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In this volume, Michael Pye uses a chronological approach to present the multifaceted religious landscape of the Japanese archipelago. He traces a narrative trajectory from the available archaeological evidence of the earliest beginnings to today=s dazzlingly pluralistic culture. Special attention is given to the internal branching and interpenetration of religious traditions of various origins, such as Shinto and Buddhism. Featuring up-to-date scholarly findings while remaining easily accessible to a broader readership, the book presents the exciting, wide-ranging and interweaving network of Japanese religious history and its interrelationships with culture and politics, from the reception of foreigners, through processes of transformation and genuinely Japanese developments, to its presence in other countries.
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Seitenzahl: 841
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Die Religionen der Menschheit
Begründet vonChristel Matthias Schröder
Fortgeführt und herausgegeben vonPeter Antes, Manfred Hutter, Jörg Rüpke und Bettina Schmidt
Band 22,2
Michael Pye
Religionsgeschichte Japans
Verlag W. Kohlhammer
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
1. Auflage 2022
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Abbildungshinweis: Jizo on Red maple leaves fall off the red carpet at Enkoji Temple, Kyoto, Japan. Shutterstock: iamlukyeee
Print:
ISBN 978-3-17-002834-0
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-034416-7
epub: ISBN 978-3-17-034417-4
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Die Vielgestaltigkeit der religiösen Landschaft der japanischen Inselwelt präsentiert Michael Pye in diesem Band in chronologischem Zugriff: Er spannt einen erzählenden Bogen von den archäologisch greifbaren Anfängen bis zur schillernd-pluralistischen Gegenwartskultur. Dabei gilt ein besonderes Augenmerk der internen Verzweigung und gegenseitigen Durchdringung religiöser Traditionen verschiedenen Ursprungs, wie von Shinto und Buddhismus. Wissenschaftlich up-to-date und gleichzeitig für eine breite Leserschaft leicht zugänglich präsentiert der Autor das spannende und weit verzweigte Netz der japanischen Religionsgeschichte mit ihren Wechselbeziehungen zu Kultur und Politik, zwischen Rezeption von Fremden über Transformation zu genuin japanischen Ausformungen bis hin zu ihrer Präsenz in Übersee.
Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Pye war Professor für Religionswissenschaft an der Philipps-Universität Marburg.
Danksagung
1 Orientierung
1.1 Eine neue Geschichte der japanischen Religion?
1.2 Die Vielfalt der japanischen Religionen
1.3 Umstrittene Begriffe
1.4 Umschrift und Terminologie
1.5 Japanische Namen
1.6 Periodisierung
1.7 Chronologische Übersicht
Vorgeschichte
Kodai (antike Zeit) Ab hier sind alle Jahresangaben n. Chr.
Mittelalter ()
Frühmoderne ()
Moderne ()
2 Frühe Rekonstruktionen
2.1 Vorgeschichtliche Fragmente
2.2 Die »Chronik der alten Begebenheiten« und andere Texte
2.3 Hauptzüge der ältesten Mythologie
2.4 Die Einführung des Buddhismus
2.5 Zentrum und Peripherie
3 Buddhismus und Tempelwesen in der Nara-Zeit
3.1 Neue Hauptstadt, neue Tempel
3.2 Texte und Riten im Nara-Buddhismus
3.3 Die Sechs Lehrrichtungen des »Nara-Buddhismus«
3.4 Informelle Vorstellungen im Buddhismus
3.5 Verschiedene Gottheiten und Schreine
4 Macht und Mysterien in der Heian-Zeit
4.1 Religiöse Perspektiven in der neuen Hauptstadt Heiankyō
4.2 Saichō und der Tendai-Buddhismus
4.3 Kūkai und der Shingon-Buddhismus
4.4 Staatsriten und Schreine in der Engi-Ära und danach
4.5 Berge und Pilger
4.6 Das Geflecht der Symbole
4.7 Hōnens Fokussierung des Amida-Buddhismus
5 Neue Ansätze im japanischen Buddhismus
5.1 Konkurrenz um den Buddhismus des Reinen Landes
5.2 Shinran und der Shin-Buddhismus
5.3 Rinzai Zen in Kyoto und Kamakura
5.4 Dōgen und Sōtō-Zen
5.5 Nichiren und die Lotos-Lehre
5.6 Religiöse Vielfalt in der Kamakura-Zeit
6 Religion in unruhigen Zeiten
6.1 Religion zwischen politischen Unruhen und Kriegen
6.2 Tempelbau, Tempelverlegungen und Tempelgeschichten
6.3 Rennyo und die Stabilisierung des Shin-Buddhismus
6.4 Shintō und Yoshida-Shintō
6.5 Katholische Missionen in Japan
6.6 Zen, Religion und die Künste
7 Religion im Edo-Zeitalter
7.1 Allgemeines zur Religion in der Edo-Zeit
7.2 Die Kirishitan und ihre Verfolgung
7.3 Konfuzianismus und Moralerziehung
7.4 Intellektuelle Entdeckungsreisen
7.5 Zen-Disziplin, Dichtung und darstellende Kunst
7.6 Pilgerfahrt im Buddhismus und im Shintō
7.7 Schrein- und Tempelbesuche in den Städten
7.8 Neue religiöse Initiativen
8 Shintō und die Moderne
8.1 Intellektuelle Wegbereiter des modernen Shintō
8.2 Shintō und die Meiji-Restauration
8.3 Trennung von Shintō und Buddhismus
8.4 Schreingründungen und -zusammenlegungen
8.5 Staats-Shintō und Sekten-Shintō
Taishakyō/ Ooyashirokyō
Shinshūkyō
Shinrikyō
Shūseiha
Taiseikyō
Shintō Fusōkyō
Jikkōkyō
Mitakekyō
Misogikyō
Shintō Honkyoku
9 Religion im Zeitalter der Ideologie
9.1 Staatsideologie und Zivilreligion
9.2 Ideologie und Erziehung
9.3 Buddhismus und die Moderne
9.4 Christliche Missionen und Kirchen
9.5 Neue Religionsgemeinschaften und die Vielfalt der Religionen
10 Japans Religionen in der Nachkriegszeit
10.1 Religionen und die neue Freiheit
10.2 Innovative Religionsgemeinschaften
10.3 Japanische Religionen in Übersee
10.4 Der Yasukuni-Schrein und andere Streitpunkte
10.5 Zwei Thronbesteigungszeremonien
11 Japans religiöse Gegenwart
11.1 Grundzüge der religiösen Gegenwart
11.2 Vielfalt der Religionen in der Heisei-Ära
11.3 Primärreligion im Alltag des gegenwärtigen Japans
11.4 Schlusswort
12 Anhang
12.1 Literaturverzeichnis
12.2 Abbildungsverzeichnis
12.3 Glossar
12.4 Register
Da das vorliegende Buch gegen Ende meines Lebens angefertigt wurde, sind die Menschen, denen ich viel zu verdanken habe, so zahlreich geworden, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen und aufhören sollte, sie zu nennen. Es sind zunächst viele japanische Freunde und KollegInnen in den diversen Etappen meiner Aufenthalte im Lande zwischen den Jahren 1961 bis 2020, die mir immer wieder Hinweise vor Ort, Lesematerial und Erklärungen gegeben haben. Ich denke auch an Studierende und Doktoranden in verschiedenen Ländern, insbesondere in England und Deutschland (Marburg); denn aus der Lehre lernt man zwangsläufig selbst. In meinem Fall haben die Lernenden viel Geduld gezeigt, und zuweilen eine gesunde Ungeduld. In der religionswissenschaftlichen bzw. -geschichtlichen Forschung ist es notwendig, nicht nur die dazu gehörenden methodologischen und theoretischen Ansätze zu kennen, sondern auch in der entsprechenden Philologie bewandert zu sein. Nun erstreckt sich die japanische Kultur- und Sozialgeschichte über einen Zeitraum, der etwa dem der deutschen Geschichte seit den Römern entspricht, so dass wohl niemand für alle Etappen die gleiche Expertise aufweisen kann. Umso mehr bin ich für den Rat hilfreicher Kolleginnen und Kollegen in der internationalen Japanologie dankbar, mit denen ich mich in letzter Zeit vor allem im Rahmen des Internet-Netzwerks »Premodern Japanese Studies«, austauschen konnte. Damit niemand in eine irreführende Mitverantwortung gezogen wird, verzichte ich jedoch hier auf eine Aufzählung von Namen. Hinweise oder exemplarische Referenzen finden sich an entsprechenden Stellen im Text. Einen besonderen Dank möchte ich der Ōtani-Universität in Kyoto aussprechen, die mir in den letzten Jahren (seit 2005) einen längeren zusätzlichen Aufenthalt in Japan ermöglichte. Bei der Anfertigung dieses deutschen Manuskripts haben mir vor allem zwei Personen mit viel Geduld und Verstand geholfen, meine Frau Christine und ihre Schwester Susanne Roether, die ihre jeweiligen Fachkenntnisse und kritische Aufmerksamkeit einbrachten.
Jetzt fehlt nur noch eine Widmung oder eine Verdienstübertragung (ekō). Sollte in diesem Buch irgendein Wert zu finden sein, so soll er den unbekannten Ahnen (muenbotoke) unserer verschiedenen Länder übertragen werden, damit sie in Frieden ruhen, und ihre Nachkommen eine heile Welt erleben dürfen.
Michael Pye (30.6.2021)
Karte 1: Geographischer Überblick (Peter Palm, Berlin).
Mit diesem Buch wird eine neue, zusammenhängende Darstellung der Religionsgeschichte Japans vorgelegt, die Studierenden und interessierten Lesern als erster Zugang dienen soll. Seit langem ist kein Einzelband dieser Art in einer europäischen Sprache erschienen. Für eine Gesamtschau greift man immer noch auf ältere Werke wie die bekannte History of Japanese Religions von Anesaki Masaharu1 (1930) oder Wilhelm Gunderts Japanische Religionsgeschichte (1935) zurück. Trotz seiner sorgfältigen Arbeit blieb Gundert dem damaligen Zeitgeist verhaftet, und obwohl er bis 1971 lebte und somit die wichtigen Veränderungen der Nachkriegszeit wenigstens aus der Ferne miterlebte, hat er seinen Grundriss nicht revidiert. Bedeutsame Veränderungen in religiösen Angelegenheiten, die nach dem zweiten Weltkrieg vollzogen wurden, hatte Joseph M. Kitagawa in seinem ebenfalls sehr einflussreichen Werk Religion in Japanese History (1966) natürlich berücksichtigt, jedoch ist auch dieses inzwischen ein halbes Jahrhundert alt. Übersichtswerke auf Japanisch fehlen nicht, und hier kann exemplarisch auf Kasahara Kazuo’s Nihon shūkyōshi (1977) in zwei Bänden verwiesen werden. Der Appetit für Teildarstellungen, ob wissenschaftlich oder populär, scheint jedoch viel größer zu sein. Um in der westlichen Literatur auf einen neueren Stand zu kommen, muss man sich auch mit Teildarstellungen der einzelnen Religionstraditionen wie Buddhismus (z. B. Kleine 2011) oder Shintō (z. B. Hardacre 2017) begnügen, oder mit Werken, die auf bestimmte Perioden beschränkt sind (z. B. Bowring 2005 und 2017). Monographien zu speziellen Themenkreisen werden immer zahlreicher, wie z. B. Studien über einzelne Aspekte des Shintō (Breen und Teeuwen 2017, zur Sozialgeschichte der Ise-Schreine), neu gegründete Religionsgemeinschaften wie die »Erlösungsgesellschaft« (Gedatsukai) (Earhart 1989) und »Happy Science« (Kōfuku no Kagaku) (Winter 2012), oder Spezialthemen wie die Wanderungen des mittelalterlichen Mönchs Ippen (Ehmcke 1992), Menschenopfer und Selbstopfer in der Sayohime-Legende (Triplett 2004), oder Askese und Mandala-Symbolik am Berg Hiko-san in Kyushu (Grapard 2016).
Wie ist das alles unter einen Hut zu bringen? Bessere Wissenschaftler als ich haben versagt, und trotzdem braucht die kommende Generation einen neuen umfassenden Überblick. Angesichts der Fülle der ausgezeichneten neueren Einzelstudien ist es jedoch unerlässlich, dass nicht nur der Verfasser, sondern auch die Leserinnen und Leser die Grenzen dessen verstehen, was mit einem Grundriss überhaupt erreicht werden kann. Dazu dienen die folgenden Bemerkungen.
a) Erstens, obwohl diese Darstellung weitgehend in Einklang mit neueren speziellen Arbeiten steht, ist sie nicht für Japanologen geschrieben. Aus diesem Grund wurde hier auf die inzwischen übliche Zutat von Schriftzeichen verzichtet, die ohnehin von Spezialisten anderswo gefunden werden können. Vielmehr besteht die Absicht darin, einen zuverlässigen Überblick zu liefern, der für Studierende sowohl der Religionsgeschichte als auch der japanischen Geschichte und Kultur im Allgemeinen nützlich sein kann. Folglich sind auch die bibliographischen Angaben überwiegend auf weiterführende Studien in westlichen Sprachen beschränkt (s. weitere Erklärungen am Anfang der Literaturliste). Die in dieser Synthese weitergegebenen Informationen sind in Japan grundsätzlich allgemein bekannt, so dass es überflüssig wäre, überall »Quellen« wie zum Beispiel Nachschlagewerke zu den Namen und Sekten des japanischen Buddhismus aufzulisten.
b) Da das Werk eine Orientierungshilfe für die japanische Religionsgeschichte sein soll, ist es auf deren Hauptelemente beschränkt. Ein Sich-Verlieren in Einzelheiten würde der Aufgabe einer zusammenfassenden Darstellung widersprechen. Dass ich der Faszination vieler teils obskurer Einzelphänomene widerstehe (wenn auch nicht immer), mag für manche Leser frustrierend sein. Es galt aber, im Dickicht des Details eine Auswahl zu treffen, die bei anderen Spezialisten vermutlich anders hätte ausfallen können. Daher sind manche der erwähnten Einzelheiten als illustrativ zu verstehen. Falls an einigen Stellen trotzdem die Gefahr des Obskurantismus zu drohen scheint, ist dies aber nichts anders als die komplexe Wirklichkeit der religiösen Landschaft Japans. Das Anliegen dieses Buches ist eine chronologische Darstellung dieser Landschaft, oder Landschaften, in der alle wichtigen Begebenheiten und Personen von überragender Bedeutung ihren Platz finden. Vielleicht erscheint einigen Lesern die Bandbreite der übernatürlichen Wesen, die dabei vorkommen, sehr groß. Andere Leser werden eher von der Mannigfaltigkeit unterschiedlicher, zum Teil relativ kleiner Religionsbewegungen und -gemeinschaften überrascht sein. Sie sind so zahlreich, dass auch diese nicht alle im Einzelnen zur Sprache kommen können.
c) Der japanische Buddhismus kann hier nicht in seiner ganzen Fülle beschrieben werden, da er durch eine Vielfalt von Lehrrichtungen und Sekten gekennzeichnet ist, deren Dokumentation im Einzelnen den Rahmen sprengen würde. In einem anderen Band dieser gleichen Reihe, DieReligionen der Menschheit, gibt es jedoch schon einen von mir verfassten Grundriss des japanischen Buddhismus, in dem weitere Einzelheiten zu finden sind, und zwar unter dem Titel Entwicklung und Vielfalt des japanischen Buddhismus im von Manfred Hutter herausgegebenen Band Der Buddhismus III. (Stuttgart 2018) Es gibt unausweichlich einige Überschneidungen, vor allem was grundlegende Informationen angeht, jedoch sind die beiden Darstellungen als komplementär zu verstehen. In der vorliegenden Gesamtschau werden nur die wesentlichen Hauptzüge der buddhistischen Schulen differenziert und in die allgemeine Religionsgeschichte des Landes eingeordnet.
Der Ausdruck »Religionen« wird hier in der Mehrzahl benutzt, einfach deshalb, weil es nicht so etwas wie »die« japanische Religion gibt, sondern vielmehr eine Vielfalt von Traditionen und Strömungen, die sich gegenseitig beeinflusst haben, teilweise ineinander gewachsen und doch in vieler Hinsicht differenzierbar sind. Diese Vielfalt muss in zwei Dimensionen betrachtet werden, sowohl diachron als auch synchron.
Diachron sind die zwei Traditionen des Buddhismus und des Shintō von überragender Bedeutung gewesen, jedoch darf es eine Engführung auf diese beiden auf keinen Fall geben. Schon die gegenseitigen Beziehungen zwischen ihnen haben eine äußerst wichtige Rolle in dem immer komplexer werdenden Gesamtbild gespielt. Die Aufsplitterung des japanischen Buddhismus in verschiedene Strömungen, die sich pragmatisch und teilweise auch dogmatisch gegenseitig ausschlossen, ist frappierend. Seit den geschichtlichen Anfängen gab es außerdem eine gewisse Beeinflussung durch konfuzianische und daoistische Elemente, auch wenn diese nur beschränkt als unabhängig sichtbare Religionen im Lande existierten. Disparate Bergkulte wurden sowohl von buddhistischen als von schamanistischen, Shintō-orientierten Denkweisen mit beeinflusst. In der neueren Geschichte ist das Aufkommen neuer Religionsbewegungen und -gemeinschaften ein bekanntes Phänomen, wobei die schiere Zahl der unterschiedlichen Gruppen meist unterschätzt wird. Einige haben viele gemeinsame Merkmale und weisen teilweise familienartige Verwandtschaften auf. Andere schützen eher ihre besondere Identität als Hüter von speziellen neuen Offenbarungen, die das Heil der ganzen Menschheit herbeibringen sollen. Beispiele dafür sind Tenrikyō und Tenshō Kōtai Jingū Kyō. Die weltweit bekannten christlichen Denominationen kommen hinzu; die Zahl der Gläubigen ist hier eher bescheiden, jedoch sind sie mit ihren Kirchen, Schulen, Hochschulen und Krankenhäusern inzwischen fest etabliert.
Die Vielfalt muss aber auch auf eine andere Weise konstatiert werden, nämlich in der Perspektive einer gewissen synchronen Stratifizierung. Dies entspricht teilweise den sozialen Schichten, die in den jeweiligen Perioden unterschiedliches Gewicht hatten. Z.B. gewannen in der Frühmoderne die Samurai-Klasse und die Kaufleute zunehmend an Bedeutung zwischen der Aristokratie und den Bauern. In der Spätmoderne kam es, grob gesagt, zu einer Demokratisierung und damit zu einem relativen Zusammenwachsen dieser vier Klassen. In den frühen Perioden haben wir mehr Informationen über die Riten und Vorstellungen der Oberschichten als über die Religion von Bauern, kleinen Handwerkern und Fischern. Einerseits muss man mit einer politisierten Zivilreligion rechnen, deren Elemente sich im Zuge der Machtverhältnisse veränderten, und andererseits darf man die sogenannte Volksreligion nicht übersehen, auch wenn sie in vielen Zusammenhängen nicht mehr erforscht werden kann. Während die Zivilreligion (auf Japanisch shimin shūkyō) weitgehend unbemerkt geblieben ist, haben japanische Ethnologen (wie die prominenten Yanagita Kunio und Hori Ichirō) sehr wohl ein Stratum von Volksreligion (auf Japanisch minzoku shūkyō) im Auge behalten. Leider ist dieser Begriff sehr dehnbar, und ein allgemein anerkanntes siebenbändiges Werk unter der Herausgeberschaft von Gorai Shigeru und anderen schließt so gut wie alle Aspekte des Shintōs mit ein.2 Dies ist jedoch eigentlich nicht zulässig, da Shintō viel einflussreicher und komplexer ist als »Volksreligion«.3 Ein ähnlicher Begriff ist minkan shinkō, der etwa »Volksglaube« (wörtlich »Glaube unter dem Volk«) bedeutet.
Spätestens seit Beginn der Frühmoderne wird eine beständige Schicht allgemeiner Religiosität oder primärer Religion sichtbar. Diese Primärreligionbezieht Elemente aus den verschiedenen Traditionen einschließlich des Buddhismus mit ein, und besteht nicht etwa allein aus örtlichen Dorfsitten oder besonderen lokalen Varianten. Hierzu gehört unter anderem das sehr wichtige Element der Ahnenverehrung, geformt und langfristig getragen durch Konfuzianismus, Buddhismus und Shintō. Die Ahnenverehrung hat nicht nur eine lange Vorgeschichte, sondern sie hat bis heute kaum an verpflichtender Kraft verloren.4
Angesichts der Vielfalt und der Vielschichtigkeit japanischer Religion wird es schon wegen der sehr unterschiedlichen Quellenlage leider nicht möglich sein, für jede Periode eine analoge Analyse zu entfalten. Trotzdem sollten wir nicht nur die Komplikationen der chronologischen Entwicklungen, sondern auch die zu jedem Zeitpunkt existierende Vielfalt möglichst im Auge behalten, die sich den historischen Umständen entsprechend verschiebt.
Ganz abgesehen von der kaum überschaubaren Vielfalt japanischer Religionen wurde die Möglichkeit einer historischen Gesamtperspektive in den letzten Jahren durch Kontroversen über Leitbegriffe wie »Shintō« oder »Religion« erschwert. Diskussionen über die grundsätzliche Anwendbarkeit dieser Begriffe wurden notwendigerweise in der Fachwelt geführt, denn in der allgemeinen Geschichtsschreibung wurde die Problematik allzu häufig übersehen.5 Andererseits waren neuere Diskussionen, auf die wir hier im Detail nicht eingehen können, nicht immer hilfreich. Zurecht wird davor gewarnt, erst später aufgekommene Konzepte anachronistisch anzuwenden (und manche Wissenschaftler sind in dieser Hinsicht besonders eifrig). Andererseits ist eine gewisse begriffliche Strukturierung für eine historische Perspektive unvermeidlich, und diese Notwendigkeit wird häufig missachtet.
Nehmen wir das einfache Beispiel des Buddhismus. In allgemeinen Überblicken spricht man häufig von »Buddhismus« auch in bezug auf Zeiten, in denen es die Endung »-ismus« oder das äquivalente modern-japanische -shugi noch nicht gab. In ähnlicher Weise redet man in der japanischen Fachliteratur unbekümmert von bukkyō, was wörtlich »Buddha-Lehre« aber de facto »Buddhismus« bedeutet. Dieser Ausdruck hat erst in modernen Zeiten das früher geläufige butsudō (wörtlich »Buddha-Weg«) ersetzt. Trotzdem kann es sinnvoll sein, mit entsprechender Vorsicht vom Nara-Buddhismus, Kamakura-Buddhismus, Amida-Buddhismus oder Zen-Buddhismus zu sprechen. Dies ergibt sich, da man es außerhalb Japans gewohnt ist, vom indischen oder chinesischen Buddhismus zu sprechen, oder sogar vom frühen Buddhismus, etwa wie vom frühen Christentum, auch wenn die Identifizierung relevanter geschichtlicher Inhalte zum Teil problematisch ist. Die Hauptsache ist, dass man sich nicht von einer vermeintlich objektivierten Essenz leiten lässt, sondern für die Komplexität der tatsächlichen geschichtlichen und gegenwärtigen Phänomene offenbleibt.
In Bezug auf »Shintō« stellt sich eine ähnliche Frage in zugespitzter Form, da es sich um eine Japan-interne Angelegenheit ohne nennenswerte auswärtige Bezugspunkte handelt. Einerseits wurde »Shintō« von seinen Verfechtern immer wieder neu bestimmt oder erfunden, andererseits wird meistens von den gleichen Protagonisten ein ursprünglicher »Weg der Götter« oder Shintō vorausgesetzt, dessen Wurzeln es in einem mythischen Zeitalter vor allen nachvollziehbaren geschichtlichen Prozessen gegeben haben soll. Diese an sich religiöse Einstellung kann nicht als Leitmotiv für eine geschichtliche Darstellung übernommen werden, denn sie selbst ist ein integraler Teil des zu beschreibenden Gegenstandes. Enthusiastische Darstellungen geraten sehr leicht in diese Falle, so dass man auf jeden Fall gewarnt werden sollte.6 Andererseits kann die Erkenntnis, dass »Shintō« von seinen Befürwortern immer wieder neu definiert oder erfunden wurde, neue Missverständnisse mit sich bringen. Nur weil dies so ist, was an sich seit langem evident gewesen ist, bedeutet es nicht, dass wir in geschichtlichen Zusammenhängen überhaupt auf den Ausdruck »Shintō« verzichten müssen. Allerdings müssen wir als Beobachter wahrnehmen, dass »Shintō« nicht nur durch eifrige Apologeten auf eine bestimmte Weise fokussiert wird, sondern auch als disparate Elemente in verschiedenen Zusammenhängen zu sehen ist, die von offiziellen Vertretern der Religion weniger beachtet werden. Die Ränder von »Shintō« sind je nach Periode und Gebrauch eher schwammig. Wie soll z. B. Benzaiten zugeordnet werden? Diese indische Gottheit kam vor Jahrhunderten mit dem Buddhismus nach Japan und genießt bis heute eine fluide Stellung zwischen Buddhismus und Shintō, erkennbar z. B. wie an manchen Orten an einem Shintō-inspirierten symbolischen Eingangstor (torii).
Als Letztes muss der zweite, zuweilen heftig umstrittene Begriff, nämlich »Religion« kurz besprochen werden. Auch hier wurde in den letzten Jahrzehnten häufig davor gewarnt, das Wort »Religion« im japanischen Kontext überhaupt zu verwenden, da es »westlich« und damit irreführend sei. Diesem Standpunkt kann man insofern halbwegs zustimmen, als das Wort zu bestimmten Zeiten unterschiedlich und nicht immer angemessen verwendet wurde. Man muss aber auch hier, wie immer, zwischen einem normativen Gebrauch (z. B. in einem Diskurs darüber, was »echte« Religion sei oder sein sollte) und der religionswissenschaftlichen oder -geschichtlichen Anwendung des Wortes unterscheiden, bei der solche Fragen offengelassen werden. Was die Religionsgeschichte Japans angeht, stoßen wir auf die besondere Komplikation, dass die nach dem Vertrag von Kanagawa 1854 nach Japan drängenden Europäer und Amerikaner im 19. Jahrhundert die Aufhebung des Verbots des Christentums durchsetzen konnten, und dies mit dem Ruf nach Religionsfreiheit verbanden. Diese politisch umkämpfte Entwicklung wurde von damals vorherrschenden Vorstellungen von »Religion« begleitet, z. B. dass Religion eine Lehre, eine Ethik, und eine persönliche Überzeugung kombinieren solle. Alte Mythen, Volksriten und Ahnenverehrung dagegen gehörten kaum dazu. Dieser Wirrwarr wenig begründeter begrifflichen Annahmen verkomplizierte den Gebrauch der in den Mittelpunkt rückenden japanischen Neubildung shūkyō, die für »Religion« stand. Übrigens wurden entsprechende Begriffe, aus den gleichen Schriftzeichen bestehend, ins Chinesische und ins Koreanische übertragen, so dass es in modernen Zeiten in Ostasien einen allgemeinen Begriff für »Religion« gegeben hat, der allerdings lange mit anderen Begriffen koexistierte. Ein gutes Beispiel im Japanischen ist shinkō, das meist als »Glaube« übersetzt wird, und häufig in Zusammensetzungen wie kannon-shinkō (Kannon-Kult) oder sangaku-shinkō (Bergverehrung) benutzt wird. In den letzten Jahren sind andere Begriffe wie reiteki bunka (spirituelle Kultur) in den Vordergrund getreten. Diese Begriffsvielfalt ändert nichts daran, dass der Ausdruck shūkyō ganz allgemein von japanischen Verfassern benutzt wird, um das ganze Spektrum von Vorgeschichtlichem über den Zen-Buddhismus bis hin zu den verschiedensten modernen Neugründungen zu bezeichnen.7 Es gibt auch keinen Grund, den Begriff nicht noch weiter auszudehnen, z. B. in Bezug auf postmoderne, übernatürliche Wesen in anime. Kurz gesagt, shūkyō oder »Religion« ist nicht einfach das, was Politiker und Missionare vor anderthalb bis zwei Jahrhunderten damit meinten. Dies sind lediglich die allgemeinsten Terme für den Bereich, mit dem sich Religionswissenschaft oder -geschichte beschäftigen. Dieser Sprachgebrauch bildet übrigens die Grundlage für die Aktivitäten der Internationalen Gesellschaft für Religionsgeschichte (formelle Gründung im Jahr 1950) mit der eine entsprechende japanische Nationalgesellschaft, die Nihon Shūkyō Gakkai, affiliiert ist, und deren Weltkongresse zweimal in Tokyo (1958 und 2005) ausgetragen wurden.
Die Frage der Anwendung des Begriffs »Religion« stellt sich immer: wie will man ihn besetzen, bzw. wie wurde er schon eingesetzt, politisch, juristisch, pädagogisch, oder in anderen Bereichen? Diese Problematik wird unten an den entsprechenden Stellen wieder tangiert, denn im späteren Verlauf wurde sie selbst zu einem Teil der relevanten Religionsgeschichte! Die Religionswissenschaft oder -geschichte hält sich andererseits von den internen Positionen und Auseinandersetzungen fern und beschäftigt sich nicht mit »der« Religion« im Sinne eines allgemein geltenden a priori. Vielmehr geht es um Religionen und verschiedene religiöse Zusammenhänge und Prozesse, die möglichst religionsneutral betrachtet werden. Ohne einerseits eine zu große Scheu vor dem Wort »Religion« zu hegen und, andererseits, ohne den Begriff zu überfrachten, wird hier versucht, das Relevante in den jeweiligen Perioden der japanischen Geschichte fortlaufend darzustellen.
Dieser Abschnitt beschreibt bestimmte Konventionen der Umschrift und dient zugleich als eine kurze Einführung in eine Reihe terminologischer Fragen. Er sollte daher unbedingt von Allen zu Kenntnis genommen werden, die dieses Buch als eine erste Einführung in die Materie lesen. Die Beispiele führen zum Teil in wiederkehrende Inhalte ein.
Modernes geschriebenes Japanisch besteht aus einer Kombination von kanji (Schriftzeichen chinesischen Ursprungs) und phonetischen Schriftzeichen (kana). In früheren Jahrhunderten wurden viele wichtige Werke in kanbun geschrieben, d. h. (kurz erläutert) in einem »Chinesisch« ohne phonetische Ergänzungen, das etwa wie mittelalterliches Latein ein gewisses Eigenleben entwickelte. Um den folgenden Text nicht zu überfrachten, der zwangsläufig zahlreiche Eigennamen und japanische Begriffe enthält, wird auf das Einfügen von japanischen Schriftzeichen grundsätzlich verzichtet. Ausnahmen werden nur in wenigen Fällen gemacht, wenn es im Interesse einer besonderen Differenzierung nützlich oder unumgänglich ist.
Die Umschreibung japanischer Namen und Begriffe folgt hier dem modernen internationalen Standard; d. h. dass grundsätzlich das Hepburn-System mit leichten, heute üblichen Abwandlungen verwendet wird. In seltenen Fällen kann ein Apostroph zwei Silben trennen, um die korrekte Silbenkonstruktion hervorzuheben: Beispiel den’e (»illustrierte Legende« meist in einer Rolle gemalt). Ansonsten bleiben wir eher strikt. Z.B. wird ein »n« vor einem anderen Konsonanten nicht in ein »m« umgewandelt, obwohl dies der Aussprache etwas näherkäme: so schreiben wir nenbutsu(das Gedenken an den Buddha), obwohl man anderswo Nembutsu mit »m« findet.
Der Unterschied zwischen den langen und kurzen Vokalen o/ō und u/ū ist im Japanischen sehr wichtig, und Nichtbeachtung kann zu Missverständnissen im Gespräch führen. Wegen des Bekanntheitsgrads werden die Verlängerungszeichen hier trotzdem in den Namen international bekannter, wichtiger Großstädte weggelassen: Tokyo (eigentlich Tōkyō8), Kyoto (Kyōto), Osaka (Ōsaka), und Kobe (Kōbe); dasselbe gilt für die Namen der drei Großinseln Honshu (Honshū), Kyushu (Kyūshū) und Hokkaido (Hokkaidō); und für einige wenige Begriffe wie Shogun/e (eigentlich shōgun). Trotzdem sollte bei der Aussprache immer die Urform mit dem verlängerten Vokal grundsätzlich beachtet werden. Außerdem ist es sehr wichtig, verdoppelte Konsonanten bei der Aussprache voll zu berücksichtigen: Hokkaido > Hok-kaidō; Byakkō > Byak-kō; Kannon > Kan-non. Derartige Verdoppelungen (Geminationen) werden normalerweise nicht mit einem Bindestrich in der Umschrift gekennzeichnet.
Die einzigen Religionsbezeichnungen, die als wirklich eingedeutscht gelten, sind Zen (unproblematisch) und Shintō. Da Shintō nicht nur alleinstehend, sondern auch in japanischen Zusammensetzungen wie »Yoshida-Shintō » vorkommt, wird die genaue Schreibweise mit dem Langzeichen vorgezogen.
Der herkömmliche deutsche Begriff »Shintoismus« wird meist nicht mehr benutzt, da er eher eine ideologisierte Form dieser Religion andeutet. Eine solche ideologisierte Form hat es schon gegeben, jedoch deckt Shintoismus bei weitem nicht die ganze Breite des Shintōs. Die Namen aller anderen Religionsgruppen werden mit den ggf. notwendigen Langzeichen versehen, Beispiele: Jōdo-shū, Tenrikyō, Byakkō Shinkōkai, auch wenn sich die Gruppen selbst in fremdsprachlichen Publikationen anders bezeichnen. Im Allgemeinen sind japanische Quellen in Bezug auf Latinisierung, auch in vielen anderen Bereichen, überhaupt nicht zuverlässig, vor allem weil verschiedene Systeme miteinander verwechselt werden.
Japanisch kennt traditionell keine Bindestriche. Trotzdem werden die Bezeichnungen von Lehrrichtungen in anderen Sprachen häufig (und auch hier) mit Bindestrichen versehen, so dass Endungen wie -shū(Denomination/Schule, besonders im Buddhismus) sichtbar werden. Beispiele: Tendai-shū, Shingon-shū, Jōdo-shū, Nichiren-shū. Diese Lösung ist allerdings nicht immer angemessen, wie z. B. in Jōdo Shinshū (da Shinshū eine gängige Abkürzung darstellt), oder Risshū (wegen Elision von ritsu und shū).
Es gibt eine Reihe von Begriffen für unterschiedliche heilige Stätten, religiöse Gebäude oder sonstige Zentren. Im Deutschen sollte man vor allem zwischen dem buddhistischen Tempel (tera) und dem Schrein (jinja) im Shintō differenzieren. Drittens spricht man von einer »Kirche« (kyōkai) nicht nur für christliche Kirchen, sondern auch für die Versammlungsgebäude verschiedener neuer Religionen. Unter den deutschen Sammelbegriffen Tempel und Schrein verbergen sich verschiedene weitere Bezeichnungen, die normalerweise als Teil eines jeweiligen Schrein- oder Tempelnamens vorkommen. Als Einführung dient die folgende Liste der häufigsten Bezeichnungen, immer mit ein paar Beispielen von gut bekannten Einrichtungen.
Ein jinjaist der Wohnplatz (yashiro 社, das Schriftzeichen wird auch sha oder -ja gelesen) einer Gottheit (kami 神, auch jin gelesen). Der geläufigste Ausdruck für einen Shintō-Schrein ist daher jinja, und dies kommt in vielen Schrein-Namen vor: Chichibu Jinja, Hikawa Jinja, Imamiya Jinja, usw. Schreine für wichtige Gottheiten (kami) können besonders imposante Bezeichnungen haben, wie insbesondere gū (Palast) oder jingū (Gottespalast): Hachimangū, Tenmangū, Meiji Jingū, Atsuta Jingū; oder taisha(von tai: groß): Izumo Taisha, Kasuga Taisha.
Die Namen buddhistischer Tempel zeigen verschiedene Endungen. Die beiden häufigsten sind -ji und -tera (in Namen meist zu -dera). Beide Endungen werden mit dem gleichen Schriftzeichen 寺 geschrieben: Shitennōji, Honganji, Myōshinji, Asukadera, Kiyomizudera. Da diese Endungen im Endeffekt schon Teil des jeweiligen Tempelnamens sind, wird das Wort Tempel hier nicht noch einmal hinzugefügt (Kiyomizudera bedeutet schon Kiyomizu Tempel, und Myōshinji bedeutet schon Myōshin Tempel). In vielen Tempeln gibt es unterschiedliche Gebäude oder »Hallen« für bestimmte Buddhas oder Bodhisattvas, und diese werden als dō 堂 bezeichnet: Kannondō, Shakadō, Yakushidō, Shōtokudō (für Prinz Shōtoku als ein Bodhisattva), Daishidō (für einen großen Lehrer (daishi) wie Kōbō Daishi/Kūkai). Eine weitere, nicht seltene Endung dieser Art ist -in 院: dies bedeutet eigentlich einen ruhigen Aufenthalts- oder Rückzugsort. Beispiele: Byōdō-in, Chion-in (tatsächlich ein größerer Tempel in Kyoto mit vielfältigen Aktivitäten). Der phonetischen Klarheit halber werden Namen mit der Endung -in hier mit einem Bindestrich geschrieben. In einigen Fällen deutet die Endung -in auf die Alters-Residenz einer hochstehenden Persönlichkeit oder gar eines Tennō (Kaiser), die erst nachträglich als »Tempel« eingeordnet wurde.
Eine häufige Endung dieser Art ist -den. Ein den ist eine besonders prächtige Halle, ob bei Shintō-Schreinen oder buddhistischen Tempeln. An den meisten Schreinen gibt es zuerst ein haidenoder Gebetshalle, die von Priestern und formellen Schrein-Besuchern für Gebete betreten wird. Hinter dem haiden befindet sich noch ein etwas erhöhtes, wenn auch kleineres honden oder Haupthalle. Hier weilen die zu verehrenden kami, die nicht unbedingt so viel Platz einnehmen wie Menschen. Diese heilige Halle wird von Betern nicht betreten. Auch in buddhistischen Zusammenhängen kommt der Begriff den vor, vor allem in der Bezeichnung Butsuden (Halle des Buddhas), aber diese Hallen werden zu bestimmten Anlässen betreten, natürlich ohne Schuhe.
Die Tempelnamen verweisen oft auf Konzepte aus den buddhistischen Lehren – so Honganji, der Tempel des »ursprünglichen Gelübdes« im Amida-Buddhismus – oder auf den Namen eines Buddhas wie Yakushiji, oder eines Bodhisattvas wie Kannonji.9 Yakushi ist ein mythischer Buddha, der insbesondere als Medizingott verehrt wird, während Kannon, überwiegend als weiblich verstanden, als ausgesprochen barmherziger Bodhisattva gilt, der oder (in den späteren Formen) die in unterschiedlichen Notsituationen helfen kann.
Schließlich kommen wir zu einer Gruppe von Begriffen, die, obwohl sie in alten Traditionen wurzeln, besonders in der neuzeitlichen Religionsgeschichte eine Rolle spielen. Folgende Komponenten sind zu beachten: kyō教 »Lehre« (auch in der Lesart oshie); kai 会 »Versammlung« und später auch »Gesellschaft«; dan 団 »Verein« oder »Gesellschaft«. Daraus ergeben sich einige häufige Zusammensetzungen wie -kyō in den Namen neuer Religionen wie Kurozumikyō, Tenrikyō, Konkokyō, die jeweils »eine Lehre« vertreten. Diesen Ausdruck für Lehre findet man auch in der neuzeitlichen Prägung bukkyō, für Buddhismus, zusammengesetzt aus butsu (Buddha) und -kyō). Die allgemeine Bezeichnung für christliche Kirchen ist kyōkai »Lehr-Versammlung«, die sowohl die gesamte Gemeinschaft als auch die Gebäude bezeichnet. Sie wird aber auch für die örtlichen Versammlungsgebäude neuerer Religionsgemeinschaften benutzt. Die ältere Bedeutung von »Kirche« in der christlichen Theologie ist dabei untergegangen. Die Zusammensetzung kyōdanbedeutet »Lehrgemeinschaft«, und wird für eine führende protestantische Kirche des Landes, Nihon Kirisuto Kyōdan benutzt, sowie in den Namen einiger neuen Religionen wie PL Kyōdan. Prämodern ist der Begriff kō 講 mit der Bedeutung von »Gruppe« oder »Verein« wie z. B. in Fujikō (»Verein der Fuji-Verehrer«). Dabei handelt es sich um örtliche Gruppen, die sich zwecks religiöser Fortbildung oder Pilgerfahrt usw. zusammenfinden.
In Zusammenhang mit dem Buddhismus gibt es die besondere Komplikation, dass diese Tradition überwiegend in ihrer chinesischen Form in Japan rezipiert wurde. Zeitbedingt weicht die Aussprache der Schriftzeichen für Fachbegriffe und Tempel- oder Personennamen von dem ab, was in modernen Zeiten zur japanischen Standardlesart für die gleichen Zeichen wurde. Soweit man sich mit den Schriftzeichen beschäftigt, ist daher auf besondere Lesarten zu achten. Im Übrigen wurde die Wiedergabe von indischer Terminologie durch die vermittelnde chinesische Transkription bestimmt; so findet man z. B. kusha für kośa, wie dies im Titel der indischen Schrift Abhidharma-kośa vorkommt.
Bei japanischen Namen gibt es einige Konventionen, die im Lauf der Geschichte etwas unterschiedlich ausfallen, so dass Informationen für Leser ohne Vorkenntnisse absolut notwendig sind. Eine Grundregel ist, dass Familiennamen (sei), wie sonst in Ostasien, grundsätzlich vor dem individuellen Namen (mei) stehen. Dieser Regel wird hier gefolgt. Im Beispiel Suzuki Noriko ist Suzuki der Familienname und Noriko der persönliche Name. Weibliche Namen enden häufig (aber nicht immer) mit -ko (wörtlich »Kind«) und sind daran als weiblich zu erkennen. Leider drehen Japaner ihre zwei Namen für »ausländische« Zwecke häufig um. Dieser Unsitte wird hier nicht gefolgt. Ausnahmen sind zulässig, wenn eine Person sehr lange in einem fremden Land lebt, wo die Namen normalerweise andersherum stehen. Im Literaturverzeichnis steht der Familienname immer zuerst, und ein persönlicher Name folgt nach einem Komma (z. B. »Anesaki, Masaharu«); das Komma ist lediglich eine bibliographische Handhabung, denn dieser männliche Name ist, normal gesehen, Anesaki Masaharu. Persönliche Namen werden im modernen Japan selten benutzt, eigentlich nur familienintern oder für Kinder. Wenn Japaner die Vornamen von Ausländern gebrauchen, tun sie etwas, was sie bei einem anderen Japaner außerhalb der Familie oder einem Kinderkreis nie machen würden. Das kann man interpretieren, wie man will.
In klassischen Zusammenhängen kommt vor, dass zahlreiche Menschen den gleichen Familien- oder Sippennamen haben, z. B. Fujiwara. Individuen werden dann als So-und-so »der« Fujiwara bezeichnet, z. B. Fujiwara no Michizane (no kennzeichnet einen Genitiv). Daher ist es in der Geschichtsschreibung nicht ungewöhnlich, der Klarheit halber, nach einer ersten Nennung den persönlichen Namen zu benutzen. Zum Beispiel kann man Kado no Azumamaro nach der ersten Bezeichnung einfach Azumamaro nennen. Dies bedeutet nicht, dass man ihn besonders gut kennt oder gar als Kamerad einstuft! Die Konvention ist praktisch unumgänglich, wenn es um Generationen von Denkern (wie die Hayashi-Familie), Künstlern (wie die Kano-Familie), Shōgunen (wie die Ashikaga oder die Tokugawa), oder Shintō-Priestern (wie die Senge-Familie zu Izumo) geht. Außerhalb einer solchen Familienserie besteht jedoch keinen Grund für den isolierten Gebrauch des Personennamens, und daher wird er unten nur in unumgänglichen Fällen benutzt.
Bei ordinierten buddhistischen Mönchen und Nonnen ist es üblich, auf die ursprünglichen Namen, auch wenn gelegentlich einmal erwähnt, zu verzichten, und nur den Mönchs- oder Nonnennamen zu benutzen. Diese bestehen normalerweise aus zwei Silben, bzw. zwei Schriftzeichen chinesischen Ursprungs, aber japanisch ausgesprochen: z. B. Saichō, Kūkai, Shinran. Bei Nichiren sind die zwei »Silben« Nichi (Sonne) + ren (Lotos). Nichi mag in dieser Form wie zwei Silben aussehen, jedoch steht es für ein einzelnes Schriftzeichen, dessen Aussprache in anderen Zusammenstellungen auch zu Nitc- oder Niss- abgekürzt werden kann. Besonders berühmte buddhistische Lehrer bekommen später Ehrennamen, die mit -Daishi (»großer Lehrer«) enden (s. viele Beispiele unter 4.2). Unten werden normalerweise nur die einfachen Mönchsnamen benutzt.
Aber jetzt wenden wir uns wieder dem weitergehenden Überblick der japanischen Religionsgeschichte zu.
Der Reiz der Geschichte liegt zum Teil in der Charakterisierung bestimmter Perioden und zum Teil gerade in den Fragestellungen, die eine traditionelle Periodisierung nicht respektieren. Nach der Konvention wurde die japanische Geschichte häufig in fünf große Zeitalter gegliedert, nämlich:
Eine »Periode« umfasst traditionell mehrere, oder sogar zahlreiche »Ären«, die mit den aufeinander folgenden Herrschern oder »Kaisern« (tennō) verbunden sind. In früheren Zeiten konnte eine Ära sehr kurz sein. Es kam sogar vor, dass ein tennō den Namen der Ära während seiner (oder ihrer) eigenen Regierungszeit änderte, mit dem Ergebnis, dass es mehr Ären als tennō gibt. In der »Moderne« hat es andererseits bislang nur fünf Ären gegeben. Diese waren soweit schon abgelaufen jeweils lang genug gewesen, um auch als »Perioden« betrachtet zu werden, und daher wird der moderne, eher farblose Begriff jidai sowohl für Perioden als auch für Ären benutzt. Die eigentlichen Ära-Namen (nengō) genießen eine gewisse Beliebtheit in Japan, vor allem unter den Befürwortern des Tennō-Systems.
Die traditionelle Unterteilung in fünf übergeordnete Zeitalter funktioniert jedoch aus zwei Gründen nicht mehr gut. Erstens lässt sie vorgeschichtliche Perioden außer Acht, obwohl deren Erforschung signifikante Fortschritte gemacht hat. Stattdessen wird der Anfang der japanischen Geschichte weitgehend mit den Anfängen einer Yamato-Zeit identifiziert, die durch legendäre, angeblich von Gottheiten abstammende Herrscher charakterisiert wird. In neueren Darstellungen wird daher ein prähistorisches Zeitalter genannt, das die Jōmon-Periode (bis etwa 300 vor Christus) und die Yayoi-Periode (etwa 300 vor bis 300 nach Christus) einschließt. Diese Perioden werden vor allem durch unterschiedliche Keramikfunde identifiziert. Der Ertrag für die Religionsgeschichte bleibt allerdings bisher de facto eher spärlich (vgl. Kapitel 2). Jedoch ist es wichtig, dass man die Anfänge der japanischen Geschichte, und damit der Religionsgeschichte nicht mit legendären Anfängen gleichsetzt, die immer noch aus religionsideologischen Gründen nicht selten hervorgehoben werden und gelegentlich in unkritischer westlicher Literatur auftauchen. Neuerdings ist eine Tendenz zu beobachten, die Anfänge von »Shintō« in der Yayoi-Zeit zu sehen, was nur mittels einer unberechtigt robusten Begriffs-Verschmelzung gelingt. Nach der Yayoi-Zeit ist außerdem noch das Zeitalter der großen Tumuli (Japanisch: kofun) zu nennen. Dieses wird unterschiedlich datiert, entweder von 250 bis 552 nach Christus, also bis zum Anfang der Asuka-Periode, oder von 300 bis 600. Dieses Zeitalter, in denen wichtige Herrscher in großen Hügel-Gräbern bestattet wurden, entspricht weitgehend der sog. Yamato-Periode, aber die Benennung basiert auf konkreten überprüfbaren archäologischen Tatsachen und nicht auf Shintō-Mythologie. Das letzte große Hügelgrab wurde für Bidatsu (wahrscheinlich 585 gestorben), eingerichtet, und dieses Datum führt uns in die Asuka-Periode, in der der Buddhismus nach Japan gelangte. Die Yamato-Zeit wird gelegentlich mit 300–710 angegeben, so dass die ganze Asuka-Periode miteingeschlossen wird. Man kann daher sagen, dass das Yamato-Zeitalter eher ein ideologisches Konstrukt ist, das die Zeit der tennō-Linie bis zur Einrichtung von Nara als Hauptstadt zusammenhalten will.
Das zweite, neuere Problem ist, dass die sog. »Gegenwart« (gendai) sich inzwischen bis zum Jahr 2020 über mehr als 150 Jahre erstreckt, und dass diese Zeitspanne zwar wenige Ären gesehen hat, jedoch enorme politische und soziale Umwälzungen, die selbstverständlich auch die Religionsgeschichte beeinflusst haben. Gemeinsame Züge zwischen den Ären lassen sich feststellen, jedoch haben viele jetzt geläufige und damit »moderne« Religionspraktiken ihre Wurzeln oder Vorgängermuster in der »frühmodernen« Edo-Zeit, oder sie liegen noch weiter zurück. Die wichtigsten Abschnitte der modernen Religionsgeschichte überschneiden sich nicht automatisch mit den neuzeitlichen Ären-Bezeichnungen. Daher wurde die Entscheidung getroffen, erstens ein Kapitel über die wachsenden Ansprüche des Shintōs in der späteren Edo-Zeit und der frühen Meiji-Zeit (d. h. sowohl vor als auch nach 1868) einzufügen (Kapitel 8), und zweitens die Darstellung der Religionen in der Shōwa-Ära über zwei Kapitel zu verteilen, für die Zeit vor und nach dem zweiten Weltkrieg, weil sich nach Kriegsende besonders auf dem Gebiet der »Religion« gravierende Veränderungen vollzogen.
Man muss zugeben, dass frühere Konventionen über Periodisierung das Verständnis der japanischen Religionsgeschichte stark beeinflusst haben, und viele Einzelstudien (genau wie auch in anderen Bereichen) sind grundsätzlich durch eines der genannten Zeitalter oder dessen Charakteristika bestimmt. Aus praktischen Gründen spricht man z. B. mit einer bestimmten Berechtigung von »Kamakura-Buddhismus«, auch wenn solche Bezeichnungen später etwas hinterfragt werden müssen.10 Trotz Krisen und Veränderungen gibt es auch Kontinuitäten in der Geschichte, und diese kommen nicht selten erst nach den Turbulenzen der Krisenbewältigung in Sicht. Dies bedeutet, dass man auch über die chronologischen Grenzen hinausschauen muss.
Im Übrigen gibt es nicht so etwas wie ein »Jahrhundert« oder ein »century« oder gar ein Millennium. Im sich verschiebenden menschlichen Bewusstsein spielen solche Kategorien eine gewisse Rolle, und dieses Bewusstsein selbst kann zu einem historischen Faktum werden. Für die Geschichtsschreibung (in welchem Bereich auch immer) können »Jahrhunderte« aber niemals mehr als Gedächtnisstützen sein. Betrachten wir ein bestimmtes Jahrhundert, so bröckeln sofort die Zeitgrenzen. Das wichtige Werk von C.R. Boxer, The Christian Century in Japan (1951) trägt den Untertitel »1549-1650«. Das sind ziemlich genau ein hundert Jahre, beginnend mit der Ankunft von Francisco de Xavier in Japan und endend mit der brutalen und weitgehend erfolgreichen Unterdrückung der neuen auswärtigen Religion. Und doch gab es Vorspiele bereits ab Marco Polo, und Nachspiele durch das hartnäckige Überleben einiger als Kirishitan bekannten Konvertiten und die sich fortsetzende Auseinandersetzung mit christlichem Gedankengut. In der europäischen Religionsgeschichte ist es nicht anders. Wie mittelalterlich ist das großartige Werk Martin Luthers? Andersherum gefragt, wie post-mittelalterlich waren schon Wycliffe und Hus vor ihm? Oder wenn wir an Johan Huizingas schöne Buch Herbst des Mittelalters denken, dürfen wir uns fragen, wann genau die Blätter zu fallen anfingen. Im realen Herbst jedes Jahres merken wir es meist erst, wenn schon einige auf dem Boden liegen.
Zusammenfassend ist es klar, dass man nicht vermeiden kann, Bücher in Kapiteln zu untergliedern, damit sie sinnvoll abschnittsweise gelesen werden können. Im Allgemeinen respektieren die hier getroffenen Entscheidungen den üblichen Rahmen, aber die wenigen Abweichungen von älteren Standardwerken haben ihre Gründe.
Diese chronologische Übersicht berücksichtigt folgende Aspekte: (a) die allgemeine Periodisierung der japanischen Geschichte, (b) punktuelle Geschichtsdaten, die den allgemeinen Rahmen setzen, und (c) herausragende religionsgeschichtliche Aspekte, deren Stellung in der allgemeinen Geschichte sichtbar werden soll. Die Angaben sind nicht umfassend, sondern dienen nur der Orientierung; mehr Informationen über bestimmte Personen und Religionsgemeinschaften sind im Haupttext zu finden. Im Haupttext werden Lebensdaten für Personen bei der ersten Erwähnung angegeben und je nach Kontext bei einer späteren Behandlung wiederholt. Die Jahresangaben folgen der westlichen Zeitrechnung und wurden mit japanischen Standardhilfsmitteln abgeglichen. Da der Jahresanfang in der traditionellen Zeitrechnung etwas später angesetzt war, kann dies zu geringfügigen Unstimmigkeiten führen, jedoch folgen wir hier der gängigen Konvention, zumal es fast immer nur um Jahresdaten und nicht um Tag und Monat geht.
Karte 2: Provinzen Japans bis zur Meiji-Zeit (Peter Palm, Berlin).
Wir beginnen mit einigen Anhaltspunkten für die Religionsgeschichte Japans in der Zeit vor der Einführung der chinesischen Schriftkultur und des Buddhismus. Die geologischen und geographischen Grundlagen für die frühesten menschlichen Siedlungen in dem jetzt als Japan bekannten Land sind als Kontext für die japanische Religionsgeschichte von großem Interesse. Veränderungen der Morphologie der Landschaft sowie in klimatischen Bedingungen ermöglichten die Entwicklung menschlicher Aktivitäten in der nordostasiatischen Region, mit der Japan in prähistorischer Zeit durch Landbrücken verbunden war.1
Wie kaum anders zu erwarten, gibt es keine direkten Beweise für eine religiöse Dimension im Leben der Bewohner des japanischen Archipels in prähistorischer Zeit. Auch indirekte Andeutungen sind spärlich und lassen Raum für unterschiedliche Interpretationen, die schon aus diesem Grund nicht als erwiesen betrachtet werden können. Aus dem Paläolithikum liegen lediglich einfachste Jagdwerkzeuge vor. Ein kleiner Stein mit auffälligen Kratzern, der in der heutigen Ehime-Präfektur auf der Insel Shikoku gefunden wurde, könnte aus dem 12. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung, also vom Ende des Paläolithikums stammen. Die Kratzer sind als die Haare, Brüste und Becken einer Frau gedeutet worden, aber ohne Kontext lässt sich darüber nichts weiter sagen.
Das Neolithikum umfasst die Zeit ab der großen Gletscherschmelze zwischen dem 12. Jahrtausend und dem 3. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Die koreanische Halbinsel hatte bereits ihre vom chinesischen Festland aus gesehen relativ isolierte geographische Lage angenommen, während der Zugang von Norden her durch ein äußerst hartes Klima erschwert war. Der japanische Archipel war inzwischen vom Festland völlig abgetrennt. Die relative Nähe zwischen Korea und Japan, die später bedeutsam wurde, spielte mangels effektiver Seefahrt noch keine große Rolle.
Gemeinsamkeiten in der Kultur der Neusteinzeit sind schwierig zu deuten, da die Besiedlung der japanischen Inseln nicht nur von Korea aus, sondern auch von den südlichen Inseln erfolgte. Man kann von Kontinuitäten in der symbolischen, mythologischen und rituellen Kultur ausgehen, die aber nicht präzise dokumentiert werden können.2 Das Neolithikum in Japan wird meist als das Jōmon-Zeitalter bezeichnet, da die typische Keramik aus dieser Zeit jōmon (»Schnurmuster«) aufweist. Obwohl dieser Stil gelegentlich als etwas Besonderes dargestellt wird, gehört diese Technik in die weltweit bekannte Kategorie der Schnurkeramik. Es handelt sich um abstrakte, nicht-figürliche Muster. Auch Körperschmuck aus Stein, Horn und Lehm ist erhalten. Da es an figürlicher Dekoration mangelt, lassen sich jedoch kaum bestimmte Vorstellungen oder Absichten ableiten. Vorschläge, aus dem Fund eines kleinen Lehmfigürchen, bei dem die zwei Arme und ein Bein abgebrochen waren, auf magische oder religiöse Praktiken zu schließen, müssen im Bereich der Spekulation bleiben.3
Jungsteinzeitliche Siedlungen sind nachgewiesen durch einfache Strukturen wie Wohnanlagen, einfache Bestattungsplätze im Erdreich und größere Ansammlungen bzw. kleine Hügel von Muscheln. Es gibt keine Beweise für Strukturen, die anderen Zwecken wie Ritualen gedient hätten. Die kleinen Hügel aus Muscheln sind deutlich identifizierbar und haben daher auf Japanisch eine eigene Bezeichnung, nämlich kaizuka. Das Wort ist zusammengesetzt aus kai (Muschel) und tsuka (ein künstlich aufgebautes Hügelchen). Das zweite Element taucht später in Namen wie Ōtsuka auf, was auf die Bedeutung solcher Stellen im Volksgedächtnis hindeutet. Diese kleinen Hügel dienten jedoch nichts anderem als der getrennten Entsorgung schwer verweslicher Essensreste. Hinweise, dass diese Überreste als ehemalige Lebewesen rituell entsorgt wurden, gibt es nicht. Über die systematische Bestattung von Tierresten siehe jedoch weiter unten.
In der allgemeinen Religionsgeschichte liefern primitive Grabstätten häufig Anhaltspunkte für eine religiöse Perspektive, jedoch können in der japanischen Vorgeschichte wenige Schlüsse in dieser Hinsicht gezogen werden. Auch in Gegenden, die für mehrere Begräbnisse benutzt wurden, sind Skelette nicht in signifikanten Positionen (wie etwa in einer bestimmten Himmelsrichtung) aufgefunden worden. Gelegentliche Funde in Embryonalstellung könnten auf Platzmangel zurückgeführt werden. Ein zunehmendes Interesse an die Verstorbenen wird durch die Beilage von kleinen Gegenständen wie Perlen (von Ketten), Ohrringe oder Armringe dokumentiert.4 Als im Wesentlichen dekorative Gegenstände liefern sie keinen Beweis für eine Vorstellung von Bedürfnissen in einem Jenseits nach dem Tod. Andererseits beweisen sie auf jeden Fall Respekt für die Verstorbenen seitens der Überlebenden. Die Vermutung, prähistorische Begräbnisse dienten einem religiösen Bedürfnis, unzufriedene Geister zu besänftigen,5 kann man wohl als Rückprojektion aus späterer Zeit bewerten.
In neuen Entdeckungen sind Hinweise auf das systematische Begraben von Körperteilen von Tieren, insbesondere Bären, Delphinen und Wildschweinen gefunden worden, und man könnte als Hintergrund eine Vorstellung vermuten, dass getötete Tiere eine Besänftigung brauchen. Dies lässt sich jedoch nicht definitiv sagen, und für damit verbundene Riten gibt es keine Anhaltspunkte.6 Im sogenannten Bärenkult des benachbarten Ainu-Volks ist eine derartige Besänftigung ein Element gewesen, jedoch ist die Evidenz dafür selbstverständlich viel später.7 Man kann sich höchstens etwas fantasievoll in die Lage der steinzeitlichen Menschen hineinversetzen. Vom Gesichtspunkt ihres praktischen Lebens ergab sich die Notwendigkeit, Reste organischen Materials außerhalb der eigenen Wohnstätten zu deponieren. Diese Motivation könnte als archaische Grundlage für das spätere Konzept von kuyōangenommen werden, also die Fürsorge für die Geister verstorbener Wesen, ob menschlich oder aus der Welt der Tiere und der Fische. Somit wäre dies ein Ausgangspunkt für ein durchgehaltenes Merkmal der japanischen Religion im Allgemeinen, nämlich die rituelle Entsorgung von Körperteilen wie Nabelschnüren, den abgeschnittenen Nasen oder Ohren von Kriegsgegnern,8 oder sogar von modernen Körperergänzungen wie Brillen! Für die japanische Vorgeschichte lassen sich aber keine derartigen Motive nachweisen. Ähnliches muss für die Idee gesagt werden, dass prähistorische »Japaner« glaubten, dass die Geister ihrer Verstorbenen in die Berge gingen und sich dort in die kami (Gottheiten) eines uralten Shintōs verwandelten. Man hat dies, natürlich spekulativ, als eine prä-buddhistische Form der japanischen Ahnenverehrung bewertet.9 In diese Richtung gehen einige Andeutungen in der berühmten Gedichtsammlung Man’yōshū (s. auch unten), jedoch haben sie für die prähistorische Zeit an sich keine Beweiskraft.
Im Allgemeinen ist das Neolithikum auf den japanischen Inseln durch die Kontinuität einer Kultur der Jagd, des Fischfangs, vom Sammeln der Bodenfrüchte, und des Kochens charakterisiert, die auch für die koreanische Halbinsel und das nordasiatische Festland typisch war und teilweise noch ist. Aus späteren Zeiten ist bekannt, dass eine derartige Lebensweise bei vielen benachbarten Volksstämmen durch schamanistische Vorstellungen und Rituale begleitet wurden. Vor allem sind hier wieder die Ainu zu nennen, die weite Teile Nordjapans inklusive Hokkaido bewohnten, bis sie durch japanische Kolonialisten radikal verdrängt wurden.10 Ainu bewohnten auch die nördliche Insel Sachalin, die nur in modernen Zeiten kurz unter japanische Kontrolle geriet. In diesem Kontext sind die Übergänge zur schamanistischen Kultur Nordasiens eindeutig.11
In schamanistisch geprägten Kulturen spielt Tiersymbolik eine wichtige Rolle, und dies kann mit entsprechender Vorsicht als eine Wurzel für derartige Elemente in der späteren japanischen Religionsgeschichte gesehen werden, wie z. B. das Tragen eines Hirschfells bei den Bergasketen (yamabushi, s. unten) oder die Darbietung von Hirschköpfen an die kami des Suwa-Schreins, obwohl Tieropfer an sich kaum eine Rolle im Shintō spielt.12 In diesem Zusammenhang ist Hans Findeisens Konzept einer Tierschicht in der kulturellen Archäologie des Schamanismus sehr aufschlussreich.13 Es ist auf jeden Fall nachvollziehbar, dass Jäger und Sammler in einem intensiven Verhältnis zu den Tieren und Vögeln ihrer Umwelt leben, und dass einige Individuen auf dieser Grundlage besondere Fähigkeiten auf dem Gebiet der Kommunikation und der Vermittlung entwickeln. So entsteht das Schamanentum in seinen vielen Variationen, und das Nachhallen durch die Jahrhunderte, sogar bis hin zu der Gründung einiger neuen Religionen, rechtfertigt die Vermutung, dass es auch in der Vorgeschichte Japans nicht gefehlt hat. Andererseits ist Vorsicht geboten. Im späteren Verlauf kann man grob zwischen drei Typen des Schamanismus unterscheiden: eine unerwartete Besessenheit durch einen kami, die zu neuen religiösen Aktivitäten führt, eine mehr oder weniger berufliche Ausbildung beispielsweise von blinden Schamaninnen in Nordostjapan, und das bewusste Erstreben von übernatürlichen Kräften seitens der buddhistisch beeinflussten Bergasketen. Keine dieser unterschiedlichen Zugänge kann unmittelbar auf die Vorgeschichte zurückgeführt werden.
Der Wunsch, eine derartige religiöse Kultur direkt für moderne Zeiten zu reklamieren, kann bekanntlich in der Form des westlichen Neo-Schamanismus gesehen werden. In Korea scheint das Bedürfnis nach einem nationalen Kulturgut »Schamanismus« sehr stark zu sein, so dass er dort teilweise neu aufgelegt oder gar neu erfunden wird. Im japanischen Fall wurden die Elemente dieser vermutlichen prähistorischen Schicht eines Ur-Schamanismus immer wieder umgestaltet und überlagert, so dass es jetzt unmöglich ist, eine direkte Linie aus späteren Zeiten zu einem deutlichen Ausgangspunkt in der Prähistorie zurückzuverfolgen.
Attraktiv für eine spätere romantisierende Legendenbildung ist es gewesen, dass die erste japanische Person, über die in der Geschichte namentlich berichtet wird, eine Art Königin namens Pimiko (oder Himiko) war, die es, nach dem Wèi zhì (der Chronik der chinesischen Wèi-Dynastie) zu schließen, verstand, ihre Untertanen zu »verzaubern«. Als Herrscherin von »Yamatai« (offensichtlich einer der kleinen Regionalmächten auf den japanischen Inseln, und vielleicht eine Vorläuferbezeichnung von Yamato) schickte sie Gesandte nach China, um Tribute abzuliefern und Geschenke wie Bronzespiegel auszutauschen. Die Chronik berichtet, basierend auf Hörensagen, sie habe als unverheiratete Frau ein durch streng disziplinierte Dienerinnen und Wächter geschütztes Leben geführt und einen magisch wirkenden Einfluss auf ihre Untertanen ausgeübt. So faszinierend dies sein mag, reichen die Beschreibungen nicht aus, Pimiko als eine »Schamanin« im genaueren Sinne zu kennzeichnen. In den sehr fragmentarischen Angaben der Chronik wird nebenbei erwähnt, dass wichtige Männer sich nicht bei rituellen Verehrungen verbeugen (wie man wohl in China erwarten würde), sondern lediglich (in die Hände) klatschen. Darin könnte man eine erste Andeutung der später im Shintō üblichen Praxis sehen.
Da Pimikos Gesandtschaft nach China im Jahr 238 nach Christus erfolgte, sind wir damit längst in die nächste Periode geraten, nämlich die Yayoi-Zeit, die man etwa zwischen 300 v.u.Z. und 300 u.Z. ansetzt.14 Nach dem Ende der Jungsteinzeit ist dieses Zeitalter durch den Beginn des vom Festland importierten Reisanbaus sowie die Einführung von Artefakten aus Eisen und Bronze charakterisiert. Die Bezeichnung Yayoi hat keine besondere Bedeutung; sie wurde lediglich vom Namen einer Gegend im heutigen Tokyo übernommen, wo Keramik aus dieser Zeit entdeckt wurde. Ausgrabungen von Siedlungen aus der Yayoi-Zeit förderten nicht nur Wohnanlagen zutage, sondern auch Lager für die Reisernte und schützende Wassergräben. Trotzdem gibt es weiterhin keine Anzeichen für Standorte oder Strukturen, die religiösen Zwecken gedient haben können, wie Schreine oder Tempel. Man möchte vielleicht spekulieren, dass besondere Rituale vor der Reispflanzung und nach der Ernte durchgeführt wurden, wie es in späteren Zeiten zur Norm wurde, jedoch verfügen wir nicht über archäologische Beweise dafür. Allerdings kann dieses Schweigen bei vergänglichen Ritualen, die ohne besondere Artefakte durchgeführt werden, in der Natur der Sache liegen.
Ergiebiger ist die Erforschung von Grabstätten in der Yayoi-Zeit. Särge aus Lehm oder Holz wurden benutzt, und dies deutet darauf, dass man sich über die unmittelbare Zukunft von Verstorbenen sorgte. Die Särge aus Lehm (kamekan genannt) hatten die Form großer Krüge, in die der Leichnam senkrecht oder schräg gelegt wurde. In Nord-Kyushu sind auch Schwerte und Spiegel in Särgen gefunden worden. Aber wie sollte dies gedeutet werden? Sollten sie den Verstorbenen während der Reise ins Ungewisse zum Schutz dienen? Oder scheute man, Gegenstände, die so eng mit einem Verstorbenen identifiziert waren, anderweitig zu verwenden? Oder gehen derartige unterschiedlichen Spekulationen, die an sich nachvollziehbar sind, an einer anderen Motivation vorbei, die jetzt für immer als verloren gelten muss?
Rätselhaft ist auch die Funktion von Glocken aus Bronze, auf denen Hirsche und andere Motive abgebildet sind. Während der Yayoi-Zeit wurden sie nach Vorbildern vom Festland in Japan angefertigt. Sie hatten eine Öse zum Aufhängen und im Inneren einen Klöppel. Spätere Glocken oder Gongs, besonders im Bereich des Buddhismus, hatten keinen Klöppel und wurden von außen angeschlagen. Die Glocken mit Klöppeln, die man im Prinzip läuten konnte, könnten eine soziale, zeremonielle oder rituelle Funktion gehabt haben, jedoch bleibt diese unbekannt. In Zentraljapan wurden sie auf Berghängen hinter bewohnten Gebieten gefunden, nach außen gerichtet. In ähnlichen Lagen in Kyushu und auf der kleineren Insel Tsushima