Ren Dhark – Weg ins Weltall 104: Durchbruch nach Terra - Jan Gardemann - E-Book

Ren Dhark – Weg ins Weltall 104: Durchbruch nach Terra E-Book

Jan Gardemann

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Beschreibung

In der »stählernen Hölle« suchen Huxley und seine Kameraden nach Basgols Ringraumer. Dabei bekommen sie Hilfe von überraschender Seite. Auf Acheron drei geraten van Haag und Cavendish in Bedrängnis. Die Tarnung des GSO-Agenten droht aufzufliegen. Währenddessen entbrennt im Sol-System eine Raumschlacht. Mit Unterstützung der POINT OF und Raumschiffen der Nogk versucht die Neue Terranische Flotte, Hunderte von Thanagog-Schiffen am Durchbruch nach Terra zu hindern... Gary G. Aldrin, Jan Gardemann und Jessica Keppler schrieben diesen actiongeladenen SF-Roman nach dem Exposé von Anton Wollnik.

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Seitenzahl: 378

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Ren Dhark

Weg ins Weltall

 

Band 104

Durchbruch nach Terra

 

von

 

Jessica Keppler

(Kapitel 1 bis 2 sowie 9 und 15)

 

Gary G. Aldrin

(Kapitel 3 bis 8)

 

Jan Gardemann

(Kapitel 10 bis 14 sowie 16 und 17)

 

und

 

Anton Wollnik

(Exposé)

Inhalt

Titelseite

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

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Impressum

Prolog

Am 21. Mai 2051 startet die GALAXIS von Terra aus zu einer schicksalhaften Reise in den Weltraum. Durch eine Fehlfunktion des »Time«-Effekts, eines noch weitgehend unerforschten Überlichtantriebs der Terraner, springt das Raumschiff über beispiellose 4.300 Lichtjahre. Genau einen Monat später erreicht es das Col-System, wo es auf dem Planeten Hope landet. Weil ein Weg nach Hause unmöglich erscheint, beschließen die Raumfahrer, auf dem Planeten zu siedeln, und gründen die Stadt Cattan.

Rico Rocco schwingt sich zum Diktator auf und lässt sämtliche Kritiker verfolgen und auf den Inselkontinent Deluge verbannen. Dieses Schicksal trifft auch den zweiundzwanzigjährigen Ren Dhark, seinen besten Freund Dan Riker sowie eine Reihe weiterer Terraner. Doch damit endet die Geschichte nicht. In einer Höhle entdecken die Verbannten nicht nur Artefakte einer mysteriösen fremden Hochkultur, sondern auch ein unvollendetes Raumschiff, das eine prägnante Ringform aufweist.

Nachdem Rico Rocco bei einem Angriff der Amphi umgekommen ist, wird Ren Dhark zum neuen Stadtpräsidenten Cattans gewählt. Er lässt den Ringraumer reparieren, welcher später von Pjetr Wonzeff auf den Namen POINT OF INTERROGATION, kurz POINT OF, getauft wird. Im April 2052 bricht der Ringraumer unter Dharks Kommando zu seinem Jungfernflug zur Erde auf. Damit beginnt ein neues Kapitel in der terranischen Raumfahrt. Nicht zuletzt dank Dharks Forscherdrang entdecken die Menschen weitere Hinterlassenschaften der Mysterious, die es ihnen ermöglichen, neue Ringraumer zu bauen und immer weiter in die Tiefen des Weltraums vorzudringen. Die POINT OF jedoch bleibt trotz allem einzigartig, was nicht zuletzt am Checkmaster liegt, dem eigenwilligen Bordgehirn dieses Raumschiffes.

Ren Dhark bleibt der Kommandant der POINT OF und erforscht mit seiner Mannschaft in den folgenden Jahren nicht nur das Weltall, sondern rettet auch immer wieder die Menschheit und sogar ganze Galaxien. Im Mai 2074 lässt sich der unvermutet aktivierte Schutzschirm um Terra nicht mehr abschalten. Die Erde ist damit vom Rest des Universums isoliert. Niemand ahnt, dass es sich in Wahrheit um einen von einem bis dahin noch unbekannten Fremdvolk installierten Zweitschirm handelt, um Ren Dhark zu einer Reise nach ERRON-3 zu bewegen. Wenig später tauchen die Thanagog dann auch auf und berichten von einem Gerät, das angeblich zur Deaktivierung des Schutzschirmes nötig ist und das im zentralen Wissensarchiv der Worgun zu finden sei.

Daraufhin brechen Ren Dhark und eine handverlesene Gruppe mit dem Experimentalraumschiff TSS RANLAK ins blassblaue Universum auf. In ERRON-3 findet die Expedition nicht nur das gesuchte Gerät, das Schebekaisen, sondern stößt auch auf einige telsche Besatzungsmitglieder jener rund achtzehntausend Doppelkugelraumer, die seinerzeit bei der Schlacht um die Sternenbrücke durch einen Hy-Kon-Einsatz aus dem Normalkontinuum geschleudert worden sind. Dhark lädt alle Tel, die mitkommen wollen, ein, sich an Bord der TSS RANLAK zu begeben.

Zurück in der Sternenbrücke im heimatlichen Universum sehen sich die Raumfahrer mit der transitierenden Sonne vom Rand der Milchstraße konfrontiert. Im Chaos flieht Shamol mit dem Schebekaisen, wobei sich der gigantische Himmelskörper als Mutterschiff der Thanagog entpuppt. Als Wächter in diesen Raumer eindringen und dort herumwüten, zerstört er das Schebekaisen. In der Not wendet er sich später erneut an Ren Dhark und bittet diesen um Hilfe, denn sein Volk sei im Begriff, sich aufgrund eines missglückten Experiments aufzulösen. Dabei stellt sich heraus, dass die Thanagog jenen entarteten Schirm um Terra installiert haben, der in den letzten Wochen alle in die Irre geführt hat, nun aber wieder deaktiviert ist. Während etliche terranische Experten eine Lösung für das Problem der Schemenhaften suchen, fliegt Dhark mit der POINT OF zurück Richtung Sol-System. Unterwegs erreicht ihn die Nachricht, dass Terra angegriffen wird …

1.

Acheron drei, August 2074

 

Bei jedem seiner eiligen Schritte durch die Nacht versank sein Schuhwerk schmatzend im Matsch. Der kurze, aber heftige Nachtregen vor wenigen Minuten hatte den Boden aufgeweicht und seine Ärmel und Schulterpartien völlig durchnässt. Den Rest seiner Verkleidung als Systemtechniker »John McFurry« hatte er notdürftig mit seinem Aktenkoffer schützen können.

Jos Aachten van Haag warf einen Blick auf sein Armbandvipho und vergewisserte sich, auf dem richtigen Weg zu sein. Er befand sich mittlerweile tief im Herzen des Slums.

Gleich die nächste Gasse links, dann noch zwei Straßen weiter – und ich gelange zu den Koordinaten, die Cavendish mir geschickt hat.

Er hoffte, dass die Beulenpest tatsächlich etwas Brauchbares entdeckt hatte und nichts Dummes anstellte, bis er eingetroffen war. Der letzte Gedanke ließ ihn seine Schritte nochmals beschleunigen. Wie sonst auch behielt der GSO-Agent seine Umgebung aufmerksam im Auge. Er wurde nicht verfolgt, soweit er dies abschätzen konnte.

Die meisten Lichter in den Baracken waren bereits erloschen. Nur auf der Hauptstraße flackerten unermüdlich die Werbeschilder: Holografische Prostituierte lockten in rötlich ausgeleuchtete Puffhöhlen, Tanzmädchen in Kellerdiskotheken. Projektionen von modifizierten Ungetümen kündigten die heutigen Kämpfe in der Underground-Arena an. Einige der vorgestellten Gladiatoren waren nicht menschlich, und über ihnen blinkten neonfarbene Buchstaben: »Bestien gegen verbesserte Soldaten! Komm in die Arena! Sei live dabei!«

In dem künstlichen Licht torkelten ein paar betrunkene Grüppchen umher. Technojunkies schliefen auf Pappkartons in Nebengassen, und abgemagerte Hunde wühlten hinter den verlassenen Einkaufsständen im Abfall.

Doch obwohl beinahe ganz Diestadt schlief, kehrte keine wirkliche Nachtruhe ein. Basslastige Musik dröhnte durch die Nacht und drang selbst in die weitentfernteste Slumbaracke ein. Sie stammte von dem Vergnügungskomplex in Madame Friedels Viertel, das wie ein Leuchtfeuer den Nachthimmel erhellte, bei dem man durch die Lichtverschmutzung nie die Sterne sah.

Dort vorne muss es sein, dachte van Haag und schaltete die Taschenlampe seines Armbandviphos ein, ehe er die Hauptstraße verließ und in die schummrige Beleuchtung der Nebengassen eintauchte. Ohne Licht hätte er in dem Barackenlabyrinth, das er nun betrat, streckenweise nicht einmal die eigene Hand vor Augen sehen können. Zwar wurden Vorhöfe und die etwas breiteren Gassen mit Leuchten erhellt, aber viele davon waren defekt oder zerstört worden. Die schmaleren Gassen indes lagen in völliger Finsternis verborgen. Abseits der breiten Hauptstraße sahen sich die Schlammwege zwischen den Baracken zum Verwechseln ähnlich. Markierungen, um sich zurechtzufinden, oder gar Straßenschilder gab es keine. Auch eine erkennbare Ordnung schien es nicht zu geben. Selbst tagsüber konnte jemand, der nicht hier lebte, sich leicht verirren.

Van Haag erreichte kurze Zeit später mit Hilfe des Navigators auf seinem Armbandvipho die Zielkoordinaten. Er befand sich nun auf einer Kreuzung. Eine besonders schmale Gasse lag vor ihm, in die er lediglich wenige Schritte weit hineinsehen konnte. Der Rest wurde von Schwärze verschluckt. Die Barackenfassaden erhoben sich dort so dicht nebeneinander aus dem Boden, dass man sie mit ausgestreckten Armen beinahe gleichzeitig berühren konnte. Mit einigem Geschick hätte van Haag an den Gassenseiten hinaufklettern und wie eine Spinne auf Beute warten können, aber der schwergewichtige »McFurry« war dazu natürlich nicht in der Lage.

Prüfend ließ er den Schein seiner Taschenlampe in die Höhe wandern, um auszuschließen, dass er in eine Falle tappte. Der Lichtstrahl traf auf leere Wäscheseile und ein herunterbaumelndes Tier, das nun aufgeschreckt davonflatterte.

Ein leises, quietschendes Geräusch lenkte van Haags Aufmerksamkeit wieder nach vorne. Sein Lichtkegel huschte voraus, riss die Dunkelheit der Gasse wenige Meter weit auf. Der Laut erinnerte an sich verbiegendes Metall.

Ist das etwa Cavendish?, schoss es ihm durch den Kopf. Würde der ernsthaft riskieren, auf diese Weise Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen?

Ein zweiter Laut gesellte sich dazu, jedoch näher als das metallische Geräusch und nur ein paar Meter von ihm entfernt, vielleicht fünfzehn oder zwanzig Schritte. Was auch immer das war – es schien sich nicht zu nähern.

Van Haag entschied sich gegen den verborgenen Paraschocker in seiner Anzugjacke. Er wollte seine Tarnung als willensschwacher Systementwickler nicht unnötig auffliegen lassen. Stattdessen packte er seinen Aktenkoffer fester, um ihn bei Bedarf mit Wucht gegen einen Gegner schlagen zu können, und bewegte sich nach einem Rundblick vorsichtig in die Schwärze der Nebengasse hinein.

Jeder seiner Sinne war bis aufs Äußerste beansprucht. Während er sich achtsam den schmalen Schlammweg entlang vorarbeitete, ließ er den Lichtstrahl immer wieder in die Höhe zucken, um rechtzeitig reagieren zu können, falls sich dort oben ein Angreifer zwischen den Barackenfassaden entlanghangelte und auf ihn wartete.

Zehn Meter noch.

Fünf.

Das Ende der Gasse kündigte sich durch zurückweichende Barackenfassaden an.

Van Haag betrat mit kampfbereit angespannten Muskeln einen Vorhof, auf dem die Beleuchtung ausgefallen war. Sein Lichtstrahl tastete die neue Umgebung ab.

Eine stinkende Müllhalde voller Schrottteile und Essensreste schälte sich aus der Finsternis und gab den Verursacher des gehörten Geräusches preis: Ein Dutzend kleiner, pelziger Schatten richtete sich von einem fleischigen Madenhaufen auf. Es war ein Rudel Flatten – handgroße Nager, die plattgefahrenen Ratten ähnelten und in Unrat und Schrott lebten. In Windeseile stoben sie auseinander, flüchteten vor dem künstlichen Licht.

Die Quelle des Metallgeräusches befand sich hinter der Müllhalde. Van Haag entdeckte Brent Cavendish, wie dieser gerade versuchte, eine Regenrinne emporzuklettern – erfolglos, seine beulenartigen Muskeln waren ihm im Weg. Das Metall ächzte leise unter dem Gewicht des Bodybuilders.

Van Haag konnte es nicht fassen. Was zum Henker treibt Mister Superdetektiv denn da? Vollkommen ohne Rückendeckung, und bei dem Lärm lockt er nicht nur Flatten an!

Er näherte sich der Beulenpest langsam und auffällig von der Seite, um sie nicht zu erschrecken, und hielt den Lichtstrahl währenddessen auf den Boden gerichtet, um den Amateur nicht zu blenden. Am liebsten hätte er diesen zusammengestaucht, wenn er damit nicht aus seiner Rolle als unterwürfiger »John McFurry« gefallen wäre. Trotzdem musste er sich mächtig am Riemen reißen, die dämliche Beulenpest nicht in den Boden zu stampfen. Mit solch unüberlegtem Verhalten brachte der Kerl sie beide noch in Teufels Küche!

Cavendish wandte van Haag sein Gesicht zu und ließ von der Regenrinne ab. »McFurry«, flüsterte er aufgeregt und kam rasch auf ihn zu. »Da sind Sie ja endlich!«

Der Angesprochene nickte und zwang seinen Ärger über die mangelnde Vorsicht des Bodybuilders aus seiner Miene. »Sie haben mich gerufen – hier bin ich«, wisperte er stattdessen scheinbar folgsam und blickte sich gespielt nervös um. »Diese Gegend ist mir nicht geheuer. Was haben Sie hier entdeckt? Ist es auf dem Dach?«

Statt seine Entdeckung mit McFurry alias van Haag zu teilen, deutete Cavendish nur hinter sich zur Barackenfassade und erklärte leise: »Nein, es ist nicht auf dem Dach. Ich muss in dieses Gebäude hineingelangen, aber unauffällig, verstehen Sie? Deshalb habe ich Sie hergerufen. Aber ich wollte nicht untätig auf Sie warten, deshalb war ich gerade dabei, auf eigene Faust ins Innere zu gelangen.« Die Quasselstrippe winkte ab. »Ist ja auch egal. Sie sind jetzt hier, also komme ich direkt zur Sache: Ich brauche Ihre Hackerfähigkeiten, um den Sicherheitsmechanismus der Tür zu knacken. Die kann ich schließlich nicht einfach eintreten, wenn ich keine Aufmerksamkeit erregen will.«

Van Haag runzelte die Stirn und leuchtete mit seiner Taschenlampe auf die Eingangstür jener Baracke, in die Cavendish hineingelangen wollte. »Die Tür ist doch bereits offen.«

Cavendish folgte dem Lichtstrahl der Taschenlampe mit seinem Blick und stieß dann ein leises Schnauben aus, das seinen linealgeraden Schnauzer zum Beben brachte. »Es geht doch nicht um diese Tür. Denken Sie doch mal mit, Mann! Ich meine natürlich eine andere innerhalb des Gebäudes. Ich will in einen gesicherten Bereich im Gebäude hineingelangen. Die Tür weiter hinten ist mit einer Konsole gesichert, die Sie für mich hacken sollen. Ich hoffe, Sie haben an Ihre technischen Geräte gedacht.«

»Ja, die habe ich immer bei mir.«

»Gut. Dann hören Sie mir jetzt genau zu, McFurry. Sie haben nun die Möglichkeit, einem Profi bei der Arbeit zuzusehen. Das ist eine einmalige Gelegenheit für Sie. Wir werden zusammen dort hineingehen, Sie knacken die Tür, und dann kommt mein Einsatz. Hören Sie dabei auf alles, was ich sage! Wir halten uns gerade in einem gefährlichen Gebiet auf. Dass ich Sie mitnehme, ist ein Risiko für meine Detektivarbeit, weil Sie mit ihrem Bierbauch ein unbeweglicher Tollpatsch sind und sich im Notfall nicht wehren können. Deshalb müssen Sie jede meiner Anweisungen haarklein befolgen, ohne irgendwas zu hinterfragen. Verstanden?«

John McFurry nickte, was sein künstliches Doppelkinn zum Schwabbeln brachte. »Sie haben die meiste Erfahrung, Sie sind der Boss«, log er.

Solange du uns beide mit deinen Entscheidungen nicht umbringst, du Möchtegern-Detektiv …

»Ganz genau. Und keine Sorge«, Cavendish legte beruhigend eine Pranke auf die Schulter des vermeintlichen Zivilisten, »Sie haben einen Ex-Soldaten mit langjähriger Militärerfahrung an Ihrer Seite. Ich war schon bei gefährlicheren Einsätzen. Ihnen geschieht nichts, wenn Sie sich an mich halten, McFurry. Verstehen Sie, was ich sagen will? Jede Dummheit kann Sie das Leben kosten, und ich will nicht für Ihren Tod verantwortlich sein. Wenn ich also ›rennen‹ sage, dann rennen Sie.«

Der beste Agent der GSO nickte erneut. »Wollen Sie mir nicht vielleicht doch verraten, was in dem Sicherheitsbereich liegt, den ich gleich knacken soll? Vielleicht …«

Die Lederjacke der Beulenpest knirschte leise, als Cavendish den anderen muskelbepackten Arm hob und auf sein gleichgroßes Gegenüber deutete, das er immer noch an der Schulter festhielt. »Für Fragen ist jetzt keine Zeit. Vertrauen Sie einfach meiner Erfahrung! Ich bin der Kopf dieses Einsatzes. Sie brauchen nichts zu wissen, was ich Ihnen nicht von selbst mitteile. Folgen Sie einfach meinen Befehlen! Falls Sie das nicht akzeptieren können, bringen Sie uns beide in Gefahr – und dann schicke ich Sie lieber nach Hause.«

Der Kerl hat einen wirklich lästigen Hang zur Geheimniskrämerei, ärgerte sich van Haag. Das erhöht das Gefahrenrisiko erheblich. Aber ich kann als McFurry nicht ständig widersprechen. In so einer brenzligen Situation würde mein Alias eher klein beigeben. Ich muss darauf vertrauen, dass meine Fähigkeiten als GSO-Agent dazu ausreichen, zusätzlich zu den Missionsschwierigkeiten auch mit sämtlichen Problemen fertigzuwerden, die dieser Muskelhaufen verursachen wird.

»Ich halte mich an Ihre Anordnungen, Mister Cavendish.«

»Dann los.«

*

Im Inneren der Baracke roch es nach nassem Holz und siffiger Toilette. Von der Decke tropfte es. Ob die Behausung unbewohnt war, ließ sich nicht sagen. Die Flurtüren waren allesamt geschlossen, nur die Tür der Gemeinschaftstoilette stand offen. Bis auf das Summen von zahlreichen Fliegen, die sich auf der Toilettenschüssel und an den Klowänden tummelten, waren keine weiteren Lebenszeichen zu hören.

Cavendish führte van Haag den dunklen Hauptkorridor entlang. Ein Paraschocker mit integrierter Leuchte, den er schussbereit im Anschlag hielt, lag in seinen Händen. Rasch gelangten beide zu der verriegelten Tür, an deren Seite eine Türkonsole in die dort verstärkte Wand integriert worden war. Ein kleine Diode leuchtete darüber als ein roter Punkt.

Der Ex-Soldat sicherte die Umgebung und gebot dem vermeintlichen Systemtechniker mit einem Kopfnicken, sich das Sicherheitssystem vorzunehmen.

Van Haag trat vor und erfasste rasch, was er vor sich hatte. Das ist ein Biosensor. Es sieht aus wie ein selbstgebasteltes System, jedoch von jemandem mit geschickten Händen gemacht, der hochwertige Materialien zur Verfügung hat. Er zog seinen Hand-Suprasensor aus der Innentasche seines gammeligen Jacketts und ließ die künstlichen Wurstfinger über das Tasterfeld tanzen. Mal sehen, wie es im Inneren dieses Sicherheitssystems aussieht.

»Wie lange wird das dauern?«, flüsterte Cavendish und behielt dabei den Gang im Auge.

»Das kann ich noch nicht sagen«, gab der vermeintliche Systementwickler leise zurück und beugte sich dabei etwas vor, damit Cavendish nicht zusehen konnte, wie er den GSO-Modus seines Hand-Suprasensors aktivierte, eine Verbindung zur Türkonsole aufbaute und das Entschlüsselungssprogramm aufrief. Kurz darauf schwappte eine Flut aus Zahlen und Programmcode über den kleinen Bildschirm seines Gerätes hinweg.

Der Erfolg wurde wenige Sekunden später sichtbar: Die rot glühende Diode der Türkonsole leuchtete grün auf und die Tür entriegelte sich mit einem sanften Klicken.

Cavendish drehte sich erstaunt um. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, wie gut sein Hacker war. Ein Schritt – und er war bei der Tür. McFurry wurde rüde beiseitegeschoben.

»Sie sollten mich mitnehmen«, schlug van Haag rasch mit gesenkter Stimme vor. »Vielleicht stoßen Sie im Inneren auf noch mehr Technik, bei der Sie meine Dienste benötigen.«

Der Ex-Soldat musterte den Bierbäuchigen kurz, dann nickte er knapp. »Bleiben Sie dicht hinter mir, McFurry«, befahl er leise und zog die Tür auf.

Zusammen drangen die beiden Männer in den gesicherten Bereich ein. Verbrauchte, modrig-erdig riechende Luft schlug ihnen entgegen. Die Tür glitt fast lautlos hinter ihnen ins Schloss.

*

Beim Eintritt in den Raum schaltete sich eine gedimmte, gelbliche Deckenbeleuchtung ein und enthüllte einen etwa fünfzig Quadratmeter großen Raum ohne Fenster. Für einen Moment hatte van Haag das Gefühl, ein Gewächshaus zu betreten, wären da nicht die typischen Elemente eines Labors gewesen.

In der Mitte des Raumes standen große Tische nebeneinander aufgereiht. Die meisten waren vollgestellt mit verschiedensten Pflanzenarten. Daneben standen typische Laborutensilien wie Reagenzgläser, Inkubatoren, Mikroskope und andere elektronische Gerätschaften. Das Grünzeug wirkte teilweise welk, als hätte sich schon länger niemand mehr darum gekümmert. Einige der Tische waren als Werkbänke hergerichtet worden, auf denen Werkzeuge, Metallteile, Kabel und Messgeräte lagen. Die Laborwände waren mit Terrarien zugestellt, aus denen Schläuche herausragten, die mit Destillationsanlagen und anderen Aggregaten verbunden waren. Manche der dort eingeschlossenen Pflanzen bewegten sich träge, andere hingen mit ihren Blättern bewegungslos herab.

»Was ist das hier?«, fragte van Haag und ließ einen Hauch von Angst in seine Stimme mit einfließen, wie man es von McFurry erwarten würde.

Cavendishs Waffenmündung tastete das Labor auf der Suche nach einem möglicherweise Anwesenden ab. »Verhalten Sie sich leise und werfen Sie nichts um!«, befahl er leise, statt auf die Frage einzugehen. »Bleiben Sie dicht hinter mir und fassen Sie am besten nichts an. Ich sehe mich jetzt hier um und sichere Proben. Sie dürfen mir bei der Detektivarbeit zusehen, aber stehen Sie mir bloß nicht im Weg und – ich wiederhole es ganz eindringlich – behalten Sie ihre Hände bei sich! Wenn ich Sie brauche, gebe ich Ihnen Bescheid.«

»I… ich würde aber gern helfen«, stotterte John McFurry und richtete sich mit sichtbarem Schlucken auf, als müsste er seinen gesamten Mut dafür sammeln. »Das Ganze hier ist mir zwar unheimlich, aber ich habe versprochen, Ihnen zu helfen. Sie müssen mir nur sagen, worauf ich achten soll.«

Wenn ich weiß, woran die Beulenpest arbeitet, kann ich auch die Relevanz des Ganzen für meinen eigenen Fall besser abschätzen.

»Kommt nicht infrage!«, wehrte Cavendish prompt ab. »Halten Sie sich einfach bereit, falls ich Ihre Hackerfähigkeiten nochmals benötige. Das Sammeln von Proben und die Inspektion verdächtiger Orte ist die Aufgabe eines Detektivs und nicht die eines Zivilisten auf Urlaubsreise.«

Van Haag verdrehte innerlich die Augen. »Aber es würde schneller gehen, wenn ich Ihnen helfe«, wandte er ein.

»Nichts für ungut, McFurry, Ihr Aufgabenbereich ist ein anderer. Ich toleriere nicht noch einmal, dass Sie unerlaubt Proben mitnehmen. Das war letztes Mal schon riskant, als Sie meinen Metallkasten einfach geöffnet haben.« Er warf dem vermeintlichen Systemtechniker einen strengen Blick zu. »Also schreiben Sie es sich hinter die Ohren: Nichts anfassen, überlassen Sie das dem Profi! Hier geht es um einen wichtigen Detektivfall, den Sie nicht behindern dürfen. Das Ganze muss rasch vonstatten gehen – und vor allem unauffällig.«

Was für ein Wichtigtuer. Van Haag gab sich geschlagen, er wollte Cavendish keinen Grund geben, an seinem Alias zu zweifeln. Dann sammle ich eben heimlich Proben.

Vorsichtig gingen die beiden Männer die Labortische entlang, unter denen offene, metallene Materialkisten lagerten.

Cavendish blieb bei einigen Petrischalen mit welken Grünzeugproben stehen oder beäugte rätselhafte Vorrichtungen wie etwa einen durchsichtigen Kubus mit seitlich angebauten Präzisionsgreifern. Im Inneren dieses Glaskastens, genau in der Mitte, war ein Stück menschliche Wirbelsäule aufgespießt worden wie ein Backhähnchen. Am oberen Ende des Wirbelsäulenstücks ragte etwas in sich fleischig Verflochtenes heraus, das dunkelgraue und grüne Flecken aufwies und an hauchdünne Schläuche angeschlossen war. Der Bodybuilder gab einen undefinierbaren Laut von sich. Seine Gesichtsfarbe hatte einen grünlichen Stich angenommen.

Ein paar Zentimeter weiter standen Reagenzgläser, angefüllt mit sumpfgrüner, schleimiger Substanz, daneben kleine Glasflaschen mit durchsichtiger Flüssigkeit, Operationsbesteck, Injektionspistolen, verschmierte leere Einmalspritzen, ein Eimer mit abgestandenem Wasser.

Cavendish hielt immer wieder an und nahm von allem Möglichen Proben, jedoch auf so amateurhafte Weise, dass er die Hälfte verunreinigte: Er packte einfach diverse Dinge in Plastikbeutel, die verdächtig nach Einkaufstüten aussahen.

Van Haag musste sich schwer am Riemen reißen, um nicht den Kopf zu schütteln oder anders seine Fassungslosigkeit zu artikulieren.

So wählte Cavendish etwa eine der verschmierten Laborspritzen aus, spülte sie in dem Wassereimer aus und tauchte sie dann in eines der Reagenzgläser für eine Schleimprobe. Möglicherweise hatte er damit Substanzen vermischt. Wenigstens stöpselte er auf die Nadel die Sicherheitskappe, damit sie ihn beim Transport nicht pikste. Dann ließ er sie in den Plastikbeutel fallen.

Anschließend schnitt der Möchtegern-Privatdetektiv von jeder tot wirkenden Pflanze ein Stück ab und warf diese allesamt in eine zweite Plastiktüte. Von den sich bewegenden Pflanzensträngen hielt er reichlich Abstand. Eine dritte Tüte öffnete er für den Inhalt diverser Petrischalen.

Und während Cavendish immer mehr teilweise verunreinigte Proben sammelte und diese dazu auch noch zusammenwarf, ermahnte er seinen bierbäuchigen Begleiter immer wieder, ja nichts anzufassen, weil das keine Arbeit für Amateure sei, sondern nur für einen echten Detektiv – sprich: Brent Cavendish.

Es war zum Haareraufen.

Da Jos Aachten van Haag sich nicht auf die Proben des »Vollprofis« verlassen konnte und gleichzeitig auch dessen Aufmerksamkeit nicht erregen wollte, achtete er darauf, sich stets in dessen Rückenbereich aufzuhalten. Immer wenn er eine geeignete Probe entdeckte und Cavendish nicht hinsah, holte er rasch einen seiner mit Nanotechnologie versetzten GSO-Probenbeutel aus seiner Jackentasche hervor, die er für Fälle wie diesen immer am Körper trug. Er wusste zwar immer noch nicht genau, weshalb der Möchtegern-Detektiv hier herumschnüffelte, doch der Glaskubus mit dem Wirbelsäulenstück ließ ihn schlussfolgern, dass dieses Labor für seinen eigenen Fall – Menschenexperimente auf Acheron drei – von Relevanz sein könnte.

Die kleinen GSO-Probenbeutel waren ein besonderes Hilfsmittel. Je nach Aggregatzustand der Probe, die van Haag damit aufnahm, ob flüssig oder fest, veränderte sich die Eigenschaft und Form des Beutelgewebes in Sekundenschnelle. Es wurde hart oder flexibel, verjüngte sich bei Kontakt mit Flüssigkeiten an der Spitze zu einer Art Pipette oder blieb optisch ein einfacher Beutel, schmiegte sich bei Probenkontakt luftdicht um das Objekt oder bildete einen Hohlraum für Flüssiges. Es konnte sogar die Innentemperatur regeln bis in hohe Minus- oder Plusgrade, falls die Probe dies erforderte.

So schaffte es der GSO-Agent, ein, zwei Laborproben mitzunehmen, ohne dass er dafür auffällige Utensilien hervorholen musste. Die intelligenten Probenbeutel ließ er unauffällig in seinen Hosentaschen verschwinden. Zudem machte er heimlich mit seiner im Armbandvipho integrierten Kamera Aufnahmen des Labors. Cavendish bekam nichts davon mit.

Eine Sache zog van Haags Aufmerksamkeit besonders auf sich: Es war ein bis an die Decke reichendes Terrarium mit verriegelter Seitenöffnung, welches mit weißlichem Rauch angefüllt war und in dessen Innerem sich schemenhaft etwas bewegte. Er näherte sich bis auf einen Meter heran, damit sein Armbandvipho scharfe Bilder erhielt.

Auch Cavendish wurde neugierig und trat neben McFurry. Als er sich zur Vorderseite des Terrariums hinbeugte, klatschte in dem Moment etwas Längliches gegen die Innenseite des Glases. Erschrocken zuckte er zurück. »Bei den Sternen! Was war das denn?«

Van Haag zögerte mit einer Antwort und beobachtete die Bewegungen des wie Seetang anmutenden Organismus. Das Wesen konnte seinen Strang in haardünne Fäden teilen, die unheimlich pulsierten. »Ich weiß es nicht«, sagte der GSO-Agent, »aber wir sollten das Terrarium nicht öffnen.«

Cavendish gab ein zustimmendes Grunzen von sich, musterte das Ding einige Sekunden lang angeekelt und entfernte sich dann in Richtung der gegenüberliegenden Wand. Dabei kam er an einer Werkbank vorbei. Kleine Energiezellen, Bauteile aus verschiedenen Metallarten und Werkzeuge lagen dort neben Pflanzenresten herum. Ein paar Schritte weiter stand ein Mikroskop.

Als Cavendish nicht hinsah, warf van Haag rasch einen Blick durch das Okular.

Was ist das? Es sieht aus wie ein Geflecht aus Metall- und Pflanzenfäden.

»An welchem Fall arbeiten Sie denn, der uns an solch einen unheimlichen Ort führt?«, versuchte van Haag erneut, Informationen aus dem Möchtegern-Privatdetektiv herauszukitzeln. Er folgte diesem wie ein braves Hündchen, wobei er sein Armbandvipho unauffällig weiter auf alles hielt, was ihm interessant vorkam. »Als Systementwickler bekomme ich viele Arten von Technologie zu Gesicht, aber das hier ist mir ein Rätsel.«

»Das sind sensible Informationen, McFurry. Ich sagte doch vorhin schon: Beschränken Sie sich auf Ihre Aufgabe und lassen Sie mich meine erledigen. Wenn Sie mich ständig von der Seite ansprechen, unterbrechen Sie meinen Denkprozess. Ich versuche gerade, alles hier zu einem großen Ganzen zu kombinieren.«

Ja sicher, dachte van Haag zweifelnd. Wahrscheinlich wollte die Beulenpest nicht zugeben, dass sie eigentlich gar keine Ahnung hatte, was sie hier vor sich hatte. Sie wollte lieber den »Coolen« vor dem angeblichen Systementwickler spielen. Zumindest legte die verwirrte Miene des Muskelmannes dies nahe.

Cavendish trat nun an die einzige weitere Tür des Labors heran, die es außer dem Eingang gab. Diese befand sich ganz am Ende des Raumes und ließ sich ohne John McFurrys Hackerfähigkeiten öffnen. Dahinter kam ein kleinerer Raum zum Vorschein, in dem sich acht verschlossene Metallschränke befanden. Diese besaßen die ideale Größe für einen Menschen …

Van Haag zeigte auf ein hockergroßes Kühlaggregat, aus dem ein Kabelwust zu den Metallschränken führte. »Ich glaube, das sind Kühlschränke.«

Cavendish schluckte hörbar. »Treten Sie zurück, McFurry.« Er zog seinen Paraschocker. Die freie Hand streckte er zögerlich nach dem Hebelgriff des ersten Metallschranks aus. Mit zusammengepressten Kiefern, als kostete es ihn große Überwindung, zog er die Tür einen Spaltbreit auf. »Leer«, flüsterte er. Mit grimmiger Miene schloss er den mannshohen Kühlschrank wieder und ging zum nächsten. Auf diese Weise öffnete er einen Schrank nach dem anderen.

»Alle leer«, murmelte Cavendish sichtlich erleichtert. »Und keine kalte Luft. Die Kühlung funktioniert wohl nicht mehr oder ist nicht in Betrieb.« Er trat einen Schritt zurück. »Trotzdem lassen die Maße dieser Schränke nur eine Schlussfolgerung zu.«

»Der Raum wurde wahrscheinlich als Lagerstätte für Leichen genutzt«, vollendete van Haag den Gedanken. Das kam ihm ebenfalls naheliegend vor, denn in der Luft hing der unverkennbare Geruch des Todes wie bei einem Bestatter oder im Krankenhaus.

Cavendish nickte mit düsterer Miene. »Das ist ein großer Fund, aber ich habe trotzdem auf mehr gehofft. Hier muss es mehr geben.«

»Wonach suchen wir denn?«

Der Möchtegern-Detektiv machte eine abwehrende Geste, schwieg ansonsten aber.

Es gab noch einen angrenzenden Lagerraum mit Holzkisten, in denen sich mehr technisches Material sowie Pflanzensamen befanden, sowie einen weiteren, in denen Pflanzenabfälle und Schrott gelagert wurden. Sonst schien es nichts mehr zu entdecken zu geben. Dies war offenbar nur ein kleines Labor mit wenigen Räumen, noch weniger Türen, keinem einzigen Fenster und nur einem Ein- beziehungsweise Ausgang.

Gerade als Cavendish meinte, dass sich in diesem Labor keine Geheimnisse mehr verbergen würden, blieb er plötzlich wie zur Salzsäule erstarrt stehen.

»Was ist?«, fragte der GSO-Agent alarmiert. Er wurde herangewunken. Da bemerkte er es auch: einen merkwürdigen Geruch. Der schwache Hauch, der unangenehm in seiner Nase kitzelte und gleich wieder verschwand, roch nicht nach Erde oder modrigen Pflanzen, sondern eher nach …

»Da verwest etwas«, stellte Cavendish beunruhigt fest. Plötzlich wurde er aufgeregt und drehte sich im Kreis. »Suchen Sie mit mir die Quelle des Gestanks, McFurry! Wir haben irgendetwas übersehen. Vielleicht gibt es hier einen geheimen Zugang zu einem verborgenen Teil des Labors.«

Van Haag versuchte nun ebenfalls, den Geruch zu lokalisieren und tastete dabei die Wände nach Auffälligkeiten ab. Die Spur führte beide wieder in den Hauptraum zurück. Weiter kamen sie nicht. Mit einem Mal wurde die Eingangstür zum Labor aufgestoßen. Das Türblatt knallte gegen die Wand, Holz splitterte. Mehrere vermummte Gestalten stürmten herein und eröffneten ohne Vorwarnung das Feuer aus ihren Schusswaffen.

Cavendishs Pranke schoss reaktionsschnell zu seinem Begleiter vor. Er wollte diesen mit sich zu Boden reißen, aber der hatte sich bereits flink hinter einem der Labortische in Deckung fallen lassen. Projektile zischten durch die Luft, schlugen in Wände ein und zerbrachen Glas.

Cavendishs Augen zuckten zu McFurry herüber, seine Kiefermuskulatur trat vor Anspannung hart hervor. »Bleiben Sie unten!« Dann sprang er auf, schoss eine Salve Paralysestrahlen in Richtung der Angreifer und landete dann bäuchlings hinter der nächsten Deckung, einer metallenen Materialkiste.

Ein heftiges Feuergefecht brach los. Noch mehr Laborutensilien gingen zu Bruch, getroffene elektronische Geräte sprühten Funken.

Van Haag knurrte innerlich. Sein Kampfinstinkt regte sich, sein Körper wollte zum Angriff übergehen. Doch dann würde seine Tarnung auffliegen. Verdammt! Was sollte er jetzt unternehmen? Seine rechte Hand hatte sich instinktiv um den Griff seines verborgenen Paraschockers geschlossen, der unter seiner Jacke darauf wartete, gezogen zu werden.

Mit zusammengebissenen Zähnen neigte er den Körper ein wenig aus seiner Deckung hervor und konnte dadurch in einem der Terrarien einen kurzen Blick auf die Spiegelbilder der Angreifer erhaschen. Cavendish hatte mit den Parastrahlen bisher keinen einzigen von ihnen getroffen.

Sie vermummen ihre Gesichter mit Masken. Ein Bandenzeichen? Mit wachsender Beunruhigung sah der GSO-Agent zu, wie Cavendish verbissen versuchte, sich gegen die fünfköpfige Übermacht zu wehren und gleichzeitig den vermeintlich hilflosen »John McFurry« zu beschützen. Der Ex-Soldat zeigte dabei eine hohe Schusspräzision und ein Gespür dafür, wo sich die Gegner versteckten. Er huschte geschickt von einer Deckung zur nächsten. Van Haag hatte ihn für jemand vollkommen Unfähigen gehalten, doch nun offenbarte der Kerl eine ordentliche Militärausbildung.

Doch trotz seines Geschicks wurde Cavendish immer mehr eingekesselt. Wahrscheinlich bemerkte er das sogar. Zwei der Vermummten schossen unermüdlich in seine Richtung, um ihn an Ort und Stelle zu fixieren und seine Schussmöglichkeit einzuschränken; zwei weitere kamen ihm immer näher, arbeiteten sich geschickt und strategisch von Deckung zu Deckung vor. Der fünfte Angreifer hielt nach van Haag Ausschau.

Das sind keine einfachen Slumbewohner. Dafür bewegen sie sich zu routiniert. Cavendish hat alleine mit nur einem Paraschocker keine Chance. Verdammt noch mal! Was mache ich denn jetzt?

Ihm blieb keine andere Wahl. Auch wenn er damit seine Tarnung als »John McFurry« und damit die gesamte Mission riskierte – er musste eingreifen, wenn er sich selbst und die Beulenpest hier heil herausbekommen wollte.

Mit grimmiger Entschlossenheit zückte er seinen Paraschocker. Den Aktenkoffer legte er neben sich nieder, der würde im Kampf bloß stören. Seine langjährige Erfahrung als kampferprobter Geheimagent übernahm die Kontrolle, Adrenalin flutete seine Blutbahnen. Seine gesamte Konzentration richtete sich auf das Kampfgeschehen.

Jetzt!

Mit einer einzigen fließenden Bewegung tauchte van Haag über der Tischplatte seiner Deckung auf, zielte in derselben Sekunde und schoss einen Paralysestrahl auf den Maskenträger ab, der die ganze Zeit Ausschau nach ihm gehalten hatte. Es war ein hochpräziser Schuss, der den Angreifer mitten im Gesicht traf. Gleichzeitig spürte van Haag den Luftzug eines Projektils, das scharf an seinem linken Ohr vorbeisauste. Fast hätte es ihn erwischt, hätte er sich nicht instinktiv seitlich wieder in Deckung fallen lassen.

Der erstickte Laut, der aus dem Mund des Getroffenen erklang, sowie das dumpfe Aufschlagen eines Körpers auf dem Holzboden des Labors verrieten van Haag, dass er einen der Angreifer ausgeschaltet hatte. Gleichzeitig wurde ihm etwas bewusst: Die Maskenträger verfügten offenbar über eine militärische Ausbildung oder Vergleichbares. Sie gingen nicht nur taktisch vor, sondern konnten auch hervorragend schießen. Nur wenige Zentimeter weiter und die Kugel hätte sich in seinen Schädel gebohrt. Der nun ausgeschaltete Maskenträger hatte van Haag in derselben Sekunde erfasst, da dieser aufgetaucht war.

Wäre ich nicht der bessere Schütze gewesen und hätte minimal schneller reagiert, wäre ich es, der erwischt worden wäre!

»Ihr Scheißkerle!«, schrie einer der Angreifer rasend vor Wut, der seinen bewusstlosen Kumpanen bemerkt hatte. »Wir machen euch fertig!«

Eine wilde Salve nach der anderen verließ deren Waffenmündungen. Projektilgeschosse und Paralysestrahlen zerschnitten die Luft – so viele, dass man selbst mit bloßem Auge das Aufblitzen sehen konnte. Wenn jemand dort hineingeriet, würde er in Einzelteile zerfetzt werden. Trotzdem erwischte es in den nächsten Sekunden keinen der Schützen, während es Scherben, Pflanzenfetzen und grünen Schleim regnete – letzteres zum Glück außer Reichweite von van Haag. Cavendish hingegen wurde gezwungen, zurückzuweichen und sich der Deckung zu nähern, hinter der sich der GSO-Agent verborgen hielt. Die Bewegungen des Muskelhaufens auf zwei Beinen wirkten dabei nicht mehr so kraftvoll wie noch vor wenigen Minuten.

Plötzlich erkannte van Haag ein Muster in den Angriffen des Feindes. Dass die Reagenzgläser und das andere Zeug in unserer Nähe nicht zerspringen, ist kein Glück. Das ist Absicht! Sie wollen uns in eine Ecke des Raums zurückdrängen, damit wir auf einem Punkt zusammenhocken und sie uns mit einem gezielten Angriff ausschalten können. Ich muss etwas unternehmen!

»Gebt auf, ihr Flatten! Ihr kommt hier nicht mehr raus!«, brüllte eine Stimme von rechts, vielleicht sechs Schritte entfernt.

Cavendish duckte sich etwa drei Meter von van Haag entfernt hinter einem niedrigen Schubladenschrank. Die Blicke der beiden Männer trafen sich. In der Miene des Bodybuilders spiegelte sich eiserne Entschlossenheit; er wollte das hier unbedingt überleben. Gleichzeitig war da noch etwas anderes in seinem Blick. Van Haag wusste, was dieser Ausdruck bedeutete: »McFurry« als Tarnung war wahrscheinlich aufgeflogen.

Doch nicht das war es, was den GSO-Agenten die Lippen fest zusammenpressen ließ. Cavendish hielt sich die Seite. Blut sickerte zwischen seinen behandschuhten Fingern hervor. Ein Streifschuss hatte die Schutzweste zerfetzt und das Fleisch aufgerissen.

»Ihr sterbt hier!«, brüllte wieder einer der Angreifer, diesmal eine andere Stimme, aber ebenfalls von rechts.

Also zwei links, zwei rechts. Van Haag nickte Cavendish zu. Wir schaffen es hier raus. Es war nur eine stumme Botschaft, aber als er seinen Paraschocker hob, schien der Bodybuilder zu verstehen und nickte.

Gib mir Deckung, formte Cavendish stumm mit den Lippen, langte in eine Materialkiste und zog eine unterarmlange Zange heraus. Was hatte er vor?

Van Haag beschloss, dem Ex-Soldaten eine Chance zu geben, packte den Paraschocker fester und fuhr erneut hinter seiner Deckung hoch. Gleichzeitig sah er aus den Augenwinkeln, wie die Beulenpest aufsprang, dabei mit dem Arm ausholte und kraftvoll warf. Die vier noch übrig gebliebenen Maskierten reagierten sofort, Köpfe tauchten aus Deckungen auf.

Van Haag schoss.

Im selben Augenblick knallte die Eisenzange mit Wucht gegen das rechte Terrarium voller weißlichem Rauch. Mit ohrenbetäubendem Klirren zersprang das dicke Vorderglas. Splitter flogen zu allen Seiten davon, weißlicher Rauch quoll aus dem Inneren und mit ihm eine zuckende Ranke, die auf die Schulter eines der Angreifer klatschte.

Schreie. Verwirrung brach los.

Van Haag nutzte die Chance: Er eilte in gebückter Haltung den Labortisch entlang, hinter dem er Deckung gesucht hatte, und tauchte am Kopfende mit erhobenem Paraschocker auf.

Zielen – feuern!

Der Schuss traf den Vermummten, der mit der langsam erlahmenden Ranke kämpfte, mitten in die Brust.

Den zweiten Maskenträger bemerkte van Haag fast zeitgleich wie dieser ihn. Für einen Herzschlag hatte er das Gefühl, die Zeit würde stehen bleiben, als er in die Waffenmündung des Gegners blickte, die direkt auf sein Gesicht zielte.

Instinktiv ließ sich der GSO-Agent zur Seite fallen und rollte sich über die Schulter ab. Hitze leckte über sein Schulterblatt, dann ein scharfer Schmerz. Er beachtete diesen nicht, kam sofort wieder auf die Beine.

Nah genug!

Mit Wucht rammte er den Kolben seines Paraschockers in das gegnerische Gesicht. Die Maske brach, Knochen und Knorpel gaben knackend nach. Ein Schrei. Der Schlag schleuderte den Vermummten nach hinten. Keine Sekunde später war van Haag über ihm und feuerte.

Zwei Gegner noch!

Der GSO-Agent wirbelte herum, machte einen Satz hinter die nächste Deckung und zielte aus dieser heraus dorthin, wo er Cavendish mit seinen beiden Angreifern ringen hörte – nein, nur noch mit einem, der andere war bereits erledigt.

Der nächste Parastrahl schickte dann auch den letzten Vermummten ins Reich der Träume.

Schwer atmend richtete van Haag sich auf. Die Schmerz an seinem Schulterblatt kehrte pulsierend zurück. Prüfend tastete er nach der Stelle. Es war nur ein oberflächlicher Streifschuss, kaum der Rede wert, aber seine Verkleidung hatte gelitten. Er würde das Jackett zeitnah mit Gewebespray fixieren müssen, damit dieses nicht irgendwo hängen blieb, weiter aufriss und den beschädigten Teil seines künstlichen Fettanzugs enthüllte.

Schweiß perlte von seiner Stirn. Obwohl ihm seine Kampferfahrung dabei geholfen hatte, die Trägheit seines Fettanzugs zu kompensieren, forderte die Verkleidung als »John McFurry« für die ganze Akrobatik der letzten Minuten jetzt ihren Tribut. Er hatte das Gefühl, dass er von oben bis unten klebte, und wünschte sich plötzlich nichts sehnlicher, als sich von diesem Kunstspeck zu befreien.

Allerdings verlangte ein viel größeres Problem derzeit seine Aufmerksamkeit: Sein Blick richtete sich auf Brent Cavendish, der sich gerade ächzend auf die Beine hievte. Dieser atmete ebenfalls schwer und schien sogar noch mehr zu schwitzen als van Haag.

»Wir haben sie tatsächlich erledigt«, murmelte der Ex-Soldat. Den Paraschocker hielt er immer noch in der Hand. Langsam drehte er den Kopf. Seine Augen trafen den Blick des vermeintlichen Systementwicklers. Zwei, drei Herzschläge lang herrschte Schweigen, während sich seine Miene verdunkelte. Dann fragte er: »Wer sind Sie wirklich, McFurry?«

»Was?«

»Lassen Sie die Spielchen! Ein einfacher Hacker kann niemals so mit einer Waffe umgehen!« In Cavendishs Augen brannte Misstrauen. Er kam näher und blieb einen Schritt vor van Haag stehen. Er war damit nahe genug, dass der GSO-Agent ihn im Ernstfall entwaffnen konnte. Offenbar hielt er sich für den Stärkeren. »Sie haben mich die ganze Zeit hinters Licht geführt, oder? Also, wer sind Sie?«

Der Bierbäuchige hob abwehrend die Hände. »Ich weiß nicht, was Sie gerade von mir denken, aber ich bin wirklich nur ein Systementwickler. Fragen Sie mich das, weil ich ein bisschen schießen kann?«

Cavendish verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. »Ich räume ein, dass Sie sich mit Technik auskennen, aber was ich gerade gesehen habe … Ein normaler Angestellter ist auf keinen Fall zu solchen Präzisionsschüssen in der Lage. Ich will die Wahrheit wissen!«

Van Haag knirschte innerlich mit den Zähnen. Die Beulenpest hat sich in ihre Vermutung festgebissen. So einfach kann ich mich nicht mehr da herauswinden. Ich muss ihm wohl die Geschichte auftischen, welche ich mir für solche Fälle zurechtgelegt habe.

»McFurry« verzog eingeschüchtert die Mundwinkel und zog vor Cavendish den Kopf ein. »Na gut, ich sage die Wahrheit, Sir, aber bitte seien Sie mir nicht böse. Ich bin wirklich Systementwickler. Ja, ich kann ein bisschen schießen, weil ich für meine eigene Sicherheit zwei Jahre lang private Schießstunden auf Babylon hatte. Da gibt es doch an jeder Ecke Schießstände! Überall lauern Gefahren, wie man doch jüngst an den Ausfällen der Technik sehen konnte. Und außerdem … Wer kann heutzutage denn nicht ein bisschen mit einer Waffe umgehen?

Meine angehende Ex-Frau hat immer gesagt, dass ich nur ein nutzloser Waschlappen sei. Darum habe ich ja überhaupt erst Übungsstunden genommen, um ihr zu beweisen, dass ich sie beschützen kann, wenn es darauf ankommt. Doch genützt hat es letztlich nichts. Sie hat sich einen Kerl gekrallt – einen wie Sie, Mister Cavendish, mit vielen beeindruckenden Muskeln, aber nicht ganz so imposant.« Er strich sich mit gespielt trauriger Miene über den künstlichen Bierbauch. »Gegen so jemanden habe ich doch gar keine Chance!«

Cavendish verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. »Schön und gut, McFurry. Sie haben sich aber wie ein erfahrener Kämpfer bewegt.«

Ein kleines, stolzes Lächeln zeigte sich scheu auf den Lippen des vermeintlichen Systementwicklers. »Ein Kämpfer, sagen Sie? Ich? Wirklich? Ich hätte niemals gedacht, so etwas mal zu hören! Auf Babylon habe ich oft 3D-Ego-Shooter in Sensorien gespielt, vielleicht liegt es daran? Mein Körper muss diese Bewegungen verinnerlicht haben.«

Cavendish verschränkte die Arme. »Ego-Shooter? Wollten Sie etwa üben, jemanden abzuknallen?«

McFurry schüttelte erschrocken den Kopf. Sein Doppelkinn machte die Bewegungen mit. »Bei den Sternen, nein! Ich dachte nie daran, wirklich jemanden zu erschießen! Es geht in diesen Spielen vorrangig darum, aufregende Momente zu erleben, schöne Frauen zu retten und ein Held zu sein. Kennen Sie solche Spiele nicht?«

»Nein, an so etwas habe ich kein Interesse. Ich trainiere meinen Körper lieber im realen Leben.«

»Oh, ach so.« Van Haag tat so, als würde er sich unbehaglich über die künstliche Halbglatze fahren. »Ich habe mit den Sensorien angefangen, weil meine Ehefrau ein wirklich liebloser Mensch ist. Mein Leben bestand quasi tagsüber nur aus Arbeit und abends aus dem Gezänk dieser Frau. Der Eintritt in eine Spielwelt war für mich der einzige Ausweg. Dass mir dies heute helfen würde zu überleben …«

Cavendishs Miene wurde nachdenklich.

»Und als ich dann für einen Urlaubstrip nach Acheron drei kam«, fuhr McFurry fort, »um mich in Madame Friedels Viertel mit schönen Frauen zu vergnügen und wenigstens ein bisschen das echte Leben zu genießen, da stieß ich auf Sie, Mister Cavendish, und die Leichenreste in der Metallkiste. Ich bekam Angst und besorgte mir eine echte Waffe – aber nur einen Paraschocker, weil ich ja niemanden wirklich erschießen will. Das war eigentlich nur eine reine Sicherheitsmaßnahme. Bis auf den heutigen Vorfall habe ich mich auch noch nie getraut, eine Waffe außerhalb von Schießständen zu ziehen. Erst heute …«

Cavendish runzelte die Stirn. »Sie haben das Kampfgeschick, das Sie heute gezeigt haben, also durch Spielen und Privatschießstunden erlernt?«

Van Haag nickte. »Haben Sie sich mal in einer Simulation der Sensorien befunden? Die bieten ein fast reales Erlebnis, und ich habe jede freie Minute gespielt, viele Jahre lang. Ich gestehe: Dass ich dann dazu fähig sein würde, das zu tun, was ich heute getan habe … erstaunt mich selbst. Aber im Moment bin ich vorrangig einfach nur froh, dass wir überlebt haben.«

Cavendish schwieg mit zusammengezogenen Augenbrauen und musterte van Haag von oben bis unten. Sein Blick blieb einen Moment lang auf dem kugelrunden Bierbauch hängen, der das schmuddelige Hemd des vermeintlichen Systementwicklers spannte. Dann sah er seinem Gegenüber direkt in die Augen. »Sie wissen: Ich bin nicht nur Privatdetektiv. Ich habe einen geschulten Blick für Körper und Muskeln. Ich bin Bodybuilder, das ist meine Leidenschaft – nein, meine Lebenseinstellung! Niemand kennt sich besser mit dem Thema aus als ich. Und wissen Sie, was ich denke?« Er deutete energisch auf John McFurrys Bierbauch. »Aus langjähriger Erfahrung weiß ich genau: Ein Pummelchen kann sich nicht plötzlich auf derart erstaunliche Weise bewegen. Das heißt: Sie sind gar kein Dickwanst!«

John McFurry alias Jos Aachten Van Haag verzog die Lippen gekränkt nach unten. »Ich finde es gemein, dass Sie mich andauernd mit meinem Gewicht beleidigen. Ich habe nur schwere Knochen, wissen Sie?«

»Ja, ja, das sagen sie alle. Allerdings würde ich Ihnen das ausnahmsweise abkaufen, sofern Ihre Wampe nur vorgetäuscht ist – was ich sehr stark vermute. Oder wie wollen Sie mir als Körperspezialisten erklären, dass sich so ein Kugelbauch wie Sie derart bewegen kann?«

»Das lag bestimmt am Adrenalinschub«, behauptete der GSO-Agent und ließ bei den folgenden Worten einen beschämten Unterton mitschwingen. »Ich hatte Todesangst und stand kurz davor, wie ein Feigling wegzurennen. Ich schäme mich, dass ich überhaupt in Erwägung gezogen habe, Sie im Stich zu lassen, aber mein Herz hat gerast, meine Gedanken waren völlig durcheinander. Dann wurden wir auch noch in die Ecke gedrängt; mein Fluchtweg war abgeschnitten. Ich glaube, in dem Moment hat sich ein Schalter in meinem Kopf umgelegt. Ich habe mal gelesen, dass es eine Art Kampfinstinkt gibt, das Äquivalent zum Fluchtinstinkt.«

Der Blick der Beulenpest bohrte sich in den des vermeintlichen Systementwicklers. »Den Kampfinstinkt kenne ich auch. Das Blut kommt dabei in Wallung, und es juckt einem in den Fingern.«

»Ja, so etwas habe ich gespürt.«

Cavendish nickte und strich sich brummend über den linealgerade gestutzten Schnauzbart. Einen Moment lang schien es, als hätte McFurry ihn überzeugt, doch dann sagte er: »Nein, das ergibt alles keinen Sinn. Ich glaube Ihnen Ihre Geschichte nicht, McFurry – oder wie auch immer Sie heißen. Was ich eben beobachtet habe, widerspricht meiner langjährigen Erfahrung. Jemand wie Sie kann sich einfach nicht so bewegen.«

»Aber Sie haben es doch gerade selbst gesehen?«

»Das ist es ja! Deshalb will ich einen Beweis für Ihre Geschichte!«

»Wie könnte ich das denn beweisen?«, hakte van Haag stirnrunzelnd nach.

Cavendish stieß ein tiefes Knurren aus, packte den vermeintlichen Systementwickler urplötzlich am Kragen und tastete mit der anderen freien Hand nach dessen Hemd. »Lassen Sie mich überprüfen, ob Ihr Bauch echt ist!«

McFurry riss sich los. Dabei sprangen die obersten Knöpfe seines Hemdes auf. »Sind Sie verrückt geworden?«

Cavendish ließ nicht locker, sondern zog sein Gegenüber an dessen Jackett wieder zu sich heran. Mit einem Ruck wurde schwabbeliges Bauchfett unter dem Hemd freigelegt. Van Haag hätte es verhindern können, ließ es aber zu, weil sein Bierbauch täuschend echt wirkte.

Leider schien dies die hartnäckige Beulenpest nicht zufriedenzustellen – sie wollte mehr sehen!

Ehe Cavendish richtig handgreiflich werden konnte, packte van Haag dessen Pranke, die sich an seiner Verkleidung festgekrallt hatte, und verdrehte ihm das Handgelenk. Die Finger lösten sich. Mit gezielter Kraft stieß er den zudringlichen Kerl zurück.

Der Muskelprotz war so von sich und seinen Erfahrungen überzeugt, dass van Haag nichts anderes übrig blieb, als ihm einen Knochen hinzuwerfen: ein kleines Stück seines Geheimnisses, damit die Beulenpest wieder von ihm abließ und ihm nicht die Verkleidung ruinierte.

»Also gut, Cavendish, Sie haben recht«, gab er sich geschlagen und hob beide Hände, ehe er dazu gezwungen wurde, die Beulenpest mit einem Parastrahl ins Reich der Träume zu schicken.

»Sie geben es also zu?«, fragte diese verblüfft.

»Ja, gegen Ihren detektivischen Spürsinn habe ich doch gar keine Chance.«

Cavendish nickte gewichtig. Seine muskulöse Brust schwoll noch ein paar Millimeter an.

»In Wahrheit bin ich kein einfacher Systementwickler«, gestand McFurry leise.

»Wusste ich es doch!«, donnerte die Beulenpest los, verstummte aber sofort wieder. Seine Augen zuckten hektisch umher, als befürchtete er, weitere Gegner angelockt zu haben.

»Ich habe mich als solcher verkleidet, um unterschätzt zu werden. Also hören Sie bitte auf, an meinem Bauch herumzugrapschen!«

Triumph blitzte in Cavendishs Augen auf. »Sehen Sie, McFurry? Es war doch gar nicht so schwer. Das nächste Mal rücken Sie gleich mit der Sprache heraus. Einem erfahrenen Privatdetektiv wie mir können Sie ja doch nichts vormachen. Ich …« Doch dann schien ihn der Gedanke zu erschrecken, dass er vor sich keinen gewöhnlichen Dickmops hatte. Angst sickerte in seine Miene, die Fingerknöchel um den Paraschocker traten weiß hervor.