Reise Know-How KulturSchock Irland - Lars Kabel - E-Book

Reise Know-How KulturSchock Irland E-Book

Lars Kabel

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Beschreibung

Die Bücher der Reihe KulturSchock (ausgezeichnet von der Internationalen Tourismusbörse 2010 mit dem Preis "Besondere Reiseführer-Reihe") skizzieren Hintergründe und Entwicklungen, Geschichte und Politik, Alltag und Religion, um heutige Denk- und Lebensweisen zu erklären, um eine Orientierungshilfe im fremden Alltag zu sein. Sie möchten dazu beitragen, dass wir die Gesetzmäßigkeiten des Kulturschocks begreifen, ihn ein wenig vorwegnehmen können und Vorurteile abbauen. Denn je mehr wir voneinander wissen, desto besser werden wir einander verstehen. Mit Irland verbinden viele Menschen Klischees: die grüne Insel, das Land der Kelten, Kampf zwischen Protestanten und Katholiken, Step Dance, Auswanderung ... Dieses Buch geht den Klischees ohne Romantisierung auf den Grund und deckt die Wurzeln der heutigen irischen Gesellschaft auf. Es zeigt das Alltagsleben und die Wandlungen im Land mit den höchsten Wachstumsraten Europas und lässt viel Raum für Begegnungen mit dem sympathischen Volk am Rande Europas. Dieses Buch zeigt den Besuchern, wie sie sich durch die Erfahrung des Fremden bereichern lassen können. Relaunch – Jetzt in neuem Outfit Für die Auflage 2017 wurde das Erscheinungsbild des KulturSchock-Bandes vollständig überarbeitet: + Neues Kapitel "Verhaltenstipps von A bis Z" + Verbesserte Orientierung im Buch + Modernisierte Seitengestaltung + Größere Fotos + Extrainfos verweisen auf den Text illustrierende Videos, Sounds und andere Medien, abrufbar über eine spezielle Internetseite. KulturSchock - die besonderen und mehrfach ausgezeichneten Kultur-Reiseführer von REISE KNOW-HOW. Fundiert, unterhaltsam und hilfreich im fremden Alltag unter dem Motto: Je mehr wir voneinander wissen, desto besser werden wir einander verstehen.

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Seitenzahl: 430

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Vorwort

1953 schrieb der deutsche Reiseschriftsteller A. E. Johann über Dublin, es „gibt nur ganz wenige ‚erstklassige‘ Restaurants; Cafés überhaupt keine in der Halbmillionenstadt, die der Erwähnung wert wären“. 2007 erklärte das Magazin „Der Spiegel“ Dublin zu einer von „Europas coolen Städten“. Entlang des Flusses Liffey seien jetzt „schicke Restaurants und teure Hotels“ zu finden und ein neuer Reichtum habe sich „mit großen Limousinen und Designer-Boutiquen in das Stadtbild hineingefräst“.

Was ist in der Zwischenzeit passiert? Irland, einst das Armenhaus Westeuropas, hatte in den 1990er-Jahren einen Wirtschaftsboom sondergleichen erlebt, der die Insel trotz der weltweiten Wirtschaftskrise 2008 dauerhaft veränderte. Die Krise traf Irland besonders hart und machte ein gemeinsames Rettungspaket der EU und des Internationalen Währungsfonds notwendig. Heute wandern einerseits wieder zahlreiche Iren nach Amerika, Großbritannien und in andere Länder aus, aber zugleich gibt es auch eine große Zahl von Arbeitsmigranten, allen voran aus Polen, die die grüne Insel dauerhaft zu ihrer Heimat gemacht haben.

Kaum wiederzuerkennen ist auch Nordirland: Die IRA hat ihr Waffenarsenal vernichtet und die radikalsten, ehemals einander unvereinbar gegenüberstehenden Parteien haben sich auf eine gemeinsame Regierung geeinigt. Einst gemieden, erlebt Irlands Norden jetzt einen Touristenboom.

In diesem Buch geht es um die ganze Insel. Viele der beschriebenen Gegebenheiten findet man sowohl in Nordirland als auch in der Republik. Zudem gibt es regionale Gemeinsamkeiten zwischen dem zur Republik gehörenden Nordwesten und den nordirischen Grafschaften, bei denen Staatsgrenzen keine Rolle spielen. Wir wollen hier vor allem das thematisieren, was den Iren selbstverständlich ist, aber auch was in beiden Teilen der Insel gesellschaftlich diskutiert wird.

Eine Einführung in die Geschichte soll helfen, sowohl Gegenwärtiges einordnen zu können als auch die vielen historischen Anspielungen oder Rückgriffe im irischen Alltag zu verstehen. Zudem werden die Erfahrungen neuer und alter Minderheiten – Protestanten, Fahrende, Immigranten und andere gesellschaftliche Gruppen – dargestellt sowie die Bedeutung irischer Auswanderergemeinden in Großbritannien und in den USA für die heutige irische Gesellschaft genauer betrachtet. Auch ein Blick in die Zukunft, der sich mit den möglichen Folgen des Brexit für die innerirische Grenze beschäftigt, fehlt nicht. Praktische Hinweise sollen natürlich auch nicht zu kurz kommen: Wie verhält man sich in einem irischen Pub? Wie funktioniert das öffentliche Nahverkehrssystem? Welche Fettnäpfchen gilt es im täglichen Umgang mit anderen zu vermeiden?

Die Eindrücke, Beschreibungen und Analysen der verschiedenen Facetten des irischen Lebens sind als Anstoß dafür gedacht, nicht gleich dem ersten Eindruck zu trauen und somit ein Irland fernab alter und neuer Klischees zu entdecken. Vielleicht kann man nach der Lektüre des Buches und der eigenen Irlandreise selbst entscheiden, ob die Präsidentin der Republik Irland, Mary McAleese, recht hatte, als sie 2003 in einer Rede in den USA sagte: „Wenn die Männer und Frauen aus Irlands Vergangenheit eine Zeit wählen könnten, in der sie leben wollten, es gäbe eine lange Schlange für die heutige.“

Astrid Fieß und Lars Kabel

Inhalt

Vorwort

Verhaltenstipps A–Z

Eine kurze Geschichte Irlands

Irland in ur- und frühgeschichtlicher Zeit (ca. 7000 v. Chr.–400 n. Chr.)

Das Mittelalter (ca. 400 n. Chr.–1500 n. Chr.)

Machtfaktor Religion (ca. 1530–1800)

Protestantische Patrioten (ca. 1700–1800)

Katholische Nationalisten (ca. 1800–1922)

Die geteilte Insel (1920 bis heute)

Aspekte irischer Kultur

Katholiken und Protestanten – „echte“ und „weniger echte“ Iren

Die Iren – ein keltisches Volk?

Irisch – die erste offizielle Sprache Irlands

Nationale Identität und Patriotismus

Musik und Tanz

Ein Volk von Geschichtenerzählern

Feste in Irland

Die irische Gesellschaft heute

Politik in der Republik Irland

Die politische Landschaft in Nordirland

Kirche und Gesellschaft

Die Rolle der Medien in Irland

Boom and Bust – Irlands Wirtschaft

Einkommensverhältnisse und Sozialsysteme

Aus- und Einwanderungsland Irland

Irlands Fahrende – die „travellers“

Sicherheit und Kriminalität

Geschlechterrollen und Familie

Kinder, Küche, Kirche? – Frauen in Irland

Frauen im Pub? – Rollenverhalten von Männern und Frauen

Stationen in einem irischen Leben

Alltag in Irland

Sport

Urlaub und Freizeit

Körperlichkeit und Schamgefühl

Die grüne Insel? – Umweltschutzdenken

Das Wetter!

Wohnen – meist im eigenen Haus

Unterwegs in Irland

Geschichten von Hans und Dieter – was die Iren von den Deutschen denken

Begegnungen mit Iren

Namen und Anrede

Gastfreundschaft

Irish Time – Zeitverständnis und Pünktlichkeit

Pub, Coffee Shop und Sunday Dinner – die Ess- und Trinkkultur

Einkaufen

Verkehr und Transportmittel

In der Unterkunft

Anhang

Glossar

Literatur- und Filmtipps

Informatives im Internet

Register

Übersichtskarte Irland

Die Autoren

Exkurse zwischendurch

Der Heilige Patrick

King Billy, die Belagerung Derrys und die Paraden in Nordirland

Die große Hungersnot (The Great Famine)

Der Boykott erhält einen Namen

Derry/Londonderry – Schrägstrichstadt

Paramilitärische Gruppen in Nordirland

Fethard-on-Sea – ein unrühmliches Kapitel in der Geschichte der Republik

Die keltischen Sprachen

Kleine Sprachhilfe für Reisende

Ulster Scots – die dritte Sprache Irlands?

Session-Etikette

Die Táin: Die Sage des Rinderraubs von Cooley

Stammbaum der Parteien

Irische Wallfahrtsorte

Irischsprachige Medien

Ohne Papiere – illegale irische Einwanderer in den USA

Moira – eine irische Emigrantin in London

„Gefallene Mädchen“ – die Magdalene Laundries

American Wake – eine amerikanische Totenfeier

Gaelic Games und irischer Nationalismus

Derry City Football Club – ein nordirischer Verein in der Fußballliga der Republik Irland

Irische Köstlichkeiten

Haben die Iren ein Alkoholproblem?

Verhaltenstipps A–Z

Aberglaube: Eine Vorstellung, die es teilweise in ländlichen Regionen noch gibt, ist, dass bestimmte Erdhügel, alte Steinstrukturen, Gebäude oder auch Bäume von Feen (fairies) bewohnt sind oder Zugang zu deren Reich bieten. Die meisten Menschen in Irland halten solche Vorstellungen für Aberglauben. Seien Sie aber respektvoll, wenn Sie auf der Reise auf derartige Ansichten stoßen. Mehr dazu finden Sie im Abschnitt „Der Glaube an Feen heute“ ab S. 125.

Alkohol: Guinness und Whiskey sind wesentliche Bestandteile des Irlandbilds vieler Reisender und dies wird von so manchem Iren gern kultiviert. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Alkohol ist etwa der gleiche wie in Deutschland und in beiden Ländern gibt es den gleichen Anteil an Menschen, die überhaupt keinen Alkohol trinken. Ein wesentlicher Unterschied ist jedoch, dass in Irland weniger regelmäßig, dafür aber dann in wesentlich größeren Mengen getrunken wird. Wenn man sich mit Iren im Pub trifft, kann man durch das übliche „Rundensystem“ schnell die Kontrolle über seinen Alkoholkonsum – und darüber, wieviel Geld man ausgibt – verlieren. Im Kapitel „Die irische Pubkultur“ finden Sie ab S. 247 einige Tipps dazu.

Anrede: Die Anrede mit dem Nachnamen wird in Irland zunehmend unüblich und Siezen ist im Englischen – wie übrigens auch im Irisch-Gälischen – nicht möglich. Deutschsprachigen Reisenden kommt Irland nicht zuletzt deshalb sehr freundlich und informell vor. Aber Vorsicht: Wenn man gleich mit dem Vornamen angesprochen wird, drückt das weder einen Mangel an Respekt aus noch heißt es, dass der Gesprächspartner sich einem besonders verbunden fühlt. Mehr zum Thema im Kapitel „Unterwegs in Irland“ ab S. 229.

Ansehen/Gesicht wahren: Iren tendieren dazu, Konflikte und auch offene Kritik zu vermeiden, und sie versuchen, immer höflich zu bleiben. Dies führt zu einem sehr unverbindlichen Gesprächsverhalten, bei dem man aus unserer Sicht scheinbar nicht zur Sache kommt. Verwirrend kann es dann aber sein, wenn man Zeuge oder gar Opfer von slagging wird: Der Gesprächspartner äußert sich dabei sehr kritisch und sogar beleidigend, was aber als freundliches Necken gemeint ist. Mehr dazu im Kapitel „Begegnungen mit Iren“ ab S. 231.

Begrüßung/Verabschiedung: Wie überall in der englischsprachigen Welt wird man auch bei kurzen Begegnungen schnell nach dem Befinden gefragt („How are you?“). Darauf wird keine ausführliche Antwort und in der Regel auch keine negative erwartet. Man kann z. B. mit „Very good, thank you“, „Alright“ („In Ordnung“) oder „Not too bad“ („Nicht schlecht“) antworten. Zum Abschied wird manchmal ohne konkreten Grund viel Glück („good luck“) gewünscht, was selbst englischsprachige Besucher Irlands verwirrt. Mehr dazu im Kapitel „Begegnungen mit Iren“ ab S. 231.

Bekleidung: Vor allem im Berufsleben kleidet man sich oft formeller als in Deutschland und Hosen sind bei Frauen in diesem Kontext weniger verbreitet als hierzulande. In der Freizeit ist hinsichtlich der Bekleidungsgewohnheiten ein klarer Unterschied zwischen den Geschlechtern festzustellen: Während Frauen sich zum Ausgehen oft sehr schick anziehen, sind die sie begleitenden Männer einfach mit Jeans und T-Shirt bekleidet (siehe auch S. 193).

Einladungen: Generell kommt es in Irland heute häufiger vor, dass man mit Freunden zusammen ausgeht, als dass man sich gegenseitig besucht. Dennoch gibt es auch Einladungen nach Hause zum Abendessen oder zu Partys. In diesem Fall sollte man ein kleines Geschenk wie Wein, Blumen (keine Lilien, da diese für Begräbnisse vorbehalten sind) oder Pralinen mitbringen, das man beim Ankommen überreicht. Weitere Informationen zum Thema gibt es im Kapitel „Gastfreundschaft“ ab S. 236.

Ess- und Trinksitten: Essen und Trinken sind wichtige Bestandteile irischer Kultur und beides wird gern in großer Runde mit Freunden und Bekannten getan. Beim Essen fällt deutschsprachigen Besuchern meist zuerst auf, dass es kein richtiges Gegenstück zum Tischspruch „Guten Appetit“ gibt. Häufig wartet man mit dem Essen auch nicht, bis alle etwas auf dem Teller haben (hier am besten schauen, wie die anderen es machen), sondern fängt an, wenn das Essen vor einem steht. Das Besteck wird generell etwas anders gehalten. So gilt es als angebracht, die Gabel mit den Zinken nach unten zu halten, auch, wenn man Gemüse oder Kartoffeln isst. Mehr dazu und zur Etikette im Restaurant findet sich ab S. 245. Wie bereits beim Thema „Alkohol“ erwähnt, ist das gemeinsame Trinken im Pub ein wichtiger Bestandteil irischer Sozialkultur. Dort ist es üblich, abwechselnd reihum Runden auszugeben. Einer fragt die anderen, was sie trinken möchten, die dann wiederum, wenn die Getränke zur Neige gehen, nacheinander an der Theke Nachschub holen. Hier ist es besonders wichtig, dass man sich nicht nur einladen lässt, sondern auch „seine“ Runde bezahlt. Mehr Informationen dazu im Kapitel „Die irische Pubkultur“ ab S. 247.

Freundschaften: In Irland kommt man leicht ins Gespräch. Iren geben sich oft die Mühe, sich Namen zu merken und Leute einander vorzustellen. Wenn man jemanden wiedersieht, wird man meist herzlich gegrüßt. Ist man diese eher habituelle Freundlichkeit nicht gewohnt, kann man sie als ernstes persönliches Interesse missverstehen, zumal man schnell auch als „friend“ vorgestellt wird. Das ist allerdings eher mit „Bekannte(r)“ zu übersetzten denn mit „Freund(in)“. Grundsätzlich folgen tiefere Freundschaften in Irland den gleichen Regeln wie in Deutschland, Österreich und in der Schweiz.

112ir Foto: Tourism Ireland

Irland ist für seine Kinderfreundlichkeit bekannt

Gesprächsthemen: Eines der beliebtesten Themen, um mit Iren ins Gespräch zu kommen, ist das Wetter, das sich angesichts seiner Unberechenbarkeit auf der grünen Insel auch bestens dazu eignet. Man kommt auch leicht mit Unbekannten ins Gespräch, zum Beispiel dem Sitznachbarn im Zug oder beim Warten auf den Bus. Allerdings halten sich diese Gespräche auch eher unverbindlich. Im weiteren Gesprächsverlauf werden dann gern auch Politik oder irische Geschichte angesprochen und, vor allem, wenn sich die Gesprächspartner kennen, ausgiebig diskutiert. Hier sollte man aber eher Zurückhaltung an den Tag legen. Man hört oft, dass Iren ihr eigenes Land kritisieren oder kleinreden. Kommt dies aber von Außenstehenden, kann sich der Gesprächspartner leicht vor den Kopf gestoßen fühlen (siehe auch die Verhaltenstipps „Patriotismus“ und „Politik“, S. 16, sowie die Kapitel „Politik in der Republik Irland“ ab Seite 140 und „Die politische Landschaft in Nordirland“ ab Seite 143).

Gesten und Mimik: In Irland wird nicht mit ausladenden Handgesten kommuniziert. Auch körperlicher Kontakt, zum Beispiel Umarmungen, sind nur bei sehr engen Freunden und innerhalb der Familie üblich und selbst dort nicht unbedingt in der Öffentlichkeit. Gebräuchlich ist vor allem ein freundlicher Handschlag.

Insbesondere in ländlichen Gegenden ist es üblich, Leute, denen man auf der Straße begegnet, zu grüßen. Dazu reicht oft ein Kopfnicken bzw. ein leichtes Neigen des Kopfes zur Seite (s. S. 232). Auch als Autofahrer ist es auf wenig befahrenen Straßen normal, entgegenkommende Fahrer oder Fußgänger durch ein Heben der Hand am Lenkrad bzw. ein Heben des Zeigefingers zu grüßen. Die auf diese Weise begrüßten Passanten antworten dann oft mit dem typischen seitlichen Kopfnicken.

Eine Handgeste, die man unbedingt vermeiden sollte, ist, den Zeige- und Mittelfinger erhoben, die Hand mit der Handfläche zu sich gewendet hochzuhalten. Dies wird als Beleidigung gebraucht.

Homosexualität: Irland hat sich seit den 1990er-Jahren von einem der konservativsten Länder Europas zu einer weltoffenen Gesellschaft gewandelt. Am 22. Mai 2015 stimmten 60 % der Wähler bei einer Volksabstimmung für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Die Akzeptanz homosexueller Paare ist relativ groß, aber nach wie vor sollte man vor allem in ländlichen Gebieten und in Nordirland, das noch nicht so weit ist wie die Republik, eine gewisse Diskretion walten lassen (siehe dazu auch S. 152 und S. 203).

Kinder: Irland ist ein kinderfreundliches Land und Eltern nehmen ihren Nachwuchs zu den meisten Anlässen mit. Auch in Museen oder anderen öffentlichen Einrichtungen gibt es normalerweise Extra-Angebote für die Kleinen und es ist kein Problem, mit Kindern ins Restaurant zu gehen. Viele Iren sind sehr stolz auf die kinderfreundliche Einstellung ihrer Landsleute und es kommt oft vor, dass es Paare, die im Ausland wohnen, wieder in die Heimat zieht, wenn sie vorhaben, Kinder zu bekommen. Mehr Informationen zum Thema gibt es im Abschnitt „Kindheit und Jugend“ ab S. 193.

Kriminalität: Die Kriminalitätsrate in Irland ist vergleichbar mit der in deutschsprachigen Ländern. Touristen sollten vor allem darauf achten, sich vor Taschendiebstahl zu schützen und keine Wertgegenstände im Auto liegen zu lassen (weiteres zum Thema auch ab Seite 182).

Musik: Touristen stoßen in Irland auf Schritt und Tritt auf eine lebendige Musikkultur. Bei Festen genauso wie im Alltag gehört Musik dazu und das ist für viele Besucher einer der Hauptanziehungspunkte. An allererster Stelle muss hier wohl der Irish Folk genannt werden, der weit über Irlands Grenzen hinaus bekannt geworden ist. Allerdings gibt es auch eine lebendige Szene moderner Rock- und Popmusik. Wenn man die irische Musiktradition live erleben möchte, bietet sich vor allem ein Besuch im Pub an: Oft spielen hier Livebands oder es gibt sogenannte sessions, bei denen Kundige auch durchaus einmal mitspielen können. Weitere Informationen zum Thema und zur Session-Etikette finden Sie auf Seite 104.

Patriotismus: Die meisten Iren sind sehr patriotisch und nationale Symbole wie die irische Flagge, das dreiblättrige Kleeblatt (shamrock) oder die Harfe tauchen überall auf. Vor allem will man nicht mit anderen englischsprachigen Nationen verwechselt werden und das einfache Übertragen von Erfahrungen aus Amerika oder gar Großbritannien auf Irland kann auf Unwillen oder Ablehnung stoßen. In Irland findet sich auch ein starkes Bewusstsein für die eigene Geschichte, vor allem in Bezug auf den britischen Nachbarn. Natürlich kommt es auch vor, dass Iren ihr Land trotz allen Nationalstolzes offen kritisieren. Man sollte allerdings Vorsicht walten lassen und sich mit eigener Kritik zurückhalten, denn kommt die gleiche Kritik von Außenstehenden, ist sie nicht unbedingt willkommen. In Nordirland stößt man in vorwiegend protestantischen Wohnvierteln oft auf Manifestationen britischen Nationalstolzes (z. B. Union-Jack-Fahnen, Wandgemälde), die auch bei Besuchern von der Nachbarinsel Erstaunen auslösen. (Weitere Hinweise auch im Kapitel „Nationale Identität und Patriotismus“ ab Seite 98.)

Politik: Viele Iren unterhalten sich gern über Politik und sind nicht selten ihrer Regierung oder den politischen Parteien gegenüber sehr kritisch eingestellt. Die politische Landschaft in beiden Teilen Irlands unterscheidet sich aber deutlich von der in anderen Ländern. Die übliche Dualität von linken und rechten Parteien ist nur schwach ausgeprägt. Das Wahlverhalten der Bürger in der Republik Irland ist teilweise noch davon geprägt, auf welcher Seite die Vorfahren im Bürgerkrieg 1922/1923 standen. In Nordirland entscheidet die Konfession darüber, was man wählt. Man sollte in beiden Teilen der Insel mit Meinungsäußerungen erst einmal zurückhaltend sein und eher Fragen stellen, als eine Meinung zu äußern. Zur Vorbereitung empfiehlt es sich, das Kapitel „Die irische Gesellschaft heute“ ab Seite 139 zu lesen.

Pünktlichkeit: Die Iren haben allgemein ein entspanntes Zeitverständnis und Pünktlichkeit ist nicht die Regel. Verkehrsmittel können zu spät ankommen und Veranstaltungen fangen auch nicht immer zum angegebenen Zeitpunkt an. Vor allem bei Einladungen sollte man eher nicht pünktlich zur angegebenen Zeit erscheinen, da das fast als unhöflich wahrgenommen wird. Besser kommt man 10 bis15 Minuten später. Weiteres zum Thema finden Sie im Kapitel „Irish Time – Zeitverständnis und Pünktlichkeit“ ab Seite 238.

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Die Iren sind geschichtsbewusst: Beflaggung in Galway zu Ehren der 14 mittelalterlichen Handelsfamilien der Stadt (Stämme von Galway)

Rauchen: In beiden Teilen Irlands ist das Rauchen in öffentlichen Räumen verboten. In Pubs gehen Raucher vor die Tür und oft gibt es Außenbereiche, die für die Bedürfnisse von Rauchern gestaltet wurden.

Schamgefühl: In Bezug auf dieses Thema werden Besucher vor allem Unterschiede im Schwimmbad oder am Strand feststellen, da die Iren zu Nacktheit und freier Körperkultur eine weit höhere Hemmschwelle haben, als das in deutschsprachigen Ländern üblich ist. Selbst in die Sauna würde man zum Beispiel nie vollständig entkleidet gehen – Textilsauna ist also angesagt, man trägt Badeanzug, Bikini oder Badehose – und auch beim Gemeinschaftsduschen lässt man die Badesachen an, beim Umziehen in Gemeinschaftskabinen versucht man, sich bedeckt zu halten. Hier scheinen Frauen allerdings empfindlicher als Männer zu sein. Trotzdem ist auch für Männer eine Badehose im Boxershorts-Stil üblicher als eine hautenge. Mehr zum Thema finden Sie auch im Kapitel „Körperlichkeit und Schamgefühl“ ab Seite 218.

Schimpfen: Viele traditionelle Flüche haben einen religiösen Hintergrund und mit dem Teufel zu tun. Moderne Schimpfwörter sind hingegen häufig sexueller Natur. Fäkaliensprache kommt seltener vor und wird dementsprechend als extrem unflätig empfunden. Manchem deutschsprachigen Besucher ist schon mal ein „shit“ entwichen, was in Irland viel stärker und unangebrachter ist, als es die deutsche Übersetzung wäre. Es ist auf jeden Fall ratsam, sich als Besucher mit Schimpfwörtern und Flüchen eher zurückzuhalten.

Souvenirs: In vielen irischen Städten stößt man auf in grün gehaltene Souvenirläden, in denen man häufig von kleeblatt- oder leprechaunverzierten (s. S. 125) Kitschobjekten überwältigt wird. Lässt man diese einmal beiseite, gibt es in Irland viele Möglichkeiten, interessante Souvenirs zu kaufen, die allerdings nicht immer billig zu haben sind. Sehr beliebt sind Pullover aus irischer Wolle, Whiskey oder auch Musik-CDs und traditionelle Musikinstrumente wie tin whistles oder bódhráns (s. S. 110). Außerdem gibt es viel schönes Kunsthandwerk von Keramik bis zu gewebten Wolldecken. Auch eine der vielen regional produzierten Käsesorten wäre für Feinschmecker sicherlich ein nettes Mitbringsel.

Sprache: Irisch (Irisch-Gälisch) ist offiziell die erste Nationalsprache der Republik Irland. In der Realität wird sie eher symbolisch genutzt, z. B. für Namen offizieller Institutionen und am Beginn einer Rede. Es gibt aber städtische Subkulturen und einige ländliche Regionen, in denen das Irische noch als gelernte Zweit- oder als Muttersprache gesprochen wird. Wer sich für die Sprache interessiert, sie lernen und ausprobieren möchte, sollte ein gewisses Fingerspitzengefühl an den Tag legen: Manche Iren fühlen sich peinlich berührt, wenn ein Ausländer mehr Irisch kann als sie oder sie in die Verlegenheit bringt, nicht antworten zu können. Mehr zum Thema Sprache im Exkurs ab Seite 82 und ab Seite 88.

Trinkgeld: Ein Trinkgeld (tip) zu geben ist traditionell nur in Restaurants üblich. Man lässt bei Tischbedienung etwa 10% des Rechnungsbetrages auf dem Tisch liegen oder ergänzt den Betrag beim Zahlen mit Karte. Manchmal wird aber schon eine Bedienungsgebühr (service charge) in der Rechnung aufgeführt. Ein gesondertes Trinkgeld ist dann nicht mehr notwendig.

In Cafés und Lokalen, in denen man das Essen an der Theke bestellt oder selber holen muss, kann man manchmal ein Trinkgeld in eine dafür ausgewiesene Büchse werfen, wenn man möchte. In Pubs ist Trinkgeld unüblich und bei Taxis hat es sich in letzter Zeit eingebürgert, den Betrag (leicht) aufzurunden.

Unterkunft: Abgesehen von Hotels sind die sogenannten Bed & Breakfasts (B&Bs) die beliebteste Unterkunftsart. Die Gastgeber bieten einige Schlafzimmer in ihrem eigenen Haus zur Übernachtung an und morgens bekommt man ein deftiges irisches Frühstück mit Würstchen, Speck und Ei sowie Frühstücksflocken und Obst. In diesen kleinen Unterkünften wird man traditionellerweise meistens freundlich und persönlich empfangen und bekommt bei der Ankunft schon einmal eine Tasse Tee angeboten. Allerdings haben sich mittlerweile viele der B&Bs zu größeren Unternehmen entwickelt, in denen die Gastgeber nicht mehr unbedingt selbst im Haus wohnen und die mehr wie ein Hotel geführt werden. Für Selbstversorger gibt es auch ein großes Angebot, allerdings sind hier kleine Ferienhäuser (cottages) weiter verbreitet als Ferienwohnungen. Zusätzliche Informationen zum Thema gibt es im Abschnitt „In der Unterkunft“ ab Seite 259.

Verkehrsmittel: Der größte Unterschied zum europäischen Festland ist der Linksverkehr in Irland. Das ist nicht nur wichtig, wenn man einen Mietwagen fahren möchte, sondern auch Fußgänger sollten im Kopf behalten, dass man zuerst nach rechts schauen muss, wenn man eine Straße überqueren will, und nicht wie gewohnt nach links.

Das am meisten verbreitete Transportmittel für längere Strecken ist der Überlandbus, da das Streckennetz der Bahn nur die größeren Städte miteinander verbindet und fast alle Linien sternförmig von Dublin abgehen. Innerhalb der Städte gibt es Stadtbusse und in Dublin die Straßenbahn „Luas“, aber auch Taxis sind ein beliebtes Fortbewegungsmittel und nicht unbedingt übermäßig teuer. Genauere Informationen zu den einzelnen Verkehrsmitteln finden Sie ab Seite 254.

Vegetarier/Veganer: Die irische Küche ist zwar eher bekannt für ihre Fleischgerichte, aber als Vegetarier in Irland unterwegs zu sein, ist in der Regel kein großes Problem. In größeren Städten gibt es oft vegetarische Restaurants und in anderen Lokalen findet sich normalerweise mindestens ein vegetarisches Gericht auf der Speisekarte oder man kann danach fragen. Wer vegan lebt, hat es da schon etwas schwerer und man wird viel erklären müssen, da die meisten vegetarischen Angebote Käse enthalten. Auch im traditionellen irischen Sodabrot ist Buttermilch enthalten! Wenn man aber vorplant und vielleicht bei einem Restaurantbesuch vorher freundlich nachfragt, ist es durchaus möglich, dass man den Ehrgeiz des Küchenpersonals anspornt und am Ende alle nicht-veganen „Mitesser“ neidisch auf den veganen Teller schielen. Weiteres zum Thema Essen in Irland finden Sie im Kapitel „Pub, Coffee Shop und Sunday Dinner – die Ess- und Trinkkultur“ ab Seite 240.

Eine kurze Geschichte Irlands

Irland in ur- und frühgeschichtlicher Zeit (ca. 7000 v. Chr.–400 n. Chr.)

Als Gnaeus Iulius Agricola, der römische Statthalter Britanniens, im Jahr 82 v. Chr. das südliche Schottland befriedete und mehrere Kastelle errichten ließ, blickte er in der Ferne auf die deutlich sichtbare Küste Irlands. Die Insel, von der aus Gallien leicht zu erreichen war, wäre eine sinnvolle Erweiterung des Römischen Reichs, so dachte er sich. Aus den Schriften seines Schwiegersohns Tacitus wissen wir, dass Agricola der Ansicht war, Irland könne durch eine einzige Legion und einige Hilfstruppen mit geringem Aufwand erobert werden. Auch knüpfte er einen ersten Kontakt für ein solches Unternehmen: Er empfing einen aufgrund interner Streitigkeiten vertriebenen irischen Fürsten, der vielleicht hilfreich sein könnte.

Die Insel, die Agricola aus der Ferne betrachtete, wurde vermutlich zwischen 7000 und 6500 v. Chr. besiedelt. Die ältesten bekannten Hinweise auf menschliche Besiedlung in Irland befinden sich in der Nähe der nordirischen Stadt Coleraine, bei dem Berg Mount Sandel am Fluss Bann.

In der Jungsteinzeit (Neolithikum, ab 4500 v. Chr.) begannen die Bewohner Irlands mit Landwirtschaft und die Töpferei wurde eingeführt. Zahlreiche noch heute erhaltene Monumente entstanden zu dieser Zeit: Die meisten sind Gräber und Zeugnisse früher Religiosität. Am bekanntesten sind die Hügelgräber Newgrange, Knowth und Dowth im Tal des Flusses Boyne. In die 70 Meter lange Grabkammer von Newgrange gelangt an etwa 13 Tagen im Jahr zur Zeit der Wintersonnenwende Licht durch eine Öffnung am Eingang. Dieses Sonnenlicht erleuchtet den Boden der Kammer am Ende des langen Ganges. Es wird deshalb angenommen, dass Newgrange auch eine Kalenderfunktion hatte.

Erst einige Jahrtausende danach, in der späten Bronzezeit (ca. 1200 v. Chr. bis 700 v. Chr.), wurden wieder von Menschen Dinge geschaffen, die bis heute erhalten sind. Im National Museum in Dublin befinden sich heute zahlreiche Artefakte, meist Waffen und Schmuck, die von einer gut entwickelten Technik der Metallverarbeitung zeugen und die angesichts der großen Anzahl an Waffen eine dominante Rolle von Kriegern in der Gesellschaft vermuten lassen. Zeugnisse aus der Bronzezeit sind auch eine Reihe von spektakulär gelegenen steinernen Festungen auf den Aran-Inseln in der Bucht von Galway. Die wohl bekannteste dürfte Dún Aonghus sein, an einer hundert Meter hohen Klippe gelegen.

Als Agricola – Jahrtausende nach der Errichtung von Newgrange und Jahrhunderte nach der Bronzezeit – von Schottland aus auf Irland blickte, sprach eine Mehrheit der Bevölkerung dort eine Sprache, die sie Gälisch nannte und die heute meist als Irisch bezeichnet wird. Wann die Sprache nach Irland gelangte, kann nur vermutet werden, aber viele Wissenschaftler gehen von der Zeit um das Jahr 500 v. Chr. aus. Traditionellerweise sieht man die Sprecher des Gälischen als Kelten (s. auch das Kapitel „Die Iren – ein keltisches Volk?“ ab S. 84). Früher gingen Altertumswissenschaftler vor allem von einer Eroberung Irlands durch die Kelten aus, heute dagegen vermuten viele Forscher, dass durch allmähliche Einwanderung und durch kulturellen Kontakt Gälisch nach und nach die ursprüngliche(n), nicht überlieferte(n) Sprache(n) der Insel verdrängte.

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Das 2500 Jahre alte Staigue Stone Fort am Ring of Kerry gehört zu den größten und besterhaltenen Ringfestungen Irlands

Da Irland damals noch schriftlos war, wissen wir nur sehr wenig über die Gesellschaft und die Kultur zu der Zeit, als Agricola im ersten vorchristlichen Jahrhundert über eine Eroberung der Insel nachdachte. Schilderungen der kulturellen und sozialen Verhältnisse zu jener Zeit, die man in Büchern und im Internet findet, sind zwangsläufig Vermutungen und Spekulationen. Die wichtigsten Quellen für solche spekulativen Gesellschaftsdarstellungen sind zum einen Sagen und Chroniken, die irische Mönche Jahrhunderte später aufschrieben (vgl. Kapitel „Ein Volk von Geschichtenerzählern“). Was in solchen Texten Erinnerungen aus vorchristlicher Zeit sind und was zeitgenössische Vorstellungen, lässt sich nur vermuten. Desweiteren werden als Quellen auch Reiseberichte und ethnografische Berichte antiker römischer und griechischer Autoren benutzt, die über Kelten auf dem Festland schreiben. Wenn man annimmt, dass diese Kelten eine gemeinsame Kultur mit den (keltischen) Iren teilten, kann man auch mutmaßen, dass die von den antiken Autoren geschilderten Zustände ähnlich für das vorchristliche Irland zutrafen.

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Die Oghamzeichen und ihre Lautwerte

Das Irland der Eisenzeit (etwa 500 v. Chr. bis 500 n. Chr.) ist solchen Interpretationen folgend eine von einer Kriegerklasse dominierte Gesellschaft. Die Köpfe von Feinden seien als Trophäe abgeschnitten worden und oft hätten die Krieger mit von zwei Pferden gezogenen Streitwagen gekämpft. Bei Festen habe dem größten Helden das beste Stück Fleisch zugestanden, die sogenannte Heldenportion. Barden verfassten Lobgedichte auf die Helden. Die Druiden, die die Priesterklasse stellten, hätten, so eine verbreitete Sichtweise, Wissen über die Götter, das Universum und das Schicksal der Seele gehabt, sie leiteten Opferzeremonien und sie sagten die Zukunft vorher. Ihnen seien magische Kräfte zugeschrieben worden.

Aus Agricolas Plänen, Irland dem Römischen Reich einzuverleiben, wurde übrigens nichts. Im Jahr 84 v. Chr. rief ihn Kaiser Domitian nach Rom zurück, mit der Begründung, dass die Kosten für den Britannienfeldzug zu hoch seien. Die Nähe des römischen Einflussbereichs blieb aber für Irland nicht folgenlos. Es gab kulturellen Austausch und Handel zwischen dem römischen Britannien und der Nachbarinsel. Ogham, das älteste irische Schriftsystem, das vor dem fünften nachchristlichen Jahrhundert entstand, basiert wahrscheinlich auf dem lateinischen Alphabet. Oghaminschriften befinden sich auf länglichen Steinen. Sie enthalten in erster Linie Eigennamen und zeigen Besitzansprüche an oder sie haben Grabsteinfunktion. Die Zeichen, die im Lautwert meist lateinischen Buchstaben entsprechen, werden entlang einer Kante in Stein – mittelalterlichen Quellen zufolge auch auf Holz – eingeritzt. Bei den Zeichen handelt es sich um Striche, die sich durch ihre Länge und durch ihre Anzahl unterscheiden sowie dadurch, auf welcher Seite der Kante sie sich befinden. Oghaminschriften findet man heute in ganz Irland. Die meisten gibt es im Süden der Insel, z. B. in Ballyquin in der Grafschaft Waterford.

Irland entging also der römischen Eroberung. Als das Römische Reich im vierten nachchristlichen Jahrhundert von Krisen geplagt wurde und Britannien aufgab, fielen Iren auf der Nachbarinsel ein und ließen sich in Cornwall, Wales und Schottland nieder, wovon noch heute Oghaminschriften in diesen Regionen zeugen. Zumindest Schottland wurde durch die irische Besiedlung dauerhaft geprägt: Gälisch ist zu einer der Sprachen des britischen Nordens geworden.

Das Mittelalter (ca. 400 n. Chr.–1500 n. Chr.)

Irland wird christlich

Das Jahr 431 n. Chr. ist das erste definitive Datum in der irischen Geschichte. Laut einer mittelalterlichen Chronik schickte in jenem Jahr Papst Coelestin I. jemanden namens Palladius als Bischof „zu den Iren, die an Christus glauben“. Aus dem fünften Jahrhundert stammen auch zwei auf Latein geschriebene Schriftstücke eines gewissen Patricius. In einem der Texte beschreibt er, wie Gott ihn zur Bekehrung der Iren schickte. Dieser Mann wurde später als St. Patrick bekannt und gilt als Nationalheiliger der Iren.

Welche Rolle ein einzelner Mann bei der Einführung des Christentums in Irland wirklich gespielt haben kann, wird heute heftig diskutiert. Unstrittig ist, dass Irland im 5. Jahrhundert allmählich christianisiert wurde. Zahlreiche Klöster wurden gegründet und entwickelten sich zu neuen Machtzentren. Ab dem 7. Jahrhundert produzierten die Mönche eine große Anzahl von Schriften, zunächst auf Latein – schon bald aber auch auf Irisch. Anderswo in Europa war zu dieser Zeit das Schreiben in einer anderen Sprache als Latein und Griechisch noch undenkbar. Vor allem überlieferte Gesetzestexte helfen uns, ein detailliertes Bild der irischen Gesellschaft jener Zeit nachzuzeichnen: Sie war in Klassen unterteilt. Die Gesetze legten genau fest, wer wo und wie im Leben stand und wie dessen Beziehung zu anderen Menschen war. Es gab Sklaven. Die Gesellschaft war zwar patriarchalisch, doch hatten Frauen im Vergleich zu anderen Regionen Europas zu dieser Zeit viele Rechte, in manchen Lebensbereichen mehr als noch vor wenigen Jahren in der Republik Irland. (Siehe das Kapitel „Kinder, Küche, Kirche – Frauen in Irland“ ab Seite 186) Frauen wie Männer konnten sich scheiden lassen und die Frauen verfügten über persönliches Eigentum, das sie in die Ehe mitbrachten und nach einer Trennung auch wieder mitnehmen konnten.

Der Heilige Patrick

Der Süden Britanniens gehörte im 5. Jahrhundert, anders als Irland, zum Römischen Reich und war christlich. Die Bevölkerung sprach Britannisch, eine frühe Form des Walisischen, während Latein die Sprache der Oberschicht und der Verwaltung war.

In einer Stadt namens „Banna Venta Berniae“, die vermutlich auf dem Gebiet des heutigen Wales lag, lebte der Beamte Calpurnius. Irische Piraten entführten eines Tages seinen 16-jährigen Sohn Patricius. Als Sklave musste dieser in Irland Schafe und Schweine hüten und festigte dabei seinen Glauben. Später, als alter Mann, schrieb er auf Latein in seiner Lebenserinnerung, der „Confessio“: „Ich lebte draußen in den Wäldern und auf dem Berg und ich wachte immer vor Tagesanbruch auf, um im Schnee zu beten, in eisiger Kälte, im Regen, und ich fühlte mich weder krank noch schlapp, weil, wie ich nun weiß, der Heilige Geist zu dieser Zeit in mir brannte.“

Nach sechs Jahren konnte Patricius schließlich fliehen und als blinder Passagier auf einem Schiff zurück nach Britannien gelangen, allerdings nicht ohne vorher noch einige Abenteuer zu bestehen. Wieder in Freiheit, entschloss sich Patricius, Priester zu werden. Eines Tages kam ein Mann namens Victoricus aus Irland und überreichte ihm einen Brief, der den Titel „Die Stimme der Iren“ trug. Patricius berichtet: „Als ich begann, den Brief zu lesen, hatte ich in dem Moment das Gefühl, ich hörte die Stimme genau jener Menschen, die sich in der Nähe des Waldes Foclut, der nahe der westlichen See liegt, befanden – und sie riefen wie mit einer Stimme: ‚Wir flehen dich an, du heiliger, junger Diener, zu uns zu kommen und unter uns zu wandeln.‘“

Dies war die Aufforderung, die Iren zum Christentum zu bekehren. Patricius zögerte zunächst noch, da er sich der Aufgabe nicht gewachsen fühlte, kehrte aber schließlich als Missionar nach Irland zurück. Er sammelte Anhänger um sich, stieß aber auch auf Widerstand. Sein Brief an den Fürsten Coroticus, den er verfasste, als dessen Soldaten einige seiner Anhänger entführt hatten, ist überliefert.

In den folgenden Jahrhunderten schrieben Chronisten von Konflikten Patricius’ mit den heidnischen Druiden. Auch Legenden entstanden: Am bekanntesten sind die, dass er die Schlangen aus Irland vertrieben und die Dreifaltigkeit Gottes anhand eines dreiblättrigen Kleeblattes („shamrock“) erklärt haben soll. Dieses Kleeblatt ist heute ein Symbol für Irland und wird von Iren in aller Welt an ihrem Nationalfeiertag getragen: dem St. Patrick’s Day (siehe auch das Kapitel „Feste in Irland“ ab Seite 132).

Wissenschaftler bezweifeln nicht, dass Patrick, wie Patricius auf Englisch genannt wird, wirklich gelebt hat. Allerdings folgen die meisten Historiker der „Zwei-Patrick-Theorie“ des Gelehrten Thomas Francis O’Rahilly aus dem Jahr 1942. Demnach haben spätere Chronisten Überlieferungen, die Palladius, den ersten Bischof der Iren (s. S. 25), betreffen, mit solchen über Patricius vermischt und so der Geschichte und den Legenden um den Heiligen Patrick ihre spätere Form gegeben. Im Übrigen dürfte sich das Christentum in Irland ganz allmählich durch Kontakte mit dem Römischen Reich durchgesetzt haben. Es war kaum eine Person allein, die den religiösen Umbruch auslöste.

115ir Foto: Brian Morrison, Tourism Ireland

Die Down Cathedral und das Grab des Heiligen Patrick in Downpatrick

Mehrere Orte werden heute mit dem Heiligen Patrick in Verbindung gebracht: Auf dem Slemish Mountain in der nordirischen Grafschaft Antrim soll er in der Sklaverei gehalten worden sein. Als Missionar habe er den Berg Croagh Patrick in der Grafschaft Mayo besucht, wo nun alljährlich am letzten Sonntag im Juli eine Wallfahrt stattfindet. (Siehe auch den Exkurs „Irische Wallfahrtsorte“ ab Seite 148.) In dem nordirischen Ort Downpatrick soll er neben den Heiligen Brigid und Columba begraben sein. Die Stadt Armagh, die ebenfalls in Nordirland liegt, wurde der Überlieferung zufolge von St. Patrick als Hauptsitz seiner Mission gegründet. Die Stadt ist auch heute noch wichtig: Der anglikanische wie auch der katholische Erzbischof Irlands haben dort ihren Sitz.

Patrick ist der Nationalheilige der Iren und sowohl die anglikanische Church of Ireland („Kirche von Irland“) wie auch die katholische Kirche Irlands sehen sich in seiner Tradition stehend. Der Name Patrick und die irischsprachige Version „Pádraig“ sind häufige, fast schon stereotype irische Namen, wie auch die Abkürzung „Pat“ und vor allem „Paddy“. Fast ebenso häufig kommen die weiblichen Varianten Patricia oder auf Irisch „Páidrigín“ vor.

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An der Ballintubber Abbey beginnt an jedem letzten Sonntag im Juli der Pilgerzug zum 22 Meilen entfernten Croagh Patrick

Irische Mönche kamen im siebten und achten Jahrhundert als Missionare auf den europäischen Kontinent und gründeten Klöster, so in Bobbio in Norditalien und St. Gallen in der Schweiz. In diesen Klöstern, die auch als Schottenklöster bezeichnet wurden (von scoti, einem mittelalterlichen lateinischen Wort für Iren), sind die frühesten irischsprachigen Handschriften erhalten. In Würzburg wurden im Jahr 689 drei irische Missionare getötet, unter ihnen Kilian, der heutige Schutzpatron der Franken. Das deutsche Wort „Glocke“, wie auch das englische Wort clock, verdanken wir den irischen Missionaren: Es stammt von dem irischen Begriff clog ab.

Die Wikinger

In einer stürmischen Nacht im 9. Jahrhundert schrieb ein Mönch auf Irisch ein Gedicht an den Rand einer lateinischen Grammatik: „Heute Nacht weht ein kräftiger Wind und aufgewühlt sind die weißen Schaumkronen der Wellen. Bei einem solchen Wintersturm habe ich keine Angst, dass die kriegerischen Wikinger übers Meer kommen.“

Diese Seefahrer aus Küstengebieten des heutigen Norwegens überfielen im Jahre 795 erstmals die vor der nordirischen Küste gelegene Insel Rathlin und kamen immer wieder, in der Regel mit mehreren Jahren Abstand. Sie plünderten irische Klöster, töteten Mönche oder nahmen sie als Geiseln oder Sklaven. Wer waren die Wikinger? Es handelte sich vermutlich um Bauern aus küstennahen Gebieten Skandinaviens, die enorme Fortschritte im Schiffbau gemacht hatten. Im frühen Mittelalter unternahmen sie einerseits Raubzüge zu Küstengebieten und Inseln in Europa, andererseits gründeten sie aber auch Siedlungen und errichteten ein weitreichendes Handelsnetz. Historiker gehen davon aus, dass sie durch eine Überbevölkerung zu dieser Seefahrertätigkeit getrieben wurden.

In der traditionellen irischen Geschichtsschreibung wurden die Wikinger vor allem als heidnische Räuber dargestellt, die Mönche töteten, Klöster ausraubten und diese in Brand steckten. In den ersten 50 Jahren ihrer Aktivitäten in Irland war das Treiben der Wikinger sicherlich durch solche Gewalttaten geprägt. Ein enormer gesellschaftlicher Umbruch in Irland, von dem in nicht ganz aktuellen Geschichtsbüchern oft die Rede ist, wurde durch die Raubzüge indessen eher nicht ausgelöst. Weite Kreise der irischen Bevölkerung blieben unberührt. Zudem waren es nicht allein Wikinger, die Klöster angriffen, auch Iren waren für solche Überfälle verantwortlich. Es gab sogar regelrechte Kriege zwischen einzelnen Klöstern, bei denen geplündert und gemordet wurde.

Von größerer Bedeutung für die irische Geschichte war die Gründung der ersten Städte Irlands durch die Wikinger: Dublin ging aus einer zunächst vorübergehend angelegten Hafensiedlung hervor, ebenso Waterford, Wicklow, Cork und Limerick. Vor allem Dublin wurde ein wichtiges Handelszentrum. Auch waren es die Wikinger, die das Münzwesen in Irland einführten. Vom kulturellen Einfluss der skandinavischen Seefahrer zeugen heute nordische Lehnwörter in der irischen Sprache, die vor allem die Schifffahrt, das städtische Leben oder den Handel betreffen. Wikinger und Iren lebten nicht in Isolation voneinander. Es ist anzunehmen, dass sich in den Wikingersiedlungen und um sie herum viele Iren niederließen und schon bald ein Prozess der gegenseitigen kulturellen Beeinflussung und Angleichung stattfand. Die Wikingerstädte wurden fest in die inneririschen Machtstrukturen, Rivalitäten und Bündnisse eingebunden.

Ein irischer König, Brian Boru, triumphierte in der Schlacht von Clontarf im Jahre 1014 über die Wikingerarmee von Dublin. Die häufig in Büchern zu findende Deutung, die Schlacht von Clontarf sei die Entscheidungsschlacht der Iren gegen die Wikinger gewesen, wird heute von vielen Historikern angezweifelt: Während Brian Boru von den Limericker Wikingern unterstützt wurde, standen aufseiten des Gegners, der Dubliner Wikinger, die irischen Krieger Leinsters. Dublin sollte auch nach der Schlacht noch bis zum Jahr 1052 unabhängig von jeglicher Fürstenherrschaft bleiben.

Die Anglo-Normannen – der Beginn der britischen Kolonialisierung Irlands?

Es begann als lokalpolitische Affäre im mittelalterlichen Irland: Diarmait Mac Murchada, König von Leinster (die Provinz an der Ostküste), wurde 1166 von einem Widersacher von seinem Thron vertrieben. Dieses Ereignis wäre vermutlich längst in Vergessenheit geraten, wenn Mac Murchada nicht nach England gegangen wäre, um Verbündete anzuwerben. Dort stellten schon seit hundert Jahren Normannen die Oberschicht. Unter Wilhelm dem Eroberer hatten sie 1066 England und später auch Teile von Wales erobert. Die Normannen waren Nachfahren von Wikingern und hatten in der Normandie die französische Sprache angenommen. Französisch war nach wie vor die Sprache des anglo-normannischen Adels in England, als Diarmait Mac Murchada dort König Heinrich II. (Englisch: Henry II.) um Hilfe bat. Der lehnte ab, gestattete es dem Iren jedoch, unter seinen Gefolgsleuten um Unterstützung zu werben. In Wales war er erfolgreich und gewann den anglo-normannischen Adligen Richard Fitz Gilbert de Clare, der wegen seines Geschicks im Bogenschießen auch Strongbow genannt wurde, für seine Ziele. Mac Murchada versprach ihm für militärische Hilfe seine Tochter Aífe und die Thronfolge. Strongbow willigte ein und landete 1170 mit einer Armee bei Waterford in Irland. Er eroberte Leinster, kämpfte an der Seite Diarmaits bis zu dessen Tod im Jahre 1171 und wurde daraufhin dessen Nachfolger.

Heinrich II. wurde nun auf die Ereignisse in Irland aufmerksam und befürchtete, dass ihm mit Strongbow auf der Nachbarinsel ein machtvoller Konkurrent heranwachsen könnte. Um seine Interessen zu sichern, kam er im Oktober 1171 mit einer Armee nach Irland. Die Machtdemonstration zeigte unmittelbaren Erfolg: Strongbow erkannte Heinrich II. als Herrscher Irlands an, ebenso unterwarfen sich ihm viele einheimische Könige und Fürsten. So wurde der englische König auch der „Lord of Ireland“ bzw. das Oberhaupt über die irischen Fürsten.

Man darf sich Irland in dieser Situation allerdings nicht als einheitlichen Staat mit Zentralgewalt vorstellen: Die Fürsten bekämpften sich weiterhin untereinander. Es gab nun anglo-normannische Machthaber sowie zu einem größeren Teil irischstämmige Fürsten. Letztere bezeichneten sich zur Unterscheidung von anderen Gruppen in Irland als „Gälen“ (von irisch gael, ausgesprochen etwa „geel“).

Die anglo-normannischen Fürsten sprachen Französisch, deren Gefolgsleute jedoch vor allem Englisch. Die Mehrheit der Bevölkerung, auch die unter anglo-normannischer Herrschaft, sprach aber Irisch. Lediglich in den Städten setzte sich als Hauptsprache auch Englisch durch – zumindest für einige Jahrhunderte. Die anglo-normannischen Fürsten regierten vor allem in Ost- und Zentralirland. Sie waren militärisch überlegen, etwa durch ihre Eisenhemden und Kettenpanzer, durch ihre Bogenschützen oder wegen der Trutzburgen, die sie in Irland bauten. Bis zum Jahr 1250 brachten sie drei Viertel des Landes unter ihre Kontrolle.

Etwa ein Jahrhundert nach der anglo-normannischen Eroberung der Insel entstand das Parlament Irlands. Es stellte ein Forum für die gegenüber dem Lord of Ireland (also dem englischen König) loyalen Fürsten und Geistlichen dar. Die erste Sitzung fand im Jahr 1263 in Castledermot in der heutigen Grafschaft Kildare statt, einige Monate vor der ersten Versammlung des englischen Parlaments. Das erste irische Parlament existierte bis 1800 und seine Sitzungen wurden an verschiedenen Orten abgehalten. Allerdings setzte sich schon bald Dublin als Hauptsitz durch.

Ab dem 14. Jahrhundert ging der politische Einfluss der Anglo-Normannen in Irland immer weiter zurück, die Kräfte Englands waren nun in Wales, Schottland und Frankreich gebunden. Die Anglo-Normannen wurden zudem mit der Zeit nach und nach gälisiert und unterschieden sich kaum noch von den anderen irischen Fürsten: Sie sprachen nun Irisch, trugen die gleiche Kleidung wie die gälischen Adligen und förderten gälische Musiker und Barden. Der englische Autor Francis Plowden schrieb im Jahre 1803 auf Latein, die Anglo-Normannen seien „Hiberniores Hibernis ipsis“gewesen, was übersetzt heißt „irischer als die Iren selbst“.

Heute noch häufige Nachnamen normannischen Ursprungs sind zum Beispiel Fitzgerald, Fitzpatrick, Walshe oder de Burgh. Der direkte englische Einfluss in Irland schrumpfte bis Mitte des 15. Jh. auf ein kleines Gebiet, das von Dublin bis Dundalk reichte und mit einem Erdwall gesichert wurde. Der Wall wie auch das Territorium wurden als Pale bezeichnet.

Machtfaktor Religion (ca. 1530–1800)

Vor allem im Sommer kommt es in Nordirland heute gelegentlich zu Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten, meist entfacht durch Paraden, in denen eines erlittenen Unrechts oder eines Sieges vergangener Zeiten gedacht wird. Religion spielt dabei allerdings höchstens eine untergeordnete Rolle. In den letzten fünf Jahrhunderten hat sich in Irland ein komplexes Netz bestehend aus Konfession, sozialem Status und nationaler Identität entwickelt, das auch im 21. Jahrhundert schwer zu entwirren ist.

Die von oben verordnete Reformation

Nachdem Papst Clemens VII. nicht gewillt gewesen war, dem englischen König Heinrich VIII. (Englisch: Henry VIII.) eine Annulierung seiner Ehe zu gewähren, ließ sich dieser 1534 anstelle des Papstes zum Oberhaupt der Kirche in England erklären. Die englische Staatskirche war geboren und wurde nach Heinrichs Tod vor allem durch seine Tochter Elisabeth zur von der katholischen Kirche deutlich unterscheidbaren anglikanischen Kirche ausgebaut. Durch diesen Schritt war das Land nun diplomatisch isoliert. Vor allem wohl aus Sorge, die Nachbarinsel Irland könnte eine Basis für Angriffe katholischer Länder auf England werden, nahm sich Heinrich VIII. vor, Irland auch jenseits der als Pale bezeichneten Region (s. S. 31) unter englische Kontrolle zu bringen. 1536 ließ er sich deshalb zum Oberhaupt der Kirche in Irland erklären und 1541 verlieh das irische Parlament Heinrich den Titel „König von Irland“. Bis dahin galt der englische König als Lord of Ireland. Dies hatte nicht den gleichen hohen Status wie der Königstitel. Die gälischen wie auch die normannischstämmigen irischen Adligen lehnten es allerdings ab, jemand anderen als den Papst als Oberhaupt der Kirche anzuerkennen. Sie galten deshalb als nicht loyal gegenüber der Krone und nur bedingt für Aufgaben in der auszubauenden inselweiten Verwaltung geeignet. Engländer übernahmen deshalb mehr und mehr Ämter und Schlüsselpositionen in Irland. Vor allem für zweitgeborene Söhne aus englischen Adelshäusern, die beim Erbe gegenüber ihren erstgeborenen Brüdern leer ausgingen, war die Ausweitung der englischen Kontrolle über Irland eine gute Gelegenheit, an eigene Ländereien zu kommen. So entstand neben der alten katholischen eine neue anglikanische Oberschicht, die in der ersten Generation vor allem aus Engländern und einzelnen zur Staatskirche übergetretenen irischen Adligen bestand. Dies war ein allmählicher Prozess und Heinrichs Tochter Elisabeth I., die den Thron 1558 bestieg, führte die Politik ihres Vaters fort. Anders als in England und Wales blieb die Bevölkerung Irlands jedoch katholisch, was die Beziehungen zwischen Großbritannien und Irland in den nächsten Jahrhunderten entscheidend prägen sollte. Elisabeth I. gelang es jedoch, Irland politisch und militärisch endgültig in den Einflussbereich der englischen Krone zu bringen: Bis 1585 gewann sie die Oberhand in den Provinzen Leinster, Munster und Connacht. Nur im Norden, in der Provinz Ulster, war ihr noch nicht der gleiche Erfolg beschert.

Plantation – die protestantische Besiedlung Ulsters

1595 schlossen sich unter der Führung des gälischen Fürsten Hugh O’Neillrebellische Adlige in Ulster gegen die englische Krone zusammen. Sie gingen, wie zur Bestätigung der schlimmsten englischen Befürchtungen, ein Bündnis mit dem katholischen Spanien ein. Als die Truppen O’Neills 1601 nach Kinsale an der Südküste Irlands zogen, um zu den dort eingetroffenen spanischen Truppen zu stoßen, wurden sie von englischen Einheiten besiegt. 1603 gelang es England endgültig, Ulster zu unterwerfen. Zwar durften die Fürsten bleiben und auch ihren Besitz behalten, sie mussten sich aber dem König – seit Elisabeths Tod 1603 Jakob I. (Englisch: James I.) – unterwerfen. Unwillig sich mit der neuen Ordnung in Irland abzufinden, verließen O’Neill und andere nordirische Adlige mit ihren Gefolgsleuten 1607 bei Nacht und Nebel Irland und gingen ins freiwillige Exil nach Italien. Jakob I., der auch König Schottlands war, nutzte die Gelegenheit, um weite Teile der nörlichen Provinz von Protestanten besiedeln zu lassen: Wenn die Iren nicht zu Protestanten werden wollten, so mussten eben Protestanten nach Irland gebracht werden. Das Land der nordirischen Fürsten wurde beschlagnahmt und Unternehmern aus England und Schottland übergeben, die die Aufgabe hatten, es mit Protestanten zu bevölkern. Die einheimische katholische Bevölkerung sollte umgesiedelt werden. Im Jahre 1609 begann die Plantation (Verpflanzung), wie man das Projekt nannte. Es konnten Siedler aus England und vor allem aus Schottland angeworben werden, jedoch nicht in so großer Zahl, dass man überall auf die Arbeitskraft der einheimischen Bevölkerung verzichten konnte. Zwar wurden viele Katholiken vertrieben, andere hingegen konnten bleiben. Für sie änderte sich einfach der Gutsherr.

Durch die protestantische Besiedlung Ulsters veränderte sich der Charakter des Nordens grundlegend. Anders als im restlichen Irland war hier nicht nur die Oberschicht protestantisch. Allerdings bekam die anglikanische Staatskirche bald Konkurrenz: Der auf den Schweizer Reformer Calvin zurückgehende Presbyterianismus schwappte im späten 17. Jahrhundert aus Schottland herüber und wurde zur größten protestantischen Glaubensrichtung Nordirlands. Nicht-anglikanische Protestanten wurden von der englischen Regierung jedoch wie Katholiken mit Misstrauen beäugt, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß. Dies beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit: Viele irische Presbyterianer standen ihrerseits der Londoner Regierung kritisch gegenüber und hegten etwa im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg Sympathien für die amerikanischen Rebellen. Auch wirtschaftlich verlief die Entwicklung des Nordens anders als im übrigen Land: Französische Hugenotten, die Ende des 17. Jahrhunderts vor religiöser Verfolgung aus dem katholischen Frankreich flohen, brachten die Technik des Damastwebens nach Ulster und legten den Grundstein für eine frühe Textilindustrie. Im 19. Jahrhundert wurde Belfast zu einem der Zentren der industriellen Revolution im Vereinigten Königreich, während das restliche Irland weiterhin von Landwirtschaft geprägt war.

Das Zusammenleben zwischen Katholiken und Protestanten war nicht immer und überall in Ulster konfliktreich. Davon zeugen etwa Familiennamen, die über die Konfessionsgrenzen hinweg vorkommen. Allerdings bestehen diese Konfessionsgrenzen in der nordirischen Gesellschaft bis heute.

„In die Hölle oder nach Connacht“

Remember 1641 („Erinnere dich an 1641“) – Diesen Slogan sieht man noch heute gelegentlich an Häuserwänden in protestantischen Arbeitervierteln in Nordirland. Er erinnert an Massaker gegen Protestanten, die sich während eines Aufstandes katholischer Adliger ereigneten. Viele wurden erschossen, andere ihrer Kleider entledigt und weggejagt. Aus der Stadt Portadown wurde berichtet, dass etwa 80 Männer, Frauen und Kinder von einer Brücke in einen Fluss geworfen wurden. Diejenigen, die nicht ertranken, wurden von den Aufständischen erschossen oder erschlagen. Der Historiker Nicholas Canny schätzt, dass etwa 2000 Menschen infolge dieser Übergriffe ums Leben kamen. Als der englische König Karl I. (Englisch: Charles I.) von den Massakern hörte, wollte er Truppen zur Verteidigung der Protestanten schicken. Dafür benötigte er jedoch die Zustimmung des englischen Parlaments. Die Beziehung zwischen dem Monarchen und dem Parlament war jedoch zu dieser Zeit sehr gespannt und so verweigerte es ihm den Truppeneinsatz – nicht zuletzt wegen der Befürchtung, dass Karl das Heer gegen das Parlament selbst einsetzen könnte. Das schlechte Verhältnis eskalierte in England zu einem Krieg zwischen Krone und Parlament.

Die katholischen Aufständischen in Irland nutzten die Situation und erklärten, sie kämpften für den König, ohne sich allerdings dessen Zustimmung zu versichern. Unter dem Namen Confederate Catholics of Ireland („Konföderierte Katholiken Irlands“) – dem Zusammenschluss gehörten nun auch Fürsten normannischer Herkunft und sogar einige königstreue Protestanten aus der neuen englischstämmigen Elite an – brachten sie weite Teile der Insel unter ihre Kontrolle. Da in England Bürgerkrieg herrschte, wurde ihnen für mehrere Jahre nur wenig Widerstand entgegengesetzt.

1649 besiegten die Truppen des englischen Parlaments das königliche Heer, Karl I. wurde öffentlich hingerichtet und England wurde zur Republik. Oliver Cromwell, der Befehlshaber der Parlamentsarmee, richtete nun seine Aufmerksamkeit auf Irland und zog mit einer 20.000 Mann starken Armee auf die Nachbarinsel. Sein Ziel war nicht nur, die Kontrolle über die Insel wiederzuerlangen, sondern auch, Vergeltung für die dort verübten Gewalttaten gegen Protestanten zu üben. Cromwells Truppen stießen schnell vor und brachten innerhalb weniger Jahre ganz Irland unter ihre Herrschaft.

Nun gab es Stimmen, die sämtliche katholischen Gutsherren aus Irland vertreiben wollten, weil von ihnen aus Sicht vieler Protestanten jederzeit eine Verschwörung ausgehen konnte. Da eine Vertreibung so nicht praktikabel war, wurde das Land derer, die an der Rebellion beteiligt waren, ohne Entschädigung enteignet. Auch alle anderen katholischen Landbesitzer mussten ihren Grund und Boden aufgeben, sie erhielten dafür minderwertiges Land westlich des Flusses Shannon, in der Provinz Connacht und in der Grafschaft Clare.

„To hell or to Connacht“ – „In die Hölle oder nach Connacht“ soll Cromwells Reaktion auf jeglichen Protest gewesen sein – ein Ausspruch, der in der nationalistischen irischen Geschichtsschreibung oft zitiert wird. Das durch die Enteignungen frei gewordene Land wurde den Soldaten Cromwells und den Finanziers des militärischen Einsatzes übergeben. Entlang des Shannon wurden Soldaten angesiedelt, durch die eine Art Pufferzone zwischen dem Gebiet in katholischem Besitz und der restlichen Insel entstand.

Cromwell unternahm einen erneuten Versuch, die katholische Bevölkerung zum Protestantismus zu bekehren. Da er jedoch auch in der anglikanischen Staatskirche Irlands unbeliebte Veränderungen einführte, wurden seine Anstrengungen nur sehr bedingt vom anglikanischen Klerus unterstützt. Stattdessen kamen Missionare aus England, die weder mit der irischen Sprache noch mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut waren. So hatte auch diese protestantische Missionierung wenig Erfolg.

Als Cromwell 1658 starb, setzte man die Monarchie in England wieder ein und der Sohn des hingerichteten Königs, Karl II., wurde 1660 gekrönt. Die enteigneten und auch die nach Connacht verbannten katholischen Gutsherren hofften, nun wieder in den Besitz ihres Landes zu kommen – größtenteils vergeblich. Da Karl II. nicht den Zorn der irischen Protestanten auf sich ziehen wollte, tastete er CromwellsLandumverteilung nur sehr unwesentlich an. Der Katholizismus wurde aber nun wieder weitgehend toleriert.

Jakob II. gegen Wilhelm von Oranien – der Krieg der Könige

Irlands katholischer Adel war in heller Aufregung, als im Februar 1685 in London Jakob II. (Englisch: James II.), der Bruder des verstorbenen Karl II., zum König gekrönt wurde. Was war das Besondere an Jakob? Er war 16 Jahre vorher zum Katholizismus konvertiert. In Irlands katholischer Landbesitzerklasse erwachte erneut die Hoffnung, ihr werde das von Cromwell enteignete Land zurückgegeben und sie könne wieder die Rolle einnehmen, die sie vor der Reformation auf der Insel innegehabt hatte.

Diese Erwartung schien sich zunächst zu bestätigen: Der neue Stellvertreter des englischen Königs in Irland, Richard Talbot, war selbst ein irischer Katholik normannischer Herkunft. Unter ihm wurden wieder Katholiken in öffentliche Ämter eingesetzt, eine katholische Armee wurde gebildet und im Parlament in Dublin sollten zukünftig vorwiegend Katholiken sitzen.

Weniger erfreut über den katholischen König war das englische Parlament. Nach dem Bürgerkrieg mit neuem Selbstbewusstsein ausgestattet, wollte es nicht hinnehmen, dass ein Katholik Herrscher Englands war. Es bot daher Jakobs protestantischem Schwiegersohn, dem Niederländer Wilhelm von Oranien, die Krone an.

Wilhelm nahm nach einigem Zögern die Einladung an und marschierte 1688 mit niederländischen Truppen in England ein. Sofort schlugen sich englische Adlige und protestantische Offiziere der englischen Armee auf die Seite des Niederländers. Diese Ereignisse werden als „Glorreiche Revolution“ bezeichnet. Das Parlament erklärte Wilhelm und dessen Frau Mary, die protestantische Tochter Jakobs, zu König und Königin. Jakob floh nach Frankreich und versuchte nun, über das loyale Irland seinen englischen Thron wiederzuerlangen. Als königliche, katholische Truppen in Irland mobilisiert wurden, erkannten einige vorwiegend protestantische Stadtherren im Norden, vor allem in Derry und Enniskillen, die Autorität Jakobs