurde in einem Meer aus goldenen Gesichtern fortgetrieben.

Das alles ist so weit von der Zukunft entfernt, die ich mir als Junge vorgestellt habe. So weit von der Zukunft, die ich mir für mein Volk erhoffte, als ich mich von den Söhnen verwandeln ließ. Ich dachte, ich würde die Welten verändern. Welcher junge Narr denkt so etwas nicht? Stattdessen wurde ich von der Maschine dieses riesigen Imperiums geschluckt, die unaufhaltsam weiterrumpelt.

Am Institut wurden wir im Überleben und Erobern ausgebildet. Hier an der Akademie unterrichtet man uns im Krieg. Jetzt testen sie unser Können. Ich führe eine Flotte aus Kriegsschiffen gegen andere Goldene. Wir kämpfen mit Übungsmunition und schicken Enterkommandos von Schiff zu Schiff, nach Art des Sternenkampfes der Goldenen. Kein Grund, ein Schiff zu beschädigen, das so viel kostet wie das Bruttojahresprodukt von zwanzig Städten, wenn man Leechcraft voller Obsidianer, Goldener und Grauer auf den Weg bringen kann, um die lebenswichtigen Organe und damit das ganze Schiff zu kapern.

Neben den Lektionen im Sternenkampf trichterten unsere Lehrer uns die Maximen ihres Volkes ein. Nur die Starken überleben. Nur die Genialen herrschen. Dann ließen sie uns allein, damit wir uns selbst durchschlagen, von Asteroid zu Asteroid springen, auf der Suche nach Vorräten und Stützpunkten, auf der Jagd nach unseren Schulkameraden, bis nur noch zwei Flotten übrig sind.

Es ist immer noch ein Spiel. Wenn auch das bislang tödlichste.

»Es ist eine Falle«, sagt Roque neben mir. Sein Haar ist lang wie meins, und sein Gesicht sanft wie das einer Frau und gelassen wie das eines Philosophen. Im Weltraum ist das Töten anders als an Land. Roque ist auf diesem Gebiet ein Wunderkind. Es hat Poesie, sagt er. Die Poesie der Bewegungen der Sphären und der Schiffe, die dazwischen treiben. Sein Gesicht passt zu den Blauen, die die Besatzung dieser Schiffe stellen – zierliche Männer und Frauen, die wie launische Geister durch die Metallkorridore schweben und die nur Logik und strenge Regeln kennen.

»Aber die Falle ist nicht so elegant, wie Karnus vielleicht denkt«, fährt er fort. »Er weiß, dass wir darauf brennen, das Spiel zu beenden, also wird er auf der anderen Seite warten. Um uns in einen Engpass zu locken, wo er seine Raketen losschicken wird. Seit Anbeginn der Zeiten erprobt und bewährt.«

Roque deutet vorsichtig auf den leeren Raum zwischen zwei riesigen Asteroiden, einen schmalen Korridor, den wir durchfliegen müssen, wenn wir Karnus’ angeschlagenem Schiff weiter folgen wollen.

»Alles ist eine verdammte Falle.« Der langgliedrige und sorglose Tactus au Valii-Rath gähnt. Er lehnt seine gefährliche Gestalt gegen das Sichtfenster und jagt sich aus dem Ring an seinem Finger ein Stim in die Nase. Dann wirft er die leere Kartusche auf den Boden. »Karnus weiß, dass er verloren ist. Er will uns nur quälen. Uns zu einem fröhlichen kleinen Wettrennen verleiten, damit wir nicht schlafen können. Dieses egoistische Arschloch.«

»Du bist einfach nur ein Pixie, der ständig kläfft und winselt«, höhnt Victra au Julii von ihrem Platz am Sichtfenster. Ihr zerzaustes Haar hängt ihr knapp bis über die mit Jade gepiercten Ohren. Sie ist impulsiv und grausam, aber nicht übermäßig, und verachtet Make-up zugunsten der Narben, die sie sich während ihrer siebenundzwanzig Jahre verdient hat. Und es sind viele.

Ihre Augen sind schwer und liegen tief in den Höhlen. Ihr sinnlicher Mund ist breit, und die Lippen sind dazu geformt, Beleidigungen zu schnurren. Sie sieht ihrer berühmten Mutter viel ähnlicher als ihre junge Schwester Antonia. Doch in der Fähigkeit, Chaos zu stiften, übertrifft sie beide bei Weitem.

»Fallen sind ohne Bedeutung«, erklärt sie. »Seine Flotte wurde zerschlagen. Ihm ist nur noch ein Schiff geblieben. Wir haben sieben. Wie wäre es, wenn wir ihm einfach das Maul stopfen?«

»Darrow hat sieben«, ruft Roque ihr in Erinnerung.

»Wie bitte?«, fragt sie verärgert über die Korrektur.

»Von Darrows Schiffen sind noch sieben übrig. Du hast von unseren Schiffen gesprochen. Aber das sind sie nicht. Er ist der Primus.«

»Der pedantische Poet hat wieder zugeschlagen. Letztlich läuft es auf dasselbe hinaus, mein Bester.«

»Dass wir unüberlegt statt besonnen sein sollen?«, fragt Roque.

»Dass es sieben gegen eins steht. Es wäre peinlich, diese Angelegenheit noch weiter in die Länge zu ziehen. Also lasst uns den Bellona-Strolch wie eine Kakerlake unter unserem großen Stiefel zermatschen. Dann fliegen wir zurück zum Stützpunkt, holen uns vom alten Augustus die verdiente Belohnung ab und gehen spielen.« Sie dreht mit Nachdruck die Ferse auf dem Boden.

»Hört, hört!«, stimmt Tactus zu. »Mein Königreich für ein Gramm Dämonenstaub.«

»Ist das heute schon deine fünfte Stimdosis, Tactus?«, fragt Roque.

»Ja! Danke, dass es dir aufgefallen ist, liebste Mami! Doch ich werde dieses militärischen Speeds überdrüssig. Ich denke, ich begehre Pearl-Clubs und reichliche Mengen an respektablen Drogen.«

»Du wirst ausbrennen.«

Tactus schlägt sich auf den Oberschenkel. »Lebe schnell und stirb jung. Wenn du eine langweilige alte Rosine geworden bist, werde ich eine glorreiche Erinnerung an bessere Zeiten und prächtigere Tage sein.«

Roque schüttelt den Kopf. »Eines Tages, mein missratener Freund, wirst du jemanden finden, den du liebst und mit dem du über den Dummkopf lachen wirst, der du einst warst. Du wirst Kinder haben. Du wirst ein Anwesen haben. Und irgendwie wirst du gelernt haben, dass es wichtigere Dinge als Drogen und Pinke gibt.«

»Beim Jupiter!« Tactus starrt ihn voller Entsetzen an. »Das klingt entschieden erbärmlich.«

Ich blicke auf die taktische Anzeige und beachte das Geplänkel nicht weiter.

Unsere Jagdbeute ist Karnus au Bellona, der ältere Bruder meines früheren Freundes Cassius au Bellona und des Jungen, den ich in der Passage tötete, Julian au Bellona. In dieser lockenköpfigen Familie ist Cassius der Lieblingssohn. Julian war der freundlichste. Und Karnus? Mein gebrochener Arm bezeugt, dass er das Monster ist, das sie aus dem Keller freigelassen haben, damit es tötet.

Seit dem Institut hat meine Berühmtheit zugenommen. Als sich in den Tratschkreisen der Violetten die Nachricht verbreitete, dass der Erzgouverneur mich schließlich losschickte, um mein Studium fortzusetzen, wurden Karnus au Bellona und ein paar handverlesene Cousins von Cassius’ Mutter entsandt, um ebenfalls zu »studieren«. Die Familie möchte mein Herz auf einem Tablett serviert bekommen. Was man sogar wörtlich nehmen kann. Nur Augustus’ Position hält sie zurück. Ein Angriff auf mich bedeutet einen Angriff auf ihn.

Letzlich kann ich auf ihre Vendetta oder die Blutfehde meines Meisters mit ihrem Haus pissen. Ich will die Flotte, damit ich sie für die Söhne des Ares einsetzen kann. Was ich damit anrichten könnte! Ich habe alles gründlich studiert, die Versorgungswege, die Sensorstationen, die Kampfeinheiten, die Datenknoten – all die neuralgischen Punkte, an denen sich die Weltengesellschaft ins Schwanken bringen ließe.

»Darrow …« Roque kommt näher. »Vorsicht vor Selbstüberschätzung. Vergiss nicht, wie es Pax ergangen ist. Stolz tötet.«

»Ich will, dass es eine Falle ist«, erwidere ich. »Karnus soll sich uns hier stellen.«

Er legt den Kopf schief. »Du hast deine eigene Falle für ihn vorbereitet.«

»Wie kommst du darauf?«

»Du hättest es uns sagen können. Ich hätte …«

»Karnus wird heute untergehen, Bruder. Das ist eine ganz einfache Tatsache.«

»Natürlich. Ich möchte nur helfen. Das weißt du.«

»Ich weiß es.« Ich unterdrücke ein Gähnen und lasse meinen Blick über die Brückennischen hinter und unter mir schweifen. Dort arbeiten Blaue in vielen Farbabstufungen an den Systemen, die mein Schiff in Betrieb halten. Sie sprechen langsamer als jede andere Farbe mit Ausnahme der Obsidianen und ziehen digitale Kommunikation vor. Sie sind älter als ich, allesamt Absolventen der Mitternachtsschule. Hinter ihnen auf der Rückseite der Brücke halten Graue Marines und mehrere Obsidiane Wache. Ich klopfe Roque auf die Schulter. »Es wird Zeit.«

»Seemänner«, rufe ich den Blauen in den Nischen zu. »Schärft euren Verstand. Dies ist der letzte Nagel im Bellona-Sarg. Wir schießen diesen Mistkerl in den Äther, und ich verspreche euch das größte Geschenk, das in meiner Macht steht – eine Woche tiefen Schlaf. Gut?«

Ein paar Graue im Hintergrund der Brücke lachen. Die Blauen klopfen nur mit den Fingerknöcheln auf ihre Instrumente. Ich würde die Hälfte meines – mit bestem Dank an den Erzgouverneur – beträchtlichen Kontos hergeben, um einen dieser blassen grazilen Köpfe lächeln zu sehen.

»Genug der Verzögerung«, verkünde ich. »Kanoniere auf Position. Roque, gruppiere die Zerstörer. Victra, beginne mit der Zielerfassung. Tactus, Abwehr aktivieren. Wir werden es jetzt beenden.« Ich werfe einen Blick zu meinem zierlichen Blauen Steuermann. Er steht zentral zwischen fünfzig weiteren in der Nische unter meiner Kommandoplattform. Die gewundenen Digitattoos auf den Kahlköpfen der Blauen und die spinnengleichen Hände leuchten in subtilen Schattierungen von Himmelblau und Silber, als sie sich mit den Schiffscomputern synchronisieren. Ihre Augen blicken in die Ferne, während die Sehnerven in die digitale Welt zurückkehren. Sie sprechen nur aus Höflichkeit zu uns. »Steuermann, Maschinen auf sechzig Prozent.«

»Aye, dominus.« Er blickt auf das taktische Display, eine Holo-Kugel, die über seinem Kopf schwebt, und seine Stimme klingt wie eine Maschine. »Bedenke jedoch, dass die Metallkonzentration in den Asteroiden die Einschätzung der Spektro-Werte erschwert. Wir sind ein bisschen blind. Auf der anderen Seite der Asteroiden könnte sich eine ganze Flotte verbergen.«

»Er hat keine Flotte. Hinein ins Loch«, sage ich. Die Maschinen des Schiffes rumoren. Ich nicke Roque zu und sage: »Hic sunt leones.« Die Worte unseres Meisters Nero au Augustus, Erzgouverneur des Mars, der Dreizehnte seines Namens. Meine Kriegsherren wiederholen den Satz.

Hier sind Löwen.

2    Durchbruch

Auf der taktischen Anzeige bewegen sich die sechs wendigen Zerstörer um mein Kriegsschiff herum. Die Besatzung der Blauen verbreitet eine unheimliche Stille, als ihre Kriegsfunktionen das Geschehen übernehmen. Auf der Ebene, die ihr Bewusstsein nun durchstreift, sind Worte langsamer als Eisberge. Meine Lieutenants überwachen meine Flotte. Zu jedem anderen Zeitpunkt wären sie an Bord ihrer eigenen Zerstörer oder würden ihre Leute in Leechcraft anführen, aber im Moment des Sieges möchte ich meine Kameraden in der Nähe haben. Doch selbst als meine Lieutenants hier an meiner Seite stehen, spüre ich die Trennung, die tiefe Kluft zwischer ihrer und meiner Welt.

»Raketensignaturen«, sagt der Blaue Kommunikationsoffizier. Auf der Brücke bricht keine Aktivität aus. Keine Warnleuchten versetzen die Besatzung in Panik. Keine Rufe durchdringen die Stille. Die Blauen sind eiskalte Wesen, seit ihrer Geburt in Gemeinschaftssekten aufgezogen, in denen sie lernen, Logik zu benutzen und ihre Funktionen mit kalter Effizienz auszuüben. Oft heißt es, sie wären mehr Computer als Menschen.

Der dunkle Raum hinter meinem Sichtfenster erblüht in einem dichten Schleier aus Mikroexplosionen. Unsere Flak schießt einen großen Vorhang aus mattweißen Wolken hinein. Heranfliegende Raketen detonieren, als die Flaksalven die Sprengköpfe der Raketen vorzeitig zünden lassen. Eine kommt durch, und ein Zerstörer am äußeren Flügel meiner Flotte flimmert unter der simulierten nuklearen Explosion. Normalerweise würden Menschen in den Weltraum hinausgerissen werden. Gas würde austreten. Explosionen könnten Löcher in den Metallrumpf schlagen, sodass Sauerstoff hinauskatapultiert würde wie Blut aus einem Wal, um im nächsten Augenblick von der Schwärze geschluckt zu werden. Aber dies ist nur ein Kriegsspiel, in dem sie uns keine echten Atomwaffen geben. Die tödlichsten Waffen sind hier die Schüler.

Ein weiteres Schiff fällt den Railgun-Salven zum Opfer, die durch die Flak dringen.

»Darrow …«, sorgt sich Victra.

Ich befingere geistesabwesend die Stelle, die einst von Eos Ring geziert wurde.

Victra wendet sich mir zu. »Darrow … er reißt uns in Stücke, falls es dir noch nicht aufgefallen ist.«

»Da hat die Lady nicht ganz unrecht, Schnitter«, tönt Tactus, dessen Gesicht vom taktischen Display blau leuchtet. »Was auch immer du noch auf Lager hast, sei jetzt nicht zögerlich.«

»Kommunikation, sag den Ripper- und Talon-Schwadronen, dass sie gegen den Feind vorrücken sollen.«

Ich beobachte auf der taktischen Anzeige, wie die Schwadronen, die ich eine halbe Stunde zuvor auf den Weg geschickt habe, seitlich um die Asteroiden herumrasen und sich auf Karnus’ Flanke stürzen. Aus dieser Entfernung ist es unmöglich, sie mit bloßem Auge zu erkennen, aber sie pulsieren golden in der Anzeige.

»Gratulation, mein Freund«, flüstert Roque, noch bevor das Manöver abgeschlossen ist. In seiner Stimme liegt eine seltsame Ehrfurcht, und jede Spur seiner früheren Frustration hat sich verflüchtigt. »Damit wird sich alles ändern.« Er berührt meine Schulter. »Alles.«

Ich beobachte, wie sich meine Falle schließt, spüre, wie der baldige Sieg die Spannung aus meinen Schultern zieht. Die Grauen auf meiner Brücke treten einen Schritt vor. Selbst die Obsidianen beugen sich vor, um die Anzeigen zu betrachten, während Karnus’ Schiff die Signaturen meiner Schwadronen registriert. Er versucht zu fliehen, lässt die Triebwerke feuern, um dem zu entrinnen, was kommt. Aber die räumliche Situation hat sich gegen ihn verschworen. Meine Schwadronen schießen Raketen ab, bevor Karnus einen Flakschirm bilden oder seine eigenen Raketen zum Einsatz bringen kann. Dreißig simulierte nukleare Explosionen erschüttern sein letztes Schiff. Zu diesem Zeitpunkt des Spiels hat es keinen Sinn mehr, sein Schiff zu kapern, sodass die Blauen Kampfpiloten sich einen leichten Overkill gönnen.

Und so habe ich gewonnen.

Auf meiner Brücke brechen die Grauen und Orangenen Techniker in Jubelschreie aus. Die Blauen klopfen energisch auf die Konsolen. Die Obsidianen, die nicht viel mit dieser Hightech-Welt anfangen können, geben keinen Laut von sich. Meine persönliche Dienerin Theodora lächelt ihren jüngeren Schützlingen an der Dienerstation auf der Brücke zu. Die ehemalige Rosen-Kurtisane, die ihr bestes Alter längst hinter sich hat, ist mit zahlreichen Geheimnissen vertraut und dient mir als gesellschaftliche Beraterin.

Überall im Schiff, vom Maschinenraum bis in die Küchen, wird der Sieg über Holo-Bildschirme übertragen. Es ist nicht nur mein Sieg. Jeder Mann und jede Frau hat seinen oder ihren eigenen Anteil daran. So hat es die Weltengesellschaft geplant. Wer erfolgreich sein will, dessen Vorgesetzter muss erfolgreich sein. Wie ich einen Patron in Augustus gefunden habe, müssen die Niederen Farben ihren in mir finden. Dadurch wird eine Loyalität gegenüber den Goldenen erzeugt, die das System der Farben nicht durch bloße Weisung erschaffen kann.

Jetzt wird mein Stern aufsteigen, und alle an Bord werden mit mir aufsteigen.

Macht und Versprechen sind in dieser Kultur die Grundlage für Berühmtheit. Als der Erzgouverneur vor nicht allzu langer Zeit verkündete, dass er mein Studium an der Akademie finanzieren will, schossen die Spekulationen in der HoloBox ins Kraut. Kann jemand, der so jung ist, der aus einer so erbärmlichen Familie stammt, überhaupt siegen? Schaut euch an, was ich am Institut getan habe! Ich habe die Spielregeln gebrochen. Ich habe die Proktoren erobert, ich habe einen getötet und die anderen wie Kinder gefesselt. Aber war das nicht mehr als ein Blitz in der Nacht? Jetzt haben diese plappernden Bastarde ihre Antwort.

»Steuermann, setz Kurs auf die Akademie. Wir müssen unseren Lorbeer abholen«, verkünde ich unter Jubelrufen. Lorbeer. Dieses Wort hallt aus meiner Vergangenheit wider und hinterlässt einen bitteren Geschmack in meinem Mund. Trotz meines Lächelns verspüre ich keine große Freude über diesen Sieg. Nur finstere Genugtuung.

Ein weiterer Schritt, Eo. Ein weiterer Schritt nach vorn.

»Prätor Darrow au Andromedus«, spielt Tactus mit dem Titel. »Die Bellonas werden sich zuscheißen. Ich frage mich, ob ich das ausnutzen kann, um ein Kommando zu bekommen, oder glaubst du, dass ich mich deiner Flotte anschließen muss? Man weiß nie. Die mordsverdammte Bürokratie ist so schwerfällig. Kupferne, die geschmiert werden wollen. Goldene, die umworben werden wollen. Meine Brüder werden natürlich eine Party für uns schmeißen wollen.« Er stupst mich an. »Auf einer Party der Gebrüder Rath landest vielleicht sogar du endlich im Bett.«

»Als ob er deine Freundinnen anrühren würde.« Victra drückt meine Hand und lässt die Finger verharren, als würde sie ein Gewand statt einer Rüstung tragen. »Auch wenn ich es nur ungern erwähne, aber Antonia hatte recht mit dem, was sie über dich sagte.«

Ich spüre, wie Roque zusammenzuckt, und erinnere mich an das Geräusch, mit dem Antonia Leas Kehle durchschnitt, als sie versuchte, mich am Institut aus meinem Versteck hervorzulocken. Ich hatte mich im Schatten verborgen und horchte darauf, wie meine kleine Freundin mit einem feuchten Klatschen auf den vermoosten Boden fiel. Roque hatte Lea auf seine hastige Art geliebt.

»Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du den Namen deiner Schwester in unserer Gegenwart nicht erwähnen sollst«, sage ich zu Victra, deren Gesicht nach diesem brüsken Verweis einen verbitterten Ausdruck annimmt.

Ich drehe mich wieder zu Roque um.

»Ich glaube, als Prätor besitze ich die Autorität, die Besatzung meiner Flotte nach eigenem Ermessen auszuwählen. Vielleicht sollten wir ein paar alte Gesichter zurückholen. Sevro von Pluto, die Heuler von dort, wohin auch immer sie verschifft wurden, und vielleicht … Quinn von Ganymed?«

Roques Wangen erröten, als Quinns Name genannt wird.

Ich persönlich wünsche mir am meisten ein Wiedersehen mit Sevro. Keiner von uns beiden ist besonders eifrig darin, über das HoloNet in Verbindung zu bleiben, zumal ich seit Beginn meines Studiums an der Akademie keinen Zugang dazu hatte. Jedenfalls hat er eine Vorliebe dafür, Hologramme von ungewöhnlich perversen Einhörnern und Videoaufnahmen zu schicken, in denen er Wortspiele vorträgt. Pluto hat ihn offenbar noch seltsamer gemacht.

»Dominus.« Die Stimme des Blauen Steuermanns lenkt meine Aufmerksamkeit auf die Anzeige.

»Was ist los?«, frage ich.

Seine Augen sind glasig. Er ist entrückt, an die Sensoren des Schiffs angeschlossen, und sieht die Rohdaten des Displays, auf das ich starre. »Unklar, dominus. Sensordatenverzerrung. Geisterdaten.«

Auf der großen Zentralanzeige sind die Asteroiden in Blau zu sehen. Wir sind golden, die Feinde rot. Von ihnen sollten keine mehr übrig sein. Dennoch pulsiert dort nun ein roter Punkt. Roque und Victra gehen darauf zu. Roque bewegt die Hand, und die Daten werden an sein Datenpad übertragen. Eine kleinere Holosphäre schwebt vor ihm. Er vergrößert das Bild und wendet verschiedene analytische Filter an.

»Strahlung?«, mutmaßt Victra. »Trümmer?«

»Das Erz des Asteroiden könnte eine Spiegelung unseres eigenen Signals bewirken«, sagt Roque. »Es könnte auch die Software sein … Jetzt ist es weg.«

Der rote Punkt verschwindet flackernd, aber die Anspannung hat sich auf der gesamten Brücke ausgebreitet. Alle starren auf das Display. Nichts. Hier ist niemand außer meinen Einheiten und Karnus’ besiegtem Flaggschiff. Es sei denn …

Roque wendet sich mit erschrockener Miene zu mir um. »Fluchtkurs«, kann er noch sagen, bevor das feuerrote Signal wieder zum Leben erwacht.

»Volle Kraft auf die Triebwerke«, brülle ich. »Dreißig Grad Kursänderung.«

»Die noch übrigen Raketen auf die Oberfläche des Asteroiden abfeuern«, befiehlt Tactus.

Zu spät.

Victra keucht überrascht, und ich sehe mit bloßem Auge, womit sich unsere Instrumente abmühen. Ein Zerstörer kommt aus einer dunklen Höhlung im Asteroiden hervor. Ein Schiff, von dem ich dachte, wir hätten es vor drei Tagen besiegt. Es hatte die Triebwerke abgeschaltet, während es auf der Lauer lag. Die vordere Hälfte ist aufgerissen und geschwärzt. Jetzt feuern die Triebwerke mit voller Kraft. Und seine Flugbahn ist genau auf mein Schiff gerichtet.

Es wird uns rammen.

»Evak-Anzüge und Kapseln!«, rufe ich. Jemand schreit, dass wir uns für den Zusammenstoß wappnen sollen. Ich eile zur Seite der Brücke, wo meine Kommandofluchtkapsel in die Wand eingebaut ist. Sie öffnet sich auf meinen gesprochenen Befehl. Tactus, Roque und Victra rennen hinein. Ich halte mich zurück, rufe den Blauen zu, dass sie sich beeilen und ausklinken sollen. Trotz ihrer Logik würden sie für ihr Schiff sterben.

Ich laufe auf der Brücke hin und her, schreie sie an, ihre Fluchtschleusen zu aktivieren. Der Blaue Steuermann tut es, drückt einen Knopf, der bewirkt, dass sich im Boden einer Nische ein Loch auftut. Einer nach dem anderen klinken sie sich aus und werden durch die Gravitationsröhre in ihre Fluchtkapseln gesaugt.

»Theodora!«, rufe ich, als ich sehe, wie sie an einem jungen Blauen zerrt, der sich furchtsam mit weißen Fingerknöcheln an seiner Station festklammert. »Steig in die mordsverdammte Kapsel!« Sie hört nicht auf mich. Genauso wenig lässt der Blaue los. Ich renne zu ihnen, als im selben Moment der Annäherungssensor ein letztes Warnsignal auslöst.

Alles verlangsamt sich.

Die Lichter auf der Brücke pulsieren rot.

Ich stürze mich auf Theodora, schlinge meine Arme um sie.

Und der Zerstörer rammt mein Kriegsschiff frontal.

Ich drücke Theodora an meine Brust und werde dreißig Meter quer über die Brücke geschleudert, bis ich gegen eine Metallwand schlage. Greller Schmerz schießt durch meinen linken Arm, entlang der Linie des verheilenden Bruchs. Dunkelheit schlägt mir ins Gesicht. Einzelne Lichter tanzen, zuerst wie Sterne, dann wie verwobene Linien aus Sand, der vom Wind aufgewirbelt wird.

Rotes Licht sickert durch meine Augenlider. Eine sanfte Hand zerrt an meiner Kleidung.

Ich öffne die Augen. Ich bin um eine eingedellte elektrische Säule gewickelt, während das Schiff erzittert und stöhnt wie ein urtümliches, sterbendes Tier, das in der Tiefe versinkt. Die Säule vibriert heftig an meinem Bauch, während der Zerstörer unser Schiff der Länge nach spaltet. Er weidet uns mit grausamer Langsamkeit aus.

Jemand ruft meinen Namen. Stimmen und Geräusche kehren zurück.

Die Brücke ist von Lichtern erhellt, wechselnde Schattierungen von mörderischem Rot. Warnsirenen. Der Schwanengesang des Schiffes. Theodoras zierliche alte Hände zerren an mir wie ein Vogel, der an einer umgestürzten Statue zieht. Ich blute auf der Stirn. Meine Nase ist gebrochen. Ich wische mir das brennende Blut aus den Augen und rolle mich auf den Rücken. Neben mir sprüht ein zerstörtes Display Funken. Mein Blut klebt darauf. Ist es auf mich gefallen? Daneben liegt eine Stange, und mein Blick wandert zu Theodora. Sie hat es zur Seite gehebelt. Aber sie ist so klein. Sie legt die Hände an mein Gesicht.

»Steh auf! Dominus, wenn du überleben willst, musst du aufstehen!« Die Hände der alten Frau zittern vor Furcht. »Bitte, steh auf!«

Ächzend stemme ich mich hoch. Meine Kommandofluchtkapsel ist fort. Sie muss während der Kollision gestartet sein. Entweder das, oder die anderen haben mich zurückgelassen. Auch die Fluchtkapsel der Blauen hat sich vom Schiff getrennt. Der ängstliche Blaue ist zu einem Fleck an einer Wand geworden. Theodora kann die Augen nicht von diesem Anblick losreißen. Tränen laufen ihr über die Wangen.

»In meinem Quartier ist eine weitere Kapsel«, murmele ich. Dann sehe ich, warum Theodora sich windet. Nicht vor Furcht, sondern vor Schmerzen. Ihr Bein ist zertrümmert, nach außen gespreizt wie ein Stück feuchte, abgesplitterte Kreide. Pinke sind nicht dazu gemacht, so etwas auszuhalten. »Ich werde es nicht schaffen, dominus. Geh jetzt!«

Ich lasse mich auf ein Knie hinab und werfe sie mir mit meinem gesunden Arm über die Schulter. Sie wimmert entsetzlich, als sich ihr Bein bewegt. Ich spüre ihr Zähneklappern. Und dann renne ich. Ich renne durch die zerstörte Brücke auf die Wunde zu, die mein Schiff tötet, durch die Korridore auf dem Brückendeck in eine Szene des Chaos. Menschen drängen sich in den Hauptkorridoren, verlassen ihre Posten und Aufgaben, während sie zu den Fluchtkapseln und Truppentransportern im vorderen Hangar rennen. Menschen, die für mich gekämpft haben – Elektriker, Quartiermeister, Soldaten, Köche, Diener. Sie werden sich nie in Sicherheit bringen können. Viele ändern den Kurs, als sie mich sehen. Sie taumeln zu Boden, stürzen sich panisch und wirr auf mich in ihrem Wahn, eine Rettung zu finden. Sie zerren schreiend und flehend an mir. Ich stoße sie weg und verliere einen kleinen Teil meines Herzens, als sie hinter mir zurückfallen. Ich kann sie nicht retten. Ich kann es nicht. Ein Orangener greift nach Theodoras gesundem Bein, und eine Graue Sergeantin schlägt ihm gegen die Stirn, bis er wie ein Stein zu Boden fällt.

»Macht den Weg frei«, brüllt die dicke Graue. Sie reißt einen Scorcher aus ihrem taktischen Holster und schießt damit in die Luft. Ein anderer Grauer nimmt sich zusammen oder denkt vielleicht, dass ich sein Ticket aus dieser Todesfalle bin, und hilft ihr dabei, einen Weg durch das Chaos zu bahnen. Bald werden sie von zwei weiteren mit gezückten Waffen unterstützt.

Mit ihrer Hilfe gelange ich zu meiner Suite. Die Tür zischt auf, als meine DNS sie berührt, und wir treten hindurch. Die Grauen folgen uns und richten ihre Waffen auf die dreißig verzweifelten Seelen, die sich um den Eingang drängen. Die Tür zischt, um sich zu schließen, aber eine Obsidiane zwängt sich durch die Menge und wird im Rahmen eingeklemmt. Die Tür ist blockiert. Ein Orangener macht es ihr nach. Dann ein Blauer von niederem Rang. Ohne zu zögern, schießt die Graue Sergeantin der Obsidianen in den Kopf. Ihre Kameraden erschießen den Blauen und den Orangenen und stoßen sie vom Rahmen weg, damit sich die Tür schließen kann. Ich reiße den Blick von dem Blut am Boden los und lege Theodora auf eine Couch.

»Dominus, wie viel Platz ist in der Fluchtkapsel?«, fragt mich die Graue Sergeantin, während ich zur Zugangsschleuse der Kapsel gehe. Ihr Haar ist nach militärischer Mode elektrisiert. Unter ihrem Kragen lugt ein Tattoo auf ihrer gebräunten Haut hervor. Meine Hände fliegen über das Kontrollprisma und geben das Passwort mit einer Bewegungsabfolge ein.

»Vier Sitze. Ihr bekommt zwei. Entscheidet das unter euch.«

Wir sind zu sechst.

»Zwei?«, fragt die Sergeantin kalt nach.

»Aber die Pinke ist eine Sklavin!«, zischt einer der Grauen.

»Sie ist nichts wert«, sagt ein anderer.

»Sie ist meine Sklavin«, knurre ich. »Tut, was ich sage!«

»Scheiß drauf.« Dann spüre ich die Stille, und ich weiß, dass einer von ihnen eine Waffe auf mich gerichtet hat. Ich drehe mich langsam um. Der stämmige alte Graue ist kein Dummkopf. Er hat sich zurückgezogen, außerhalb meiner Reichweite. Ich habe keine Rüstung, nur meinen Razor. Ich könnte ihn vielleicht töten. Die anderen fragen ihn, was zum Teufel er sich einbildet.

»Ich bin ein freier Mann, dominus. Ich sollte einen Platz bekommen«, sagt der Graue mit zitternder Stimme. »Ich habe Familie. Es ist mein Recht, mich in Sicherheit zu bringen.« Er schaut zu seinen Kameraden, die in das böse Rot der Notbeleuchtung getaucht sind. »Sie ist nur eine Hure. Eine emporgekommene Hure.«

»Marcel, steck die Waffe weg«, sagt der dunkelhäutige Corporal. Sein Blick ist schwer aus Sorge um seinen Freund. »Erinnere dich an deinen Schwur. Wir werden Lose ziehen.«

»Das ist nicht fair! Sie kann nicht einmal Kinder bekommen!«

»Und was würden deine Kinder jetzt über dich denken?«, frage ich.

Marcels Augen füllen sich mit Tränen. Die Waffe zittert in seiner plumpen Hand. Dann fällt ein Schuss. Sein Körper erstarrt und bricht leblos zusammen, während die Kugel aus dem Scorcher der Sergeantin aus seinem Kopf austritt und in die Metallwand schlägt.

»Wir gehen nach dem Rang«, sagt die Sergeantin und steckt ihre Waffe ins Holster.

Wäre ich noch der Mann, den Eo kannte, wäre ich vor Schreck erstarrt. Aber diesen Mann gibt es nicht mehr, und ich trauere jeden Tag um ihn. Ich vergesse immer mehr, wer ich war, welche Träume ich hatte, was ich geliebt habe. Inzwischen ist die Traurigkeit stumpf geworden. Und ich mache weiter, trotz des Schattens, den sie auf mich wirft.

Die Fluchtkapsel öffnet sich mit einem dumpfen Schlag des Magnetschlosses. Die Tür schiebt sich zischend nach oben. Ich hebe Theodora von der Couch auf und schnalle sie auf einem Sitz fest. Die Gurte sind zu groß, weil sie für Goldene gemacht wurden. Dann brüllt etwas tief und schrecklich im Bauch meines Schiffs, einen halben Kilometer entfernt. Unser Torpedodepot detoniert.

Die künstliche Schwerkraft fällt aus. Es gibt keine stabilen Wände mehr. Es ist eine tückische Empfindung. Alles dreht sich. Ich krache gegen den Boden der Fluchtkapsel. Oder gegen die Decke? Ich weiß es nicht. Das Schiff verliert Druck. Jemand übergibt sich. Ich rieche es mehr, als dass ich es höre. Ich rufe den Grauen zu, dass sie in die Kapsel steigen sollen. Jetzt bleibt nur einer zurück, still und mit bestürzter Miene, während die Sergeantin und der Corporal sich in die Fluchtkapsel ziehen. Sie schnallen sich mir gegenüber an. Ich aktiviere die Startfunktion und salutiere dem Grauen, der zurückbleibt. Er salutiert zurück, stolz und loyal trotz seiner Stille im Angesicht der letzten Momente seines Lebens. Seine Augen blicken in die Ferne, und er denkt an irgendeine Jugendliebe, irgendeinen Weg, den er nicht gegangen ist. Oder er fragt sich, warum er nicht als Goldener geboren wurde.

Dann schließt sich die Tür, und er ist aus meiner Welt verschwunden.

Ich werde in meinen Sitz gepresst, als die Fluchtkapsel von dem sterbenden Schiff davonrast. Durch Trümmer. Dann sind wir wieder schwerelos und treiben von der Vernichtung fort, während sich die Trägheitsdämpfer aktivieren. Durch das Fenster sehe ich, wie mein Flaggschiff Ströme aus blauen und roten Flammen ausstößt. Aufbereitetes Helium-3, die Energiequelle beider Schiffe, entzündet sich in der Nähe der Triebwerke meines Kriegsschiffs und löst eine Kettenreaktion aus, die das Schiff explodieren lässt. Plötzlich wird mir klar, dass es keine Trümmer waren, mit denen meine Fluchtkapsel kollidierte, als sie das Schiff verließ. Es waren Menschen. Meine Besatzung. Hunderte von Niederen Farben, die in den Weltraum gerissen wurden.

Der Graue sitzt mir gegenüber.

»Er hatte drei Mädchen«, sagt der dunkelhäutige Corporal und erschaudert, als die Adrenalinwirkung nachlässt. »In zwei Jahren wäre er in Pension gegangen. Und du hast ihm in den Kopf geschossen.«

»Nach meinem Bericht hat der Feigling nicht einmal Anspruch auf eine Waisenrente«, höhnt die Sergeantin.

Der Corporal sieht sie blinzelnd an. »Du eiskaltes Miststück.«

Ihre Worte verklingen und werden vom Pochen des Blutes in meinen Ohren übertönt. Das ist alles meine Schuld. Am Institut habe ich die Regeln gebrochen. Ich verhielt mich anders, als man es erwartete, und dachte, dass sie sich nicht anpassen würden. Dass sie meinetwegen nicht ihre Strategie ändern würden.

Und nun habe ich so viele Leben verloren, dass ich vielleicht nie die genaue Opferzahl erfahre.

Von einem Augenblick auf den anderen sind mehr Menschen gestorben als während eines ganzen Jahres am Institut. Die Toten öffnen ein schwarzes Loch in meinem Bauch.

Roque und Victra rufen mich über den Kom. Sie dürften mein Datenpad angepeilt haben und wissen, dass ich in Sicherheit bin. Ich höre sie kaum. Wut brodelt schwer und böse in mir, lässt meine Hände zittern, mein Herz laut schlagen.

Irgendwie setzt Karnus’ Schiff seinen Weg durch den Weltraum fort, nachdem es mein Flaggschiff zerteilt hat. Es ist beschädigt, aber nicht zerstört. Ich löse die Sitzgurte und stehe auf. Am anderen Ende der Fluchtkapsel gibt es eine Startröhre mit einer vorbereiteten Starshell – einem mechanischen Anzug, der aus einem Menschen einen Torpedo machen kann. Die Starshell ist dazu gemacht, Goldene zu Asteroiden oder Planeten zu schicken, denn die Fluchtkapsel würde einen Eintritt in die Atmosphäre nicht überstehen. Aber ich werde das System zum Zweck der Rache benutzen. Ich werde mich selbst auf die drecksverdammte Brücke dieses Bellona-Bastards schießen.

Ich bin froh, dass Theodora noch nicht aufgewacht ist.

Ich sage dem Corporal, dass er mir in den Anzug helfen soll. Zwei Minuten später stecke ich im Metallpanzer. Weitere zwei sind nötig, um mit dem Computer die Berechnung meiner Flugbahn zu diskutieren, damit ich Karnus’ Schiff abfangen und durch die Brückenfenster schlagen kann. Ich habe noch nie gehört, dass jemand so etwas schon einmal gemacht hat. Oder es auch nur versucht hat. Es ist Wahnsinn. Aber Karnus soll bezahlen.

Ich beginne mit meinem eigenen Countdown.

Drei … Das feindliche Schiff zieht arrogant in einhundert Kilometern Entfernung vorbei. Es ist wie eine dunkle Schlange mit blauem Schwanz und einer Brücke anstelle von Augen. Zwischen uns flimmern hundert Fluchtkapseln wie Rubine in der Sonne. Zwei … Ich bete, dass ich das Tal finde, wenn ich das hier nicht überlebe. Eins. Meine Anzeigen erlöschen, und es blinkt rot in meinem Helm. Die Proktoren haben meinen Computer übernommen und mir die Kontrolle entzogen.

»NEIN!«, brülle ich, während ich zusehe, wie Karnus’ Schiff in der Dunkelheit verschwindet.

3    Blut und Pisse

Achthundertdreiunddreißig Männer und Frauen. Achthundertdreiunddreißig, die wegen eines Spiels getötet wurden. Ich wünschte, ich hätte die Anzahl niemals erfahren. Im Kopf sage ich mir immer wieder diese Zahl vor, während ich im Passagierraum des Rettungsschiffs sitze, das geschickt wurde, um mich zur Akademie zurückzubringen. Meine Lieutenants haben Angst, meinem Blick zu begegnen. Selbst Roque lässt mich in Ruhe.

Die Ausbilder haben meine Kapsel deaktiviert, bevor ich starten konnte. Sie sagen, sie hätten es getan, um mich vor einem dummen Fehler zu bewahren. Die Aktion sei unbedacht, dumm und eines Goldenen Prätors unwürdig gewesen. Ich starrte sie verständnislos an, während sie über Holo den Einsatz mit mir besprachen.

Wir erreichen die Akademie in den Abendstunden, nach dem Zeitzyklus meines Schiffes gerechnet. Die Anlage ist ein großer überkuppelter Raumhafen am Rand einer Asteroidengruppe, umringt von Andockplätzen für Zerstörer und Kriegsschiffe. Die meisten sind belegt. Hier ist die Akademie und das Kommando über den mittleren Sektor untergebracht. Damit ist die Anlage einer der wichtigsten Stützpunkte des Militärs der Weltengesellschaft für die mittleren Welten Mars, Jupiter und Neptun, obwohl sie auch von anderen planetaren Streitkräften genutzt wird, wenn ihre Orbits in der Nähe verlaufen. Meine Mitstudenten dürften hier alles von den Schlafsälen aus beobachtet haben. Genauso wie zahlreiche Flottenfunktionäre und Einzigartige, die sich hier für die letzten Wochen des Spiels versammelt haben, um zuzuschauen und Partys zu feiern.

Niemand wird die Todesopfer erwähnen, die Karnus’ Sieg gefordert hat. Aber die Niederlage wird mich in meiner Mission zurückwerfen. Die Söhne des Ares haben Spione. Sie haben Hacker und Kurtisanen, die Geheimnisse stehlen. Was sie nicht haben, ist eine Flotte. Und jetzt werden sie auch keine bekommen.

Niemand begrüßt mich oder meine Lieutenants am Dock.

Rote und Braune eilen hin und her, befehligt von zwei Violetten und einem Kupfernen, die alles für Karnus’ Siegesfeier im großen Vestibül vorbereiten. Die blauen und silbernen Farben des Hauses Bellona zieren die riesigen Metallsäle. Das Adlerwappen seiner Familie wurde an den Wänden angebracht. Man hat weiße Rosenblätter für ihn herbeigeschafft. Rote Rosenblätter sind Triumphen vorbehalten, wahren Siegen, bei denen das Blut von Goldenen vergossen wurde. Das Blut von achthundertdreiunddreißig Niederen Farben zählt nicht. Das ist eine klerikale Angelegenheit.

Meine Lieutenants haben geschlafen, während wir zur Can zurückgeflogen sind. Ich nicht. Tactus und Victra wanken nun schweigend vor mir her, als wären sie immer noch nicht ganz aufgewacht. Trotz der Schwere in meinen Schultern sehne ich mich nicht nach Schlaf. Reue drückt hinter meinen blutunterlaufenen Augen. Wenn ich schlafe, werde ich die Gesichter jener sehen, die ich in den Korridoren des Schiffs zum Sterben zurückgelassen habe. Ich weiß, dass ich auch Eo sehen werde. Heute kann ich ihr nicht ins Gesicht blicken.

Die Akademie riecht nach Desinfektionsmittel und Blumen. Die Rosenblätter befinden sich in Behältern an der Wand. Oben verlaufen Röhren, die unseren Atem recyceln und die Luft reinigen. Sie geben ein stetiges Summen von sich. Fluoreszenzleuchten pissen blasses Licht von der Decke herab, wie zur Erinnerung, dass dies kein angenehmer Ort für Kinder oder Fantasien ist. Wie die Männer und Frauen hier ist auch das Licht hart und kalt.

Roque bleibt an meiner Seite, obwohl er totenblass aussieht. Ich sage ihm, dass er sich etwas Schlaf gönnen soll. Er hat es sich verdient.

»Und was hast du dir verdient?«, fragt er. »Bestimmt keinen Tag des Missmuts. Keinen Tag der Selbstgeißelung. Von allen Lanzenreitern bist du der Zweite. Der Zweite! Bruder, warum bist du darauf nicht stolz?«

»Nicht jetzt, Roque.«

»Na komm«, drängt er weiter. »Es ist nicht der Sieg, der einen Mann ausmacht. Es sind seine Niederlagen. Glaubst du, unsere Vorfahren hätten niemals verloren? Deswegen musst du nicht schnaufen und keuchen und dich zu einem griechischen Klischee machen. Lass die Hybris sein. Es war nur ein Spiel.«

»Glaubst du, ich gebe einen Scheiß auf das Spiel?«, fahre ich zu ihm herum. »Menschen sind gestorben.«

»Sie haben sich für ein Leben im Dienst der Flotte entschieden. Sie wussten um die Gefahren und sind für eine wichtige Sache gestorben.«

»Welche Sache?«

»Die Stärke unserer Weltengesellschaft zu bewahren.«

Ich starre ihn an. Kann mein Freund, mein lieber Freund, wirklich so blind sein? Welche Wahl hatten diese Menschen? Sie wurden zum Dienst einberufen. Ich schüttle den Kopf. »Du verstehst überhaupt nichts, nicht wahr?«

»Natürlich verstehe ich nichts. Du ziehst niemanden ins Vertrauen. Weder mich noch Sevro. Schau dir an, wie du Mustang behandelt hast. Du vertreibst deine Freunde, als wären sie Feinde.«

Wenn er nur wüsste.

*

Ich finde den Garten verlassen vor. Er befindet sich an der Spitze der Can, ein großes Vestibül aus Glas, Erde und Vegetation, das als Rückzugsort für Soldaten dient, die des Fluoreszenzlichts überdrüssig geworden sind. Verkümmerte Bäume schwanken in einer simulierten Brise. Ich ziehe meine Schuhe und die Socken aus und seufze, als ich das Gras zwischen den Zehen spüre.

Über den Bäumen bilden Lampen eine falsche Sonne. Ich lege mich darunter und erhebe mich kurz darauf mit einem Ächzen wieder, um zu der kleinen heißen Quelle mitten auf der Waldlichtung zu gehen. Mein Körper ist von verblassenden Prellungen übersät, die wie kleine Teiche in Blau und Rot von gelbem Sand gesäumt werden. Das Wasser kühlt meine Wunden. Ich bin dünner, als ich sein sollte, habe aber eine Spannkraft wie eine Klaviersaite. Wäre mein Arm nicht gebrochen, würde ich sagen, dass ich gesünder bin als damals am Institut. Der Schinkenspeck und die Spiegeleier an der Akademie schlagen das halbrohe Ziegenfleisch um Längen.

Ich finde die Haemanthus-Blüte neben dem Teich. Sie ist an einer Stelle gekeimt, wohin kein Wasser schwappt. Sie ist auf dem Mars heimisch, genauso wie ich, also pflücke ich sie nicht. Ich habe Eo an einem Ort wie diesem begraben. Im falschen Wald über meinem Lykos, wo ich sie zuletzt geliebt habe. Damals waren wir dürre, unschuldige Wesen. Wie konnte ein so zierliches Mädchen wie sie einen solchen Kampfgeist haben, einen so wilden Freiheitstraum, während so viele starke Seelen sich abmühten und die Köpfe gesenkt hielten, weil sie nicht aufzublicken wagten?

Ich habe Roque angebrüllt, dass mir die Niederlage gleichgültig ist. Doch das stimmt nicht, und ich fühle mich schuldig, dass sie mich bestürzt, während meine ganze Sorge all den verlorenen Leben gelten sollte. Doch bis zum heutigen Tag erfüllte mich jeder Sieg, weil ich mit jedem Sieg meinem Ziel näher kam, Eos Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Jetzt hat mir die Niederlage diese Hoffnung geraubt. Heute habe ich Eo enttäuscht.

Als würde es meine Gedanken kennen, kitzelt mein Datenpad an meinem Arm. Ein Anruf von Augustus. Ich ziehe das hauchdünne Display ab und schließe die Augen.

Seine Worte hallen in meiner Erinnerung nach. »Selbst wenn du verlierst, selbst wenn du keinen Sieg für dich beanspruchen kannst, darfst du einem Bellona keinen Triumph erlauben. Eine weitere Flotte unter ihrer Kontrolle würde die Waagschalen der Macht verschieben.«

So viel dazu. Ich treibe im Wasser, schlafe immer wieder kurz ein, bis meine Finger runzlig werden und ich anfange, mich zu langweilen. Ich bin nicht für solche stillen Momente gemacht. Ich steige aus dem Wasser und ziehe mich wieder an. Ich kann Augustus nicht zu lange warten lassen. Es wird Zeit, sich dem alten Löwen zu stellen. Und danach vielleicht schlafen. Ich werde an der verdammten Siegesfeier für Karnus teilnehmen müssen, doch anschließend werde ich weit fort von diesem hässlichen Ort sein und zum Mars zurückkehren, vielleicht auch zu Mustang.

Meine Kleidung ist verschwunden, ebenso mein Razor.

Dann spüre ich sie.

Ich höre ihre Militärstiefel hinter mir. Sie atmen laut vor Aufregung. Sie sind zu viert, schätze ich. Ich hebe einen Stein vom Boden auf. Nein. Als ich mich umdrehe, sehe ich sieben, die den Eingang zum Garten versperren. Allesamt Goldene des Hauses Bellona. Allesamt meine Erzfeinde.

Karnus kommt mit den Bellonas, geradewegs von seinem Schiff. Sein Gesicht ist genauso abgezehrt wie meins, seine Schultern sind vielleicht eineinhalbmal so breit wie meine. Er überragt mich – in jeder Hinsicht ein Obsidianer, außer von Geburt und Wesensart. Sein lachender Mund grinst mit ungewöhnlicher Intelligenz. Er reibt sich mit einer Hand über das Grübchen im Kinn, und seine muskulösen Unterarme sehen aus, als wären sie aus geglättetem Flussholz geschnitzt. Die Gegenwart eines Menschen, der so groß ist, dass man die Vibration seiner Stimme in den eigenen Knochen spürt, hat etwas Erschreckendes.

»Wie es scheint, haben wir den Augustus-Fisch auf dem Trockenen erwischt. Siehe da, der Schnitter!«

»Goliath«, spreche ich ihn mit seinem Rufzeichen an.

Goliath der Brecher. Goliath der Sohnmörder. Goliath der Wilde. Mustang sagt, er hätte einmal die Wirbelsäule eines noblen lunageborenen Goldenen über seinem Knie gebrochen, nachdem das Gör sich erlaubt hatte, ihm in einem Pearl-Club einen Drink ins Gesicht zu schütten. Daraufhin bestach seine Mutter den Justiziar, damit er mit einer Geldstrafe davonkam.

Die Liste der Geldstrafen, die er für Morde bezahlt hat, ist länger als mein Arm. Graue, Pinke, sogar ein Violetter. Doch sein eigentlicher Ruf geht darauf zurück, dass er Claudius au Augustus tötete, den Lieblingssohn und Erben des Erzgouverneurs. Mustangs Bruder.

Karnus’ Cousins umkreisen ihn. Allesamt Bellonas. Allesamt unter dem blauen und silbernen Wappen des siegreichen Adlers geboren. Brüder, Schwestern und Cousins von Cassius. Ihr Haar ist lockig und dick, die Gesichter sind schön. Ihr Einfluss erstreckt sich auf die gesamte Weltengesellschaft. Das Gleiche gilt für den Ruf ihrer Waffen.

Einer ist viel älter als ich, kleiner, aber kräftiger gebaut, wie ein Baumstumpf, dessen Kopf mit blondem Moos bewachsen ist. Er ist ein Mann in den Dreißigern. Er heißt Kellan, wie ich mich jetzt erinnere. Ein vollwertiger Legat, ein Ritter der Weltengesellschaft. Und er ist mit seinen Brüdern und Cousins hierher zu mir gekommen. Er trieft vor Arroganz. Er täuscht ein Gähnen vor. Für ihn scheint das alles nur ein Schulhofspiel zu sein.

Furcht donnert in meiner Brust.

Es fällt mir schwer zu atmen. Dennoch lächle ich, während meine Finger hinter meinem Rücken die Kom-Funktion des Datenpads streifen.

»Sieben Bellonas«, gluckse ich. »Wozu brauchst du ganze sieben, Karnus?«

»Du hattest sieben Schiffe gegen meins«, sagt Karnus. »Ich bin gekommen, um unser Spiel fortzusetzen.« Er legt den Kopf schief. »Hast du geglaubt, es würde mit dem Tod deines Schiffes enden?«

»Das Spiel ist vorbei«, sage ich. »Du hast gewonnen.«

»Habe ich gewonnen, Schnitter?«, fragt Karnus.

»Um den Preis von achthundertdreiunddreißig Menschenleben.«

»Heulst du, weil du verloren hast?«, fragt Cagney. Sie ist die kleinste seiner Verwandten, Anfang zwanzig und eine Lanzenreiterin für Karnus’ Vater. Sie ist es, die meinen Razor hält, den Mustang mir gab. Sie lässt ihn durch die Luft sausen. »Ich glaube, den werde ich behalten. Ich glaube, ich habe noch nie gehört, dass du ihn benutzt hast. Nicht dass ich mir ein Urteil anmaßen will. Razor sind tückisch. Das Risiko einer ungebildeten Herkunft, befürchte ich.«

»Geh und steck deine Faust in deinen Cousin«, höhne ich. »Es muss einen Grund geben, warum ihr lockenköpfigen Scheißer alle gleich ausseht.«

»Müssen wir uns sein Gekläff anhören, Karnus?«, beklagt sich Cagney.

»Ich habe Julian das Angeln beigebracht, Schnitter«, sagt Kellan, der Legat, unvermittelt. »Als kleiner Junge mochte er es nicht, weil er dachte, dass es den Fischen zu sehr wehtut. Er hielt es für grausam. Das ist der Junge, den du auf Anordnung deines Herrn töten musstest. Das ist das Ausmaß seiner Grausamkeit. Wie groß fühlst du dich also? Für wie tapfer hältst du dich?«

»Ich wollte ihn nicht töten.«

»Oh, aber wir wollen dich töten«, grollt Karnus. Er nickt seinen Cousins zu. Zwei der Bellonas brechen Äste von den Bäumen und werfen sie ihren Verwandten zu. Sie haben Razor, aber wie es scheint, wollen sie sich Zeit lassen.

»Wenn ihr mich tötet, wird das Konsequenzen haben«, sage ich und berühre hinter dem Rücken mein Datenpad. »Dies ist kein genehmigtes Duell, und ich bin ein Einzigartiger. Ich stehe unter dem Schutz des Abkommens. Es wäre Mord. Die Olympischen Ritter werden euch jagen. Euch verurteilen. Euch exekutieren.«

»Wer hat etwas von Mord gesagt?«, fragt Karnus.

»Du gehörst zu Cassius«, sagt Cagney. Auf ihrem fuchsartigen Gesicht breitet sich ein Lächeln aus.

»Heute stehst du unter dem Schutz von Augustus«, sagt Karnus. »Du bist sein auserwählter Junge. Dich zu töten würde Krieg bedeuten. Aber niemand zieht wegen einer kleinen Tracht Prügel in den Krieg.«

Cagney schont ihr linkes Bein. Eine Knieverletzung. Ein Cousin von ihr hat sein Gewicht auf die Fersen verlagert. Er hat Angst vor mir. Der große Karnus reckt sich, was bedeutet, dass er darauf pisst, wie viel Schaden ich vielleicht anrichte. Kellan lächelt und steht entspannt da. Ich hasse diese Art von Männern. Schwer zu beurteilen. Ich berechne meine Chancen. Dann erinnere ich mich an meinen gebrochenen Arm, meine verletzten Rippen und die Prellung über dem Auge, woraufhin ich meine Chancen halbiere.

Ich bekomme Angst. Sie dürfen mich nicht töten, ich darf sie nicht töten. Nicht hier. Nicht jetzt. Wir alle wissen, wie dieser Tanz enden wird. Aber wir werden tanzen.

Karnus schnippt mit den Fingern, und alle stürmen gleichzeitig auf mich los. Ich werfe den Stein in Cagneys Gesicht. Sie geht zu Boden. Ich stürze mich auf Karnus, heule wie ein wahnsinniger Wolf, weiche seinem Fausthieb aus und verpasse ihm eine schnelle Abfolge von Schlägen in die Nervenzentren, treibe meinen Ellbogen in seinen rechten Bizeps, zerreiße Gewebe. Er wankt heftig, und ich bedränge ihn weiter, benutze seine Körpermasse, um mich gegen die anderen und ihre Stöcke abzuschirmen. Ich entreiße einer Bellona-Cousine einen Stock und erledige sie mit einem Ellbogenhieb gegen die Schläfe. Dann wirbele ich herum, treibe den Stock in Karnus’ Gesicht. Aber er wird blockiert. Etwas trifft mich am Hinterkopf. Holz kracht. Splitter graben sich in meine Kopfhaut. Doch ich wanke nicht. Nicht bis Karnus mir mit dem Ellbogen so heftig ins Gesicht schlägt, dass ein Zahn herausspringt.

Sie wechseln sich nicht ab, kommen nicht einer nach dem anderen. Sie umringen mich und bestrafen mich mit der Effizienz des Kravat, ihrer tödlichen Kunst. Sie zielen auf Nerven und Organe. Ich schaffe es, stehen zu bleiben und ein paar meiner Angreifer zu treffen. Aber ich werde mich nicht mehr lange auf den Beinen halten können. Jemand rammt einen Stock in meine Wirbelsäule und trifft den subkostalen Nerv. Ich sacke wie schmelzendes Wachs zu Boden, und Karnus verpasst mir einen Tritt gegen den Kopf.

Ich zerbeiße mir fast die Zunge.

Wärme erfüllt meinen Mund.

Der Boden ist das Weichste, was ich spüre.

Ich ersticke an Salz.

Blut und Luft sprühen aus meinem Mund, als Karnus einen Fuß auf meinen Bauch stellt, dann auf die Kehle. »Mit den Worten von Lorn au Arcos: Wenn du einen Mann nur verwunden darfst, solltest du lieber seinen Stolz töten.«

Röchelnd ringe ich nach Atem.

Cagney löst Karnus ab, setzt sich auf meine Brust, klemmt mit den Knien meine Arme ein. Ich sauge Luft ein. Sie lächelt mir ins Gesicht und blickt auf meinen Haaransatz. Ihr Mund steht vor Aufregung, eine andere Person zu dominieren, offen. Sie greift mit der Hand in mein Haar. Ihr heißer Atem riecht wie Minze. »Was haben wir denn hier?«, fragt sie und zieht mir das Datenpad vom Arm. »Verdammt. Er hat die Augustaner gerufen. Gegen diese Julii-Schlampe würde ich lieber nicht ohne meine Rüstung kämpfen.«

»Dann hör auf zu trödeln«, knurrt Karnus. »Tu es.«

»Psst«, flüstert sie, als ich zu sprechen versuche. Sie streift meine Lippen mit einem Messer, schiebt es mir in den Mund, bis das spröde Metall klackend gegen meine Zähne stößt. »Das ist eine gute kleine Schlampe.«

Grob schneidet sie mir das Haar ab.

»Schön ruhig bleiben. Guter Schnitter. Gut.«

Blut brennt mir in den Augen, als Karnus Cagney von meinem Brustkorb stößt, mich packt und mit der linken Hand vom Boden aufhebt. Er spannt den rechten Arm an, verflucht seinen verletzten Bizeps. Er kann damit nicht zum Schlag ausholen, also grinst er mich stattdessen breit an und versetzt mir einen Kopfstoß genau gegen das Brustbein. Meine Welt wird erschüttert. Etwas knackt. Es klingt wie ein Ast im Feuer. Ich keuche gurgelnde, unmenschliche Laute. Karnus verpasst mir einen weiteren Kopfstoß und wirft meinen schmerzenden Körper zu Boden.

Ich spüre, wie etwas Warmes auf mich spritzt, und der Geruch nach Pisse dringt mir in die Nase. Sie lachen, und Karnus haucht mir etwas ins Ohr.

»Mutter bat mich, dir zu sagen, dass ein Armenhäusler niemals ein Prinz sein kann. Jedes Mal, wenn du in den Spiegel blickst, sollst du dich daran erinnern, was wir mit dir getan haben. Vergiss nie, dass du noch atmest, weil wir es dir erlaubt haben. Vergiss nie, dass dein Herz eines Tages auf unserem Tisch liegen wird. Wer hoch fliegt, fällt in den Matsch.«

4    Gefallen

Ich stehe vor meinem Meister, doch es kümmert ihn nicht.

Die Wände des Büros sind mit Holz vertäfelt, und auf dem Boden liegt ein antiker Teppich, den sein eiserner Vorfahre aus einem Palast auf der Erde mitgenommen hat, nach dem Sturz des Indischen Imperiums, einer der letzten großen Nationen, die den Goldenen Widerstand leisteten. Welcher Schrecken diese natürlich geborenen Menschen ergriffen haben muss, als sie sahen, wie die Eroberer vom Himmel fielen. Die perfekten Menschen, die jedoch Ketten statt Hoffnung brachten.

Ich stehe vor Augustus’ Schreibtisch, ein schlichtes Ding aus Holz und Eisen, genau vor dem siebenhundert Jahre alten Blutfleck, wo dem letzten indischen Imperator durch einen schlanken Killer der Goldenen der Kopf vom Körper getrennt wurde.

Nero au Augustus streichelt müßig den Löwen, der neben seinem Schreibtisch liegt. Sie sehen wie eine Zwillingsstatue aus. Hinter ihnen ist der Weltraum. Ein Sichtfenster lugt in die Schwärze, wo die Schiffe der Zepter-Armada wie riesige Golems im schrecklichen Schlaf liegen. Wir passieren sie auf der letzten Etappe unserer dreiwöchigen Reise vom Mars zum Erdmond.

Augustus blickt auf seinen Schreibtisch, während ein Datenstrom über das Holz fließt.

Es scheint schon so lange her, dass er mich zu einer Rundreise zum Mars mitnahm, um mir unsere Besitztümer zu zeigen – von den Latifundien, wo Hohe Rote die Äcker bestellen, bis zu den weiten Polarregionen, wo die Obsidianen in mittelalterlicher Isolation leben. Damals hat er mich bevorzugt, mich nahe an sich herangelassen, mich Dinge gelehrt, die sein Vater ihn gelehrt hat. Ich war sein Favorit, kam gleich nach Leto. Jetzt ist er ein Fremder, und ich bin eine Peinlichkeit.

Zwei Monate sind seit dem Tag vergangen, als Karnus mich an der Akademie besiegte. Obwohl mein Haar nachgewachsen ist und meine Knochenbrüche verheilt sind, ist mein Ruf nach wie vor beschädigt. Und deshalb ist meine Anstellung in den Diensten des Erzgouverneurs Augustus bestenfalls unsicher. Meine Feinde werden von Tag zu Tag mehr. Doch diese neu Dazukommenden setzen lieber Geflüster als Razor ein.

Ich gelange immer mehr zu der Auffassung, dass die Söhne des Ares den falschen Mann erwählt haben. Ich bin einfach nicht für den kalten Krieg der Politik gemacht. Genauso wenig für Raffinesse. Verdammt, ich würde jeden Tag einen Jungen in den Eingeweiden eines Pferdes verstecken, aber wüsste nicht, wie man jemanden angemessen besticht, sollte irgendwann einmal mein Leben davon abhängen.

Eine sanfte, warme Stimme, die für Halbwahrheiten geschaffen ist, treibt durch das Büro des Erzgouverneurs. »Drei Raffinerien. Zwei Nachtclubs. Und zwei Polizeiaußenposten der Grauen. Alle zerbombt, seit wir den Mars verlassen haben. Sieben Anschläge, Herr. Neunundfünfzig Goldene Todesopfer.«

Plinius. Schlank wie ein Salamander und mit einer Haut so glatt wie die eines Pinken. Der Politico ist kein Einzigartig Vernarbter; er war niemals am Institut. Seine funkelnden Augen blicken unter Wimpern hervor, die jedes Pfauengefieder in den Schatten stellen. Gedeckter Lippenstift auf den dünnen Lippen. Das Haar ist gelockt und parfümiert. Sein Körper unter der zu engen bestickten Seidentunika ist schlank, aber auf äußerst zarte Weise muskulös. Ein Kind könnte dieses hübsche Kerlchen grün und blau schlagen. Dennoch hat er ganze Familien mit einem Gerücht hier und einem Witz dort ausgelöscht. Seine Macht ist von anderer Art. Ich bin kinetische, er ist potenzielle Energie.

Ich habe gehört, dass er auch für die Zerstörung meines Rufs verantwortlich ist. Tactus deutete sogar an, Karnus könnte von Plinius zum Überfall im Garten verleitet worden sein. Zumindest soll er die Holokamera besorgt haben, die meinen stolzen Augenblick aufzeichnete.

Neben Plinius steht der vierte Mann im Zimmer, Leto. Er ist ein kluger Lanzenreiter, zehn Jahre älter als ich und mit einem Halbmondgrinsen. Außerdem ist er ein Poet mit dem Razor, ein jüngerer Lorn au Arcos, wie manche behaupten. Es ist wahrscheinlich, dass er Augustus’ Besitztümer erben wird und nicht die Leibeserben des Erzgouverneurs – Mustang und der Schakal. Irgendwie gefällt mir der Mann.

»Die Söhne des Ares werden zu kühn«, murmelt Augustus.

»Ja, Herr.« Plinius blinzelt. »Sofern es tatsächlich sie sind, die diese Anschläge verüben.«

»Welche andere Ameise könnte uns beißen?«

»Keine, von der wir wüssten. Aber es gibt Spinnen, Zecken und Ratten auf den Welten. Die Bombenanschläge sind zu plump für Ares, zu willkürlich und uncharakteristisch gewalttätig. Sie passen nicht zu seinem Profil, zu technischer Sabotage und Propaganda. Ares ist nicht launenhaft, also glaube ich nicht recht daran, dass er dahintersteckt.«

Augustus runzelt die Stirn. »Und wie lautet deine Vermutung?«

»Vielleicht gibt es noch eine andere Terroristengruppe, Herr. Bei achtzehn Milliarden Seelen nach der letzten Volkszählung kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Mann das terroristische Monopol besitzt. Vielleicht ist es sogar ein kriminelles Syndikat. Ich habe eine Datenbank zusammengestellt, die ich zur Verfügung …«