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Eine Geschichte von schönen Mädchen und blöden Parties, von coolen Platten und steinewerfenden Greisen. Der Ich-Erzähler, gerade mal Anfang zwanzig, ist soeben von seiner Freundin verlassen worden; nach vierjähriger Beziehung nun per Fax der Schlussstrich. Ende, aus, vorbei. Natürlich ist der Verlassene im Moment des Aus so verliebt wie in all den Jahren nicht und so wird der Verflossenen gebührend hinterhergetrauert: Er ruft sie an, legt auf, geht joggen, sucht trinkend nach schnellem Ersatz, um doch nur wieder zurückzufallen, auf sie, auf sich und auf: OASIS.
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Seitenzahl: 319
Benjamin von Stuckrad-Barre
Soloalbum
Roman
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If love is the answer
what was the question
and can it cure my indigestion
baby?
Carter USM / »The Music That Nobody Likes«
Und du bist nicht da
und wenn du da wärst
könnt ich das nicht
schreiben
Jörg Fauser / »Solo Poem«
Gleich stehen sie vor meinem Bett. Gronkwrömmm. Das klingt nach Kieferchirurg, schwerer Eingriff, Kasse zahlt kaum was zu. Ein grauenhaftes Schmirgelgebrumm, und das kann ich nun nicht mehr ignorieren, schließlich kreischt das (was auch immer!) deutlich lokalisierbar direkt vor meiner Wohnungstür. Ich ziehe mir ein T-Shirt an, mache Licht und gucke durch den Tür-Spion. Draußen stehen viele Leute. Es ist ungefähr 2 Uhr nachts, die Leute tragen Uniformen, und ich glaube, gleich steckt der Bohrer oder die Dampframme, oder was immer das ist, direkt in meinem Bauchnabel. Sie klingeln übrigens auch Sturm, das wird aber durch das Gruselwerkzeug weitestgehend übertönt.
– Äh, hallo?, sage ich vorsichtig, keine Ahnung, warum sie das hören, wahrscheinlich sitzt jemand mit einem Stethoskop an der Tür. Das Dröhnen erstirbt augenblicklich, die Uniformierten kommen näher an die Tür. Ich weiß nicht, WER sie sind und WAS sie wollen, bin tranig und verwirrt. Ich habe Angst.
– Hallo, hallo, ist da jemand?, rufen die Menschen da draußen. Es hat keinen Zweck, entweder brennt es oder sie holen mich ab oder ich träume alles nur, das wäre schön, jetzt ist es sowieso egal, vielleicht wache ich ja gleich auf, jedenfalls mache ich dann mal die Tür auf. Vor mir auf dem Boden sitzt ein Mann mit einem riesigen Bohrer in der Hand, er guckt an mir hoch, als sei ich gerade irgendwo ausgebrochen. Hinter ihm stehen Feuerwehrleute, Polizisten, Sanitäter. Zwei Männer schieben mich zur Seite und laufen in meine Wohnung.
– Hier sieht’s ja aus!, murmelt der eine, der andere geht auf den Balkon, dann ins Bad und ruft immerzu:
– Hallo, ist hier jemand, hallo?
Offenbar reiche ich allein ihnen noch nicht. Einer guckt mir prüfend in die Augen. Wir hätten uns beide mal besser vorher die Zähne putzen sollen. Er leuchtet mir mit einer Taschenlampe direkt ins Gesicht.
– Sind Sie alleine, hören Sie mich, geht es Ihnen gut?
– Ja, danke, sage ich. Alles klar. Kann ich sonst was für Sie tun?
– Ich glaube, wir können gehen, sagen die Feuerwehrleute.
– Wollten Sie Ihre Freundin nicht reinlassen?, fragt der Taschenlampenmann.
– Doch doch, sage ich, und da sehe ich Isabell, die im Arm einer Frau wimmert. Die Frau kenne ich nicht.
– Das ist die Polizeipsychologin, hätte ja sonst was sein können, erklärt der Mann. Und Sie sind wirklich o.k.? Wir haben hier Rabatz gemacht, das hätte Taubstumme geweckt. Und Sie haben uns nicht gehört, ja?
– Ich habe geschlafen.
– Dann haben Sie aber einen gesegneten Schlaf.
– Ja, vielleicht; ich dachte, ich träume.
– Und legen Sie mal Ihren Telefonhörer wieder auf, dann muss man Ihnen auch nicht die Tür aufbrechen.
(Und wie ich den aufgelegt hätte, wenn ich gewusst hätte, dass die Alternative so aussieht: Ein ungefähr 15-köpfiges Expertenteam – wo sind eigentlich die Schlauchboote? – steht auf meiner Schmutzwäsche und beäugt misstrauisch, dabei nicht desinteressiert, das Ergebnis von ein paar Wochen Depression und Trunksucht.)
– O jaja, genau. Und das Schloss, das ist jetzt, äh …?
– Jaja, das ist hin, das ist klar, da müssen Se ’n ganz neues montieren, das ging nun nicht anders. Na ja, denn mal gute Nacht, nicht.
Der Trupp verabschiedet sich, bleibt noch Isabell. Sie lacht hysterisch. Sorgen hätte sie sich gemacht.
– Wir waren doch verabredet, und dann war unten die Tür auf, und dein Telefon war dauerbesetzt, da dachte ich, es ist was passiert, ein Überfall oder so, ich habe doch so laut geklopft.
Hatte sie auch. Und tatsächlich waren wir auch verabredet gewesen. Aber ich hatte es mir einfach plötzlich anders überlegt, war zwar schon rausgeputzt und in froher Erwartung eines schönen Ablenkungsmanövers mit dieser durchaus passablen Frau – doch dann wollte ich niemanden mehr sehen, keinen Quatsch mehr hören und reden müssen. Einfach allein sein und vielleicht irgendwann schlafen. Ich hatte den Telefonhörer danebengelegt und mir ein Kissen über den Kopf gestülpt, gegen all die Hallo, du bist doch zu Hause-Geräusche. Da will man mal seine Ruhe haben und mag einfach keine Menschen mehr sehen – und dann kommt sofort ein Mannschaftswagen und zertrümmert dir die Tür.
Ich bin jetzt hellwach, sage Isabell aber, dass ich sehr müde bin, und schicke sie nach Hause.
– Nein, ich bin dir nicht böse, war ja lieb gemeint.
Morgen früh will sie mit jemandem vom Schlüsseldienst kommen und Brötchen mitbringen. Jaja. Der Typ hatte recht – hier sieht’s aus: Der Teppich ist nicht mehr zu sehen, überall liegen Zeitschriften und Wäsche und Platten, die Feuerwehr wird sich wohl geekelt und gesorgt haben angesichts dieses Infernos, so was haben sie wahrscheinlich lange nicht gesehen. Seit Katharina weg ist (3 Wochen und 2 Tage), habe ich große Schwierigkeiten, den Betrieb hier aufrecht zu halten.
Seit Monaten – ach, seit Jahren (das Ganze dauerte ja insgesamt 4 Jahre!) – wurde die Zweisamkeit wechselseitig immer wieder vernachlässigt, ausgesetzt, beendet und so weiter. Ich habe sie betrogen, ich habe mich anderweitig umgeschaut, mich nicht um sie gekümmert, schubweise dann wieder sehr – jedenfalls war es nie ganz zu Ende. Nun ist es das. Und zwar für immer und endgültig und nichts da mit nochmalversuchen, sondern viel schlimmer: Lass uns irgendwie Freunde bleiben. Das ist dann immer das deutlichste Signal für den finalen Genickschuss, das war’s, aus, vorbei. Und jetzt? Ich habe keine Ahnung. So gerne würde ich die Liebe, die ich jetzt erst spüre, die sich jetzt erst freizusetzen scheint (im Moment der Ballabgabe quasi, wie bei der Abseitsregel), diese nie gekannte Zuneigung und Verbundenheit noch mal beweisen dürfen, aber ich darf SIE ja nicht mal mehr sehen. Was natürlich den klaren Hintergedanken hat: Sonst überlegen wir es uns noch mal anders und verlängern das Sterben durch kurzzeitiges Wiederauflebenlassen. Das ist schon alles durchdacht, sie hat ja auch recht – NEIN!, hat sie nicht. Ich liebe sie, bin der Beste für sie. Da ist kein anderer, das hat sie mir versprochen:
– Da ist niemand, darum geht es doch nicht.
Sondern um die alte Hitsingle der Verlassenen:
– Wir haben uns eben – und um dieses Wort kommt man wohl nicht herum – AUSEINANDERGELEBT.
Und wenn schon. Dann leben wir uns jetzt eben wieder zusammen, lass uns zusammenziehen, lass uns heiraten, in den Urlaub fahren, es versuchen, ein letztes Mal. Ich schreibe ihr Briefe, rufe sie an. Es hat keinen Zweck, das merke ich, und das stachelt meinen Ehrgeiz an. Lange nicht war ich so verliebt. Und das begreift sie nicht, das kommt ihr komisch vor:
– Ich hätte gedacht, dass es dir egal ist!
MIR!!!! EGAL!!!!
Der Mann vom Schlüsseldienst will 200 Mark für das neue Schloss.
– Oder 150, dann aber ohne Quittung.
Gar keine Frage, ohne Quittung, was soll ich mit einer Quittung? Jetzt wird die Einigelei auch noch richtig teuer. Einfach so: 150 Mark weg. Nur, weil ich niemanden sehen wollte, weil ich verrückt werde. Und einfach nur hier im abgedunkelten Zimmer liege und alles vermüllen lasse und nicht mehr ans Telefon gehe, aber doch wie ein Aasgeier auf den Anrufbeantworter schiele, denn vielleicht ist sie es ja. Die paar Anrufer legen auf. Oder es ist die Tante aus dem Büro, die fragt, wann ich denn wieder gesund bin, und ob ich an die Bescheinigung von meinem Hausarzt denke. Ich denke daran, Baby, aber ich habe weder Bescheinigung noch Hausarzt.
Unsere Hymne »Live Forever« kommt mir gerade recht. So simpel denkt man nun mal, wenn man alleingelassen ist. Ich höre sie immer wieder. Wahrscheinlich bin ich bald bei The Police angelangt – so lonely & so unaufregend ist alles.
Ich weiß ganz genau, vor einem Monat noch fand ich ihren Hintern zu dick. Sie hat danach gefragt, immer wieder, seit Jahren:
– Ist er nicht zu dick, der ist doch wohl zu dick!, und zunehmend undeutlicher habe ich halbwahr geschmeichelt:
– Nein, nein, Schatz, du siehst fantastisch aus, du und sonst keine.
Er war mir zu dick, darauf muss ich mich jetzt konzentrieren. Und erst ihre Eltern! Der Vater, der so dumm war und samstags immer betrunken vor dem Fernseher lag, schnarchend und mit offenem Mund, schon beim aktuellen Sportstudio, und der sonntags dann ballonseiden Tennis spielen fuhr. Mit dem BMW und ohne den Hauch einer Chance – gegen seine Tochter, seinen Bauch, meinen Hass. Er ist weg, ich muss ihn nie wieder sehen, nie wieder mit ihm gequält konversieren, es ist aus, vorbei, auch die fette Kuchenfressmama ist somit weg und mit ihr der viel zu gut gepflegte Teppichboden und die Zinnkanone im sündteuren und abgrundtief hässlichen Einbauscheiß, wegwegweg. Außerdem hatte sie zu kleine Titten, hallo, wo guckst du zuerst hin, wenn du (nackte) Frauen siehst, was törnt dich an: Sind das breite Ärsche und kleine Titten, fette Väter und strotzdumme Mütter, Töchter, die »brauchen« ohne »zu« verwenden?
Kacke, es klappt nicht. Ihr Hintern war o.k., ihre Möpse auch, sowieso egal alles, wie auch die Eltern, SIE allein war es doch, sie war es, das war es.
Per Fax ist natürlich gemein. Dafür hatte ich das Ding nun wirklich nicht angeschafft. Bei aller Geringschätzung meine ich auch, man hat schon das Anrecht auf eine staatstragende Beendigungszeremonie mit Heulen und Umarmen und allem. Oder wenigstens ein Brief. Aber doch kein Fax! Warum nicht gleich per Sportflugzeugspruchband, oder Maren Gilzer dreht beim Glücksrad einfach mal »Aus die Maus« um. Das wäre doch toll.
So aber nur ein Fax, und auf 2 Seiten wurden einfach mal so in völlig nebensächlicher Mir-doch-egal-Schrift vier Jahre letztgültig verhandelt und verurteilt, weg damit. Da fehlt der theoretische Unterbau, wird auch sie sich zum Schluss gedacht haben, das Fundament, die Legitimation. Und als könne das nun irgendwas nützen, hat sie einfach mal, völlig zusammenhanglos, ein Zitat von den Smashing Pumpkins dazugeschrieben. Ein Satz, der uns erfreut hat, von einer Platte, die uns viel bedeutet hat, DAMALS. Aber jetzt einfach so isoliert, die Bedeutung zahlt der Empfänger:
»The killer in me is the killer in you«
Gewiss doch.
Ich bin nun also allein. Diese Liebe war natürlich schon lange nicht mehr diese Liebe. Aber es war noch was. Plötzlich nun denke ich, es war das Einzige überhaupt, das hatte ich vorher gar nicht gemerkt. Ich habe zwar einen neuen Job. Das Klischee wäre ja: Ich habe gerade meinen Job verloren. Und durch die Decke tropft es, und ich habe einen Kater, und der Kühlschrank ist leer, und im Briefkasten nur Mahnungen und Pizza-Prospekte. Stimmt auch alles, bis auf den Job.
Erst vor einer Woche hatte ich bei der Zeitschrift gekündigt, um bei einem Musikverlag anzufangen. Einfach so, damit mal wieder was passiert, denn eigentlich war es bei der Zeitschrift mehr als in Ordnung: Zwar hatte ich überhaupt keine Lust mehr, Leuten, die seit 20 Jahren dabei sind und die auch diese 20 Jahre älter waren als ich, regelmäßig mitteilen zu müssen, dass es nicht nur unnötig, sondern auch verboten ist, über neue Platten Sätze zu schreiben wie: Der Titel ist Programm, die pumpernden, durchaus zeitgemäßen Clubsounds gemahnen an das und das, die zuckersüßen, schwärmerischen Beatlesmelodien verzaubern, die Texte sind kantiger geworden, man darf gespannt sein auf die Tournee, doch klingt das Ganze inzwischen runder und somit auch poppiger, weniger gewagt als zuvor, die Mannen um die charismatische Frontfrau haben eine magische Bühnenpräsenz.
Diese Art Text kam jeden Tag aus dem Fax geschnurrt, egal von wem, egal worüber, das konnte einen schon runterziehen.
Dafür hatte man aber auch nur eine Woche im Monat wirklich zu tun, den Rest verbrachte man damit, Einladungen abzusagen, Post zu öffnen, neue Platten zu hören und sie dann irgendwie zu finden (gelungen oder enttäuschend, aufregend oder belanglos – ziemlich beliebig und unkontrollierbar, dieser Teil der Arbeit). Manche – viele! – Platten kamen auch ungehört auf den Stapel. Dieser Stapel wuchs dann und wurde, kurz bevor er schließlich umkippte, regelmäßig von einem völlig bekloppten, unseriösen (dabei aber grundfreundlichen) Händler entsorgt. Gegen Geld natürlich! Der ging von einem Redakteur zum nächsten – vier waren wir – und häufte alles auf einen Bollerwagen. Pro Stück gab es 5 Mark. Im Secondhandladen hätte man für den ganz besonderen Schrott von Bryan Adams oder Melissa Etheridge, Pearl Jam oder den Stones (oder wie die alle heißen, die man so hasst), natürlich um die 10 Mark gekriegt, aber diese Läden sind so wählerisch geworden und nehmen nur Bruchteile dessen, was man so pro Monat zu entsorgen hat. Gerade in einer Stadt wie Hamburg. Da gibt es ja mehr freie Journalisten als freiwillige Leser. Und noch bevor eine Platte veröffentlicht ist, exakt ab dem Tag ihrer Vorabverschickung an die Journalisten, kann man sie bei den etlichen Secondhandverbrechern finden. Diese werden dadurch immer anspruchsvoller und halsabschneiderischer. Außerdem sind es arrogante Idioten, die dich wie den letzten Dreck behandeln. Sie reden überhaupt nicht mit dir, fragen nur mal bei einer verkratzten Platte nach »Was ist denn mit der passiert?«, wollen aber natürlich überhaupt keine Antwort. Wollen nur sagen: Du störst, Fremder.
Aber deine Platten nehmen sie. Der größte Genuss ist es ihnen dabei, die Ware qualitativ zu sortieren. Weil dieser Vorgang so langwierig und peinlich ist (und diese Typen solche Arschlöcher!), stöbert man derweil im Laden rum und tut so, als suche man was. Dabei entdeckt man zunächst mal all jene Platten, die man vor Wochen selbst rangeschleppt hat. Und bekommt fast Verständnis für die Schnöselhaftigkeit der Händler. Verstohlen blickt man zum Tresen. Gelangweilt stapelt die Sau. Unterhält sich mit seinen wenigen auserwählten Stammkunden. Die lachen verschworen, rauchen, trinken Kaffee (den er ihnen erst kocht und dann pausenlos nachschenkt!) und sind scheiße gekleidet. Aber du willst was von denen, sonst könnte man das ja mal vorbringen, und dann wäre Ruhe. Und Ebbe in der Kasse. Das muss man auch bedenken.
Während sie mit den Stammkunden reden, können sie natürlich nicht weitersortieren, und wenn irgendeine Studentensau eine alte (!das ist ganz wichtig!) Genesis-Platte (das ist dieser Irrglaube, dass die früher mal gut oder besser waren – die waren aber immer scheiße!) kauft oder sich nach irgendeinem verdammten Eierkopf-Elektro-Hype erkundigt, dessen Besitz ihn in Ränge maximaler Zeitgeistballhöhe katapultieren wird (hofft er), hält der Kassen-Arsch (der sonst alles ignoriert!) natürlich genussvoll inne. Er weiß ja, dass ich warte. Er hasst mich. Und ich ihn, natürlich. Noch mehr aber hasst er den nächsten sich so nennenden »Journalisten«, der mit leeren Taschen (→ Geld) und voller Tasche (→ CDs) hereinspaziert kommt. Deshalb muss man samstags gehen, denn gen Mittag kommen sie (also: wir!) alle angekrochen, und dann gibt es schneller Geld, sonst wird das nie was, und zu lange will er uns auch nicht im Laden haben.
Dann die Abrechnung:
Für die ’nen 5er, für die ’nen 8er, für die ’nen 10er und für die hier sogar 12, und für die hier (das genießt er so, darauf hat er sich schon die ganze Zeit gefreut, der Wichser), also diese hier (der ganze Stapel, mehr als man mitgebracht hat, so kommt es einem vor) – die nehme ich alle nicht, kein Interesse.
Na, fantastisch. Dann gibt es zerknitterte Scheine, und man trägt Fantasiequatsch auf der Quittung ein. Wegen der Spuren, wegen der Steuer, wegen allem eigentlich. Und da wäre es ja nun ein Witz, wenn er, gerade er, in seiner unseriösen Trümmerbude auf die Einhaltung solcher Formalien insistieren würde. Wäre ja völlig lächerlich. Wir wissen ja alle Bescheid. Und wir hassen uns. Aber wenn es Geld bringt. Ich kann sein zerknittertes Geld nicht ausstehen, aber es ist Geld, immerhin, und da wollen wir mal nicht so sein. Aber das frische Automatengeld finde ich viel schöner, das ist so schön steril, damit hantiert man viel lieber.
Der Bollerwagen-Mann hatte immer schönes, frisches Geld. Keine Ahnung, woher, ich habe ihn lieber nicht gefragt. Er war zwar verrückt, aber freundlich. Er hat beim Einpacken und Zählen einfach nur mit sich selbst geredet und bloß ganz manchmal auch uns irgendwas erzählt, von den Flohmärkten im Osten und dem Weißichnich im Westen. Mit anderen Worten, man starb also nicht, wenn man mit ihm Kaffee trank. Und er sparte sich das mit der Quittung, außerdem kam er innerhalb einer Stunde und nahm den ganzen Schrott mit, da blieb man dann nicht auf Livealben von Toto, dem Best of Extrabreit oder neuen Versuchen der Rainbirds sitzen. Das war gut. Dem hat man sogar mal ein Ticket für Bob Dylan besorgt oder für irgendwelchen Weltmusikscheiß in einem ehemaligen Fabrikgebäude, aus Gefälligkeit, aus Geschäftstüchtigkeit, meinetwegen. Werbungskosten. Aber nicht mit Ekel. Das war in Ordnung.
Wenn er, den wir den Ossi nannten, obwohl er gar nicht aus dem Osten kam, aber dorthin verkaufte er unseren Müll, wenn der Ossi also da gewesen war, war natürlich gleich große Sause. Der Dealer konnte kommen, der Abend konnte kommen, im Prinzip konnte kommen, was wollte, und noch viel besser: Es konnte kommen, was wir wollten. Meist reichte das Geld – immer mehrere Hundert Mark – nur für das Wochenende. Wir waren ja nicht blöd. Wir ließen ihn am Freitag kommen. Wenn es ganz eng wurde – und immer öfter wurde es eng –, dann kam er auch mal unter der Woche. Für einen Zwischenposten, dann gab es auch wieder was Gutes zu essen. Der Dealer kam dann natürlich nicht, das ging ja nun auch nicht immer, wir mussten ja auch noch diese Zeitschrift produzieren.
Wir bestellten also Pizza und Koks, durchaus bei verschiedenen Lieferservice-Unternehmen!, und dann mal gucken, was eher da war. Kam das Koks zuerst, musste das Essen leider weggeschmissen werden, weil man dann ja keinen Hunger mehr hat, das nun wirklich nicht. Manchmal habe ich mich gefragt, ob wir da eigentlich einem Bedürfnis oder einer Zwangsläufigkeit hinterherleben. Immer über Rockmusik schreiben und mit abgehalfterten Musikern plaudern über neue Platten voll alter Ideen, und da ist es einfach so, dass es immer um die Orgie geht, zumindest bei so einem Blatt, und dann macht man das eben auch, gehört sich wohl so.
Ich mag nicht mehr unter Menschen, bleibe abends zu Hause, und damit das wenigstens teilerträglich ist, habe ich mir einen Receiver gekauft, verfüge nunmehr über ungefähr 60 Fernsehkanäle und kann mit meinem Fernseher jetzt sogar Radio hören. Es gibt gute Radiosender, wer hätte damit noch gerechnet. Nachts ein Pet-Shop-Boys-Konzert. Live aus Rio de Janeiro!!, eine Stunde, einfach so. Ich bin begeistert, vielleicht zahle ich aus lauter Dankbarkeit dann jetzt doch mal meine Gebühren. Vielleicht. Nach wenigen Stunden ist allerdings auch klar, dass sich ansonsten nichts geändert hat im Fernsehen. Es sind ein paar merkwürdige Sender dazugekommen, die aber nur konsequent weiterdenken und -werben, was SAT.1 und RTL vor 10 Jahren begonnen hatten, keine Panik also. Und RTL2 trasht auch immer noch, so gut es eben geht – diese halbseidenen Reportermagazine, die sind schon sehr lustig. Auf SAT.1 erzählt eine dicke Friseuse, wie sie in einem Jahr dank der »Flirt-Line«, einem Telefonservice, bei dem nur Männer zahlen und Frauen einen Riesenspaß und eine Riesenauswahl haben, wie sie da also in einem Jahr 29 Männer kennengelernt hat (= getroffen und gefickt), das hat sie alles säuberlich aufgelistet. Ulrich Meyer, die Drecksau, schmunzelt. Das Schmunzeln soll zeigen, dass er doch ganz schön Distanz hat. Sachen gibt’s, sagt der Blick von Ulli Meyer; eigentlich sieht Ulrich Meyer so aus wie Roland Kaiser, bloß nicht schnapstrinkend. Beim Schmunzeln Ulli Meyers kann ich nicht mittun – die Liste der Frau finde ich tatsächlich imposant. Eine ganze DIN-A4-Seite, und dabei nicht gerade groß geschrieben. Ich dagegen würde wohl mit einem Post-it-Zettel prima hinkommen.
Wenn eine Band sich aufgelöst hat, hört man nach kurzer Zeit von lauter Soloprojekten. Manchmal hört man auch schon kurz vor der Auflösung davon. Denn die Leute wollen ja auch weiterhin Geld verdienen. Was dann die neue Platte des »ehemaligen Schlagzeugers von« mit der alten Band zu tun haben soll (also über den Stammbaumhinweis hinaus), weiß keiner, bloß die Plattenfirmenleute, die das Ding verkaufen müssen. Soloalben sind fast immer scheiße.
Während der Zeit mit Katharina habe ich verschiedentlich an Soloprojekten gearbeitet. Die hießen Isabell, Susanne, Katinka zum Beispiel. Die liste ich heute mal auf, um auf andere Gedanken zu kommen. So Durchhaltegedanken: Es geht doch auch anders, andere Mütter haben auch schöne Töchter und so. Momentan aber kann ich leider überhaupt nicht mehr nachvollziehen, was mich zu denen einst hinzog. Als es mit Katharina noch lief, war die Faszination, die von ihnen ausging, groß. Da hatte ich eine Homebase und konnte in Ruhe herumstreunen und -küssen. Das war schön. Und die waren schön. War ein Abend, ein Treffen dann mal quälend, war das ja nicht weiter tragisch, es war ja nur ein Nebenprojekt, eine Gastrolle auf einer Single, im wahrsten Sinne des Wortes, aber eben kein neues Album. Jetzt erst fällt mir auf, dass die alle nicht infrage kommen. Ich höre immer von anderen Männern, die dann nach dem Ende einer Liebe erst mal flugs das Reserveregiment rekrutieren, und zwar der Reihe nach. Nichts liegt mir ferner.
Das wäre doch so einfach, das wäre doch so schön:
Susanne: Studentin, paarmal Sex, ist recht hässlich, aber irgendwie sexy. Hat überhaupt keinen Selbstrespekt (gut), ABER: Nichts für draußen.
Franziska: arbeitet in einem Kleidungsgeschäft, da haben wir uns auch kennengelernt, habe mehrmals versucht, mich in sie zu verlieben, sie wohl auch, das hat nicht geklappt, aber die Versuche allein haben immer mehrere schöne Abende gebracht, die wäre eigentlich gerade eine schöne Ablenkung.
Isabell: ist sexy, ein bisschen blöd. Hat mich geliebt, nachdem ich es aufgegeben hatte. Haben das beide noch nicht eingesehen, da ist noch Spielraum, nur eben nicht gerade jetzt, ich hoffe, sie ruft nicht an.
Katinka: war mir immer zu schön. Ist sehr schlau, haben uns mal geküsst, das war viel zu fantastisch, geradezu verdächtig, fanden wir, haben uns dann lange nicht gesehen, dann mal wieder geküsst. Solche pointenlosen Beziehungen machen mich immer etwas ratlos.
Ich glaube, ich kenne nicht genug Frauen. Diese vier immerhin könnte ich jetzt anrufen. Es würde aber nichts nützen. Deshalb lasse ich das. Dann ruft Isabell an, und ich gehe sofort hin. Wäre ja auch schön blöd, wenn nicht. Ich gehe am Croque-Laden vorbei, da kaufe ich manchmal nachts noch Getränke, bloß weil die Verkäuferin so schön ist, für die schwärmt der ganze Bezirk, vor Kurzem hat sie sich die Haare abgeschnitten und sieht jetzt sogar NOCH besser aus. Heute bedient da aber eine hagere Hässliche mit Brille und Schwitzflecken auf dem ausgeleierten T-Shirt. Ich denke mal, wenn die Dienst hat, geht der Umsatz der Bude sofort um 80 % zurück.
Ich weiß ja, warum ich alleine wohne, denke ich. Sitze da bei Isabell, sie wohnen zu fünft in einem Haus, und es war exakt noch NIE dauerhaft friedlich, wenn ich da war, und ich war recht oft da, gerade in der letzten Zeit. Wo sollte ich sonst hin? Da wohnt außer Isabell noch ein Hippie, der IMMER in der Küche sitzt und schielend Zigaretten dreht. Vielleicht kommt das Schielen auch vom Zigarettendrehen? Könnte sein. Der Hippie redet sehr langsam, wahrscheinlich hört er irgendwann ganz auf mit Sätzen und Wörtern, dann kommt einfach nur noch ein lang gezogener Ton aus ihm raus. So langsam er auch redet, so ununterbrochen tut er das. Wahrscheinlich redet er quantitativ nicht mehr als alle anderen, nur eben zehnmal so langsam. Dann ist da noch ein hektischer Fahrradkurier, der ganz dünn ist, obwohl er pausenlos isst. Er fährt circa 14 Stunden am Tag durch die Stadt, denn er hat einen Haufen Schulden bei dem Hippie, weil er im Winter wahnwitzig viel Telefonsex hatte, da gab es Riesenärger, und er konnte das nicht bezahlen, und seine Freundin kommt seitdem auch nicht mehr. Dann ist da noch eine Frau jenseits der 30 und auch sonst jenseits; sie spricht überhaupt nur mit ihren Katzen und ist, glaube ich, Pädagogin im Vorruhestand. Vorruhestand ist auch beim Hippie ein gutes Stichwort, es ist bei ihm aber eher der Nachruhestand. Da war nie was los bei ihm, doch, als er neunzehn war, da hat er mal für ein halbes Jahr in einem besetzten Haus in Hannover gewohnt, und das erzählt er mir immer wieder, immer ein bisschen anders. Die einzige Möglichkeit, in der Küche zu sitzen (in Isabells Zimmer kann man nicht sitzen, sondern nur auf dem Bett liegen, und das kommt dann bestenfalls und wenn überhaupt: später) und nicht zu hören, wie DIE BULLEN damals immer wieder versucht hätten, die ganze Bande PLATTZUMACHEN, und zwar ganz bestimmt VOLL FASCHOMÄSSIG, ist, mit Hippie-Klaus (der natürlich eine Schreinerlehre abgebrochen hat) Backgammon zu spielen. Das Backgammonspiel hat er selbst gezimmert, und da streicht er immer liebevoll über die Fugen. Mit dem Kiffen beginnt er selten nach 16 Uhr. Leider kann man nicht mitkiffen, obschon er es einem fortwährend anbietet: Seine Lippe ist so verknorpelt, dass man üble Krankheiten fürchtet.
Unterm Dach wohnt dann noch jemand, von dem ich lediglich weiß, dass er Matthias heißt. Viel mehr wissen die anderen auch nicht. Matthias ist der Einzige, der im Kühlschrank ein eigenes Fach hat, da liegen immer ein paar Dosen Vitamalz drin und groteskes Gemüse wie Porree. Niemand weiß, was er damit macht. Aber er zahlt seine Miete und hält sich an den Putzplan, der mit SPD-Magneten am Kühlschrank befestigt ist, und dann ist es offenbar o.k. Heute Abend gibt die WG ein Fest, und da bin ich schon immer ganz gern dabei, denn auf einem sehr großen Vordach haben sie einen schönen Balkon mit kleinen Bäumen und großen Holzkisten zum Draufsetzen. Nachts projizieren sie dann immer Filme an die Nachbar-Hauswand, und so gegen 10 Uhr ist verlässlich alles voll mit Bier trinkenden Menschen. Ich warte, dass es 10 Uhr wird. Zu Hause, allein, habe ich es einfach nicht mehr ausgehalten, und deshalb spiele ich mit Klaus Backgammon. Heute ist Klaus für seine (schlechten) Verhältnisse extrem wach und kann sogar gleichzeitig von den wilden Tagen im besetzten Haus erzählen UND mich im Backgammon schlagen. Super, Klaus. Isabell hat gesagt, ich darf heute hier schlafen, und das heißt, wir können uns küssen, später. Es gibt Phasen in unserer Bekanntschaft, in denen wir uns wochenlang nicht anrufen, aber dann plötzlich eben doch wieder, und dann ist alles erlaubt. Ich denke, das ist eine moderne Liaison. Man könnte auch sagen: Wir sind beide auf der Suche, und wenn es uns ganz schlecht geht, dann übersehen wir die große Summe der Kompromisse, die unsere Bändelei einschränkt und eine tatsächliche BEZIEHUNG bis zum heutigen Tage wirksam verhindert hat. Heute ist so ein Tag, sie liegt gerade in der Badewanne, und Klaus ist gerade in Wackersdorf; leider nicht wirklich, sondern bloß in seiner Erinnerung. Er ist da, also hier, und kifft. Später gibt es noch Streit, weil irgendwer den Wein nicht gekauft hat, dafür aber das Bier weg ist, na ja, diese Sachen halt. Einblick ins Irrenhaus, ab und zu gerne, hier leben – niemals. Frisch gebadet kommt Isabell dazu und fragt, ob wir nicht in ihr Zimmer gehen wollen. Ich will gerne. Wir küssen uns ein bisschen, und dann kommen lauter Menschen (es ist jetzt offenbar so 10 Uhr), gucken in das Zimmer und sagen:
– Huch, ach so, und gehen wieder raus. Nach dem fünften ungefähr gehen wir zu den anderen aufs Vordach, und da sagen die fünf:
– Schon fertig?
Klaus hat jemanden gefunden, der die Geschichte von dem Haus und den Bullen noch nicht kennt. Staunende H&M-Mädchen, die Bier trinkend diesem Fossil lauschen. Klaus würde gerne mit ihnen ficken, aber das wird wohl nichts, denn jetzt hat die eine seine morschen Zähne gesehen und möchte gerne mal »nach Getränken gucken«; weg ist sie, und ihre Freundin auch, und da kommt Klaus auf mich zu. Zum Glück fängt jetzt ein Film an, dazu, weil ja kein Ton dabei ist, legt jemand Platten auf, der Film ist völlig unverständlich, aber das macht ja nie was, im Gegenteil.
Neben sich steht Klaus, und neben mir steht nun ein armseliger, tja, wie soll man sagen, er nennt sich JOURNALIST. Nachts lauert er in Bars den Leuten auf, und wenn er jemanden zum Gespräch festgenagelt hat, zaubert er aus der Innentasche seines (einzigen!) Jacketts Computer-Ausdrucke seiner langweiligen Klugschwätz-Artikel über Popmusik. Die hat er kurz zuvor an Stadtzeitungen gefaxt und möchte nun offenbar gelobt werden. Wahrscheinlich haben die Stadtzeitungen ihn wieder nicht zurückgerufen, und jetzt braucht er das, was man wohl ein FEEDBACK nennt. Listig nuschelt er:
– Ich dachte, es würde dich vielleicht interessieren …
Wer kann dazu schon Nein sagen? Ich gucke also ungefähr zwei Minuten auf das Blatt, ohne auch nur eine Zeile zu lesen. Zwischendurch schnaube ich zustimmend oder lache ein bisschen und murmele:
– Jaja, das ist gut, genauso ist es, oder so, und dann gebe ich ihm den Zettel zurück und sage:
– Das musste mal geschrieben werden.
Der Typ ist eine arme Wurst. Er hat eine eigene Zeitschrift an die Wand gefahren, und jetzt geht er halt querbeet anschaffen, so richtig mag ihn niemand. Dauernd lädt er irgendwelche Musiker oder andere Kulturwichtigheinis zu sich nach Hause und bekocht sie. Auf seinen Anrufbeantworter spricht er auch gerne mal drauf, wen er heute alles zum Interview, zum Fototermin, zum Abendessen trifft. Wenn es mal wieder so weit ist, gibt es eine Telefonkette netter, nicht ganz so blöder Zyniker, und die rufen dann alle bei ihm an und jubeln ihm aufs Band:
– Du hast es echt geschafft, du Super-Journalist, du Topagent, erklär uns dein Geheimnis, besorg uns doch auch mal so einen tollen Auftrag usw.
Selbst das freut ihn noch, denn einmal mehr hat sich da ja jemand mit IHM auseinandergesetzt. Überhaupt nie wird er begreifen, dass er nichts weiter ist als ein nützlicher Idiot von Plattenfirmen, die ihn mit hier mal einer Flugreise und da mal einem Wichtig-Pass gefügig machen. Ich glaube, er hält sich für den Greil Marcus von Hamburg, der dazu noch gut kochen kann. Wenn er einem nicht gerade was von neuen Projekten, großartigen Geschichten oder sehr gut gelaufenen Exklusivinterviews erzählt, redet er über »hervorragenden Blattspinat« oder »fantastischen namenlosen Wein« aus Weißichnich. Seine Angeberei ist wirklich grotesk in ihrem Nichtsdahinter – in einem länglichen Artikel über nichts weiter als einen alten Musiker streute er unlängst ein, dass »die Stadt seit Wochen in diesiges Licht getaucht« ist. Und mit dem »Kontorhaus gegenüber, das zwischen zwei Baulücken stehend den Eckpunkt einer großen Straßenkreuzung markiert«, war auch irgendwas. Und als sei das noch nicht genügend Unfug, werfen die Häuser auch noch »Schlagschatten«. Ich bin mir ganz sicher, dass er demnächst über klassische Musik referieren wird, das ist nicht mehr weit, Techno und Songwriter und Rock sowieso hat er alles durch. Und natürlich wird er dann nicht die Wahrheit sagen, dass er also über eine »Alfred-Brendel-Collection« für 12 Mark oder so auf den Geschmack gekommen ist, nein, die Liebgewinnphase wird er einfach verschweigen und urplötzlich, als gebe es kein Gestern, von Symphonien daherreden, und zwar, das ist völlig klar, natürlich ganz genau »in der Aufnahme von«; von halt irgendwem, und nicht gerade Sir Georg Solti, weil den ja alle kennen. Vielleicht die Klavier-Sonaten von Alexander Scriabin in der Aufnahme von Vladimir Ashkenazy, das wär’s doch, dann ist Ruhe, und alle beneiden ihn um seine kulturelle Tiefendurchwirktheit. Dann geht er nach Hause und stöbert im neuesten 2001-Schnäppchen (»50 Klassik-CDs für zusammen nur 79 DM«) herum. Ganz heimlich natürlich.
Neulich hatte er ein Fax dabei, in dem eine Zeitschrift ihn bat, doch ein paar Plattenkritiken zu verfassen. Das hat er allen gezeigt. Wenn ich mal wieder im Plus bin, renne ich mit meinem Kontoauszug rum. Vielleicht begreift er es dann, aber das ist eher unwahrscheinlich (beides: dass ich im Plus bin und dass er es begreift). Er ist vollkommen pleite (nicht so wie ja alle, sondern überhaupt gar nicht mehr liquide, keine Mark mehr), ungewaschen und zunehmend realitätsentrückt. Er glaubt nicht bloß, was ja viele glauben, nämlich, dass bessere Zeiten nicht mehr fern sind, nein, er glaubt sogar, die besseren Zeiten seien just angebrochen, eine Glückssträhne geradezu. Je schlechter es ihm geht (was man sieht! und hört!), desto farbenfroher werden seine Ausführungen über neuerliche Karrierehüpfer. Arme Sau. Wenn ich ihn sehe, möchte ich ihm am liebsten 5 Mark zustecken und weitergehen. Aber da er einen sowieso dauernd um Geld angeht oder um Getränke, kann man das auch lassen.
Auf solchen Partys bin ich immer schnell traurig über die horrende Anzahl von schönen Frauen, die man niemals sprechen oder gar küssen wird. Mit einer ziemlich schrecklichen Frau komme ich dann ins Gespräch über den Film. Ich schätze mal, über ihrem Bett hängt in DIN A0 der sterbende Soldat, auf dem Boden steht eine Lavalampe. Sie hört gerne Reggae. Scheiß Pearl Jam findet sie »superintensiv«, auf ihre CDs von Tori Amos und PJ Harvey hat sie mit Edding geschrieben »C-Power rules«, selbst einem Comeback von Ina Deter stünde sie aufgeschlossen gegenüber. Als Nachthemd dient ihr treu ein zerschlissenes »Abi 1987«-T-Shirt, neben ihrem Bett (einer Matratze!) liegen lauter Armbändchen aus Ecuador oder so, solche, die auch zuhauf an Wolfgang Arschgesicht Petry dranhängen, die sie aber zum Großteil hat ablegen müssen, weil sie auf den Dreck allergisch reagiert. Auch allergisch reagiert sie auf die Spice Girls, die findet sie völlig scheiße. Harald Schmidt ist ein Nazi, Pippi Langstrumpf und Che kleben auf ihrer Zimmertür, und sie raucht keine Zigaretten, bloß Hasch manchmal, und ihr Fahrrad ist ganz alt, weil einem neue Fahrräder ständig geklaut werden, und Taxifahren findet sie »dekadent«. Wenn sie ihre Eltern besucht, isst sie da nur Salat, damit die Eltern sich Sorgen machen, in der WG aber gibt es Folien-Fleischwurst, kein Problem. Im Sommer ist sie mehrere Wochen in Griechenland, und Herbert Grönemeyer mag sie nicht mehr so wie aber früher mal. Sie trinkt Apfelsaftschorle. Der Film ist einfach gaga oder auch dada, jedenfalls schwarz-weiß, so viel ist sicher, der Rest sind kaputte Autos mit lachenden Chinesen drin, die Zeitung lesen und auf Holzschwänzen Flöte spielen, dabei mit den Füßen stricken und so. Sie will über Sexismus und Gewaltverherrlichung in der neuen deutschen Komödie reden, wenn ich das jetzt richtig verstanden habe. Aber das war doch gerade gar keine deutsche Komödie! Das scheint egal. Gut, also Komödie, neuer deutscher Film, Hitlerjunge Schweiger, diese Diskussion. Dann will ich aber auch spinnen und sage ihr, dass das ja alles sehr interessant sei für mich, weil ich vom Siemens Dialog-Center komme und mich mal so unter die Szene mischen wolle. Unter die Szene! Da guckt sie zunächst mitleidig bis angewidert. Aber sie ist schnell umzustimmen.
– Du guckst leicht irritiert, das bin ich gewohnt, aber wir bei Siemens lernen ja auch dazu. Ich sage immer: Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren! Nich, so in der Art eben. Wir begreifen uns nicht länger als Rüstungskonzern, haha, sondern drängen jetzt verstärkt in Richtung Bindung zur Kultur, wo kann man sich einmischen, wo kann man Beziehungsfelder herstellen, wo kann man voneinander lernen, oder auch ganz profan – wo können wir als Weltkonzern mit dem entsprechenden finanziellen Background mit anpacken, wo gibt es Projekte, die wir supporten können, alles im Non-Profit-Rahmen versteht sich, das ist im Grunde nichts anderes als ein Vor-Ort-Kultur-Sponsoring. Da ist also ein event X oder eine Aktionsgruppe Y, und da stellen wir Know-how und auch geldwerte Leistung zur Verfügung – beispielsweise kann bei uns eine Zeitschrift gedruckt werden oder ein firmeneigener Bus für eine Exkursion geliehen werden – und im Gegenzug wollen wir nun natürlich nicht Einfluss nehmen auf die inhaltliche Ausrichtung, sondern eben einfach gucken, was da passiert, wie denken die Menschen heutzutage, auch und gerade die Kunden von morgen usw. usf. Wir haben da auch im Bayerischen Wald so ein Schulungs- und Tagungszentrum, da lassen wir also von der Laienspielgruppe bis zur Behindertenintegrationsvereinigung alle gerne rein für ein Wochenende zum Brainstormen und Socializing.
So kriegt man diese Menschen immer. Sie erzählt von ihrer Projektgruppe, die Stummfilme über verfallene Industrieanlagen erstelle und natürlich »meistens an dem Knete-Ding« scheitere. Leider hätte ich meine Karte nicht dabei, aber das sei prinzipiell kein Thema, kein Problem, sie soll mir ihre Nummer »oder habt ihr eine Broschüre« geben, dann melden wir uns, das erledigen wir, grinsgrins, auf dem kleinen Dienstweg. Natürlich hat sie eine Broschüre dabei, die ist so schlecht kopiert, dass man kaum was lesen kann, aber ich sage:
– Toll, hey hey, richtig professionell, gut, du, ich mische mich mal wieder unters Volk, man sieht sich ja wohl noch. Sonst, ist klar, wir telefonieren, hat mich gefreut.
Dann lege ich mich ein bisschen in Isabells Zimmer und gucke MTV. Da läuft »Don’t Look Back In Anger«. Als die Single in Deutschland rauskam, war schon Schluss mit Katharina. Da aber das Album ja schon lange raus war, hatten wir natürlich schon Sex mit diesem Lied oder besser: Sex ZU diesem Lied. Aber das Lied ist so fantastisch, dass man auch Sex MIT diesem Lied haben kann. Am Ende des Videos sitzt Noel mit roter Lennon-Brille hinten in einem Auto, und da muss man dann schon mal gerührt die Hände zum Gebet verschränken, wenn das Auto wegfährt. Ich gehe wieder zu den anderen.
Sie bemalen gerade die Balustrade mit einem irrsinnigen Spruch. Mensch, werden sie denken, Mensch, sind wir wild und frei und unkonventionell. Ich schätze mal, sie alle lieben Janosch. Und mit lauter bunten Pinseln patschen sie nun »Träume nicht Dein Leben – lebe Deinen Traum« an die Wand. Das finden sie total romantisch. Sie singen das Pippi-Langstrumpf-Lied. Ich singe ein bisschen »Married With Children«:
I hate the way that even though you
Know you’re wrong you say you’re right
I hate the books you read and all your friends
Your music’s shite it keeps me up all night
There’s no need for you to say you’re sorry
Goodbye I’m going home
I don’t care no more so don’t you worry
Goodbye I’m going home
So wird’s gemacht.