Remix - Benjamin von Stuckrad-Barre - E-Book
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Beschreibung

Alltag, Rausch, Fernsehen, Pop, Liebe & das Gegenteil, Produkte & Personen, Welt sind die Themen, denen sich Benjamin von Stuckrad-Barre in Reportagen, Porträts, Kurzgeschichten, Pamphleten, Glossen, Kleinanzeigen und Lexikoneinträgen annimmt – mal streng unsachlich, mal nüchtern, hier liebevoll, dort vorlaut. Manche Artikel sind zuerst in Magazinen und Zeitungen erschienen, doch »Remix« heißt natürlich: Texte nicht nur zweitverwertet, sondern überarbeitet (Single-edits, Maxi-Versionen), nachgebessert (Sound! Rhythmus! Refrains!), geschliffen, veredelt. »Remix« ist eine kompakte Best-of-Sammlung, die jedoch allenfalls eine Zwischenbilanz darstellt. Seine Fortsetzung findet das Werk in »Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft – Remix 2« (2004) und "Ich glaub, mir geht's nicht so gut, ich muss mich mal hinlegen – Remix 3" (2018).»Für Journalistenschüler und ihre Lehrer lässt sich jedenfalls kein schöneres Geschenk denken als ›Remix‹, eine Sammlung der glanzvollsten Artikel Stuckrad-Barres.« taz

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Seitenzahl: 343

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Benjamin von Stuckrad-Barre

Remix 1

Texte 1996–1999

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Benjamin von Stuckrad-Barre

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

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»An der Straßenecke zu stehen und auf keinen zu warten, das ist Power.«

Gregory Corso

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99

Frühstücksbüffets

Man fällt ja immer wieder drauf rein. Ob allein auf Reisen oder im Kollektiv die Woche krönen wollend mit dem Frönen eines Spießbürgerbrauchs to end all Spießbürgerbräuche – »schön im Hotel frühstücken, großes Büffet!«. Speziell der Sonntag wird zum großen Kampffrühstück genutzt – endlich mal in Ruhe den Tag begrüßen, sich verwöhnen lassen, diese ganze Scheiße. Formel-1-Rennen gucken ist nicht sinnloser.

Das Frühstücksbüffet erscheint unglaublich attraktiv: alles da, von jedem etwas, wir breakfasten nicht, wir lunchen nicht, sondern, genau – wir brunchen. Brunchen meint: Jeder belädt seinen Teller, als wäre er schwanger. Kaltes neben Heißem, süß neben salzig und dazu diverse Ei-Variationen, Säfte und hier ein Toast und da ein Obst, gerade so, als gelte es, Vorräte für den Luftschutzbunker zu hamstern. Psychologisch ist es vorteilhafter, einen großen Teller zu behäufen statt mehrerer kleiner, was nämlich immer so aussieht, wie es ist – schlicht gierig. Das Büffet ist eine gastronomische Pauschalreise, all inclusive, auch der Ärger.

Die Aussicht, ein bißchen Ei, dazu aber auch Obstsalat und trotzdem noch ein Brötchen und ein Nutella-Croissant essen zu können, erscheint gerade Insassen nachlässig geführter Single-Haushalte paradiesisch. Sonntagsfrühstücke daheim sind sinnvoll limitiert – mehr gibt es nicht, weil es mehr nicht gibt; Marmelade ist zwar noch da, aber der Toastvorrat erschöpft sich in Krumen am Tütenboden. Das macht zufrieden. Nach einem auswärtigen Frühstücksbüffet dagegen ist der Selbsthaß beträchtlich. Unsinnige Mischung und maßloses Hungerüberschätzen bewirken ein Calzonegefühl in der mehr denn je als Bauch empfundenen Magengegend.

Die dargebotene Fülle ist imposant, die Qualität der Einzelposten jedoch zumeist unterdurchschnittlich. Ein Käselappen, der von 10 bis 16 Uhr neben einem Dekorsalatblatt dahinoxidiert, kann ja gar nicht schmecken! Auch ist der Zugriff aller mit denselben sogenannten Auftulöffeln hygienisch bedenklich. Um es mit Günter Wallraff zu sagen: Irgendwas bleibt immer hängen. Manche Büffetteilnehmer greifen auch zwanglos freihändig in den Brötchenkorb und scheuen sich nicht, Einzelteile zurückzulegen, wenn der Teller wegen Fehlkalkulation überläuft.

Ästhetisch sind Büffets ohnedies eine Anfechtung. Das Rührei wird von Lampen warmgestrahlt, die Butter schwimmt in Eiswürfeln, der Verzierung zugedachte Gurken und Tomaten bleichen wässrig den Hartkäse. Und der Lachs, ja der Lachs! Der ja billiger ist als guter Käse, aber trotzdem noch das Image des Champagner unter den Aufschnittsorten innehat. Vom Rand her trocknet er bedächtig der Ungenießbarkeit entgegen, und auch die säumenden Zitronen waren schon besserer Zeiten ansichtig.

Der Büffetesser ist so kleinlich auf Preisleistungsschnäppchen bedacht wie eine Horde Vorstädter im Sommerschlußverkauf. Auch wenn man KEIN T-Shirt braucht, kauft man ja gerne mal drei, wenn sie auch ganz bestimmt so wenig kosten wie sonst zwei. Und am Büffet ißt man nicht, bis man satt ist, sondern deutlich länger, zumindest bis sich die Investition amortisiert hat. Vollgegessen fragt man sich dann gegenseitig ungläubig und verschworen, »wie sich das für die bloß rechnet«. Die Büffetfüller schweigen und füllen die Tröge nach. Natürlich rechnet es sich! Gespart wird Personal und Zubereitungsmühe. Obst und Gemüse sind frisch vom Markt – also vom Weltmarkt. Der Gast sitzt eine halbe Stunde da vor einem Stapel geschändeter Konfitürekleinstnäpfe und läßt sacken. Dabei treibt ihn nur eine Frage um: noch Kuchen? Außerdem zittert er bedenklich, weil die Servicekraft mit dem Kaffee natürlich fortwährend kopfnickend zum Dienst an der Tasse ermuntert wird. Nachdem alle Reste ästhetisch fragwürdig tellermittig ineinandergelaufen sind, ertönt der Schlachtruf: »Ich glaub’, ich geh noch mal!«

Es ist schrecklich. Man sollte Büffets abschaffen, diese unzeitgemäßen Wirtschaftswunderkarikaturen. Das Credo nichtverwöhnender Mütter, daß gegessen wird, was auf den Tisch kommt, gerät absurd, wenn der Tisch ohne Unterlaß nachproviantiert wird.