Regulierung in der Krise - Markus Staub - E-Book

Regulierung in der Krise E-Book

Markus Staub

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Beschreibung

Im Zusammenhang mit der jüngsten Finanzkrise haben verschiedene Bereiche der schweizerischen Bankenregulierung tief greifende Änderungen und Verschärfungen erfahren. Der Autor gibt in kompakter Form einen Überblick über relevante Neuerungen und getroffene Massnahmen, und zwar mit explizitem Bezug auf die institutionelle Ausgangslage auf dem Finanzplatz Schweiz. Schwerpunkte sind Eigenkapital- und Liquiditätsregulierung, das 'Too big to fail'-Paket sowie die Regulierung zur Verbesserung der Systemstabilität. Die Darstellung erfolgt aus einer ökonomisch fundierten Perspektive, wobei bewusst ein hoher Bezug zur regulatorischen und regulierungspolitischen Praxis angestrebt wird. Der Autor nimmt eine Lagebeurteilung aktueller Probleme und Herausforderungen vor und diskutiert Leitlinien für die zukünftige Ausgestaltung der Bankenregulierung. Sowohl geeignet für Studierende der Wirtschaftswissenschaften als auch für eine interessierte Öffentlichkeit.

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Markus Staub

Regulierung in der Krise

Schweizerische Bankenregulierung und Finanzkrise – ökonomische Lagebeurteilung und kritische Synopsis

Verlag Neue Zürcher Zeitung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2014 Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich

Der Text des E-Books folgt der gedruckten 1. Auflage 2014 (ISBN 978-3-03823-896-6)

Titelgestaltung: TGG Hafen Senn Stieger, St. Gallen

Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

ISBN 978-3-03823-997-0

www.nzz-libro.ch

Meinen Eltern, meiner Frau und meinem Sohn

Vorwort

Im Zusammenhang mit der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise ist unverkennbar, dass die Regulierung von Banken seit einigen Jahren von einer ausserordentlichen Dynamik geprägt ist. Sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene sind zahlreiche regulatorische Anforderungen an Banken wesentlich verschärft worden. Substanzielle Änderungen sind bereits in Kraft getreten, andere befinden sich in der Pipeline. Banken und Bankenregulierung haben in der medialen Berichterstattung und öffentlichen Perzeption klar an Bedeutung gewonnen. Nicht wenige Entwicklungen sind aus akademischer wie regulierungspolitischer Sicht kontrovers.

Das ist die Kulisse, vor der in der vorliegenden Schrift eine kritische Lagebeurteilung vorgenommen werden soll. Dabei liegt eine zweifache Motivation zugrunde: Erstens geht es mir darum, für die interessierte Öffentlichkeit in kompakter und verständlicher Form eine Synopsis der Bankenregulierung in der Schweiz aufzuzeigen. Durch den Text soll den Lesern ein Überblick über getroffene Massnahmen nach der Finanzkrise vermittelt und eine kritische Sicht der aktuellen Herausforderungen ermöglicht werden. Dabei mögen die Ausführungen insbesondere hilfreich sein, wenn einzelne regulatorische Massnahmen oder regulierungspolitische Diskussionen vor dem Hintergrund eines breiteren Kontextes situiert und beurteilt werden sollen.

Meine Erfahrungen aus internationalen und nationalen Gremien der Bankenregulierung, insbesondere aus meiner Tätigkeit in den beiden Nationalen Arbeitsgruppen «Umsetzung Basel III» und «Liquidität», sind in die Akzentsetzung und Darstellung eingeflossen.

Zweitens spielt ein praktischer Auslöser eine wesentliche Rolle: Im Rahmen meiner mehrjährigen Tätigkeit als Lehrbeauftragter für «Banken- und Finanzmarktregulierung» an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel habe ich meinen Studierenden jeweils kein Lehrbuch guten Gewissens empfehlen können, das den Stoff meiner Vorlesung auf geeignete Weise hätte abdecken können. Das liegt daran, dass es bisher meines Wissens keine entsprechende Darstellung gibt, die auf einer soliden ökonomischen Basis eine Gesamtschau vornimmt und dabei einen expliziten Bezug zu den institutionellen Gegebenheiten und aktuellen Entwicklungen in der Schweiz aufweist. Dieser Beitrag soll durch den vorliegenden Text geleistet werden.

Dabei sollen einerseits die relevanten ökonomischen Konzepte vermittelt werden, die zur Beurteilung regulatorischer Fragen wesentlich sind. Andererseits wird bewusst ein Bezug zur spezifischen Ausgangslage und aktuellen Situation in der Schweiz hergestellt. Ich wünsche mir, dass die vorliegende Lagebeurteilung sowohl einer allgemeinen Leserschaft als auch meinen Studierenden in den nächsten Jahren nützliche Dienste leisten wird. Selbstverständlich wird sie nicht eine Vorlesung im Master-Programm ersetzen können; meine Hoffnung ist jedoch, dass der Text die im Unterricht vermittelten Inhalte in didaktisch geschickter Weise flankiert.

Das vorliegende Buch entstand im Sommer und Herbst 2013. Dieser Zeitpunkt scheint vor dem Hintergrund bisheriger, laufender und absehbarer Entwicklungen der Bankenregulierung für die beabsichtigte Standortbestimmung günstig zu sein. Ich danke meiner Familie von Herzen, dass sie in dieser Zeit häufig auf mich verzichtete, mich in allen Belangen unterstützte und mir die Verfassung der vorliegenden Schrift ermöglichte. Ohne den grossen Rückhalt und das Verständnis meiner Frau Stéphanie Staub-LeibundGut und meines Sohnes Benjamin Staub wäre ein solches Unterfangen nicht möglich gewesen.

Ein spezieller Dank geht an Herrn Prof.Dr.Heinz Zimmermann (Universität Basel), der mich zu diesem Projekt ermutigt und in verschiedenen Fragen freundschaftlich beraten hat. Sein fundiertes und konstruktives Feedback und seine Unterstützung waren sehr hilfreich.

Angela Knuchel (Leiterin Immobilien- und Konsumfragen) und Stephanie Lorenz (Wissenschaftliche Mitarbeiterin), die beide bis Ende 2013 bei der Schweizerischen Bankiervereinigung beschäftigt waren, danke ich für die kompetente Durchsicht des Manuskripts und ihre wertvollen Verbesserungsvorschläge.

Auch meinen Ansprechpartnern von NZZ Libro möchte ich herzlich danken, insbesondere Herrn Hans-Peter Thür als Verlagsleiter und Frau Ursula Merz als Programmleiterin. Ich weiss die speditive Abwicklung und die gute Zusammenarbeit sehr zu schätzen.

Der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel danke ich aufrichtig für die grosszügige finanzielle Unterstützung zur Realisierung dieses Buches.

Die im Text vertretenen Einschätzungen stimmen nicht notwendigerweise in allen Punkten mit der offiziellen Position der Schweizerischen Bankiervereinigung überein. Selbstverständlich sind jedoch nebst vielen Erfahrungen aus der Praxis auch zahlreiche Anregungen aus Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen bei der Schweizerischen Bankiervereinigung wie auch an der Universität Basel eingeflossen; ihnen allen gebührt mein herzlicher Dank.

Markus Staub

Einleitung

Zwischen der Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre und den beobachteten Entwicklungen der Bankenregulierung besteht ein enger Zusammenhang. Zahlreiche Anpassungen, beispielsweise der Eigenkapital- oder Liquiditätsregulierung, sind als direkte Reaktionen auf die Finanzkrise zu interpretieren, indem sie dem Risiko zukünftiger Krisen entgegenwirken sollen. Das ist die eine Bedeutung des Titels. Es soll der Frage nachgegangen werden, wie sich das Bild der verschiedenen regulatorischen Reaktionen auf die Finanzkrise mittlerweile präsentiert bzw. wie und aus welchen Überlegungen während und nach der Krise reguliert wurde.

«Regulierung in der Krise» ist jedoch durchaus auch doppeldeutig gemeint, indem sich nach der hier vertretenen Auffassung auch die Bankenregulierung selbst in einer Art Krise befindet. Manche der in Kraft gesetzten oder beschlossenen Verschärfungen sind insbesondere zur Verbesserung der sogenannten Systemstabilität in einem gesamtwirtschaftlichen Sinne wünschenswert. Bei anderen ist die Nutzen/Kosten-Bilanz hingegen fraglich bzw. muss die ökonomische Beurteilung differenzierter ausfallen. Und teilweise fehlen die guten Ideen bzw. überzeugenden Ansätze zur Optimierung der Bankenregulierung weiterhin.

Selbstverständlich erheben diese Ausführungen nicht den Anspruch auf eine vollständige Darstellung der Bankenregulierung in der Schweiz oder der entsprechenden aktuellen Entwicklungen. Die Breite und Komplexität der verschiedenen Regulierungsfelder würden eine derartige, um Vollständigkeit bemühte Synopsis gar nicht zulassen, zumindest nicht in der angestrebten übersichtlichen Form. Vielmehr liegt eine bewusste Schwergewichtsbildung zugrunde, die bestimmte Subthemen in den Vordergrund stellt. Die entsprechende Prioritätensetzung und Auswahl einzelner Bereiche und Regulierungsinstrumente erfolgt zum einen mit Blick auf deren praktische Bedeutung, zum anderen haben diese exemplarischen Charakter und dienen der Illustration von Aspekten mit genereller Relevanz.

Die Darstellung und Beurteilung regulatorischer Entwicklungen erfolgt aus einer ökonomischen, teilweise auch politisch-ökonomischen Perspektive. Selbstverständlich wären auch andere Sichtweisen durchaus legitim, insbesondere eine mehr juristisch betonte, die naturgemäss die Einzelheiten von Banken- und Finanzmarktrecht stärker hervorheben würde. Gerade bei der Banken- und Finanzmarktregulierung handelt es sich um einen Untersuchungsgegenstand in der Schnittmenge unterschiedlicher Disziplinen, der entsprechendes Potenzial für eine interdisziplinäre Analyse bietet (Law and Economics). Die ausgeprägte Gewichtung der ökonomischen Aspekte resultiert nicht nur aus dem fachlichen Hintergrund des Autors, sondern auch aus der erwähnten Zielsetzung, diese Schrift als Grundlage einer wirtschaftswissenschaftlichen Vorlesung zu verwenden.

Aus methodischer Sicht weist die ökonomische Betrachtung von Fragen der Bankenregulierung verschiedene Stärken auf. Die Wirtschaftswissenschaften verfügen beispielsweise über geeignete Methoden, um regulatorische Interventionen aus einer Perspektive der (sozialen) Optimalität bzw. Effizienz zu beurteilen und zu vergleichen (Allokationstheorie, Pareto-Effizienz). In verwandtem Zusammenhang enthält das ökonomische Instrumentarium auch Ansätze, um die Nutzen- und Kostenwirkungen regulatorischer Eingriffe zu systematisieren und abzuwägen, was das Denken in regulatorischen Varianten zu unterstützen vermag (Kosten/Nutzen-Analysen, Wirkungsanalysen, Regulierungsfolgenabschätzungen). Dabei kann unter anderem auch die Abschätzung der mit regulatorischen Auflagen verbundenen Wettbewerbswirkungen bzw. Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit eine wesentliche Rolle spielen. Ebenfalls stehen Möglichkeiten zur Untersuchung der Verteilungswirkungen regulatorischer Massnahmen zur Verfügung, was speziell bei asymmetrischen Effekten auf verschiedene Kategorien von Beteiligten von Bedeutung ist. Weitere Beispiele für die Vorzüge einer ökonomischen Betrachtung sind die Möglichkeit zur Modellierung von Konstellationen mit asymmetrischer Information (Informationsökonomie) oder zur Analyse von Situationen mit strategischer Interaktion (Spieltheorie).

Die Darstellung der verschiedenen Regulierungsinhalte erfolgt absichtlich mit einem ausgeprägten Bezug zur aktuellen Situation in der Schweiz. Verschiedene Aspekte der institutionellen Ausgestaltung der schweizerischen Banken- und Finanzmarktregulierung sind im internationalen Vergleich speziell. Im Sinne von stilisierten Fakten zählen zu diesen Besonderheiten insbesondere die grundsätzliche Trennung zwischen der Verantwortung für die Geldpolitik (Schweizerische Nationalbank, SNB) und der Verantwortung für die Aufsicht (Eidgenössische Finanzmarktaufsicht, FINMA), die Trennung zwischen Systemaufsicht (SNB) und Institutsaufsicht (FINMA), die Integration der Aufsicht über verschiedene Kategorien von beaufsichtigten Finanzmarktteilnehmern bei der FINMA, das dualistische Aufsichtssystem (mit privaten Prüfgesellschaften als «verlängertem Arm» der FINMA) sowie der überdurchschnittlich hohe Selbstregulierungsgrad (z. B. Richtlinien der Schweizerischen Bankiervereinigung, SBVg). Diese Besonderheiten der schweizerischen Banken- und Finanzmarktregulierung bilden den Hintergrund, vor dem die einzelnen Fragestellungen zu analysieren und zu beurteilen sein werden.

An dieser Stelle ist eine Bemerkung zur Terminologie angebracht. Sie betrifft die beiden Begriffe der «Regulierung» (Regulation) und der «Aufsicht» (Supervision). Im Bewusstsein, dass diese Begriffe in Literatur und Praxis nicht einheitlich verwendet bzw. voneinander abgegrenzt werden, wird hier «Regulierung» in der Regel für die Definition bzw. Festlegung der Regulierungsinhalte bzw. der regulatorischen Anforderungen (Normensetzung) verwendet, während «Aufsicht» die Kontrolle der Einhaltung dieser Anforderungen im Sinne der Überwachung (Beaufsichtigung, inkl. Durchsetzung bzw. Enforcement und Sanktionierung) bezeichnen soll. Häufig allerdings, und teilweise auch in diesem Text, wird «Regulierung» auch in einem allgemeinen Sinne gebraucht und schliesst Aufsicht und Überwachung mit ein.

Das Buch ist folgendermassen strukturiert:

Kapitel 1 legt die Grundlage für die anschliessenden Ausführungen, indem es die Begriffe «Systemrisiko» und «Systemstabilität» einführt und diskutiert. Die Perspektive der Systemstabilität wird den Referenzpunkt für die anschliessenden Überlegungen bilden.

Kapitel 2 behandelt den Themenkomplex der Eigenkapitalregulierung, wobei aus naheliegenden Gründen Basel III, die Gesamtheit der neuen Eigenkapitalstandards des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht, im Vordergrund steht.

Kapitel 3 beleuchtet demgegenüber Fragen der Liquiditätsregulierung. Weil sich diese auf internationaler wie schweizerischer Ebene noch stark im Fluss befindet und die definitive Ausgestaltung noch nicht vollständig absehbar ist, erfolgt die Darstellung bewusst etwas knapper als beim Eigenkapital.

Kapitel 4 behandelt das Problem von «Too big to fail» und diskutiert spezifische Anforderungen an systemrelevante Banken.

In Kapitel 5 werden Zielsetzungen, Instrumente und Möglichkeiten der institutionellen Ausgestaltung der neuen sogenannt «makroprudentiellen» Regulierung dargestellt. Als prominentes Beispiel wird der vor Kurzem eingeführte antizyklische Eigenkapitalpuffer besprochen.

Kapitel 6 stellt weitere bedeutsame Regulierungsprojekte der letzten Zeit im Überblick dar. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit geht es dabei insbesondere darum, den Lesern einen Eindruck der inhaltlichen Breite verschiedener Regulierungsthemen zu vermitteln.

Kapitel 7 nimmt eine kritische Lagebeurteilung vor. Dabei werden bestehende und absehbare Probleme und Herausforderungen der Bankenregulierung aus einer ökonomischen Perspektive diskutiert.

Schliesslich findet sich in Kapitel 8 eine Zusammenfassung mit regulierungspolitischen Schlussfolgerungen. Diese enthält wünschbare Leitlinien für die Weiterentwicklung und zukünftige Ausgestaltung der Bankenregulierung in der Schweiz.

Im Interesse der Übersichtlichkeit findet sich am Schluss jedes Kapitels ein kurzes Résumé mit den zentralen Punkten des jeweiligen Kapitels.

Der Anhang enthält ein Glossar mit Definitionen wichtiger Begriffe, das während der Lektüre situativ beigezogen werden kann.

1  Systemrisiko und Systemstabilität

Wenn es aus der Finanzkrise der letzten Jahre eine zentrale Lehre zu ziehen gibt, so dürfte dies die Erkenntnis sein, dass eine auf die Sicherheit der einzelnen Bank ausgerichtete Regulierung nicht automatisch bzw. in hinreichender Weise die Stabilität des Banken- und Finanzsystems als eines Ganzen sicherstellt. Mit anderen Worten: Ein System von stabilen Banken und ein stabiles Bankensystem sind nicht notwendigerweise dasselbe. Während bis vor der Krise die grosse Mehrheit regulatorischer Massnahmen, beispielsweise in den Bereichen von Eigenkapital und Liquidität, einen Beitrag an die Sicherheit der einzelnen Bank leisten sollte, wird neuerdings versucht, zusätzlich auch die Systemstabilität direkt zu verbessern. Beim ersten Typus handelt es sich um mikroprudentielle Regulierung, wohingegen Bemühungen der zweiten Art zur (direkten) Verbesserung der Systemstabilität unter dem Schlagwort der makroprudentiellen Regulierung zusammengefasst werden. Auf diese wird in Kapitel 5 ausführlich zurückgekommen.

1.1  Begriffe und Mechanismen

Den Begriff der Systemstabilität auf konzeptionell saubere Weise zu definieren, ist nicht einfach. So behilft sich zum Beispiel die Schweizerische Nationalbank in ihrem Bericht zur Finanzstabilität mit folgender Umschreibung: «Ein stabiles Finanzsystem zeichnet sich dadurch aus, dass es seinen Zweck erfüllt und sich gegenüber Schocks als widerstandsfähig erweist» (SNB, 2010, S.5). Dass damit sowohl offenbleibt, welcher Zweck in welchem Ausmass erfüllt werden muss, als auch, gegenüber welchen Schocks das Finanzsystem in welcher Weise widerstandsfähig sein soll, liegt auf der Hand.

Spiegelbild von Systemstabilität ist Systemrisiko, das hier den Ausgangspunkt der Überlegungen bilden soll. Unter «Systemrisiko» oder «systemischem Risiko» wird typischerweise die Gefahr verstanden, dass sich aufgrund gegenseitiger und/oder gemeinsamer Abhängigkeiten verschiedener Institutionen in einem Banken- und Finanzsystem die Probleme von Banken (oder anderen Akteuren des Finanzmarktes) ausbreiten und die Funktionsfähigkeit des Systems insgesamt infrage stellen.

Dabei sind aus theoretischer Sicht grundsätzlich drei Arten von Mechanismen denkbar (vgl. die Systematisierung in STAUB, 1999). Erstens können alle oder mehrere Banken eines Bankensystems «gleichzeitig» von Schocks getroffen werden, denen sie alle unterliegen. Systemrisiko besteht in diesem Fall im Sinne der Gefahr einer korrelierten Reaktion auf korrelierte (systematische) Schocks (makroökonomische Interpretation von Systemrisiko).

Zweitens besteht ein anderer möglicher Mechanismus darin, dass sich (idiosynkratische) Schocks einzelner Banken entweder über (vertragliche) Verflechtungen zwischen Banken (Interbankenmarkt) und/oder über die Erwartungen der Einleger oder des Publikums auf andere Banken übertragen (mikroökonomische Interpretation) und potenziell das ganze System anstecken (Contagion). Auch eine Ansteckung über Vermögenspreise ist möglich: Wenn Banken in schwierigen Zeiten gezwungen sind, Aktiven zu verkaufen bzw. zu liquidieren (Fire Sales), so entsteht ein Druck auf deren Preise, was wiederum bei anderen Banken zu Verlusten führen kann, welche die entsprechenden Aktiven ebenfalls halten. Eine Untervariante stellen schliesslich drittens die besonderen Risiken dar, die von sogenannt systemrelevanten Instituten ausgehen können («Too big to fail»-Problem), worauf in Kapitel 4 vertieft einzugehen sein wird.

Die drei beschriebenen Mechanismen schliessen sich gegenseitig nicht aus, sondern sind in Theorie und Praxis miteinander kompatibel bzw. können gleichzeitig wirksam sein. So ist die Finanzkrise der letzten Jahre wohl gerade im Sinne einer Kombination verschiedener Mechanismen zu interpretieren, wobei bezüglich der Gewichtung der einzelnen Effekte in der Krisendiagnose keine Einigkeit besteht.

Zur Präzisierung sei auf ein paar spezielle Aspekte im Zusammenhang der drei beschriebenen Mechanismen hingewiesen. Mechanismus 1 (korrelierte Reaktion auf Makroschocks) ist konsistent mit der empirischen Beobachtung, dass Banken- und Finanzkrisen häufig im Verbund mit allgemeinen Wirtschaftskrisen auftreten. Als Beispiele für entsprechende makroökonomische Schocks kann man sich Zins-, Wechselkurs- und allgemeine Konjunkturschocks vorstellen. Bezeichnend für diesen Wirkungsmechanismus ist insbesondere, dass er keine eigentlichen Systemzusammenhänge voraussetzt; so ist eine korrelierte Reaktion auf einen makroökonomischen Schock auch ohne Vorhandensein eines Interbankenmarkts denkbar.

Mechanismus 2 (Ausbreitung von mikroökonomischen Schocks) basiert auf der Vorstellung, dass bei einzelnen Banken Illiquiditäts- und/oder Insolvenzprobleme (vgl. die Literatur zu Bank Runs, Kapitel 3) bestehen, die sich über das Bankensystem verbreiten, sei es aufgrund direkter Kettenreaktionen bzw. Dominoeffekte über Beziehungen zwischen Instituten (Interbankenmarkt) oder aufgrund von Erwartungs- bzw. Informationseffekten von Banken oder der Öffentlichkeit. Solche sind insbesondere dann zu erwarten, wenn gemeinsame Abhängigkeiten verschiedener Institute von makroökonomischen Schocks vermutet werden. Insofern besteht hier ein Zusammenhang zwischen den Mechanismen 1 und 2.

Bei Mechanismus 3 («Too big to fail») ist zu beachten, dass der Systemrelevanz unterschiedliche Ausprägungen zugrunde liegen können. Einerseits läuft die Argumentation typischerweise über die Lender-of-Last-Resort-Rolle von Zentralbanken, die mit Anreizproblemen und Verhaltensrisiken (Moral Hazard) für systemrelevante Institute verbunden sein kann. Andererseits wurden in der Literatur auch Risiken beschrieben, die mit Organisations- und Kontrollproblemen in Zusammenhang stehen (vgl. z. B. STAUB, 1999).

1.2  Krisendiagnose und Regulierung

Auf die empirische Evidenz zu Systemrisiko und Finanzkrisen soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Es muss hier der Hinweis genügen, dass es sich bei Banken- und Finanzkrisen um Erscheinungen handelt, die häufig mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden sind. Dabei bleiben die Auswirkungen solcher Systemkrisen typischerweise nicht auf das Banken- und Finanzsystem beschränkt, sondern tangieren in hohem Masse auch die Realwirtschaft.

Die empirische Analyse historischer Banken- und Finanzkrisen ist für die Diagnose systemischer Risiken, und damit für das Design der Banken- und Finanzmarktregulierung, von grosser Relevanz. Mitunter geht es dabei um die grundlegende Frage, inwiefern es sich bei solchen Krisen um unvermeidbare Phänomene handelt. Stellt man sich nämlich auf den Standpunkt, dass Banken- und Finanzkrisen letztlich nicht zu verhindern sind, dann sollte konsequenterweise die Minimierung (oder mindestens Reduktion) der volkswirtschaftlichen Kosten von Systemkrisen im Vordergrund stehen. Bezüglich der Ausgestaltung der Regulierung spricht das für einen kurativen Ansatz, der im Sinne einer Schadensbegrenzung die negativen Auswirkungen von Krisen zu begrenzen und den Umgang mit und die Abwicklung von Krisen zu verbessern sucht. Ist die Einschätzung jedoch umgekehrt, dass Finanzkrisen (zumindest bis zu einem gewissen Grad bzw. bis zu einer bestimmten Restwahrscheinlichkeit) verhindert werden können, so ist das tendenziell ein Argument für einen präventiven Regulierungsansatz. Dabei steht die Reduktion bzw. Beschränkung der Wahrscheinlichkeit von Krisen im Zentrum. Kurative und präventive Regulierung unterscheiden sich nicht nur in der Zielsetzung, sondern in hohem Masse auch in der Wahl der jeweils geeigneten Regulierungsinstrumente.

Während die Regulierung von Banken in der Vergangenheit in erster Linie mit dem Schutz von Einlegern und Bankgläubigern (Safety and Soundness, Individualschutz) begründet wurde, befindet sich in neuerer Zeit in zunehmendem Masse der Schutz ganzer Bankensysteme (Systemschutz) im Fokus. Die Bekämpfung von Systemrisiken bzw. umgekehrt die Bemühungen zur Erhöhung der Systemstabilität gehören auch aus ökonomischer Perspektive zu den überzeugendsten Rechtfertigungen für regulatorische Interventionen, wobei die systemstabilisierende Wirkung im Einzelfall zu analysieren ist. Kapitel 5 zur makroprudentiellen Regulierung kommt auf diese Fragen zurück.

1.3  Résumé

1.  Während die Bankenregulierung bisher in erster Linie auf die Sicherheit der einzelnen Bank ausgerichtet war, hat die Finanzkrise zu einer stärkeren Gewichtung der (direkten) Sicherstellung der Systemstabilität geführt.

2.  Systemstabilität ist schwierig zu definieren. Einfacher ist die Beschreibung von Mechanismen, die Systemrisiko (systemische Risiken) begründen können. Systemrisiko ist in diesem Sinne der Gegenbegriff zu Systemstabilität.

3.  Als theoretische Mechanismen für systemische Risiken sind korrelierte Reaktionen von Finanzinstituten auf korrelierte Schocks (Mechanismus 1), Ansteckungseffekte zwischen Finanzinstituten (Mechanismus 2) oder spezielle Risiken im Zusammenhang mit systemrelevanten Instituten (Mechanismus 3) möglich.

4.  Im Gegensatz zu mikroprudentieller Regulierung ist makroprudentielle Regulierung auf die Stabilisierung des Banken- und Finanzsystems als Ganzes gerichtet (vgl. Kapitel 5).

2  Regulierung des Eigenkapitals

Zu den sowohl in regulatorischen Fachkreisen als auch in der Öffentlichkeit am prominentesten diskutierten Regulierungsinstrumenten gehört seit Jahrzehnten der Bereich der Eigenkapitalregulierung (Capital Adequacy Regulation, Kapitaladäquanz). Auch in der vorliegenden Schrift soll die Regulierung des Eigenkapitals von Banken eine wichtige Rolle einnehmen, einerseits aufgrund ihrer Relevanz für die Praxis, andererseits aufgrund ihrer Eignung für eine ökonomische Durchleuchtung und Illustration allgemeiner Phänomene der Bankenregulierung.