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Diplomarbeit aus dem Jahr 2002 im Fachbereich VWL - Umweltökonomie, Note: 1,0, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (Alfred-Weber-Institut für Wirtschaftswissenschaften), Sprache: Deutsch, Abstract: Die Diplomarbeit verbindet Migrationsökonomik mit Umweltökonomik und zeigt die engen Verflechtungen beider Themengebiete anhand dreier mathematischer Modelle auf. Umweltschäden können Migrationsbewegungen auslösen, die ihrerseits wiederum die Umwelt schädigen können. Das erste Modell geht auf finanzwissenschaftliche Fragestellungen zurück und beschäftigt sich mit der Frage, ob bei mobilen Haushalten eine als Bereitstellung des öffentlichen Gutes Umweltqualität verstandene staatliche Umweltpolitik dezentral in den einzelnen Regionen einer Ökonomie oder von einer Zentralregierung bereitgestellt werden sollte. Das zweite Modell setzt die Migrationspolitik unter Umwelteinflüssen in den Mittelpunkt. Das dritte Modell stellt Umwelt- und Migrationsproblematik gleichberechtigt gegenüber und geht auf relevante Wechselwirkungen zwischen beidem ein. Das letzte Kapitel enthält eine Zusammenfassung der Modellergebnisse.
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Veröffentlichungsjahr: 2002
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Regionale Umweltprobleme und Migration
aus der Sicht der ¨ okonomischen Theorie
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1 Einleitung
Menschliche Wanderungsbewegungen (Migration), Umwelt und ¨ Okonomik sinda
prioridrei verschiedene Themengebiete, die getrennt und unabh¨ angig voneinander betrachtet werden k¨ onnen. H¨ aufig interessieren Verbindungen jeweils zweier dieser Themengebiete; so sind etwa die Migrations¨ okonomik und die Umwelt¨ okonomik anerkannte Forschungsgebiete. Auch die Verbindung von Migration und Umwelt scheint in der ¨ offentlichen Wahrnehmung eine immer gr¨ oßere Rolle zu spielen, worauf einschl¨ agige Konferenzen und Symposien hindeuten (vgl. IOM 1992 undMyers1996).
Sucht man nach Auswirkungen von Migration und Umweltproblemen auf-einander, liegt es in der Natur der Sache, sich aufregionaleUmweltprobleme zu beschr¨ anken, daglobaleUmweltprobleme kaum als Ursache f¨ ur Migrationsstr¨ ome infrage kommen, die ja selbst ein regionales Ph¨ anomen sind. Auff¨ allig ist jedoch, dass die Schnittmenge der drei Themen, also eine Disziplin, die Migration und regionale Umweltprobleme speziell aus ¨ okonomischer Sicht betrachtet, ein noch wenig bearbeitetes Gebiet ist. Abbildung 1 verdeutlicht nochmals die Zusammenh¨ ange der drei Themengebiete. Die Zahlen in den Klammern beziehen sich dort auf die Abschnitte dieser Arbeit, in denen die jeweiligen Themen behandelt werden. Kernaufgabe ist die Behandlung der zentralen Schnittmenge aus Abbildung 1. Sie besteht im Wesentlichen aus verschiedenen Ansatzpunkten, die zeigen sollen, wie man versuchen kann, Verbindungen von Wanderungs- und Umweltproblemen mit ¨ okonomischem Instrumentarium zu untersuchen.
Die Aufgabe, die sich stellt, ist damit, in der F¨ ulle von Migrationsursachen und -auswirkungen diejenigen zu suchen, die die Umwelt ber¨ uhren und umgekehrt diejenigen Umweltprobleme zu suchen, die im Zusammenhang mit Migration stehen, wobei das Blickfeld rein auf die volkswirtschaftliche Bedeutung all dessen begrenzt wird. Ausgeblendet werden also die soziologischen, die politik-oder auch die kulturwissenschaftlichen Komponenten von Migrations- und Umweltthemen, die bereits f¨ ur sich genommen jeweils reichhaltige Forschungsgebiete sind, denn gerade Umwelt und Migration sind Paradebeispiele, die stark interdis-
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ziplin¨ ar ausgerichtete Forschung erfordern. Die ausgeblendeten Gebiete werden in Abbildung 1 als nicht-¨ okonomische Verbindungen zwischen Umwelt und Migration bezeichnet.
Abb. 1:¨ Ubersicht ¨ uber die Themengebiete dieser Arbeit
Menschen, die aus physischem Zwang oder aus wirtschaftlicher Not ihre Heimat verlassen m¨ ussen oder wollen, hat es immer gegeben. Von den antiken Wanderungsbewegungen aus den asiatischen Bergketten in die fruchtbaren Ebenen Mesopotamiens ¨ uber die V¨ olkerwanderungen im Mittelalter bis zu den mit der Industrialisierung beginnenden interkontinentalen Wanderungen der Neuzeit reicht das Ph¨ anomen der Migration in der menschlichen Geschichte. In unserer Zeit jedoch weist die Problematik der Migration eine Vielzahl neuer Aspekte auf. Durch die schnell wachsende und ungleich verteilte Weltbev¨ olkerung ger¨ at die Erde mit ihren nat¨ urlichen Ressourcen unter immer gr¨ oßeren Druck. Dadurch nimmt auch
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der Migrationsdruck zu, noch beschleunigt durch moderne Fortbewegungsmittel und sinkende Transportkosten (Eid 1999). Ebenso nimmt aber vor allem auch das Wohlstandsgef¨ alle zwischen verschiedenen Regionen der Welt zu, das Migration in Richtung auf ¨ okonomisch wohlhabendere, politisch sicherere und ¨ okologisch attraktivere Regionen lenkt.
Eine wichtige Migrationsursache ist Flucht. Verglichen mit 23 Millionen ” traditionellen“ Fl¨ uchtlingen, die vor politischer Unterdr¨ uckung und religi¨ oser oder ethnischer Verfolgung fliehen, spielen gerade die 25 Millionen1Umweltfl¨ ucht-”
linge“ eine immer wichtigere Rolle (Myers 1996). Meist werden als Umweltfl¨ uchtlinge Menschen bezeichnet, die ihre Heimat vor¨ ubergehend oder dauerhaft verlassen, weil durch nat¨ urliche oder menschlich bedingte (anthropogene) Einfl¨ usse Umweltsch¨ aden entstanden sind. Als nat¨ urliche Umweltsch¨ aden gelten etwa Erdbeben, Wirbelst¨ urme, Vulkanausbr¨ uche und Flutkatastrophen. Solche Katastrophen hat es zwar immer gegeben, Anzahl und Ausmaß aber nehmen zu, auch weil immer mehr gef¨ ahrdete Gebiete bewohnt werden. Zu den menschlich bedingten Umweltsch¨ aden z¨ ahlen Bodenerosion, W¨ ustenausbreitung, Flussverschmutzungen, Industrieunf¨ alle, Verkehrs- und Abfallprobleme und nicht zuletzt auch Migration selbst.
Zwar hat es auch Eingriffe des Menschen in die Umwelt schon immer gegeben, jedoch reichten diese in vorindustrieller Zeit nicht aus, die Biosph¨ are grundlegend zu ¨ andern. Trotz regionaler ¨ Ubernutzung von Ressourcen blieb die Beziehung
zwischen Mensch und Umwelt mehr oder weniger intakt. Erst seit der industriellen Revolution ist der Mensch in der Lage, die nat¨ urliche Umwelt nachhaltig zu ver¨ andern. In vielen L¨ andern ist bei starkem Bev¨ olkerungswachstum und gegebenen Anbaumethoden eine nachhaltige Bewirtschaftung nat¨ urlicher Ressourcen oft nicht mehr m¨ oglich. B¨ oden leiden unter ¨ okologischer Degradation durch einseitige landwirtschaftliche Produktionstechnologien. Die Abnahme des Waldbe-standes und Zunahme des bebauten Ackerlandes ver¨ andert die Vegetationsdecke der Erde grundlegend. In der Verf¨ ugbarkeit von Wasser liegt ein steigendes Krisenpotenzial. Durch den steigenden Wasserverbrauch werden in den n¨ achsten
1Die Zahl ist umstritten. Der Leiter des UN-UmweltprogrammsT¨ opfergeht beispielsweise
von 22 bis 24 Millionen Umweltfl¨ uchtlingen aus (vgl.T¨ opfer2000).Myers(1996) erwartet
insgesamt 50 Millionen im Jahre 2010 - vor allem in Afrika, China, Zentralamerika und S¨ ud-
asien. Abweichungen bei den Zahlen kommen u. a. durch verschiedene Definitionen des Begriffs
Umweltfl¨ uchtling“ zustande. ”
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Jahren rund 10 % der gesamten S¨ ußwasserreserven der Erde verbraucht werden (B¨achler1994). In der Luft schließlich droht die exponentielle Zunahme von Treibhausgasen, das Klima nachhaltig zu ver¨ andern. Umweltflucht wird heute als Flucht vor den Auswirkungen solcher Ver¨ anderungen der Umwelt und des hohen Bev¨ olkerungswachstums verstanden und ist damit ein Migrationsph¨ anomen der Neuzeit.
In den Mittelpunkt des Interesses r¨ uckten in den letzten Jahren vor allem die besonders in Entwicklungsl¨ andern starken Wechselwirkungen zwischen Migrations- und Umweltproblemen. Massenmigration wird nicht nur als Folge, sondern auch als Ursache von Umweltsch¨ aden erkannt. An erster Stelle sind hier Probleme der Wasserverschmutzung und der Bodenerosion zu nennen. Nomadismus, Waldrodungen, Slumbildung und Abfallprobleme in St¨ adten sind weitere Beispiele. So kann man sich etwa vorstellen, dass eine ¨ okologische Verarmung der l¨ andlichen Umwelt zu Landflucht f¨ uhrt, woraufhin die Verst¨ adterung dann wiederum etwa durch Bildung von Slums die Umweltbelastung erh¨ oht. ” Megacities“ wirken ¨ außerst sch¨ adigend auf die Umwelt; dortige Transport- und Sanit¨ arprobleme werden dem hohen Bev¨ olkerungswachstum nicht gerecht, und die Industrie verschmutzt Luft und Wasser. Massenmigration und Umweltprobleme k¨ onnen sich gegenseitig in einem Teufelskreis verst¨ arken. Mit dem Geflecht aus wechselseitigen Abh¨ angigkeiten wird die Komplexit¨ at der Umwelt- und Migrationsproblematik deutlich.
Diese Arbeit ist theoretisch ausgerichtet. Im Kern besteht sie aus drei mathematischen Modellen, mit deren Hilfe in der ¨ okonomischen Theorie Migrations-und Umweltprobleme untersucht werden. Was im Rahmen einer solchen theoretischen Arbeit nicht geleistet werden kann, sind eingehende empirische oder ¨ okonometrische Untersuchungen der Wechselwirkungen zwischen Migrations- und Umweltproblemen. Stattdessen seien an dieser Stelle nur einige Bemerkungen zur Empirie gemacht.
Black(2001) h¨ alt es f¨ ur außerordentlich schwierig, das tats¨ achliche Aus- maß umweltbedingter Migration empirisch zu bestimmen, schon deshalb, weil
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das Migrationsmotiv Umweltprobleme oft schwer von anderen Motiven isoliert werden kann. Trotzdem gibt es aber einzelne Arbeiten, die das versuchen, wenn auch eher f¨ ur ausgew¨ ahlte Migrationsmotive und Regionen. Beispielsweise zeigenAmacheret al. (1998) anhand von Daten philippinischer Migranten, dass es insbesondere unber¨ uhrte Waldregionen sind, die innerstaatliche Migranten anziehen, was durch Abholzung signifikante Auswirkungen auf die Umwelt hat. Dieser Migrationsgrund mit direktem Bezug zur Umwelt spielt dort neben der Suche nach Arbeit und h¨ oherem Einkommen die entscheidende Rolle.
Breitere empirische Daten sind dennoch kaum zu finden, und die empirische Relevanz des vorliegenden Themas bleibt vorerst mit subjektiven Elementen behaftet. So nimmt etwaSuhrke(1974) auf dem Forschungsgebiet umweltbedingter Migration zwei gegens¨ atzliche Perspektiven wahr, die auch inzwischen nicht v¨ ollig deckungsgleich geworden sein d¨ urften: ” Minimalisten“ einerseits sehen Umweltprobleme als ein Migrationsmotiv, das nur zusammen mit anderen auftritt und von Bedeutung ist, w¨ ahrend ” Maximalisten“ andererseits Umweltproble-
me als direkte und signifikante Ursache von Migrationsstr¨ omen sehen.Myers(1996) hebt Umweltprobleme als Migrationsgrund besonders hervor und d¨ urfte eher den Maximalisten n¨ aher stehen, w¨ ahrendBlack(2001) die Position des Minimalisten einnimmt, wenn er behauptet, dass Umweltzerst¨ orung zwar ein wichtiger Faktor bei der Migrationsentscheidung sein k¨ onne, sie aber konzeptionell als prim¨ are Ursache von Migration zu sehen sei ” unhelpful and unsound
intellectually, and unnecessary in practical terms“.
Empirische Herangehensweisen an migrationsbedingte Umweltprobleme, an die umgekehrte Wirkungsrichtung also, sind noch sp¨ arlicher gestreut als diejenigen zur umweltbedingten Migration. Erst recht d¨ urftig ist folglich die Datenlage bez¨ uglich der hier interessierenden speziell ¨ okonomischen Auswirkungen solcher Wanderungsbewegungen. Ungeachtet dessen kann aber eine theoretische Betrachtung, wie sie diese Arbeit vornimmt, auch in diesem fr¨ uhen Stadium der Forschung bereits grundlegende Zusammenh¨ ange aufzeigen.