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Mit Bonus-Roman »Der Steuermann« von Eric Zonfeld. Auf der Suche nach dem Heimweg stößt die CHARR ganz unverhofft auf die Spuren der transitierenden Sonne und auf eine potenzielle Lösung, wie man sie vielleicht bändigen könnte. Zur gleichen Zeit hält die POINT OF die Stellung in der ehemaligen Sternenbrücke, wo sie die Rückkehr der TSS RANLAK erwartet. Doch schon bald treffen weitere Raumschiffe ein, deren Besatzungen nach einem angeblichen Worgun-Schatz suchen, den sie um jeden Preis finden wollen. Währenddessen begeben sich Ren Dhark und seine Gefährten auf die Suche nach den verschollenen Tel im blassblauen Universum und reisen dafür durch Raum und Zeit... Gary G. Aldrin, Jan Gardemann und Nina Morawietz verfassten diesen packenden SF-Roman voller Action nach dem Exposé von Anton Wollnik.
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Seitenzahl: 438
Ren Dhark
Weg ins Weltall
Band 100
Durch Raum und Zeit
von
Jan Gardemann
(Kapitel 1 bis 2 sowie 6 bis 9)
Nina Morawietz
(Kapitel 3 bis 5, 16 sowie 20 bis 21)
Gary G. Aldrin
(Kapitel 10 bis 15 sowie 17 bis 19)
und
Anton Wollnik
(Exposé)
Inhalt
Titelseite
Vorwort
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
BONUS-ROMAN: Der Steuermann
Akt I
Akt II
Akt III
Nachwort
Empfehlungen
Simulacron-3/Welt am Draht
Ren Dhark Classic-Zyklus
Ren Dhark Extra
Z Revolution
Impressum
Vorwort
Liebe Leser,
der Herausgeber Anton Wollnik fragte mich, ob ich das Vorwort zu dem Jubelband 100 schreiben wolle, und leichtsinnig, wie ich manchmal bin, habe ich sofort zugesagt. Das ist jetzt über zwei Wochen her, und Anton fragt schon nach, wo der Text bleibt.
Ganz ehrlich? Was bleibt zu dem Phänomen REN DHARK noch zu sagen? Über eine Million verkaufter HJB/Unitall-Bücher? Klar. Bisher 40 beteiligte Autoren und Zeichner? Klar. Bisher 27 Jahre Laufzeit der Buchausgabe? Klar. Es darf eine Überraschung, ein Geschenk zum Erscheinen von Band 100 geben? Klar. Und diese Dreingabe soll mit REN DHARK zu tun haben? – Warum eigentlich? Warum nicht wirklich eine Überraschung?
Eines der vielen und meist erst im Nachhinein in seiner Bedeutung richtig eingeschätzten Science Fiction Werke ist das 1964 erschienene »Simulacron-3« von Daniel F. Galouye. Ohne jeden Zweifel einer der wichtigsten SF-Romane überhaupt. Und ich habe da einen Autor an der Hand, der sich immer wieder gerne mit einem neuen Projekt befasst, also habe ich ihn gefragt, ob er den »Simulacron-Kosmos« bereichern könne. Das Ergebnis geht Ihnen in diesem REN DHARK-2er-Pack zu, in Form des Romans »Der Steuermann« von Eric Zonfeld:
Zwei junge Männer, eng befreundet, beide »spinnerten Gedanken« gegenüber offen, stellen sich im Hier und Heute die Frage: Ist diese Realität wirklich real? Oder leben wir in einer Computersimulation? Wie könnte man einen potenziellen »Steuermann« zum Handeln provozieren – und damit überhaupt erst dessen Existenz sich und der Welt beweisen?! Sie entwickeln einen Plan, dessen Ausführung sogar funktioniert …
Ich hoffe, der Zusatzband gefällt Ihnen und dass Sie meinem »Flaggschiff« REN DHARK weiterhin die Treue halten. In einer Welt voller Wandel (zum Besseren wie zum Schlechteren – Wandel ist immer anstrengend, wenn man erst mal jenseits der 50 (oder so) angekommen ist) ist der Commander der Planeten eine der beharrlichen Kräfte, die sich nicht so einfach wegradieren lassen. Eigentlich einer der realen(?) großen, alten Männer (wie Joachim Witt, Alice Cooper, Bowie, Iggy Pop …), die – jenseits der 60 – immer noch jedem zeigen (konnten), wo der Hammer hängt – und, verflucht nochmal, das tut gut! Also, weiter so, Commander!
Hansjoachim Bernt
Prolog
Am 21. Mai 2051 startet die GALAXIS von Terra aus zu einer schicksalhaften Reise in den Weltraum. Durch eine Fehlfunktion des »Time«-Effekts, eines noch weitgehend unerforschten Überlichtantriebs der Terraner, springt das Raumschiff über beispiellose 4.300 Lichtjahre. Genau einen Monat später erreicht es das Col-System, wo es auf dem Planeten Hope landet. Weil ein Weg nach Hause unmöglich erscheint, beschließen die Raumfahrer, auf dem Planeten zu siedeln, und gründen die Stadt Cattan.
Rico Rocco schwingt sich zum Diktator auf und lässt sämtliche Kritiker verfolgen und auf den Inselkontinent Deluge verbannen. Dieses Schicksal trifft auch den zweiundzwanzigjährigen Ren Dhark, seinen besten Freund Dan Riker sowie eine Reihe weiterer Terraner. Doch damit endet die Geschichte nicht. In einer Höhle entdecken die Verbannten nicht nur Artefakte einer mysteriösen fremden Hochkultur, sondern auch ein unvollendetes Raumschiff, das eine prägnante Ringform aufweist.
Nachdem Rico Rocco bei einem Angriff der Amphi umgekommen ist, wird Ren Dhark zum neuen Stadtpräsidenten Cattans gewählt. Er lässt den Ringraumer reparieren, welcher später von Pjetr Wonzeff auf den Namen POINT OF INTERROGATION, kurz POINT OF, getauft wird. Im April 2052 bricht der Ringraumer unter Dharks Kommando zu seinem Jungfernflug zur Erde auf und beginnt damit ein neues Kapitel in der terranischen Raumfahrt. Nicht zuletzt dank Dharks Forscherdrang entdecken die Menschen weitere Hinterlassenschaften der Mysterious, die es ihnen ermöglichen, neue Ringraumer zu bauen und immer weiter in die Tiefen des Weltraums vorzudringen. Die POINT OF jedoch bleibt trotz allem einzigartig, was nicht zuletzt am Checkmaster liegt, dem eigenwilligen Bordgehirn des Raumschiffs.
Ren Dhark bleibt der Kommandant der POINT OF und erforscht mit seiner Mannschaft in den folgenden Jahren nicht nur das Weltall, sondern rettet auch immer wieder die Menschheit und sogar die ganze Galaxien. Als sich im Mai 2074 der nogksche Schutzschirm um Terra nicht mehr abschalten lässt, sucht er nach einer Lösung für dieses Problem, doch es scheint, dass er diesmal keine finden wird. Da tauchen plötzlich die Thanagog auf, ihres Bekundens Freunde der Mysterious beziehungsweise Worgun, und berichten von einem Gerät, das in ERRON-3, dem zentralen Wissensarchiv der Worgun im blassblauen Universum, zu finden sei. Dorthin brechen Ren Dhark und eine handverlesene Gruppe mit dem Experimentalraumschiff TSS RANLAK auf.
Bald erreicht der Raumer den Planeten und landet dort. Ren Dhark und seine Vertrauten haben alle Hände voll damit zu tun, die anderen Expeditionsteilnehmer davon abzuhalten, das Wissensarchiv zu plündern, und zu verhindern, dass der Hyperkalkulator der unterirdischen Worgun-Station ihnen weitere Kampfroboter auf den Hals hetzt. Bereits nach wenigen Stunden im Archiv stellt sich heraus, dass die Raumfahrer nicht allein sind. Sie begegnen Tel. Alles deutet darauf hin, dass es sich um jene Soldaten handelt, die siebzehn Jahre zuvor im Sternenbrücken-Krieg verschollen sind.
Schließlich ist das Gerät zur Deaktivierung des Schutzschirms um Terra gefunden. Doch bevor die Expeditionsteilnehmer die Heimreise antreten, will Ren Dhark sein Versprechen gegenüber dem Tel Check Lasz einlösen und diesem dabei helfen, dessen Artgenossen zu finden. Manch Expeditionsteilnehmer sieht seine Chance gekommen, sich entgegen Dharks Anweisungen erneut auf eigene Faust im Archiv umzusehen. Es kommt unweigerlich zur Katastrophe, als Henrietta Krapiwin fünf goldene Mentcaps schluckt und wenige Minuten später qualvoll stirbt. Daraufhin schickt Ren Dhark einen Teil der Expeditionsteilnehmer zurück in die TSS RANLAK, während er sich mit dem Rest auf die Suche nach den Tel begibt. Vor Check Lasz tut sich mit einem Mal ein Durchgang in einer Wand auf, der sich hinter ihm verschließt. Als Ren Dhark und seine Begleiter versuchen, ihn zu finden, geraten sie in das Kreuzfeuer telscher Soldaten …
1.
Fest verschnürt lag Ren Dhark auf einer schwebenden Antigrav-Plattform. Er zerrte an den Fesseln, versuchte sich zu bewegen. Aber so sehr er sich auch mühte, die Lianen gaben keinen Millimeter nach. Straff spannten sich die robusten Pflanzenfasern um seine Brust, seine Arme und die Beine, verdammten ihn zur Reglosigkeit. Der W-Anzug verhinderte, dass die rauen Schnüre in sein Fleisch schnitten oder die Blutzufuhr zu seinen Gliedmaßen unterbunden wurde. Allerdings waren die Seile nicht nur um seinen Leib, sondern auch um die Plattform geschlungen, sodass er sich nicht einmal hätte von der Liege auf den Boden werfen können, wenn er es gewollt hätte.
Doch das hätte auch nicht viel gebracht, denn die Tel hatten ihn umzingelt, waren überall zugegen. Eine Flucht konnte ihm unmöglich gelingen. Auf die Unterstützung seiner Kameraden konnte er ebenfalls nicht bauen. Er wusste noch nicht einmal, ob sie überhaupt noch lebten. Die Wirkung der gelben Kampfstrahlen, die die Tel gegen seine Gruppe eingesetzt hatten, war ihm gänzlich unbekannt. Seine Kameraden waren einfach umgekippt und wie leblos liegen geblieben, nachdem die energetischen Strahlen sie getroffen hatten. In zorniger Hilflosigkeit ballte Ren die Fäuste. Er hoffte inständig, dass zumindest Amy den Angriff der Schwarzen Weißen, wie die Tel von den Menschen auch genannt wurden, überlebt hatte. Bevor er von seinen Leuten getrennt worden war, hatte er gesehen, dass seine Lebensgefährtin ihre Finger bewegt hatte. Womöglich hatten ihre Cyborg-Komponenten die Trefferwirkung der gelben Strahlen abgemildert …
In diesem Moment bugsierten die Tel die Antigrav-Plattform, auf der Dhark gefesselt lag, aus der Halle hinaus, in der über ihn gerichtet worden war.
»Bringt den weißen Affen weg! Und bereitet ihn für die Hinrichtung vor!« Diese Worte, ausgestoßen von Rak Gorham, dem Anführer der in ERRON-3 lebenden Tel, klangen dem Commander noch in den Ohren. »Ich werde dich hinrichten lassen!«, hatte Gorham zuvor gedroht, als Dhark sich geweigert hatte, ihm die TSS RANLAK zu übergeben. »Anschließend lasse ich deinen Leuten in dem Doppelringraumer eine Aufnahme der grausamen Prozedur zukommen. Das wird sie davon überzeugen, wenn sie beraten sind, sich meinen Befehlen zu beugen und mir das Raumschiff zu überlassen!«
Dhark hatte dem Wer versichert, dass eine solche Handlung das genaue Gegenteil von dem bewirken würde, was dem Tel vorschwebte. Aber von diesem Argument hatte sich Gorham ebenso wenig umstimmen lassen wie von Rens Beteuerungen, dass der Krieg zwischen Tel und Menschen längst beigelegt worden war und beide Sternenvölker inzwischen freundschaftliche Kontakte untereinander pflegten.
»Weißer Affe, schwarze Worte!«, war alles, was ihm auf seine Erklärung erwidert worden war; was wohl bedeutete, dass die Schwarzen Weißen davon ausgingen, dass er log. In ihrer Vorstellung gab es anscheinend keinen Platz für die Möglichkeit, dass ihr Volk mit den Menschen jemals Frieden schließen könnte.
Ren betrachtete die beiden Tel, die neben der schwebenden Antigrav-Plattform einherschritten. Ein dritter ging hinter der Plattform, die Hände auf das Bedienfeld gelegt, mit dem das Antigrav-Modul gesteuert wurde. Von der pechschwarzen Haut abgesehen, sahen die Tel Nordeuropäern sehr ähnlich. Die ihn eskortierenden Männer hatten dunkelblondes Haar und blaue Augen. Ihren Gesichtszügen nach hätte es sich um junge Burschen aus Schweden oder Norwegen handeln können. Dennoch unterschieden sich die Tel von den Terranern grundlegend, und das nicht nur aufgrund der Hautfarbe.
Dhark musterte die Uniformen der Schwarzen Weißen. Der graue Stoff wirkte derbe, doch die Rangabzeichen und die Embleme der Truppenzugehörigkeit waren akkurat gearbeitet.
Solche Uniformen hatten die Tel während des Sternenbrücken-Krieges getragen, wie Check Lasz Ren verraten hatte. Aber dieser Krieg lag schon siebzehn Jahre zurück und war letztlich friedlich beigelegt worden. Allerdings galt die Tel-Flotte aus rund 18.000 Doppelkugelraumern seit dieser Auseinandersetzung als verschollen. Ren Dhark selbst war es gewesen, der die Raumschiffsflotte der Schwarzen Weißen damals mithilfe von Hy-Kon mit einem Schlag aus dem Sternenbrückensystem entfernt hatte. Auf dem Planeten Zwitt zum Hyperkalkulator der Großanlage der Mysterious gemacht und dadurch seines freien Willens beraubt, war er gezwungen gewesen, diesen verheerenden Angriff durchzuführen.
Obwohl Dhark für diesen Vernichtungsschlag eigentlich nicht verantwortlich war, lastete diese Tat schwer auf seinem Gewissen. Nicht nur aus diesem Grund hatte er Stillschweigen über diesen Vorgang bewahrt. Nur Arc Doorn und Dan Riker wussten davon, und die behielten diese Information für sich, denn auch sie waren überzeugt davon, dass Dhark keine Schuld an dem Verschwinden der rund 18.000 Doppelkugelraumer traf, sondern die Worgun dafür verantwortlich waren.
Und nun war er ausgerechnet hier, im Wissensarchiv der Mysterious, auf Tel gestoßen, die die Uniform der Sternenbrückenkrieger trugen!
Eigentlich hätten die feindlichen Raumschiffe damals in den Hyperraum geschleudert werden sollen. So jedenfalls lautete die herkömmliche Theorie über die Beschreibung der Wirkungsweise der worgunschen Hy-Kon-Waffe. Wie es schien, könnte die Tel-Flotte stattdessen hierher ins blassblaue Universum versetzt worden sein. Im Bereich von Zwitt, einem der neun Sonnensysteme, aus denen die Sternenbrücke bestanden hatte, lagen die beiden so unterschiedlichen Universen dicht beieinander, dass es nicht unwahrscheinlich klang, dass Hy-Kon die rund 18.000 Tel-Raumer anstatt in den Hyperraum ins blassblaue Universum katapultiert hatte …
Ren Dhark verbannte diese an seiner Aufmerksamkeit nagenden Gedanken und bemerkte nun, dass er durch einen kluftartigen Korridor manövriert wurde. Die blauviolett schimmernden Unitallmauern ragten wie die Wände eines Canyons zu den Seiten auf. Wo der Einschnitt oben seinen Anfang nahm, war nicht auszumachen, denn in etwa einhundert Metern Höhe ging das bläuliche Licht, das typisch für die Anlagen der Worgun war, in diffusen Dunst über.
»Wo sind meine Gefährten?«, verlangte Ren von den Tel zu wissen. »Sind sie noch am Leben?«
Diese Fragen beschäftigten ihn momentan weit mehr als sein eigenes Schicksal. Wie schon während der »Gerichtsverhandlung«, die nicht mehr gewesen war als ein mit Anschuldigungen und Forderungen durchsetztes Verhör, benutzte Ren die Sprache der Worgun. Seltsamerweise beherrschten diese Schwarzen Weißen dieses Idiom der Mysterious, was bei ihren Artgenossen keine Selbstverständlichkeit war. Mit ihrer Muttersprache Telin schienen sie hingegen Schwierigkeiten zu haben.
»Deine Komplizen werden ebenfalls hingerichtet werden«, gab der Tel zu seiner Rechten kalt zurück. »Aber zuerst kümmern wir uns um dich!«
Mit dieser Bemerkung hatte der Soldat Ren die Aussichtslosigkeit seiner Lage vor Augen führen wollen. Der »weiße Affe« sollte sich quälen und verzweifeln. Doch das genaue Gegenteil war eingetreten. Die Worte ließen Hoffnung in Dhark aufkeimen, denn wie es schien, lebten seine Gefährten noch. Es war also noch nicht alles verloren! Seine Begleiter waren noch am Leben.
In diesem Moment endete der schluchtartige Gang. Vor der Gruppe öffnete sich eine weite, hell erleuchtete Halle. Als Dhark sah, was in der Mitte dieses gigantischen Gelasses aufragte, stockte ihm der Atem.
*
Räume von gewaltiger Größe gab es in dieser unterirdischen Worgun-Station unzählige. Ren Dhark konnte sich schon gar nicht mehr erinnern, wie viele dieser gigantischen Hallen er während des Aufenthaltes in ERRON-3 bereits besichtigt und untersucht hatte.
Das Bodenniveau dieser Halle lag um etliche Meter tiefer als das des Zuganges. Eine breite Rampe führte in den Hohlraum hinab. Auch hier verhüllte nebeliger Dunst die Decke, sodass Ren nicht zu erkennen vermochte, wie hoch das Gelass in Wahrheit war. Die Wände ringsum erstreckten sich bis in weite Ferne; sie beschrieben einen gleichmäßigen, weit ausholenden Bogen. Wahrscheinlich bildeten sie einen Ring. Das gegenüberliegende Ende konnte Dhark nicht einsehen, denn hoch aufragende Trümmerteile verstellten ihm die Sicht. Diese erhoben sich etwa zwanzig Meter vom unteren Ende der Rampe entfernt in die Höhe. Die metallenen Bruchstücke wirkten in der gigantischen Halle trotz ihrer wuchtigen Ausmaße vergleichsweise klein.
Die bizarr geformten Trümmerteile waren so angeordnet, dass sie eine ausgestreckte Hand bildeten, die aus dem Boden aufragte. Die Einzelteile waren mehrere Meter dick und innen teilweise hohl. Geborstene Rohre und abgerissene Kabelbäume ragten daraus hervor.
Dieses aus Schrott zusammengezimmerte Gebilde passte überhaupt nicht in das Gesamtbild dieser Worgun-Station. Es wirkte wie ein Fremdkörper, der es vermutlich auch war.
Während die Tel die Antigrav-Plattform die Rampe hinabsteuerten, machte sich ein mulmiges Gefühl in Dhark breit. Sein Blick heftete sich auf einen Gegenstand, der oben an der Spitze des mittleren und zugleich längsten Auswuchses des Gebildes baumelte, dem Mittelfinger. Es handelte sich zweifellos um einen Kommandantensessel, wie er normalerweise in den Zentralen der telschen Doppelkugelraumer von Tel-Schiffen verbaut wurde. Ein Sockel, der aussah, als wäre er mit roher Gewalt aus dem Boden gebrochen worden, haftete unten an dem Sitzmöbel. Ein Seil, anscheinend ebenfalls aus Lianen gewirkt, war um die Rückenlehne des Sessels geschlungen; es führte zu einer Rolle hinauf, von der aus das Seil zu dem Gebilde aus Schrottteilen geführt wurde. Dort verlief es, durch mehrere Rollen gezogen, in die Tiefe und endete am Fuße des Konstrukts bei einer Spule. An der Seite dieser Winde befand sich ein armlanger Hebel.
Ren schwante, dass das Gebilde aus den Trümmern eines Raumschiffes oder Beibootes zusammengesetzt worden war; vielleicht sogar aus den Überresten des Raumers, mit dem die Tel auf diese Welt gelangt waren. Welchem Zweck das skurrile Objekt diente, begann er zu erahnen, als seine Antigrav-Plattform darauf zu schwebte. Die Tel steuerten ein niedriges Podest an, das sich unterhalb des an dem Seil baumelnden Kommandantensessels befand. Ein Metallblock, bei dem es sich ursprünglich um eine Konsole gehandelt haben mochte, stand auf dem Podest. Ren glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er die dunklen eingetrockneten Flecken entdeckte, mit denen die Konsole bedeckt war.
Es handelte sich offenkundig um die Überreste eingetrockneten Blutes!
Voller Unbehagen sah der Commander zu dem etwa fünfzehn Meter über der Konsole baumelnden Kommandantensessel empor. Er schluckte trocken, als er gewahr wurde, dass die Unterseite des Sesselsockels ebenfalls von eingetrocknetem Blut dunkel gefärbt war.
Offenbar war er nicht der Erste, der mit dieser skurrilen Tötungsmaschine hingerichtet werden sollte …
*
An Händen und Füßen gefesselt kniete Ren Dhark vor der ausgedienten Konsole. Eine um seinen Körper geschlungene Liane band ihn an dem zweckentfremdeten Eingabemodul fest, sodass er keinen Millimeter davon abrücken konnte. Eine um seinen Hals gelegte Schlinge zwang seinen Kopf auf das Tastenfeld nieder. Seine linke Wange berührte die kühle Fläche und das eingetrocknete Blut, mit dem sie besudelt war.
Mehrere auf Stativen aufgepflanzte Raumabtaster umringten den Commander, die Objektive auf ihn gerichtet, um die bevorstehende Hinrichtung akribisch aufzuzeichnen. Die dreidimensionalen Aufnahmen sollten anschließend in die TSS RANLAK gebracht werden. Da im blassblauen Universum jegliche Funkwellen unterdrückt wurden, würden die Tel das Material in einem Datenkristall abspeichern und per Bote zum Raumschiff bringen müssen. Aber so weit wollte es Ren Dhark gar nicht erst kommen lassen.
Ob er die bevorstehende Hinrichtung verhindern konnte, stand allerdings in den Sternen. Die ERRON-3-Tel schienen ihm auf beängstigende Weise unberechenbar zu sein. Ob seine Kenntnisse über die Schwarzen Weißen ihm tatsächlich etwas nützten, konnte er beim besten Willen nicht voraussagen. Dennoch fasste er einen Plan.
Hinter dem Commander hatte sich ein hünenhafter Tel aufgebaut, der außer einer Uniformhose nackt war. Der eingeölte Oberkörper und die vor der Brust gekreuzten muskulösen Arme glänzten so schwarz wie polierter Obsidian. Auch auf seinem rasierten Schädel hatte der Schwarze Weiße Öl aufgetragen. Seine eisblauen Augen blickten starr und gleichgültig vor sich hin. Neben dem Mann ragte der Hebel auf, der die Arretierung der Spule lösen und den Kommandantensessel auf den Schädel des Gefangenen niederkrachen lassen würde.
Ren hatte mehrmals versucht, mit den anwesenden Tel ins Gespräch zu kommen. Doch diese hatten nicht auf seine Worte reagiert. Stumm und geschäftig bereiteten sie alles für die Hinrichtung vor. Die Routine, die sie dabei an den Tag legten, ließ ihn erschaudern.
Erneut zerrte er an seinen Fesseln. Beunruhigt stellte er dabei fest, dass sich einige der Tel nun in den Hintergrund zurückzogen. Die Vorbereitungsarbeiten waren anscheinend abgeschlossen.
»Ich verlange, euren Wer zu sprechen!«, rief Ren gepresst. Die unbequeme Körperhaltung machte es ihm schwer, die Worte laut und deutlich auszustoßen.
»Keine Sorge!«, drang da eine befehlsgewohnte Stimme zu ihm herüber. Sie klang getragen und brüchig, sodass Ren sie zweifelsfrei als die des Anführers der ERRON-3-Tel identifizierte. »Das Vergnügen, der Hinrichtung eines weißen Affen beizuwohnen, werde ich mir ganz bestimmt nicht entgehen lassen!«
Ren Dhark verrenkte sich fast den Hals, während er versuchte, zu dem Mann hinüberzublicken.
Rak Gorham bewegte sich mit der behäbigen Selbstsicherheit eines sich seiner Macht bewussten Despoten. Die Uniform des in die Jahre gekommenen, beleibten Mannes strotzte förmlich vor Abzeichen und Orden. Als Wer bekleidete er den höchsten Rang, der im telinschen Militär erreicht werden konnte. Markante Falten durchzogen sein schwarzes Gesicht. Die Haut wirkte gegerbt und war flächendeckend von feinen Runzeln durchzogen. Das ergraute Kopfhaar war stark gelichtet und die wenigen verbliebenen Strähnen so auf dem Schädel drapiert, dass sie die kahlen Stellen notdürftig bedeckten.
Unmittelbar vor dem Podest der Hinrichtungsmaschine blieb Gorham stehen. Dhark, der befürchtet hatte, dass der Wer nicht zu seiner Hinrichtung erscheinen würde, versuchte sich die Erleichterung, die er nun empfand, nicht anmerken zu lassen. Er hatte genug Zeit gehabt, einen Plan zu ersinnen, wie er doch noch mit dem Leben davonkommen könnte, aber ohne die Anwesenheit des Oberbefehlshabers der Tel wäre sein Vorhaben nicht durchführbar gewesen. Dementsprechend froh war er nun, den Mann zu sehen.
Gorham betrachtete den Gefangenen mit schiefgelegtem Kopf. »Hast du es dir anders überlegt?«, erkundigte er sich hämisch. »Wirst du mir deinen Doppelringraumer freiwillig überlassen?«
Dhark verzog das Gesicht. »Ich würde es ja tun, wenn ich dazu in der Lage wäre«, presste er hervor.
Der Wer furchte die Stirn. »Wie soll ich das verstehen? Du sagtest doch, dass du der Kommandant der TSS RANLAK seist.«
»Ich kommandiere das Schiff, das ist richtig«, bestätigte Dhark. »Ich bin aber nicht der Oberbefehlshaber dieser Mission.« Er hätte jetzt viel dafür gegeben, den Gesichtsausdruck des Wer richtig zu deuten. Der verschlossenen, grimmigen Miene war jedoch nicht anzusehen, was im Kopf dieses betagten Mannes vor sich ging.
»An welchen von euch weißen Affen muss ich mich denn sonst wenden, um die Übergabe eures Raumschiffes zu erzwingen?«, wollte Gorham wissen. Er klang mürrisch und ungehalten.
»Kein weißer Affe«, beeilte sich Ren zu erklären. »Es ist ein Tel, der bei uns die oberste Befehlsgewalt innehat.«
»Weißer Affe, schwarze Worte«, grollte der Hüne hinter Dhark.
Rak Gorham hob gebieterisch die Hand, woraufhin der Henker erneut Haltung annahm. »Das musst du mir genauer erklären«, forderte er seinen Gefangenen auf.
»Der Wer Check Lasz ist der Oberbefehlshaber dieser Expedition«, erwiderte Ren. Seine Behauptung entsprach nicht ganz der Wahrheit, war aber auch nicht komplett gelogen. »Ich bin bloß für den reibungslosen Ablauf an Bord der TSS RANLAK verantwortlich.«
»Ein Tel gebietet über euch weiße Affen?«, fragte Rak Gorham mit einer Mischung aus Überraschung und Unglaube. »Warum hast du mir das verschwiegen?«
Dhark verzog gequält das Gesicht, was ihm angesichts seiner Lage gar nicht so schwerfiel. »Ich wollte dir gegenüber nicht zugeben, dass es so ist. Wir Terraner haben auch unseren Stolz, weißt du?«
»Du bist ein verdammter Narr!«, fuhr Gorham ihn an. »Für diese Impertinenz sollte ich dir sofort den Schädel einschlagen lassen!«
»Über mein Schicksal hat allein Check Lasz zu verfügen!« Dhark riss an seinen Fesseln. »Er wird es nicht gutheißen, wenn du meinem Leben oder dem Leben meiner Begleiter ein Ende setzt. Derartiges zu veranlassen, obliegt allein unserem Anführer, dem Wer Check Lasz!«
Diese Worte schienen Gorham tatsächlich zu denken zu geben, denn seine Lippen pressten sich zu einem dünnen Strich zusammen. Bestimmt überlegte er, wie er die Aussagen seines Gefangenen einschätzen sollte und, was noch wichtiger war, ob er sich als Wer eigenmächtig in die Angelegenheiten eines anderen Wer einmischen durfte.
Dhark wusste, dass die in ERRON-3 lebenden Tel seine Gruppe und ihn heimlich beobachtet hatten. Sie wussten also von den Untersuchungen im Wissensarchiv und auch von der TSS RANLAK, mit der die Raumfahrer unweit eines Einganges der unterirdischen Rake-Station gelandet waren. Folglich musste Gorham auch Kenntnis davon haben, dass sich ein Tel in ihrer Gruppe befand. Ein Tel, der durch ein Missgeschick jedoch von den Terranern getrennt worden war.
»Wer Lasz ist ins blassblaue Universum gekommen, um nach den rund 18.000 Doppelkugelraumern zu suchen, die während der Schlacht im System der Sternenbrücke spurlos verschwanden«, fuhr Ren fort, und das war nicht einmal gelogen, denn Lasz war der Befehlshaber einer »Tak Saff Saraff« genannten Gruppe, die sich den Erhalt des Ehrendenkmals Sternenbrücke und der Suche nach den im Krieg verschollenen Tel verschrieben hatte. »Check Lasz wurde vom Vank dazu berufen, die verschollenen Soldaten aufzuspüren und zurück ins Imperium zu bringen«, schloss der Commander.
»Man hat die Veteranen des Sternenbrücken-Krieges also nicht als verloren aufgegeben?« Gorham sprach wie zu sich selbst.
Ren Dhark mochte sich täuschen, aber er meinte, plötzlich einen feuchten Schimmer in den Augen des Wer zu bemerken. Gorhams Worte gaben ihm jedoch ein Rätsel auf, denn der Mann hatte von Veteranen gesprochen. Jetzt war allerdings nicht der Zeitpunkt, die Geheimnisse der hiesigen Tel zu ergründen. Zuerst galt es, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen und seine Kameraden vor dem sicheren Tod zu retten. Außerdem hätten seine Fragen den Wer sicherlich nur misstrauisch gemacht und diesen womöglich an seiner Geschichte zweifeln lassen.
»Unser ehrenwerter Wer ist während seiner Nachforschungen in ERRON-3 kürzlich durch eine verborgene Tür getreten«, spann Ren seinen Garn fort, wobei er sich so nahe wie möglich an der Wahrheit orientierte. »Der Durchgang schloss sich hinter ihm und ließ sich anschließend nicht wieder öffnen. Seitdem suchen meine Begleiter und ich nach unserem Anführer. Wir hofften, ihn in jenem Wald zu finden, aber stattdessen wurden wir dort von deinen Leuten angegriffen und gefangen gesetzt.«
Rak Gorham starrte den Commander durchdringend an, seine Miene war wie zu Eis erstarrt.
War er mit seiner Geschichte zu weit gegangen, fragte sich Ren. Hatte er zu dick aufgetragen, sodass der Wer seinen Bericht für erfunden halten musste?
Falls Gorham die Expeditionsgruppe lückenlos hatte beobachten lassen, musste ihm zwangsläufig aufgefallen sein, dass Check Lasz mitnichten die Position eines Anführers innehatte, sondern lediglich ein Expeditionsteilnehmer unter vielen war.
Wie um dem Henker ein Zeichen zu geben, am Hebel zu ziehen, damit der Kommandantensessel herabsausen und den Schädel des »weißen Affen« zerschmettern konnte, hob Rak Gorham gebieterisch die Hand und donnerte: »Tod unseren Feinden!«
2.
Etlichen Stunden zuvor
Als die verborgene Tür hinter ihm zu glitt, wirbelte Check Lasz erschrocken herum. Von einem Augenblick auf den anderen wurde die Sicht auf Ren Dhark, der sich angeschickt hatte, ihm zu folgen, von dem geschlossenen Türblatt verstellt. Eben noch war der schlanke, etwa 1,79 Meter große Mann mit den weißblonden Haaren, den braunen Augen und dem markanten Gesicht zu sehen gewesen, und jetzt starrte Check Lasz nur noch die blauviolette Unitallwand an.
Völlig perplex trat der Wer dicht vor die Mauer. Fugen, die die Position der Tür hätten verraten können, gab es nicht mehr. Sie war nahtlos mit der Wand verschmolzen!
Er tastete die Mauer mit den Händen ab, in der Hoffnung, dass sich die verborgene Tür daraufhin erneut auftun würde. Auf die Weise hatte er den Durchgang vor wenigen Augenblicken nämlich geöffnet – zumindest glaubte er das. Doch falls seine Berührung den Öffnungsmechanismus tatsächlich ausgelöst hatte, so schien das von dieser Seite der Wand nun nicht mehr möglich zu sein. Es tat sich nämlich gar nichts. Das Unitall blieb fugenlos und machte nicht die geringsten Anstalten, eine neue Öffnung entstehen zu lassen.
Check Lasz probierte noch eine Weile herum, legte die Stirn an das kühle Metall oder trat mit dem Fuß gegen die Wand. Das Resultat blieb stets das Gleiche: Die Mauer präsentierte sich als glatte, geschlossene Fläche.
Schließlich stellte er seine Bemühungen ein. Wie es aussah, war er von seinen Begleitern abgeschnitten. Aber war das überhaupt so dramatisch, wie es ihm im ersten Augenblick vorgekommen war? Eigentlich konnte er doch sogar froh sein, diese nervigen weißen Affen endlich losgeworden zu sein!
Lasz wiegte abwägend den Kopf hin und her. Ren Dhark war ihm inzwischen eigentlich sogar recht sympathisch geworden, doch auf die Gegenwart dieses zänkischen Arjun Chatterjee konnte er gut und gerne verzichten! Das Schicksal der anderen Gruppenmitglieder war ihm eigentlich auch ziemlich egal. Als Tel war er auf diese Menschen ohnehin nicht angewiesen!
Oder etwa doch?
Lasz rieb sich überlegend die Bartstoppeln. Das vertraute schabende Geräusch, das dabei entstand, beruhigte ihn ein wenig. Die verborgene Tür würde vorerst verschlossen bleiben, da machte er sich nichts vor. Dass seine Begleiter sie würden öffnen können, hielt er für eher unwahrscheinlich. Die Versuche der Terraner, den Zugang überhaupt erst entstehen zu lassen, waren vorhin jedenfalls ergebnislos verlaufen, sodass einmal mehr er, Check Lasz, es gewesen war, der in dieser Rake-Station eine verschlossene Tür hatte aufsperren können. Die viel gepriesene Gedankensteuerung brachte die Terraner in ERRON-3 jedenfalls nicht weiter. Sie funktionierte oft einfach nicht. Insofern waren die Menschen hier im zentralen Wissensarchiv der Rake den Tel gegenüber nicht im Vorteil, was Check Lasz insgeheim mit Genugtuung erfüllte. Sein Volk war nämlich biologisch bedingt zur Gedankensteuerung nicht in der Lage, was ihn manchmal ziemlich ärgerte.
Wie dem auch sei …
Der Wer stemmte die Arme gegen die Taille. Verzagen würde er jedenfalls nicht. Wie er Dhark einschätzte, würde dieser versuchen, einen Weg zu finden, ihn, Check Lasz, aufzuspüren, sodass er sich der Gruppe irgendwann wieder würde anschließen können. Jedenfalls hoffte er das. Allerdings erinnerte er sich auch daran, dass er den weißblonden Kommandanten der POINT OF ziemlich oft kritisiert hatte.
Bei dieser Überlegung wurde dem Tel nun doch für einen Moment ein bisschen mulmig zumute. Was, wenn seine unliebsamen Gefährten beschlossen, ihn allein in ERRON-3 zurückzulassen und den Rückflug ins heimatliche Universum ohne ihn anzutreten?
So schnell dieser Gedanke gekommen war, so schnell verwarf Lasz ihn auch wieder. Auf Ren Dhark konnte er sich verlassen. Dieser Terraner würde ihn ganz bestimmt nicht im Stich lassen. So etwas würde gegen dessen Prinzipien verstoßen – oder etwa nicht?
Lasz wischte seine Zweifel mit einer unwirschen Handbewegung fort. Anstatt sich Sorgen zu machen und am Ende in Panik zu verfallen, sollte er lieber damit beginnen, seine Umgebung näher in Augenschein zu nehmen, denn aus diesem Grund war er ja durch die Tür getreten: um zu ergründen, wohin der geheimnisvolle Tel verschwunden war, den Amy Stewart vor einiger Zeit in der Halle mit den Terrarien voller Bohrschrecken aufgestöbert hatte. Dieser Tel war durch ebendiese Geheimtür entwischt, ehe der weibliche Cyborg ihn hatte packen und festhalten können.
Langsam drehte Check Lasz sich von der Unitallwand weg und der Halle zu, in die ihn der Durchgang geführt hatte. Ihm blieb fast das Herz stehen, als er gewahr wurde, dass vor ihm mehrere Dutzend Defensive schwebten. Dabei handelte es sich um schwerbewaffnete Kugelroboter, die vom Zentralgehirn von ERRON-3 zur Verteidigung des Wissensarchivs eingesetzt wurden. Die Expeditionsgruppe hatte bereits üble Erfahrungen mit diesen fliegenden Maschinen gemacht und war von ihnen mehrmals angegriffen worden …
Erschrocken stand Check Lasz da und starrte die vor ihm schwebenden Unitallkugeln an. Sie wiesen einen Durchmesser von einem halben Meter auf und schwebten, ohne ein Geräusch von sich zu geben, regungslos in der Luft.
Der Wer hob langsam die Hände. »Äh – ich hege keine feindlichen Absichten«, versicherte er den Verteidigungsrobotern stockend. »Mich als Bedrohung anzusehen, wäre eine fatale Fehleinschätzung.«
Die Defensiven rührten sich nicht. Sie trafen auch keine Vorkehrungen, ihre Strahlenabschussantennen auszufahren. Ohne den geringsten Hinweis, dass sie seine Anwesenheit überhaupt wahrgenommen hatten, schwebten sie auch weiterhin reglos am Fleck.
Check Lasz beschlich das eigentümliche Gefühl, lediglich das Standbild einer Holografie zu betrachten. Trotzdem unterdrückte er den Impuls, die Hand auszustrecken, um zu überprüfen, ob die Kugelroboter tatsächlich real waren oder nicht.
Während der Schock langsam abklang, sah er sich ein wenig gründlicher um. Die Arme hielt er dabei vorsorglich erhoben. Wie er jetzt bemerkte, befand er sich in einer jener gigantischen Hallen, die typisch für die Anlagen der Rake waren. Generell zeichneten sich deren Bauten nicht gerade durch Bescheidenheit und rationalisierte Funktionalität aus, sondern durch protzigen Gigantismus und überbordende Verschwendungssucht, wenn auch ohne allzu viele dekorative Zierelemente. Vielmehr prägte eine kühle, fast schon abweisende Sachlichkeit das Bild. Als wollten die Gestaltwandler bei anderen Sternenvölkern Eindruck schinden, bauten sie mit Vorliebe überdimensionierte, opulente Anlagen, die jeden Besucher vor Ehrfurcht erstarren ließen.
Anders verhielt es sich mit dieser unterirdischen Halle auch nicht. Sie war etwa einen halben Kilometer hoch und ebenso breit und lang. Genau genommen handelte es sich um einen Würfel mit Unitallwänden, der bis unter die Decke mit unzähligen schwebenden Defensiven gefüllt war. Die schlichten Kugeln wahrten einen exakt abgemessenen Abstand zueinander, so als markierten sie die Knotenpunkte eines dreidimensionalen Rastergitters, das die gesamte Halle ausfüllte.
Diese Übermacht an Robotern führte dazu, dass sich Check Lasz plötzlich unbedeutend und verletzlich fühlte. Ein falscher Atemzug und diese Maschinen würden ihn mit ihren Kampfstrahlen so lange attackieren, bis nichts mehr von ihm übrig war.
Offenbar fanden es die Programme dieser Defensiven aber nicht der Mühe wert, sich des humanoiden Geschöpfes anzunehmen, das sich erdreistet hatte, diese Halle ungebeten zu betreten. Jedenfalls rührten sie sich nicht von der Stelle, auch dann nicht, als Lasz seine Arme langsam wieder sinken ließ.
Musste er sich denn wirklich als ungebetenen Gast betrachten?, fragte er sich. War es nicht vielmehr so, dass sich die verborgene Tür für ihn geöffnet hatte, und nur für ihn? Der Durchgang war vor Ren Dharks Nase zugeschnappt, als wären die Tel in diesem Bereich von ERRON-3 zwar willkommen, die Terraner aber nicht. Außerdem wäre dieser fremde Tel, den Amy Stewart entdeckt hatte, ja wohl kaum durch diese Tür ein und ausgegangen, wenn ihm in dieser Halle eine Gefahr gedroht hätte.
Check Lasz straffte seine Körperhaltung. »Von wegen die Menschen sind die Lieblinge der Rake!«, schnaufte er verächtlich. Diese Behauptung hatten die weißen Affen in seiner Gegenwart zwar nicht offen ausgesprochen, aber ihr Auftritt und Verhalten verrieten ihm deutlich, dass sie genau das von sich glaubten. Ren Dhark bildete in diesem Punkt keine Ausnahme. Die Terraner wurden nicht müde, bei jeder sich bietenden Gelegenheit hervorzuheben, dass sie die Gedankensteuerung der Rake beherrschten, die Tel hingegen nicht. Auch waren die Menschen seinerzeit mit der Entschlüsselung der Rake-Technologie viel schneller vorangekommen, als es bei den telschen Forschern der Fall gewesen war. Unter allen Geschöpfen, die die Gestaltwandler gezüchtet hatten, hatten sich die Menschen stets als etwas Besonderes betrachtet. Aber stimmte das überhaupt?
Check Lasz für seinen Teil hatte nie an die Überlegenheit der Terraner geglaubt. »Es sind die Tel, denen die Rake den Vorzug geben«, murmelte er und nickte wie zur Bestätigung. »Hier in ERRON-3 werde ich den Beweis dafür finden!«
Fest entschlossen, den oder die fremden Tel endlich aufzuspüren, setzte er sich in Bewegung. Allerdings fühlte er sich noch immer ein bisschen beklommen, während er sich an den schwebenden Roboterkugeln vorbei tiefer ins Innere der Halle schob.
Er war noch keine zehn Meter vorangekommen, als eine der vor ihm verharrenden Kugeln plötzlich ihre Position veränderte und direkt auf ihn zuschwebte. Im nächsten Moment verstellte die Unitallsphäre ihm den Weg.
Dann öffnete sich in der oberen Hälfte ein breiter Spalt.
Check Lasz erstarrte. Offenbar hatte er mit seiner Einschätzung falschgelegen. Er war hier nicht willkommen. Das Schutzprogramm des Hyperkalkulators sah ihn als unerwünschtes Subjekt an, das es augenblicklich zu eliminieren galt!
Hastig stülpte sich Check Lasz den Klarsichthelm seines W-Anzuges über den Kopf. Die in dem Helm integrierte Nanotechnik ermöglichte es, dass sich der Helm beim Zurückschlagen zusammenfaltete und eine Art Kragen bildete. Beim Schließen formte das Material hingegen eine makellose, durchsichtige Halbkugel, die den Anzug hermetisch abschloss. Die Atemluftversorgung regelte von nun an eine in die Anzugsfolie integrierte Vorrichtung, deren genaue Beschaffenheit so rätselhaft war, dass nicht einmal die Menschen in der Lage gewesen waren, sie zu entschlüsseln, geschweige denn ohne die dazugehörige Fertigungsanlage der Rake nachzubauen.
Hektisch tastete Check Lasz nach dem Handstrahler, der an dem magnetischen Gürtel an seiner Hüfte hing. Im nächsten Moment ließ er die Hand jedoch wieder von dem Griff der Waffe hinabgleiten.
Verblüfft starrte er den vor ihm schwebenden Defensiven an. Der Spalt hatte sich inzwischen so sehr verbreitert, dass das obere, ihm zugewandte Viertel der Unitallkugel nun gänzlich zurückgeklappt war. Auf diese Weise war, wie bei den Kugeln eines Pullman, eine Sitzfläche mit Rückenlehne entstanden.
Erst jetzt bemerkte er, dass die vor ihm schwebende Sphäre doppelt so groß war wie die Defensiven ringsum. Es handelte sich tatsächlich um eine Pullman-Kugel und nicht um einen Kampfroboter, wie er zuerst angenommen hatte. Dennoch unterschied sich diese Sphäre von den herkömmlichen vierzehn Kugeln, aus denen ein Pullman normalerweise zusammengesetzt war. Rechts der Sitzfläche ragte nämlich eine mit einem Handgriff versehene Stange aus dem Rückenteil.
Unschlüssig stand Check Lasz da. Dann fasste er sich ein Herz und kletterte auf die Sitzfläche. Den Helm ließ er vorsorglich geschlossen, denn man konnte ja nie wissen! Behutsam umfasste er den Griff der Stange, und als er diese zaghaft ein paar Millimeter nach unten drückte, flog die Kugel auch schon los.
Sie bewegte sich in gemäßigtem Tempo vorwärts, direkt auf die Unitallmauer zu, der Check Lasz erst kürzlich den Rücken gekehrt hatte. Er spürte nicht das geringste Ruckeln. Offenbar verfügte dieses rakesche Transportmittel, wie es auch bei den Pullman der Fall war, über einen Andruckabsorber, der die Beschleunigungskräfte für Passagiere neutralisierte.
Die Defensiven in seiner Flugbahn wichen in einer lautlosen, fließenden Bewegung zu den Seiten aus, sobald er ihnen zu nahekam. Entweder wurden sie von einem übergeordneten Programm koordiniert oder sie hielten mithilfe ihrer Sensoren einen exakten Mindestabstand zu den benachbarten Kugeln ein.
Kurz vor der Mauer zog Check Lasz den Hebel in die ursprüngliche Position zurück, woraufhin das Transportmittel, auf dem er saß, zum Stillstand kam. Es hing jetzt wieder bewegungslos in der Luft. Lasz’ Füße baumelten dabei nur wenige Handbreit über dem Boden.
Der Wer drückte den Hebel nach rechts, woraufhin sich die Kugel in die entsprechende Richtung drehte. Sie bewegte sich in die entgegengesetzte Richtung, als er den Hebel wieder zu sich heranzog. Anschließend probierte er aus, was es mit der Sensorfläche am Ende der Lenkstange auf sich hatte. Er drückte den behandschuhten Daumen darauf, und als er die Stange dann auf und ab bewegte, folgte die Kugel mit einer entsprechenden Aufwärts- oder Abwärtsbewegung. Dabei wahrte das Gefährt stets einen Sicherheitsabstand zu umliegenden Flächen, sodass es nicht gegen die Mauer stieß und die Füße des Passagiers auch nicht den Boden berührten.
Fasziniert betrachtete Check Lasz den einfachen und doch so effektiven Zusatz, der es einem Tel ermöglichte, das schwebende Transportmittel auch ohne Gedankensteuerung zu lenken. Er fragte sich, ob diese Erweiterung vom Stationsgehirn des Wissensarchivs vorgenommen worden war oder Tel diese Modifikation vorgenommen hatten.
Beides für sich genommen wäre gleichermaßen erstaunlich und höchst bemerkenswert gewesen, denn in erstem Fall würde das bedeuten, dass der Hyperkalkulator keine Mühe scheute, es den Tel in ERRON-3 so angenehm wie möglich zu machen. Traf die zweite Möglichkeit zu, wäre dieser Steuerhebel ein Beweis für den Erfindergeist der in dieser Station lebenden Tel. Die Hinterlassenschaften der Rake durch eigene technische Erweiterungen noch zu verbessern, stellte eine telsche Leistung dar, die die Nutzbarmachung der Rake-Technologie durch die Menschen weit in den Schatten stellte.
Mit sich und der Welt im Einklang ließ Check Lasz die Kugel weiterfliegen. Das Gefährt würde ihm die Erkundung dieses Bereiches von ERRON-3 erheblich erleichtern. Es konnte jetzt nicht mehr lange dauern, bis er endlich auf seine Artgenossen stoßen würde. Davon war er fest überzeugt.
Er stieß den Hebel hart nach unten und lachte laut auf, als die Kugel abrupt nach vorn schoss, mitten in den Kordon der Defensiven hinein, die wie aufgeschreckte Insekten in alle Richtungen auswichen.
Gemütlich schlug Check Lasz die Beine übereinander und lehnte sich entspannt zurück. Dann legte er den Daumen auf die Kontaktfläche des Steuerhebels und ließ die schwebende Sphäre in einem wahnwitzigen Tempo auf und nieder fahren, während er in hoher Geschwindigkeit durch die Halle jagte.
*
Am gegenüberliegenden Ende der Halle befand sich eine hohe, bogenförmige Öffnung in der Unitallwand. Check Lasz drosselte die Geschwindigkeit und ließ die Sphäre gekonnt durch den Durchlass gleiten.
Auf der anderen Seite breitete sich ein kathedralenartiges Gewölbe aus, in dem ein diffuses Zwielicht herrschte. Der Hohlraum erstreckte sich etwa genauso viele Meter nach unten, wie er in die Höhe reichte, denn der Durchlass, den Check Lasz passiert hatte, befand sich ungefähr auf halber Höhe der aufragenden Unitallwand. Das eher an eine Grotte erinnernde Gewölbe hatte einen Durchmesser von gut einem Kilometer und war auch in etwa so hoch.
Der sich jäh unter ihm auftuende Abgrund verursachte ein unangenehmes Ziehen in seinem Magen. Plötzlich fühlte er sich nicht mehr sicher auf seinem Sitz. Es gab weder einen Gurt noch eine andere Sicherheitsvorkehrung, die verhindert hätte, dass er von der Sitzfläche rutschte und in die Tiefe stürzte. Aber das stand eigentlich auch nicht zu befürchten, denn nach wie vor spürte er nicht die geringste Bewegung der Kugel, ganz gleich, wie schnell er auch flog. Er musste einfach nur ruhig sitzen bleiben, dann würde ihm nichts geschehen.
Dennoch schien von der Tiefe ein unwiderstehlicher Sog auszugehen, der den Tel zu packen und von der Transportsphäre zu zerren drohte. Lasz schluckte heftig und rief sich zur Vernunft. Eigentlich kannte er keine Höhenangst. In diesem diffus beleuchteten riesigen Gewölbe waren ihm die Entfernungen jedoch nicht ganz geheuer.
Während er die Kugel nach unten lenkte, zwang er sich, in die Tiefe zu blicken. Ein Flickenteppich aus rechteckigen Bassins und Becken bedeckte den Grund. Die Behälter schienen mit einer grünlichen Substanz gefüllt zu sein. Die Farbe wirkte ungewöhnlich intensiv, fast, als würde sie phosphoreszieren. Die Nuancen variierten von Becken zu Becken leicht, sodass die rechteckigen Flächen dem Auge keinen festen Fixpunkt lieferten, sondern zum Darüber-Hinweggleiten einluden. Zwischen den dicht beieinanderliegenden Behältern verliefen Pfade, die ein wirres Netz, einem Irrgarten gleich, bildeten und sich bis in den letzten Winkel der Halle erstreckten.
Check Lasz erspähte einige Kugelroboter, die dicht über der grünlichen Brühe in den Becken schwebten. Während er auf seiner Unitallkugel tiefer hinabsank, vermochte er nun immer mehr Einzelheiten zu erkennen. Als er am Rand eines Bassins schließlich ein paar schwarzhäutige Gestalten in grauer Uniform ausmachte, wäre er vor Überraschung und Freude fast aufgesprungen. Seine Beine zuckten, und er erinnerte sich mit Schrecken daran, dass er ja gar keinen Halt unter den Füßen hatte. Dennoch vergaß er alle Vorsicht und winkte heftig mit dem freien Arm.
»Heda!«, rief er aus Leibeskräften. »Kameraden – hier bin ich!« Er ließ den Arm wieder sinken, als ihm bewusst wurde, dass der Helm seine Worte vermutlich dämpfte und die Tel ihn daher kaum hören konnten. Nichtsdestotrotz wurde die herabschwebende Kugel von den Soldaten bemerkt. Sie gestikulierten aufgeregt und deuteten zu dem Ankömmling empor.
Check Lasz winkte zurück und lenkte die Sphäre auf die Gruppe zu. Es handelte sich bei den Tel ausnahmslos um Männer, das konnte er an ihren Uniformen zweifelsfrei erkennen. Frauen waren nämlich vom Militärdienst ausgeschlossen. Er war jedoch noch zu weit von der Gruppe entfernt, um zu erkennen, welche Rangabzeichen die Soldaten trugen.
Wenn der Terra-Press-Reporter Bert Stranger und Amy Stewart, die beide in ERRON-3 jeweils einen Tel gesichtet hatten, nicht gelogen hatten, müsste es sich um Abzeichen der Sternenbrückenkrieger handeln.
Lasz konnte es kaum noch erwarten, die Kugel endlich zu landen und seinen Artgenossen gegenüberzutreten.
Leicht befremdet furchte er die Stirn, als er gewahr wurde, wie einer der Tel den Arm in seine Richtung ausstreckte. Diese Geste wirkte, als würde der Mann auf die herabschwebende Kugel zielen und nicht bloß zu ihr hinaufdeuten.
Tatsächlich erkannte der Wer jetzt, dass der Soldat ein ringförmiges Gerät in der Hand hielt. Der Ring umspannte locker die Faust, die sich wahrscheinlich um einen in der Mitte verlaufenden Steg schloss.
Plötzlich schoss der Ring einen gelben Strahl ab. Der Schütze hatte gut gezielt, denn der Energieblitz zuckte direkt auf den Ankömmling in der Luft zu.
Reflexartig warf sich Check Lasz zur Seite. Im selben Moment, da er seitlich von der Sitzfläche kippte, streifte der Strahl seine Schulter.
Er war nicht mehr fähig zu schreien, denn von der getroffenen Stelle breitete sich in Windeseile Eiseskälte über seinen Körper aus. Ein taubes Gefühl, das sich blitzschnell in absolute Gefühllosigkeit verwandelte, ergriff Besitz von ihm. Dass er in die Tiefe stürzte, rief keinerlei Entsetzen mehr in ihm hervor; er registrierte es gelassen, als würde es einem Fremden passieren und nicht ihm. Er bekam noch mit, dass er kopfüber in ein Bassin stürzte. Dann wurde alles schwarz um ihn herum.
*
Nur langsam dämmerte Check Lasz in den Wachzustand hinüber. Es kam ihm vor, als würde er aus einem langanhaltenden Kälteschlaf erwachen. Seine Glieder fühlten sich taub und seine Muskeln seltsam kraftlos an. Ihm war kalt und fiebrig zugleich, und seine Eingeweide schienen zu glühen. Seine Lider flatterten heftig, als er die Augen zu öffnen versuchte. Als er es endlich fertigbrachte, sie einen Spalt weit offen zu halten, stellte er fest, dass sein Anzughelm noch immer geschlossen war. Von außen bedeckten grünliche Schlieren die transparente Halbkugel. Doch jemand musste die Fläche über seinem Gesicht mit der Hand sauber gewischt haben, denn dort befand sich eine freie Fläche im grünlichen Belag, durch die er nach draußen sehen konnte.
Ein von rötlichen Haaren gekröntes, schwarzes Gesicht erschien in dem Ausschnitt. Die hellgrünen Augen sahen ihn mit einer Mischung aus Sorge und Erleichterung an.
Mühsam hob der Wer den Arm, um nach dem Gesicht zu greifen. Der Tel fasste nach der Hand und drückte sie. Dann sagte er etwas, das Lasz jedoch nicht verstehen konnte.
Er spürte, wie mehrere Hände nach ihm griffen und ihn aufsetzten. Hinter dem schmierigen Belag auf der Außenseite des Helms konnte er schemenhafte Gestalten ausmachen. Er wurde ein Stück über den Boden geschleift und dann mit dem Rücken gegen eine Mauer gelehnt.
Lasz tat ein paar Atemzüge, versuchte sich zu sammeln. Dann hob er die Hände an den Helm, löste die Verriegelung und klappte ihn zurück.
Die Luft, die er nun einatmete, schmeckte feucht und leicht modrig. Der Geruch von nassen Algen, Tang und salzigem Wasser stieg ihm in die Nase.
Drei Tel standen vor ihm und blickten mit sorgenvoller Miene auf ihn herab. Sie hatten ihn gegen eine der Beckeneinfassungen gelehnt. Diese ragten etwa einen Meter aus dem Boden und waren um ihn herum überall zugegen. Lasz befand sich offenbar auf einem der zwischen den Bassins verlaufenden Pfade. Er erinnerte sich jedoch, dass er in eines der Becken gestürzt war. Anscheinend hatten die Soldaten ihn herausgezogen und auf dem Pfad abgelegt.
Der Tel mit den hellgrünen Augen und dem rötlichen Haar hockte sich vor ihn hin. An seinem Gürtel baumelte eine ringförmige Waffe. Er legte die Hände auf Lasz’ Schultern und redete auf den Wer ein.
Angestrengt furchte Check Lasz die Stirn, denn er verstand kaum, was der Tel von sich gab. Offenbar bediente dieser sich einer Fremdsprache, die Lasz nicht beherrschte. Hin und wieder meinte er, einige Brocken auf Telin zu hören. Dass sein Translator die Worte nicht übersetzte, konnte nur bedeuten, dass der gelbe Energiestrahl das Gerät zerstört hatte. Aber das kümmerte ihn momentan nicht, denn seine Aufmerksamkeit galt voll und ganz den Abzeichen auf der Uniform seines Gegenübers.
Check Lasz lächelte verklärt. »Ihr seid es ja wirklich«, sagte er mit noch leicht schleppender Stimme. Er legte den Zeigefinger auf das Emblem, das den Soldaten als Mitglied jener Einsatztruppen auswies, die im Sternenbrücken-Krieg gekämpft hatten. »Ich habe euch tatsächlich gefunden!« Er blickte dem Mann ins Gesicht. »Du bist einer der Verschollenen, habe ich recht?«
Der Soldat sah ihn verständnislos an, wandte sich dann mit einigen für Lasz unverständlichen Worten an seine Kameraden. Sie antworteten ihm ebenfalls in jener Fremdsprache.
Die Rangabzeichen der Soldaten hatten ihm verraten, dass es sich bei den Männern um Rekruten handelte. Sie wirkten noch sehr jung und unerfahren, was Check Lasz verwunderte, denn seit dem Verschwinden der Flotte der 18.000 Doppelkugelraumer waren immerhin siebzehn Jahre vergangen. Die Männer hätten im Rang längst aufgestiegen sein müssen.
»Bringt mich zu eurem Vorgesetzten!«, befahl er ihnen.
Die Rekruten verstummten augenblicklich. Auch wenn sie nicht verstanden haben mochten, was er gesagt hatte, so war ihnen der Befehlston in der Stimme des Fremden nicht entgangen.
Erneut redete der Rothaarige auf ihn ein. Diesmal versuchte der Mann, Telin zu sprechen. Doch die Worte klangen irgendwie sinnentstellt und falsch. Er sprach mit ängstlicher Stimme. Allmählich dämmerte Check Lasz, dass der Mann sich zu entschuldigen versuchte, weil dieser auf ihn geschossen hatte.
Begütigend tätschelte er die Wange des jungen Soldaten. »Es ist schon gut. Wegen meines W-Anzuges hast du wahrscheinlich zu spät erkannt, dass ich einer von euch bin. Mir ist ja nichts passiert.« Er versuchte, sich zu erheben, und die drei beeilten sich, ihm dabei zu helfen.
Leicht wankend stand er da.
»Wie lange war ich eigentlich bewusstlos?«, wollte er wissen. Es ärgerte ihn, dass er seinen Rucksack nicht bei sich hatte. Das Gepäckstück war mitsamt seinem Chrono bei den Terranern zurückgeblieben. Lasz vermutete, dass er mehrere Stunden weggetreten sein musste, denn die Wirkung des gelben Strahls war ziemlich heftig gewesen und sicherlich nicht so schnell abgeklungen.
Die drei Soldaten redeten aufgebracht durcheinander. Sie schienen über irgendetwas zu diskutieren. Lasz meinte, mehrmals das Wort »Hinrichtung« aus dem Kauderwelsch herauszuhören.
Befürchteten die Rekruten etwa, dass sie wegen des Angriffs auf einen Wer mit dem Tode bestraft werden würden?
»Nun macht euch mal nicht gleich schwarz«, versuchte Lasz sie zu beruhigen. »Man wird euch wegen dieser kleinen Verfehlung schon nicht gleich vors Kriegsgericht stellen. Ich lege ein gutes Wort für euch ein.«
Plötzlich schrie einer der Männer auf und deutete aufgeregt mit dem Arm. Als Check Lasz der angegebenen Richtung mit dem Blick folgte, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen: Ein kleiner Hund mit rabenschwarzem Fell rannte auf dem Sims eines der Becken herum.
»Jimmy!«, rief Check Lasz. »Was, in Porasas Namen, hast du denn hier zu suchen?«
Der Roboterhund blieb abrupt stehen und sah zu den Tel herüber.
In diesem Moment bemerkte der Wer, dass der Rothaarige seine Ringwaffe gezogen hatte und auf Jimmy anlegte.
Ohne Zögern verpasste Check Lasz dem Schützen einen derben Stoß in die Rippen. Der Schuss verriss, und der gelbe Strahl stach in einem spitzen Winkel über die Becken hinweg in die Höhe. Als die Energielanze die Unitallmauer traf, verpuffte sie wirkungslos.
»Bist du von Sinnen?«, schrie Lasz den Rekruten an und entriss ihm die Waffe. »Dein Ausbilder sollte degradiert werden, wenn er dir nicht beigebracht hat, bedachtsam mit deiner Waffe umzugehen!«
Eingeschüchtert wichen die Männer zurück. Check Lasz aber bahnte sich einen Weg durch sie hindurch und eilte auf die Stelle zu, wo er Jimmy zuletzt gesehen hatte. Suchend blickte er sich um, aber von dem Roboterhund fehlte jede Spur. Jimmys Programme waren offenbar pfiffig genug gewesen zu erkennen, dass es besser war, sich diesen schießwütigen Jungspunden nicht noch einmal zu zeigen.
Lasz vermutete, dass Ren Dhark den kleinen Kerl losgeschickt hatte, um nach ihm zu suchen. Womöglich hatte sich Jimmy bereits auf den Rückweg gemacht, um den Terranern von seiner Entdeckung zu berichten.
»Mir geht’s gut!«, rief der Wer über die Bassins hinweg. »Richte Ren Dhark meine besten Grüße aus! Und er soll mir bloß nicht in die Quere kommen! Ich werde hier nicht eher weggehen, bis ich das Geheimnis der ERRON-3-Tel gelüftet habe!«
Check Lasz wandte sich ab und kehrte zu den Rekruten zurück. Zu gerne hätte er den Männern jetzt seine Uniform mit den Rangabzeichen eines Wer präsentiert, um klarzustellen, welchen Rang er bekleidete. Seine Uniform hatte er jedoch dem bewusstlosen, nackten Tel angezogen, den Ren Dhark und er in einer Halle entdeckt hatten. Inzwischen sollte sich der Gerettete in der Medostation der TSS RANLAK befinden, wo er medizinisch versorgt werden konnte. Die Gruppe, die Dhark zum Experimentalraumschiff zurückgeschickt hatte, musste mit dem bewusstlosen Tel und der Leiche der bedauernswerten Henrietta Krapiwin längst dort eingetroffen sein.
Check Lasz schob die Gedanken beiseite. Auch ohne Uniform und Rangabzeichen konnte er sich den nötigen Respekt verschaffen. Er trat vor die jungen Tel hin und sah sie streng an. »Ich bin Check Lasz und bekleide den Rang eines Wer in unserem geliebten Imperium.« Er ließ die Worte einen Augenblick wirken, ehe er fortfuhr: »Jetzt aber dalli! Bringt mich zu eurem obersten Befehlshaber!« Einen Moment lang wartete er die Wirkung seiner Worte ab. Noch immer verstand er nicht recht, warum diese Tel ein derart entstelltes Telin sprachen. »Wer!«, stieß er aufgebracht hervor, denn dass diese militärische Rangbezeichnung den Rekruten geläufig sein musste, davon konnte er wohl ausgehen. »Anführer!«, befahl er erneut. »Bei Sarapo! Bringt mich endlich zu ihm!«
Die Soldaten schienen endlich verstanden zu haben, denn sie winkten eifrig, um ihm zu bedeuten, dass er ihnen folgen sollte.
3.
Mai 2057
Die Terraner hatten keine Chance. Trotzdem brachten sie ihre Ringraumer in Stellung, um das Zwitt-System zu verteidigen, das sie sich unrechtmäßig unter den Nagel gerissen hatten. Die Tel waren zuerst hier gewesen und forschten bereits seit Jahren an den Hinterlassenschaften der Rake. Jetzt holten sie sich zurück, was ihnen gehörte.
Wer Rak Gorham saß mit einem selbstzufriedenen Lächeln in der Zentrale seines Flaggschiffs, der GAM LOC. Er befehligte einen Verband von insgesamt fünfzig Doppelkugelraumern, der Teil von Girr-Os Raumflotte war, die etwa 18.000 Raumer umfasste. Dieser Übermacht hatten die Terraner nichts entgegenzusetzen – und falls doch, würde deren Verstärkung nicht schnell genug hier sein.
Gorham hatte den Befehl, keine Gnade walten zu lassen. Das Telin-Imperium wollte ein Exempel an den Bleichgesichtern statuieren, damit kein Sternenvolk der Milchstraße es mehr wagen würde, die Machtposition der Tel anzuzweifeln.
Die Menschen waren erst vor wenigen Jahren auf der galaktischen Bühne erschienen; nicht etwa wegen ihres Erfindergeistes. Nein, dafür waren diese weißen Affen viel zu dumm. Das Einzige, was sie konnten, war stehlen. Sie hatten sich die Technologie der Rake angeeignet, und jetzt glaubten sie wohl, dass diese ihnen gehörte. Sie irrten sich.
Transition in drei, zwei, eins …
Die Flotte war durch den Hyperraum gesprungen, hatte in Nullzeit von der fünften zur siebten Sonne der Sternenbrücke mehr als vier Lichtjahre zurückgelegt. Jetzt befand sie sich am Rand des Zwitt-Systems und beschleunigte in Richtung des Zentralgestirns.
»Siebzig Prozent der Energie in die Speicher für die Abstrahlantennen umleiten«, wies Gorham die Kommandanten seines Verbandes über die Konferenzschaltung an. »Wir werden hier nicht lange fackeln, sondern diese weißen Affen auf einen Schlag aus dem Weltraum fegen.«
Die GAM LOC war ein telscher Doppelkugelraumer der 800-Meter-Klasse. Das bedeutete, dass sie über zwei miteinander verbundene Kugeln mit einem Durchmesser von jeweils 800 Metern verfügte. Sie befand sich in Begleitung von neunundvierzig Raumern der 400-Meter-Klasse. Es handelte sich um die modernsten Modelle, die das Imperium zu bieten hatte, allesamt ausgestattet mit der neuesten Militärtechnologie. Leider durften nur einige wenige Kommandanten der Flotte Q einsetzen, obwohl jedes Schiff ab der 400-Meter-Klasse über diese telsche Superwaffe verfügte. Rak Gorham gehörte zu seinem Bedauern nicht zu den Ausgewählten. Die Flotte sollte das Zwitt-System für das Imperium erobern, nicht zerstören, und man traute ihm wohl nicht zu, umsichtig mit Q umzugehen. Umso entschlossener war er, seinen Vorgesetzten zu beweisen, dass auf ihn absolut Verlass war.