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Im Zeittorus in der Ringpyramide auf Nicondo wartet eine Überraschung auf Ren Dhark und seine Gefährten. Womöglich ist das Balduren-Artefakt der Heiwahr doch noch nicht verloren. Währenddessen versucht die GSO auf Acheron drei Madame Friedels gefährliche Menschenexperimente zu beenden, doch der Angriff der Supersoldaten hat längst begonnen... Gary G. Aldrin, Jan Gardemann und Jessica Keppler verfassten diesen actiongeladenen SF-Roman nach dem Exposé von Anton Wollnik.
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Seitenzahl: 359
Ren Dhark
Weg ins Weltall
Band 108
Angriff der Supersoldaten
von
Jan Gardemann
(Kapitel 1 bis 6)
Jessica Keppler
(Kapitel 7 bis 13)
Gary G. Aldrin
(Kapitel 14 bis 23)
und
Anton Wollnik
(Exposé)
Inhalt
Titelseite
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
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Impressum
Prolog
Am 21. Mai 2051 startet die GALAXIS von Terra aus zu einer schicksalhaften Reise in den Weltraum. Durch eine Fehlfunktion des »Time«-Effekts, eines noch weitgehend unerforschten Überlichtantriebs der Terraner, springt das Raumschiff über beispiellose 4.300 Lichtjahre. Genau einen Monat später erreicht es das Col-System, wo es auf dem Planeten Hope landet. Weil ein Weg nach Hause unmöglich erscheint, beschließen die Raumfahrer, auf dem Planeten zu siedeln, und gründen die Stadt Cattan.
Rico Rocco schwingt sich zum Diktator auf und lässt sämtliche Kritiker verfolgen und auf den Inselkontinent Deluge verbannen. Dieses Schicksal trifft auch den zweiundzwanzigjährigen Ren Dhark, seinen besten Freund Dan Riker sowie eine Reihe weiterer Terraner. Doch damit endet die Geschichte nicht. In einer Höhle entdecken die Verbannten nicht nur Artefakte einer mysteriösen fremden Hochkultur, sondern auch ein unvollendetes Raumschiff, das eine prägnante Ringform aufweist.
Nachdem Rico Rocco bei einem Angriff der Amphi umgekommen ist, wird Ren Dhark zum neuen Stadtpräsidenten Cattans gewählt. Er lässt den Ringraumer reparieren, welcher später von Pjetr Wonzeff auf den Namen POINT OF INTERROGATION, kurz POINT OF, getauft wird. Im April 2052 bricht der Ringraumer unter Dharks Kommando zu seinem Jungfernflug zur Erde auf. Damit beginnt ein neues Kapitel in der terranischen Raumfahrt. Nicht zuletzt dank Dharks Forscherdrang entdecken die Menschen weitere Hinterlassenschaften der Mysterious, die es ihnen ermöglichen, neue Ringraumer zu bauen und immer weiter in die Tiefen des Weltraums vorzudringen. Die POINT OF jedoch bleibt trotz allem einzigartig, was nicht zuletzt am Checkmaster liegt, dem eigenwilligen Bordgehirn dieses Raumschiffes.
Ren Dhark bleibt der Kommandant der POINT OF und erforscht mit seiner Mannschaft in den folgenden Jahren nicht nur das Weltall, sondern rettet auch immer wieder die Menschheit und sogar ganze Galaxien. Im Mai 2074 lässt sich der unvermutet aktivierte Schutzschirm um Terra nicht mehr abschalten. Die Erde ist damit vom Rest des Universums isoliert. Niemand ahnt, dass es sich in Wahrheit um einen von den Thanagog installierten Zweitschirm handelt, um Ren Dhark zu einer Reise nach ERRON-3 zu bewegen. Dort wollen sie in den Besitz des Schebekaisen gelangen, eines Artefakts, das mutmaßlich von den Balduren stammt. Ihr Plan geht auf. Doch auch andere Expeditionsteilnehmer bedienen sich zu Dharks Leidwesen fleißig im zentralen Wissensarchiv der Worgun, allen voran Terence Wallis’ Sicherheitsberater Arjun Chatterjee.
Zurück in der Milchstraße zeigen die Thanagog ihr wahres Gesicht: Dabei kommt nicht nur die Wahrheit über den angeblich entarteten Schutzschirm um Terra heraus, sondern auch, dass die transitierende Sonne eigentlich das Mutterschiff der Schemenhaften ist. Bei dem Versuch, das Artefakt der Balduren von den Thanagog zurückzuholen, wird Ren Dhark Zeuge davon, wie die Wächter den Kern des Sonnenschiffes und damit die Lebensgrundlage eines ganzen Sternenvolkes zerstören. Shamol, der Herrscher der Thanagog, vernichtet das Schebekaisen und wendet sich in seiner Verzweiflung an Dhark. Er habe das alles nur getan, um sein Volk vor der buchstäblichen Auflösung zu bewahren. Weil die Erde nicht mehr in Gefahr schwebt, willigen der Commander und seine Experten ein zu helfen. Die Thanagog können gerettet werden, indem sie zu einem Megawesen verschmelzen, und fliegen in die Weiten des Weltraums hinaus.
Kurz darauf verschwindet Arjun Chatterjee mit den gestohlenen Dingen und Daten aus ERRON-3. Der worgunsche Wegweiser führt ihn zu einem vereisten Planeten mit einer Ringpyramide. In dieser erfährt er durch eine Holo-Präsentation von einem weiteren Schebekaisen, an das er jedoch nicht herankommt. Er kontaktiert die POINT OF auf Terra und verlangt Dharks Hilfe. Der Commander willigt ein, denn auch er möchte das Geheimnis um das Balduren-Artefakt lösen …
1.
Ungläubig blickte Ren Dhark auf seine offenen Hände. Eine große Menge golden schimmernder Staub lag darauf, hob sich dezent vom Weiß der Handschuhe seines W-Anzugs ab. Das feine Pulver rann durch seine Finger und rieselte in langen, dünnen Fäden zu Boden.
Eben noch hatte er eine Goldkugel, so groß wie ein Ball, gehalten. Ein verschlungenes Muster aus Ornamenten und Schriftzeichen hatte die Oberfläche bedeckt. »Schebekaisen«, so hatten die Thanagog diese Art von Kugel genannt, bei der es sich unzweifelhaft um ein Artefakt der Balduren handelte.
Das Schebekaisen der Unscharfen, das diese während der gemeinsam mit den Menschen durchgeführten Expedition ins blassblaue Universum an sich gebracht hatten, war unlängst zerstört worden.
Jenes Artefakt aus ERRON-3 hatte den entarteten Schutzschirm um die Erde abschalten sollen. Aber dann war alles ganz anders gekommen …
Inzwischen war ein weiteres Schebekaisen entdeckt worden. Arjun Chatterjee, der abtrünnige Sicherheitsberater von Wallis Industries, hatte es hier auf dieser toten Welt in einem abgelegenen Bereich der Milchstraße ausfindig gemacht. Es hatte sich in einem zwei Meter großen Unitallquader im Herzen einer Ringpyramide der Worgun befunden.
Da Chatterjee die Mittel gefehlt hatten, die goldene Kugel selbst zu bergen, hatte er sich dazu durchgerungen, Ren Dhark und damit auch die POINT OF zu verständigen. Er hatte sich von den Raumfahrern Hilfe erhofft. In seiner Vorstellung sollte diese Unterstützung freilich ganz anders aussehen, als es dann schließlich geschehen war.
Dessen war sich Ren Dhark bewusst. Aber das kümmerte ihn nur wenig, denn Arjun Chatterjee war ein Verbrecher, der mehrere Morde begangen und sämtliche Daten und Gegenstände gestohlen hatte, die seine Mitarbeiter in ERRON-3 gesammelt hatten. Für diese Taten würde sich der Inder noch verantworten müssen.
Das hatte für den Commander von Anfang an festgestanden. Was immer er und seine Kameraden in dieser Ringpyramide finden würden – niemals war vorgesehen gewesen, es Chatterjee zu überlassen.
Und nun das: Kaum war Dhark das aus dem Unitallquader hervorgeholte Schebekaisen von Artus übergeben worden, war es zu Staub zerfallen!
Die Hände unverändert vor sich haltend, hob Dhark den Blick. »Das ist doch wohl nicht wahr!«, stieß er entgeistert aus.
»Der Zersetzungsprozess hat genau zu dem Zeitpunkt angefangen, als du es berührt hast, Dhark«, äußerte sich Artus. Der intelligent gewordene Großserienroboter streckte seinen dünnen, röhrenförmigen Arm aus und fing mit der Greifklaue etwas von dem herabrieselnden Staub auf. Anschließend führte er die Probe dicht vor seine Optik. »Bei dem Pulver handelt es sich um Korrosionsrückstände«, stellte er fest. »Es ist nicht mehr zweifelsfrei zu ermitteln, aus welchen Ursprungsmaterialien die goldene Kugel bestanden hat.«
»Ich denke, dieser Auflösungsprozess könnte damit zusammenhängen, dass das Schebekaisen mit einem lebenden Organismus in Berührung gekommen ist«, mutmaßte Iondru. Der Klon von Dharks im Säuglingsalter ums Leben gekommenem Sohn Ion Alexandru Gipsy hatte ein biologisches Alter von schätzungsweise fünfundzwanzig Jahren.
Dass der junge Mann mit dem dunklen, leicht gewellten Haar, das bis auf seine breiten Schultern herabhing, nicht wirklich Ren Dharks Sohn war, darauf hatten sich die beiden Männer längst geeinigt.
In Iondrus graublauen Augen lag ein kühler Schimmer, und auch sein markantes Gesicht konnte nicht leugnen, wessen DNS zum Teil in ihm steckte.
Amy Stewart schüttelte wenig überzeugt den Kopf. Unter dem durchsichtigen Anzugshelm wirkte der Glanz ihres blonden Haars ein wenig stumpf. Und auch ihre blauen Augen erschienen leicht getrübt. »Wie wir alle, so steckt auch Ren von Kopf bis Fuß in einem W-Anzug«, gab sie zu bedenken. Ihre Altlagenstimme wurde per Funk in die Helme der Umstehenden übertragen. »Das Schebekaisen ist also gar nicht wirklich mit seiner Hand in Berührung gekommen.«
»Womöglich hat das von Rens Organismus erzeugte, schwach magnetische Gleich- und Wechselfeld ausgereicht, diesen Prozess auszulösen«, hielt Iondru dagegen.
Dhark klopfte sich die restlichen Staubpartikel von den Händen. Die Körner glitzerten schwach im Licht, das von oben in den kreisrunden Schacht hereinfiel. »Ob nun Biomagnetismus die Korrosion ausgelöst hat oder nicht … jedenfalls haben wir eine derartige Reaktion bei dem Schebekaisen aus ERRON-3 nicht beobachten können.«
»Und was schließen Sie daraus?«, erkundigte sich Chris Shanton.
Eine Einblendung im Sichtfeld seines Helms wies den Commander darauf hin, dass einer der Cyborgs ihn dringend sprechen wollte. »Dazu kommen wir später«, sagte er an Shanton gerichtet.
Per Gedankensteuerung öffnete Ren Dhark den Funkkanal, über den Lati Oshuta ihn zu erreichen versuchte. Den Helmfunk aller Personen, die sich auf dem Grund des Schachts aufhielten, hatte er in die W-Anzüge aller Anwesenden in der Ringpyramide übertragen lassen, damit sie die Gespräche hier unten mitverfolgen konnten.
Die visuelle Übermittlung des Geschehens lief über einen Holo-Würfel, der oben in der Halle aufgebaut worden war. Die Funkschaltung funktionierte allerdings nur in eine Richtung, sodass Dhark und die um ihn Versammelten nicht von den Gesprächen gestört wurden, die außerhalb des Schachts über Funk geführt wurden.
»Was gibt’s denn?«, fragte er den Cyborg, nachdem er den Kanal geöffnet hatte.
»Arjun Chatterjee ist vollkommen ausgerastet«, berichtete Oshuta.
Dhark sah zu dem goldenen Staub zu seinen Füßen hinab. »Das war zu befürchten. Wir kommen hoch. Versuchen Sie unseren speziellen Freund so lange zu beruhigen.«
»Das ist gar nicht so einfach.« Oshuta klang leicht gestresst. »Mister Chatterjee mobilisiert Kräfte, die seine schmächtige Statur nicht hätten vermuten lassen.«
Dhark furchte die Stirn. »Wir machen uns sofort auf den Weg.«
*
Kurz zuvor
Arjun Chatterjees Anzugshelm berührte fast den Holo-Würfel, so nahe war er diesem gekommen. Dass er dabei etlichen der um den Kubus Versammelten die Sicht verstellte, scherte ihn nicht. Keine Sekunde des Geschehens unten auf dem Grund des Schachtes wollte er sich entgehen lassen.
Das Loch mit dem von den Raumfahrern installierten Antigravlift klaffte nur wenige Meter entfernt im Unitallboden der Halle. Umgeben war die einhundert Meter durchmessende kreisrunde Öffnung von etlichen Scheinwerfern.
Einige von Judd Farells Soldaten standen dort Wache. Angeblich, um das Loch zu sichern und zu gewährleisten, dass niemand versehentlich hineinstürzte.
Chatterjee argwöhnte jedoch, dass Dhark die Uniformierten nur deshalb dort hatte postieren lassen, damit sie ihn, Chatterjee, gegebenenfalls davon abhalten konnten, den Antigravlift zu entern und hinab in den Schacht zu schweben, wo er seiner Meinung nach eigentlich hingehörte.
Als würden die beiden Cyborgs, die zu meiner Bewachung abgestellt wurden, nicht schon ausreichen, dachte er grimmig.
Misstrauisch hatte der ehemalige Sicherheitsberater beobachtet, wie Artus das Schebekaisen aus der Öffnung hervorgeholt hatte, die sich auf der oberen Fläche des Unitallkubus aufgetan hatte. Der Würfel stand im Zentrum eines Torus, der entlang der Wand des Schachts verlief. Nun überreichte der Großserienroboter von Wallis Industries die goldene Kugel dem ehemaligen Commander der Planeten.
Chatterjee wusste, dass es nahezu unmöglich war, das Schebekaisen heimlich verschwinden zu lassen, ohne dass er davon etwas mitbekam. Die W-Anzüge waren nicht dazu ausgelegt, ein Objekt von der Größe dieses rund vierzig Zentimeter durchmessenden goldenen Balls ungesehen aufzunehmen. Seine Konturen müssten sich zwangsläufig unter der weißen Folienhaut abzeichnen.
Dennoch traute er Ren Dhark jede Teufelei zu. Er war überzeugt, dass dieser trotzdem versuchen würde, sich das Schebekaisen unter den Nagel zu reißen. So hatten es die Thanagog in jener Halle von ERRON-3 jedenfalls auch getan.
Kurzerhand hatten sie die goldene Kugel in ihrer Aura verschwinden lassen und nur einmal kurz hervorgeholt, damit die Menschen einen flüchtigen Blick darauf hatten werfen können. Etwas Ähnliches führte der Commander sicherlich auch im Schilde!
Das würde Chatterjee allerdings zu verhindern wissen. Schließlich war er es gewesen, der dieses zweite Schebekaisen entdeckt hatte. Er war sein rechtmäßiger Besitzer, nicht zuletzt auch deswegen, weil der Wegweiser, jenes geheimnisvolle Stück Worgun-Technologie, das er in ERRON-3 erbeutet hatte, ihn hierher zu diesem Planeten mit seiner unterirdischen Ringpyramide geführt hatte …
Chatterjees Blick haftete wie hypnotisiert auf der dreidimensionalen Abbildung der goldenen Kugel. Im nächsten Moment stieß er einen schrillen Schrei aus.
Das Schebekaisen zerfiel in Ren Dharks Händen zu Staub!
Die goldene Kugel pulverisierte förmlich, sackte in sich zusammen, zerrann wie eine glitzernde Flüssigkeit zwischen den Fingern des Commanders und rieselte herab.
»Betrug!«, schrie Chatterjee wütend. »Diese Holografie wurde manipuliert, um mich glauben zu machen, das Schebekaisen wäre zerstört worden!«
»Beruhigen Sie sich bitte, mein Lieber.« Eine Hand legte sich auf die Schulter des Inders. »Das würde der Commander niemals tun, das müssen Sie mir glauben.«
Chatterjee wirbelte zu der Sprecherin herum. »Sie schon wieder!«, fuhr er die Mittvierzigerin an, deren wasserstoffblondes glattes Haar ihren blassen Teint unvorteilhaft unterstrich. »Sie hatten vorhin schon versucht, mich davon abzuhalten, zum Holo-Würfel zu kommen.«
»Das stimmt doch gar nicht!«, begehrte die Frau auf. »Sie haben rücksichtslos gedrängelt. Darum sind wir zusammengestoßen.«
Unwirsch stieß Chatterjee die Frau von sich. Sie strauchelte heftig, und ehe es einer der Umstehenden verhindern konnte, stürzte sie rücklings zu Boden.
»Bestimmt hat Mister Dhark Ihnen befohlen, mir auf die Nerven zu gehen!«, schrie Chatterjee und gab dann einen verächtlichen Laut von sich. »Ich lasse mich aber nicht ablenken!« Anklagend deutete er auf den Holo-Würfel und starrte die Anwesenden durchdringend an. »Sie alle sind Zeugen. Ren Dhark versucht mich reinzulegen!«
Lati Oshuta und Bram Sass schoben sich an den Umstehenden vorbei auf Chatterjee zu. Die beiden Cyborgs bewegten sich äußerst geschmeidig und schnell.
Während Oshuta der Gestürzten auf die Beine half, baute sich Sass vor dem Inder auf. Das grobe, kantige Gesicht und die buschigen Augenbrauen grimmig verzogen sagte er: »Wenn Sie sich nicht sofort beruhigen, werden wir Sie abführen, ist das klar?«
Chatterjee nahm eine abwehrende Haltung ein und hob die Fäuste, als rüstete er sich für einen Boxkampf. »Hau ab. Du bist gar kein richtiger Mensch!«
Unwillkürlich wichen die umstehenden Männer und Frauen zurück.
Nun trat auch Oshuta hinzu. Die Augen des Japaners wirkten stets, als hätte er sie vor Vergnügen leicht zusammengekniffen. »Wir beobachten Sie schon eine Weile, Mister Chatterjee. Und ich muss sagen: Von Minute auf Minute wirken Sie auf mich unentspannter und gereizter. Das müssen Sie unbedingt abstellen.«
»Ihr könnt mich nicht einschüchtern, ihr verdammten Cyborgs!«, wetterte Wallis’ Sicherheitsberater. »Das Recht ist auf meiner Seite. Der Wegweiser aus ERRON-3 hat mich dazu bestimmt, das Schebekaisen zu finden. Dieses Balduren-Artefakt gehört mir!«
»Das hat sich gerade in Staub aufgelöst«, erwiderte Sass.
»Das wollt ihr mich glauben machen. Aber es stimmt nicht!« Plötzlich sprang Chatterjee auf Sass zu, und ehe dieser sich versah, trafen ihn die Fäuste des Inders vor die Brust.
Der Cyborg riss verdutzt die Augen auf und taumelte einen Schritt zurück. Auch Oshuta traf die blitzschnelle, kraftvolle Reaktion des Sicherheitsberaters unvorbereitet. Und so kam es, dass Chatterjee seinen zupackenden Händen entschlüpfte und auf das Bodenloch zurannte.
Sass fing sich rasch, schaltete ins Zweite System und setzte dem Fliehenden hinterher. Da die Situation keinen fairen Kampf zuließ – die Schachtöffnung war nur noch ein paar Schritte entfernt –, stellte der Cyborg dem Inder von hinten kurzerhand ein Bein.
Chatterjee stürzte der Länge nach hin. Die Arme zu den Seiten ausgestreckt prallte er hart auf dem Boden auf, sodass ein Gesicht gegen die Innenseite des Helms klatschte. Aber das schien ihm nichts auszumachen. Mit einem Schrei warf er sich auf dem Boden liegend herum und sprang im nächsten Moment wieder auf die Beine.
Erneut wollte er sich auf den Cyborg stürzen. Aber diesmal war Sass vorbereitet. Er packte das Handgelenk seines Widersachers, riss ihn herum und verdrehte diesem den Arm auf dem Rücken.
Chatterjee kreischte vor Schmerz auf, holte aber dennoch mit dem Ellenbogen seines freien Arms aus und rammte ihn Sass in die Seite.
Zu einem zweiten Hieb fand Chatterjee dann aber keine Gelegenheit mehr, denn plötzlich war Oshuta an seiner Seite, packte seinen Unterarm und unterband die Gegenwehr.
Verzweifelt versuchte sich Chatterjee zu befreien. Aber die beiden Cyborgs hatten ihn fest im Griff.
Oshuta rief Dhark über Helmfunk, um ihn über den Vorfall zu informieren.
*
Gefolgt von Amy Stewart, Iondru und dessen Leibwächterin Liz Beeber ließ sich Ren Dhark von dem Antigravlift in die Höhe tragen.
Am oberen Ende des Schachts angekommen, wechselte er mit einem schwungvollen Schritt auf den Unitallboden der Halle. Zielstrebig ging er auf die beiden Cyborgs zu, die den sich heftig sträubenden Sicherheitsberater in ihre Mitte genommen hatten.
»Schuft – Betrüger – Dieb!«, wetterte Chatterjee, als er Dhark erblickte. Sein drahtiges schwarzes Haar stand in allen Richtungen wirr vom Kopf ab. Er spie in Dharks Richtung aus, aber der Speichelklumpen klatschte bloß gegen die Innenseite seines Helms. Im nächsten Moment wurde die Verunreinigung von der Dekontaminierungsvorrichtung des Anzugs beseitigt.
»Glauben Sie mir, ich bin über das Geschehene genauso entsetzt wie Sie«, sagte Dhark.
»Geben Sie mir das Schebekaisen – sofort!«, verlangte Chatterjee.
»Artus kehrt die Reste gerade zusammen«, erwiderte Dhark. »Wenn Sie unbedingt darauf bestehen, wird er Ihnen das Pulver später aushändigen.«
Chatterjee kreischte zornig und machte Anstalten, sich auf den Commander zu stürzen. Oshuta und Sass hatten alle Hände voll damit zu tun, ihn festzuhalten und zu bändigen. »Betrüger!«, rief er erneut mit überschnappender Stimme. »Ich lasse mich nicht reinlegen, haben Sie verstanden?«
»Niemand will Sie reinlegen«, gab Dhark barsch zurück. »Ich hätte es gar nicht nötig, Ihnen in Bezug auf das Schebekaisen etwas vorzumachen.
Es war nämlich von vornherein gar nicht vorgesehen, es Ihnen zur freien Verfügung zu überlassen. Wenn einer einen Besitzanspruch erheben dürfte, dann ja wohl Terence Wallis, in dessen Auftrag Sie eigentlich handeln sollten.«
Chatterjees Gegenwehr erlahmte langsam. »Ich bin Mister Wallis oder Fermont gegenüber zu nichts mehr verpflichtet«, stieß er aus.
»Fermont?«, hakte Dhark interessiert nach. »Was haben Sie mit dem Anführer der Berella zu schaffen?«
»Nichts!« Chatterjee sah zur Seite, wich dem Blick des Commanders aus. »Er ist doch sowieso längst tot.«
Dhark nickte ernst. »Fermont wurde von dem Karrorr-Weibchen Soff auf Külá getötet. Beantworten Sie meine Frage: Welche Verbindung besteht zwischen Ihnen und den Gorm?«
»Gar keine!«, schnappte Chatterjee. »Mein Schicksal wird jetzt von anderen Mächten gelenkt.«
»Die da wären?«
Der Sicherheitsberater starrte den Commander unverwandt an. »Von den Worgun … und ihren Göttern, den Balduren!«
»Wie bescheiden von Ihnen«, sagte Iondru kühl. Gemeinsam mit Amy Stewart und Liz Beeber hatte er sich hinter Ren Dhark aufgebaut.
»Was wissen Sie denn schon?«, fuhr Chatterjee den jungen Mann verächtlich an.
Dhark und Iondru tauschten einen kurzen Blick. Hätte Chatterjee gewusst, dass Iondru aller Wahrscheinlichkeit nach von den Balduren geklont worden war, hätte er ihn womöglich mit mehr Respekt behandelt. Aber keiner der beiden fühlte sich berufen, den Sicherheitsberater dahingehend aufzuklären.
»Niemand darf sich den Plänen der Balduren entgegenstellen!«, schrie Chatterjee. »Ich wurde hierher entsandt, um das Schebekaisen zu bergen.
Es gehört mir und wird über meine Bestimmung entscheiden. Sie müssen es mir geben. Andernfalls vergehen Sie sich gegen die Balduren!«
»Sie kennen die Geschichte der Heiwahr so gut wie ich«, entgegnete der Commander gelassen. »Auch sie hatten gehofft, dass die goldene Kugel, die sie Remoblath genannt haben, sie mit den Balduren zusammenbringen würde. Aber sie hatten sich getäuscht. Stattdessen bekamen sie es mit der Schwarzen Macht zu tun.«
»Schwarze Macht?« Arjun Chatterjees Gesicht verfinsterte sich. »Sprechen Sie von diesen gesichtslosen schwarzen Robotern, die von den Heiwahr die Herausgabe des Schebekaisen forderten?«
»So ist es«, bestätigte Dhark. »Die Holo-Präsentation der Heiwahr lässt keinen Zweifel daran. Die schwarzen Roboter, die den keilförmigen Raumschiffen entstiegen waren, trugen auf ihrer linken Brust ein rotes Hoheitsabzeichen. Die drei zu einem Dreieck angeordneten Ringe sind das Erkennungszeichen der Schwarzen Macht. Diese Markierung war auch auf den Schiffsflanken zu sehen. Es ist nicht das erste Mal, dass wir auf Spuren dieses kriegerischen Sternenvolks stoßen … wenn es denn tatsächlich ein Volk im biologischen Sinne ist.«
»Was wissen Sie noch über die Schwarze Macht?«, fragte Chatterjee in forderndem Tonfall. »Und warum interessieren sie sich so sehr für die Technologie der Balduren?«
»Wer tut das nicht?«, gab Dhark frostig zurück. »Vielleicht erzähle ich es Ihnen, wenn Sie mir verraten, was Sie mit den Berella zu schaffen haben.«
Chatterjee schüttelte den Kopf. »Dazu habe ich nichts zu sagen. Mit Fermont und den Gorm habe ich längst abgeschlossen.«
»Wie Sie meinen.«
Lauernd starrte Chatterjee den Commander an. »Sie wissen nichts über die Schwarze Macht, habe ich recht?«
»Jedenfalls nicht genug«, sagte Dhark kurz angebunden.
Iondru schaltete sich ein: »Bei der goldenen Kugel, die wir aus dem Unitallwürfel geholt haben, handelte es sich um eine Attrappe. Das scheint jetzt sicher zu sein.«
»Das sagen Sie bloß, weil Sie mit Mister Dhark unter einer Decke stecken!«, fuhr Chatterjee ihn an. »Falls Sie glauben, ich werde mich damit abfinden, dass das Schebekaisen für mich verloren ist, haben Sie sich getäuscht. Sie alle lügen, um mich zu betrügen!«
Iondru hob gleichmütig eine Schulter und ließ sie wieder sinken. »Es liegt auf der Hand, dass wir es mit einer Fälschung zu tun hatten«, gab er gelassen zurück. »Sie sind nur zu verbohrt, um das einzusehen.«
»Ach ja? Sie haben doch überhaupt keine Ahnung. Warum höre ich Ihnen überhaupt zu?«
»Finden Sie es denn wirklich glaubwürdig, dass die Schwarze Macht sich von den Heiwahr so leicht hat täuschen lassen?«, fragte Iondru. »Ich kenne die Berichte über die Begegnungen mit diesen schwarzen Maschinen, daher erscheint es mir ziemlich unglaubwürdig, dass sie nicht irgendwann doch erkannt haben sollen, dass ihnen eine Replik des Schebekaisen untergeschoben wurde.«
»So ist es aber nun einmal«, zeigte sich Chatterjee unbelehrbar. »Die Heiwahr hatten Erfahrung darin, dieses Artefakt nachzubilden. Ein überdimensionales Modell des Remoblath, wie sie das Schebekaisen nannten, hatten sie zum Beispiel auf der abgeflachten Spitze der Ringpyramide aufgestellt.«
»Und dennoch«, hielt Iondru dagegen. »Das Aussehen der goldenen Kugel mögen die Heiwahr womöglich täuschend echt nachgebildet haben, seine Funktion aber wohl kaum.
Irgendwann muss der Schwarzen Macht aufgefallen sein, dass sie getäuscht wurde. Die Keilschiffe wären in diesem Fall hierher zurückgekehrt, um das echte Schebekaisen in ihre Gewalt zu bringen.«
»Aber das ist nicht geschehen«, sagte Amy Stewart. Sie nickte gewichtig. »Das Intervallfeld ist erst vor wenigen Tagen abgeschaltet worden. Dass die schwarzen Roboter sehr wahrscheinlich nicht zurückgekehrt sind, dafür gibt es nur eine Erklärung: Sie haben das echte Balduren-Artefakt erhalten.
Die Heiwahr aber präsentierten ihren Leuten ein Duplikat, wahrscheinlich um das Gesicht zu wahren und sich als überlegen aufzuspielen.«
»Ihr habt die Holo-Präsentation der Heiwahr nicht gesehen«, sagte Dhark. Interessiert hatte er den Ausführungen seiner Begleiter gelauscht, aber sie hatten ihn nicht überzeugt. »In diesem geschichtlichen Exkurs wurde nicht damit gespart, die Winkelzüge und Gemeinheiten der Heiwahr zu schildern.
Bei dieser Präsentation handelte es sich um eine schonungslose Abrechnung mit der eigenen Historie. Es wäre nicht unerwähnt geblieben, sollten die damaligen Herrscher versucht haben, ihr Volk mit einem gefälschten Remoblath zu täuschen, wie ihr es angedeutet habt.«
Chatterjee glotzte den Commander verdattert an. Unterstützung von dieser Seite zu erhalten, damit hatte er offenkundig nicht gerechnet. »Ha – Sie geben es also zu! Sie haben versucht, mich reinzulegen!« Er versuchte sich aus dem Griff der Cyborgs zu befreien, aber die hielten ihn weiterhin fest. »Rücken Sie das Schebekaisen endlich raus, Dhark!«, forderte er.
»Die goldene Kugel, die wir aus dem Unitallwürfel geborgen haben, ist wirklich zu Staub zerfallen«, erwiderte der Commander.
»Was?«, kreischte Chatterjee. »Jetzt verstehe ich gar nichts mehr!«
»Hast du denn eine Erklärung dafür, warum das Artefakt zerbröselt ist, als du es angefasst hast?«, erkundigte sich Amy bei ihrem Lebensgefährten.
Dhark nickte. »Ich denke, es hat sich wirklich nur um eine Attrappe gehandelt. Eine Replik, an der der Zahn der Zeit genagt hatte. Vermutlich hat mein biomagnetisches Feld tatsächlich ausgereicht, um die stark angegriffene strukturelle Integrität des Gebildes restlos zu zerstören.«
»Und wo ist Ihrer Meinung dann das echte Schebekaisen?«, fragte Chatterjee verwirrt.
»Das werden wir erst noch herausfinden müssen«, erwiderte Dhark.
Iondru rieb sich nachdenklich das Kinn. »Du glaubst also wirklich, die Schwarze Macht könnte nicht bemerkt haben, dass sie von den Heiwahr getäuscht wurde?«
»Das halte ich zumindest nicht für ausgeschlossen. Wir wissen zu wenig über diese Fraktion. Wir kennen auch noch nicht die Gründe, warum die schwarzen Roboter das Schebekaisen unbedingt in ihren Besitz bringen wollten.«
Stewart verschränkte die Arme vor der Brust. »Wenn du wirklich recht hast und die Roboter sich eine Fälschung haben unterschieben lassen, kann das nur bedeuten, dass es ihnen nicht um die Funktion dieses Artefakts gegangen ist. Sie wollten es einfach nur einsammeln, mehr nicht.
Welchem Zweck es dient, wäre ihnen in diesem Fall vollkommen egal gewesen. Sie gaben sich nicht einmal die Mühe zu überprüfen, ob das Schebekaisen überhaupt irgendeine Funktion erfüllt. Denn wenn sie das versucht hätten, wäre ihnen sofort aufgefallen, dass diese goldene Kugel lediglich ein hübscher Gegenstand war und rein gar nichts kann.«
»Das wäre eine mögliche Erklärung«, bestätigte Dhark nickend.
»Verrückt.« Iondru blickte ernst drein. »Uns bietet sich hier die Möglichkeit, mehr über die Intention der Schwarzen Macht zu erfahren. Wir müssen nur herausfinden, ob das echte Schebekaisen hier irgendwo in der Pyramide versteckt ist oder nicht.«
»Lasst mich endlich los!« Chatterjee ruckte mit den Schultern, konnte sich aber erneut nicht befreien. Eindringlich sah er den Commander an. »Ich weiß, wer uns die Wahrheit über das Schebekaisen verraten kann.«
»Versprechen Sie, sich zu benehmen?«, fragte Dhark streng.
»Ja«, sagte Chatterjee zerknirscht. »Ich neige dazu, Ihnen zu glauben. Aber ich verlange, dass der Verbleib des echten Balduren-Artefakts zweifelsfrei geklärt wird.«
»Nichts anderes hatten wir vor.« Dhark gab den Cyborgs mit einem Handzeichen zu verstehen, den Sicherheitsberater loszulassen.
Als dieser endlich freikam, bewegte er sich, als müsste er ein Dutzend Schlangen von seinem Körper abschütteln.
»Ich ahne, was Ihnen vorschwebt«, sagte Dhark.
»Dann stimmen Sie mir also zu?«, fragte Chatterjee. »Der Zeittorus muss abgeschaltet werden, um den darin eingeschlossenen Heiwahr zur Rede zu stellen?«
»Es lag sowieso in meiner Absicht, den Heiwahr aus der Stasis zu holen«, erwiderte Dhark. »Aber nicht allein, um ihn über das Schebekaisen auszufragen. Vielmehr geht es mir darum, dieses Wesen aus der Maschine zu befreien, bevor die Energievorräte der Pyramide endgültig aufgebraucht sind und es stirbt.«
Chatterjee winkte ab. »Mir sind Ihre ehernen Beweggründe so was von egal. Hauptsache, ich bekomme endlich was mir zusteht.«
»Eine Gerichtsverhandlung?«, konnte sich Stewart nicht verkneifen, einzuwerfen.
Chatterjee bedachte sie mit einem vernichtenden Blick. »Nein, du dumme Gans. Selbstverständlich rede ich von dem Schebekaisen.«
2.
Stunden später
Ein Tablett mit dem Frühstück darauf in den Händen sah Maria DePatrie sich in der Messe der POINT OF um. Sie war auf der Suche nach Offizieren, vorzugsweise solchen, die zur Führungsmannschaft zählten und sich regelmäßig in der Zentrale aufhielten.
Die schlanke, hochgewachsene Mittvierzigerin konnte unter den an den Tischen Sitzenden jedoch niemanden ausmachen, auf den ihre Auswahlkriterien zutrafen. Wie es aussah, hielten sich die Führungsoffiziere entweder in der Zentrale oder in der Ringpyramide auf.
Wahrscheinlich hätte ich früher aufstehen müssen, um einen von denen zu erwischen, ärgerte sie sich. Dann werde ich wohl mit einfachen Offizieren als Tischgenossen vorliebnehmen müssen.
Erneut ließ sie ihren Blick schweifen – und zog verstimmt die Stirn kraus, als ihr ein Mann von einem der Tische aus auffällig zuwinkte.
Der etwa fünfzig Jahre alte Zivilist saß mit drei jungen Erwachsenen gemeinsam an einem Tisch. »He, Maria!«, rief er ihr leutselig zu und hob nun auch noch den anderen Arm, um zu winken. »Hier sind wir! Kommen Sie!«
»Ja«, murmelte DePatrie säuerlich. »Als wenn mir das hätte entgehen können.« Sie gab sich einen Ruck, lächelte, in der Hoffnung dabei nicht zu gezwungen zu wirken, und trat auf den »Praktikantentisch« zu.
Sie hatte mehrmals gehört, wie dieser Tisch von einigen Besatzungsmitgliedern so genannt worden war. Obzwar nichts Abwertendes in diesen Worten gelegen hatte, so fühlte sich DePatrie dennoch ein wenig herabgesetzt. Zweifellos war sie mehr als nur dankbar, dass man sie als Praktikantin an Bord der POINT OF aufgenommen hatte, aber sie hätte es lieber gesehen, nicht ständig daran erinnert zu werden, dass sie kein vollwertiges Mannschaftsmitglied war.
»Guten Morgen«, grüßte sie freundlich in die Runde, während sie ihr Tablett auf dem »Praktikantentisch« abstellte.
Als wäre er durch das Winken nicht schon genug aufgefallen, erhob sich Otto Wüst und rückte DePatrie einen Stuhl zurecht, wobei die Stuhlbeine laut über den Boden scharrten. Aber die Frau mit dem blassen Teint und den wasserstoffblonden, glatten Haaren glitt rasch auf den benachbarten freien Stuhl und tat, als hätte sie die Geste nicht bemerkt.
Einmal mehr bewies Wüst, dass er für abweisende Signale vollkommen unempfänglich war. Sie perlten an ihm ab wie Regen an einer imprägnierten Oberfläche. Ein vergnügtes Lächeln auf den Lippen setzte er sich wieder.
Dann beugte er sich zur Seite, um den freien Sitzplatz zu überbrücken, der zwischen ihm und DePatrie entstanden war. »Ich habe gehört, Sie sind gestern unten in der Pyramide mit diesem perfiden Sicherheitsberater von Wallis Industries aneinandergeraten«, sagte er in verschwörerischem Tonfall. »Erzählen Sie doch mal.«
DePatrie schob ihr Tablett zurecht. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich bin vor dem Holo-Würfel versehentlich mit Mister Chatterjee zusammengeprallt. Später hat er mich dann zu Boden gestoßen.«
»Hat er sich wenigstens bei Ihnen entschuldigt?«, erkundigte sich Judy Bebir. Die Tochter des Zweiten Offiziers Leon Bebir war gerade einmal achtzehn Jahre alt.
Soweit DePatrie wusste, hatte diese bisher kein einziges Mal versucht, sich einen Vorteil zu verschaffen, obwohl ihr Vater zu den Führungsoffizieren zählte. Sie konnte nicht umhin, diesen Charakterzug zu bewundern.
Ob ich an ihrer Stelle genauso gehandelt hätte?, fragte sie sich selbstkritisch, ließ die Frage aber vorsorglich unbeantwortet. Sie schüttelte den Kopf. »Mister Chatterjee war viel zu sehr damit beschäftigt, sich mit Ren Dhark zu streiten«, berichtete sie. »Bestimmt hätte er auch keine netten Worte für mich gefunden. Er scheint mir ein ziemlicher Hitzkopf zu sein.«
»Es ist erstaunlich, mit welcher Engelsgeduld Mister Dhark diesen Sicherheitsberater behandelt«, äußerte sich Wüst. »Mir wäre längst der Kragen geplatzt.«
»Ich konnte aufschnappen, worum es in dem Gespräch zwischen dem Commander und Chatterjee ging«, warf Franca Kalinago ein.
Sie trug ihr dunkles lockiges Haar knabenhaft kurz. Die hellbraunen Augen in dem dunkel getönten, pausbackigen Gesicht wirkten stets fröhlich und lebenslustig. Sie war nur unbedeutend älter als Judy und ebenso aufgeweckt wie diese. »Die Wissenschaftler wollen versuchen, den Zeittorus zu deaktivieren. Darin steckt ein Außerirdischer …«
»Ein Heiwahr«, präzisierte Wüst freundlich.
Kalinago nickte. »Vermutlich werden die Spezialisten Tage brauchen, um diesen Heiwahr aus der Stasis zu holen. Das scheint ziemlich kompliziert zu sein.«
Tom Taylor rutschte aufgeregt auf seinem Stuhl hin und her. »Ich würde gerne dabei zusehen. Die Technologie eines fremden Sternenvolkes zu untersuchen, stelle ich mir ungemein spannend vor.«
Judy lächelte Tom zu. »Sicherlich willst du dein Wissen später dazu verwenden, um deinen aufgemöbelten Großserienroboter noch besser zu machen.«
Taylor zuckte mit den Schultern. »Kann schon sein. Obwohl ich mir nichts vorstellen kann, was ich an Arthur noch verändern sollte. Ich bin ganz zufrieden damit, wie er jetzt ist.«
»Bestimmt vermisst du deinen Roboter.« Ein mitfühlender Unterton schwang in Judy Bebirs Stimme mit.
Taylor zuckte erneut mit den Schultern. »Eigentlich nicht. Ich hätte sowieso keine Zeit, mich mit ihm zu befassen. Viel lieber würde ich ein paar Worte mit Artus wechseln.«
»Der hatte dir als Vorbild für die Arbeit an deinem Großserienroboter gedient«, zeigte Bebir sich über Tom Taylor gut informiert. »Ich finde es erstaunlich, was du aus dieser Maschine gemacht hast, die von seinem vorherigen Besitzer auf den Schrottplatz geworfen wurde.«
Taylor winkte ab. »Damals war ich noch einige Jahre jünger. Arthur ist eine erstaunliche Maschine. Aber manchmal kommt er mir bloß wie ein Spielzeug vor.«
Bebir lächelte verunglückt, sodass DePatrie fast schon Mitleid mit ihr bekam. Judy mühte sich sichtlich, mit Tom anzubandeln, doch der schien das gar nicht zu bemerken.
»An Bord der POINT OF und draußen in der Worgun-Pyramide gibt es so viel zu bestaunen«, fuhr er jetzt an alle gerichtet fort. »Das alles ist so furchtbar aufregend, dass ich in den Nachtphasen kaum ein Auge zutun kann.«
Wüst brach ein Stück von seinem Brötchen ab. »Ich kann mein Glück auch noch immer nicht fassen«, sagte er. »Praktikant an Bord des wohl bekanntesten Raumschiffes der Menschheit … Das ist wirklich die Wucht!«
»Die Wucht?« DePatrie lachte verhalten. »Sie sind wirklich ein altmodischer Kauz, Mister Wüst.«
»Nicht wahr?«, zeigte sich dieser erfreut, als hätte DePatrie ihm soeben ein Kompliment gemacht. Er setzte sich gerade auf und streckte die Brust heraus. »Mir imponiert am meisten die Militärische Abteilung. Mister Farell, der Chef, ist ein Pfundskerl.« Er seufzte. »Wäre ich doch nur ein paar Jahrzehnte jünger. Ich würde bei ihm sofort als Rekrut anheuern. Wäre ich damals nur mutiger gewesen, dann wäre ich jetzt womöglich Rauminfanterist und nicht bloß Büroangestellter.«
»Und ich würde bei den Ingenieuren der POINT OF sofort eine Ausbildung anfangen«, sagte Taylor. »Ich stelle mir ein duales Studium vor, wobei der praktische Teil an Bord des Ringraumers absolviert werden sollte.«
»Das würde zu dir passen.« Bebirs Tochter sah versonnen vor sich hin. »Also … ich möchte Raumfahrerin werden«, sagte sie dann. »Vielleicht Pilotin. Aber ich habe mich noch nicht entschieden.«
»Dabei können Sie sicherlich auf die Hilfe Ihres Vaters bauen«, äußerte sich DePatrie.
Judy Bebir furchte leicht verärgert die Stirn. »Ich bin mir bewusst, dass viele Leute das vermuten würden. Selbstverständlich würde mein Vater nicht zögern, seine Beziehungen spielen zu lassen, wenn ich ihn darum bäte. Doch das kommt für mich nicht infrage. Ich will meine Ziele aus eigener Kraft heraus erreichen.«
DePatrie lächelte. »Das glaube ich Ihnen gerne. Und ich bin sicher, das werden Sie auch schaffen.«
»Und Sie?«, erkundigte sich Wüst bei ihr. »Hat der Aufenthalt an Bord der POINT OF Sie ebenfalls zu einer Träumerei inspiriert?«
»Selbstverständlich. Aber ich habe mich noch nicht festgelegt, welche Fachrichtung mir am meisten zusagt. Ich wäre schon damit zufrieden, einen der Führungsoffiziere ein bisschen näher kennenzulernen.« DePatrie erschrak innerlich über ihre Worte, denn ihr wurde bewusst, dass diese von den anderen falsch aufgefasst werden könnten.
Alles, was sie wollte, war, anregende Unterhaltungen mit interessanten Leuten zu führen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
»Also ich fand es erstaunlich, dass Ren Dhark uns gestern erlaubt hat, die POINT OF zu verlassen«, äußerte sich Kalinago. »Eigentlich bin ich ziemlich draufgängerisch, aber in diesem Fall war ich sehr froh, dass von uns verlangt wurde, uns in der Nähe von Judd Farells Männern aufzuhalten.« Sie schüttelte sich. »Diese Hallen mit den seltsamen Reliefs sind irgendwie unheimlich, finden Sie nicht auch?«
DePatrie nickte. »Und trotzdem erforschen die Experten der POINT OF die Pyramide, als hätten sie es mit einem ganz gewöhnlichen Objekt zu tun.«
»Das liegt daran, dass sie große Erfahrung mit der Erforschung solcher Worgun-Anlagen haben«, warf Wüst ein wenig altklug ein. »Es ist eine wahre Freude, ihnen bei der Arbeit zuzusehen.«
»Mit diesen Reliefs hat es bestimmt eine besondere Bewandtnis«, überlegte Taylor laut. Er blickte in die Runde. »Wir dürfen heute übrigens erneut in die W-Anzüge steigen, habe ich erfahren. In einer halben Stunde brechen Farells Leute auf, um ihre Kameraden in der Pyramide abzulösen. Wer will, darf sich ihnen anschließen.«
Kalinago nahm ihr Tablett und stand auf. »Das werde ich mir auf keinen Fall entgehen lassen.« Sie lächelte schmal. »Allerdings muss ich zugeben, dass mich diese Außeneinsätze stark fordern.«
»Sie wollen erneut in die Pyramide, obwohl sie Ihnen Angst macht?«, fragte DePatrie verblüfft.
»Klar. Farells Soldaten werden mich beschützen, sollte sich eine Gefahr abzeichnen. In ihrer Gegenwart fühle ich mich sicher.« Kalinago nickte in die Runde und entfernte sich.
Taylor erhob sich ebenfalls, woraufhin Bebir sich beeilte, es ihm gleichzutun. Während die beiden ihre Tabletts zur automatischen Rückgabe trugen, verließen auch DePatrie und Wüst wie auf ein Kommando ihre Plätze.
Wüst lächelte. »Ich finde es sehr erfrischend, mit diesen jungen Leuten zu tun zu haben. Geht es Ihnen nicht auch so?«
DePatrie zuckte mit den Schultern. »Sie sind noch sehr unerfahren und haben nur wenig Interessantes aus ihrem Leben zu berichten.
Die Mannschaftsmitglieder der POINT OF sind da ganz anders. Ich könnte ihnen stundenlang zuhören, wenn sie von ihren Abenteuern berichten.«
Wüst verzog bedauernd das Gesicht. »Ich muss Ihnen ja schrecklich langweilig vorkommen. In meinem Berufsleben habe ich nichts erlebt, womit ich jemanden beeindrucken könnte.«
»Machen Sie sich nichts draus«, meinte DePatrie aufmunternd. »Sie sind ja jetzt an Bord der POINT OF. Im Laufe Ihres Praktikums werden Sie sicherlich einiges erleben, sodass Sie dann auch Spannendes zu erzählen haben.«
*
Versonnen trottete Judy Bebir hinter Tom Taylor her. Ihr Blick bohrte sich in den Rücken des jungen Mannes, und sie wünschte, dass er es bemerken und sich zu ihr umdrehen würde. Aber das tat er nicht. Zielstrebig hielt er auf den Ausgang der Messe zu.
Judy verzog schmachtend den Mund. Tom war ein aufregender Junge. Seit sie ihm zum ersten Mal begegnet war, fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Bisher hatte er auf ihre Annäherungsversuche jedoch überhaupt nicht reagiert. Auch jetzt schien er sie nicht wahrzunehmen, obwohl sie dicht hinter ihm herging, seit sie ihre Tabletts auf dem Förderband der Rückgabe abgestellt hatten.
Plötzlich blieb Tom vor dem Cola-Automaten stehen, der vor einer Wand der Messe aufgebaut war. Judy, die mit ihren Gedanken beschäftigt gewesen war, reagierte zu spät und prallte gegen ihn.
»Oh … entschuldige«, sagte sie und spürte wie sie errötete.
Tom betätigte einen Taster, woraufhin es in dem Automaten zu rumoren anfing. »Wollten Sie sich auch eine Cola ziehen, Judy?«
Sie nickte, obwohl sie eigentlich gar keinen Durst verspürte. Dass Tom sie siezte, war ein weiteres Ärgernis. Die Praktikanten hatten sich zwar darauf geeinigt, sich mit den Vornamen anzureden, sich darüber hinaus aber weiterhin zu siezen, doch wenn sie Tom ansprach hielt sie sich nicht an diese Abmachung. Sie duzte ihn.
Bisher hatte Tom sie weder ebenfalls geduzt noch hatte er sie gebeten, es sein zu lassen. Offenbar war es ihm völlig egal, wie sie ihn ansprach.
Mit der Cola in der Hand trat Tom zur Seite, damit Judy sich am Automaten bedienen konnte. »Wussten Sie, dass es mit diesem Cola-Automat eine besondere Bewandtnis hat?«, fragte er, während sie sich an dem Bedienfeld zu schaffen machte.
»Nein«, sagte sie, obwohl sie es in Wahrheit doch wusste. Ihr Vater hatte ihr von der Bedeutung dieses Apparates erzählt. Wenn sie es zugegeben hätte, hätte Tom sich womöglich abgewendet, um seiner Wege zu gehen.
So aber hatte sich nun endlich eine Gelegenheit ergeben, ein Gespräch mit ihm anzufangen.
»Vor diesem Cola-Automaten haben viele wichtige Gespräche stattgefunden«, erklärte Tom. »Hier treffen sich die Besatzungsmitglieder, um Persönliches zu besprechen. Aber es fanden hier auch diplomatische Erörterungen statt. Amy Stewart und Ren Dhark haben vor diesem Automaten beispielsweise mit Priff Dozz und Pakk Raff verhandelt, um eine Wiedervereinigung der Nomaden herbeizuführen.«
Mit einer Cola in der Hand drehte sich Judy zu ihm um. »Das trifft sich gut«, sagte sie. »Dann können wir uns ja auch mal aussprechen.«
Tom sah sie verdattert an. »Was meinen Sie?«
Judy presste verärgert die Lippen aufeinander. »Bist du wirklich so begriffsstutzig oder findest du mich einfach nur zu gewöhnlich?«
Tom spielte nervös mit seiner Cola. »Ich fürchte, ich verstehe nicht.«
Judy verdrehte die Augen. »Merkst du denn gar nicht, dass ich versuche mehr als nur nett zu dir zu sein?«
DePatrie und Wüst gingen eilig an dem Cola-Automaten vorbei. Maria zwinkerte Judy verschwörerisch zu, als ahnte sie, worum sich das Gespräch der beiden jungen Leute drehte.
Tom blies die Wangen auf und ließ hörbar Luft entweichen. »Nee, irgendwie habe ich das nicht bemerkt«, gestand er.
»Du hast also bereits eine Freundin«, dämmerte es Judy plötzlich. Sie seufzte. »Das hätte ich mir ja eigentlich denken können.«
»Ich … habe keine richtige Freundin … noch nicht.«
Judy musste schmunzeln, denn Tom war im Gesicht puterrot angelaufen. »Wer ist es?«, fragte sie unverblümt.
»Was? Nein! Keine Ahnung.« Er wich ihrem Blick aus.
»Aha, verstehe. Deine Zuneigung wird also nicht erwidert«, stichelte sie.
»Na ja … doch, schon. Aber nicht so richtig.«
»Hält deine Angebetete sich an Bord der POINT OF auf?« Judy war sich bewusst, dass ihre Fragen dreist und vielleicht sogar auch unverschämt waren. Sie fand allerdings, dass sie ein Recht hatte, Antworten zu erhalten. Immerhin war Tom dafür verantwortlich, dass diese besonderen Gefühle in ihr geweckt wurden.
»Wer an Bord dieses Ringraumers sollte denn bitte mein Interesse geweckt haben?«, stieß Tom leicht gereizt aus.
»Tja … wer wohl?« Judy verzog säuerlich das Gesicht.
»So war das nicht gemeint«, beeilte sich Tom zu sagen. »Ich … finde Sie hübsch und klug, aber …«
»Ich bin nicht dein Typ«, vervollständigte Judy.
»Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.«
Judy atmete tief durch. »Du bist ein ziemlicher Dummkopf.«
»Bin ich gar nicht!«, entgegnete Tom empört und wenig männlich.
»Wer ist denn nun deine Freundin?«
»Eine Person, die ziemlich bekannt ist«, antwortete er ausweichend. »Ich habe sie im Hyperfunknetz kennengelernt.« Ein schwärmerischer Ausdruck trat in seine Augen. »Obwohl sie Abertausende Fans hat, die ihre Beiträge verfolgen und mit ihr anzubandeln versuchen, hat sie ausgerechnet auf mich ein Auge geworfen.«
»Eine virtuelle Hyperfunknetzbekanntschaft … wie aufregend«, spottete Judy.
»Ich werde sie demnächst treffen«, versicherte ihr Tom. »Wegen meines Praktikums ist es noch nicht dazu gekommen. Aber das wird schon noch. Sie will mich jedenfalls unbedingt persönlich kennenlernen.
Allerdings ist sie sehr beschäftigt, weil sie ständig neue Beiträge für ihre Fans machen muss. Sie hat sogar schon was über Ren Dhark gemacht.«
Judy fand, dass sie Tom nun genug ausgequetscht hatte. »Ich hoffe, du erlebst keine Enttäuschung«, konnte sie sich dann aber nicht verkneifen zu sagen. »Für mich klingt das nämlich, als wärst du jemandem an den Haken gegangen, der dich nur ausnutzen will.«
»So ein Unsinn. Sie haben doch gar keine Ahnung!«
»Du dagegen bist auf diesem Gebiet natürlich die Erfahrung in Person, wie es scheint.«
»Nicht wirklich«, musste Tom zugeben. »Bisher hatte ich noch keine Freundin. Aber diese Frau … die hat es mir echt angetan.«
Judy hob abwehrend die Hände. Dabei schüttelte sie die Cola unbeabsichtigt, weshalb sie beim Öffnen nachher würde vorsichtig sein müssen. »Mehr will ich gar nicht wissen«, sagte sie, wandte sich ab und stapfte davon. »Du solltest dich besser beeilen. Parock wird mit seinem Xe-Flash nicht auf uns warten!«, rief sie Tom zum Abschluss über die Schulter hinweg zu.
»Au, verdammt!« Tom sprintete los und hetzte an Judy vorbei, ohne sie dabei auch nur noch eines Blickes zu würdigen.
*
Die Enttäuschung darüber, dass Tom bereits vergeben war, klang in Judy nur langsam ab. Sie spürte einen Kloß im Hals, der sich trotz heftigen Schluckens nicht beseitigen ließ.
In ihrer Kabine angekommen, bei der es sich mehr um eine enge Kammer handelte, machte sie sich in der Hygienezelle rasch ein wenig frisch und schlüpfte dann in den W-Anzug, den man ihr zur Verfügung gestellt hatte.
Dabei rief sie sich in Erinnerung, was ihr Vater ihr über Beziehungen unter Kollegen erzählt hatte: Sich auf Derartiges einzulassen, war seinen Worten zufolge nicht ratsam und ging selten gut aus. Vor allem an Bord eines verhältnismäßig kleinen Raumschiffes wie der POINT OF barg ein amouröses Abenteuer einiges an Konfliktpotenzial.
Ren Dhark und Amy Stewart, die seit einigen Jahren ein Paar waren, bildeten allerdings eine Ausnahme, wie Leon stets betont hatte. Aber auch in deren Beziehung hatte es zeitweise heftige Spannungen gegeben.
»In welcher Liebesbeziehung gibt es die nicht?«, murmelte Judy gedankenverloren, während sie ihre Kabine verließ. Mit weit ausholenden Schritten eilte sie den Korridor entlang. So früh am Morgen war auf den Fluren einiges los, und sie musste den Leuten ausweichen, um schneller voranzukommen.
Halte dich in Zukunft lieber daran, was dein Vater dir geraten hat, dachte sie nüchtern. Konzentriere dich auf deine Karriere. Fest entschlossen, diesen Rat an Tom weiterzugeben, betrat sie den Hangar, in dem Parocks Spezial-Xe-Flash stand.
»Beeilen Sie sich, Judy!«, schallte ein Ruf zu ihr herüber. DePatrie hatte ihn ausgestoßen. Sie stand oben in der Schleuse des Kleinraumers und winkte. »Parock wird die Rampe gleich einziehen und losfliegen!«
Judy sprintete los, enterte die Rampe und hastete zur Schleuse in der Form eines romanischen Fensters hinauf, die sich dicht hinter der plumpen Rumpfnase des Xe-Flash befand.