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Beschreibung

Reisen Essen Schreiben. Das Essen und das Reisen regt viele Schriftsteller und Schriftstellerinnen zum Schreiben an, auch die Mitglieder der Hamburger Autorenvereinigung. 32 von ihnen präsentieren ihre Texte in dieser Anthologie: Ananya Azad, Jörgen Bracker, Monika Buttler, Ginny von Bülow, Wolf-Ulrich Cropp, Marlis David, Hanna Dunkel, Dagmar Fohl, Joachim Frank, Uwe Friesel, , Jutta Haar, Sybille Hoffmann, Winfried Korf, Hans Krech, Gino Leineweber, Nikola Anne Mehlhorn, Elisabeth Meltzer-Geissler, Karsten Meyer, Thomas Morgenstern, Sven j. Olsson, Ralf Plenz, Cornelia Putzbach, Birgit Rabisch, Heidrun Schaller, Maren Schönfeld, Dalia Staponkute, Rüdiger Stüwe, Arno Surminski, Antje Thietz-Bartram, Charlotte Ueckert, Sabine Witt und Anna Würth.

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Seitenzahl: 221

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Sabine Witt (Hrsg.)

Reisen Essen Schreiben

Eine Anthologie von Mitgliedern der

Hamburger Autorenvereinigung

Verlag Expeditionen

In Memoriam

Günter Kunert

Table of Contents

Title Page

In Memoriam

Vorwort

Ananya Azad

Dagmar Fohl

Joachim Frank

Wolf-Ulrich Cropp

Dalia Staponkutė

Arno Surminski

Gino Leineweber

Sibylle Hoffmann

Karsten Meyer

Uwe Friesel

Charlotte Ueckert

Anna Würth

Antje Thietz-Bartram

Hans Krech

Sven j. Olsson

Monika Buttler

Sabine Witt

Maren Schönfeld

Ralf Plenz

Thomas B. Morgenstern

Heidrun Schaller

G. G. von Bülow

Cornelia Putzbach

Birgit Rabisch

Nikola Anne Mehlhorn

Jörgen Bracker

Jutta Haar

Hanna Dunkel

Rüdiger Stüwe

Maren Schönfeld

Winfried Korf

Rüdiger Stüwe

Marlis David

Biografische Angaben

Impressum

Vorwort

Reisen Essen Schreiben. Zu diesem Buchtitel wurden wir inspiriert vom Filmtitel Eat Pray Love, den Gino Leineweber in seinem Text über Neapel erwähnt. Genauer kann man nicht auf den Punkt bringen, was die Texte in dieser Anthologie, an der 31 Autoren und Autorinnen der Hamburger Autorenvereinigung mitgewirkt haben, vereint: In vielen geht es um Kulinarisches, in anderen (auch) um Reisen in die Welt hinaus – sei es nach Italien oder Beijing, nach Schweden und Afghanistan – und auch nach Masuren und Hiddensee – die Bandbreite ist groß. Und immer spielt natürlich das, unser, Schreiben, eine große Rolle. Und die Begegnung mit Sprache und Literatur, so mit Rilke.

Das Kochen gehört zu den ältesten und wichtigsten kulturellen Errungenschaften der Menschheit. Und durch die jeweils unterschiedlichen Esskulturen unterscheiden, ja definieren sich viele Länder. Essen ist natürlich auch ein wichtiger Teil unseres täglichen Lebens, und gemeinsames Essen fördert die Gemeinschaft.

All dies spiegelt sich in vielen Texten der vorliegenden Anthologie. Mahlzeiten, die uns bekannt sind, aber auch fremd, die Emotionen erwecken, fantastisch schmecken oder auch eklig, wie zum Beispiel ein Bericht über ein zu verzehrendes Rinderauge anschaulich schildert, oder traurig wie in der anrührenden Geschichte über einen hungrigen Schuhputzer. Essen ist auch ein wichtiger Teil unserer Erinnerungskultur. Bestimmt entsinnen auch Sie sich an eine besondere Mahlzeit. Die so gut war, dass sie unvergessen bleibt. Oder in einer außergewöhnlichen Situation eingenommen wurde und sich dadurch auf immer und ewig ins Gedächtnis eingebrannt hat. Kommt Ihnen genau jetzt etwas in den Sinn? Ganz sicher. So erging es auch vielen unserer Autoren und Autorinnen, die uns deshalb in dieser Anthologie an unvergessenen Essen teilhaben lassen.

Auch Hamburg ist wiederkehrendes Thema in dieser Anthologie: der Hamburger Dom mit Bratwurst, sauren Gurken und Zuckerwatte, die Reeperbahn, der Hamburg-Altonaer Spritzenplatz, eine Rolltreppe am Bahnhof, Kartoffelsalat und Würstchen. Kriminell geht es ebenfalls zu, auf einer Kreuzfahrt. Und nachdenklich stimmend, wenn es um das Leiden der Tiere geht. Und traurig, z. B. in einem Bericht über ein Heim. Auch gesellschaftspolitische Themen fanden somit Einlass in unsere Anthologie.

„Millionen Träume geistern entfesselt durch Straßen“, „Welches Curry braucht die Haut?“, „Im Angebot heute Currywurst/Pommes - Willi hinterm Tresen legt seine Zigarette in den Aschenbecher“ sind wunderbare Gedichtzeilen, die zeigen, wie ausdrucksstark und vielfältig die Lyrik ist, die in der vorliegenden Anthologie vertreten ist.

Lassen Sie sich also faszinieren von der immensen Bandbreite der Literatur, die sich in der Hamburger Autorenvereinigung bündelt.

Allen Beteiligten gilt mein herzlichster Dank!

Dieses Buch ist unserem Ehrenmitglied Günter Kunert gewidmet, dem großartigen Schriftsteller, der kurz vor dem Erscheinen dieser Anthologie mit 90 Jahren verstarb. Wir werden ihn immer in guter Erinnerung behalten.

Hamburg, im Oktober 2019

Sabine Witt, Vorsitzende der

Hamburger Autorenvereinigung

Ananya Azad

Dynamik der Esskultur

Aus dem Englischen Gino Leineweber

Der bekannte Anthropologe und Soziologe Claude Lévi-Strauss (1908-2009) hat das Essen als eine Art Sprache beschrieben, die dem Menschen auszudrücken hilft, wie er grundsätzlich Realität wahrnimmt. Lévi-Strauss hat erkannt, dass nicht nur jede Kultur ihre eigene gesprochene Sprache hat, sondern es auch keine Kultur gibt, die nicht auf die eine oder andere Weise ihr Essen kocht.

Tiere ernähren sich instinktiv mit dem, was sie als essbar einordnen. Menschen tun das nicht. Einst wagten sie sich über die Jagd und das Sammeln hinaus und organisierten Zivilisationen, die sich die Beschaffung und Verteilung von Lebensmitteln erleichterten. Das bedeutet, dass das Land und die Ressourcen, die der Mensch schon früh erforscht hat, nicht nur vorgegeben haben, wie er leben kann, sondern auch, was er isst, wie er seine Speisen zubereitet und wie er sie verzehrt. Die Gründung des Gewürzhandels und der Seidenstraße sind zwei Beispiele für die großen Anstrengungen, die viele unternommen haben, um begehrte Zutaten zu erhalten.

Nahrung ist wichtig für unsere Ernährung, hat aber auch eine notwendige kulturelle und symbolische Bedeutung. Wenn wir von einem Land zum anderen reisen, können wir leicht den Unterschied zwischen den Essgewohnheiten erkennen. Manchmal ergibt sich der Unterschied schon zwischen Regionen. Um das zu bemerken, muss man nicht unbedingt in ein anderes Land reisen. Es reicht manches Mal schon, in die nächste Stadt zu fahren. Wir können das kulturelle Erbe unseres Essens bewahren, aber auch mehr über andere Kulturen erfahren, indem wir ihre Speisen kennenlernen. Dabei können wir uns daran erinnern, dass jedes Gericht seinen besonderen Platz in der Kultur hat, zu der es gehört, und dass es etwas Besonderes für diejenigen ist, die es zubereiten. Essen ist das Tor zu einer Kultur.

Kultur ist etwas Unverwechselbares und Regionales und wird oft als Gegenteil der Globalisierung romantisiert. Sie bezieht sich häufig auf Traditionen und Gewohnheiten, darauf, bestimmte Wege zu gehen und Dinge zu tun, deren Wurzeln in der Vergangenheit liegen. Aber sie ist weder stationär noch bewegungslos oder konstant. Sie verändert sich und kann mit einem Fluss verglichen werden, der im Laufe der Zeit seine Richtung ändert.

Jede Kultur auf dieser Erde hat einen Wandel durchlaufen. Die Anthropologie hat Kultur als grenzenlos, umkämpft und mit Machtverhältnissen verbunden betrachtet. Als Produkt historischer Einflüsse und nicht als evolutionäre Veränderung. Innerhalb einer Kultur verändern sich auch die Essgewohnheiten. Was von anderen Kulturen eingebracht wird, ist immer auch das Essen und schafft damit neue Variationen. Daraus entsteht letztlich die Esskultur eines Landes.

Essen ist eine großartige Möglichkeit, an das kulturelle Erbe heranzuführen. Nahrungsmittel haben ihr eigenes Geheimnis und ihre eigene Geschichte. Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund essen unterschiedliche Gerichte. Die Zutaten, die Zubereitungsmethoden, die Konservierungstechniken und die Art, wie Lebensmittel zu verschiedenen Mahlzeiten gereicht werden, variieren. Noch immer unterscheiden sich die Gewürze, die zur Zubereitung eines Essens verwendet werden, von Land zu Land. Zum Beispiel sind Rosmarin und Thymian in Europa beliebt, aber im Süden Asiens nicht. Andererseits sind Kreuzkümmel und Kurkuma dort nicht wegzudenken, während die Europäer sie nur selten verwenden.

Ein weiteres Beispiel ist, dass chinesische, japanische und vietnamesische Speisen verschiedene Arten von Sojasauce, Reisessig und ähnlichem enthalten, während sie in anderen asiatischen oder europäischen Gerichten eher nicht vorkommen. Die Bereiche, in denen eine Familie lebt und aus denen ihre Vorfahren stammen, beeinflussen das Essen, das ihnen gefällt oder nicht gefällt. Und Einwanderer verwenden daher oft Speisen, die aus dieser Historie stammen, als Mittel, ihre kulturelle Identität zu bewahren.

Esskultur ist geprägt durch Praktiken, Einstellungen und Überzeugungen sowie durch die Netzwerke und Institutionen, die sich mit der Produktion, Verteilung und dem Konsum von Lebensmitteln befassen. Sie beinhaltet das grundlegende Verständnis über die Gerichte und die historische und aktuelle Beziehung dazu und damit die Art und Weise, wie eine Gemeinschaft ihr Essen verwendet, um Identität, Gemeinschaftswerte, Status, Macht, Kunstfertigkeit und Kreativität auszudrücken. Das zeigt sich gut am Beispiel von Kartoffeln und Reis. In Ländern, in denen Kartoffeln Grundnahrungsmittel sind, wie beispielsweise in Russland, Weißrussland oder der Ukraine, ist der Anbau der Kartoffel und der Handel damit natürlich groß. In diesen Ländern ist die lokale Küche größtenteils kartoffelbasiert. Dagegen werden beispielsweise in China, Indien, Bangladesch so gut wie kaum Kartoffeln verwendet. Diese Länder kennen Reis als Grundnahrungsmittel. Ihre Küche ist daher reisbasiert. Ein Mensch, der aus einem Land kommt, in dem Reis das Hauptnahrungsmittel ist, wird sich in einem fremden Land mit einer Küche, in der viel Reis verwendet wird, immer wohler fühlen als dort, wo es überwiegend Kartoffelgerichte gibt.

Doch die unterschiedlichen Nahrungsmittel fördern in allen Esskulturen auch Vielfalt und Kreativität. Es gibt viele verschiedene und kreative Möglichkeiten, Kartoffeln zuzubereiten, wie überbackene Kartoffeln, Bratkartoffeln, Kartoffelmus, frittierte Kartoffeln und so weiter. Ebenso ist es mit dem Reis. Wir kennen beispielsweise gedämpften Reis, klebrigen Reis, gelben Reis oder Milchreis. Aber die Menschen kreieren auch immer neue Gerichte mit fremden Nahrungsmitteln, z. B. mit ausländischen Gewürzen. Sie übernehmen fremde Rezepte und verbinden sie mit einer lokalen Note oder fügen lokalen Gerichten eine fremde Note hinzu, um etwas Außergewöhnliches zu erschaffen. Allerdings führt diese Vielfalt manchmal nicht zu günstigen Ergebnissen für die Allgemeinheit.

Lebensmittel spielen in den meisten Kulturen eine wichtige Rolle im Leben der Familien. Der Grad der Bedeutung variiert jedoch von Kultur zu Kultur.

Darüber hinaus unterscheidet sich auch die Etikette der Familien je nach Land oder Region. Zum Beispiel steht in den USA bei den meisten Familienaktivitäten und Zeremonien das Essen im Mittelpunkt, während in anderen Ländern Feste und Aktivitäten stattfinden, bei denen auch gegessen wird, das Essen aber nicht die zentrale Bedeutung hat. In einigen Kulturen wird die Essenszeit genutzt, um sich zu unterhalten. Bei anderen ist eine Konversation eher unüblich, und in einigen gelten Gespräche während der Mahlzeiten als unhöflich.

Die Menge an Lebensmitteln, die Menschen ungegessen zurücklassen, ist ebenfalls von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich. In den Ländern des Mittleren Ostens und Südostasiens deutet eine kleine Menge zurückgelassener Nahrung darauf hin, dass der Hunger gestillt ist. In anderen Teilen der Welt wird es eher als Zeichen dafür verstanden, dass einem Gast das Essen nicht geschmeckt hat. Ein leerer Teller kann also entweder Zufriedenheit mit der Mahlzeit bedeuten oder den Wunsch nach mehr Essen. Lebensmittel selbst haben unterschiedliche Bedeutungen: In vielen westlichen Ländern ist eine Tafel Schokolade oder eine Flasche Wein ein geeignetes Geschenk. Ein Kohlkopf oder Karotten andererseits wohl nicht. In anderen Ländern sind Schokolade und Wein als Mitbringsel weniger geeignet. Hier wäre frisches Gemüse besser. Wir wachsen mit den Lebensmitteln aus unserer Kultur auf. Sie werden zu einem Teil unserer Identität.

Viele von uns verbinden Essen aus ihrer Kindheit mit warmen Gefühlen und guten Erinnerungen. Aber Kulturen haben auch unterschiedliche Arten und Gewohnheiten, die mit der Nahrungsaufnahme zu tun haben.

Im Süden Asiens ist man gewohnt, mit den Fingern zu essen. Amerikaner und Europäer bevorzugen Messer, Gabel und Löffel und Chinesen, Japaner, Koreaner und Vietnamesen Essstäbchen.

Die Methode einer Kultur kann jedoch in einer anderen Kultur unverständlich sein oder, wie beispielsweise das Essen mit den Fingern, als unkultiviert gelten. Wie das Essen von Sushi mit der Hand oder einem Löffel in Japan. In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass Rülpsen während oder nach dem Essen früher in Europa üblich war und heute verpönt ist, während es außerhalb von Asien und Europa heute noch als ziemlich zivilisiert angesehen wird.

Fisch als Nahrungsmittel hat die Esskultur erheblich bereichert. Die Ernährungsweise einer Bevölkerung war und ist geprägt davon, wie viel Fisch zur Verfügung steht und wie viel davon Salz- oder Süßwasserfisch ist. Bangladesch beispielsweise ist ein Land, das von vielen Flüssen durchzogen und vom Meer umgeben ist – dem Golf von Bengalen. Infolgedessen sind in diesem Land sowohl Süßwasser- als auch Meeresfische verfügbar, was zu einer Esskultur geführt hat, in der täglich Fisch gegessen wird.

Mehr als 400 Fischarten gibt es innerhalb der Grenzen von Bangladesch, und die Menschen haben viele Möglichkeiten der Zubereitung entwickelt. Hauptsächlich werden sie als Fischcurry mit verschiedenen Gewürzen gegessen. Bei besonderen Anlässen, aber auch bei privaten Besuchen, ist es Tradition, verschiedene Arten von Fischen zu servieren. Während einer Trauungszeremonie ist das Verschenken von großen Fischen an die Schwiegereltern eine Ehrerweisung und Teil der Kultur. Diese Sitte gibt es auch bei Hochzeiten in hinduistischen Gesellschaften, wobei dort ein bestimmter Fisch, Puti, als Geschenk überreicht wird. Es ist in diesen Kulturen, in denen unzählige Flüsse und Seen existieren, üblich, bei Besuchen verschiedene Arten von Fischen mitzubringen. In den Ländern ohne viele Wasserflächen bildet Fisch hingegen keinen bedeutenden Bestandteil der Essenskultur.

Das Essen dort basiert entweder ausschließlich auf Fleisch oder auf pflanzlichen Nahrungsmitteln. In den Ländern mit unterschiedlichen Jahreszeiten ändert sich die Küche saisonal. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist Indien. Es ist ein Land mit einem bemerkenswerten Reichtum an abwechslungsreichen Lebensmitteln. Eines der geheimnisvollsten und schönsten, aber auch widersprüchlichsten Länder der Welt. Ein riesiges Gebiet mit mehreren Provinzen, und jede Provinz hat ihre eigene Sprache, Kultur, ihre eigenen Lebensmittel und Bräuche.

Aufgrund dieser Variationen der Esskultur verwendet man in Indien viele verschiedene Gewürzarten, wie Koriander, Kurkuma, Kardamom, Curry, Zimt, Ingwer, Senf, Alkanet, Fenchel, Lorbeer, Nelken, Bockshornklee oder Gewürzmischungen wie beispielsweise Garam Masala. Sie alle regen den Geschmack an – und der Duft des Essens ist betörend.

Die Kombination dieser Gewürze mit den zur Verfügung stehenden Lebensmitteln schafft quasi eigene Sorten, wie beispielsweise bei Reis: Chapati, Nan, Iriyani, Tandoori-Huhn, Chutneys, Dal (eine Art Suppe mit Linsen), Palakpanir, Dosa und, nicht zu vergessen, verschiedene köstliche Süßigkeiten wie Kalo Marmelade, Rosogolla, Mango Lassi und so weiter. Außerdem gibt viele verschiedene Arten von Gemüse und Obst zu essen, die in Europa selten zu finden sind. Einige Beispiele beim Gemüse sind Kalebasse, Wachskürbis, Bittermelone, Flaschenkürbis, Aschekürbis, weißer Kürbis, Opo-Kürbis, Malabar-Spinat, um nur einige zu nennen. Bei Früchten sind es beispielsweise Mango, Jakobsfrucht, Sternfrucht, Camachile, Langsat, Mangostan, indischer Schweinepulm, Zuckerpulm, Sorbetbeeren.

Viele Europäer sind, wenn sie zum ersten Mal nach Indien reisen, entweder sofort von dem Land fasziniert oder schlicht überfordert. Die Esskultur Indiens aber könnte jeden verführen, dorthin zu reisen. Ihre Variation hat auch eine Besonderheit hervorgebracht: die Kultur, statt vom Teller vom Bananenblatt zu essen. Es mag für Außenstehende etwas lächerlich klingen, aber die Menschen in Indien praktizieren dies und sind sicherlich stolz auf diese Tradition.

Als 1947 der Subkontinent in Indien und Pakistan aufgeteilt wurde, kostete das viele Opfer. Tote und Obdachlose waren zu beklagen. Die Menschen waren gezwungen, sich entsprechend ihrer Religion über Grenzen hinweg niederzulassen. Muslime emigrierten nach Pakistan und Hindus nach Indien. Was ist mit der damaligen Esskultur passiert? Dasselbe wie immer bei Immigrationen: Die Menschen bringen die Gerichte ihrer Heimat mit. Sie zuzubereiten und zu essen, bewahrt ihnen ihre Kultur.

Die Familienmahlzeiten können als ein Symbol des Stolzes auf ihre Ethnie angesehen werden und als eine Möglichkeit, das Heimweh zu kompensieren. Viele Einwanderer eröffnen Restaurants und servieren traditionelle Gerichte. Die Nahrung bleibt jedoch nicht exakt gleich. Das kann sie auch nicht sein, wenn einige Bestandteile in der neuen Umgebung nicht verfügbar sind. Dann muss man sie weglassen und/oder etwas Ähnliches verwenden, das dort verfügbar ist. In jedem Fall unterscheiden sich Geschmack und Aroma von dem, was die Menschen in ihrem Heimatland zubereitet haben. Auch nach vielen Jahren gibt es immer noch zahlreiche Familien, deren Großeltern sie mit Rezepten aus der Heimat versorgen, um Kultur und Traditionen am Leben zu erhalten.

Aber die Einwanderer ändern auch originale Gerichte, um ein breiteres Kundenspektrum zu erreichen. Sie tun dies, weil sie die Speisen nicht an Menschen aus ihren Ländern, sondern an Fremde verkaufen. Diese Änderungen an den Originalgerichten können neue Geschmacksrichtungen hervorbringen, die die kulturelle Bedeutung des Gerichts aber durchaus bewahren können. So vermischte sich nach 1947 in einigen Regionen von Indien und Pakistan die Esskultur. Infolgedessen sind heute eine große Anzahl von Lebensmitteln wie Biriyani, Aluporota, Butter-Nonne, Butter-Hähnchen, Gefängnis-Kebab, Tehari und viele andere in Indien, Pakistan, Bangladesch und anderen Ländern weit verbreitet.

Die Gewürze, das Herstellungsverfahren, die Konservierungstechnik sind überall ähnlich. Ein weiteres gutes Beispiel ist die Migration der Türken nach Deutschland. Türkische Einwanderer kommen seit den 1920-er Jahren nach Deutschland. Seitdem bringen sie ihre ursprünglichen Lebensmittel und Geschmacksrichtungen mit. Döner-Kebab ist der unangefochtene Sieger. Er ist so beliebt geworden, dass der Umsatz in Deutschland jährlich mehr als 3,5 Milliarden Euro beträgt.

Das Essen hat auch einen großen Einfluss auf die religiöse Kultur. Der Philosoph und Anthropologe Ludwig Feuerbach (1804-1872) hat in einer Rezension von Moleschotts Lehre der Nahrungsmittel für das Volk das Wortspiel gebraucht: „Der Mensch ist, was er isst.“ Er argumentiert: „(...) angesichts der Untrennbarkeit von Psyche und Körper müssen wir besser essen, um besser zu denken“. Weil die Nahrung die Schöpfung und die menschliche Kultur ermöglicht hat und sie seit Jahrtausenden ihr Schicksal mit den Praktiken verschiedener Religionen und insbesondere mit den wichtigsten Teilen, dem Opfer und dem Göttermahl, verknüpft hat.

Die Verbindung zwischen Nahrung und Religion ist oft recht komplex: In vielen Religionen werden bestimmte Lebensmittel als Opfergabe für Gott angesehen.

Andere Lebensmittel sind aus religiösen Gründen verboten. Juden z. B. ist es nach dem alten Verständnis ihrer Religion u. a. untersagt, Schweinefleisch zu essen, weil diese Tiere als schmutzig und ihre körperlichen Eigenschaften als abnormal gelten. Auch bei den Muslimen wird es als unheilig angesehen, Fleisch von Schweinen zu essen. Dagegen verbieten Hindus den Verzehr von Rindfleisch – allerdings, weil ihnen die Tiere heilig sind. Im Buddhismus halten sich die meisten Gläubigen an die Ahimsa, eine Verhaltensregel der Gewaltlosigkeit, die das Töten von Lebewesen untersagt. Im frühen Christentum wurden Milch und Milchprodukte zu einigen Zeiten des Jahres vermieden. Dort sind Wein und Brot die bekannteste und heiligste Nahrung. Im Islam gelten Datteln als heilig und werden oft gegessen. Hindus kochen häufig Essen mit Ghee (einem butterbasierten Fett), um damit Götter anzubeten. Im Judentum gilt Sufganiyah (ein rundes Teiggebäck mit Konfitürenfüllung) als heilig und wird an Hannukka gegessen, während im Taoismus Knödel und Nudeln als heilig angesehen werden. Sie sollen Reichtum beziehungsweise Langlebigkeit symbolisieren. Die Geschichte, die Nahrung und Religion verbindet, ist keineswegs neu. Schon die alten Ägypter beteten Zwiebeln an, begruben sie mit ihren Pharaonen und präsentierten Körbe voll davon als Beerdigungsopfer.

Aber der Nahrungsmittelkonsum ist nicht hauptsächlich auf die religiöse Praxis zurückzuführen, sondern eher auf eine kulturelle. Was in einigen Teilen der Welt als essbar oder sogar als Delikatesse gilt, wird in anderen als ungenießbar angesehen. In den meisten westlichen Ländern werden Hunde und Katzen als Haustiere gehalten. Doch in Ländern wie China, Vietnam, Ghana, Tonga ist Hundefleisch eine Delikatesse. Die Chinesen essen es seit Jahrtausenden und sprechen ihm medizinische Eigenschaften zu.

Katzen sind in China, Nordvietnam und Peru gefährdet: Sie könnten im Kochtopf landen. Und Pferde werden von alters her gegessen. Ihr Fleisch ist im Westen erst vor kurzer Zeit in Ungnade gefallen, wird in unterschiedlichem Maße vor allem in England, Frankreich und Amerika aber noch konsumiert. In Japan wird Fisch roh als Sashimi serviert. Die Haifischflossensuppe ist seit Jahrhunderten ein beliebtes chinesisches Gericht und wird am häufigsten als Delikatesse bei Hochzeiten und Banketten serviert. Der Verzehr von Rhinozeroshorn ist in asiatischen Ländern üblich, weil ihm nachgesagt wird, vom Fieber bis zum Schlangenbiss alles zu heilen. Mahlzeiten mit Fledermaus- oder Rattenfleisch sind eher ungewöhnlich, aber in Teilen Indonesiens eine Delikatesse. Insekten zum Abendessen sind in ländlichen Gebieten Südostasiens und Afrikas verbreitet. Löwe, Giraffe, Affe, Elefant, Pavian, Gorilla, Antilope werden zusammenfassend als „Buschfleisch“ bezeichnet. Diese Wildtiere werden oft auf afrikanischen Märkten zum Verkauf angeboten.

Egal wo auch immer man sich in der Welt aufhält: Man muss essen. Und die eigene Esskultur hat sich höchstwahrscheinlich aus genau diesem Bedürfnis entwickelt.

Aber wie sehr die Menschen die Essenstradition als konstantes und zeitlos betrachten mögen, verändert sich auch sie, wie jeder andere Aspekt der Kultur. Nahrung befriedigt nämlich nicht nur die Bedürfnisse des Körpers. Auch ohne äußeren Einfluss essen und kochen Generationen immer etwas anderes als die vorherigen Generationen. Die Esskultur ist deshalb ein Medium, das um Familien, Religionsgemeinschaften und ethnische Grenzen ein Bewusstsein für Geschichte aufbaut und sich mit ihnen verändert.

Dagmar Fohl

Beijing

Ich sitze auf einem ausgeleierten Autositz. Durch das offene Fenster dringen unbekannte, stickige, muffige Gerüche. Sie mischen sich mit den Ausdünstungen der Plastikpolster. Mir wird übel. Alles ist von einer gelblichen Dunstglocke überzogen. Der Taxifahrer überholt, hupt ausdauernd, überholt waghalsig. Der Sicherheitsgurt klemmt. Ich klopfe gegen die Plastikscheibe. Der Fahrer beachtet mich nicht, verfolgt stoisch seinen Kurs. Mir wird heiß. Ich möchte aussteigen. Aber wo? Autos, Busse, Millionen von Fahrrädern fahren kreuz und quer, vermengen sich, bilden Haufen, entwirren sich wieder. Es hupt, klingelt, klingelt, trötet, trötet, hupt, quietscht, bremst.

Im Hotelzimmer vibrieren die Fensterscheiben. Draußen Verkehrsgeräusche, Baulärm und eine metallisch quäkende Stimme. Eine Busschaffnerin ruft durch ein Megafon. Kängschongschengfong. Kängschongschengfong.

Gegenüber ein Hochhaus im Bau.

Kadommkadommkadommkadomm.

Drrrrrrrrrrrt.Drrrrrrrrrrrt. Drrrrrrrrrrrrrrrt.

Rottodottarottodottarottodotta.

Iiiiiiiiietsch. Rönjönjönnnnn. Rönjönjönnnnnnnn. Uuuuuuuuuuuut. Uuuuuuuuuuuut.

Ich verlasse das Hotel. Werde einen schmalen Gehweg entlang geschoben, tauche in der Menschenmasse unter. Süß-saure Düfte steigen auf. Große, dampfende, zischende Woks stehen auf Feuer speienden Blechtonnen. Dahinter Köche mit riesigen Kellen. Öldünste, Staub, Auspuffgase. Eine klebrig zähe Masse wabert durch die Straßen. Ich ringe nach Luft, habe einen pelzigen Film auf der Zunge. Ich huste, huste. Klopfe den Staub aus der Kleidung. Auf den Fahrrädern Frauengesichter mit Netzen verhüllt. Hände in weiße Handschuhe gesteckt. Reisigbesen wirbeln noch mehr Staub auf.

Rote Mützen und Schürzen machen Gemeinschaftsgymnastik. Berge von Kartons auf Fahrradgepäckträgern. Altpapier- und Plastiksammler. Kochmützen mit polternden Gemüsekarren. Geschäfte und Werkstätten. Hämmern, Klopfen, Geklapper und Geplapper. Verkehrslärm. Baulärm. Kadommkadommkadomm. Iiiiiiiiitsch. Rottodottarottodotta.

Ich stolpere. Scheppern. Ein Auspuff. Dort, ein Mann im Pyjama. Etagenbetten und Friseurstühle. Mitten auf dem Gehsteig. Baugerüste aus Bambus. Hosen, Jacken, Hemden, Laken, Enten trocknen. Bambusstangen. Bambusstühlchen. Wäsche. Enten. Bambus. Wäsche. Enten.

Ich will die Straße überqueren. Gehe vor. Zurück. Schiebe mich mit dem Menschenpulk in die Autoschlange. Drüben Labyrinthe aus Hosenknöpfen, Unterhosen, Wasserpfeifen, Tabakdosen, Gemüse, Früchten, Kleidern, Tüchern, Taschen, Tieren, Tieren, Tieren. Tiergeruch, Kot und Todesangst. Blutende zerrupfte Hühner in überfüllten Käfigen. Hüpfende Ochsenfrösche unter Netzen. Reis-Aale übereinander geschichtet in Plastikschüsseln. Arbeitshände plätschern in Wannen, klopfen auf Käfige. Zahnlückenmünder johlen und feilschen. Alles vermischt sich, überlagert sich. Händlergeschrei, Gestank, Tiergekreisch. Ich fliehe. Komme nicht voran. Rempele durch die überfüllten Gassen.

Ich fliehe. Unter die Stadt. Ameisenhaftes Hin- und Hergerenne. Menschentrauben vor Fahrkartenautomaten, Bahnsteigsperren, Waggontüren. Blecherne Geigenklänge über Lautsprecheransagen. Scharrende Rolltreppen, trippelnde Beine, Handyklingeln und Stimmengebrabbel. Ameisenhaftes Hin- und Hergerenne. Menschentrauben vor Fahrkartenautomaten, Bahnsteigsperren, Waggontüren. Ich werde zurückgedrängt. Will in die Bahn. Will weiter. Will in die Bahn. Dränge mich vor, pirsche voran, rempele, zwänge mich ins Abteil. An meiner Brust eine Nase. Klebe im Menschenklumpen. Will wieder hinaus. Presse zum Ausgang, stolpere die Kaufhaustreppe hoch, werde in die Einkaufspassage geschoben.

Über mir flimmernde Firmenschilder, Comic-Figuren, blinkende Weihnachtsmänner, Leinwände, Werbespots. Unter mir Speichelqualster. Megafone quäken Sonderangebote. Popmusik plärrt. Baustellen. Kadommkadommkadomm. Prrrt. Gegege. Prrrrt. Gegege. Ich bin eingekeilt. Rolle als Welle über Bürgersteige und Kaufhäuser. Die Einkaufsbahn bimmelt. Schwarzhändler. Swatch, Rolex, Rado. Swatch, Rolex, Rado.

Ich fliehe. Unter die Stadt. Ameisenhaftes Hin- und Hergerenne. Blecherne Geigenklänge über Lautsprecheransagen. Scharrende Rolltreppen, trippelnde Beine, Handyklingeln und Stimmengebrabbel. Menschentrauben vor Fahrkartenautomaten, Bahnsteigsperren, Waggontüren. Ich werde zurückgedrängt. Will in die Bahn. Will in die Bahn. Dränge mich vor, pirsche voran, rempele, quetsche mich ins Abteil. An meiner Brust eine Nase. Klebe im Menschenklumpen.

Menschen. Menschen. Auch im Park. Schlangen, Trauben, Haufen. Haufen. Menschen. Menschen. Sitzend. Stehend. Gehend. Tanzend. Essend. Lesend. Singend. Spielend. Gettoblaster. Gettoblaster. Tango, Rumba, Cha-Cha-Cha. Chöre singen. Megafone. Kinderfeste. Käfigvögel. Zwitschern. Zwitschern. Zwitschern. Zwitschern. Sänger singen Pekingopern. Gettoblaster. Gettoblaster. Tango, Rumba, Cha-Cha-Cha, Chöre, Kinder, Käfigvögel.

Fliehe. Fliehe. Himmlischer Frieden. Maomao. Marschmusik. Maomao. Rote Fahnen. Fähnchen, Käppis, Köpfe, Körper. Maomao. Marschmusik. Fähnchen, Käppis, Köpfe, Körper. Fähnchen, Käppis, Köpfe, Körper. Maomao. Maomao. Rote Fahnen. Fliehe. Fliehe. Kaiserstadt.

Hallen, Tore, Ochsenblut. Fähnchen, Käppis, Köpfe, Körper. Rempeln, Puffen, Drängeln, Stolpern. Fliehe. Fliehe. Zu den Göttern.

Klingeln, Klötern, Räuchern, Qualmen. Feuerstellen. Räucherstäbchen. Kinder spielen. Menschen lachen. Tempeldächer. Hochhausfronten. Autostraßen. Presslufthammer. Tempeldächer. Mischmaschinen. Tempeldächer. Takatakatakataka. Prrrrrt. Gegege. Prrrrt. Gegege. Tempeldächer. Souvenirs. Vier Yuan, acht Yuan, zwanzig Yuan, fünfzig Yuan. Betglöckchen, Räucherstäbchen, Schriftrollen, Anstecknadeln. Götter, Götter, Himmelskaiser. Buddhas, Buddhas. Thermoskannen. Picknick. Picknick. Glocken klingeln. „Jingle, jingle, jingle Bells“. Mönche murmeln. Fotoklick. Beten Sutren. Fotoklick. Klopfen Holz. Klick. Klacken. Klick. Murmeln. Klick. Klacken, klopfen, beten. Klick. Murmeln, klacken. Klick. Klick. Klick.

Ich fliehe, aber wohin?

Joachim Frank

Churrasco am Orinoco

Zwei Tage vor der Exkursion zum Urwaldcamp von Canaima durchstreifen Britt und Jonas zufrieden die schwüle und von der Hitze träge Ciudad Bolívar, jene alte Stadt, die wegen ihrer Lage an der Flussenge lange Santo Tomé de la Angostura geheißen hatte. Später wurde sie umbenannt nach Simón Bolívar, dem Nationalhelden nicht nur Venezuelas, der hier nach seiner Niederlage die Truppen neu formiert hatte und wo man ihn Jahre später zum Präsidenten von Groß-Kolumbien erklärte.

Heute ist die Stadt geprägt durch den majestätisch dahinfließenden Orinoco und die an ihm entlanglaufende Uferstraße, Paseo genannt. Auch von den verfallenen und beständig weiter verfallenden Häusern im spanischen Kolonialstil, deren marode Balkone mühsam noch von rostenden Säulen gestützt werden. Langsam bewegt sich hier jedermann, nur die Fischer am Flussufer vollführen schnelle, kraftvolle Bewegungen beim Auswerfen der Netze.

Britt und Jonas schleichen den kleinen Hügel zur Kathedrale bergan und werden dort mit einem fantastischen Ausblick auf Stadt und Fluss für ihre Mühen belohnt. Da sie noch Studenten sind, haben sie viel mehr Zeit als Geld, und so muss das kleine Budget gut eingeteilt werden, damit sie ihre Rucksäcke noch ein gutes Stück weiter den Kontinent – vielleicht bis Peru und sogar Bolivien – hinuntertragen können. Aber die Stimmung hier oben ist wunderbar, die Luft ist mild, und so hat Jonas kurz entschlossen eine Flasche billigen chilenischen Rotwein gekauft, von dem sich beide in dem schnell hereinbrechenden Abenddunkel ein paar Schlucke schmecken lassen. Und weil es gerade jetzt und hier so wunderschön ist, fragt Britt ein bisschen zaghaft: „Wollen wir uns heute nicht mal so ein richtig gutes Abendessen gönnen?“

Jonas verwaltet die Reisekasse und sein Zögern deutet Britt schon als Ablehnung. Gerade will sie ihren Vorschlag mit dem Argument unterstützen, dass dafür im Urwald bestimmt keine Gelegenheit mehr sein werde, als Jonas auch schon ganz überraschend einwilligt: „Hast du eine Idee, wo?“, lässt auch er sich nur zu gern von der Vorstellung eines leckeren, abendlichen Menüs verlocken.

„Im Mirador!“

Das ist ein direkt am Orinoco gelegener, runder Pavillon, von dem Britt in ihrem Reiseführer gelesen hat: „Ist ganz toll beschrieben!“, und schon stellen sich beide vor, wie sie entspannt unter dem Baldachin des Mirador mit Blick auf den Fluss sitzen werden, wie sich die bunten Lichter im kräuselnden Wasser spiegeln, nur ein leises Plätschern zu hören ist, wie eine aufmerksame, charmante Bedienung ihnen höflich die umfangreiche Speisekarte vorlegt, die Britt vielfältige Exotik und Jonas ein riesiges, saftiges und zartes Steak verspricht. Er träumt schon von einem kühlen Bier zu seinem Churrasco, ihr würde ein Glas samtener Rotwein trefflich munden.

Tatsächlich sitzen sie wenig später im Mirador, aber die Wirklichkeit unterscheidet sich von ihren Hoffnungen und Vorstellungen gewaltig: Man hat ihnen Plätze an einem weißen Resopal-Tisch zugewiesen, auf dem keine Tischdecke die Oberfläche ziert, sondern gleißendes Neonlicht derart stark reflektiert, dass die Augen schmerzen. Lange dauert es, bis sich eine Bedienung gelangweilt an ihren Tisch bequemt. Die schmierige Speisekarte bietet nur eine bescheidene Auswahl. Kaum haben sie gewählt und die Bestellung aufgegeben, fängt auch schon eine Gruppe von Musikanten letzter Güte mit einer schaurigen Darbietung an. Defekte und übersteuerte Lautsprecher steigern die Kakofonie bis über die Grenze des Erträglichen hinaus. Jede Unterhaltung ist dabei ausgeschlossen.