- Release - (Tales of Ascendreya - Buch 2) - Steven Grass - E-Book

- Release - (Tales of Ascendreya - Buch 2) E-Book

Steven Grass

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Beschreibung

Zwei Jahre sind seit der - Beta - von Ascendreya vergangen, doch nun ist es endlich soweit. Der Release von Ascendreya steht an und Charly erlebt die Eröffnungszeremonie live vor dem Fernseher. Nur vor dem Fernseher und nicht im Spiel? Ja, denn leider hat er immer noch nicht das Geld für seine eigene Kapsel zusammen. Doch Charly gibt nicht auf! Als er sich als GameMaster bei Silverdoor Studios bewirbt und dann auch noch angenommen wird, bringt ihn das seinem Traum, endlich wieder in Ascendreya zu sein, ein großes Stück näher und nach wenigen Wochen ist es auch schon soweit. Er kann sich endlich wieder in eine Kapsel legen und die Welt von Ascendreya am eigenen Leib spüren. Doch als er dann endlich wieder im Spiel ist, versteht er die Welt nicht mehr. Das Königreich Uposia leidet unter inneren Unruhen und böse Mächte ziehen im Hintergrund die Strippen. Werden Charly und seine Freunde es schaffen, die Feinde zu entlarven und ihrer gerechten Strafezuzuführen?

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Steven Graß

- Release -

Tales of Ascendreya

Buch 2

Ein LitRPG Roman

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Epilog

Nachwort

Impressum:

Steven Graß

Bommeraner Heide 25

58452 Witten

[email protected]

StevenGrass.de

instagram.com/theRealStiviG_Autor

facebook.com/StevenGrassAutor

Covergestaltung: ©Jenny Graß - Schnubsibu.de

1. Auflage

Deutsche Erstveröffentlichung März 2024

Independently Published

Für Samu, mein Abenteurer

Die Welt liegt dir zu Füßen

- 1 -

Schawumms, die Tür zu meinem Kinderzimmer flog auf und prallte gegen die Wand.

»Charly, aufwachen! Heute ist dein großer Tag. Du willst doch nicht zu spät zu deiner mündlichen Prüfung kommen!«

Meine Mutter knipste das große Licht an. So von wegen zaghaft wecken war nicht ihr's. Aber immerhin war ich dadurch jetzt hellwach. Ich stand quasi schon im Bett... Heute war wirklich mein großer Tag. Nein, nicht mein Geburtstag, aber es war die letzte Prüfung, die ich noch vor mir hatte. Heute musste ich meine mündliche Abiturprüfung in Chemie erledigen. Chemie war zwar eigentlich mein Lieblingsfach, aber dass ich hier die Mündliche mache, hatte ich mir nicht ausgesucht. Das ist nämlich meine zweite mündliche Prüfung, wenn man es genau nehmen möchte. Ich habe die schriftliche Prüfung so was von verkackt und bin mit sage und schreibe einem Punkt von fünfzehn möglichen nach Hause gegangen. Nur einen Punkt zu haben, ist quasi wie nicht abgeben. Den Mitleidspunkt gab es fast schon nur für meinen Namen auf dem Papier…

An dem Prüfungstag vor zwei Monaten ging es mir aber auch nicht gut. Genau an dem Tag davor habe ich mich mit meinem besten Freund Bjarne gestritten. Die neueste Ausgabe des MMO-Ratgeber 2000 kam heraus. Es war wieder eine Sonderausgabe, die ausschließlich für Ascendreya geschrieben wurde. Sie erinnerte mich vom Cover leicht an die erste Ausgabe vor über einem Jahr, als die Beta angekündigt wurde. Wieder war sie ganz in Schwarz gehalten und hatte dieses speziell lackierte Papier, wie in den klassischen Comics. Nur ein einzelnes Wort prangte mitten auf dem Cover.

›Release‹

Und das sagte auch schon alles aus. Jeder, der die Beta verfolgt und sehnsüchtig auf den Release von Ascendreya hingefiebert hatte, wusste, was gemeint war. Silverdoor Studios hat endlich den Tag angekündigt, an dem das Spiel der Spiele Ascendreya endlich auch für die breite Masse verfügbar wird. Warum ich behaupte, dass Ascendreya, das Spiel der Spiele ist? Nun ich habe die Beta selber gespielt und kann mit Fug und Recht behaupten, das war das einzigartigste Erlebnis überhaupt. Man spielt Ascendreya nicht mit Maus und Tastatur am PC oder mit einem Gamepad an einer Konsole. Man benötigt eine spezielle und verdammt teure ›Kapsel‹, mit der man in die vollständige Immersion von Ascendreya eintaucht. Man spielt also nicht nur ein Spiel, sondern man ist mitten drin! Jede Bewegung macht man mit der Kraft seiner Gedanken. Jeder Angriff und jeder Zauber, den man ausführt, kommt einem so vor, als ob man es wirklich auch getan hätte. Ja, selbst Geruch und Geschmack ist implementiert gewesen. Zwar wusste ich zu jeder Zeit, dass ich mich in einem Spiel befand, aber bereits nach wenigen Augenblicken kam es einem unterbewusst nicht mehr so vor.

Als ich das Heft durchgelesen und in Erinnerungen an die tolle Beta-Phase geschwelgt hatte, musste ich einfach Bjarne anrufen. Bjarne hatte damals einen Beta-Zugang über den MMO-Ratgeber gewonnen und mit mir geteilt. Zu meinem Glück, kann man vielleicht sagen, wurde Bjarne in der Zeit von einem Auto angefahren und konnte für einen längeren Zeitraum nicht spielen. Ich wiederum nutzte die Zeit, um das Bestmögliche aus der Beta herauszuholen, und plante gedanklich schon, wie ich am Releaseday starten würde. Leider kam es aber anders, als ich dachte, und ich kann mir bis heute keine eigene Kapsel leisten. Der Releaseday würde also ohne mich stattfinden…

Und genau darum ging es auch in unserem Streit. Je länger ich über das Gespräch nachdachte, desto weniger konnte ich mir erklären, wieso ich das Thema überhaupt angesprochen hatte. Der Drops war ja schließlich schon gelutscht und die Kapsel von Bjarne bereits vor vielen Monaten verkauft worden. Doch die Enttäuschung brodelte noch tief in mir und kam dann irgendwann zum Vorschein. Als ich ihn dann als egoistisches Arschloch betitelte, legte er einfach auf und hat sich seitdem auch nicht mehr bei mir gemeldet. Ich hoffe, dass unsere Freundschaft jetzt nicht wegen eines kleinen Streits auseinanderbricht.

Jedenfalls war ich jetzt dazu verdonnert, noch ein letztes Mal die Schulbank zu drücken und zu beweisen, dass ich in Chemie nicht ganz die Niete war, die meine schriftliche Prüfung angedeutet hat. Aber auch wenn meine Mutter es nicht schaffte, mich liebevoll aus dem Land der Träume zu holen und mich buchstäblich immer aus dem Bett schmiss, so hatte sie jedes Mal mein Brot für die Schule bereits fertig und mir mein Müsli vorbereitet, als ich aus der Dusche gekrochen kam. Ich aß also schnell die Schüssel mit den Crunchy-Honey-Flakes auf, kippte mir einen Kaffee ins Gesicht und schon war ich bereit für die Schule.

***

Aus irgendeinem Grund war ich mega aufgeregt, als ich den Raum betrat, in dem meine Prüfung stattfinden sollte. Der Raum war ruhig und leer, außer den drei Prüfern, die mich erwartungsvoll ansahen. Ich spürte ihre Blicke auf mir ruhen, als ich mich auf den Stuhl vor ihnen setzte.

»Hallo Charly«, sagte Herr Lehmann, mein Chemielehrer. Die beiden anderen Prüfer kannte ich nicht, denn sie waren von einem anderen Gymnasium.

»Hallo«, antworte ich mit zittriger Stimme. Meine Hände ließen mich ebenfalls im Stich und trieften fast vor Angstschweiß. Ich hatte das Gefühl, gleich eine Panikattacke zu bekommen.

»Du brauchst überhaupt nicht aufgeregt zu sein. Ich habe hier deine Prüfungsaufgabe, und ich bin mir ziemlich sicher, dass du das meistern wirst«, sagte mein Lehrer und reichte mir ein A4-Blatt mit fünf Fragen.

»Bitte begib dich jetzt in den Nebenraum und bereite dich entsprechend vor. Frau Weber hier wird dich begleiten. Wenn du Fragen hast, stell sie ihr einfach.«

Ich überflog schnell das Blatt und jubelte innerlich. Es ging um Batterien und Elektrochemie im Allgemeinen. Meine Lieblingsthemen! Herr Lehmann hatte das doch garantiert mit Absicht für mich ausgewählt.

Die ersten Fragen waren leicht und dienten wohl eher dazu, mich aufzuwärmen.

»Erläutern Sie den Aufbau und die Funktionsweise einer galvanischen Zelle, fertigen Sie dazu eine Skizze an und benennen Sie die einzelnen Bestandteile.«

Als Nächstes sollte ich beschreiben, was der Unterschied zwischen einer Alkaline-Batterie und einer Zink-Kohle-Batterie ist, und Frage Nummer drei ging in Richtung Entsorgung und Wiederverwendbarkeit der einzelnen Bestandteile. Ich machte mir meine Notizen und freute mich schon richtig auf meine Präsentation. Doch als ich dann die nächste Frage oder viel mehr Aufgabe las, kam die Nervosität mit vollem Karacho wieder zurück.

»Aus welchen Bestandteilen besteht eine Zink-Luft-Batterie? Stellen Sie eine solche Batterie her und dokumentieren Sie den Vorgang in Wort und Bild. Nachdem die Batterie hergestellt wurde, soll ihre Leistung getestet werden. Entwickeln Sie dazu ein geeignetes Experiment, bei dem die Spannung und Stromstärke der Batterie gemessen werden können. Verwenden Sie dabei eine Filtration, um den Elektrolyten von eventuellen Feststoffpartikeln zu befreien, die während der Herstellung in die Lösung gelangt sein könnten.«

Auf dem Nachbartisch lagen diverse Materialien und Geräte, die ich alle verwenden durfte. Leider war es so viel verschiedenes Zeug, dass ich einfach überfordert war, das Richtige herauszusuchen. Klar, Zink-Luft-Batterien brauchten, wie der Name es schon sagt, etwas aus Zink und Luft. Doch was noch? Ich stand auf dem Schlauch und musste einfach improvisieren.

Ich nahm also ein Kunststoffgefäß, packte da als Trennung von Kathode und Anode eine poröse Plexiglasplatte hinein und dichtete die Löcher mit Filterpapier ab. Die Elektronen sollten da dann durchfließen können. So jedenfalls meine Theorie. Auf der einen Seite kam dann ein Stück Zinkblech als Anode und auf der anderen Seite befestigte ich ein Stück Kohle als Kathode. Da war ich mir eigentlich ziemlich sicher, dass es so gehen müsste. Doch anstatt einfach eine salzige Lösung als Trägerflüssigkeit zu verwenden, kippte ich hochprozentige Salzsäure hinein. Erst sah alles gut aus. Das Zinkblech löste sich wie erwartet auf, doch nicht weil Elektroden jetzt zur Kohle wanderten, sondern weil die Säure alles auffraß. Die dünne Plexiglasplatte folgte als Nächstes und relativ schnell begann auch die Schale, in der alles Schwamm sich aufzulösen. Als ich aufsprang und um Hilfe schrie, blickte auch Frau Weber endlich auf.

»Junge, was zum Teufel? Los, geh weg da!«, schrie sie und suchte nach einem Ausweg. Unter den Reagenzien waren zum Glück auch die Salze, die ich eigentlich hätte nehmen sollen. Sie kippte eine großzügige Menge von Kaliumcarbonat auf die Pampe und brachte uns beide, mit einem gewissen Sicherheitsabstand zum Geschehen, in Sicherheit. Es sei angemerkt und für die Nachwelt festzuhalten, dass man Salzsäure zwar mit Kaliumcarbonat neutralisieren kann, das aber eigentlich nur durch leichte Zugabe erreichen soll. Immerhin wird dabei einiges an Wärme frei und muss entsprechend entweichen können.

Wir konnten hier quasi aus der Poleposition heraus beobachten, wie ein gewöhnlicher Schultisch unter starker Säureeinwirkung zusammen mit einer massiven exothermen Reaktion leidet und schlussendlich Feuer fängt.

»Feuer!«, schrie Frau Weber und schob mich hinaus auf den Flur. Dort griff sie sich den nächsten Feuerlöscher und begann den Tisch zu löschen. Das Geschrei lockte natürlich die anderen beiden Prüfer aus dem Prüfungsraum und als mich Herr Lehmann sah, brach er in Gelächter aus.

»Charly, was hast du getan? Du solltest doch nur eine Batterie bauen und nicht gleich das ganze Klassenzimmer in Brand stecken. Aber ich muss schon sagen, mir ist in meinen über zwanzig Jahren als Chemielehrer noch nie untergekommen, dass ein Schüler es schafft, während seiner Abiturprüfung einen Tisch in Flammen aufgehen zu lassen.

Der Tisch war am Ende schnell gelöscht und auch so gab es keinen richtigen Feueralarm. Die Schule war im Zeitraum der Abi-Prüfungen abgesperrt, und meine Prüfung war die Letzte des Tages. Außer den Prüfern und mir befand sich keiner mehr im Gebäude und von den Prüfern hatte keiner an den Alarmknopf gedacht.

»Was machen wir jetzt?«, fragte Herr Lehmann.

»Sie sind der Lehrer«, antwortete ich mit einem Lächeln im Gesicht. Mein Herz pochte zwar noch wie wild, aber auch ich musste bei der ganzen Situation einfach nur lachen.

»Okay, wir beraten uns eben. Geh bitte solange an die frische Luft. Wir holen dich in wenigen Minuten ab«, sagte Herr Lehmann und begleitete mich hinaus.

Keine zehn Minuten später kamen alle drei Prüfer ebenfalls aus dem Gebäude und meinten, dass die Prüfung aufgrund der Umstände verschoben werden müsse. Zwar war keiner der Dreien bisher in solch einer Situation, aber man wollte keinen Präzedenzfall schaffen. Immerhin sollen Abiturprüfungen ja fair, objektiv und vergleichbar sein. Meine Leistung wäre nun mit Sicherheit anders als vor dem Vorfall.

Am Ende habe ich die Prüfung dann zwei Wochen später erneut abgelegt und mit Bravour bestanden. Es war diesmal auch kein Experiment dabei… Der Gesprächsstoff der nächsten Generationen am Ruhr-Gymnasium in Witten, war ich jetzt allemal.

- 2 -

Ein lautes Knacken ließ mich zusammenzucken und ich blickte auf den noch schwarzen Bildschirm meines Fernsehers.

»Hallo und herzlich willkommen zum MMO-Ratgeber 2000 Livestream. Es ist mir eine Ehre, heute hier vor euch zu stehen und ein Ereignis anzukündigen, auf das wir alle seit Langem und vor allem mit euch zusammen hingefiebert haben. Ich stehe hier in Köln vor der größten Bühne, die der Rhein bisher gesehen hat. Hinter mir, kaum zu übersehen, unser Countdown, der die letzten Minuten herunterzählt, bevor es dann endlich losgeht. Heute ist der Tag der Tage. Heute ist der Releaseday von Ascendreya!«

Die Kamera zoomte frontal auf die herunterzählenden Zahlen zu. Als nur noch 60 Sekunden übrig waren, wurde der Countdown durch das sich drehende Logo von Silverdoor Studios ersetzt, nur um wenige Sekunden später am Rand des Bildschirms wieder aufzutauchen.

Ich lehnte mich in meinem gemütlichen Ohrensessel zurück und starrte wie gebannt auf die tickenden Sekunden. Neben mir stand eine Schüssel mit Popcorn und dazu mein Lieblingseistee. Meine Mutter hat mal wieder wirklich an alles gedacht. Heute sollte Ascendreya endlich live gehen. Der Druck durch die vielen Vorbestellungen war so groß, dass Silverdoor Studios alles daran gesetzt hat, das Spiel bereits heute, am 1. Juni 2033, zu veröffentlichen. Also ganze zwei Monate vor dem in der Beta angekündigten Datum.

Zwar werde ich nicht von Anfang an dabei sein können, da ich erstens mitten in meinen Abiprüfungen stecke und zweitens die geforderten 10.000 Euro für eine der benötigten Immersionskapseln noch nicht zusammenbekommen hatte. Dennoch wollte ich wenigstens bei der Eröffnungszeremonie dabei sein und hautnah den Release mitbekommen. Ich habe sogar versucht, Karten für die Veranstaltung in Köln zu bekommen, doch bereits wenige Sekunden nach der Veröffentlichung waren die Karten auf allen möglichen Verkaufsplattformen bereits ausverkauft und kurze Zeit später für Wucherpreise auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Dass wir heute immer noch nicht in der Lage sind, solchen Ticket-Abzockern Einhalt zu gebieten, ärgerte mich maßlos. Aber so machte ich eben das Beste daraus und genoss die Show, hier bei mir zu Hause. Meine Mutter hat mir extra dafür ihren großen 60-Zoll-Fernseher in mein Zimmer gestellt. Was würde ich nur ohne sie machen…

Der Livestream des MMO-Ratgebers wird moderiert von keiner anderen, als Maud ›Nelliekins‹ Raycel persönlich. Sie ist die Chefredakteurin und Gründerin meines Lieblingsmagazins, und auch wenn sie nicht mehr die Jüngste ist, kann sie dennoch mit allen von uns Nerds locker mithalten. Ich weiß gar nicht mehr genau, seit wann ich den MMO-Ratgeber lese, aber für mich war der Kauf dieses Magazins ein festes Ritual. Immer am ersten Montag des Monats erscheint der MMO-Ratgeber 2000. Die meisten Verkäufe werden zwar digital erzielt, aber für Fans wie mich gibt es immer noch die Printausgabe am örtlichen Kiosk. Und genau die schnappe ich mir auf dem Weg von der Schule nach Hause, um sie dann in meinem gemütlichen Ohrensessel zu lesen…

»Lasst uns gemeinsam herunterzählen!«, unterbrach ihre Stimme meine Gedanken.

»5, 4, 3, 2, 1.«

Das Publikum schrie die Zahlen förmlich und brach in Ekstase aus, als nach der 1, der Bildschirm einfach schwarz wurde und ein kleiner weißer Punkt zu leuchten begann. Der Punkt wurde immer größer und teilte sich dann auf. Aus den zwei Punkten wurden anschließend vier, die immer größer wurden und eine Karte zu formen schienen. Mir kam die Karte direkt bekannt vor. Wir blickten hier auf die Kontinente von Ascendreya. Im Osten war ›Erilia‹ zu sehen, der Kontinent, wo ich in der Beta gespielt habe. Erilia war zwischen dem nördlichen Königreich und den Südlanden aufgeteilt, und beide Regionen lagen im ständigen Krieg miteinander. Im Norden lebten die Orks und die Goblins, und in den Südlanden waren die vereinigten Völker der Menschen, Zwerge und Elfen anzutreffen. Natürlich lebten auch noch andere Rassen in den Südlanden, waren aber lediglich zugewandert und hatten ihre Heimat an anderen Ecken der Welt. Jedenfalls stand es so in der Geschichte zu unserem Kontinent…

Über das nördliche Königreich war bisher noch nicht viel bekannt, daher war ich umso überraschter, als ich den Schriftzug ›Donnerwacht‹ und ›Schattenfels‹ auf der Karte ausmachen konnte. Allgemein verwunderte mich diese Offenheit von Silverdoor Studios ein wenig. Als ich in der Beta gespielt hatte, wurde um die Welt von Ascendreya ein riesengroßes Geheimnis gemacht. Nur den fleißigen Beta-Teilnehmern und dem MMO-Ratgeber war es zu verdanken, dass man bereits eine inoffizielle, interaktive Karte zu allen bekannten Plätzen zur Verfügung hatte. Und obwohl viele Beta-Spieler sich an der Aktion beteiligt hatten, so war die Karte größtenteils noch unerforscht.

Im Westen der Weltkarte formte sich der Kontinent ›Jaehestia‹, welcher laut dem, was ich gelesen hatte, die Heimatgebiete der Minotauren in der großen Wüste im Norden und die der Blutelfen in den dichten Nadelwäldern im Süden beinhalten sollte. Da beide Rassen in der Beta nicht spielbar waren, war hier leider noch gar nichts Genaueres bekannt. Und so sollte es anscheinend auch erst mal bleiben, denn die Karte zeigte nur den Namen des Kontinents und dessen Umrisse. Silverdoor Studios hatte also doch nicht vor uns hier alles zu zeigen, sondern nur das, was wir Spieler eh schon selber herausgefunden hatten. Das machte die beiden Rassen nur umso interessanter für uns eingefleischte Gamer. Selbst die Welt erkunden und einer der Ersten sein, die ihren digitalen Fußabdruck auf einem neuen Kontinent hinterlassen – das ließ mein Herz vor Euphorie direkt höherschlagen. Doch gleichzeitig musste ich mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Denn das alles würde am Ende leider ohne mich passieren. Bis ich die wahnsinnige Summe von 10.000 Euro für die Kapsel beisammen habe, wäre bestimmt schon alles entdeckt worden. Aber ich gab den Gedanken nicht auf. Irgendwo in dieser großen weiten Welt würde ich meinen Charakter verewigen!

Die beiden anderen Kontinente bekamen nicht mal einen Namen geschenkt. Irgendwo müssen ja noch die anderen Rassen ihren Ursprung haben. Früher oder später werden die Infos schon veröffentlicht werden. Die Weltkarte verschwand, so schnell wie sie gekommen war, und das Logo von Ascendreya wurde eingeblendet. Gleichzeitig gingen die Spots an, und der Gründer von Silverdoor Studios, Dave Orily, trat ins Rampenlicht.

»Hallo zusammen und danke, dass ihr heute hier erschienen seid, und hallo auch an alle, die uns über die verschiedenen Livestreams zuschauen. Ohne euch wäre das hier alles nicht möglich gewesen.«

Er zeigte auf die Wand hinter sich und ein Cinematik-Trailer startete. Armeen von Orks und Goblins zogen gegeneinander in den Krieg. Die Kamera flog über das riesige Schlachtfeld und zeigte immer mal wieder Nahaufnahmen der Kämpfer.

Ein ziemlich hässlicher, dunkelgrüner Ork schlug gerade mit seinem rostigen Zweihänder auf einen robusten, alten Zwerg, der wiederum seinen Streithammer hob und damit den Schlag des Orks abfing. Weiter ging es zu einem Menschen und einem Elfen, die Seite an Seite gegen einen Pulk von fünf Goblins ankämpften. Der Mensch hatte zwei Dolche in der Hand und richtete damit ein Blutbad zwischen den vordersten Goblins an. Der Elf schwang zeitgleich seinen aus Eiche bestehenden Zauberstab. Der Stab sah dabei aus wie ein junger Baumspross, der einfach so aus der Erde gesprungen und in die Hand des Elfen gelangt ist - noch mit Wurzel und allem, was dazugehört. Gerade als der Elf mit seinem Zauber fertig war und die Goblins, die nicht vom Menschen bearbeitet wurden, in Flammen aufgingen, schwenkte die Kamera wieder heraus und zeigte das Schlachtfeld von oben.

»Das, was ihr hier seht, ist der Kampf, der in Ascendreya vor über 100 Jahren stattgefunden hat. Es ist die Schlacht an der Grenze zwischen dem nördlichen Königreich und den Südlanden. Dieser Krieg hat neue Bündnisse geschaffen und Beziehungen zwischen Völkern ermöglicht, die das Ascendreya von heute überhaupt erst ausmachen. Das Ascendreya, in das ihr später eintauchen werdet, wurde nicht von unseren Spieldesignern erschaffen und dann Stein für Stein von unseren Entwicklern programmiert. Nein, wir haben lediglich den Startschuss gegeben, wenige Rahmenparameter justiert und dann die Welt sich selbst überlassen. Die Welt von Ascendreya ist bereits über 1.500 Jahre alt und blickt auf eine Geschichte zurück, die für die Bewohner tatsächlich auch genau so stattgefunden hat. Unsere neuartige KI, die alles und jeden kontrolliert, ist sowohl die Mutter als auch die Beschützerin allen Lebens in dieser, ihrer Welt.«

Das musste ich jetzt erst mal sacken lassen. Deshalb war ich froh über die dramaturgische Pause, die Dave uns Zuschauern ließ.

»Jetzt, wo ihr wisst, wie Ascendreya entstanden ist, werdet ihr auch verstehen, wieso wir nicht einfach bei null anfangen können. Ihr wisst, wir haben bereits einige von euch als Alpha- und Beta-Tester in den vergangenen Jahren in die Welt von Ascendreya hineingelassen, und ihr habt bereits mit den NPCs interagiert, Dungeons gemeistert und habt es sogar geschafft, eure Namen in die Geschichte der Welt einfließen lassen. Diese Beta Tests waren notwendig, um die noch die letzten kleinen Fehler auszubügeln und euch das bestmögliche Spielerlebnis zu bieten. Doch auch wenn dadurch einige von euch einen gewissen Vorteil erlangt haben, so werden wir keinen Wipe durchführen. Oder sagen wir mal so, wir können es gar nicht!«, sagte Dave und schrie den letzten Teil förmlich heraus.

Wieder eine Pause und jetzt musste ich erst recht schlucken. Meine Kehle war trocken und ich genehmigte mir einen großen Schluck Eistee, um wieder klar denken zu können. War das jetzt ein Vor- oder ein Nachteil? Wenn ich gewusst hätte, dass es keinen Wipe geben würde, dann hätte ich mit Sicherheit anders gespielt. Ich war mit meinem Karma verdammt tief im Minus, und bis auf meine Freunde und Bekannten in Fernholz, hatten die anderen NPCs mit Abscheu auf mich reagiert. Auf kurz oder lang gesehen bedeutet das, dass ich meinen Charakter definitiv löschen und neu anfangen muss. Eine andere Möglichkeit sah ich derzeit nicht. Und je nachdem, wie lange es noch dauert, bis ich überhaupt in der Lage sein werde, wieder zu spielen, werden alle anderen Spieler bereits weit über mir im Level sein. Oh man, wie ich das alles verfluchte, und auch wenn ich seit Langem nicht mehr auf Bjarne sauer war, weil er seine Kapsel auf dem Schwarzmarkt verkauft hatte, so kam gerade ein Funken dieses Ärgers wieder in mir hoch…

»Aber! Es gibt immer ein ›aber‹, oder?«, Dave zwinkerte dem Publikum zu.

»Damit diejenigen von euch, die heute zum ersten Mal ihren Charakter erstellen und dann hinaus in die Welt treten, nicht im Nachteil gegenüber den erfahrenen Testern sind, haben wir uns etwas Spezielles überlegt. Erstens, die Beta-Teilnehmer dürfen sich erst in zwei Tagen ins Spiel einloggen. Sorry Leute!«

Vereinzelt kamen Buhrufe auf dem Publikum, aber die Mehrheit der Anwesenden jubelte.

»Zweitens hat unsere KI einen kleinen Fehler bei der Berechnung der in der Beta ausgegebenen Belohnungen gemacht. Es sind bereits einige Gegenstände unter den Beta-Teilnehmern vergeben worden, die für den jetzigen Zeitpunkt einfach viel zu stark sind. Daher haben wir zusammen mit der KI dafür gestimmt, diese Gegenstände zu überarbeiten. Diejenigen der Beta-Teilnehmer, die hiervon betroffen sind, werden beim ersten Einloggen eine Nachricht mit allen Veränderungen vorfinden. Leider mussten wir diesen Schritt gehen, da sonst das Gleichgewicht in der Welt bereits von Beginn an stark gestört wäre. Ich hoffe, ihr versteht diesen Schritt und seid trotzdem noch so aufgeregt wie am ersten Tag der Beta.«

Plötzlich ging das Licht aus und Trommelschläge setzen ein.

»Bumm, bumm.«

»Huch, was ist denn jetzt los?«, fragte Dave, mit sichtlich gespielter Überraschung.

Die Leinwand flackerte, und das Bild einer Stadt kam zum Vorschein. Überall an den Gebäuden hingen dunkelrote Flaggen mit einem Stoßzahn oder so was in der Art. Die Trommelschläge kamen definitiv aus dem Inneren der Stadt. Die Kamera flog näher heran und man erkannte verschiedene Lehmhütten, sowie größere, in einem afrikanisch angehauchtem Stil gehaltene Holzhäuser. Überall rannten Orks in den verschiedensten Grüntönen herum. Die meisten von ihnen waren in voller Kampfmontur gekleidet und es sah so aus, als ob man sich auf einen erneuten Krieg vorbereitete. Wenn ich mich an die Beta zurückerinnere, dann gab es immer mal wieder News von Überfällen durch Orks auf Zwergenstädte und Elfensiedlungen. Doch das war von meinem Startpunkt soweit entfernt, dass ich da sonst nichts weiter zu gehört hatte.

»Oje, so wie es aussieht, machen die Orks tatsächlich Ernst und uns steht ein neuer Krieg bevor! Was für ein Glück, dass die vereinigten Völker von Ascendreya ab heute Verstärkung erhalten. Findet ihr nicht auch? Doch wir haben noch etwas Zeit. Diejenigen von euch, die bereits eine Immersionskapsel erworben haben, können in wenigen Stunden loslegen. Wir haben bereits alle Verbindungen überprüft und unsere Techniker melden vollständige Systembereitschaft. Alle anderen, die noch auf die Lieferung der Kapsel warten müssen, sei gesagt, dass wir mit Hochdruck daran arbeiten, eure Kapseln auszuliefern, und bereits weitere Modelle in Produktion haben. Bald kann jeder, der möchte, sich mit Ascendreya verbinden und ein noch nie da gewesenes Spielerlebnis genießen. Und jetzt lasst uns gemeinsam feiern!«

Es folgten noch weitere Beiträge von Gamedesignern und anderen Mitarbeitern von Silverdoor Studios, aber auch Kommentare von Beta-Teilnehmern. Anscheinend ist es nicht so gut angekommen, dass wir hier benachteiligt werden sollten… Auf der einen Seite kann ich die Entscheidung verstehen, den frischen Spielern einen Vorsprung zu geben, auf der anderen Seite reden wir nur über ein paar Tausend Spieler, im Gegensatz zu der gefühlt halben Welt, die sich zeitnah einloggen wird. Ich selbst musste das Gesagte noch einmal sacken lassen und versuchte nicht darüber nachzudenken, was ich mit meinem Charakter machen würde, wenn ich denn endlich auch spielen kann. Für den Augenblick genoss ich einfach den Stream, aß mein Popcorn und bestellte bei meiner Mutter eine zweite Runde Eistee.

- 3 -

Bjarne

5

4

3

2

1

Willkommen in Ascendreya, tretet ein und lasst euch von der Magie und den Abenteuern mitreißen und verzaubern.

»So beginnt es also«, flüsterte Charly mehr zu sich selbst, als dass er mich damit ansprechen wollte.

Kaum war das Echo des Countdowns abgeklungen, da stieg ich schon in die Immersionskapsel, die ich über den MMO-Ratgeber gewonnen hatte. Ich kann es eigentlich immer noch nicht glauben, dass ich jetzt so eine riesige und verdammt teure Kiste in meinem Zimmer stehen habe. Und noch weniger kann ich glauben, dass ich gerade darin Platz nehme, um in die Welt von Ascendreya einzutauchen. Charly und ich haben seit dem der MMO-Ratgeber das erste Mal darüber berichtet hat, kaum noch an etwas anderes gedacht. Klar, wir haben immer noch Abends Gildenkriege 3 gespielt, aber irgendwie war es nicht mehr dasselbe. Silverdoor Studios, die Erfinder und gleichzeitig Publisher von Ascendreya, haben uns ein komplett neues Spielgefühl versprochen. Und mich trennen jetzt nur noch wenige Sekunden, um in diese neue, noch nie da gewesene Technik einzutauchen. Vor lauter Aufregung bekam ich schon eine richtige Gänsehaut.

Gerade als ich mich fragte, was als Nächstes passieren wird, begann sich der Deckel der Kapsel zu schließen. In der Gebrauchsanweisung der Kapsel stand, dass man am besten die Augen schließen sollte, damit man keine Panik bekommt. Natürlich auf Fachchinesisch und mit allen möglichen Warnhinweisen. Insbesondere wenn man an Klaustrophobie leidet, würde das Spiel in der jetzigen Form nichts für einen sein. Doch das Schließen der Augen hatte noch einen weiteren Zweck. Da es keinen Monitor in der Kapsel gab, sondern die Welt direkt in das Bewusstsein des Users projiziert wird, macht es den Übergang viel einfacher, denn das Gehirn muss keine zwei Bilder übereinanderlegen.

Kaum habe ich meine Augen geschlossen, da flackert auch schon ein Text auf. Ich versuchte danach zu greifen, aber der Text bewegte sich einfach mit meinem Kopf mit.

Willkommen, Abenteurer.

Bitte wähle die Rasse, mit der du Ascendreya betreten möchtest…

Der Text verschwand so schnell, wie er gekommen war, und ich fand mich plötzlich vor einem Lagerfeuer wieder.

»Das ist also die Charakterauswahl«, sagte ich und warf flüchtig einen Blick über die versammelten Figuren. Doch so schön die Auswahl auch war, mich interessierten nur die Zwerge, die ganz rechts vom Feuer standen. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie hatte ich bei meiner Recherche das Gefühl, dass ich ausgerechnet einen Zwerg spielen musste. Das Gefühl war nie direkt aufgetaucht und ich hatte auch nicht übermäßig viel über die Zwerge gelesen, aber jedes Mal bekam ich ein leichtes Kribbeln in der Magengegend, wenn ich nur an diese Rasse dachte. Und was solls, dass hier ist schließlich ein Beta-Test. Da ist es doch egal, welche Rasse man zuerst wählt. Nachher kann ich immer noch andere Rassen ausprobieren.

Mit meinem Plan im Kopf, für die nächsten Wochen in die Rolle eines Zwerges zu schlüpfen, ging zielgerichtet auf die beiden zu. Eine Zwergin zu spielen kam für mich dabei nicht infrage. Charly ist derjenige von uns, der immer weibliche Charaktere spielt. Aber das war seine Vorliebe, nicht meine. Ich reichte also dem Zwerg die Hand und ein weiteres Hinweisfenster erschien. Diesmal war ich wenigstens ein bisschen auf die Art und Weise vorbereitet.

Du hast deine Wahl getroffen.

Möchtest du wirklich als Zwerg durch die Länder reisen? Du weißt schon, dass Zwerge lieber in ihren Bergen unterwegs sind, als auf einem Pony durch die Gegend zu reiten? Die Auswahl ist nicht mehr änderbar!

»Ja, ich bin mir sicher!«, rief ich und der Zwerg rückte in meinen Fokus.

Wir standen jetzt auf gleicher Augenhöhe und hatte nun die verschiedenen Optionen, um mein zukünftiges Aussehen anzupassen. Doch ich hatte nicht vor, mit solchen Kleinigkeiten meine kostbare Spielzeit zu verplempern. Der Zwerg sah nicht hässlich aus, und das reichte mir für den Augenblick. Mir gefiel sogar der Iro, also gab ich ihm nur noch meinen Standardnamen und bestätigte die Auswahl mit einem Ja.

Das Lagerfeuer verblasste nun vollständig und es wurde wieder dunkler um mich herum. Doch ehe sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, oder besser gesagt, mein Gehirn sich einbildete, dass es Dunkel ist, konnte ich auch schon wieder die Augen öffnen und befand mich in einem sehr urigen Zimmer wieder. Klar, ich bin ein Zwerg. Wo soll ich also anders sein als in einer Kammer unter Tage? Im Kamin an der Wand knisterten ein paar Holzscheite und die Fackeln an den Wänden gaben wenigstens ein bisschen Licht ab, sodass ich mich umschauen konnte. Nicht weit von meinem Bett oder was auch immer das war, worauf ich lag, befand sich ein Schreibtisch. Hinter dem Schreibtisch war die Tür und weiter war hier nicht viel los. Bei näherer Inspektion des Schreibtischs fiel mir eine Karte nebst einem zusammengefaltetem Papier auf.

Gespannt, wie die Welt von Ascendreya überhaupt aussieht, nahm ich die Karte in die Hand und war augenblicklich enttäuscht. Sie ging direkt kaputt, ohne dass ich überhaupt etwas erkennen konnte. Schade… Bisher waren keine Informationen über die Welt bekannt und da wäre so eine Karte doch genial gewesen.

Kommen wir also zum Zettel. Er war mit einem roten Wachssiegel verschlossen und es stand mein Name drauf. ›Galimmburr‹

Ich zerbrach das Siegel und begann den Brief zu entfalten. Kaum, dass ich anfangen wollte zu lesen, sprach eine Stimme zu mir. Das Lustige war, diese Stimme las mir nicht vor, was in diesem Brief stand, sondern von irgendetwas anderem. Das machte mich natürlich neugierig, und ich verschob das Lesen des Briefes auf später.

»… zuhören. Verhalte dich bitte ganz normal, denn das, was ich dir jetzt sagen werde, ist extrem wichtig! Triff dich mit Gymwyn Brumdrenn in ihrer Amtsstube. Sie gibt dir eine Aufgabe von höchster Dringlichkeit. Doch beachte, dieser Raum darf nur verlassen werden, wenn du komplett allein bist. Keiner darf erfahren, wo du dich befindest oder wie die Festung des Klans der Brumdrenn aussieht. Weder hier, noch in einer anderen Welt. Der Feind lauert hinter jeder Ecke. Wenn du meinen Anweisungen folgst, erwarten dich große Belohnungen!«

Die Stimme sprach ganz leise und irgendwie auch nur in meinem Kopf.

Quest erhalten:

Geheimhaltungsstufe Kobra: Triff dich mit Gymwyn Brumdrenn, ohne dass dich jemand beim Verlassen des Raumes beobachtet. - Belohnung: variabel. - Strafe bei Misserfolg: Rufstatus hasserfüllt beim Klan der Brumdrenn.

Yey, meine erste Quest! Oder sollte ich lieber sagen: ›Verdammt!‹? Was war das für eine komische Stimme, und vor allem, wieso wusste sie von Charly? Das ergibt alles keinen Sinn. Was ich aber in jeden Fall vermeiden möchte, ist im Ruf direkt abzukacken und wer weiß, was noch für Folgen auf mich zukommen, wenn ich hasserfüllt bei dem Zwergenklan bin, der mich anscheinend aufgenommen hat. Also gut, Charly, du bist dran!

Initiiere Log-out Prozess. Bitte warten Sie, bis alle Systeme korrekt heruntergefahren sind. Es könnte sonst zu Schäden an der Hardware kommen.

***

Kaum hatte Charly meine Wohnung verlassen, machte ich sofort wieder auf den Weg in mein Zimmer. Ich musste unbedingt herausfinden, was ich da für eine Quest erhalten hatte und vor allem, wieso Charly nichts davon wissen durfte. Die Stimme war da ziemlich eindeutig gewesen. Die Klamotten, die notwendig waren, um in die Welt von Ascendreya und der vollständigen Immersion einzutauchen, hingen über meinem Stuhl. Ich hätte sie ja anbehalten für die kurze Zeit, die Charly am Zocken war, aber bequem ging anders. Die Hose und das T-Shirt waren aus einem sehr engem Material gefertigt und dementsprechend unbequem. Klar, es muss alles eng am Körper anliegen, damit die Muskelimpulse perfekt übertragen werden konnten und so, aber hätte Silverdoor Studios hier nicht wenigstens etwas Besseres und vor allem Bequemeres entwerfen können? Aber es half alles nichts. Ich wollte, nein, ich musste wieder zurück ins Spiel und dafür nahm ich alles in Kauf.

Starte Verbindung zum Mainframe … erfolgreich.

Initiiere Elektroenzephalografie … erfolgreich.

Starte Welt: 78% … 92% … 100%

Tipp: In Höhlen sollte man immer eine Lichtquelle dabeihaben, oder wenigstens über die Fähigkeit zur Dunkelsicht verfügen.

Ich befand mich immer noch in dem Raum, indem ich mich ausgeloggt hatte, und hielt sogar noch den Zettel in der Hand. Ich überflog ihn schnell und steckte ihn dann in mein Inventar. Oder sagen wir eher, ich versuchte es. Doch an meiner Hose konnte ich keine Taschen erkennen und selbst als ich mir das Menü eines Inventars vorstellte, passierte nichts. Im MMO-Ratgeber hatte ich bereits gelesen, dass man hier im Spiel nur an die Menüs und Funktionen denken musste, um darauf zuzugreifen. Aber entweder war ich zu doof, oder ich hatte hier bereits den ersten Bug entdeckt. Da das hier anscheinend mein Zimmer war, legte ich den Zettel schließlich einfach auf den Tisch zurück und öffnete mein Questinterface. Das sollte doch wohl gehen.

Geheimhaltungsstufe Kobra: Triff dich mit Gymwyn Brumdrenn, ohne dass dich jemand beim Verlassen des Raumes beobachtet. - Belohnung: variabel. - Strafe bei Misserfolg: Rufstatus hasserfüllt beim Klan der Brumdrenn.

Wer auch immer diese Gymwyn war, sie schien eine wichtige Persönlichkeit in diesem Zwergenklan zu sein. Anders konnte ich mir die hohe Strafe beim Misserfolg nicht erklären. Und warum das alles quasi unter höchster Geheimhaltungsstufe erfolgen sollte, war mir auch nicht ganz klar.

Doch bevor ich mich hinaus in die weite Welt und damit hinein ins Abenteuer wagen würde, wollte ich mich erst mal mit der Steuerung vertraut machen. Das Herumlaufen mit dem Charakter fühlte sich einfach nur natürlich an. Ich musste nichts Besonderes tun, außer halt zu laufen. Nur bewegte sich hierbei nicht mein Körper, draußen in der realen Welt, sondern mein Zwerg mit dem Iro auf dem Kopf.

Die Perspektive war etwas gewöhnungsbedürftig, aber das lag bestimmt daran, dass ein Zwerg nun mal ein Zwerg ist, und damit etwas platzsparender gebaut war als mein echter Körper.

Als ich so von einer Wand zur anderen lief und sogar auch ein paar Sprungeinlagen einbaute, um das Gleichgewicht zu testen, wurde ich vom Kamin irgendwie magisch angezogen. Die Wärme, die er ausstrahlte, lies meine Haut richtig kribbeln und ich ging voller Neugierde noch etwas näher heran. Die Flammen züngelten an den frischen Holzscheiten empor und meine Muskeln entspannten sich richtig. Wenn ich nicht eine wichtige Aufgabe gehabt hätte, wäre ich bestimmt noch etwas länger geblieben und hätte das Ambiente genossen. In unserer Wohnung hatten wir keinen Kamin, doch so stellte ich mir richtige Abenteuerromantik vor.

Kurz bevor ich mich auf den Weg in Richtung Questaufgabe machen wollte, entdeckte ich ein Funkeln unter dem Kaminsims. Ich griff danach und zuckte augenblicklich zurück. Das Funkeln kam von einer Münze, welche zwischen den Steinen steckte. Doch die Münze war alles andere als warm. Sie war eiskalt. Ich zog sie heraus und betrachtete sie genauer.

Gegenstand erhalten:

Geheimsiegel der Hakelslag - Dieses Geheimsiegel zeigt das Wappen der Hakelslags. Ein Klan, der auf eine lange Geschichte zurückblickt, aber erst vor Kurzem komplett ausgelöscht wurde. Du bist vielleicht der einzige Überlebende.

Versteckte Quest erhalten:

Wer bin ich? - Finde mehr über deine Vergangenheit heraus. - Belohnung: unbekannt, Strafe bei Misserfolg: keine

Yeah Baby, so macht das doch Spaß. Keine fünf Minuten im Spiel und schon eine versteckte Quest gefunden. Wie dieses Siegel da in den Kamin kam, und vor allem, was das für ein Metall war, musste ich noch herausfinden. Beim Lesen der Questbeschreibung fiel mir der Name Hakelslag ins Auge. Ich meine, auf dem Zettel auch so etwas gelesen zu haben. Ich ging also zurück zum Schreibtisch und las mir den Zettel nun noch einmal aufmerksam durch.

Willkommen, Galimmburr, in der Welt von Ascendreya. Wo dich Magie und Abenteuer erwarten. Wir schreiben das Jahr 194 nach dem Beginn der Zeitrechnung und es herrscht ein erbitterter Krieg zwischen den Stämmen der Orks und Goblins im Norden und den vereinigten Völkern der Südlande. Du warst lange bewusstlos, nachdem du in der großen Schlacht um Burg Hakelslag gekämpft hast und gefallen bist. Deine Vergangenheit hast du vergessen und auch jeder, der dich einmal kannte, ist in der Schlacht gefallen. Du hattest jedoch Glück und hast ein neues Leben geschenkt bekommen. Nutze dies weise und begib dich zum Oberhaupt des Klans der Brumdrenn, welche dich gerettet und gesund gepflegt haben. Sie wird dich vor die Wahl stellen. Wähle weise!

Und da stand es. Ich war in der Schlacht um die Burg Hakelslag gefallen. Im Endeffekt war der Brief eine Umschreibung meiner Quest. Ich nahm an, dass es sich bei Gymwyn um das besagte Oberhaupt handelt. Vielleicht würde ich von ihr mehr zu den Hakelslags erfahren können.

Halt, eine Sache hatte ich vergessen. Ich hatte bisher nicht auf meinen Charakterbildschirm geschaut. Von den vielen Eindrücken berauscht, habe ich doch glatt vergessen, dass das hier ein Computerspiel war und ich bisher noch gar nichts über meinen Charakter wusste.

Galimmburr - Level 1 - kein Pfad gewählt

HP 90 / 90

Mana 25 / 25

Erfahrung 0 / 100

Attribute:

Stärke: 1

Agilität: 1

Geschicklichkeit: 1

Vitalität: 1

Intelligenz: 1

Willenskraft: 1

Glück: 1

Karma: 0

Freie Attributspunkte: 10

Max. Tragkraft: 10 KG

Skills:

keine Skills vorhanden

Bonus:

Bergbau ist nicht leicht - +5 Punkte auf Stärke alle 10 Level

Rassenfähigkeit:

Dunkelsicht (passiv) - Da Zwerge seit jeher unter Tage leben, haben sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Du kannst daher sowohl im Hellen als auch im Dunklen ausgezeichnet sehen.

Wunderbar! Ich konnte also Untertage sehen und musste keine lästige Fackel mitschleppen. Bisher wusste ich überhaupt noch nicht, wie ich meinen Charakter spielen würde. In der Vergangenheit war ich immer der Tank der Gruppe und das war es eigentlich auch, was ich Charly am Anfang versprochen hatte. Doch hier in der Beta würden wir niemals gemeinsam spielen können, und im Moment juckte es mich in den Fingern, einfach etwas anderes auszuprobieren. Nach der Beta kann ich ja immer noch einen Tank spielen… Ich war mir relativ sicher, dass die 10 freien Attributspunkte dafür gedacht waren, die Anfangskonfiguration des Charakters abzubilden. Ich beschloss auf gut Glück einfach je 2 in Agilität und Geschicklichkeit, sowie je 3 in Stärke und Vitalität zu stecken. Damit sollte ich ein solides Grundgerüst haben.

Ich war gerade dabei, meine Hand auf die Türklinke zu legen, als mir die Questbeschreibung wieder in den Sinn kam. Ich sollte doch auf keinen Fall beim Verlassen des Raumes beobachtet werden. Klar, Charly war bereits auf dem Weg nach Hause und konnte mich daher nicht mehr beobachten, und auch mein Vater würde nicht bei mir im Zimmer sein. Er interessierte sich eher für seine täglichen Fußballspiele als für meinen Computer. Aber was war mit den anderen Zwergen? Ich konnte nicht ausschließen, dass auch NPCs oder andere Spieler gemeint waren. Also legte ich mein Ohr an die Tür und lauschte. Ein paar leise Schritte, die sich von der Tür wegbewegten, waren zu hören. Ich wartete, bis sie ganz verstummt waren, und zählte innerlich noch ein paar Sekunden ab, bevor ich die Tür einen Spalt breit öffnete. Da auf dem Flur keine Zwergenseele zu erkennen war, schlich ich vorsichtig hinaus.

Der Flur selbst war ziemlich unspektakulär und dunkel noch dazu. Ich würde ihn auch eher als Gang zu bezeichnen, denn er war nicht aus Ziegel gemauert, sondern direkt in den Fels geschlagen. Ich befand mich also definitiv bereits Untertage… Nicht unüblich für eine Zwergenstadt…

Vereinzelt erhellten Fackeln den Gang und ich sah noch weitere Türen, ganz ähnlich der meinen. Was mir allerdings auffiel, jede Tür hatte eine eigene Nummer. Meine Nummer war die 9. Ich machte mir eine mentale Notiz, immerhin schien das ja mein eigenes Zimmer zu sein und brachte daraufhin schnell ein paar Meter zwischen uns. Dabei blickte ich auf die blinkende Nachricht am unteren Rand meines Sichtfeldes.

Quest aktualisiert:

Triff dich mit Gymwyn Brumdrenn, ohne dabei gesehen zu werden. - Belohnung: variabel.

Tolle Wurst. Im nächsten Schritt würde ich dann wohl mit ihr sprechen müssen, ohne dass sie mich selbst sieht? Verrücktes Spiel… Aber wo es eine Quest gab, da gab es auch immer einen Lösungsweg, um sie zu schaffen. Ich musste mir hier einfach nur extrem viel Mühe geben und diese Gymwyn treffen. Vielleicht konnte sie mir mehr über meine Vergangenheit sagen.

Der Gang war zwar leer, aber dennoch blickte ich mich nervös um, während ich ihn entlang schlich. Die Fackeln waren meine einzige Orientierung, und ich folgte ihrem schwachen Licht, während ich mich weiter in die Tiefe der Burg im Berg wagte. Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir. Wie erstarrt blieb ich stehen und drehte mich langsam um. Ein anderer Zwerg kam den Gang entlang. Noch hatte er mich nicht bemerkt, aber ich wusste, dass ich schnell handeln musste, um nicht entdeckt zu werden. Ich duckte mich in einen Seitengang und hielt den Atem an, während der andere Zwerg an mir vorbeimarschierte. Ich wartete noch ein paar Sekunden, um sicherzustellen, dass er weit genug entfernt war, bevor ich mich wieder in den eigentlichen Gang begab und langsam weiter ging. Nach einigen Metern erreichte ich dann schließlich das Enge des Ganges, der in eine Weggabelung mündete.

Verdammt, jetzt muss ich mich auch noch entscheiden… Aus dem linken Gang hörte ich laute Hammerschläge auf einen Amboss ertönen. Das klang verdächtig nach der örtlichen Schmiede. Zwar wusste ich aus anderen Spielen, dass Zwerge hervoragende Schmiede hervorbrachten und die Schmiede das Heiligste in einer Zwergenstadt war, aber ob sich da auch das Oberhaupt befand, war fraglich. Außerdem war die Chance ziemlich groß, dort auf andere Zwerge zu treffen und entdeckt zu werden. Daher beschloss ich, den anderen Gang zu nehmen, und ging weiter. Langsam aber sicher begann der Gang, sich nach unten zu neigen. Es schien, als ob ich mich dem Herzen der Zwergenburg näherte.

Bald erreichte ich einen großen Raum mit einer massiven Eichenholztür. Vor der Tür standen zwei Wachen, komplett in Plattenrüstung gekleidet und mit einer gewaltigen Doppelaxt in der Hand. Wenn der Eine nicht einen buschigen roten und der andere einen glatten blonden Bart gehabt hätten, würde ich behaupten, es handelt sich um Zwillinge. Doch so sehr ich mich auch freute, vielleicht gleich am Ziel meiner Quest zu sein, so musste ich der Tatsache ins Auge blicken, dass ich an den beiden kaum ungesehen vorbeikommen kann. Resigniert wollte ich gerade auf meinem Versteck hervorkommen, als es hinter der Tür laut schepperte. Beide Wachen schauten sich fragend an und öffneten schnell die Tür. Im Inneren rannte irgendjemand wild umher und trat gegen verschiedene, nicht identifizierbare Utensilien.

»Das war definitiv ein waschechter Wutausbruch«, dachte ich mir.

Doch so sehr ich auch von dem, was da im Inneren vor sich ging, fasziniert war, so musste ich die Situation für mich ausnutzen. Ich flitzte also schnell durch den Vorraum und in den Thronsaal hinein. Beide Wachen standen vor dem Scherbenhaufen und unterhielten sich mit dem Verursacher.

»Meine Königin, geht es euch gut? Wir haben Lärm gehört und sind sofort zu euch geeilt«, sagte der Blonde.

»Ja, natürlich geht es mir gut. Wonach sieht es denn aus? Siehst du hier irgendwelche Attentäter? Dieses verdammte Experiment will einfach nicht gelingen und ich habe gerade einfach nur die Beherrschung verloren«, antworte die Königin.

Sollte meine Suche hier ein Ende haben? Ich versteckte mich schnell hinter der nächstbesten Säule und achtete penibel darauf, dass mich die Wachen beim Hinausgehen nicht sehen würden. Aus meiner Position heraus hatte ich den perfekten Blick auf die Königin und den Thronsaal.

Der Thronsaal war riesig und wurde von einem massiven Thron aus Granit dominiert. Der ganze Raum wirkte einfach nur majestätisch auf mich. Der Boden bestand aus einem glänzenden, polierten Stein gearbeitet, welcher das Licht der Fackeln widerspiegelte. Die Wände waren an einigen Stellen mit Gemälden und Wandtafeln behangen. Doch ich konnte sie mir leider nicht genauer betrachten, denn die Königin schickte gerade die Wachen wieder hinaus. Das war meine Chance. Vorsichtig und sehr langsam schlich ich um die Säule herum und achtete penibel darauf, dass sich immer genug Säule zwischen mir und den Wachen befand. Als die Tür dann endlich geschlossen wurde, räusperte sich hinter mir wer.

»Ähm, wer bist du?«

Ich drehte mich hastig um und verbeugte mich tief.

»Mein Name ist Galimmburr, verehrte Königin«, sagte ich und blieb jedoch genau da, wo ich war. Mein Blick fokussierte die Königin und ein Namensschild ploppte über ihr auf.

Gymwyn Brumdrenn - Zwerg - Oberhaupt des Klans der Brumdrenn - weiblich - Level 44

Bingo!

»Ah, Galimmburr. Auf dich habe ich gewartet. Und so wie es aussieht, hast du deine Quest erfolgreich bestanden. Bitte entschuldige das Chaos«, sagte sie und zeigte auf die zerbrochenen Flaschen und Gläser.

Jetzt aus der Nähe konnte ich erkennen, dass sie vorher auf einem Tisch gestanden und verschiedene Flüssigkeiten beinhaltet haben mussten. Direkt auf dem Tisch stand eine riesige Apparatur aus Glaskolben und Röhrchen, die über komplexe Windungen miteinander verbunden schienen. Unter einem der Glaskolben brannte noch ein Bunsenbrenner. Die Königin war also eine Alchimistin?

»Ich weiß nicht, wieso ich hierher kommen sollte, und ich weiß auch nicht, wieso ich dabei nicht gesehen werden sollte, aber hier bin ich. Wie kann ich euch zu Diensten sein?«, fragte ich und hoffte dabei, meine Quest erfolgreich abschließen zu können. Noch hatte ich keine Benachrichtigung für ein solches Update erhalten.

»Richtig, richtig, nun das, war ein Test deiner Fähigkeiten. Wie du siehst, bin ich gerade dabei, ein sehr heikles Experiment durchzuführen«, sagte sie und zeigte dabei auf den Tisch. »Aber irgendwie fehlen mir noch die richtigen Zutaten… Du musst mir dabei helfen!«

Quest erfolgreich:

Triff dich mit Gymwyn Brumdrenn: Du bist erfolgreich zu Gymwyn Brumdrenn, dem Oberhaupt des Klans der Brumdrenn, gelangt, ohne gesehen zu werden. - Belohnung: 15 Kupfer + 10 XP, sowie die Möglichkeit, die Questreihe fortzuführen.

Was für eine komische Questbelohnung. Ich dachte, das war eine einzigartige Quest. Daher erwartete ich eigentlich auch eine einzigartige Belohnung… Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

»Was soll ich machen, meine Königin?«, fragte ich höflich und wartete auf die nächste Aufgabe.

»Du musst mich nicht so nennen. Ich bin zwar das Klanoberhaupt hier, aber die Regierung bildet der Rat der Zwölf und nicht ich. Das solltest du als Zwerg eigentlich wissen. Aber ich schiebe diese Wissenslücke einmal auf deinen Gedächtnisschwund. Also zurück zu deiner Aufgabe. Ich benötige folgende Zutaten…«

Quest erhalten:

Besorge Alchemiezutaten: Besorge Süßholzwurz, Kaliumerz und Eichenharz für Gymwyn Brumdrenn - Belohnung variabel.

»Du findest die Zutaten im Wald, am anderen Ende der Bergkette. Es wird eine lange Reise, doch ich werde dich fürstlich entlohnen. Deine Fähigkeit, ungesehen von einem Ort zum anderen zu gelangen, wird dir hierbei helfen. Mit den Grizzly ist nicht zu spaßen. Besonders nicht in deinem Level«, sagte sie und verabschiedete mich.

Boah, immer diese variablen Belohnungen… Wie soll ich so planen? Was ist, wenn sich diese ganze Questreihe überhaupt nicht lohnt und ich schneller im Level vorankommen würde, indem ich einfach raus gehe und Mobs kloppe? Aber gut. Geben wir ihr noch mal eine Chance. Die Wachen vor der Tür staunten nicht schlecht, als ich an ihnen vorbeigehen wollte. Doch sie gewannen relativ schnell ihre Fassung wieder zurück und hielten mich auf. Ich durfte erst weitergehen, nachdem ich gründlich ausgefragt wurde, wer ich war, was ich wollte und wie ich es geschafft hatte, an ihnen vorbeizukommen. Als dann alle Fragen zu ihrer Zufriedenheit beantwortet waren, ließen sie mich passieren.

In diesem Augenblick fiel mir ein, dass ich ja gar keine richtige Ausrüstung hatte. Lediglich das Startequipment, bestehend aus einem einfachen Leinenhemd und einer einfachen Leinenhose, zusammen mit einem kleinen Messer. Damit würde ich garantiert keinen Grizzlyangriff überstehen. Vielleicht sollte ich vor dieser Quest noch eine andere Möglichkeit suchen, um Erfahrung zu sammeln? Die Königin hatte schließlich keine Zeit genannt, wann ich wieder zurück sein musste…

- 4 -

Charly

Ascendreya war jetzt bereits zwei Monate live und ich hatte es endlich geschafft, meine Schule komplett hinter mir zu lassen. Wenn der Ausrutscher in Chemie nicht gewesen wäre, hätte ich mit Bestnote abgeschlossen. Aber an sich war die Note auch nicht so wirklich wichtig. Hauptsache, es ist geschafft. Meine Mutter hat mir zu meiner Abifeier nicht nur den Anzug bezahlt, sondern mir auch ein Sparbuch überreicht. Sie hat es bereits bei meiner Geburt angelegt und immer, wenn sie etwas Geld übrig hatte, es darauf eingezahlt.

»Hier, mein Sohn, nutze das Geld als Startschuss in dein neues Leben«, hat sie gesagt.

Ich wusste, dass sie damit einen Führerschein oder Möbel für meine erste eigene Wohnung gemeint hatte, aber ich musste die ganze Zeit an Ascendreya denken. Mit dem Geld und dem, was ich bisher angespart hatte, könnte ich mir zwar immer noch keine eigene Kapsel leisten, aber es würde nicht mehr viel fehlen. Doch so sehr ich auch zurück ins Spiel wollte - mich hat die Sucht bereits fest im Griff - so stark war doch mein Wille, es nicht zu tun. Meine Großeltern haben mich immer gelehrt, sparsam zu sein und mit dem, was man hat, gut auszukommen. Und seien wir mal ehrlich. Ich war jetzt volljährig, hatte mein Abitur in der Tasche und wollte bei meiner Mutter ausziehen. Daher nahm ich das Geld, ging ins örtliche Möbelhaus und richtete mich komplett ein.

Die Wohnung war nicht groß und auch wenn es viel Geld für mich war, ging das meiste für die Küche drauf und ich musste beim Rest gewaltige Abstriche machen. Dafür war sie direkt gegenüber der Uni und wenn ich gewollt hätte, dann hätte ich im Pyjama zur Vorlesung gehen können. Ich war jetzt im ersten Semester und studierte Informatik mit dem Schwerpunkt künstliche Intelligenz und Biotechnologie. Beide Gebiete waren brandneu und sind erst durch Ascendreya entstanden. Die Forschung war zwar noch ganz am Anfang, aber ich hoffte dadurch auf eine bessere Chance, einen Job bei Silverdoor Studios zu ergattern. Gleich nach der Einführungswoche schickte ich meine Videobewerbung ab und wartete gespannt auf das Feedback.

Das Interesse an Ascendreya wuchs rasant und mittlerweile gingen die Spielerzahlen bereits in die Millionen. Daher war es nicht verwunderlich, dass GameMaster - kurz GMs - in Hülle und Fülle gesucht wurden, um die Fragen der Spieler zu beantworten und um das Spiel am Laufen zu halten. Ich wollte diesen Job unbedingt, denn ich erhoffte mir dadurch auch ohne eigene Kapsel wieder ins Spiel zu kommen und meine Freunde wiederzusehen. Ich würde sogar Hausmeister bei Silverdoor Studios werden, wenn mich das nur ins Spiel bringen würde. Die Antwort auf meine Bewerbung erfolgte ein paar Tage später. Ich sollte nach Köln ins Hauptquartier kommen und mich bei Herrn Wild melden.

***

Das Gebäude war ein ziemlich imposantes Bauwerk und schien nur aus Fenstern zu bestehen. Die Front war komplett verglast und ich konnte in jedes Stockwerk hineinsehen. Ich wette, der Blick hinaus auf den Rhein ist genauso genial. Doch ich wollte mir gar nicht vorstellen, was es kosten musste, diese Fassade sauber zu halten. Der Empfangsbereich war hell und einladend, mit bequemen Sitzgelegenheiten und modernen Kunstwerken an den Wänden. Die Empfangsdame begrüßte mich freundlich und bot mir auch direkt eine Erfrischung an. Ich nahm einen Eiskaffee, setzte mich und wartete auf Herrn Wild. Das Bewerbungsgespräch fand direkt im Erdgeschoss statt und war alles andere als aufregend. Er fragte mich, was ich so für Hobbys hatte und was für Computerspiele ich so mochte. Ob ich bereits für andere Unternehmen der gleichen Branche gearbeitet hätte und was ich später einmal werden wollte. Die einzigen Notizen, die er sich machte, und wo ich glaubte, sein ehrliches Interesse geweckt zu haben, waren, als ich ihm von meinen selbstprogrammierten Add-ons für Gildenkriege 3 erzählte. Am Ende gratulierte er mir, nannte mir den Stundenlohn, den ich erhalten würde, und sagte, ich könne direkt am nächsten Tag anfangen.

Ich fuhr direkt nach Hause, um meiner Mutter diese tollen Neuigkeiten zu berichten, doch sie war nicht da. Sie hatte mir auch keinen Zettel oder so hinterlassen, aber das war okay. Immerhin wohnte ich ja nicht mehr zu Hause… Also rief ich sie auf dem Handy an und erfuhr, dass sie bei Bjarnes Vater war. Da ich keine Lust hatte, dort hinzufahren - der Schmerz saß einfach noch zu tief, auch wenn Bjarne nicht da sein würde - informierte ich sie über die guten Nachrichten und verabredete mich mit ein paar Kommilitonen im Bermuda. Das Areal in der Bochumer Innenstadt mit der höchsten Dichte an Kneipen, Restaurants und Co. Wir feierten bis spät in die Nacht und als ich dann gegen halb drei müde ins Bett fiel, stieß ich noch einmal meine Faust zur Decke und jubelte laut. Ich war meinem Schritt, mich wieder in Ascendreya einzuloggen, ein gewaltiges Stück näher gekommen!

- 5 -

Bjarne

Ich atmete tief ein und aus, bevor ich den Wachen zunickte und damit das Zeichen zum Öffnen der gewaltigen metallenen Doppeltüren der Zwergenstadt gab. Womit ich jetzt nicht gerechnet hatte, war die Art und Weise, wie die Wachen sie öffneten. Anstatt jetzt an den großen, kupferfarbenen Ringen zu ziehen, und mit wer weiß, wie viel Muskelkraft die Türen zu öffnen, ging die linke Wache einfach hinauf zur nächsten Wand, griff in eine versteckte Nische und zog kurz an einem kleinen Seil. Es klickte leise und die Türen setzten sich langsam in Bewegung. Der Boden vibrierte, als das Metall über den Fels schliff, doch man hörte außer dem damit verbundenen Brummen des Berges keine weiteren Geräusche. Weder ein Quietschen noch ein Knarren. Das nenne ich ein meisterhaftes Zwergenhandwerk!

Mein Herz klopfte vor lauter Aufregung wie wild und ich spürte es sogar tief in meiner Brust. Wie verdammt realistisch war dieses Spiel bitte? Als die Türen dann endlich komplett geöffnet waren, schritt ich hinaus in die Freiheit. Für immer Untertage Leben war nichts für mich. Die Sonne schien hell am Himmel und blendete mich für einen Moment, als meine Augen sich erst mal an das Licht gewöhnten. Der Blick, der sich mir bot, war atemberaubend. Ich stand auf einer kleinen Plattform, welche direkt in den Fels gemeißelt wurde und nur über eine gewundene Treppe entlang des Berghangs erreichbar war. Vor mir erstreckte sich ein riesiger, kristallblauer See, der glitzerte und funkelte wie Diamanten in der Sonne. Das Wasser war so klar, dass ich bis auf den Grund sehen konnte, und ich roch nichts anderes außer purer, klarer Luft. Kein Vergleich mit dem Geruch des Berges. In der Stadt roch es nämlich ziemlich muffig nach Schweiß, Metall und alte Menschen. Warum Letzteres, war mir nicht erklärbar, aber in meiner kurzen Session hatte ich mich sogar schon glatt daran gewöhnt und ich dachte nicht weiter darüber nach. Jetzt aber war ich buchstäblich an der frischen Luft und nahm einen Tiefen Atemzug nacheinander.

Zu Hause IRL wohnte ich mitten in der Innenstadt von Witten und durch den Verkehr und das Stahlwerk in der Nähe, lag immer ein gewisser Grundmief in der Stadt. Nein, kein schlechter Geruch oder so, sondern es roch einfach nach Ruhrgebiet. Jetzt aber war es wie Urlaub in den Bergen. Nur ohne Fototouristen, die einem die Sicht versperrten.

Die Neugierde packte mich und ich trat an den Rand der Plattform, um nach unten zu schauen. Zum Glück hatte ich keine Höhenangst, denn es ging verdammt tief runter. Die Treppe und anschließend der Weg hinunter ins Tal machten zwar einen stabilen, aber doch etwas schmalen Eindruck. Eine Armee könnte unsere Stadt jedenfalls nicht so einfach überfallen. Es sei denn, sie kann fliegen…

Ich begann den Abstieg und das Dröhnen der Maschinerie und der Klang der Hämmer, die unaufhörlich das Metall auf den Ambossen bearbeiteten, wurde immer leiser. Auf halber Strecke machte ich noch einmal halt, um mich zu orientieren. Den erwähnten Wald sah ich auf Anhieb. Ungefähr in fünf Kilometern Entfernung war eine Lücke in der Bergkette und der See floss in ein kleines Tal hinab und genau dort begann auch ein riesiger Eichenwald. Die dicken Bäume ragten majestätisch gen Himmel und waren teilweise so hoch wie die sie umgebenen Berge. Schon aus dieser Entfernung bekam ich einen gewissen Respekt vor der Natur. Hoffentlich waren die erwähnten Grizzlys nicht auch so riesig.

Die Luft wurde immer wärmer und feuchter, je weiter ich den Berg hinunterging, und ich spürte, wie mein Hemd bereits an meinem Körper klebte. Unten angekommen befand ich mich auf einer kleinen Wiese und überlegte meine nächsten Schritte genau. Im Moment war alles still und friedlich, aber ich sollte mich nicht zu sicher fühlen. Jederzeit könnte ein Monster auftauchen und ich musste mich erst an das Kampfsystem herantasten. Zumal meine Ausrüstung, wie gesagt, grottig war und ich erst was Besseres finden musste, bevor ich es mit großen Mobs aufnehmen konnte. Und als ob ich es heraufbeschworen hatte, sah ich in einiger Entfernung, aber genau in der Richtung, in die ich gehen wollte, eine Gruppe von Goblins, die um ein Lagerfeuer herumtanzten und rauften. Um mehr zu erkennen, würde ich näher herangehen müssen. Gesagt getan. Ich schlich in geduckter Haltung das Ufer entlang und hielt mein Messer fest in der Hand. Als ich dann endlich eine gute Sicht auf die Meute hatte, half mir das Interface und blendete Informationen für mich ein.

Berggoblin - männlich - Level 12

Ach du Scheiße. Level 12 und gleich neun Stück davon. Selbst gegen einen hatte ich doch nicht den Hauch einer Chance. Ich würde also irgendwie um sie herumgehen müssen. Wenigstens war zwischen den Bergen und dem für mich garantiert tödlichem Goblinfest ein wenig Abstand, sodass ich es schaffen könnte. Ich ging wieder zurück zu meinem Ausgangspunkt und bewegte mich nun den Berghang entlang. Auf Höhe der Goblins dachte ich schon, ich hätte einen Fehler gemacht. Einer quiekte auf einmal laut auf und schaute in meine Richtung. Der Rest verstummte augenblicklich und tat es ihm gleich. Mir sackte mein Herz in die Hose und ich überlegte fieberhaft, was ich jetzt machen sollte. Doch gerade als ich den Entschluss hatte, so viele der Bastarde mit in den Tod zu reißen, oder zumindest einen, stürmten sie zwar los, aber nicht in meine Richtung. Als ich dann den Weg nachverfolgte, den sie liefen, wurde mir klar, dass die Goblins schielen müssten. Lass es gute sechzig Grad Abweichung zu meiner Position gewesen sein, doch genau dort war eine kleine Gruppe von Wölfen. Da ich mein Blick die ganze Zeit auf die Goblins gelenkt hatte, wäre ich direkt hineingelaufen. Ich wagte noch einen schnellen Blick und war schockiert.

Schattenwolf - weiblich - Level 21

Schattenwolf - weiblich - Level 20

Schattenwolf - männlich - Level 25

Was zum Henker war das hier für ein Startgebiet? Ich hatte Monster auf Level 1 oder 2 erwartet. Jedenfalls welche, die ich besiegen und an denen ich stärker werden würde. Die Goblins waren schon fies, doch gegen die Wölfe hätte ich absolut keine Chance gehabt. Doch da beide Gefahrenquellen gerade miteinander beschäftigt waren, musste ich schnell handeln. Ich lief noch einmal ein Stück zurück, diesmal nicht so langsam und vorsichtig und ging wieder hinunter ans Ufer. Als ich ungefähr auf der Höhe des Lagers der Goblins war, musste ich mich entscheiden. Entweder gehe ich im großen Bogen um den Kampf zwischen den Wölfen und den Goblins weiter, oder aber ich wage einen Blick in ihr Lager. Vielleicht gab es ja dort etwas zu holen. Meine Erfahrung mit MMORPGs sagte mir, dass hier oft Kisten oder anderer Loot versteckt war. Normalerweise müsste man dafür halt immer die Gegner besiegen. Meine innere Gierkröte gewann die Oberhand. Da ich am Lagerfeuer keine anderen Goblins mehr sah, ging ich schnell, aber mit geducktem Haupt hinüber. Meine Augen scannten die Umgebung, so schnell es ging, und ich behielt den fernen Kampf die ganze Zeit im Auge. Eine Kiste konnte ich nicht sehen, dafür war eine Bettstatt aufgebaut und genau dort, lag ein kleiner Umhängebeutel. Ich schnappte ihn mir, ohne hinzusehen, und haute wieder ab in Richtung Ufer und weiter zu meinem eigentlichen Ziel, dem Eichenwald.