Resilienz – die Kunst der Widerstandskraft - Donya Gilan - E-Book

Resilienz – die Kunst der Widerstandskraft E-Book

Donya Gilan

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Beschreibung

Resilienz ist das Zauberwort unserer Zeit. Die besondere Fähigkeit des Menschen, Krisen und schwierige Lebensverhältnisse zu bewältigen und aus dieser Bewältigung gestärkt wieder ins Leben zu treten, ist in unserer von psychischen Belastungen geprägten Arbeitswelt gefragter denn je. Donya Gilan, Isabella Helmreich und Omar Hahad geben einen Überblick über die Geschichte der Resilienzforschung, schildern deren aktuellen Stand und zeigen ihre Möglichkeiten und Grenzen. Basiswissen zu verschiedenen Aspekten der Resilienz. Verfasst von ausgewiesenen Experten.

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Seitenzahl: 236

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Dr. Donya Gilan Dr. Isabella Helmreich Dr. Omar Hahad

Resilienz – die Kunst derWiderstandskraft

Titel der Originalausgabe:

Resilienz – die Kunst der Widerstandskraft. Was die Wissenschaft dazu sagt

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2021

ISBN 978-3-451-60098-2

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2024

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Gestaltungssaal, Rohrdorf

Umschlagmotiv: © mauritius images / fStop Images / Vladimir Godnik

E-Book-Konvertierung: ZeroSoft, Timisoara

ISBN Print 978-3-451-03577-7

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83496-7

Inhalt

Vorwort

1. Resilienz – eine Lebenskunst

Eine kurze Geschichte der Resilienz

Die philosophischen Vorläufer

Zusammenhänge zu Resilienz

Anwendungsmöglichkeiten heute

Wie kann das funktionieren? – Erste Ideen

Die Bestimmung des Begriffs

Die Entstehungsgeschichte

Paradigmenwechsel – von der Krankheits- zur Gesundheitsforschung

Die vier Phasen der psychologischen Resilienzforschung

Die Blickrichtung der aktuellen Resilienzforschung

Das Gehirn als Resilienzorgan

Von den Resilienzfaktoren zu den Resilienzmechanismen

Moderne Resilienzforschung in Deutschland

Wie wird Resilienz gemessen?

Die Basis der Resilienzmessung

Bisher wenig Konsens

Der Resilienz-Score (R-Score)

Resilienz im Zeitverlauf

Ausblick

Literatur Kapitel 1

2. Resiliente Menschen – das Geheimnis von Erfolgsgeschichten

Fallbeispiel 1: Von der Katastrophentochter zum Stehaufmännchen

Fallbeispiel 2: Hoffnung, Glaube und Vertrauen

Fallbeispiel 3: Manche einschneidenden Ereignisse verändern dein Leben! Zum Guten!

Literatur Kapitel 2

3. Sind wir Opfer unserer Gene?

Das Phänomen Resilienz

Spuren im Gehirn – die Gen-Umwelt-Interaktion

Wie Gene unsere Reaktion auf Stress beeinflussen können

Ein Ausflug in die Neurobiologie des Gehirns

Das Postsystem des Gehirns

Die Doppelhelix als Hüterin der Gene

Kleiner Unterschied, große Wirkung

Die Gene als Grundsteine für das Rüstzeug unseres Lebens

Weitere Beispiele für Genvarianten, die uns prägen können

Und doch nicht nur Opfer unserer Gene

Stressimpfung für die Seele

Zwei Seiten einer Medaille: »Löwenzahn-« und »Orchideenkinder«

Epistase – eine weitere Spielart unserer Gene

Die Epigenetik – wie wir unser Erbgut beeinflussen können

Der Schlüssel zum Bauplan des Menschen

Wie entstehen Veränderungen des Erbguts?

Drei Möglichkeiten, um Gene an- und abzuschalten

Epigenetische Veränderungen als Gedächtnis des Körpers

Schon kleine Verhaltensänderungen können die Epigenetik beeinflussen

Der Einfluss der Ernährung auf die Epigenetik

Generationsübergreifende Vererbung

Telomere – der Schlüssel zum ewigen Leben?

Das Mikrobiom: die Welt der Magen-Darm-Bewohner

Die Bedeutung des Mikrobioms für die Gesundheit

Von alten Freunden

Neue Behandlungsansätze

Das Exposom – die Komplexität des Lebens als Forschungsgebiet

Neue Perspektiven für die Prävention und die Krankheitsbehandlung

Medikamentöse Ansätze

Personalisierte Medizin

Ausblick

Literatur Kapitel 3

4. Ist Resilienz trainierbar?

Resilienzförderung durch Training

Was sagt die Wissenschaft zu Resilienzfaktoren?

Gute Stressbewältigung als eine wichtige Kernkompetenz

Vom Postsystem des Körpers

Was passiert bei Stress im Gehirn?

Stressbewältigungsstrategien

Die evidenzbasierten Resilienzfaktoren

Aktives Coping

Selbstwirksamkeit

Selbstwertgefühl

Optimismus

Soziale Unterstützung

Kognitive Flexibilität

Positive Emotionen

Hardiness

Kohärenzgefühl

Sinn/Bedeutung im Leben sehen

Religiosität/Spiritualität

Wie kann ich meine Resilienz aktiv stärken?

Neue Technologien, um das Gehirn direkt zu trainieren

Bio- und Neurofeedback

Transkranielle Magnetstimulation (TMS)

Transkranielle Ultrasound-Stimulation (TUS)

Ausblick

Literatur Kapitel 4

5. Resilienz – Kritik und Perspektiven

Unkritischer Umgang und Machbarkeitswahn

Subjektivistischer Ansatz

Soziale Ungleichheit

Perspektive

Literatur Kapitel 5

6. Die resiliente Gesellschaft

Das gesellschaftliche Immunsystem

Kollektive Resilienz – was ist das eigentlich genau?

Förderungsmöglichkeiten gesellschaftlicher Resilienz

Handlungsbedarf – ein Konzept im stetigen Wandel

Literatur Kapitel 6

Epilog

Danksagung

Über das Buch und die Autoren

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

wir nehmen Sie mit auf eine Resilienzreise! Zu Beginn geht es in die Vergangenheit. Wir zeigen Ihnen an ausgewählten Beispielen auf, wie Facetten der Resilienz, lange bevor das Konzept systematisch beforscht wurde, Diskussionsgegenstand von philosophischen Schulen waren. Dann beleuchten wir Pionierstudien der Resilienzforschung bis hin zu aktuellsten Entwicklungen, in denen das Gehirn als zentrales Resilienzorgan in den Forschungsfokus rückt. Wir besuchen drei Menschen, die uns Ausschnitte aus ihren sensiblen Lebensphasen zeigen. Während wir sie ein Stück ihres Weges begleiten, erzählen sie uns, wie sie mit schwierigen Lebenslagen umgegangen sind und wie Resilienzfaktoren dabei helfen können, Widrigkeiten des Lebens besser zu bewältigen. Auch werfen wir einen Blick in den Kosmos der Gene und gehen der spannenden Frage nach, ob wir lediglich Opfer unserer Gene sind oder doch aktiv unsere Resilienz stärken können. Anhand neuster Forschungserkenntnisse beleuchten wir, wie unsere Gene und die Umwelt in Wechselwirkung miteinander treten und uns beeinflussen. Zudem erfahren Sie, wo Sie Ihrer genetischen Grundausstattung das eine oder andere Schnippchen schlagen können. Hier spielen auch die Resilienzfaktoren eine wichtige Rolle. Wir stellen Ihnen den aktuellen Forschungsstand zu den Resilienzfaktoren vor. Dabei gehen wir der Frage nach, inwieweit Resilienz überhaupt trainierbar ist, und erkunden das Potenzial von Resilienztrainings. Zuletzt beleuchten wir das Resilienzkonzept kritisch und erweitern unseren Blick, um auch die gesellschaftliche Ebene miteinzubeziehen. Denn auch Gesellschaften sind zunehmend gefordert, sich im Umgang mit Krisen und Umbrüchen zu flexibilisieren. Resilienz ist nicht nur ein individuelles Thema, sondern ein mehrdimensionales, institutionelles und gesellschaftliches …

Bei dieser Lesereise in die Welt der Resilienz wünschen wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, Freude und eine anregende Lektüre. Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldungen, Anmerkungen und Erfahrungen, über die wir uns gerne mit Ihnen austauschen.

Mainz, 19. Februar 2021

Donya Gilan, Isabella Helmreich, Omar Hahad

1. Resilienz – eine Lebenskunst

Dieses Kapitel befasst sich mit der Erkundung des Geheimnisses menschlicher Stärken und streift dabei ausgewählte Perspektiven der abendländischen Philosophie. Der Fokus richtet sich auf die Fragestellung, wie wir als Menschen unser Leben gut bewältigen können. Die Geschichte der Resilienzforschung wird beschrieben sowie die aktuellen Entwicklungen in der Resilienzforschung kurz vorgestellt. Diese richten den Blick nicht mehr auf die Erforschung einzelner Resilienzfaktoren, sondern wenden sich dem Gehirn als Resilienzorgan zu. Abschließend wird beschrieben, welche Tücken die Messung des Phänomens Resilienz bereithält.

Eine kurze Geschichte der Resilienz

Wie ist Ihr Umgang mit den Herausforderungen im Leben? Wie reagieren Sie auf Niederlagen, Misserfolge und Rückschläge? Gelingt es Ihnen, sich trotz schwieriger Lebenssituationen in positive Stimmung zu bringen? Wie gehen Sie mit Dingen um, die Sie nicht verändern können? Und was macht das Leben überhaupt für Sie aus? Was ist Ihnen wichtig im Leben?

Sie werden viel über Ihre eigene Lebensphilosophie, über Ihr Glaubenssystem erfahren, wenn Sie darüber sinnieren. Ihre Grundhaltungen und Einstellungen beeinflussen Ihre Lebensweise und Ihren Umgang mit sich selbst, die Interaktion mit anderen Menschen und die Bewältigung von Widrigkeiten. Erst dann, wenn Sie Ihre Lebensphilosophie und ihre Herangehensweisen an stressvolle Lebenssituationen identifiziert haben und diese für sich erklärbar machen, können Sie sie umgestalten. Darum geht es in der Entwicklung von Resilienz, worunter in der Psychologie die Fähigkeit verstanden wird, die psychische Stabilität mithilfe des eigenen seelischen Immunsystems trotz belastender Lebensereignisse beizubehalten oder nach kurzer Zeit wiederzuerlangen. Es geht darum, die Freiheit zu entwickeln, durch Selbsterkenntnis sein Leben selbstwirksam mitzugestalten und Schöpfer seines eigenen Lebens zu werden.

Wenn Sie dieses Buch lesen, kann sich Ihr Leben ändern, zum Beispiel indem Sie gewohnte Grundhaltungen entlarven und schädliche Einstellungen verwerfen. Wenn Sie tief in die Materie eingetaucht sind und einen Selbstreflexionsprozess bei sich angestoßen haben, verändert sich Ihre Wahrnehmung von der Welt, von Ihrem Selbst, und vor allem verstehen Sie, was Ihr Verhalten bedingt, gerade in lebensbelastenden Situationen.

Denn nicht immer geht es uns im Leben gut. Kritische Lebensereignisse gehören zum menschlichen Dasein dazu. Selbst positive Meilensteine wie eine Hochzeit, eine berufliche Herausforderung oder der Wechsel in ein neues soziokulturelles Umfeld durch Migration können Ihr Stressempfinden steigern. Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, die vielfach auch als die Dritte Wiener Schule der Psychotherapie begriffen wird, hat einmal gesagt, dass es „nie und nimmer darauf ankommt, was wir vom Leben noch zu erwarten haben, vielmehr lediglich darauf, was das Leben von uns erwartet“: „Frage nicht, was das Leben dir gibt, sondern, was es von dir erwartet.“1

Allein eine solche Einstellung verändert Ihre Anschauung auf die Welt, insbesondere, wenn Sie widrige Lebenssituationen erfahren. Eine Erkrankung, der Verlust von Angehörigen, eine zerbrochene Partnerschaft oder ein Jobverlust treten in den meisten unserer Leben früher oder später unweigerlich ein. Fröhlichkeit und Glück sind keine Konstanten im Leben, wir haben nur bedingt Einfluss darauf. Was wir aber tun können und sollten, ist, aktiv unser Wohlbefinden stärken.

Die psychologische Resilienzforschung beschäftigt sich seit gut einem halben Jahrhundert mit der Frage, wie Menschen ein gutes Leben führen und über die Lebensspanne hinweg seelisch gesund bleiben können. Sie versucht zu ergründen, welche geheimnisvolle Kraft es manchen Menschen erlaubt, den alltäglichen Attacken, Forderungen oder gar traumatisierenden Situationen mit Stärke zu begegnen, ihnen zu widerstehen und sein Leben trotz solcher Ereignisse intakt zu halten oder sogar gestärkt daraus hervorzugehen. Aber nicht erst die psychologische Resilienzforschung fokussiert auf diese Fragen. Die bekannten philosophischen Schulen thematisierten bereits, was ein gelungenes, zufriedenes und sinnhaftes Leben ausmacht.

Die philosophischen Vorläufer

Philosophie bedeutet wörtlich aus dem Altgriechischen übersetzt die „Liebe zur Weisheit“. Dieser Liebe folgend versuchten die großen griechischen Denker der Philosophiegeschichte in ihren Schriften und Lehren Weisheit darüber zu erlangen, wer wir Menschen sind, ob es eine Vorbestimmung gibt oder ob wir unser Leben autark arrangieren und unser Wohlergehen beleben können. Was Glück im Kern ist – ein erreichbarer Zustand oder eine süße Utopie –, wie der Mensch mit Schicksalsschlägen umgehen sollte und was ein gelungenes Leben auszeichnet.

Dabei reichte die Klaviatur der philosophischen Wege zum Freudenleben von Lust, Vernunft, Tugendlehre und dem Streben nach dem Guten über Gelehrtheit bis hin zur Selbstverwirklichung. Im Mittelpunkt stand dabei auch der behagliche Zustand der Eudaimonie, eine ausgeglichene Verfassung als Ergebnis einer gelungenen Lebensführung nach ethischen Prinzipien.

Der griechische Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.), der mit „Nikomachische Ethik“2 das erste abendländische Lehrwerk der Ethik verfasst hat, beschäftigte sich vor mehr als zwei Jahrtausenden mit diesem uralten Prinzip. Das Ergebnis ist eine systematische Analyse ethischer Fragen, die das Philosophieren in Richtung praktische Realität führte und die Ethik zu einem neuen Zweig der Philosophie errichtete. Ein glückliches Leben kann nur durch tugendhaftes Handeln gelingen, so Aristoteles. Glück definiert er als die erfolgreiche Erfüllung eines vernünftigen selbst gesetzten Plans. Mit vernünftig meint er, dass der Mensch nicht von den körperlichen Leidenschaften gesteuert wird, sondern von der Erkenntnis des Verstandes. Bei der jeweiligen Zielsetzung geht es darum, ein individuelles, für sich selbst glücklich machendes Ziel zu finden, das im Einklang mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen steht, und dabei eine ethische Instanz zu entwickeln, die Aristoteles „Weisheit“ nennt. Ferner sind aus seiner Perspektive Freundschaft und eine wohlwollende Haltung gegenüber dem eigenen Umfeld wichtige Faktoren, um ein Gemeinwesen aufrechtzuerhalten. Die aristotelische Tugendethik war jahrhundertelang in der Philosophie vorherrschend. Und auch jetzt erlebt sie aufgrund des diskutierten Werteverfalls in der Gesellschaft und der Suche nach Orientierung eine Renaissance.

Neben Aristoteles finden sich weitere philosophische Vorläufer, die sich mit der Frage beschäftigten, wie lebensbelastende Ereignisse wie etwa große Kriege und Besetzungen überstanden werden können. In der Zeit des Hellenismus (336–30 v. Chr.) und der römischen Antike (8. Jh. v. Chr.–7. Jh. n. Chr.) entwickelten sich der Epikurismus und Stoizismus – auf den ersten Blick zwei komplementäre Weltanschauungen, die bei näherer Betrachtung aber mehr Gemeinsamkeiten haben als angenommen.

Stoiker wie Zenon von Kition, Seneca oder der Philosophenkaiser Marc Aurel haben sich in ihren ethischen Überlegungen damit befasst, wie der Mensch zur Seelenruhe kommen kann. Denn Seelenruhe ist nach stoischem Verständnis das Kennzeichen eines gelungenen Lebens.

In der stoischen Lehre (um 300 v. Chr. begründet von Zenon von Kition) besteht die Maxime in der Ausrichtung auf rein geistige Einstellungen. Ziel ist die Leidens- und Leidenschaftslosigkeit, die also nicht nur einen kompensierten Umgang mit dem Ziel der Ausgeglichenheit eines ruhigen Geistes wie bei Aristoteles als Ideal hat, sondern die Entledigung von allen Affekten anpreist. Damit war eine Immunität emotionaler Art gemeint, zu verstehen im Kontext von damals herrschenden Kriegsgesellschaften, in der die Gefühlskultur störte, weil sie vermutlich der Lebenstüchtigkeit und dem Überleben entgegenstand. Den Stoikern ging es darum, den Gefühlen mit tunlichst großem Bedacht zu begegnen. Der Lebensstil musste also nicht asketisch sein, was aber zählte, war die innere Einstellung dazu. Die Steigerung der Glücksfähigkeit verlangt somit von Menschen eine Selbstkontrolle und Selbststeuerung.

Epiktet (um 50–138 n. Chr.), einer der einflussreichsten Vertreter der späten Stoa, erklärte, dass es wichtig sei, zwischen beeinflussbaren und unbeeinflussbaren Dingen zu differenzieren: „Über das eine gebieten wir, über das andere nicht. Wir gebieten über unsere Begierden, unseren Antrieb zum Handeln, unser Begehren und Meiden und, mit einem Wort, über alles, was von uns ausgeht; nicht gebieten wir über unseren Körper, unsern Besitz, unser Ansehen, unsere Machtstellung, und, mit einem Wort, über alles, was nicht von uns ausgeht.“3

Die Stoiker betrachteten die Welt als ein vernünftig ausgerichtetes Universum, dessen Gebote unwandelbar sind. Sie hatten ein kontemplatives Leitbild, in dem der Mensch sich in vollkommener Verträglichkeit mit der allumfassenden Vernunft befindet und lernt, allen störenden Einflüssen ohne Pathos gegenüberzutreten und die Vernunft zu nutzen, um nicht von Leidenschaften beeinträchtigt zu werden.

Auch Epikur (um 341–271/270 v. Chr.) fragte sich, was ein gutes Leben eigentlich ausmacht und wie wir es erreichen können.4 Die von ihm errichtete Schule des Epikurismus steht für einen hedonistischen Ansatz (Begründer Aristippos von Kyrene, 435 bis ca. 355 v. Chr.) und beschreibt eine philosophische Strömung, deren Grundthese lautet, dass Lust bzw. Freude und die Vermeidung von Schmerz bzw. Leid ihr Resultat intrinsisch entfalten. Der Begriff Hedonismus geht zurück auf das Wort „hēdonḗ“ (Freude, Vergnügen, Lust, Genuss, sinnliche Begierde).

Gegenüber der Eudaimonie geht es im Hedonismus um die Erfahrung des Leibes, die der geistigen Freude nicht untergeordnet ist. Es handelt sich hierbei also nicht um eine unmittelbare Triebbefriedigung, sondern um eine philosophische Schule, die für ein bewusstes Verständnis der Lusterreichung steht – eine hedonistische Vernunft. Wie bei der Eudaimonie erfordert die Steigerung des Wohlbefindens die Fähigkeit zur Selbstregulation und ein gesundes Selbstverhältnis. Die Gestalt der hēdonḗ ist für Epikur nicht die reine Lust oder die Freude, hēdonḗ bedeutet vielmehr Schmerzlosigkeit des Körpers und Entspannung des Geistes. Damit steht Epikur dem aristotelischen Ansatz der Eudaimonie und auch den stoischen Ideen nahe. Der Unterschied ist, dass Epikur Seelenruhe nicht aus der Vernunft, sondern aus dem sinnlichen Empfinden ableitet. Somit verhandelt Epikur die Dialektik der Lust: Das größte Wohlleben erfährt derjenige, der am wenigsten beansprucht.

Zusammenhänge zu Resilienz

Welche Bezüge haben diese Ideen nun zu unserer heutigen Lebenspraxis, und was bedeuten sie, übertragen auf die gegenwärtige Resilienzforschung, für unsere seelische Gesundheit? Planvolles Handeln, den Überblick behalten, der Entwurf eines zukünftigen Bildes vom eigenen Leben, gepaart mit einer zuversichtlichen Haltung, galt nicht nur in der aristotelischen Philosophie als Wegbereiter für ein gelingendes Leben, sondern gehört auch aktuell zu den identifizierten Strategien, die Resilienz stärken. Menschen, die an eigenen Werten orientierte Pläne konstruieren, die zudem die Fähigkeit haben, ein positives Bild von sich in der Zukunft zu projizieren, und Problemlagen aktiv angehen, entwickeln sich, sie reifen an all dem und bauen neue Kompetenzen aus. Schon Aristoteles geht es um das Tun des Menschen.

Charakteristisch für alles Handeln ist, dass es auf ein Ziel ausgerichtet ist. Jeder Handlung wohnt also eine Intention inne. Um adäquate Ziele für sich zu finden, ist das Prinzip der „goldenen Mitte“ im Sinne einer Besonnenheit und Selbstbeherrschung, einer Fähigkeit, seine Emotionen und Gedanken regulieren zu können, innere Ruhe und Gelassenheit selbst bei heiklen Situationen zu bewahren und nicht gleich seinen Emotionen nachzugeben, zentral.

Damit ist in der heutigen Resilienzsprache die Fähigkeit zur Selbstregulation gemeint. Diese Fähigkeit spielt in vielen philosophischen Schulen eine zentrale Rolle. Auch die Stoiker empfahlen, Gefühle durch die Vernunft zu regulieren und dadurch Kontrolle über sie zu erlangen.

In der Resilienzforschung gibt es einen Mechanismus, der in diesem Kontext bedeutend ist: Die Emotionsregulation gilt als zentral für die Stärkung der psychischen Gesundheit.56 Dabei geht es allerdings nicht um die absolute Kontrolle der Gefühle, vielmehr darum, Emotionen einen passenden Rahmen zu geben und insbesondere negative Gefühle auszubalancieren und die Fähigkeit zu entwickeln, sich auch wieder in positive Stimmungslagen zu bringen. Die eigenen Gefühle gut steuern zu können, hat viele Vorteile für die psychische Gesundheit, denn übermäßiger Stress versetzt uns häufig in einen lähmenden Zustand. Unsere Empfindungen sind sehr stark an unsere Gedanken gekoppelt. Wenn wir also unsere Emotionen steuern können, bleiben wir rational und handlungsfähig. Besonders in herausfordernden Lebenssituationen geraten wir durch eine adäquate Emotionssteuerung in keine Schieflage und können selbstwirksam agieren. Darüber hinaus lernen wir durch unsere Gefühlswelt, wie wir uns in positive Stimmung bringen können. Ziel sollte es also nicht sein, die eigenen Emotionen auszuschalten, sondern den richtigen Umgang damit zu finden. Denn Emotionen sind wichtige Begleiter in unserem Leben. Wie wir in der Folge noch genauer erfahren werden, haben sie eine relevante Signalwirkung.

Anwendungsmöglichkeiten heute

Was können wir aus den Lehrgebäuden des Epikurismus auf unseren heutigen Alltag übertragen? Epikurs philosophische Lehre war die eines Empiristen. Laut seiner Theorie entsteht Erkenntnis durch sinnliche Wahrnehmung. Das Begreifen der fundamentalen Umstände oder Bedingungen des menschlichen Lebens ist aus seiner Perspektive entscheidend, um ausgeglichen zu sein. Im Gegensatz zu vielen Interpretationen seiner Lehre bedeutet für ihn der Lustgewinn nicht die unmittelbare Befriedigung von Bedürfnissen, vielmehr geht es ihm darum, auch unter Entsagung das Leben so zu gestalten, dass Glück und Lust als Dauerzustand eintreten. Wohlergehen und Glück sind mit der Führung eines tugendhaften Lebens verbunden. In Epikurs Lehre geht es somit um ein vernünftiges Abwägen von Bedürfnissen und dem Belohnungsaufschub für größere Freuden, die mehr Wohlbefinden bereiten als die Befriedigung von kurzfristigen Bedürfnissen. Zielsetzung ist also nicht die Maximierung der Erfüllung von Bedürfnissen, sondern die Minimierung von negativen Gefühlen und Leid. Dabei betont Epikur, dass praktische Lebensklugheit bedeutungsvoller ist als reines Wissen. Es geht also darum, die Dinge zu erfahren und selbst umzusetzen. Dies hat Michel de Montaigne in folgender Weise beschrieben: „Die Briefe von Philosophen wie Epikur und Seneca sind nicht leer und inhaltlos, sie haben ihren Wert nicht nur in der feinen Wortwahl, in der richtig angeordneten und rhythmisierten Ausdrucksfülle, sondern sie stecken voll von schönen weisen Reden, durch die man nicht zungenfertiger, sondern klüger wird, und die uns nicht lehren, richtig zu reden, sondern richtig zu handeln.“7

Ein weiteres zentrales Merkmal des Epikureismus ist der Fokus auf das gegenwärtige Leben. Die Lehre rät uns, im Hier und Jetzt zu leben, anstatt das Lebensende zu „fürchten“. Übertragen auf die heutige Lebenspraxis bedeutet dies, dass ein starker Gegenwartsbezug zur Förderung der Resilienz beiträgt. Leben im Hier und Jetzt führt dazu, dass man sich bewusst auf seine Lebensgestaltung konzentrieren kann. Nur in der Vergangenheit zu verweilen, schmälert die Erlebnisfähigkeit in der Gegenwart und kann mutlos machen, während nur in der Zukunft zu leben, blind für die Gegenwart macht und verhindert, dass man sein Leben aktiv gestaltet. Hier kommt ein weiteres Konzept ins Spiel: Akzeptanz. Wenn wir uns von Vergangenem lösen und nicht mehr klagen, setzen wir Energie für die Gegenwart frei.

Auch Bezüge zum Konzept der Achtsamkeit lassen sich herstellen. Übertragen auf unseren gegenwärtigen Lebenskontext empfehlen die Epikuräer, den Moment zu genießen, ohne sich Gedanken über unangenehme Ereignisse in der Zukunft zu machen, den Tod zu fürchten oder sich auf ein Leben im Jenseits zu fokussieren. „Lebe im Augenblick“ – eine Haltung, die in unserer gegenwärtigen Gesellschaft mutmaßlich immer schwerer zu erreichen ist. Die Errungenschaft unseres Gehirns, Vergangenheit und Zukunft betrachten zu können, entpuppt sich in diesem Zusammenhang als Nachteil. Wir sind immer in Gedanken, sogar jetzt, wenn Sie dieses Buch lesen, werden Sie vermutlich immer wieder zu früheren Erfahrungen oder anderen Überlegungen abgleiten. Doch gedankliche Präsenz ist für unsere psychische Gesundheit und Lebenszufriedenheit bedeutend. Zur Stärkung der Resilienz gehört es also auch, im Moment zu leben, sich nicht permanent Sorgen um die Zukunft zu machen und regelmäßig positive Emotionen wie Stolz, Fröhlichkeit, Zuversicht, Lust, Neugierde, Befriedigung oder Wohlbehagen zu erleben. Und das kann man wie einen Muskel trainieren.

Wie kann das funktionieren? – Erste Ideen

Schärfen Sie Ihre Wahrnehmung aktiv auf Freuden des Alltäglichen: Trainieren Sie, Dankbarkeit zu empfinden, trotz einer schwierigen Lebenslage, indem Sie das Selbstverständliche wieder bewusst wahrnehmen, wechseln Sie Ihre Perspektive – zum Beispiel in Richtung einer humorvollen Betrachtung –, um Abstand von unveränderbaren Dingen zu gewinnen, oder bauen Sie Neugierde für Lösungswege in verfahrenen Lebenslagen auf, die Sie bisher nicht betrachtet haben. Es geht also darum, zeitgleich zu stressvollen Lebensereignissen positive Gefühle zu generieren und sich in Flexibilität zu üben.8 Diese Flexibilität können Sie schon mit einer kleinen Übung auf gedanklicher Ebene beginnen: Erinnern Sie sich jeden Abend vor dem Einschlafen an drei lustige, schöne oder bedeutungsvolle Geschehnisse, die Ihnen widerfahren sind. Oder fragen Sie sich am Morgen: „Worauf kann ich mich heute freuen? Was kann ich tun, damit es ein guter Tag wird?“ Denn worüber wir denken, hat eine große Macht über unsere geistige Verfassung und auch über unseren Körper und unsere Verhaltensweisen. Sie können erkennen lernen, wie Gedanken, Überzeugungen und Verhaltensweisen Ihre Gefühle beeinflussen. Wenn Sie dieses Prinzip einmal verstanden haben, können Sie daran arbeiten, Ihr Denken und Verhalten zu ändern, um schwierige Situationen zum Besseren zu wenden.

Die Wechselwirkung von Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen ist der Kern der kognitiven Verhaltenstherapie. Wenn Ihnen etwas Belastendes zustößt wie etwa ein Autounfall oder eine Niederlage im Job, vermuten Sie, dass es das Ereignis war, das sie misslich stimmt. Zum Teil stimmt das auch. Die Betonung liegt aber auf zum Teil, denn zu einem großen Ausmaß bestimmen auch Ihre gedanklichen Bewertungen, welche Gefühle Sie mit dem Ereignis in Verbindung bringen. Die persönliche Bedeutung, die Sie Ereignissen zuschreiben, bestimmen die Beschaffenheit Ihrer Gefühlslage und dauerhaft auch Ihr Verhalten. Häufig schreiben wir Ereignissen wirklichkeitsferne, unzutreffende oder nicht förderliche Bedeutungen zu und fühlen uns schlecht und werden handlungsunfähig. Wie wir die Wechselwirkung zwischen Gedanken, Gefühlen und Handlungen im Sinne der psychischen Gesundheit für uns nutzen können, lernen Sie in den folgenden Kapiteln. Schon Epiktet wies darauf hin: „Nicht die Dinge selbst, sondern die Meinungen von den Dingen beunruhigen die Menschen.“9

Nach diesem Kurztrip durch knapp 2500 Jahre abendländischer Philosophie, die noch viele weitere wertvolle und zu Unrecht etwas in Vergessenheit geratene Quellen zu Resilienzthemen zu bieten hat, wenden wir uns jetzt den Ursprüngen der Forschungsgeschichte zu.

Die Bestimmung des Begriffs

Der Begriff wird in verschiedenen Forschungsdisziplinen und Lebensbereichen verwendet – in der Psychologie, Neurobiologie, den Gesundheitswissenschaften, der Soziologie bis hin zu den Politikwissenschaften oder der Urbanistik, um nur einige wichtige Disziplinen zu nennen. Entsprechend wird der Begriff auch mit ganz unterschiedlichen Konnotationen benutzt und in diversen Kontexten eingesetzt (z. B. Individuen, Unternehmen, Gesellschaften, Volkswirtschaften, Regionen, Ökosystemen). Disziplinübergreifend bezeichnet Resilienz die Toleranz von Systemen gegenüber Störungen.

Kern der meisten Definitionen ist der Aspekt, dass resiliente Systeme dynamische Anpassungsprozesse durchlaufen und Strategien besitzen, um riskante Umstände zu umgehen, Störungen frühzeitig zu erfassen und ihre Bedarfe zu erweitern, sodass sie sich nach Veränderungsprozessen reorganisieren können.

Ann Masten und Jelena Obradovic, zwei renommierte Resilienzforscherinnen aus den USA, begreifen Resilienz entsprechend als ein übergeordnetes hypothetisches Dachkonstrukt, worunter je nach Fachbereich und Forschungsschwerpunkt diverse Facetten der psychischen Widerstandskraft beleuchtet werden.10

In der psychologischen Resilienzforschung wird unter Resilienz weitgehend die psychische Widerstandsfähigkeit von Menschen verstanden, die angesichts stressvoller Lebensereignisse ihre psychische Gesundheit beibehalten. Der deutsche Resilienzforscher Raffael Kalisch und seine Kolleginnen und Kollegen vom Leibniz-Institut für Resilienzforschung (LIR) in Mainz greifen zu folgender Definition: „Psychische Resilienz bezeichnet die Aufrechterhaltung beziehungsweise rasche Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während oder nach stressvoller Lebensereignisse.“511

Die meisten Definitionen von Resilienz unterscheiden drei Subtypen, die unterschiedliche Bewältigungsverläufe skizzieren und die man sich mithilfe der Analogie eines dem Sturm ausgesetzten Baumes vergegenwärtigen kann.12 Stellen Sie sich für den Umgang mit einer stressvollen Situation einen Baum vor, der einer massiven Sturmeinwirkung trotzt und eine so starke Struktur aufweist, dass er den Sturm unbeschadet übersteht. Dann spricht man von Resistenz. Denkbar ist auch, dass der Baum durchgeschüttelt wird und seine Äste sich verbiegen, jedoch nach dem Sturm wieder in ihre ursprüngliche Form zurückkehren (Regeneration). Möglich wäre auch, dass der Baum sich durch den Sturm in seiner Form verändert, seine Äste eine neue Wuchsrichtung einnehmen, die zukünftigen Stürmen weniger Angriffsfläche bieten (Rekonfiguration). Alle drei Reaktionen sind als resiliente Reaktionen definierbar.

Versteht man Resilienz als Stressresistenz, behalten laut George A. Bonanno,13 einem Pionier der Resilienzforschung und Professor für klinische Psychologie an der Columbia University (USA), die Mehrzahl der Menschen auch in Konfrontation mit teils massiven Stresseinwirkungen eine intakte psychische Verfassung. Seine Forschungsgruppe zeigt dies anhand diverser Studien auf, in denen ein Großteil der Studienteilnehmenden, die schwerwiegenden Belastungen ausgesetzte waren wie etwa dem Tod naher Angehöriger (50 Prozent) oder auch potenziell traumatisierenden Ereignissen wie den Terroranschlägen des 11. September (65 Prozent), keine schwerwiegenden psychischen Belastungen entwickelten.1415

Regeneration wiederum bedeutet die Fähigkeit, nach einem lebensbelastenden Ereignis mit einem gewissen zeitlichen Abstand ohne größere Schwierigkeiten seine psychische Stabilität wiederzuerlangen.16 In dieser Definition wird der selbstregulative Kern eines Systems oder Individuums betont, der es ermöglicht, in einen ausgeglichenen Zustand (Homöostase) wiederzukehren.

Unter Rekonfiguration wird die Fähigkeit eines Menschen bezeichnet, durch Bewältigung einer traumatischen Erfahrung Verhaltensweisen oder gedankliche Strukturen, Meinungen, Einstellungen oder Absichten konstruktiv zu verändern.17 Diese Facette der Resilienz wird häufig im Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen diskutiert, die unter schweren Lebensbedingungen enorme Anpassungsleistungen entwickeln.18 Im Erwachsenenalter wird diese Form der Resilienz oft mit dem Konstrukt der posttraumatischen Reifung in Verbindung gebracht. Der Begriff posttraumatische Reifung geht auf die Psychologen Richard G. Tedeschi und Lawrence G. Calhoun (1995) zurück.19 Er bezeichnet die subjektive Erfahrung positiver psychologischer Veränderungen nach einem traumatischen Ereignis, das zur Erschütterung der grundlegenden Annahmen über das Leben und die Welt geführt hat.

Wie Sie merken, ist die Definition und folglich auch die Erfassung von Resilienz sehr heterogen. Das hat unter anderem mit dem stetigen Wandel des Konzepts in den letzten 30 Jahren zu tun. Zu Beginn der Resilienzforschung verstand man unter Resilienz eine natürliche Veranlagung beziehungsweise ein stabiles Charaktermerkmal.11 Diese Sichtweise konnte jedoch keinen substanziellen Beitrag zur Klärung des Resilienzphänomens bringen.20

Resilienz wird stattdessen in den letzten Jahren vor allem als Ergebnis beziehungsweise Produkt eines Adaptionsprozesses an ein belastendes Ereignis verstanden.51121 Auch die empirische Forschungsevidenz spricht zunehmend für diese Vorstellung.11 Menschen verändern sich folglich durch die Auseinandersetzung mit herausfordernden Lebensereignissen, sei es, dass sie ihre Einstellungen und Auffassungen widerrufen, neue Stärken entfalten oder durch die Erfahrungen mit stressvollen Ereignissen für zukünftige Auswirkungen von belastenden Begebenheiten gewappnet sind. Und zuletzt kommt es auch zu sogenannten epigenetischen Veränderungen.

Epigenetik beschreibt dabei durch Umwelteinflüsse und Erfahrungen hervorgerufene molekulare Veränderungen an der DNA (Desoxyribonukleinsäure) oder an Proteinen, die den Aktivitätszustand der Gene beeinflussen. Neue Studien zeigen auf, dass epigenetische Mechanismen unsere Reaktionen hinsichtlich andauerndem Stress nicht nur für wenige Stunden oder Monate, sondern auch über Jahre hinweg oder gar ein Leben lang formen. Die Verbindung zwischen Verhaltensreaktionen und epigenetischen Mechanismen zu enträtseln, eröffnet ganz neue Möglichkeiten für die Interventionsentwicklung, um die Folgen von Stress zu entschärfen und die Resilienz von Menschen zu fördern. Der Biologe Rudolf Jaenisch beschreibt Epigenetik als den „Mechanismus der Evolution, wie sich das Erbgut mit der Umwelt unterhält“.22 Doch mehr dazu erfahren Sie in Kapitel 3.

Die Entstehungsgeschichte

Um den Resilienzbegriff und die Faszination, die dieses Konzept auslöst, zu begreifen, ist es sinnvoll, sich mit dessen Entstehungsgeschichte auseinanderzusetzen. Die Resilienzforschung entwickelte sich zunächst in den USA und fand erst bedeutend später den Weg nach Europa und Deutschland. Den Beginn der Resilienzforschung läuteten Studien ein, die die Erkenntnis förderten, dass Entwicklungsrisiken wie etwa chronische Armut, Trennungserlebnisse oder gar familiäre Gewalt bis hin zu traumatischen Migrationserfahrungen nicht unabwendbar in psychischen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten münden müssen.

Mehrere Forschungspioniere konnten in ihren Studien feststellen, dass negative Lebensumstände nicht zwingend zu psychischen Beeinträchtigungen führen.2324 Norman Garmezy (1918–2009), der vor allem mit seinen Arbeiten als Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Minnesota häufig als Urvater der Resilienzforschung angeführt wird, zeigte in seinen Studien (Minnesota Risk Research Project) und den daran anschließenden Forschungen, dass Kinder von psychisch erkrankten Eltern zu erfolgreichen und glücklichen Erwachsenen heranwachsen können. Darüber hinaus kam er zu der Erkenntnis, dass die Herausbildung von Resilienz in engem Zusammenhang mit der Anzahl der zu bewältigenden Risiken und den jeweils erreichbaren Schutzfaktoren zu sehen ist.25–27 Glen Elder, ein amerikanischer Soziologe und Psychologe, integrierte den Resilienzbegriff in die Pädagogik. Er forschte über die Folgen von Armut auf die Entwicklung von Kindern. In seinem bedeutendsten Werk „Children of the Great Depression“ aus dem Jahr 197428 (gemeint war der Kurssturz in New York, 1929) führt er aus, dass resiliente Kinder sich nicht als Opfer ihres Lebens empfinden, sondern als selbstwirksame Akteure und Schöpfer.

Häufig wird eine Pionierstudie hervorgehoben, die von Emmy Werner über 40 Jahre hinweg auf der hawaiianischen Insel Kauai an einer Teilnehmergruppe eines Geburtsjahrgangs durchgeführt wurde.29–31