Religion als Sprengstoff? - Melanie Wolfers - E-Book

Religion als Sprengstoff? E-Book

Melanie Wolfers

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wo hat Toleranz ihre Grenzen? Und wie können wir einander besser verstehen? In unserer westlichen Welt traut man der Religion nur noch eine geringe Prägekraft zu. Nun aber begegnen wir immer mehr Menschen, deren Leben zutiefst von ihrem Glauben bestimmt wird: Muslime feiern öffentlich den Fastenmonat Ramadan, islamisch begründete Speisevorschriften beeinflussen die Menü-Angebote in Schulen und Kantinen. Eine tolerante Gesellschaft trägt religiösen Traditionen Rechnung. Zugleich stellt sich die Frage nach den Grenzen. Melanie Wolfers und Andreas Knapp stellen fest: Die notwendige gesellschaftliche Debatte krankt oftmals an ihrer Oberflächlichkeit. Wer differenziert mitreden möchte, braucht Hintergrundwissen über die unterschiedlichen Glaubensvorstellungen. Denn je nachdem, wie man sich Gott vorstellt, ändert sich auch die Sicht auf den Menschen. Und dies wirkt sich aus, zum Beispiel auf die Rolle der Frau, auf das Verhältnis von Religion und Staat oder auf die Ausübung von Gewalt im Namen Gottes. Ihr Buch richtet sich an Menschen, auf die ein öffentlich gelebter Glaube befremdlich wirkt und die sich im Blick auf die aktuellen Herausforderungen mit dem Islam und den eigenen Wurzeln auseinandersetzen wollen. Es richtet sich an Christen, die ihren Glauben und dessen persönliche und gesellschaftliche Bedeutung besser verstehen wollen. Und indem das Buch Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Islam und Christentum darstellt, liefert es Basiswissen für den interreligiösen Dialog. "Andreas Knapp und Melanie Wolfers stellen die Grundzüge des christlichen Glaubens unverkürzt und gut verständlich dar, schlagen Brücken zum muslimischen Glauben und benennen die Unterschiede. Das Buch ist ein wertvoller Begleiter für die am eigenen Glauben Interessierten oder für die, die das Christentum aus einer muslimischen Perspektive kennenlernen wollen." Christoph Kardinal Schönborn, Erzbischof von Wien "Es ist ein hochbrisantes, aber zutiefst notwendiges Anliegen dieses Buches, einen ehrlichen interreligiösen Dialog auf Augenhöhe zu führen und gleichzeitig die Chancen wie die Inkompatibilitäten für ein bereicherndes gesellschaftliches Zusammenleben aufzuzeigen." Bischof Manfred Scheuer

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Andreas Knapp / Melanie Wolfers

Religion als Sprengstoff?

Was man heute über Islam und Christentum wissen muss

Knaur e-books

Über dieses Buch

Was sind die Unterschiede, wo gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen?

Das Wort »Dschihad« hat sich durch die Anschläge von islamischen Fundamentalisten in ganz Europa ins kollektive Gedächtnis gegraben. Vielerorts macht sich ein diffuses Angstgefühl breit. Fragen tauchen auf: Was ist das für eine Religion, die Menschen in einen »Heiligen Krieg« schickt? Welche Rolle spielt dabei der Koran? Sind letztlich nicht alle Religionen Ursache von Gewalt und Unterdrückung?

Melanie Wolfers und Andreas Knapp stellen fest: Die notwendige gesellschaftliche Debatte krankt oftmals an ihrer Oberflächlichkeit. Wer differenziert mitreden möchte, braucht Hintergrundwissen über die unterschiedlichen Glaubensvorstellungen. Denn je nachdem, wie man sich Gott vorstellt, ändert sich auch die Sicht auf den Menschen. Und dies wirkt sich aus, zum Beispiel auf die Rolle der Frau, auf das Verhältnis von Religion und Staat oder auf die Ausübung von Gewalt im Namen Gottes.

Inhaltsübersicht

LesenswertMotto1. Ein Mensch namens Jesus2. Jesus Christus, der »Sohn Gottes«Gespräch der Autoren3. Bibel und Koran4. Wer ist der Mensch – angesichts Gottes?5. Beten: Wie geht das?Gespräch der Autoren6. Kirchliches Leben7. Speisevorschriften und andere Reinheitsgebote8. Sind alle Menschen gleich?9. Staat und Religion10. Führen Religionen zur Gewalt?Gespräch der Autoren11. Kreuz und LeidGespräch der Autoren12. Die Vollendung der WeltGespräch der AutorenAnhangLiteratur (Auswahl)Danksagung
[home]

Lesenswert

»Wir haben keine Angst!« steht auf Transparenten, mit denen die Menschen nach Terroranschlägen auf die Straße strömen, um plakativ zu verdeutlichen: Wir lassen uns von Gewalt und Terror nicht einschüchtern! Wir wehren uns gegen alle Versuche, unsere freiheitliche Kultur zu zerstören!

Das ist gut gemeint, doch wir fragen uns: Wie kann es gelingen, dass wir uns nicht von unserer Angst dirigieren lassen? Und wie finden wir dorthin, dass wir gemeinsam mit Menschen muslimischen Glaubens unsere demokratische Gesellschaft gestalten und weiterentwickeln? Denn zum einen gefährdet der islamische Fundamentalismus die Grundfesten unserer Demokratie. Und zum anderen bestärkt die Angst vor dem Islam nationale Ideologien, die unsere Gesellschaft ebenfalls bedrohen.

 

Die derzeit aufgeheizte Situation erschwert es, differenziert über den Islam und dessen problematische Tendenzen zu sprechen. Dennoch: Es gilt, über diese Themen zu reden und zu streiten! Und daher schreiben wir dieses Buch. Denn das Fundament unserer freiheitlichen Gesellschaft ist zerbrechlich. Religiöse Ideologien können als gesellschaftlicher Sprengstoff wirken und dieses Fundament schneller zerstören, als es uns vielleicht bewusst ist. Umso dringlicher gilt es, diese religiösen Strömungen kritisch in den Blick zu nehmen. Und gleichzeitig ist es wichtig, jene Glaubensüberzeugungen darzustellen, die unsere demokratische Tradition stützen, ja sogar mitbegründen.

Der Glaube vermag nämlich das Leben eines Menschen bis in die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Haltungen hinein zu prägen. Dies können sich heute viele kaum noch vorstellen. In unserer westlichen Welt hat die Religion derart an Bedeutung verloren, dass man ihr nur (noch) eine geringe Prägekraft zutraut. Nun aber begegnen wir in unserer Gesellschaft immer mehr Menschen, deren Leben zutiefst von ihrem Glauben bestimmt wird: Muslime feiern ihren Fastenmonat Ramadan öffentlich sichtbar. Islamisch begründete Speisevorschriften beeinflussen die Menü-Angebote in Schulen und Kantinen. Eine tolerante Gesellschaft versucht, solchen Traditionen Rechnung zu tragen und sich entsprechend zu organisieren. Zugleich stellt sich die Frage nach den Grenzen: Ab wann widersprechen religiöse Vorschriften unseren Werten und Gewohnheiten?

In der Öffentlichkeit heiß und oft oberflächlich diskutiert: das Kopftuch. Nach unserer Überzeugung darf aber nicht nur über diese Art von textilen »BeHauptungen« debattiert werden. Vielmehr muss man sich mit den grundlegenden Ideen auseinandersetzen, die in den Köpfen herrschen. Es greift zu kurz, nur darüber zu streiten, welche religiösen Ausdrucksformen in unserer Gesellschaft einen Platz haben und welche nicht. Wir müssen gründlicher hinschauen: Welche Bilder von Gott liegen diesen Formen jeweils zugrunde? Denn je nachdem, wie man sich Gott vorstellt, ändert sich auch die Sicht auf den Menschen. Und dies wirkt sich aus, zum Beispiel auf die Rolle der Frau, auf das Verhältnis von Religion und Staat oder auf die Ausübung von Gewalt im Namen Gottes. Das bedeutet: Um dem Fundamentalismus zu begegnen, muss man die Fundamente und Inhalte der Religion kritisch in den Blick nehmen.

 

Diese inhaltliche Auseinandersetzung muss vor allem auch von religiösen Menschen geführt werden – ähnlich wie nur ein musikalischer Mensch eine qualifizierte Musikkritik leisten kann. Daher sehen wir uns als christliche Autoren in einer Bringschuld gegenüber unserer Gesellschaft, in der sich viele Menschen als »religiös unmusikalisch« verstehen.

 

Mit Muslimen teilen wir die Erfahrung, dass der Glaube sich nicht auf der Ebene eines Hobbys bewegt, das man ab und zu ausübt. Er hat vielmehr eine lebensbestimmende Kraft. Zugleich nehmen wir zwischen Christentum und Islam Unterschiede und Gegensätze wahr, die es klar zu benennen gilt. Auch für viele Christinnen und Christen dürften solche Hintergrundinformationen von Bedeutung sein. Denn die Begegnung mit Muslimen, etwa in Schule, Beruf oder in der Flüchtlingsarbeit fordert sie heraus. Religiöse Themen, die im Laufe der letzten Jahrzehnte immer mehr ins Private verlagert worden sind, stehen wieder im Raum: »Glaubst du an Gott?« »Wann fastet und wie betet ihr?« »Bringt Religion Frieden – oder stiftet sie zur Gewalt an?« Solchen Anfragen stehen Christen oft hilflos gegenüber. Ihnen fehlen die Worte, wenn sie über religiöse Erfahrungen und Überzeugungen Auskunft geben wollen.

 

In unserem Buch versuchen wir, die Grundbotschaft des Christentums und dessen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Islam darzulegen. Dadurch wollen wir erstens Christinnen und Christen aller Konfessionen ermöglichen, sich mit ihrem Glauben neu oder intensiver vertraut zu machen und dessen persönliche und gesellschaftliche Bedeutung zu entdecken. Zweitens eignet sich das Buch als Hintergrund für den interreligiösen Dialog. Es richtet sich damit auch an Muslimas und Muslime, die sich für den christlichen Glauben interessieren. Und drittens wendet sich das Buch an alle, die sich im Blick auf die gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen mit dem Islam und den eigenen geschichtlichen Wurzeln auseinandersetzen wollen.

Zu den Grundlagen Europas gehört das Christentum. Manche mag überraschen, dass unser modernes Weltbild auch auf religiösen, nämlich christlichen Fundamenten aufruht. Die Geschichte zeigt, dass unsere Kultur, dass Baukunst, Musik, Literatur und vieles mehr über Jahrhunderte wesentlich vom Christentum geprägt wurden – ebenso wie unsere Werte und gesellschaftlichen Normen.

 

Wenn im Folgenden vom »Islam« die Rede ist, dann ist uns bewusst, dass es den Islam ebenso wenig gibt wie das Christentum. Beide Religionen kennen eine Vielzahl von Richtungen und Interpretationen. Darüber hinaus findet sich in Christentum und Islam ein großer Reichtum an spirituellen und mystischen Traditionen, welche die Volksfrömmigkeit stark beeinflussen.

Wir beziehen uns in diesem Buch vor allem auf die Lehren des Islam, wie sie oft von muslimischen Gesprächspartnern vorgetragen und in zahlreichen Veröffentlichungen dargestellt werden. Wir ziehen dabei insbesondere sunnitische Strömungen in Betracht. Den christlichen Glauben versuchen wir in stetigem Rückbezug auf die Person Jesu auf den Punkt zu bringen. Und schließlich kommen wir in einigen Dialogen als Autoren über unsere persönlichen Glaubenserfahrungen ins Gespräch.

 

Wir hoffen, dass wir mit unserem Buch einen Beitrag zur Integration von Muslimas und Muslimen leisten. Mit ihren Erfahrungen und ihrer Kultur können sie unsere Gesellschaft bereichern. Zugleich bestehen Spannungen und herrschen Missverständnisse, die nur in der wechselseitigen Begegnung abgebaut und geklärt werden können. Es braucht ein tieferes Verständnis für die jeweils andere Glaubenstradition und Kultur. Und es braucht das klare Benennen von Positionen, die wir nicht aufgeben können, ohne die Fundamente unserer Gesellschaft zu gefährden. Wir sind überzeugt: Wenn Integration gelingen soll, kommt es darauf an, Muslime von innen her für unsere Werte zu gewinnen. Dann können wir gemeinsam unsere demokratische Gesellschaft gestalten und weiterentwickeln.

 

Assisi, am Abend der Bundestagswahl 2017

 

Melanie Wolfers

Andreas Knapp

[home]

Über den eigenen Glauben Bescheid zu wissen, ist für alle Christen unerlässlich. Heute ist der Islam in Europa eine Wirklichkeit, der wir begegnen.

Ein verständliches Buch über den christlichen Glauben, das mit dieser Begegnung ernst macht, ist dringend notwendig. Andreas Knapp und Melanie Wolfers haben sich dieser Aufgabe gestellt. Sie stellen die Grundzüge des christlichen Glaubens unverkürzt und gut verständlich dar, schlagen Brücken zum muslimischen Glauben und benennen die Unterschiede. Das Buch ist ein wertvoller Begleiter für die am eigenen Glauben Interessierten oder für die, die das Christentum aus einer muslimischen Perspektive kennenlernen wollen.

 

Christoph Kardinal Schönborn

Erzbischof von Wien

[home]

1. Ein Mensch namens Jesus

Wer war dieser Jesus, der durch alle Jahrhunderte so viel Zuspruch und Widerspruch gefunden hat? Jesus stammte aus Nazareth, einem Dorf in Galiläa. Das ganze Land Israel stand damals unter römischer Fremdherrschaft. Bevor er mit etwa 30 Jahren ins Licht der Öffentlichkeit trat, verdiente er sich seinen Lebensunterhalt wahrscheinlich als Bauhandwerker.

Als frommer Jude glaubte er an den einen Gott, der die Welt erschaffen und dem Menschen den Lebensatem (Gen 2,7) eingehaucht hat. Jesus vertraute darauf, dass jeder Mensch in seiner Tiefe mit Gott verbunden ist. Und er baute darauf, dass dieser menschenfreundliche Gott mit dem Volk Israel einen Freundschaftsbund geschlossen hat.

Gott und sein Volk geben sich aus freiem Willen ein Jawort, das eine gegenseitige Verlässlichkeit und Liebe verspricht. Doch im Lauf seiner Geschichte setzte das Volk Israel oft sein Vertrauen nicht auf Gott, sondern baute auf Macht, Reichtum oder andere Götter. Dennoch blieb Gott seinem Volk treu. Immer wieder mahnte er durch Propheten, auf seine Güte und Treue zu setzen und sich um Gerechtigkeit und Frieden zu bemühen. Am Ende der Zeiten, so hatten manche Propheten angekündigt, werde der Gesalbte (hebräisch für Messias) Gottes eine Welt des Friedens aufrichten. Eine Welt, in welcher der Mensch wieder ganz und heil wird.

Die Bibel erzählt, dass Jesus bei seiner Taufe durch Johannes eine tiefe religiöse Erfahrung gemacht hat: Jesus geht auf, wie sehr er angenommen und erwählt ist. (vgl. Mk 1,9-11) Er erfährt sich als geliebten »Sohn Gottes«. Vertrauensvoll nennt er Gott »Abba« (aramäisch für Papa). Mit diesem familiären Wort drückt Jesus aus, wie zärtlich und fürsorgend sich Gott ihm und allen Menschen zuwendet. Und mit diesem Gott weiß sich Jesus in einer besonderen Weise verbunden. Nach seiner Taufe beginnt er eine Botschaft zu verkünden, die alle froh machen will: Gott schenkt jedem Menschen sein Jawort, das schon immer und für immer gilt.

 

Jesus verkündigt eine frohe Botschaft (= Evangelium)

Jesus spricht von Gott wie von einer Liebenden, die das Herz des Geliebten sucht. Wie von einer Frau, die alles auf den Kopf stellt, um ein verlorenes Geldstück wiederzufinden. (Lk 15,8 ff.) Er vergleicht Gott mit einem Hirten, der seine ganze Herde zurücklässt, um ein verlorenes Schaf zu suchen. (Lk 15,3 ff.) Oder mit einem Vater, der seinen Sohn voll Freude aufnimmt, obwohl er das ganze Vermögen in der Fremde verprasst hat. Am Ende steht immer ein großes Freudenfest. (Lk 15,11 ff.)

Mit diesen und vielen anderen Bildern erzählt Jesus vom »Reich Gottes«, das für ihn beglückend nahe ist. Dabei greift er auf die Hoffnung der Propheten zurück, dass Gott in der »Fülle der Zeit« die von Gewalt und Ungerechtigkeit geplagte Welt heilen und vollenden wird. Jesus ist davon überzeugt: Jetzt hat diese »erfüllte Zeit« (vgl. Mk 1,15) begonnen. Beseelt von der Beziehung zu seinem »Abba« verbreitet er die schöne Nachricht, dass alle Menschen unendlich geliebt sind.

Was Jesus in der Taufe erfahren hat, gilt für alle: Gott schaut jeden Einzelnen voll Güte an, und zwar vor aller Leistung und trotz aller Schuld. Die Umkehr, zu der Jesus ruft, bedeutet folglich nicht: Ich soll ein anderer oder eine andere werden, sondern: Ich wende mich um und entdecke, dass Gott hinter mir steht. Jesus geht es also vor allem um eine Umkehr der Blickrichtung. Nicht das Tun des Menschen entscheidet über seinen Wert, sondern jede und jeder ist immer schon Tochter beziehungsweise Sohn Gottes. Dieses familiäre Bild drückt aus, dass jedem Menschen von Anfang an grundlegend zugesprochen wird: »Ja, es ist gut, dass es dich gibt!«

Glauben heißt, auf diese Zusage zu bauen und entsprechend zu handeln. Je mehr ich mich in dieser Liebe verankere, umso mehr will und kann ich selbst lieben. Das zentrale Gebot Jesu lautet folglich: »Liebe Gott mit ganzem Herzen und liebe deinen Nächsten wie dich selbst.« (vgl. Mk 12,29-31)

Die neue Welt Gottes, die Jesus verkündet, spiegelt sich auch in seinem Leben. Wie die Schneeglöckchen den nahen Frühling ankündigen, so zeigt sich in den Taten Jesu ein erstes Aufblühen der kommenden Welt: Jesus lädt jene zu Tisch, die als Abschaum der Gesellschaft gelten. Er stellt diejenigen in die Mitte, die an den Rand gedrängt oder ausgestoßen waren. Er bringt Frauen und Kindern die gleiche Wertschätzung entgegen wie Männern. Er heilt Kranke, die in der Gesellschaft oft ausgestoßen waren, weil man ihre Krankheit als Strafe Gottes interpretierte. Er nimmt die innere Schönheit jedes Menschen wahr, denn er ist hellsichtig für den Glanz des Göttlichen in ihm. Unerschütterlich glaubt Jesus an das Gute in jedem Menschen. Dadurch können vor allem die Erniedrigten und Verachteten wieder ein Gespür für ihre Würde entwickeln. Und Jesus vergibt Menschen im Namen Gottes ihre Sünden und überwindet dadurch ihre Isolation.

»Sünde« lässt sich als »Absonderung« beschreiben, die uns auf dreifache Weise entfremdet: Sie zerstört die Beziehung zu den Mitmenschen. Sie trennt uns ab von Gott, der Quelle der Liebe. Und sie entfremdet uns von uns selbst. Davon überzeugt, dass die göttliche Liebe keine Grenzen kennt, setzt sich Jesus mit Sündern an einen Tisch – und lässt sie so Tischgemeinschaft erfahren. Er durchbricht die Schranken, die im Namen Gottes errichtet worden sind, und lädt alle ein, sich der bedingungslosen Freundschaft Gottes anzuvertrauen.

All sein Reden und Handeln versteht Jesus als Erneuerung des Bundes Gottes mit dem Volk Israel, der nun auf die ganze Welt ausgeweitet wird: Gottes Zuwendung gilt allen und allem, und zwar bedingungslos und für immer.