Richtig essen, länger leben – Eat to Beat Disease - William W. Li - E-Book

Richtig essen, länger leben – Eat to Beat Disease E-Book

William W. Li

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Beschreibung

Unser Körper ist in der Lage, sich aus eigener Kraft gegen Bedrohungen durch Krankheiten zur Wehr zu setzen. 5 ausgeklügelte Verteidigungssysteme bekämpfen Krebs, Herz-Erkrankungen, Übergewicht und andere Zivilisationskrankheiten: Angiogenese (die Bildung neuer Blutgefäße), Zellregeneration, das Mikrobiom, DNA-Schutz und das Immunsystem. Die direkte Auswirkung unserer Ernährung auf diese Superkräfte unseres Körpers wurde bisher unterschätzt, obwohl sie in der Therapie bereits wirkungsvoll eingesetzt wird. In Richtig essen, länger leben gibt es mehr als 200 wirkungsmächtige Lebensmittel zu entdecken, die wir in unseren Speiseplan aufnehmen können, um unsere ganz persönlichen Risiken zu minimieren und dem Körper zu helfen, Erkrankungen vorzubeugen. Hier geht es nicht um eine Diät oder um Verzicht. Mit einem einfachen 5³-System werden 5 Lieblingsnahrungsmittel identifiziert, in 5 Mahlzeiten am Tag integriert und damit die 5 Verteidigungssysteme des Körpers nachweislich gezielt unterstützt.

Mit zahlreichen einfachen, schmackhaften Rezepten, in denen die wichtigsten Zutaten enthalten sind.

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Seitenzahl: 723

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Das Buch

Unser Körper ist in der Lage, sich aus eigener Kraft gegen Bedrohungen durch Krankheiten zur Wehr zu setzen. Fünf ausgeklügelte Verteidigungssysteme bekämpfen Krebs, Herzerkrankungen, Übergewicht und andere Zivilisationskrankheiten: Angiogenese (die Bildung neuer Blutgefäße), Zellregeneration, das Mikrobiom, DNASchutz und das Immunsystem. Die direkte Auswirkung unserer Ernährung auf diese Superkräfte unseres Körpers wurde bisher unterschätzt, obwohl sie in der Therapie bereits wirkungsvoll eingesetzt wird. In Richtig essen, länger leben gibt es mehr als 200 wirkungsmächtige Lebensmittel zu entdecken, die wir in unseren Speiseplan aufnehmen können, um unsere ganz persönlichen Risiken zu minimieren und dem Körper zu helfen, Erkrankungen vorzubeugen. Hier geht es nicht um eine Diät oder um Verzicht. Mit einem einfachen 5³-System werden 5 Lieblingsnahrungsmittel identifiziert, in 5 Mahlzeiten am Tag integriert und damit die 5 Verteidigungssysteme des Körpers nachweislich gezielt unterstützt.

Der Autor

William Li ist als Arzt und Wissenschaftler international für seine Forschung in der Ernährungsmedizin bekannt. Als Mitbegründer der Angiogenesis Foundation ist er Vorreiter eines neuen Feldes der Krankheitsbekämpfung. Seinen TED Talk »Can we eat to starve cancer?« sahen Millionen Menschen. Dr. Li unterrichtete an der Harvard Medical School, der Tufts University und der Dartmouth Medical School und arbeitete mit dem Weißen Haus, der Clinton Global Initiative und Unternehmen sowie renommierten Universitäten auf der ganzen Welt zusammen.

Dr. med. William Li

RICHTIGESSEN, LÄNGERLEBEN – EATTOBEATDISEASE

Die 5 Verteidigungssysteme des Körpers – wie die richtigen Nahrungsmittel Ihr Leben retten können

Aus dem Amerikanischen von Katy Albrecht

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Eat to Beat Disease: The New Science of How Your Body Can Heal Itself« bei Grand Central Publishing, Hachette Book GroupDieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.Copyright © 2019 by William W. Li, MD© der deutschsprachigen Ausgabe 2020 by Wilhelm Heyne Verlagin der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 MünchenRedaktion: Angelika LiekeCovergestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich unter Verwendung eines Entwurfs von Pete Garceau, Hanover, NH 03755Herstellung: Helga SchörnigSatz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, MünchenISBN978-3-641-23919-0V003www.heyne.de

Dieses Buch ist meiner Familie gewidmet sowie meinen Mentoren und den Patienten, die mich angespornt haben, die Gesundheit der Zukunft schon heute denen zu vermitteln, die sie jetzt brauchen.

INHALT

Einleitung

Teil I

Kapitel 1: Angiogenese

Kapitel 2: Regeneration durch Stammzellen

Kapitel 3: Mikrobiom und Darmflora

Kapitel 4: DNA-Schutz

Kapitel 5: Immunsystem

Teil II

Kapitel 6: Wie wir Krankheiten aushungern und die Gesundheit nähren

Kapitel 7: Wie wir unsere Gesundheit regenerieren

Kapitel 8: Wie wir unser inneres Ökosystem gut versorgen

Kapitel 9: Wie wir über unser genetisches Schicksal selbst bestimmen

Kapitel 10: Wie wir die Kommandozentrale unseres Immunsystems aktivieren

Teil III

Kapitel 11: Das 5 × 5 × 5-Gerüst: richtig essen, länger leben

Kapitel 12: Umdenken in der Küche

Kapitel 13: Aussergewöhnliche Nahrungsmittel

Kapitel 14: Musterspeiseplan und Rezepte

Kapitel 15: Nahrungsmittel richtig dosieren

Anmerkungen zur Forschung

Anhang A: Das 5 × 5 × 5-Gerüst

Anhang B: Risikobewertung

Anksagung

Der Autor

Anmerkungen

Register

EINLEITUNG

Wir stehen heute an einem Wendepunkt im Kampf gegen Krankheiten. Jeder von uns hat jederzeit die Möglichkeit, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen und mithilfe der Ernährung seine Gesundheit zu beeinflussen. Wir können heute selbst wählen, was wir essen und trinken wollen, und haben nun auch die Gelegenheit, diese Entscheidungen auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschungen zu treffen. Heutzutage werden Lebensmittel nämlich umfassend und mit denselben Verfahren getestet, die normalerweise zur Entwicklung und Prüfung von Medikamenten verwendet werden. Die Ergebnisse dieser Testverfahren belegen, dass unsere Lebensmittel unsere Gesundheit auf einzigartige Weise beeinflussen.

Zunächst aber möchte ich mich kurz vorstellen: Ich bin Arzt, genauer gesagt Internist, und arbeite zusätzlich in der medizinischen Forschung. Ich habe Biochemie studiert (heute nennt man das Molekular- und Zellbiologie) und danach die erste Hälfte meines Berufslebens in der Welt der Biotechnologie verbracht. In den vergangenen 25 Jahren habe ich zudem die Non-Profit-Organisation Angiogenesis Foundation geleitet, die ich 1994 mitgegründet habe. Das Ziel der Angiogenesis Foundation ist es, die Gesundheit der Menschen weltweit zu verbessern, indem wir uns auf den »gemeinsamen Nenner« zahlreicher Krankheiten konzentrieren: die Angiogenese. Dies ist der Prozess, mit dem unser Körper neue Blutgefäße produziert.

Für mich als Wissenschaftler ist die Suche nach dem gemeinsamen Nenner unterschiedlicher Krankheiten schon lange ein Steckenpferd. Die meisten Forschungsvorhaben suchen nach Heilungsmöglichkeiten, indem sie die Einzigartigkeit einer bestimmten Krankheit herausarbeiten und versuchen, das eine Merkmal aufzuspüren, das diese von allen anderen Krankheiten unterscheidet. Ich arbeite genau umgekehrt: Da ich nach dem gemeinsamen Nenner vieler Krankheiten gesucht habe, um daraus neue Behandlungsmöglichkeiten abzuleiten, habe ich erkannt, dass man auf diese Weise nicht nur eine einzige Krankheit behandeln kann, sondern viele verschiedene Krankheiten gleichzeitig.

Bereits am Anfang meines Berufslebens habe ich beschlossen, mich mit Angiogenese zu beschäftigen. Blutgefäße sind ja ein entscheidender Faktor für die Gesundheit, denn sie transportieren Sauerstoff und Nährstoffe in jede Zelle unseres Körpers. Mein Mentor in Harvard war Judah Folkman, ein ebenso großartiger Arzt wie Wissenschaftler, der als Erster auf die Idee kam, sich jene Blutgefäße einmal näher anzusehen, die untypisch reagieren und dadurch Krebs fördern. So konnte er Krebspatienten auf eine ganz neue Weise behandeln. Eine fehlgeleitete Angiogenese, also eine Über- oder Unterproduktion neuer Blutgefäße, ist nämlich nicht nur bei Krebs ein Problem, sondern auch der gemeinsame Nenner, der diese Krankheit mit mehr als 70 anderen verbindet, darunter die häufigsten Todesursachen unserer Zeit: Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes, Alzheimer, Übergewicht und viele mehr. Im Jahr 1993 kam mir dann ein entscheidender Gedanke: Was wäre, wenn man einzig durch Überwachung der Entwicklung von Blutgefäßen all diese schweren Krankheiten behandeln könnte?

Und genau daran hat die Angiogenesis Foundation in den vergangenen 25 Jahren gemeinsam mit zahlreichen hervorragenden Ärzten, Wissenschaftlern und Unterstützern gearbeitet. Wir haben Forschungsarbeiten koordiniert und uns für neue Behandlungsmethoden mit dem Grundgedanken des gemeinsamen Nenners eingesetzt. Wir haben nicht nur mit mehr als 300 sehr klugen Wissenschaftlern und Klinikern aus Nordamerika, Europa, Asien, Australien und Lateinamerika zusammengearbeitet, sondern auch mit mehr als 100 fortschrittlichen Unternehmen, die in der Biotechnologie, der Entwicklung von Medizinprodukten sowie im Bereich diagnostischer und bildgebender Verfahren tätig sind. Hinzu kamen noch Visionäre der National Institutes of Health, der Food and Drug Administration und anderer großer Gesundheitsorganisationen aus der ganzen Welt.

Es gibt bereits einige Erfolge zu verbuchen, beispielsweise konnte durch diese Zusammenarbeit ein neues Feld der Medizin erschlossen werden, die antiangiogenetische Therapie. Mithilfe einiger der neuen Behandlungsmethoden werden die Blutgefäße daran gehindert, in erkranktem Gewebe weiter zu wachsen, wie es bei Krebs der Fall ist oder auch bei Augenkrankheiten, die zur Erblindung führen, wie die neovaskuläre altersbedingte Makuladegeneration oder die diabetische Retinopathie. Andere neuartige Behandlungsmethoden, die die medizinische Praxis verändert haben, führen dazu, dass die Blutgefäße sich in gesundem Gewebe ausbreiten, wie es beim diabetischen Fuß und bei chronisch-venöser Insuffizienz notwendig ist. Heute stehen uns mehr als 32 von der Food and Drug Administration zugelassene Medikamente, Medizinprodukte und Gewebeprodukte zur Verfügung, die alle auf die Angiogeneseforschung zurückgehen.

Es ist noch gar nicht so lange her, da waren diese Methoden kaum mehr als Ideen und Hoffnungsschimmer am Horizont. Inzwischen haben sie in der Onkologie, der Augenheilkunde und der Wundversorgung neue Maßstäbe gesetzt und dazu beigetragen, dass die Patienten ein besseres und längeres Leben führen können. Sogar mit Veterinärmedizinern haben wir zusammengearbeitet und gemeinsam neue Heilmethoden entwickelt, die Hunden, Delfinen, Korallenfischen, Raubvögeln, einem Nashorn und sogar einem Eisbären das Leben gerettet haben. Ich bin stolz darauf, an diesen wissenschaftlichen Errungenschaften mitgearbeitet zu haben, und bin sicher, dass wir – angesichts von derzeit mehr als 1500 laufenden klinischen Versuchsreihen – noch viel mehr erreichen werden.

***

Trotz all dieser Erfolge bleibt die ernüchternde Tatsache bestehen, dass die Zahl der Neuerkrankungen rasant ansteigt. Die größten Gefahren stellen weltweit nicht übertragbare Krankheiten wie Krebs, Herzerkrankungen, Schlaganfall, Diabetes, Übergewicht und Neurodegenerative Erkrankungen dar. Jeder von uns kennt jemanden, der von einer dieser Krankheiten betroffen ist oder war. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO (World Health Organization) sind im Jahr 2015 17,7 Millionen Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen gestorben, 8,8 Millionen an Krebs und 1,8 Millionen an Diabetes.

Trotz bedeutender Fortschritte bei der Behandlung dieser Krankheiten und der Medikamenten-Zulassungen durch die FDA (Food and Drug Administration), kann die Behandlung allein keine nachhaltige Lösung im Umgang mit nicht übertragbaren Krankheiten sein, unter anderem deshalb nicht, weil neue Medikamente so immens teuer sind. Die Entwicklung eines einzigen neuen Biotech-Medikaments kann mehr als zwei Milliarden Dollar verschlingen. Der finanzielle Aufwand für den Einsatz eines neuen, gerade erst von der FDA zugelassenen Medikaments ist gigantisch; er liegt zwischen 200 000 und 900 000 Dollar pro Jahr. Natürlich kann sich das nicht jeder Patient und nicht jede Praxis oder Klinik leisten, deshalb können diejenigen, die sie am dringendsten benötigen, meist gar nicht von den neuesten Behandlungsmethoden profitieren. Und das alles, während unsere stetig wachsende und immer älter werdende Weltbevölkerung zunehmend kränker wird.

Die medikamentöse Behandlung allein kann also unsere Gesundheit nicht erhalten. Daraus ergibt sich die Frage, wie wir von vornherein Krankheiten besser vorbeugen können, statt sie später heilen zu müssen. Die neue Antwort lautet: Ernährung. Jeder Arzt weiß, dass ungesunde Ernährung eng mit vermeidbaren Krankheiten verbunden ist, und die Ernährung gewinnt als Thema in der Medizin zunehmend an Bedeutung. Einige besonders fortschrittliche medizinische Fakultäten haben bereits ernährungswissenschaftliche Kurse in den Lehrplan für künftige Ärzte aufgenommen. Nahrungsmittel sind für alle zugänglich, und eine Ernährungsumstellung erfordert keine teure medikamentöse Behandlung.

Allerdings sind nicht viele Ärzte in der Lage, mit ihren Patienten über eine gesunde Ernährung zu sprechen. Das ist nicht ihr Fehler, es liegt vielmehr daran, dass sie selbst ernährungswissenschaftlich nicht ausreichend geschult worden sind. Der Harvard-Professor David Eisenberg hat herausgefunden, dass Ernährungslehre nur in jeder fünften medizinischen Fakultät der USA ein Pflichtfach ist. Im Durchschnitt bieten die Universitäten ihren Medizinstudenten insgesamt 19 Kursstunden zu ernährungswissenschaftlichen Themen an, und auch für Doktoranden und bereits praktizierende Ärzte gibt es nach dem Studium nur wenige Fortbildungsmöglichkeiten in diesem Bereich.

Was das Problem aber noch verschärft, ist die Tatsache, dass die wissenschaftlichen Fachbereiche, die sich mit der Ernährung einerseits und der Gesundheit andererseits beschäftigen, in der Vergangenheit alle unabhängig voneinander gearbeitet und sich als eigene Wissenschaftsfelder entwickelt haben. Ein Lebensmitteltechniker beschäftigt sich mit den chemischen und physikalischen Eigenschaften essbarer Stoffe. Biowissenschaftler beschäftigen sich mit lebenden Organismen, einschließlich Menschen. Epidemiologen beschäftigen sich mit dem Gesundheitszustand ganzer Bevölkerungsgruppen. Jedes Wissenschaftsfeld liefert interessante Perspektiven und Ansätze, doch nur selten berühren sich diese Felder so, dass sie tatsächlich praktische Antworten auf Fragen wie diese finden: Welche Lebensmittel und Getränke könnten für die Gesundheit der Menschen förderlich sein? In welcher Dosierung? Welcher Inhaltsstoff ist für diese Wirkung verantwortlich?

Das bedeutet nun für jeden Einzelnen von uns, dass unser Arzt, der sicher hervorragend ausgebildet ist und über großes medizinisches Wissen verfügt, wahrscheinlich dennoch nicht genau weiß, was wir essen müssen, um einer Krankheit den Kampf anzusagen.

Genau das habe ich selbst als Arzt erlebt, als ich in einem Veteranenkrankenhaus ältere Patienten behandelt habe. Ich habe mich oft gefragt, was mit ihrem Körper passiert ist, denn diese Patienten waren einst Modellathleten, sie waren dazu ausgebildet, als Soldaten ihr Land zu verteidigen. Als ich sie Jahrzehnte später sah, waren viele übergewichtig, manche sogar adipös, etliche hatten Diabetes, Krebs oder waren mit schrecklichen Herz- oder Lungenkrankheiten geschlagen.

Als Arzt musste ich ihnen die schlechte Nachricht ihrer Diagnose überbringen. Und sie haben mich gefragt: »Wie schlimm ist es? Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? Wie lange habe ich noch?« Ich habe versucht, ihre Fragen so realistisch wie möglich zu beantworten. Und dann, kurz vor dem Rausgehen, haben sie sich noch einmal umgedreht und gefragt: »Gibt’s vielleicht irgendwas, was ich essen kann, das gut für mich ist?«

Auf diese Frage hatte ich keine Antwort, ganz einfach, weil mich weder Studium noch Beruf darauf vorbereitet hatten. Mir erschien diese Ausbildungslücke einfach untragbar, deshalb habe ich mich darangemacht, Antworten zu finden, die schließlich zu diesem Buch geführt haben.

***

Um aber ganz genau zu verstehen, in welcher Hinsicht die Ernährung für unsere Gesundheit gut sein kann, müssen wir zuerst genau klären, was Gesundheit eigentlich ist. Für die meisten Leute ist gesund sein identisch mit nicht krank sein. Tatsächlich ist Gesundheit aber sehr viel mehr, und wir müssen den Begriff »gesund« neu definieren.

Unsere Gesundheit ist im Grunde ein variabler Zustand, der durch eine ganze Reihe wunderbarer Verteidigungssysteme in unserem Körper geschützt wird, die vom ersten bis zum letzten Tag unseres Lebens aus allen Rohren feuern, damit unsere Zellen und Organe reibungslos funktionieren. Manche dieser Verteidigungssysteme haben so viel Einfluss, dass sie sogar Krankheiten wie Krebs rückgängig machen können. Zwar funktionieren sie als eigenständige Systeme nebeneinander, doch beeinflussen und unterstützen sie sich auch gegenseitig. Diese Verteidigungssysteme sind die gemeinsamen Nenner der Gesundheit. Wenn wir nun mit diesem neuen Ansatz Krankheiten vorbeugen und uns auf die gemeinsamen Nenner konzentrieren, können wir mit diesem umfassenden Konzept Krankheiten abfangen, noch bevor sie ausbrechen. Möglicherweise wird dieser Ansatz genauso einflussreich werden wie der vor 20 Jahren, als wir anfingen, gemeinsame Nenner herauszuarbeiten, um Krankheiten zu behandeln.

Fünf Verteidigungssysteme bilden die Stützen unserer Gesundheit. Und jedes dieser Verteidigungssysteme steht unter dem Einfluss unserer Ernährung. Wenn wir herausgefunden haben, mit welchen Nahrungsmitteln wir jedes unserer Verteidigungssysteme fördern können, wissen wir auch, wie wir mithilfe unserer Ernährung gesund bleiben und Krankheiten vorbeugen können.

Wenn ich heute andere Ärzte und Studenten über Ernährung und Gesundheit unterrichte, benutze ich das Bild einer Festung. Unser Körper ist wie eine mittelalterliche Burg, die nicht nur durch ihre steinernen Wände geschützt ist, sondern auch über eine ganze Reihe von weiteren, klug verankerten Verteidigungsanlagen verfügt. Tatsächlich waren diese Verteidigungsanlagen wie Erdwall, Fallgrube und Schießscharten für den Feind erst dann sichtbar, wenn er versuchte, sich Einlass zu verschaffen. Stellen wir uns unsere Verteidigungssysteme vor wie die versteckten Verteidigungsanlagen unserer Körper-Burg. Diese Systeme heilen den Körper von innen, sodass wir nun in der Lage sind, systematisch zu untersuchen, wie wir unsere Gesundheit fördern können.

Unsere fünf Verteidigungssysteme heißen Angiogenese, Regeneration, Mikrobiom/Darmflora, DNA-Schutz und Immunsystem.

Angiogenese

Unser Körper wird von Blutgefäßen durchzogen, die eine Gesamtlänge von fast 100 000 Kilometern haben. Sie transportieren Sauerstoff und Nährstoffe zu allen Zellen und Organen. Angiogenese ist der Prozess, bei dem Blutgefäße gebildet werden. Lebensmittel wie Soja, grüner Tee, Kaffee, Tomaten, Rotwein, Bier und auch Hartkäse können das Angiogenese-Verteidigungssystem stärken.

Regeneration

Unser Körper erneuert sich täglich selbst. Und zwar dadurch, dass jeden Tag in unserem Knochenmark, den Lungen, der Leber und fast allen Organen rund 750 000 Stammzellen ausgeschüttet werden. Diese Stammzellen halten unseren Körper instand, reparieren und erneuern ihn unser ganzes Leben hindurch immer wieder. Einige Lebensmittel wie dunkle Schokolade, schwarzer Tee und Bier können sie mobilisieren und bei der Regeneration helfen. Andere Lebensmittel, beispielsweise die blaue Kartoffel, sind in der Lage, Stammzellen zu vernichten, die das Krebswachstum fördern.

Mikrobiom und Darmflora

In unserem Körper leben fast 40 Billionen Bakterien, die meisten sind damit beschäftigt, unsere Gesundheit zu verteidigen. Diese Bakterien produzieren aus den Nahrungsmitteln, die wir zu uns nehmen und an unseren Darm abgeben, nicht nur gesundheitsfördernde Stoffwechselprodukte, sondern sie überwachen auch unser Immunsystem, beeinflussen die Angiogenese und tragen dazu bei, jene Hormone zu produzieren, die unser Gehirn und unser Sozialverhalten steuern. Wir können unser Mikrobiom unterstützen, indem wir Nahrungsmittel wie Kimchi, Sauerkraut, Cheddarkäse und Sauerteigbrot zu uns nehmen.

DNA-Schutz

Unsere DNA ist unser genetischer Fingerabdruck, aber sie fungiert auch als Verteidigungssystem, denn sie verfügt über erstaunliche Reparaturmechanismen, die uns vor Schäden durch Sonnenstrahlen, Reinigungsmittel, Stress, Schlafstörungen, schlechte Ernährung und andere schlechte Einflüsse schützen. Gewisse Lebensmittel können die DNA nicht nur anregen, sich selbst zu reparieren, sondern manche stimulieren förderliche Gene sogar und hemmen schädliche, während wieder andere Lebensmittel unsere Telomere verlängern, jene Endkappen auf unseren Chromosomen, die unsere DNA schützen und den Alterungsprozess verlangsamen.

Immunsystem

Das Immunsystem schützt unsere Gesundheit auf eine ausgeklügelte Weise, die wesentlich komplexer ist, als wir bislang angenommen haben. Es wird durch unseren Darm beeinflusst und kann so gesteuert werden, dass es auch bei älteren Menschen Krebs erfolgreich bekämpft. Dank neuer Forschungsergebnisse wissen wir heute sehr viel mehr über unser Immunsystem. Nahrungsmittel wie Brombeeren, Walnüsse und Granatäpfel können unser Immunsystem ankurbeln, während andere Nahrungsmittel seine Aktivität hemmen und so dazu beitragen, die Symptome von Autoimmunkrankheiten zu lindern.

***

Dieses Buch möchte Ihnen Wissen zum Thema Ernährung vermitteln und genau das Werkzeug an die Hand geben, das Sie benötigen, um tagtäglich die richtigen Lebensmittel auszuwählen. Ich habe es geschrieben, damit Sie länger leben – mithilfe von Nahrungsmitteln, die Sie gerne essen. Wenn Sie fit und gesund sind und genau so bleiben wollen, ist dieses Buch das richtige für Sie. Wenn Sie das Gefühl haben, langsam älter zu werden, aber gesundheitlichen Einschränkungen vorbeugen und chronische Erkrankungen abwehren möchten, ist dieses Buch das richtige für Sie. Wenn Sie wie Millionen von Menschen mit einer Herzerkrankung, Diabetes, einer Autoimmunkrankheit oder einer anderen chronischen Erkrankung leben müssen, ist dieses Buch das richtige für Sie. Und falls Sie im Moment gegen eine bedrohliche Krankheit ankämpfen oder aufgrund Ihrer Familiengeschichte das Risiko besteht, dass dies irgendwann der Fall sein wird, ist dieses Buch das richtige für Sie.

Ich möchte aber noch einmal ausdrücklich betonen, dass dieses Buch keinen detaillierten Diätplan enthält. Es ist auch nicht meine Absicht, bestehende spezielle Ernährungspläne zu ersetzen, die Sie vielleicht befolgen, um abzunehmen, oder die Sie aufgrund einer Glutenallergie, eines zu hohen Blutzuckerspiegels, einer Alzheimererkrankung oder nach einem Herzinfarkt einhalten müssen. Ich möchte Sie mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen über Nahrungsmittel vertraut machen, die Sie in Ihren Ernährungsplan aufnehmen können, damit dieser noch wirkungsvoller wird. Genau dafür habe ich auch ein paar leckere Rezepte angefügt.

Jeder hat Angst vor Krankheiten. Wenn Sie vorhaben, gesund zu bleiben – und besonders dann, wenn Sie derzeit gegen eine Krankheit kämpfen müssen – , brauchen Sie verlässliche Informationen, die auf wissenschaftlichen Belegen und Tatsachen beruhen, und Sie möchten gangbare Wege aufgezeigt bekommen, die Sie sofort betreten können, um Ihre Lage zu verbessern. Die Ratschläge zu Nahrungsmitteln, die ich in diesem Buch gesammelt habe, sollen nicht etwa gute medizinische Hilfe ersetzen. Ich gehöre nämlich nicht zu den Ärzten, die westliche Biomedizin verteufeln und Ernährung für eine Zauberlösung halten. Ganz im Gegenteil: Bei Diagnose und Behandlung ist meine Ausbildung und Erfahrung als Internist der Maßstab für wohlüberlegten Einsatz evidenzbasierter Medizin, einschließlich operativer Eingriffe und hochmoderner Medikamente.

Was im Arzneikoffer der meisten Ärzte allerdings leider fehlt, ist die Fähigkeit, den einzelnen Menschen – egal ob krank oder gesund – dahingehend anzuleiten, dass dieser Nahrungsmittel gegen Krankheiten einsetzen kann. Unzählige Menschen haben ihren Arzt gefragt, was sie essen sollten, damit es ihnen besser geht, und entweder ein Achselzucken oder ein lapidares »alles, was Sie wollen« zur Antwort bekommen. Dieses Buch gibt Ihnen völlig andere und sehr viel ermutigendere Antworten.

Richtig essen, länger leben ist in drei Abschnitte unterteilt. In Teil I erzähle ich Ihnen die unglaubliche Geschichte von der Macht der Verteidigungssysteme: Wie sie entdeckt wurden, wie sie funktionieren und wie wir ihre Heilkräfte ankurbeln können. Besonders interessant ist dabei, dass Wissenschaftler heute unsere Nahrungsmittel mit den gleichen Geräten und Verfahren prüfen, mit denen sonst medikamentöse Anwendungen getestet werden. In Teil II lege ich dar, welche Nahrungsmittel die Verteidigungssysteme aktivieren – und dabei dürfen Sie sich auf ein paar Überraschungen gefasst machen. Ich werde Ihnen von faszinierenden Studien zu mehr als 200 Nahrungsmitteln erzählen, die alle unsere Gesundheit fördern. Und auch hier werden Sie bei einigen Ergebnissen große Augen machen. In Teil III stelle ich Ihnen einfache und praktische Möglichkeiten vor, wie Sie diese Nahrungsmittel in Ihren Alltag integrieren können. Ich habe ein praktisches Tool entwickelt, das 5 × 5 × 5-Gerüst, mit dem Sie Ihre Gesundheit ganz einfach verbessern können, indem Sie jeden Tag die Nahrungsmittel auswählen, die Ihnen schmecken.

Ich empfehle Ihnen, dieses Buch zuerst einmal komplett von Anfang bis Ende durchzulesen, damit Sie einen Überblick darüber bekommen, wie Sie sich am besten ernähren, um für sich selbst das Maximum herauszuholen.

Danach sollten Sie sich die zahlreichen Tabellen und Diagramme vornehmen, in denen die verschiedenen Lebensmittel und Getränke zusammen mit ihren positiven Wirkungsweisen vorgestellt werden. Achten Sie besonders auf Nahrungsmittel, von denen Sie genau wissen, dass Sie sie mögen, und auch auf diejenigen, die Sie vielleicht noch nicht probiert haben, die Sie aber interessieren. Man sollte überhaupt nur Dinge essen, die man mag und für die man sich interessiert.

Wenn Sie damit fertig sind, nehmen Sie sich bitte noch einmal Teil III vor, diesmal aber mit Papier und Bleistift in der Hand. Sie stellen sich nun Ihre eigene persönliche Favoritenliste zusammen und füllen die 5 × 5 × 5-Übersicht in Anhang A so aus wie in Kapitel 11 beschrieben. Dann geht es endlich los: Sie entscheiden mithilfe Ihres Arbeitsblattes, was Sie jeden Tag zu sich nehmen möchten, um sich vor Krankheiten zu schützen.

***

Es gibt keine Patentlösung, weder für irgendeine Krankheit noch für immerwährende Gesundheit oder ein langes Leben. Es gibt nicht den einen Faktor, der darüber entscheidet, ob man krank wird oder nicht. Meine Forschungen haben aber etwas viel Besseres ans Licht gebracht: Wir können unsere Verteidigungssysteme so mobilisieren, dass unser Körper sich selbst heilt. Diese Erkenntnisse haben uns gezeigt, was wir bislang massiv unterschätzt haben: die Tatsache, dass wir selbst in der Lage sind, Verantwortung für unsere Gesundheit zu übernehmen.

Da es sicherlich Ihr Ziel ist, möglichst viele Jahre lang gesund zu leben, können Sie mit der Auswahl Ihrer Nahrungsmittel maßgeblich dazu beitragen. Wenn wir unsere Verteidigungssysteme mobilisieren und immer gut in Schuss halten, haben wir erheblich bessere Chancen, mithilfe gesunder Ernährung unser Leben nicht nur länger, sondern auch sehr viel besser zu gestalten.

Unser ganzes Leben hindurch treffen wir bei der Auswahl unserer Nahrungsmittel Entscheidungen, jede einzelne davon ermöglicht es uns, gesund zu bleiben und dabei unser Leben maßgeblich zu verbessern. Wenn wir abends vor dem Schlafengehen noch mal kurz aufstehen und die Haustür abschließen oder wenn wir nachschauen, ob der Herd ausgeschaltet ist, bevor wir das Haus verlassen, folgen wir damit unserem gesunden Menschenverstand. Die gleichen Vorsichtsmaßnahmen sollten wir auch bei der Ernährung treffen. Kombiniert mit regelmäßiger Bewegung, erholsamem Schlaf, effektivem Stressmanagement und starken sozialen Bindungen kann unsere Ernährung dazu beitragen, dass jeder von uns so gesund wie möglich bleibt.

Wir machen heute so bewundernswerte und maßgebliche wissenschaftliche Fortschritte, dass eigentlich jeder Mensch ein gesundes Leben führen könnte. Trotz immer neuer hochmoderner Behandlungsmethoden erkranken Millionen von Menschen an nicht übertragbaren chronischen Krankheiten, und etliche sterben daran. In einer Welt steigender Gesundheitsausgaben sowie einer immer stärker belasteten Umwelt ist die Förderung der individuellen Gesundheit ein Thema, das uns alle angeht. Die erdrückenden Kosten medizinischer Behandlungen steigen immer weiter an, sodass eine gefährliche Gesamtsituation entsteht, welche die gesamte moderne Medizin an den Rand des Zusammenbruchs bringt. Es wäre also nur vernünftig, die Gesundheitsaufwendungen zu reduzieren, indem man verhindert, dass weiterhin so viele Menschen erkranken.

Mit den Nahrungsmitteln, die wir für uns selbst und unsere Lieben auswählen, kann jeder Einzelne von uns seinen Teil dazu beitragen, unsere Welt jeden Tag ein bisschen gesünder zu machen. Gesundsein ist mehr als nur nicht krank sein. Wir müssen endlich anfangen, uns jeden Tag so gut wie möglich zu ernähren. Bonne santé und bon appétit.

TEIL I

GESCHAFFENFÜREINGESUNDESLEBEN

Die natürlichen Verteidigungssysteme unseres Körpers

Die wirksamste Medizin ist die natürliche Heilkraft, die im Inneren eines jeden von uns liegt.

HIPPOKRATES

Gesundheit ist mehr als nur die Abwesenheit von Krankheit, sie ist vor allem ein aktiver Zustand. Unser Körper besitzt fünf Verteidigungssysteme zum Schutz unserer Gesundheit: Angiogenese, Regeneration durch Stammzellen, Mikrobiom/Darmflora, DNA-Schutz und Immunsystem. Diese fünf Systeme kümmern sich darum, unsere Gesundheit zu erhalten und den allgegenwärtigen Gefahren entgegenzuwirken, die täglich im Alltag auf uns einwirken; sie heilen uns, wenn unser Körper krankheitsbedingt Schaden genommen hat. Da wir wissen, dass diese Systeme unseren Körper wie eine Burg schützen, können wir uns ihre Heilkräfte zunutze machen, um ein längeres und gesünderes Leben führen zu können.

Jedem einzelnen dieser Verteidigungssysteme liegt eine faszinierende Geschichte von Forschung und Entdeckung zugrunde. Jedes dieser Systeme wird von einem bestens eingespielten Team aus Organen, Zellen, Proteinen und vielem mehr unterstützt. Und jedes stellt einen gemeinsamen Nenner dar, mit dem es nicht nur einer einzigen, sondern vielen Krankheiten vorbeugen kann. Alle fünf Verteidigungssysteme wirken so zusammen, dass sie unsere Gesundheit bestens schützen – und zwar vom ersten Moment im Leib unserer Mutter an bis zu unserem letzten Atemzug. Begleiten Sie mich in den folgenden fünf Kapiteln auf einer Kennenlerntour zu diesen fünf Verteidigungssystemen, und schauen wir uns gemeinsam an, was sie Gutes zu bieten haben.

KAPITEL 1 ANGIOGENESE

Im Körper eines jeden von uns wachsen Krebszellen. Wirklich in jedem, auch in Ihrem.

Während wissenschaftlicher Obduktionen von Menschen, bei denen nie Krebs diagnostiziert wurde, entdeckte man bei fast 40 Prozent der Frauen im Alter zwischen 40 und 50 mikroskopisch kleine Tumore in der Brust, fast die Hälfte aller Männer zwischen 50 und 60 hatte mikroskopisch kleinen Prostatakrebs, und fast 100 Prozent aller Menschen über 70 hatte mikroskopisch kleine Schilddrüsentumore.1 Solche Tumore entstehen, wenn gesunde Zellen bei der Zellteilung einen ganz natürlichen Fehler machen oder wenn die DNA einer Zelle durch Umwelteinflüsse verändert wird. In der DNA passieren jeden Tag bei der Zellteilung bis zu 10 000 solcher Fehler in unserem Körper, was bedeutet, dass die Entstehung von Krebszellen nicht nur ein normaler Vorgang ist, sondern sogar unvermeidlich.2 Dennoch ist so ein mikroskopisch kleiner Krebs völlig harmlos, die meisten davon werden auch nicht gefährlich. Sie fangen ganz klein an, kleiner als die Spitze eines Kugelschreibers, und solange sie nicht größer werden und in Organe eindringen, können sie sich auch nicht ausbreiten und lebensbedrohlich werden.

Unser Körper besitzt bemerkenswerte Verteidigungssysteme, die dafür sorgen, dass der mikroskopisch kleine Krebs auch klein bleibt und keinen Zugang zu Blutversorgung und Nährstoffen bekommt, die er zum Wachsen benötigt. Mit unserer Ernährung können wir dafür sorgen, dass diese Verteidigungssysteme fit und gesund bleiben. Es gibt mehr als 100 Nahrungsmittel, die unseren Körper so stärken, dass der Krebs hungert und diese Tumore klein und harmlos bleiben: beispielsweise Soja, Tomaten, Brombeeren, Granatäpfel und auch ein paar Überraschungen wie Süßholz, Bier und Käse. Wir finden die Waffen, mit denen unsere Verteidigungssysteme Tumore in Schach halten, im Supermarkt, auf dem Wochenmarkt und in unserem eigenen Garten.

Eines unserer Verteidigungssysteme, das den Krebs auf diese Weise abfangen kann, ist die Angiogenese, der Prozess, mit dem unser Körper Blutgefäße bildet und instand hält. Unter normalen Umständen sind Blutgefäße dazu da, Leben zu spenden, indem sie Sauerstoff und lebenswichtige Nährstoffe in all unsere Organe transportieren. Wenn sich jedoch krankhaft veränderte Blutgefäße bilden, können diese auch mikroskopisch kleinen Krebs nähren. Ein gesundes Angiogenese-System bestimmt, wann und wo neue Blutgefäße entstehen, und kann dafür sorgen, dass sich Tumore keine private Blutversorgung abzweigen, um so an den Sauerstoff zu kommen, den sie zum Wachsen benötigen. Wenn aber der Körper seine Blutgefäße nicht mehr unter Kontrolle halten kann, kommt es möglicherweise zu Erkrankungen, eventuell auch zu Krebs.

Solange aber das Angiogenese-System sorgfältig arbeitet, wachsen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort Blutgefäße, nicht zu viele, nicht zu wenige, eben genau die richtige Menge. Der Erhalt dieses Gleichgewichts im Blutkreislaufsystem ist von zentraler Bedeutung für den Gesundheitsschutz durch Angiogenese, weil es uns im sogenannten Homöostase-Zustand hält. Man spricht vom Zustand der Homöostase, wenn im Körper ein stabiles Gleichgewicht herrscht, das notwendig ist, damit der Körper nicht nur die normalen Funktionen erhalten, sondern sich auch auf schwankende Einflüsse von außen einstellen kann. Die Angiogenese ist für uns lebenswichtig, denn sie baut unser gesamtes Kreislaufsystem nicht nur auf und hält es instand, sondern passt es im Laufe unseres Lebens auch den unterschiedlichsten Gegebenheiten an, um unsere Gesundheit zu schützen.

Unsere Angiogenese ist ein so starkes Gesundheitsverteidigungssystem, das die Blutzufuhr zu Tumoren von selbst kappt, sodass Krebs nicht notwendigerweise eine tödliche Krankheit ist.3 In Teil II dieses Buches stelle ich Ihnen vor, welchen Einfluss die aktuelle Angiogenese-Forschung auf unser Wissen über Ernährung hat: welche Nahrungsmittel dafür sorgen, dass unsere Angiogenese die Homöostase erhält; was wir essen können, um Krebs auszuhungern; mit welchem Essen wir neue Blutgefäße wachsen lassen, die dann unser Herz stärken, oder wie wir tödliche Krankheiten abwenden, damit wir länger und gesünder leben. Um jedoch wirklich wertschätzen zu können, wie groß der Einfluss von Lebensmitteln auf die Angiogenese und unsere Gesundheit ist, sollten wir uns zuerst genau ansehen, was unsere Blutgefäße tagtäglich für uns leisten.

Die Arbeit der Angiogenese

In unserem Inneren verlaufen Blutgefäße mit einer Gesamtlänge von fast 100 000 Kilometern. Sie sorgen dafür, dass Sauerstoff und Nährstoffe an die Zellen geliefert werden, damit diese gesund bleiben. Es sind diese lebenswichtigen Gefäße, die unsere gesunden Organe versorgen und uns vor Krankheiten schützen. Würde man alle unsere Blutgefäße aneinanderreihen, würden sie zweimal um die Erde reichen. Erstaunlicherweise dauert es dennoch nur 60 Sekunden, einen Tropfen Blut vom Herzen durch den gesamten Körper und zurück zu pumpen.

Die kleinsten Blutgefäße sind die Kapillaren, sie sind dünner als ein Haar, und wir haben in unserem Körper 19 Milliarden davon. Die Kapillaren pflegen ein besonderes Verhältnis zu anderen Zellen, weil sie das Verbindungsstück zwischen dem Versorgungssystem der Blutgefäße und der Zelle sind. Sie stellen quasi die Endstücke dar, weswegen keine Zelle unseres Körpers weiter als 200 Mikrometer von einem Kapillargefäß entfernt ist.4 Das ist sehr nah, kaum mehr als eine Haaresbreite. Die Dichte und das Muster der Kapillargefäße variieren von Organ zu Organ, je nachdem, wofür das Organ zuständig ist und wie viel Blutzufluss benötigt wird. Unsere Muskeln brauchen beispielsweise sehr viel Sauerstoff, was bedeutet, dass sie eine viermal höhere Blutversorgung benötigen als unsere Knochen, die nur eine stabilisierende Funktion haben. Zu den versorgungsintensiven Organen mit hohem Blutbedarf zählen auch Gehirn, Herz, Nieren und Leber, die alle eine Kapillardichte von 3000 Blutgefäßen pro Kubikmillimeter aufweisen, was 30-mal so viel ist wie im Knochen.

Wenn man sie unter dem Mikroskop anschaut, sehen die Kapillargefäße wie winzige Kunstwerke aus, die an das jeweilige Organ angepasst wurden. Diejenigen, die unsere Haut versorgen, gleichen Klettverschlüssen, deren endlose Reihen von Gefäßhäkchen das Blut bereitstellen, das Wärme und Farbe an unsere Körperoberfläche bringt. Entlang unserer Nerven ziehen sich die Kapillargefäße wie Überlandleitungen vom Rückenmark bis zu den Fingerspitzen, sie versorgen die Nervenzellen und halten damit unsere Sinne wach. Im Dickdarm formen die Kapillargefäße ein wunderschön angeordnetes Wabenmuster, das sich mit dem Darm ausdehnen kann, wenn dieser sich mit Verdautem füllt. Dennoch bedecken diese Kapillaren so viel Fläche wie möglich, um Flüssigkeiten wieder in den Blutkreislauf aufzunehmen.

Die Bedeutung der Angiogenese ist für unser Leben derart entscheidend, dass sie bereits vor der Empfängnis beginnt, denn wenn das Sperma auf eine Eizelle trifft, ist die Gebärmutterschleimhaut schon bereit und mit neuen Blutgefäßen ausgestattet, die das befruchtete Ei aufnehmen und versorgen. Falls keine Schwangerschaft zustande kommt, wird diese Erstausstattung jeden Monat während der Menstruation abgestoßen. Falls sich aber ein befruchtetes Ei einnistet, stellen diese Blutgefäße die Erstversorgung für den entstehenden Fötus. Etwa acht Tage nach dem Einnisten bildet sich mit der Plazenta ein neues Gefäßorgan, das Blut von der Mutter zum Fötus transportiert.5 In den folgenden neun Monaten finden beim Fötus eine ganze Reihe von Angiogeneseprozessen statt, die bei null anfangen, ein komplettes Kreislaufsystem aufzubauen und dann jedes einzelne Organ im entstehenden Körper zu füllen. Wenn sich der Körper gegen Ende der Schwangerschaft auf die Geburt vorbereitet, schüttet die Plazenta mit dem vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor VEGFR-1 einen natürlichen Anti-Angiogenesestoff aus, der das Gefäßneuwachstum verlangsamt. Diese Fähigkeit des An- und Abschaltens ist das Kennzeichen der Angiogenese im Dienste unserer Gesundheit, und zwar nicht nur, um während der Schwangerschaft neues Leben zu ermöglichen, sondern auch, um ein Leben lang unsere Gesundheit zu verteidigen.

Der Schutz durch die Angiogenese ist das System, von dem alle Tiere profitieren, die über ein Kreislaufsystem verfügen, auch wir Menschen. Wenn man beispielsweise eine tiefe Schnittwunde hat, sei es durch eine Operation oder eine Verletzung, kann man bei sich selbst beobachten, dass sich die verwundete Fläche sekundenschnell verändert und einen Prozess ankurbelt, der fortschreitet, bis die Wunde schließlich verheilt ist. Wenn man sich das Knie aufgeschlagen hat, sieht man, dass es erst blutet und sich anschließend eine Kruste bildet. Falls sich diese vorzeitig löst, kann man den folgenden Prozess mit eigenen Augen beobachten: Unter der Kruste ist das Gewebe hellrot und glitzernd. An dieser roten Stelle wachsen in der Wunde Tausende von neuen Blutgefäßen, die das verletzte Gewebe heilen.

Wer hier genau hinschaut, wird Zeuge der Angiogenese, die in dem Moment in Gang gesetzt wird, wo eine Wunde zu bluten beginnt. Auslöser dafür ist eine Hypoxie, ein Sauerstoffmangel im Gewebe, der auftritt, wenn der normale Blutfluss bei einer Verletzung unterbrochen wird. Sauerstoffmangel ist das Signal für die Bildung neuer Blutgefäße, damit Sauerstoff angeliefert werden kann. Diese Hypoxie bringt verwundete Zellen dazu, Proteinsignale auszusenden, also Wachstumsfaktoren, deren Aufgabe es ist, die Angiogenese anzukurbeln. Auch die Entzündung ist für den Beginn des Heilungsprozesses wichtig, denn Entzündungszellen wie Makrophagen und neutrophile Granulozyten krabbeln in die Wunde und säubern sie von Bakterien und Schmutz. Diese Zellen schütten ihrerseits eigene Wachstumsfaktoren aus, setzen die Angiogenese in Gang und treiben somit den Regenerationsprozess der Blutgefäße weiter voran.

An diesem Punkt treten nun auf Zellebene mehrere Ereignisse ein: Dank der Endothelzellen, mit denen die Gefäßwände unserer Venen ausgekleidet sind, steht auch ein Notfall-Team bereit, das die Signale der Wachstumsfaktoren aufnimmt und die Endothelzellen aufmarschieren lässt. Die Gefäßwände unserer Blutgefäße bestehen zusammengenommen aus etwa 10 Billionen Endothelzellen und sind damit eine der am häufigsten in unserem Körper vorkommenden Zellarten. Stellen wir uns diese Endothelzellen wie einen Automotor vor, jede einzelne ist mit einem Zündschloss versehen. Nun stellen wir uns vor, dass die Wachstumsfaktoren, die vom Ort der Verletzung ausgesendet wurden, Autoschlüssel sind. Sie passen in bestimmte Rezeptoren, die an der Oberfläche der Endothelzellen sitzen, genau so, wie ein Autoschlüssel in ein Zündschloss passt. Wenn der richtige Schlüssel ins richtige Schloss gesteckt wird, springt der Motor an, und die Endothelzellen machen sich bereit, an die Quelle der Proteinwachstumsfaktoren zu wandern. Dort beginnen sie sich zu teilen und Röhrchen zu formen, die schließlich zu neuen Blutgefäßen werden. Zuerst aber müssen die Endothelzellen aus der Vene heraustreten. Sie setzen Enzyme frei, welche die Schutzhülle an der Außenseite der Vene auflösen, wodurch winzige Löcher in der Venenwand entstehen. Nun fangen die in Bewegung gesetzten Endothelzellen an, aus diesen Löchern zu sprießen, und folgen der Dichte der Wachstumsfaktoren, die aus der Wunde gesendet werden. So entstehen neue Blutgefäße. Die Blutgefäßkeime werden länger, rollen sich längsseits auf und bilden Röhrchen. Diese Röhrchen verbinden sich an den Spitzen und bilden Kapillarnetze. Wenn sich nun immer mehr dieser Netze in der regenerierenden Region formieren, entsteht eine neuer, heilender Teil des Blutkreislaufs.

Frisch entstandene Blutgefäße sind allerdings noch viel zu schwach, um eigenständig zum Blutkreislauf beitragen zu können, daher werden sie bei der Reifung von einer anderen Zellart, den Perizyten, unterstützt. Perizyten helfen auf verschiedene Weise: Zuerst wickeln sie sich wie eine Bandage um die Endothel-Röhrchen, um diese zu stabilisieren. Gleichzeitig verlangsamen die Perizyten die Angiogenese, damit kein Überangebot an Blutgefäßen entsteht.6 Perizytzellen sind Gestaltwandler, denn wenn sie sich einmal an ein Blutgefäß geheftet haben, fahren sie tentakelartige Arme aus, die in der Umgebung Endothelzellen einfangen. Eine einzige Perizytzelle kann gleichzeitig bis zu 20 weitere Zellen berühren und dabei ein chemisches Signal aussenden, das die hektische Betriebsamkeit der Angiogenese abschaltet.7

Sobald neue Gefäße entstanden und stabilisiert worden sind, beginnt die Durchblutung. Dadurch wird ein Schwall neuen Sauerstoffs herangespült, der die Signale der Wachstumsfaktoren abschaltet und die Motoren der Angiogenese herunterfährt, bis diese schließlich zum Stillstand kommen. Gleichzeitig werden in der Region natürliche Angiogenese-Hemmer freigesetzt, die weiteres Gefäßwachstum unterbinden. Wenn sich die neuen Blutgefäße stabil eingerichtet haben, schütten die sie umgebenden Endothelzellen Proteine aus, sogenannte Überlebensfaktoren, die dazu beitragen, Zellen in der Angiogenese-Region zu heilen. Sofern sie intakt sind, bleiben diese Zellgefäße ein Leben lang bestehen und halten Haut und Organe am Leben.

Das Angiogenese-System prüft permanent, wann und wo mehr Blutgefäße benötigt werden, damit die Organe gesund und funktionsfähig bleiben. Wie geschickte Baumeister erkennen die Blutgefäße beispielsweise nach dem Sport den Bedarf in unseren Muskeln: Um den Muskel aufzubauen, wird eine stärkere Durchblutung benötigt. Andererseits hält das System auch ständig Ausschau nach Stellen, wo Blutgefäße gekappt werden müssen. Nicht zu wenige, nicht zu viele, gerade die richtige Anzahl und Mischung von Blutgefäßen, genau das kann ein gesundes Angiogenese-System bewerkstelligen, und zwar 24 Stunden am Tag.

Im Grunde funktioniert es wie ein Dimmer an der Lampe: Bei Bedarf kann die Intensität hochgefahren werden, um mehr Blutgefäße zu produzieren, und wenn sie heruntergefahren werden muss, hat unser Körper endogene, also körpereigene, Angiogenese-Hemmer, die den Prozess zum Erliegen bringen. Sowohl die Stimulatoren als auch die Gegenmaßnahmen befinden sich überall in unserem Körper, auch in unseren Muskeln, unserem Herz, Gehirn, in der Muttermilch und sogar im Sperma.

Um unsere Gesundheit so gut wie möglich zu erhalten, muss der Körper die absolute Kontrolle über die Angiogenese behalten. Im Laufe des Lebens können zahlreiche Faktoren auftreten, die dieses Verteidigungssystem schwächen, was entweder zu übermäßiger Angiogenese führt, die dann krankes Gewebe nährt, oder im Gegenteil zu unzureichender Angiogenese, was zu Gewebeverlust und zum Tod führen kann. In Teil II dieses Buches lernen Sie diejenigen Nahrungsmittel kennen, die Ihr Angiogenese-Verteidigungssystem auf Vordermann bringen, damit Ihr Körper Krankheiten abwehren kann. Zunächst aber wenden wir uns wieder dem mikroskopisch kleinen Krebs in unserem Körper zu und beobachten, warum das Verteidigungssystem manchmal zusammenbricht, was furchtbare Konsequenzen haben kann. Daraus können wir ablesen, wie wichtig es ist, die richtigen Nahrungsmittel für unsere Gesundheit zu uns zu nehmen. Der Hauptgrund, weswegen der mikroskopisch kleine Krebs nicht wächst, liegt bei den körpereigenen Angiogenese-Hemmern. Deren Maßnahmen halten Tumore in Schach, indem sie ihnen die Blutversorgung kappen. Schon 1974 haben Forscher der Harvard Medical School herausgefunden, dass Krebszellen so lange ruhend und harmlos bleiben, wie es keine Blutgefäße gibt, die den Tumor versorgen. Unser Immunsystem, mit dem wir uns in Kapitel 5 eingehend beschäftigen werden, findet sie irgendwann und zerstört sie. Im Laufe der Zeit kann es aber vorkommen, dass winzig kleine Krebsnester das Verteidigungssystem überwinden und die Gegenmaßnahmen der Angiogenese unterwandern, und zwar indem sie riesige Mengen genau jenes Wachstumsfaktors ausschütten, der an der Wundheilung beteiligt ist. Labortests haben ergeben, dass sich ein Tumor, sobald ein Blutgefäß in ein kleines Knäuel von Krebszellen hineinreicht, exponentiell ausbreitet und nur zwei Wochen nach Beginn der Angiogenese um das 16 000-Fache gewachsen ist.8 Wenn Tumore das Angiogenese-Verteidigungssystem kapern, um ihre eigene Blutversorgung aufzubauen, kann ein harmloser Krebs schnell lebensgefährlich werden. Schlimmer noch: Dieselben Blutgefäße, die den Tumor versorgen, stellen auch das Schlupfloch dar, durch das die bösartigen Zellen in den Blutkreislauf gelangen. Man spricht hier von einer Metastase, dem gefährlichsten Aspekt einer Krebserkrankung. Krebspatienten sterben selten am ursprünglichen Tumor, der oftmals operativ entfernt wird, sondern an den Metastasen, die den Körper wie mit Schrotkugeln beschießen.

Wenn wir unserem Körper dabei helfen, exzessiver Angiogenese vorzubeugen, können wir damit auch Krebs zurückdrängen. Das Ziel ist, unser Angiogenese-Verteidigungssystem zu stärken, indem wir unserem Körper helfen, die Blutgefäßproduktion im Gleichgewicht zu halten. So bekommen Krebszellen gar nicht erst die Chance, sich zu versorgen und zu wachsen. Der erste Patient, bei dem eine Anti-Angiogenese-Behandlung angeschlagen hat, war der zwölfjährige Tom Briggs aus Denver, Colorado. Bei ihm war eine kapilläre pulmonale Hämangiomatose (auch: pulmonale Venenverschlusskrankheit) diagnostiziert worden, bei der in seiner Lunge Tumore entstanden. Als sich die Tumore ausbreiteten, bekam er Atemprobleme und konnte seinen Lieblingssport Baseball nicht mehr ausüben. Manchmal war es so schlimm, dass er nicht einmal mehr nachts gut schlafen konnte. Als allerletzten Versuch gaben seine Ärzte ihm ein Medikament (Interferon alfa), das erwiesenermaßen die Angiogenese stoppt. Im Laufe eines Jahres schrumpften seine Lungentumore zusammen, und Tom konnte wieder das Leben eines normalen Teenagers führen. Toms Geschichte ist so eindrucksvoll, dass dieser »erste Fall beim Menschen« im New England Journal of Medicine als Zukunftsvision der Tumortherapie veröffentlicht wurde.9

Die Biotechnologiebranche begann bereits in den 1990er-Jahren, zielgerichtete Wirkstoffe zu entwickeln, um die Tumor-Angiogenese anzugehen. Darmkrebs war die erste Krebsform, die auf die Anti-Angiogenese-Therapie ansprach, wobei durch die Behandlung mit dem Medikament Avastin die Überlebenschancen der Patienten verbessert wurden. Wo mit Unterstützung von Avastin und einem guten Dutzend weiterer neu entwickelter Medikamente die Anti-Angiogenese-Maßnahmen im Körper gestärkt werden, sind inzwischen zahlreiche weitere Krebsarten mit einer Anti-Angiogenese-Therapie behandelbar geworden: unter anderem Nieren- und Hirntumore, Lungen-, Leber- und Schilddrüsenkrebs, Gebärmutterhals-, Eierstock- und Brustkrebs sowie das Multiple Myelom (Morbus Kahler). Im Jahr 2004 erklärte Mark McClellan von der Food and Drug Administration (FDA), dass die Angiogenese-Hemmer nun auch offiziell als vierte Behandlungsmethode der Krebstherapie anerkannt werden sollten, hinter dem chirurgischen Eingriff, der Chemotherapie sowie der Bestrahlung.10

Ungewollte Angiogenese wirkt nicht nur bei Krebs krankheitsfördernd, sondern begünstigt auch zahlreiche andere Leiden, wie etwa den Verlust der Sehkraft. Ein gesundes Auge kann sehen, weil durch eine kristallklare Flüssigkeit Licht auf die Netzhaut fällt und im Gehirn verarbeitet wird, ohne dass irgendein Blutgefäß daran beteiligt wäre. Im Auge unterliegt die Angiogenese nämlich einer so starken Kontrolle, dass sich die Endothelzellen, welche die Blutgefäße der Netzhaut auskleiden, nur zweimal im Laufe eines Menschenlebens teilen. Bei altersbedingter Makuladegeneration jedoch, der häufigsten Ursache für Erblindung bei Menschen über 65 Jahren, führt die Angiogenese ebenso wie auch bei diabetischer Retinopathie dazu, dass Gefäßmissbildungen entstehen, die bluten und Flüssigkeit verlieren. Die dramatische Folge exzessiver Angiogenese ist die Zerstörung der Sehkraft. Glücklicherweise jedoch kann man dieses Leiden inzwischen behandeln, indem zugelassene Medikamente vom Augenarzt ins Auge injiziert werden. Diese Medikamente bremsen die zerstörerische Angiogenese, stoppen den Flüssigkeitsverlust und schützen damit die Sehkraft. Manche Patienten gewinnen sogar bereits verlorene Sehkraft zurück, wie eine meiner Patientinnen, die durch Makuladegeneration beinahe blind geworden war. Sie konnte nicht mehr Auto fahren und auch nicht mehr ihrem liebsten Hobby, dem Golfspielen, nachgehen. Nach der Behandlung war sie wieder in der Lage, sicher zu fahren, und ist gerade dabei, auf dem Golfplatz ihren Rückschwung zu verbessern.

Sowohl bei rheumatischer Arthritis wie auch bei Arthrose führt eine Entzündung im Gelenk dazu, dass neue Blutgefäße entstehen, die dann zerstörerische Enzyme freisetzen. Diese Enzyme zerstören den Knorpel, wodurch lähmende Schmerzen entstehen. Bei der Psoriasis, der mitunter entstellenden Schuppenflechte, führt die krankhaft veränderte Angiogenese unter der Haut dazu, dass sich erhabene gerötete Hautstellen bilden, oftmals begleitet von Schwellungen, lästigem Jucken und Schmerzen.

Man hat festgestellt, dass bei Alzheimer ebenfalls übermäßige und krankhaft veränderte Angiogenese eine Rolle spielt. Zusammen mit dem Psychiater Dr. Anthony Vagnucci habe ich 2003 in der Medizinzeitschrift The Lancet die These vorgestellt, dass Anomalien in Blutgefäßen Alzheimer im Gehirn fördern.11 Heute wissen wir, dass die Blutgefäße in einem alzheimerkranken Gehirn untypisch agieren und nicht etwa den Blutfluss fördern, sondern vielmehr Neurotoxine, also Nervengifte freisetzen, die Hirnzellen töten.

Eine ebenso große Rolle spielt die Angiogenese im Falle von Adipositas. Zwar handelt es sich hierbei um eine Krankheit, bei der zahlreiche verschiedene Faktoren zusammenwirken, doch diejenigen, die eine besonders große Anzahl an die Angiogenese stimulierender Wachstumsfaktoren im Blutkreislauf hervorbringen, sind übermäßiges Essen und falsche Nahrungsmittel.12 Ebenso wie ein Tumor benötigen auch Fettmassen neue Blutgefäße, um wachsen und die Zellen versorgen zu können.13 Für diese wie auch viele weitere gesundheitliche Probleme gibt es inzwischen neue, speziell gegen die Angiogenese gerichtete medikamentöse Behandlungsformen, die bereits in Labors und klinischen Studien erste Erfolge erzielt haben.

Zwar ist es wichtig, überschüssige Blutgefäße zu kappen, doch genauso wichtig ist es, die körpereigene Fähigkeit zu erhalten, ein angemessenes Blutkreislaufsystem aufzubauen, um damit diejenigen Organe zu schützen, deren Blutversorgung mal aufgestockt und mal wiederhergestellt werden muss. Mit zunehmendem Alter kann unser Blutkreislauf schwächer werden, doch müssen wir genau diese Fähigkeit stärken und anregen, um gesundes Gewebe und gesunde Organe zu versorgen und zu erhalten. Wenn die Fähigkeit, unser Angiogenese-System zu stärken, beeinträchtigt ist, kann das schwerwiegende Konsequenzen haben.

Eine mögliche Konsequenz ist eine Neuropathie, die auftritt, wenn die Nerven nicht mehr richtig funktionieren. Man nimmt dies als Taubheitsgefühl oder Schmerz wahr, der auf einer Skala von leicht bis unerträglich rangieren kann.

Unser peripheres Nervensystem ist so etwas wie die Stromversorgung unseres Körpers, die Anweisungen vom Gehirn an unsere Muskeln weiterleitet, damit diese sich anspannen oder entspannen. Die Nerven schicken ebenfalls Empfindungen von der Haut und aus den Muskeln zurück zum Gehirn. All diese elektrischen Leitungen haben ein eigenes kleines Blutkreislaufsystem, Vasa nervorum genannt, das die Nerven mit Blut versorgt. Wenn dieses System schwächelt, sterben Nerven ab; die Symptome reichen von einem leichten Kribbeln über unerträgliche Schmerzen bis hin zu komplettem Taubheitsgefühl in Händen, Beinen und Füßen.

Auch bei Patienten mit Diabetes kann es passieren, dass Nerven nicht ausreichend mit Blut versorgt werden, vor allem dann, wenn der Blutzuckerspiegel nicht gut eingestellt ist. Diabetes verlangsamt die Angiogenese, was die Nerven schädigt, daher arbeiten Wissenschaftler an neuen Maßnahmen, welche die Durchblutung mithilfe therapeutischer Angiogenese verbessern. Im Labor injizierten die Wissenschaftler Tieren mit Diabetes ein Gen für das angiogenesefördernde Protein VEGF (Abkürzung für den englischen Namen des Signalmoleküls Vascular Endothelial Growth Faktor) und fanden heraus, dass sie damit den Blutfluss hin zu den Nerven steigern und diese in ihrer Funktion beinahe bis zum Normalzustand wiederherstellen konnten.14 Eine andere häufig auftretende Ursache für eine periphere Neuropathie ist die Chemotherapie bei der Krebsbehandlung, die leider nicht nur Krebszellen tötet, sondern auch äußerst schädlich für die Nerven ist und ihr kleines Kreislaufsystem zerstören kann. Im Labor hat die Gentherapie mit VEGF die Nerven sowie auch ihren Blutkreislauf gegen Funktionsverlust vollständig geschützt.15

Falls unser Angiogenese-Verteidigungssystem ausgeschaltet ist, können sich zahlreiche andere Krankheiten in unser Leben drängen, so zum Beispiel chronische Wunden. Während normale Wunden in weniger als einer Woche verheilen, dauert es bei chronischen Wunden sehr viel länger – oder sie heilen gar nicht ab. Die offenen Wundstellen entzünden sich, und es entsteht Wundbrand, nicht selten müssen in einem solchen Fall betroffene Gliedmaßen amputiert werden. Allein in den USA sind mehr als acht Millionen Menschen betroffen, in Deutschland ist es etwa eine Million, und besonders häufig trifft es Menschen mit Diabetes, Arteriosklerose oder venöser Insuffizienz der Beinvenen, hinzukommen Menschen, die ans Bett gefesselt sind oder im Rollstuhl sitzen. Diese Krankheit verläuft ebenso schleichend wie tödlich, die Mortalitätsrate ist höher als bei Brust- oder Darmkrebs.16 Wenn Sie an einer chronischen Wunde leiden, sollte Ihr Arzt als Erstes Ihre Angiogenese wieder in Gang bringen, damit sich die Durchblutung verbessert und die Heilung vorangeht. Dies kann mithilfe verschiedener medizinischer Behandlungen und Techniken erfolgen, einschließlich der Ernährung. Die angiogeneseanregende Ernährung stelle ich Ihnen in Kapitel 6 vor.

Auch unser Herz und unser Hirn bauen auf das Angiogenese-Verteidigungssystem, um damit jedweden Angriff auf das Blutkreislaufsystem zu parieren. Den Blutfluss zu diesen Organen möglichst schnell wiederherzustellen ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Frage von Leben oder Tod. Wenn, wie im Falle von Arteriosklerose, der Zufluss zu den Blutgefäßen verstopft ist, springt das Verteidigungssystem an und produziert neue Blutgefäße, es baut quasi einen natürlichen Bypass um die verstopften Gefäße herum. Die natürlichen Bypässe (auch Kollaterale, Nebengefäß, Umgehungsgefäß oder Ausweichgefäß genannt) werden gebildet, sobald durch das stetige Verengen von Koronargefäßen oder Halsschlagader nach und nach Verstopfungen entstehen. Man kann Jahre und Jahrzehnte mit einer koronaren Herzkrankheit oder einer Karotisstenose leben, solange das Angiogenese-Verteidigungssystem intakt ist. Sogar wenn eine plötzliche Verstopfung auftritt – wie bei einem Herzinfarkt oder einem Hirninfarkt – , springt der Angiogeneseschutz an und bildet, sofern der Patient den Infarkt überlebt, natürliche Bypässe.

Dieses Verteidigungssystem kommt aber leider nur sehr langsam in Gang, wenn die Patienten ein gesundheitliches Problem haben, das die Angiogenese beeinträchtigt (Diabetes oder Hypercholesterinämie) oder aber Raucher sind oder sich im fortgeschrittenen Alter befinden. Klinische Tests mit Therapien, die in Herz und Hirn angiogenesestimulierend wirken, haben ergeben, dass es möglich ist, neue Therapien einzuführen, die den Prozess beschleunigen, jedoch sind diese noch im Versuchsstadium, und es wird Jahre dauern, bis die ersten Patienten damit behandelt werden können. In Teil II dieses Buches stelle ich Ihnen Nahrungsmittel vor, mit denen Sie zu Hause die kardiovaskuläre Angiogenese und den Heilungsprozess unterstützen können.

Nahrungsmittel und Angiogenese

Ein voll funktionsfähiges Angiogenese-System schützt uns ganz natürlich gegen viele Krankheiten. Unsere Gesundheit hängt aber vom normalen Gleichgewicht des Blutkreislaufsystems ab, das nur dann perfekt ausbalanciert ist, wenn unsere Organe weder über zu viele noch zu wenige Blutgefäße verfügen. In dem Moment, wo dieses Gleichgewicht gestört ist, braucht unser Körper Hilfe. Deshalb arbeiten Wissenschaftler in Pharmaunternehmen wie auch in der Biotechnologie mit Hochdruck daran, neue Behandlungsmethoden zu entwickeln, die Gliedmaßen, Sehkraft und Leben retten: Die Entwicklung eines neuen Medikaments dauert jedoch mindestens zehn Jahre, verschlingt oft mehr als eine Milliarde Dollar und ist aus Kosten- und Verfügbarkeitsgründen selbst dann, wenn sich das Medikament als wirksam erwiesen hat, immer noch nicht für alle verfügbar, die es benötigen. Darüber hinaus sind diese Medikamente nur dazu gedacht, bereits vorhandene Krankheiten zu behandeln, nicht aber, ihnen vorzubeugen.

Unsere Ernährung dagegen können wir sowohl zur Prävention als auch zur Unterstützung in der Behandlung von Krankheiten einsetzen. Studien aus aller Welt haben ergeben, dass bestimmte – bekannte und wohlschmeckende – Lebensmittel und Getränke unser Angiogenese-Verteidigungssystem beeinflussen können – und zwar sowohl, indem sie es ankurbeln, als auch, indem sie es hemmen. Sogar die Art und Weise, wie wir unsere Nahrungsmittel kombinieren oder zubereiten, hat Einfluss auf die Angiogenese, was uns einen ganz neuen Blick darauf ermöglicht, was wir zu uns nehmen und auf welche Weise wir es tun. Zusätzlich eröffnen sich neue Wege, um mithilfe der Angiogenese unsere Chancen bei der Vorbeugung bestimmter Krankheiten zu verbessern. Falls Sie gerade gegen ein gesundheitliches Problem ankämpfen, bei dem Angiogenese eine Rolle spielt, kann die Wahl der richtigen Nahrungsmittel helfen, die Krankheit in den Griff zu bekommen oder sogar zu besiegen.

Die Zahl der Beweise dafür, dass dies der richtige Ansatz ist, nimmt stetig zu. Menschen in Asien beispielsweise, die sich mit sehr viel Soja, Gemüse und Tee ernähren, haben ein sehr viel geringeres Risiko, an Brustkrebs oder anderen Krebsarten zu erkranken. In Japan gibt es mehr als 69 000 Menschen, die älter als 100 Jahre sind, und auch in China steigt die Zahl der Hundertjährigen.17 Wie zum Beispiel mein Großonkel, der in Changshu, in der Nähe von Shanghai lebte, am Fuße des »Jadebergs« Yushan, wo grüner Tee angebaut wird. Er war bis zu seinem Tod mit 104 Jahren gesund. Und die agilen Hundertjährigen, die auf der griechischen Insel Ikaria und in den Bergen Sardiniens leben: Sie ernähren sich nach der sogenannten Mittelmeerdiät, die nicht etwa strikt vegan ist, sondern voller angiogenesestärkender Inhaltsstoffe steckt. Man weiß heute, dass die Angiogenese zu den wichtigsten Verteidigungssystemen unserer Gesundheit gehört und (jenseits unseres Gesundheitssystems) als Schlüssel zum Geheimnis lang anhaltender Gesundheit in unserem eigenen Körper steckt.

Gesundheitliche Probleme, bei denen das Angiogenese-System beeinträchtigt wird:

Exzessive Angiogenese:

Adipositas

Altersbedingte Makuladegeneration

Alzheimer

Brustkrebs

Darmkrebs

Diabetische Retinopathie

Eierstockkrebs

Endometriose

Gebärmutterhalskrebs

Hirntumor

Leberkrebs

Leukämie

Lungenkrebs

Lymphdrüsenkrebs

Multiples Myelom

Nierenkrebs

Prostatakrebs

Psoriasis (Schuppenflechte)

Rheumatoide Arthritis

Schilddrüsenkrebs

Unzureichende Angiogenese:

Dekubitus

Diabetischer Fuß

Erektile Dysfunktion

Herzinsuffizienz

Koronare Herzkrankheit

Kreisrunder Haarausfall

Neuropathie

Periphere arterielle Verschlusskrankheit

Periphere Neuropathie

Venöse Beingeschwüre (»offenes Bein«)

KAPITEL 2 REGENERATION DURCH STAMMZELLEN

Wenn wir davon ausgehen, dass die Angiogenese neue Blutgefäße bildet, damit unsere Organe zum Schutz unserer Gesundheit versorgt werden können, stellt sich die Frage, wodurch die Organe wachsen und instand gehalten werden. Die Antwort ist: Es liegt an unseren Stammzellen. Sie sind für unsere Gesundheit so ausschlaggebend, dass wir binnen einer Woche tot wären, wenn sie plötzlich aufhörten zu arbeiten. Vom Augenblick unserer Empfängnis an spielen die Stammzellen eine entscheidende Rolle, sie erzeugen und erhalten unseren Körper und unsere Gesundheit. Im Grunde bestehen wir aus Stammzellen. Etwa fünf Tage, nachdem das Sperma unseres Vaters die Eizelle unserer Mutter befruchtet hat, begann unser Leben als kleine Kugel aus 50 bis 100 embryonalen Stammzellen in der Gebärmutter. Interessant ist, dass diese Stammzellen pluripotent sind, was bedeutet, dass sie jede Art von Zelle oder Gewebe im Körper bilden können, sei es Muskel oder Nerv, Haut, Hirn oder Augapfel. In der Zeit, wo wir als Embryo zwölf Wochen lang heranreifen und zum Fötus werden, bilden die Stammzellen die großen Organe, indem sie sich in spezialisiertere Zellen verwandeln, um dann die Aufgaben der einzelnen Organe auszuführen. Bald schon gibt es im wachsenden Körper mehr spezialisierte Organzellen als Stammzellen.

Die Stammzellen des Fötus sind jedoch nicht nur dazu da, den Organismus aufzubauen, sondern haben gleichzeitig die Aufgabe, die Gesundheit zu erhalten, und zwar auch die der Mutter. Forscher der Mount Sinai School of Medicine in New York City führten eine wegweisende Studie durch, bei der sie Herzinfarkte bei schwangeren Mäusen beobachteten. Die Infarkte waren so gravierend, dass die Hälfte der linken Herzkammer zerstört wurde, beim Menschen würde ein Schaden dieses Ausmaßes zu massiven Herzproblemen oder sogar zu einem raschen Tod führen.1 Bei den überlebenden Mäusen beobachteten die Forscher in den Wochen nach dem Herzinfarkt, dass Stammzellen des Fötus aus der Gebärmutter in den Blutkreislauf der Mutter gewandert waren. Von da aus nisteten sich die fetalen Stammzellen bemerkenswerterweise in der beschädigten Region des mütterlichen Herzens ein und begannen diese zu erneuern und wiederherzustellen. Einen Monat nach dem Herzinfarkt waren aus etwa der Hälfte der ins mütterliche Herz gewanderten fetalen Stammzellen erwachsene Herzzellen geworden, die imstande waren, spontan zu pulsieren. Diese Studie gehörte zu den ersten, die bewies, dass fetale Stammzellen dazu beitragen können, die Gesundheit der Mutter zu schützen.

Zum Zeitpunkt der Geburt haben die meisten Zellen des werdenden Menschen ihre endgültige Organform angenommen, nur eine kleine Anzahl Stammzellen bleibt übrig. Nach der Geburt sitzen immer noch einige Stammzellen in der Nabelschnur und an der Plazenta fest, diejenigen aus der Nabelschnur können als Nabelschnurblut aufgefangen werden, das an eine Stammzellenbank geschickt, dort eingefroren und so lange eingelagert wird, bis sie zu medizinischen Zwecken benötigt werden. Diese Stammzellen können eines Tages für Ihr Kind oder sogar für Sie und andere Familienmitglieder nützlich sein, wenn geschädigte Organe bei der Regeneration oder Heilung unterstützt werden müssen. Es ist eine einmalige Chance, und ich empfehle auf jeden Fall, Nabelschnurblut aufzufangen und einzulagern.

Trotz ihrer geringen Anzahl spielen die Stammzellen auch im Erwachsenenleben noch eine entscheidende Rolle, denn sie regenerieren hinter den Kulissen »heimlich, still und leise« die meisten unserer Organe, während wir älter werden. Dieser Prozess spielt sich in einem eigenen Rhythmus ab, der bei jedem Organ anders ist:

Unser Dünndarm regeneriert sich alle zwei bis vier Tage,unsere Lunge und der Magen alle acht Tage,unsere Haut alle zwei Wochen,unsere roten Blutkörperchen alle vier Monate,unsere Fettzellen alle acht Jahre,unsere Knochen alle zehn Jahre.2

Der Rhythmus der Regeneration verändert sich mit zunehmendem Alter. Wenn man 25 ist, wird pro Jahr ein Prozent der Herzzellen regeneriert, aber mit der Zeit verlangsamt sich dieser Prozess. Wenn wir 75 sind, erneuern sich pro Jahr nur noch 0,45 Prozent der Herzzellen.3

Immunzellen werden alle sieben Tage regeneriert, wenn aber unsere Stammzellen nicht mehr da wären, würden wir sehr bald an einer Infektion sterben. Falls wir diese Infektion doch irgendwie überlebten, würden wir an Blutverlust sterben, denn die Blutplättchen, die dafür sorgen, dass unser Blut gerinnt, werden alle zehn Tage regeneriert. Selbst wenn wir das noch überstehen würden, fiele uns binnen sechs Wochen die Haut ab. Danach würden unsere Lungen kollabieren, und wir würden ersticken. Unsere Stammzellen schützen unsere Gesundheit, sie sind lebenswichtig.

Die Heilkraft der Stammzellen

Unser Wissen über die Stammzellen unseres Körpers geht auf die Atombombe zurück. Bei der Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki 1945, am Ende des Zweiten Weltkriegs, wurden schätzungsweise 200 000 Menschen getötet. Die Ärzte beobachteten aber, dass einige Menschen, die den eigentlichen Schlag überlebt hatten, in einer zweiten Todeswelle verstarben. Sie waren radioaktiver Strahlung ausgesetzt gewesen, die ihrem Körper die Fähigkeit nahm, die eigenen Zellen im Knochenmark zu regenerieren. Während die Regierung sich auf künftige Atomkriege vorbereitete, machten sich Wissenschaftler auf die Suche nach Stammzellen, mit denen die Überlebenden behandelt und vor radioaktiver Strahlung geschützt werden konnten. Die zwei kanadischen Forscher James E. Till und Ernest A. McCulloch konnten 1961 Stammzellen im Knochenmark und in der Milz nachweisen, die in der Lage waren, Blutzellen zu regenerieren. Till und McCulloch entdeckten, dass diese Stammzellen, sofern sie rechtzeitig injiziert wurden, Labortiere retten konnten, die einer tödlichen Menge radioaktiver Strahlung ausgesetzt worden waren.4

Aus der Arbeit der beiden Kanadier ging die Entwicklung der Knochenmarktransplantation hervor, eine lebensrettende Maßnahme, die heute überall auf der Welt durchgeführt wird, um Krebspatienten zu retten, die mit schärfsten Chemotherapien und hochdosierter Bestrahlung behandelt werden. Zwar töten sowohl die Chemotherapie als auch die Bestrahlung Krebszellen, doch leider vernichten sie gleichzeitig gesunde Stammzellen im Knochenmark. Ohne Stammzellen bricht das Immunsystem des Patienten zusammen, der dann an einer Infektion sterben kann. Wenn aber dem Krebspatienten Stammzellen aus dem Knochenmark eines Spenders eingepflanzt werden, können die Ärzte diesen Patienten vor dem sicheren Tod bewahren. Die Spenderstammzellen gelangen über den Blutkreislauf ins Knochenmark des Krebspatienten, nisten sich dort ein und beginnen das Immunsystem wiederherzustellen. Die Knochenmarktransplantation durch Spenderzellen galt als medizinischer Durchbruch, und dem Pionier dieses Verfahrens, E. Donnall Thomas, wurde 1990 der Nobelpreis für Medizin verliehen, ebenso wie dem Pionier der Nierentransplantation Joseph E. Murray. Auch ohne Schäden durch Chemotherapie oder radioaktive Strahlung braucht unser Körper Stammzellen, damit er sich permanent von innen heraus erneuern kann.

Von den 37,2 Billionen Zellen in unserem Körper machen die Stammzellen nur eine geringe Teilmenge aus, nämlich 0,002 Prozent, und doch sind sie in der Lage, unsere Gesundheit wiederherzustellen.5 Stammzellen reparieren, ersetzen und erneuern nach Bedarf tote und ausgelaugte Zellen. Wie eine Spezialeinheit in unserem Körper sammeln sie Informationen, schicken Spähtrupps aus und führen Kampfeinsätze durch, damit unsere Organe in optimalem Zustand bleiben. Sobald wir uns verletzen oder krank werden, legen die Stammzellen los: Sie bilden neues, heilendes Gewebe oder helfen dem Körper anderweitig, mit dem Problem fertigzuwerden. Sie sind unser regenerierendes Verteidigungssystem. Genau wie bei dem Angiogenese-System gibt es auch hier neueste Studien, die beweisen, dass unsere Stammzellen stark von unserer Ernährung beeinflusst werden.

Egal ob Sie nun als Sportler Muskulatur aufbauen wollen oder schwanger sind und einen Fötus versorgen oder ob Sie gegen den Alterungsprozess ankämpfen – die richtigen Nahrungsmittel können in jedem Fall dazu beitragen, die Anzahl und die Funktionstüchtigkeit Ihrer Stammzellen zu steigern. Und damit deren Fähigkeit, Ihren Körper zu regenerieren. Wir können essen, um unser Herz zu schützen, unseren Geist fit zu halten (Regeneration im Gehirn), Wunden zu heilen und unseren Körper jung zu halten. Ich werde Ihnen in Teil II die Nahrungsmittel vorstellen, die unseren Stammzellenschutz unterstützen können, zunächst aber möchte ich Ihnen eine Einführung in das Thema Regeneration geben, um Ihnen aufzuzeigen, weshalb uns die richtigen Nahrungsmittel das Leben retten können.

Stammzellen und Verletzungen

Das Regenerationsverteidigungssystem ist so angelegt, dass es im Falle einer Verletzung oder eines Traumas jederzeit eingreifen kann. Stammzellen von Erwachsenen, sogenannte adulte Stammzellen, bleiben so lange unspezifisch und im Wartezustand, bis sie gebraucht und zum Einsatz gerufen werden. Sie können ihre Pluripotenz bewahren, auch wenn sie sich selbst durch Zellteilung regenerieren und wiederherstellen: Sobald sie im Einsatz sind, prüfen sie ihre Umgebung und reagieren auf Hinweise, indem sie sich in genau jenen Zelltyp verwandeln, der regeneriert werden muss. Wenn sie in der Lunge sitzen, werden sie Teil der Lunge, wenn sie in der Leber sind, werden sie Teil der Leber.

Um verstehen zu können, wie die Stammzellen in der Lage sind, diese Schutzfunktion auszuüben, müssen wir uns ansehen, wo sie leben, wenn sie noch inaktiv, unspezifisch und regenerierbar sind. Sie verstecken sich in sogenannten Nischen, die sich in der Haut befinden, den Darmwänden, Haarwurzeln, in Eierstöcken und Hoden, im Körperfett, in Herz und Hirn und vor allem im Knochenmark, jenem schwammartigen Gewebe in den Hohlräumen unserer Knochen.

Das Knochenmark fungiert als eine Art Lagerraum für mindestens drei verschiedene Stammzelltypen: erstens die hämatopoetischen Stammzellen (oder auch Blutstammzellen), die zu blutbildenden Zellen werden; zweitens die mesenchymalen Stammzellen, dies sind Vorläuferzellen, die später zu Muskeln, Körperfett, Knorpel, Knochen und anderen nicht blutbildenden Körperteilen werden; und drittens die endothelialen Vorläuferzellen, die dazu beitragen, dass in den regenerierenden Organen neue Blutgefäße entstehen. Zusammenfassend werden sie als Knochenmarkstammzellen bezeichnet, da sie alle im Knochenmark sitzen.