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Rainer Maria Rilke ist der bedeutendste Dichter der Moderne und sein Ruhm reicht weit über die Grenzen Europas hinaus. Die meisten seiner Gedichte hat er selbst in berühmten Sammlungen und Zyklen zusammengefasst, darunter »Das Stunden-Buch«, »Das Buch der Bilder«, »Neue Gedichte«, »Duineser Elegien« und »Die Sonette an Orpheus«, andere sind verstreut veröffentlicht oder erst postum erschienen. Dieser Band enthält sämtliche zu Lebzeiten publizierten Gedichte sowie eine Auswahl der bedeutendsten Texte aus dem Nachlass. Zum Wiederlesen, Neuentdecken, Weiterträumen.
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Seitenzahl: 826
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-641-27641-6V001
© 2020 by Anaconda Verlag, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Alle Rechte vorbehalten.
Umschlagmotiv: Rainer Maria Rilke (Schwarz-Weiß-Fotografie),
Rilke Archiv, Gernsbach / bridgemanart.com
Umschlaggestaltung: Druckfrei. Dagmar Herrmann, Bad Honnef
www.anacondaverlag.de
Larenopfer
Traumgekrönt
Advent
Dir zur Feier
Mir zur Feier
Das Stunden-Buch
Das Buch der Bilder
Gedichte 1906–1910
Neue Gedichte
Der Neuen Gedichte anderer Teil
Gedichte 1910–1922
Duineser Elegien
Die Sonette an Orpheus
Gedichte 1922–1926
Verzeichnis der Gedichtüberschriften und -anfänge
Quellenverzeichnis
(1895)
IMALTEN HAUSE
Im alten Hause; vor mir frei
seh ich ganz Prag in weiter Runde;
tief unten geht die Dämmerstunde
mit lautlos leisem Schritt vorbei.
Die Stadt verschwimmt wie hinter Glas.
Nur hoch, wie ein behelmter Hüne,
ragt klar vor mir die grünspangrüne
Turmkuppel von Sankt Nikolas.
Schon blinzelt da und dort ein Licht
fern auf im schwülen Stadtgebrause. –
Mir ist, dass in dem alten Hause
jetzt eine Stimme ›Amen‹ spricht.
AUFDER KLEINSEITE
Alte Häuser, steilgegiebelt,
hohe Türme voll Gebimmel, –
in die engen Höfe liebelt
nur ein winzig Stückchen Himmel.
Und auf jedem Treppenpflocke
müde lächelnd – Amoretten;
hoch am Dache um barocke
Vasen rieseln Rosenketten.
Spinnverwoben ist die Pforte
dort. Verstohlen liest die Sonne
die geheimnisvollen Worte
unter einer Steinmadonne.
EIN ADELSHAUS
Das Adelshaus mit seiner breiten Rampe:
Wie schön will mir sein grauer Glast erscheinen.
Der Gangsteig mit den schlechten Pflastersteinen
und dort, am Eck, die trübe, fette Lampe.
Auf einer Fensterbrüstung nickt ein Tauber,
als wollt er durch den Stoff des Vorhangs gucken;
und Schwalben wohnen in des Torgangs Lucken:
Das nenn ich Stimmung, ja, das nenn ich – Zauber.
DER HRADSCHIN
Schau so gerne die verwetterte
Stirn der alten Hofburg an;
schon der Blick des Kindes kletterte
dort hinan.
Und es grüßen selbst die eiligen
Moldauwellen den Hradschin,
von der Brücke sehn die Heiligen
ernst auf ihn.
Und die Türme schaun, die neueren,
alle zu des Veitsturms Knauf
wie die Kinderschar zum teueren
Vater auf.
BEI ST. VEIT
Gern steh ich vor dem alten Dom;
wie Moder weht es dort, wie Fäule,
und jedes Fenster, jede Säule
spricht noch ihr eignes Idiom.
Da hockt ein reichgeschnörkelt Haus
und lächelt Rokoko-Erotik,
und hart daneben streckt die Gotik
die dürren Hände betend aus.
Jetzt wird mir klar der casus rei;
ein Gleichnis ists aus alten Zeiten:
der Herr Abbé hier – ihm zuseiten
die Dame des roi soleil.
IM DOME
Wie von Steinen rings, von Erzen
weit der Wände Wölbung funkelt,
eine Heilge, braungedunkelt,
dämmert hinter trüben Kerzen.
Von der Decke, rundgemauert,
schwebt ob eines Engels Kopfe
hell ein weißer Silbertropfe,
drin ein ewig Lichtlein kauert.
Und im Eck, wo Goldgeglaste
niederhangt in staubgen Klumpen,
steht in Schmutz gehüllt und Lumpen
still ein Kind der Bettlerkaste.
Von dem ganzen Glanze floss ihm
in die Brust kein Fünkchen Segen …
Zitternd, matt, streckts mir entgegen
seine Hand mit leisem: »Prosim!«
IN DER KAPELLE ST. WENZELS
Alle Wände in der Halle
voll des Prachtgesteins; wer wüsste
sie zu nennen: Bergkristalle,
Rauchtopase, Amethyste.
Zauberhell wie ein Mirakel
glänzt der Raum im Lichtgetänzel,
unterm goldnen Tabernakel
ruht der Staub des heilgen Wenzel.
Ganz von Leuchten bis zum Scheitel
ist die Kuppel voll, die hohle;
und der Goldglast sieht sich eitel
in die gelben Karneole.
VOM LUGAUS
Dort seh ich Türme, kuppig bald wie Eicheln
und jene wieder spitz wie schlanke Birnen;
dort liegt die Stadt; an ihre tausend Stirnen
schmiegt sich der Abend schon mit leisem Schmeicheln.
Weit streckt sie ihren schwarzen Leib. Ganz hinten,
sieh, St. Mariens Doppeltürme blitzen.
Ists nicht: Sie saugte durch zwei Fühlerspitzen
in sich des Himmels violette Tinten?
DER BAU
(1)
Die moderne Bauschablone
will mir wahrlich gar nicht passen.
Hier, dies alte Haus darf fassen
reiche, weite Steinterrassen,
kleine, heimliche Balkone.
Und die weitgewölbten Decken,
die so günstig sind den Lauten,
Nischen rings, die eingebauten,
draus die Arme sich der trauten
Dämmrung dir entgegenstrecken.
Alle Mauern breiter, stärker
und aus echten Quaderkernen; –
traun, das Gruseln könnt ich lernen,
seh ich auf die Zinskasernen
aus dem kleinen, stillen Erker.
IM STÜBCHEN
(2)
Traut ists, wenn verstohlen heulen
im Kamine wilde Winde,
in der Stube; ganz gelinde
tickt auf dem barocken Spinde
fort die Stockuhr mit den Säulen.
Dort, die kleine Silhouette
zeigt die alte Tracht der Locken,
tief im Fenster steht ein Rocken,
und vergessne Töne stocken
im verlassenen Spinette.
Immer noch liegt die Postille,
dass an ihrem Geist erfrische
Jung und Alt sich, auf dem Tische,
und der Spruch ob jener Nische
lautet: ›Es gescheh Dein Wille …‹
ZAUBER
(3)
Oft seh ich die heimliche Stube belebt,
so lebhaft erzählen die Wände;
ein liebliches Mädchen, halb Kind noch, hebt
dort zu der Madonna die Hände.
Ein tüchtiger Junge beim Vater steht,
der viel zu des Hauses Gewinn tat.
An huben sie flüsternd das Abendgebet,
und Mutter lässt ruhen das Spinnrad.
Da deucht mich, es wird wohl das Auge nass
sogar der Madonne im Rahmen.
Ich lausche: – Laut von des Vaters Bass
ertönt das versöhnende: »Amen«.
EIN ANDERES
(4)
Naht der Sohn mit schwerem Schritt
seinem Vater. Schwer die Zunge …
»Wirklich, was, ein Bräutchen, Junge?!
Vorwärts, nur herein damit!«
Und da steht zum ersten Mal
jetzt das Mädchen rot und stille;
und der Vater putzt die Brille:
»Teufel! Gut war deine Wahl!«
Und er streckt die Arme aus,
und das Bräutchen nimmt verlegen
seinen Kuss und seinen Segen …
Davon weiß das alte Haus.
NOCH EINES
(5)
Auch dem blonden Kinde kam es
in sein Herz, sein waldseereines,
wie das dunkle Ahnen eines
großen Glückes oder Grames.
Und die Mutter ließ das Rädchen
stocken. – »Kind, was macht dich leiden?«
Stürmisch schluchzend schwieg das Mädchen:
Doch verstanden sich die beiden.
Kurz darauf: Am Pförtchen pochte
junger Herr. – »Wollt ihr euch?« – Pause. –
Ob! – Wer da noch fragen mochte!? –
So geschahs im alten Hause.
UNDDAS LETZTE
(6)
Still heut die Stube. – Weiß wie Kalk
ist Frauchens Antlitz. Müd und lustlos
ihr feuchtes Auge; halb bewusstlos
lehnt sie bei Vaters Katafalk.
Zuseiten ihr der Gatte kann
sie trösten mehr in keiner Weise;
nun fasst er ihre Hände leise
und sieht sie ernst und bittend an.
»Mein Mütterchen, nimm diesen Strauß!«,
tönt türher hell das Wort des Kleinen;
da glimmt ein Lächeln durch ihr Weinen,
und Trost geht durch das alte Haus.
IM ERKERSTÜBCHEN
(7)
Nicht zu sehn das Alltagstreiben,
flieh ich – wie wenn ich ein Strauß wär –
in das alte, alte Haus her;
lang dann seh ich nicht hinaus mehr
durch die breit verbleiten Scheiben.
Schlichtheit war der Väter Aussaat,
Glück die Frucht, die sie gefunden;
sitz so träumend manche Stunden
dort im Polsterstuhl, im runden,
mitten in Urväterhausrat.
DER NOVEMBERTAG
Kalter Herbst vermag den Tag zu knebeln,
seine tausend Jubelstimmen schweigen;
hoch vom Domturm wimmern gar so eigen
Sterbeglocken in Novembernebeln.
Auf den nassen Dächern liegt verschlafen
weißes Dunstlicht; und mit kalten Händen
greift der Sturm in des Kamines Wänden
eines Totenkarmens Schlussoktaven.
IM STRASSENKAPELLCHEN
Bei St. Loretto da brennt ein Licht
vorm Bilde im Straßenkapellchen;
und um das Wandbild schmiegen sich dicht
Blechblumen mit farbigen Kelchen.
Die Heiligen machen ein übel Gesicht;
denn der Sturmwind, der hastige Knab, hat
nicht Achtung für sie; bei Loretto das Licht
schaut fromm in den dämmernden Sabbat.
DAS KLOSTER
Im Dämmerdustgeschwel
ist schon die Stadt zerronnen,
hoch steht das Haus der Nonnen
des Ordens vom Karmel.
Der Abend hüpft hangab
vorbei mit Feuergarben
und windet tausend Farben
um jeden Fensterstab.
Er schmückt das düstre Haus
umsonst mit Lichtgeglänze:
So sehen frische Kränze
auf Leichensteinen aus.
BEIDEN KAPUZINERN
Es hat der Pater Guardian
vom Klosterschnaps mir angeboten;
ich kenn ihn schon, den dunkelroten,
der alle Toten wecken kann.
Der Pater sucht den Schlüssel, klein,
dort, wo des Sacktuchs Zipfe blauten,
und holt den Schatz, den selbstgebrauten,
hervor aus dem Reliquienschrein.
Und wie er einschenkt, lacht er feist
und spricht: »Zu Staub sind die Gebeine,
die einstens ruhten in dem Schreine,
doch uns erhalten blieb – – – der Geist!«
ABEND
Einsam hinterm letzten Haus
geht die rote Sonne schlafen,
und in ernste Schlussoktaven
klingt des Tages Jubel aus.
Lose Lichter haschen spät
noch sich auf den Dächerkanten,
wenn die Nacht schon Diamanten
in die blauen Fernen sät.
JAR. VRCHLICKÝ
Ich lehn im Armstuhl, im bequemen,
wo oft ich Ungemach vergaß,
müd nicken krause Chrysanthemen
im hohen Venezianerglas.
Ich las in einem Band Gedichte
gar lange; wie die Zeit entschwand!
Jetzt erst im Abenddämmerlichte
leg ich sie selig aus der Hand.
Mir ist, von göttlichen Problemen
hätt ich die Lösung jetzt erlauscht, –
hat mich der Hauch der Chrysanthemen,
hat mich Vrchlickýs Buch berauscht?
IM KREUZGANGVON LORETTO
Still ist es in dem Kreuzgang, in dem alten,
wo über krausen Säulenarabesken
herniederschaun aus halbverwischten Fresken
geheimnisvolle Heiligengestalten.
Wo eine Wachsmadonna, die man zeiht
so manchen gnadenvollen Heilmirakels,
prangt hinterm grauen Glas des Tabernakels
im silberübersäten Seidenkleid.
Spannt über Blättergold Spätsommerhaar
sich draußen auch im Klosterhof Lorettos, –
vor einem Bild im Stile Tintorettos
steht selig still ein junges Liebespaar.
DERJUNGE BILDNER
Ich muss nach Rom; in unser Städtchen
kehr ich aufs Jahr mit Ruhm zurück;
nicht weinen; sieh, geliebtes Mädchen,
ich mach in Rom mein Meisterstück.
Er sprachs; dann zog er fort im Rausche
durch jene Welt, die er erhofft;
doch war ihm, seine Seele lausche
auf einen innern Vorwurf oft.
Die Unrast trieb ihn heim, die arge:
Er bildete mit nassem Blick
sein armes, fahles Lieb im Sarge,
und das – das war sein Meisterstück.
FRÜHLING
Die Vögel jubeln – lichtgeweckt – ,
die blauen Weiten füllt der Schall aus;
im Kaiserpark das alte Ballhaus
ist ganz mit Blüten überdeckt.
Die Sonne schreibt sich hoffnungsvoll
ins junge Gras mit großen Lettern.
Nur dorten unter welken Blättern
seufzt traurig noch ein Steinapoll.
Da naht ein Lüftchen, fegt im Tanz
hinweg das gelbe Blattgeranke
und legt um seine Stirn, die blanke,
den blauenden Syringenkranz.
LANDUND VOLK
… Gott war guter Laune. Geizen
ist doch wohl nicht seine Art;
und er lächelte: Da ward
Böhmen, reich an tausend Reizen.
Wie erstarrtes Licht liegt Weizen
zwischen Bergen, waldbehaart,
und der Baum, den dichtgeschart
Früchte drücken, fordert Spreizen.
Gott gab Hütten; voll von Schafen
Ställe; und der Dirne klafft
vor Gesundheit fast das Mieder.
Gab den Burschen all, den braven,
in die raue Faust die Kraft,
in das Herz – die Heimatlieder.
DER ENGEL
Hin geh ich durch die Malvasinka
die Kinderreih, wo sanft und gut
die kleine Anka oder Ninka
in ihrem letzten Bettchen ruht.
Auf einem schmalen Schollenhügel
kniet, ganz versteckt in hohem Mohn,
mit staubigem, gebrochnem Flügel
ein Engelchen aus rohem Ton.
Das flügellahme Kindchen flößte
mir Mitleid ein, – das arme Ding …
Da, sieh! Von seinen Lippen löste
sich leicht ein kleiner Schmetterling. –
ALLERSEELEN
I
Rings liegt der Tag von Allerseelen
voll Wehmut und voll Blütenduft,
und hundert bunte Lichter schwelen
vom Feld des Friedens in die Luft.
Sie senden Palmen heut und Rosen;
der Gärtner ordnet sie mit Sinn –
und kehrt zum Eck der Glaubenslosen
die alten, welken Blumen hin.
II
»Jetzt beten, Willy, – und nicht reden!«
Mit großem Aug gehorcht der Knab.
Der Vater legt den Kranz Reseden
auf seines armen Weibes Grab.
»Die Mutter schläft hier! Mach ein Kreuz nun!«
Klein-Willy sieht empor und macht
wie ihm befohlen. Ach, ihn reuts nun,
dass er am Weg herausgelacht!
Es sticht im Auge ihn – wie Weinen …
Dann gehn sie heimwärts durch die Nacht;
ganz ernst und stumm. Da lockt den Kleinen
beim Ausgang jäh der Buden Pracht.
Es blinkt durch den Novembernebel
herüber lichtbeglänzter Tand;
er sieht dort Pferdchen, Helme, Säbel
und küsst dem Vater leis die Hand.
Und der versteht. Dann gehn sie weiter …
Der Vater sieht so traurig aus. –
Doch einen Pfefferkuchenreiter
schleppt Willy selig sich nach Haus.
BEI NACHT
Weit über Prag ist riesengroß
der Kelch der Nacht schon aufgegangen;
der Sonnenfalter barg sein Prangen
in ihrem kühlen Blütenschoß.
Hoch grinst der Mond, der schlaue Gnom,
und neckend streut er das Gesträhne
der weißen Silberhobelspäne
hernieder in den Moldaustrom.
Da plötzlich, wie beleidigt, hat
zurückgerufen er die Strahlen,
weil er gewahr ward des Rivalen:
der Turmuhr helles Stundenblatt.
ABEND
Der Abend naht. – Die klare Zone
der Stirne schmückt ein goldner Reifen,
und tausend Schattenhände greifen
verstohlen nach der roten Krone.
Die ersten, blassen Sterne liebeln
ihm zu; er steht hoch am Hradschine
und schaut mit ernster Träumermiene
die Türme und die grauen Giebeln.
AUFDEM WOLSCHAN
Am Abend des Tages von Allerseelen
I
Die dürren Äste übergittern
des Himmels abendblasse Scheiben;
und über Grüfte, reich mit Flittern
geschmückt, geht Wehmut, und es zittern
die Lichter durch das Blättertreiben.
Im müden Blau, im regungslosen,
schwimmt fern der Mond. Die Lebensbäume,
die seine blanke Stirne kosen,
sind schwarz. Der Duft von welken Rosen
schleicht her wie Geister toter Träume.
II
Ferner Lärm vom Wagendamm. –
Hier keimt Friede und Vergessen,
zwischen zweien Grabzypressen
hangt der Mond wie ein Tam-Tam.
Schlägt die Ewigkeit nicht sacht
jetzt daran mit schwarzem Schwengel?
Bange schaut ein Marmorengel
in das Aug der Spätherbstnacht.
WINTERMORGEN
Der Wasserfall ist eingefroren,
die Dohlen hocken hart am Teich.
Mein schönes Lieb hat rote Ohren
und sinnt auf einen Schelmenstreich.
Die Sonne küsst uns. Traumverloren
schwimmt im Geäst ein Klang in Moll;
und wir gehn fürder, alle Poren
vom Kraftarom des Morgens voll.
BRUNNEN
Ganz verschollen ist die alte,
holde Brunnenpoesie,
da aus Tritons Muschelspalte
eine klare Quelle lallte,
die den Gassen Sprache lieh.
Abends bei dem Röhrenkasten
sammelte sich Paar um Paar,
weil der Quelle lieblich Glasten
und ihr Laut der tiefgefassten
Neigung süßes Omen war.
Aber als durch Menschenmühn dann
Wasser treppenaufwärts stieg
und kein Paar kam: Misogyn dann
ward der Gott; es schlich sich Grünspan
in die Muschel, – und er schwieg.
SPHINX
Sie fanden sie, den Schädel halb zerschlagen,
in starrer Hand das heiße Rohr von Stahl.
Die Menge gaffte. – Bis der Rettungswagen
sie brachte in das gelbe Stadtspital.
Nur einmal hat das Aug sie aufgeschlagen …
Kein Brief, kein Name, nur ein Kleid, ein Schal;
dann kam der Arzt mit seinem leisen Fragen
und dann der Priester. – Sie blieb stumm und fahl.
Doch spät bei Nacht, da wollt sie etwas sagen,
gestehn … Doch niemand hörte sie im Saal.
Ein Röcheln. – Dann ward sie herausgetragen,
sie und ihr Schmerz. –
Und draußen steht kein Mal.
TRÄUME
Es kommt die Nacht, reich mit Geschmeiden
geschmückt des blauen Kleides Saum; –
sie reicht mir mild mit ihren beiden
Madonnenhänden einen Traum.
Dann geht sie, ihre Pflicht zu üben,
hinfort die Stadt mit leisem Schritt
und nimmt, als Sold des Traumes, drüben
des kranken Kindes Seele mit.
MAITAG
Still! – Ich hör, wie an Geländen
leicht der Wind vorüberhüpft,
wie die Sonne Strahlenenden
an Syringendolden knüpft.
Stille rings. Nur ein geblähter
Frosch hält eine Mückenjagd,
und ein Käfer schwimmt im Äther,
ein lebendiger Smaragd.
Im Geäst spinnt Silberrhomben
Mutter Spinne Zoll um Zoll,
und von Blütenhekatomben
hat die Welt die Hände voll.
KÖNIG ABEND
Wie König Balthasar einst nahte,
die Stirn vom Kronenreif erhellt.
so tritt im purpurnen Ornate
der König Abend in die Welt.
Der erste Stern führt ihn wie jenen
bis an den fernsten Hügelsaum;
dort findet Mutter Nacht er lehnen
mit ihrem Kind im Arm, dem Traum.
Dem bringt er just wie jener Weise
des Orients das Gold, gehäuft, –
das Gold, das uns der Knabe leise
erlösend in den Schlummer träuft.
ANDER ECKE
Der Winter kommt und mit ihm meine Alte,
die an der Ecke stets Kastanien briet.
Ihr Antlitz schaut aus einer Tücherspalte
froh und gesund, ob Falte auch bei Falte
seit vielen Jahren es durchzieht.
Und tüchtig ist sie, ja, das will ich meinen;
die Tüten müssen rein sein, und das Licht
an ihrem Stand muss immer helle scheinen,
und von dem Ofen mit den krummen Beinen
verlangt sie streng die heiße Pflicht.
So trefflich schmort auch keine die Maroni.
Dabei bemerkt sie, wer des Weges zieht,
und alle kennt sie – bis zum Tramwaypony;
sie treibts ja Jahre schon, die alte Toni …
Und leise summt ihr Herd sein Lied.
HEILIGE
Große Heilige und kleine
feiert jegliche Gemeine;
hölzern und von Steine feine,
große Heilige und kleine.
Heilge Annen und Kathrinen,
die im Traum erschienen ihnen,
baun sie sich und dienen ihnen,
heilgen Annen und Kathrinen.
Wenzel lass ich auch noch gelten,
weil sie selten ihn bestellten;
denn zu viele gelten selten –
nun, Sankt Wenzel lass ich gelten.
Aber diese Nepomucken!
Von des Torgangs Lucken gucken
und auf allen Brucken spucken
lauter, lauter Nepomucken!
DASARME KIND
Ich weiß ein Mädchen, eingefallen
die Wangen. – War ein leichtes Tuch
die Mutter; und des Vaters Fluch
fiel in ihr erstes Lallen.
Die Armut blieb ihr treu die Jahre,
und Hunger war ihr Angebind;
so ward sie ernst. – Das Lenzgold rinnt
umsonst in ihre Haare.
Sie schaut die lächelnden Gesichter
der Blumen traurig an im Hag
und denkt: Der Allerseelentag
hat Blüten auch und Lichter.
WENNS FRÜHLING WIRD
Die ersten Keime sind, die zarten,
im goldnen Schimmer aufgesprossen;
schon sind die ersten der Karossen
im Baumgarten.
Die Wandervögel wieder scharten
zusamm sich an der alten Stelle,
und bald stimmt ein auch die Kapelle
im Baumgarten.
Der Lenzwind plauscht in neuen Arten
die alten, wundersamen Märchen,
und draußen träumt das erste Pärchen
im Baumgarten.
ALSICHDIE UNIVERSITÄTBEZOG
Ich seh zurück, wie Jahr um Jahr
so müheschwer vorüberrollte;
nun endlich bin ich, was ich wollte
und was ich strebte: ein Skolar.
Erst ›Recht‹ studieren war mein Plan;
doch meine leichte Laune schreckten
die strengen, staubigen Pandekten,
und also ward der Plan zum Wahn.
Theologie verbot mein Lieb,
konnt mich auf Medizin nicht werfen,
sodass für meine schwachen Nerven
nichts als – Philosophieren blieb.
Die Alma mater reicht mir dar
der freien Künste Prachtregister, –
und bring ichs nie auch zum Magister,
bin was ich strebte: ein Skolar.
SUPERAVIT
Nie kann ganz die Spur verlaufen
einer starken Tat; dies lehrt
zu Konstanz der Scheiterhaufen;
denn aus tausend Feuertaufen
steigt der Hochgeist unversehrt.
Bis zu uns her ungeheuer
ragt der Reformator Hus,
fürchten wir der Lehre Feuer,
neigen wir uns doch in scheuer
Ehrfurcht vor dem Genius.
Der, den das Gericht verdammte,
war im Herzen, tief und rein,
überzeugt von seinem Amte, –
und der hohe Holzstoß flammte
seines Ruhmes Strahlenschein.
TROTZDEM
Manchmal vom Regal der Wand
hol ich meinen Schopenhauer,
einen ›Kerker voller Trauer‹
hat er dieses Sein genannt.
So er recht hat, ich verlor
nichts: In Kerkereinsamkeiten
weck ich meiner Seele Saiten
glücklich wie einst Dalibor.
HERBSTSTIMMUNG
Die Luft ist lau, wie in dem Sterbezimmer,
an dessen Türe schon der Tod steht still;
auf nassen Dächern liegt ein blasser Schimmer,
wie der der Kerze, die verlöschen will.
Das Regenwasser röchelt in den Rinnen,
der matte Wind hält Blätterleichenschau; –
und wie ein Schwarm gescheuchter Bekassinen
ziehn bang die kleinen Wolken durch das Grau.
AN JULIUS ZEYER
Du bist ein Meister; – früher oder später
spannt sich dein Volk in deinen Siegeswagen;
du preisest seine Art und seine Sagen, –
aus deinen Liedern weht der Heimat Äther.
Dein Volk tut recht, – nicht, voll von wahngeblähter
Vergangenheit, die Hand im Schoß zu tragen,
es kämpft noch heut und muss sich tüchtig schlagen,
stolz auf sich selbst und stolz auf seine Väter.
Es hat dein Volk sich seine Ideale
noch nicht versetzen lassen zu den Sternen,
die unerreichbar sind und Sehnsucht glasten;
du aber mahnst, ein echter Orientale,
es möge in dem Ringen nicht verlernen
auch im Alhambrahof die Kunst zu rasten.
DER TRÄUMER
I
Es war ein Traum in meiner Seele tief.
Ich horchte auf den holden Traum:
Ich schlief.
Just ging ein Glück vorüber, als ich schlief,
und wie ich träumte, hört ich nicht:
Es rief.
II
Träume scheinen mir wie Orchideen. –
So wie jene sind sie bunt und reich.
Aus dem Riesenstamm der Lebenssäfte
ziehn sie just wie jene ihre Kräfte,
brüsten sich mit dem ersaugten Blute,
freuen in der flüchtigen Minute,
in der nächsten sind sie tot und bleich. –
Und wenn Welten oben leise gehen,
fühlst du’s dann nicht wie von Düften wehen?
Träume scheinen mir wie Orchideen. –
DIE MUTTER
Aufwärts die Theaterrampe
rollen dröhnend die Karossen,
abseits unter trüber Lampe
steht ein altes Weib verdrossen.
Nur wenn jäh ein Hengst mal scheute,
wars, dass sie zusammenschrecke;
niemand aus dem Strom der Leute
sieht die Alte in der Ecke.
An die neue ›Größe‹ dachte,
von ihr sprach man nur. – Die Güte
eines Grafen, hieß es, brachte
herrlich ihr Talent zur Blüte.
Später. Jubelstürme hallten
in den Schlussklang der Trompeten …
Aber draußen kams der Alten,
heimlich für ihr Kind zu beten.
UNSER ABENDGANG
Gedenkst du noch, wie guter Dinge
wir wallten durch das Nusler Tal;
zwei kleine, blaue Schmetterlinge
verflatterten im Abendstrahl.
Am Häuschen lehnte die Melone
dort – wie auf einem Bilde Dows,
und herrlich mit der Kuppelkrone
hob sich das Haupt des Karlshofs.
Im West war noch der Weizen golden,
blaugrün verdämmerte der Kohl;
die ersten weißen Sternendolden
umzitterten den Himmelspol.
KAJETAN TÝL
Bei Betrachtung seines Zimmerchens, das auf der böhmischen ethnographischen Ausstellung zusammengestellt war
Da also hat der arme Týl
sein Lied »Kde domov můj« geschrieben.
In Wahrheit: Wen die Musen lieben,
dem gibt das Leben nicht zu viel.
Ein Stübchen – nicht zu klein dem Flug
des Geistes; nicht zu groß zur Ruhe. –
Ein Stuhl, als Schreibtisch eine Truhe,
ein Bett, ein Holzkreuz und ein Krug.
Doch wär er nicht für tausend Louis
von Böhmen fort. Mit jeder Fiber
hing er daran. – »Ich bleibe lieber«,
hätt er gesagt, »kde domov můj.«
VOLKSWEISE
Mich rührt so sehr
böhmischen Volkes Weise,
schleicht sie ins Herz sich leise,
macht sie es schwer.
Wenn ein Kind sacht
singt beim Kartoffeljäten,
klingt dir sein Lied im späten
Traum noch der Nacht.
Magst du auch sein
weit über Land gefahren,
fällt es dir doch nach Jahren
stets wieder ein.
DAS VOLKSLIED
Nach einer Kartonskizze des Herrn Liebscher
Es legt dem Burschen auf die Stirne
die Hand der Genius so lind,
dass mit des Liedes Silberzwirne
er seiner Liebsten Herz umspinnt.
Da mag der Bursch sich süß erinnern,
was aus der Mutter Mund ihm scholl,
und mit dem Klang aus seinem Innern
füllt er sich seine Fiedel voll.
Die Liebe und der Heimat Schöne
drückt ihm den Bogen in die Hand,
und leise rieseln seine Töne
wie Blütenregen in das Land.
Und große Dichter, ruhmberauschte,
dem schlichten Liede lauschen sie,
so gläubig wie das Volk einst lauschte
dem Gotteswort des Sinai.
DORFSONNTAG
Im Wirtshaus auf den blanken Dielen
schwingt sich die Jugend frisch und laut,
des Burschen Hand, so hart von Schwielen,
drückt die des blonden Mädchens traut;
bierfrohe Musikanten spielen
ein Lied aus der ›Verkauften Braut‹.
»Trinkt zu! Ich will euch heut besolden.«
Der Pfarrherr. Der liebt muntern Geist.
Und wie er nach dem Tanz die Holden
zu seinem Tische kommen heißt,
da geht der Abend draußen, golden,
und lacht durch alle Fenster dreist.
MEIN GEBURTSHAUS
Der Erinnrung ist das traute
Heim der Kindheit nicht entflohn,
wo ich Bilderbogen schaute
im blauseidenen Salon.
Wo ein Puppenkleid, mit Strähnen
dicken Silbers reich betresst,
Glück mir war; wo heiße Tränen
mir das ›Rechnen‹ ausgepresst.
Wo ich, einem dunklen Rufe
folgend, nach Gedichten griff,
und auf einer Fensterstufe
Tramway spielte oder Schiff.
Wo ein Mädchen stets mir winkte
drüben in dem Grafenhaus …
Der Palast, der damals blinkte,
sieht heut so verschlafen aus.
Und das blonde Kind, das lachte,
wenn der Knab ihm Küsse warf,
ist nun fort; fern ruht es sachte,
wo es nie mehr lächeln darf.
IN DUBIIS
I
Es dringt kein Laut bis her zu mir
von der Nationen wildem Streite,
ich stehe ja auf keiner Seite;
denn Recht ist weder dort noch hier.
Und weil ich nie Horaz vergaß,
bleib gut ich aller Welt und halte
mich unverbrüchlich an die alte
aurea mediocritas.
II
Der erscheint mir als der Größte,
der zu keiner Fahne schwört,
und, weil er vom Teil sich löste,
nun der ganzen Welt gehört.
Ist sein Heim die Welt; es misst ihm
doch nicht klein der Heimat Hort;
denn das Vaterland, es ist ihm
dann sein Haus im Heimatsort.
BARBAREN
Ich weiß von einem Riesenparke
dort, wo die Stadt sich schon verliert;
jetzt nagt die Axt an seinem Marke,
sie sagen: Er wird parzelliert.
Das ist der Fürstenpark Clam-Gallas,
der Mietskasernen weichen soll,
der war doch wie ein Hain der Pallas
der raunenden Orakel voll.
Jetzt stürmen sie, die Ungeweihten,
den Ort, den kein Profaner sah:
Es übertönt der Lärm der Zeiten
das Götterwort der Pythia.
SOMMERABEND
Die große Sonne ist versprüht,
der Sommerabend liegt im Fieber,
und seine heiße Wange glüht.
Jach seufzt er auf: »Ich möchte lieber …«
Und wieder dann: »Ich bin so müd …«
Die Büsche beten Litanein,
Glühwürmchen hangt, das regungslose,
dort wie ein ewiges Licht hinein;
und eine kleine weiße Rose
trägt einen roten Heiligenschein.
GERICHTET
Am ›Ring‹ stand einst ein Blutgerüst,
lang ist es her; doch wenn der Schein
des runden Monds das Rathaus küsst,
dann wallen aus dem heilgen Teyn
Gerichtete in Geisterreihn …
Weh wer sie sah!
Viel Herren fielen auf dem Ring;
die Herren finden Ruhe nicht; –
sie zogen eines Nachts: Es ging
voran Herr Christus, groß und licht,
mit ernstem, traurigem Gesicht …
Und einer sahs!
Der war ein Maler. Und im Flug
malt er, wie er geschaut, den Ring.
Er malt den ganzen Geisterzug,
dem ernst voran Herr Christus ging.
Er malt … bis ihn ein Fieber fing …
Jetzt ist er tot. –
DAS MÄRCHENVONDER WOLKE
Der Tag ging aus mit mildem Tone,
so wie ein Hammerschlag verklang.
Wie eine gelbe Goldmelone
lag groß der Mond im Kraut am Hang.
Ein Wölkchen wollte davon naschen,
und es gelang ihm, ein paar Zoll
des hellen Rundes zu erhaschen,
rasch kaut es sich die Bäckchen voll.
Es hielt sich lange auf der Flucht auf
und sog sich ganz mit Lichte an; –
da hob die Nacht die goldne Frucht auf:
Schwarz ward die Wolke und zerrann.
FREIHEITSKLÄNGE
Böhmens Volk! In deinen Kreisen
weckt ein neuer Genius
alte, heiße Freiheitsweisen,
und die mahnen nicht mit leisen
Worten, dass dein Fesseleisen
ganz zerschmettert werden muss.
Diese Streitpoeten blasen
lockend; und in Stücke haun
kannst du, Volk, in deinem Rasen
des Gesetzes Marmorvasen,
doch du kannst aus ihren Phrasen
keine Zukunft dir erbaun.
Tief in Herz und Sinn in treuer
Hoffnung senk die Liedersaat,
sind dir deine Dichter teuer,
dass daraus ein Lenz, ein neuer,
keime. – Was dann blieb vom Feuer,
das entflamme dich zur Tat.
NACHTBILD
Auch auf der Theaterrampe
wird es stille nach und nach. –
Eine eitle Bogenlampe
schaut sich in ein Droschkendach.
Auf dem leeren Gangsteig zucken
Lichter. – Sehn nicht dort am Haus
helle Dachmansardenlucken
wie verweinte Augen aus?
HINTER SMICHOV
Hin gehn durch heißes Abendrot
aus den Fabriken Männer, Dirnen, –
auf ihre niedern, dumpfen Stirnen
schrieb sich mit Schweiß und Ruß die Not.
Die Mienen sind verstumpft; es brach
das Auge. Schwer durchschlürft die Sohle
den Weg, und Staub zieht und Gejohle
wie das Verhängnis ihnen nach.
IM SOMMER
Im Sommer trägt ein kleiner Dampfer
auf Moldauwogen uns nach Zlichov
zu jenem Kirchlein, hoch und frei.
Im blauen Nebel schwindet Smichov; –
zur Rechten Flächen braun von Ampfer,
zur Linken stolz die ›Loreley‹.
Wir legen an; und sieh, ein Alter
begrüßt uns leiernd: »Hej, Slované!«
Am Friedhofsrand dann lehnen wir.
Hoch blaut des Himmels Prachtzyane,
und unser Träumen hebt, ein Falter,
auf Sonnenflügeln sich zu ihr.
AM KIRCHHOFZU KÖNIGSSAAL
(Aula regis)
Auf schloss das Erztor der Kustode.
Du sahst vor Blüten keine Gruft.
Der Lenz verschleierte dem Tode
das Angesicht mit Blust und Duft;
da stieg wie eine Todesode
ein Trauermantel in die Luft.
Wir sahn ihn beide und wir schwiegen …
Rings feierte Mittsommerlicht,
in den Syringen summten Fliegen. –
Da lag ein Schädel vor uns dicht;
aus seinen leeren Augen stiegen
verkümmerte Vergissmeinnicht.
VIGILIEN
I
Die falben Felder schlafen schon,
mein Herz nur wacht allein;
der Abend refft im Hafen schon
sein rotes Segel ein.
Traumselige Vigilie!
Jetzt wallt die Nacht durchs Land;
der Mond, die weiße Lilie,
blüht auf in ihrer Hand.
II
Am offnen Stubenfenster lehn ich
und träume in die Nacht hinauf;
das Mondlicht windet silbersträhnig
sich um den schwarzen Kirchturmknauf.
Sehn wenig Welten aus den Fernen
auch durch den engen Hof ins Haus, –
es füllte Licht von zehen Sternen
ein ganzes, dunkles Leben aus.
III
Horch, der Schritt der Nacht erstirbt
in der weiten Stille;
meine Schreibtischlampe zirpt
leis wie eine Grille.
Goldig auf dem Bücherstand
glühn der Bände Rücken:
zu der Fahrt ins Feenland
Pfeiler für die Brücken.
IV
Sie hat, halb Kind, einst eine Nacht
beim toten Mütterlein verbracht
und hat geweint und hat gewacht; –
dann gingen Jahre, Jahre sacht:
Nie hat sie jener Nacht gedacht.
Und dann kam eine andre Nacht.
Da hat von Glut und Sünd entfacht
die rote Lippe Lust gelacht,
doch plötzlich – wie durch höhre Macht
dacht sie der Nacht der Leichenwacht.
DERLETZTE SONNENGRUSS
Zu einem Bilde des Beneš Knüpfer
Die Sonne schmolz, die hehre,
ins weiße Meer so heiß. –
Zwei Mönche saßen am Meere,
ein blonder und ein Greis.
Der sann: Geh ich einst rasten,
so friedlich mög es sein –
und jener: Des Ruhmes Glasten
sollt mir mein Sterben weihn.
KAISER RUDOLF
Hoch auf seiner Himmelswarte
über einer Sternenkarte
sitzt der Kaiser Rudolf dort,
forschend, ob der langerharrte
Flugstern, der die Weisen narrte,
streifen würde diesen Ort.
Und er fragt den Astrologen,
der am hohen Himmelsbogen
alle Wandelwege weiß:
»Wird von Unglück der betrogen,
den der Stern hineingezogen
in den unheilvollen Kreis?«
Und der Alte weicht ihm leise
aus: »Der Stern zieht seine Gleise,
Herr, im fernen Ätherreich!«
Und gen Süden sieht der Weise; –
und der Kaiser schaut die Kreise
seines Globen, ernst und bleich. –
Und von Süden kommt Verderben,
kommt Matthias. – Eilge Erben
lassen ihm nur den Hradschin;
und der Kaiser spricht im herben
Spott: »Mir bleibt nichts, als zu sterben,
denn schon bin ich tot für ›ihn‹.
Alter! Lass den Blick uns heben!
du hast recht, die Sterne schweben
hoch ob allem Erdenbann;
aber – die nach ihnen streben,
knüpfen selbst ihr dunkles Leben
an die lichten Lose an!«
AUS DEM DREISSIGJÄHRIGEN KRIEGE
Kohlenskizzen in Callots Manier
1. KRIEG
Finster ist die Welt geworden, –
darum Dörfer rasch entloht!
und die Welt ist grau; – drum rot
färbt sie durch das Morden!
Bauer! Bittest um dein Leben?
Nimm dirs! Aber bei uns bleib!
Herrgott hat dir Ochs und Weib
nur für uns gegeben.
Lass den Teufel Felder pflügen;
sieh, wir haben stets genung!
Vorwärts – einen Werbetrunk
aus den vollen Krügen!
2. ALEAJACTAEST
»… Tod oder Sold!«
Und jetzt die Trommel schnell
her. Auf das Trommelfell
Würfel gerollt.
So wird dem Lohn,
der unsre Streiche sucht.
Sieh, der Baum, reiche Frucht
trägt er doch schon!
Solltest schon längst
hängen dran, Kamerad!
Drum ists nicht jammerschad,
wenn du dann hängst!
3. KRIEGSKNECHTS-SANG
Lag auf einer Trommel nackt,
kaum zwei Spannen lang,
und der raue Trommeltakt
war mein Wiegensang.
Wild zu wettern taugte ich
damals schon im Zorn,
meine Milch, die saugte ich
aus dem Pulverhorn.
Damals taufte jeden gut
der Korp’ral; beim Schopf
nahm er ihn, goss Schwedenblut
heiß ihm übern Kopf.
4. KRIEGSKNECHTS-RANG
Bei uns gibts nicht Edelinge,
die was gelten durch ihr Blut,
jedes Rang ist jedes Klinge,
und sein Wappen ist der Mut.
Wer nur immer kühn sein Schwert zog,
hält den Schild von Schande rein,
wer noch gestern unterm Heer zog,
Herzog kann er morgen sein.
5. BEIM KLOSTER
Was gibts? – Eine Klosterpforte? –
Ei, Potz Blitz!
Eine Tür von dieser Sorte
renn ich ohne viele Worte
ein mit meiner Nasenspitz!
Auf das Tor ein fester Stempel …
Pfaffe, komm!
Jetzt heraus mit deinem Krempel,
paar Monstranzen zum Exempel
und paar Kelche: Wir sind fromm.
Lass jetzt dein: Peccavi, pater …
Leucht zum Wein
uns mit deiner Nase, Frater,
dorten kannst du uns ein Rater
und ein ›Seelensorger‹ sein!
6. BALLADE
Gestern zogen wilde Horden
durch das Dörfchen hin mit Morden,
und ein Mädchen sinnt jetzt still:
Ist der Liebste untreu worden,
weil er heut nicht kommen will? –
Draußen schrien die Dohlen.
Mädchen ging mit bleicher Wange
durch das Haus. – Sie harrte lange,
und des Nachts floh sie der Schlaf.
Und sie schlich hinaus zum Hange,
wo sie stets den Teuren traf.
Ängstlich schrien die Dohlen.
Und die Nacht war schwarz, die schwüle,
fern nur brannte eine Mühle …
Weinend wählt die matte Maid
sich gar weiches Kraut zum Pfühle
und entschlief in lauter Leid.
Schrien noch die Dohlen?
Spät erwacht sie. Nebel grauten
rings – soweit die Augen schauten …
Weh! – Was sie ein Kraut geglaubt,
ist das Haar an ihres Trauten
blutigem, zerschelltem Haupt. –
Schrecklich schrien die Dohlen.
7. DER FENSTERSTURZ
»Naht Verrat mit leisem Schritte,
ungerächt, bei der Madonna,
bleibt er nicht! Nach alter Sitte
zu den Fenstern!«, schrie Colonna.
»Schont den Popel! Doch die andern,
jeder eine feige Natter,
aus den Fenstern lasst sie wandern!
Mitleid? – Werft ihn mit, den Platter!«
Bange hangt am Fensterstocke
Martinitz noch. – Da Geröchel:
Turn schwingt seine Degenglocke
und zerschmettert ihm die Knöchel.
Und zum nächsten: »Sag, wie heißt er,
Böhmens Herr? Du sollst mirs deuten!«
»Graf von Turn!« – »Der Bürgermeister
lasse alle Glocken läuten!« –
8. GOLD
»Dein Wams, Geliebter, ist voll Gold.
Wo hast das Gold du her?« –
»Da schaust du, Kind, das ist mein Sold,
kein Obrist hat wohl mehr!«
»Nein, das ist gutes, rotes Gold,
das kann dein Sold nicht sein!« –
»Beim Spielen war das Glück mir hold,
und da ward alles mein!«
»Ist wirklich alles dein – das Gold,
gesteh, – und ists kein Trug?« –
»Nun, Würfel haben mir gerollt,
und jetzt lass es genug!«
»Und gibst du mir auch von dem Gold?«
»Das weißt du!« – »Nein, du Schelm,
just auf der Stelle, sieh, ich wollt,
du füllst mir deinen Helm!«
»Es sei!« – »Wie’s durch die Finger bebt,
der Glanz gefällt mir gut! –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
… Schau, was dir da am Finger klebt,
kam das vom Golde? – Blut!« – …
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
9. SZENE
»Du kniest am Markstein, Alter, sprich! –
Das ist kein Heilgenbild!«
»Kein Bild? – Ich bet. – Es fasste mich
das Schicksal gar so wild.«
»Hast du kein Haus, hast du kein Land,
das deiner Hände braucht?«
»Das Land zerstampft, das Haus verbrannt,
sieh hin – gewiss – es raucht.«
»Was bauts nicht wieder auf dein Sohn
und hilft dir aus der Not?«
»Mein Sohn zog in den Krieg davon,
jetzt ist er sicher tot.« –
»Was streicht dir deines Haares Schnee
der Tochter Hand nicht weich?« –
»Der bracht ein Trossbub Schand und Weh,
da sprang sie in den Teich.« –
»So sieh mir ins Gesicht! – Und brach
das Herz dir auch vor Graus …«
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
»Ich kann nicht, Herr, ein Kriegsknecht stach
mir beide Augen aus.«
10. FEUERLILIE
Winters, als die Äste krachten,
keine Bäche konnten frieren,
weil die Fluten Blutes ihren
Pulsschlag immer neu entfachten.
Als die Zeit kam, da die Blume
aufwacht und der Vogel flötet,
sprang die Lilie selbst gerötet
aus der todgedüngten Krume.
11. BEIM FRIEDLAND
Heimgekehrt von Schlacht und Schlag
freut sich Obrist und Gemeiner;
denn jetzt hält der Wallensteiner
wieder seinen Hof zu Prag.
Just ließ frei den Turn er ziehn;
das war so von seinen Trümpfen
einer. – Drauf ward Nasenrümpfen
Mode … dort bei Hof zu Wien.
Lasst sie zetern. Friedlands Heer
muss nicht darben und nicht dürsten, –
und aus Knechten macht er Fürsten,
unser Herzog. – Wer kann mehr?
12. FRIEDEN
Prag gebar die Missgestalt
dieses Krieges, der voll Tücke
hauste. – Auf der Karlsbrücke
starb er, dreißig Jahre alt.
Endlich riss das Eisenstück
nur dem Acker eine Schramme,
und vom Kirchturm schlug die Flamme
in den trauten Herd zurück.
BEIDEN URSULINEN
Geh mittags zu den Ursulinen,
wenn man den Armen Speise trug,
da siehst du, wie in müde Mienen
die Not schrieb ihren Namenszug.
Da siehst du Stirnen, die schon frühe
des Schmerzes Eisenreif umschloss,
und Wangen, die der Dunst der Brühe
mit falscher Röte übergoss.
Du hörst, wie leisem Dankesworte
sich Fluch bald, bald Gebet gesellt:
So brandet an der Klosterpforte
das ganze Elend dieser Welt.
AUSDER KINDERZEIT
Sommertage auf der ›Golka‹ …
Ich, ein Kind noch. – Leise her,
aus dem Gasthaus klingt die Polka,
und die Luft ist sonnenschwer.
Sonntag ists. – Es liest Helene
lieb mir vor. – Im Lichtgeglänz
ziehn die Wolken, wie die Schwäne
aus dem Märchen Andersens.
Schwarze Fichten stehn wie Wächter
bei der Wiesen buntem Schatz;
von der Straße dringt Gelächter
bis zu unserm Laubenplatz.
An die Mauer lockt uns beide
mancher laute Jubelschrei:
Drunten geht im Feierkleide
Paar um Paar zum Tanz vorbei.
Bunt und selig, Bursch und Holka,
Glück und Sonne im Gesicht! –
Sommertage auf der ›Golka‹, –
und die Luft war voller Licht …
RABBI LÖW
(1)
»Weiser Rabbi, hoher Liva, hilf uns aus dem Bann der Not:
Heut gibt uns Jehova Kinder, morgen raubt sie uns der Tod.
Schon fasst Beth Chaim nicht die Scharen, und kaum hat der Leichenwart
eins bestattet, nahen andre Tote; Rabbi, das ist hart.«
Und der Rabbi: »Geht und schickt mir einen Bocher rasch herein.« –
So geschiehts: »Wagst du nach Beth Chaim diese Nacht dich ganz allein?«
»Du befiehlst es, weiser Meister!« – »Gut, so hör, um Mitternacht
tanzen all die Kindergeister auf den grauen Steinen sacht.
Birg dich dorten im Gebete, und wenn Furcht dein Herz beklemmt,
streif sie ab: Du raubst dem nächsten Kinde kühn sein Leichenhemd.
Raubst es, – bringst es her im Fluge, her zu mir! Begreifst du wohl?«
»Wie du heißest tun mich, Meister, tu ich!«, klingt die Antwort hohl.
(2)
Mitternacht und Mondgegleiße, –
… und es stürzt der totenblasse
Bocher bebend durch die Gasse,
in der Hand das Hemd, das weiße.
Da jetzt … sind das seine Schritte? …
Jach kehrt er zurück das bleiche
Antlitz: Weh, die Kindesleiche
folgt ihm nach, im Aug die Bitte:
»… Gib das Linnen, ohne Linnen
lassen mich nicht ein die Geister …«
Und der Bocher, halb von Sinnen,
reicht es endlich seinem Meister.
Und schon naht der Geist mit Klagen …
»Sag, was sterben hundert binnen
Tagen? – Kind, du musst es sagen,
früher darfst du nicht von hinnen.«
So der Rabbi. – »Wehe, wehe«,
ruft der Geist, »aus unserm Stamme
haben zwei entehrt der Ehe
keusche, reine Altarflamme!
Hier die Namen! – Sucht nicht fremde
Ursach, dass euch Tod beschieden …«
Und der Rabbi reicht das Hemde
jetzt dem Kinde: »Zieh in Frieden!«
(3)
Kaum, dass aus dem Nachtkelch maijung
stieg der Tag in rosgem Licht,
hielt der Rabbi schon Gericht, –
und der Unschuld ward Befreiung.
Mit der Geißel des Gesetzes
brandmarkt er die Sünderstirn; –
langsam löste jedes Hirn
sich vom Bann des Fluchgenetzes.
Manches Paar war da erschienen,
dankerfüllt, dass Gott verzieh,
und der Weise segnet sie. –
Freude lag auf aller Mienen.
Nur der Bocher warf, der bleiche,
sich im Fieber hin und her …
Doch nach Beth Chaim lange mehr
trug man keine Kindesleiche.
DIEALTE UHR
Bald hättest, alte Rathausuhr,
du nimmer dürfen Stunden weisen;
sie hätten bald in altem Eisen
versplittert deine letzte Spur.
Der Geizhals hätt zum letzten Mal
sein Haupt gewiegt in starrem Trotzen,
zum letzten Mal der Tod mit Glotzen
geschwungen seinen Sensenstahl.
Dann hätt der Hahn auch ausgekräht.
Und heut noch kräht er, freilich heiser;
noch nickt der Geizhals fort, und leiser
droht ihm des Todes Majestät.
KÄMPFEN
I
Ein heißer Eid, ein gramerpresster,
der leicht von jungen Lippen rinnt,
der machte zur barmherzgen Schwester
fast über Nacht ein blondes Kind.
Des jungen Lebens Wellen fließen
fortan durch Krankenstuben still;
es träumt ihr Herz noch vom Genießen,
wenn auch das Aug es leugnen will.
Denn mit der Strenge der Asketen
drängt sie zurück, was in ihr quillt,
und geht um Kraft nach Emaus beten
zum wunderstarken Gnadenbild.
SIEGEN
II
Der Tag beginnt sich kaum zu lichten;
»Heut sei im Glauben stark wie nie
und geh mit Gott an deine Pflichten:
Es ist ein Fall von Diphtherie …«
Sie pflegt und küsst den kleinen Kranken,
und doch packt ihn der Tod beim Hals …
Spät rafft sie auf sich, heimzuwanken,
erfröstelnd in den Schutz des Schals.
Als man vorbei beim Kloster gestern
den Kleinen trug ins Bett von Lehm,
klang aus der ›Kirche von den Schwestern‹
ganz leis ein Totenrequiem …
IM HERBST
Ein Riesenspinngewebe, zieht
Altweibersommer durch die Welt sich; –
und der Laurenziberg gefällt sich
im goldig-bräunlichen Habit.
Weil er so mild herübersieht,
sucht müd, gestützt auf Strahlenkrücken,
die Sonne hinter seinem Rücken
schon frühe ihr Valladolid.
DERKLEINE ›DRÁTENÍK‹
Kommt so ein Bursche, ein junger,
Mausfallen, Siebe am Rücken,
folgt mir durch Gassen und Brücken:
»Herr, ich hab ›türkischen Hunger‹.
Nur einen Krajcar, nur einen
für ein Stück Brot, milost’ pánků!«
Da! – Und er stammelt mir Dank zu,
doch lässt nicht Ruh er den Beinen.
Lebt nicht von bloßem Gelunger. –
Riecht an den Türen den Braten
und muss die Pfannen doch drahten –
leer: – Das macht ›türkischen Hunger‹.
INDER VORSTADT
Die Alte oben mit dem heisern Husten,
ja, die ist tot. – Wer war sie? – Du mein Gott,
sie gab uns nichts, – ihr gab man Hohn und Spott …
Kaum, dass die Leute ihren Namen wussten.
Und unten stand der schwarze Kastenwagen.
Die letzte Klasse; als der Totenschrein
sich spreizte, stieß man fluchend ihn hinein,
und dann ward rau die Türe zugeschlagen.
Der Kutscher hieb in seine magern Mähren
und fuhr im Trab so leicht zum Friedhof hin,
als wenn da nicht ein ganzes Leben drin
voll Weh und Glück – und tote Träume wären.
BEI ST. HEINRICH
Hart am Kirchenaltargitter,
wo die Ampel flammt, die matte,
schläft ein alter, alter Ritter
unter grauer Wappenplatte.
Lebend hielt er hoch sein Wappen,
sorgte immer für sein Blinken; –
weiß er, dass mit schmutzgen Schlappen
alte Weiber drüber hinken?
MITTELBÖHMISCHE LANDSCHAFT
Fern dämmert wogender Wälder
beschatteter Saum.
Dann unterbricht
nur hie und da ein Baum
die falbe Fläche hoher Ährenfelder.
Im hellsten Licht
keimt die Kartoffel; dann
ein wenig weiter Gerste, bis der Tann
das Bild begrenzt.
Hoch überm Jungwald glänzt
so goldig-rot ein Kirchturmkreuz herüber,
aus Fichten ragt der Hegerhütte Bau; –
und drüber
wölbt sich ein Himmel, blank und blau.
DAS HEIMATLIED
Vom Feld klingt ernste Weise;
weiß nicht, wie mir geschieht …
»Komm her, du Tschechenmädchen,
sing mir ein Heimatlied.« –
Das Mädchen lässt die Sichel,
ist hier mit Husch und Hui, –
setzt nieder sich am Feldrain
und singt: »Kde domov můj« …
Jetzt schweigt sie still. Voll Tränen
das Aug mir zugewandt, –
nimmt meine Kupferkreuzer
und küsst mir stumm die Hand.
(1896)
KÖNIGSLIED
Darfst das Leben mit Würde ertragen,
nur die Kleinlichen macht es klein;
Bettler können dir Bruder sagen,
und du kannst doch ein König sein.
Ob dir der Stirne göttliches Schweigen
auch kein rotgoldener Reif unterbrach, –
Kinder werden sich vor dir neigen,
selige Schwärmer staunen dir nach.
Tage weben aus leuchtender Sonne
dir deinen Purpur und Hermelin,
und, in den Händen Wehmut und Wonne,
liegen die Nächte vor dir auf den Knien …
TRÄUMEN
I
Mein Herz gleicht der vergessenen Kapelle;
auf dem Altare prahlt ein wilder Mai.
Der Sturm, der übermütige Geselle,
brach längst die kleinen Fenster schon entzwei;
er schleicht herein jetzt bis zur Sakristei
und zerrt dort an der Ministrantenschelle.
Der schrillen Glocken zager Sehnsuchtsschrei
ruft zu der längst entwöhnten Opferstelle
den arg erstaunten fernen Gott herbei.
Da lacht der Wind und hüpft durchs Fenster frei.
Doch der Erzürnte packt des Klanges Welle
und schmettert an den Fliesen sie entzwei.
Und arme Wünsche knien in langer Reih
vorm Tor und betteln an vermooster Schwelle.
Doch längst schon geht kein Beter mehr vorbei.
II
Ich denke an:
Ein Dörfchen schlicht in des Friedens Prangen,
drin Hahngekräh;
und dieses Dörfchen verloren gegangen
im Blütenschnee.
Und drin im Dörfchen mit Sonntagsmienen
ein kleines Haus;
ein Blondkopf nickt aus den Tüllgardinen
verstohlen heraus.
Rasch auf die Türe, die angelheiser
um Hilfe ruft, –
und dann in der Stube ein leiser, leiser
Lavendelduft …
III
Mir ist: Ein Häuschen war mein eigen;
vor seiner Türe saß ich spät,
wenn hinter violetten Zweigen
bei halbverhalltem Grillengeigen
die rote Sonne sterben geht.
Wie eine Mütze grünlich-samten
steht meinem Haus das moosge Dach,
und seine kleinen, dickumrammten
und blankverbleiten Scheiben flammten
dem Tage heiße Grüße nach.
Ich träumte, und mein Auge langte
schon nach den blassen Sternen hin, –
vom Dorfe her ein Ave bangte,
und ein verlorner Falter schwankte
im schneeig schimmernden Jasmin.
Die müde Herde trollte trabend
vorbei, der kleine Hirte pfiff, –
und in die Hand das Haupt vergrabend,
empfand ich, wie der Feierabend
in meiner Seele Saiten griff.
IV
Eine alte Weide trauert
dürr und fühllos in den Mai, –
eine alte Hütte kauert
grau und einsam hart dabei.
War ein Nest einst in der Weide,
in der Hütt ein Glück zu Haus;
Winter kam und Weh, – und beide
blieben aus …
V
Die Rose hier, die gelbe,
gab gestern mir der Knab,
heut trag ich sie, dieselbe,
hin auf sein frisches Grab.
An ihren Blättern lehnen
noch lichte Tröpfchen, – schau!
Nur heute sind es Tränen, –
und gestern war es Tau …
VI
Wir saßen beisammen im Dämmerlichte.
»Mütterchen«, schmeichelte ich, »nicht wahr,
du erzählst mir noch einmal die schöne Geschichte
von der Prinzessin mit goldnem Haar?« –
Seit Mütterchen tot ist, durch dämmernde Tage
führt mich die Sehnsucht, die blasse Frau;
und von der schönen Prinzessin die Sage
weiß sie wie Mütterchen ganz genau …
VII
Ich wollt, sie hätten statt der Wiege
mir einen kleinen Sarg gemacht,
dann war mir besser wohl, dann schwiege
die Lippe längst in feuchter Nacht.
Dann hätte nie ein wilder Wille
die bange Brust durchzittert, – dann
wärs in dem kleinen Körper stille,
so still wie’s niemand denken kann.
Nur eine Kinderseele stiege
zum Himmel hoch so sacht, – ganz sacht …
Was haben sie mir statt der Wiege
nicht einen kleinen Sarg gemacht? –
VIII
Jene Wolke will ich neiden,
die dort oben schweben darf!
Wie sie auf besonnte Heiden
ihre schwarzen Schatten warf.
Wie die Sonne zu verdüstern
sie vermochte kühn genug,
wenn die Erde lichteslüstern
grollte unter ihrem Flug.
All die goldnen Strahlenfluten
jener Sonne wollt auch ich
hemmen! Wenn auch für Minuten!
Wolke! Ja, ich neide dich!
IX
Mir ist: Die Welt, die laute, kranke,
hat jüngst zerstört ein jäh Zerstieben,
und mir nur ist der Weltgedanke,
der große, in der Brust geblieben.
Denn so ist sie, wie ich sie dachte;
ein jeder Zwiespalt ist vertost:
Auf goldnen Sonnenflügeln sachte
umschwebt mich grüner Waldestrost.
X
Wenn das Volk, das drohnenträge,
trabt den altvertrauten Trott,
möcht ich weiße Wandelwege
wallen durch das Duftgehege
ernst und einsam wie ein Gott.
Wandeln nach den glanzdurchsprühten
Fernen, lichten Lohns bewusst; –
um die Stirne kühle Blüten
und von kinderkeuschen Mythen
voll die sabbatstille Brust.
XI
Weiß ich denn wie mir geschieht?
In den Lüften Düftequalmen
und in bronzebraunen Halmen
ein verlornes Grillenlied.
Auch in meiner Seele klingt
tief ein Klang, ein traurig-lieber, –
so hört wohl ein Kind im Fieber,
wie die tote Mutter singt.
XII
Schon blinzt aus argzerfetztem Laken
der holde, keusche Götternacken
der früherwachenden Natur,
und nur in tiefentlegnen Talen
zeigt hinter violetten, kahlen
Gebüschen sich mit falschem Prahlen
des Winters weiße Sohlenspur.
Hin geh ich zwischen Weidenbäumen
an nassen Räderrinnensäumen
den Fahrweg, und der Wind ist mild.
Die Sonne prangt im Glast des Märzen
und zündet an im dunkeln Herzen
der Sehnsucht weiße Opferkerzen
vor meiner Hoffnung Gnadenbild.
XIII
Fahlgrauer Himmel, von dem jede Farbe
bange verblich.
Weit – ein einziger lohroter Strich
wie eine brennende Geißelnarbe.
Irre Reflexe vergehn und erscheinen.
Und in der Luft
liegts wie ersterbender Rosenduft
und wie verhaltenes Weinen …
XIV
Die Nacht liegt duftschwer auf dem Parke,
und ihre Sterne schauen still,
wie schon des Mondes weiße Barke
im Lindenwipfel landen will.
Fern hör ich die Fontäne hallen
ein Märchen, das ich längst vergaß, –
und dann ein leises Apfelfallen
ins hohe, regungslose Gras.
Der Nachtwind schwebt vom nahen Hügel
und trägt durch alte Eichenreihn
auf seinem blauen Falterflügel
den schweren Duft vom jungen Wein.
XV
Im Schoß der silberhellen Schneenacht
dort schlummert alles weit und breit,
und nur ein ewig wildes Weh wacht
in einer Seele Einsamkeit.
Du fragst, warum die Seele schwiege,
warum sie’s in die Nacht hinaus
nicht gießt? – Sie weiß, wenns ihr entstiege,
es löschte alle Sterne aus.
XVI
Abendläuten. Aus den Bergen hallt es
wieder neu zurück in immer mattern
Tönen. Und ein Lüftchen fühlst du flattern
von dem grünen Talgrund her, ein kaltes.
In den weißen Wiesenquellen lallt es
wie ein Stammeln kindischen Gebetes;
durch den schwarzen Tannenhochwald geht es
wie ein Dämmern, ein jahrhundertaltes.
Durch die Fuge eines Wolkenspaltes
wirft der Abend rote Blutkorallen
nach den Felsenwänden. – Und sie prallen
lautlos von den Schultern des Basaltes.
XVII
Weltenweiter Wandrer
walle fort in Ruh …
also kennt kein andrer
Menschenleid wie du.
Wenn mit lichtem Leuchten
du beginnst den Lauf,
schlägt der Schmerz die feuchten
Augen zu dir auf.
Drinnen liegt – als riefen
sie dir zu: Versteh! –
tief in ihren Tiefen
eine Welt voll Weh …
Tausend Tränen reden
ewig ungestillt,
und in einer jeden
spiegelt sich dein Bild!
XVIII
Möchte mir ein blondes Glück erkiesen;
doch vom Sehnen bin ich müd und Suchen. –
Weiße Wasser gehn in stillen Wiesen,
und der Abend blutet in die Buchen.
Mädchen wandern heimwärts. Rot im Mieder
Rosen; ferneher verklingt ihr Lachen …
Und die ersten Sterne kommen wieder
und die Träume, die so traurig machen.
XIX
Vor mir liegt ein Felsenmeer,
Sträucher, halb im Schutt versunken,
Todesschweigen. – Nebeltrunken
hangt der Himmel drüber her.
Nur ein matter Falter schwirrt
rastlos durch das Land, das kranke …
Einsam, wie ein Gottgedanke
durch die Brust des Leugners irrt.
XX
Die Fenster glühten an dem stillen Haus,
der ganze Garten war voll Rosendüften.
Hoch spannte über weißen Wolkenklüften
der Abend in den unbewegten Lüften
die Schwingen aus.
Ein Glockenton ergoss sich auf die Au …
Lind wie ein Ruf aus himmlischen Bezirken.
Und heimlich über flüstervollen Birken
sah ich die Nacht die ersten Sterne wirken
ins blasse Blau.
XXI
Es gibt so wunderweiße Nächte,
drin alle Dinge Silber sind.
Da schimmert mancher Stern so lind,
als ob er fromme Hirten brächte
zu einem neuen Jesuskind.
Weit wie mit dichtem Demantstaube
bestreut, erscheinen Flur und Flut,
und in die Herzen, traumgemut,
steigt ein kapellenloser Glaube,
der leise seine Wunder tut.
XXII
Wie eine Riesenwunderblume prangt
voll Duft die Welt, an deren Blütenspelze,
ein Schmetterling mit blauem Schwingenschmelze,
die Mainacht hangt.
Nichts regt sich; nur der Silberfühler blinkt …
Dann trägt sein Flügel ihn, sein frühverblasster,
nach Morgen, wo aus feuerroter Aster
er Sterben trinkt …
XXIII
Wie, jegliches Gefühl vertiefend,
ein süßer Drang die Brust bewegt,
wenn sich die Mainacht, sternetriefend,
auf mäuschenstille Plätze legt.
Da schleichst du hin auf sachter Sohle
und schwärmst zum blanken Blau hinauf,
und groß wie eine Nachtviole
geht dir die dunkle Seele auf …
XXIV
O gäbs doch Sterne, die nicht bleichen,
wenn schon der Tag den Ost besäumt;
von solchen Sternen ohnegleichen
hat meine Seele oft geträumt.
Von Sternen, die so milde blinken,
dass dort das Auge landen mag,
das müde ward vom Sonnetrinken
an einem goldnen Sommertag.
Und schlichen hoch ins Weltgetriebe
sich wirklich solche Sterne ein, –
sie müssten der verborgnen Liebe
und allen Dichtern heilig sein.
XXV
Mir ist so weh, so weh, als müsste
die ganze Welt in Grau vergehn,
als ob mich die Geliebte küsste
und spräch: Auf Nimmerwiedersehn.
Als ob ich tot wär und im Hirne
mir dennoch wühlte wilde Qual,
weil mir vom Hügel eine Dirne
die letzte, blasse Rose stahl …
XXVI
Matt durch der Tale Gequalme wankt
Abend auf goldenen Schuhn, –
Falter, der träumend am Halme hangt,
weiß nichts vor Wonne zu tun.
Alles schlürft heil an der Stille sich. –
Wie da die Seele sich schwellt,
dass sie als schimmernde Hülle sich
legt um das Dunkel der Welt.
XXVII
Ein Erinnern, das ich heilig heiße,
leuchtet mir durchs innerste Gemüt,
so wie Götterbildermarmorweiße
durch geweihter Haine Dämmer glüht.
Das Erinnern einstger Seligkeiten,
das Erinnern an den toten Mai, –
Weihrauch in den weißen Händen, schreiten
meine stillen Tage dran vorbei …
XXVIII
Glaubt mir, dass ich, matt vom Kranken,
keinen lauten Lenz mehr mag, –
will nur einen sonnenblanken,
wipfelroten Frühherbsttag.
Will die Lust, die jubelschrille,
nicht mehr in die Brust zurück, –
will nur Sterbestubenstille
drinnen – für mein totes Glück.
LIEBEN
I
Und wie mag die Liebe dir kommen sein?
Kam sie wie ein Sonnen, ein Blütenschnein,
kam sie wie ein Beten? – Erzähle:
Ein Glück löste leuchtend aus Himmeln sich los
und hing mit gefalteten Schwingen groß
an meiner blühenden Seele …
II
Das war der Tag der weißen Chrysanthemen, –
mir bangte fast vor seiner schweren Pracht …
Und dann, dann kamst du mir die Seele nehmen
tief in der Nacht.
Mir war so bang, und du kamst lieb und leise, –
ich hatte grad im Traum an dich gedacht.
Du kamst, und leis wie eine Märchenweise
erklang die Nacht …
III
Einen Maitag mit dir beisammen sein,
und selbander verloren ziehn
durch der Blüten duftqualmende Flammenreihn
zu der Laube von weißem Jasmin.
Und von dorten hinaus in den Maiblust schaun,
jeder Wunsch in der Seele so still …
Und ein Glück sich mitten in Mailust baun,
ein großes, – das ists, was ich will …
IV
Ich weiß nicht, wie mir geschieht …
Weiß nicht, was Wonne ich lausche,
mein Herz ist fort wie im Rausche,
und die Sehnsucht ist wie ein Lied.
Und mein Mädel hat fröhliches Blut
und hat das Haar voller Sonne
und die Augen von der Madonne,
die heute noch Wunder tut.
V
Ob du’s noch denkst, dass ich dir Äpfel brachte
und dir das Goldhaar glatt strich leis und lind?
Weißt du, das war, als ich noch gerne lachte,
und du warst damals noch ein Kind.
Dann ward ich ernst. In meinem Herzen brannte
ein junges Hoffen und ein alter Gram …
Zur Zeit, als einmal dir die Gouvernante
den ›Werther‹ aus den Händen nahm.
Der Frühling rief. Ich küsste dir die Wangen,
dein Auge sah mich groß und selig an.
Das war ein Sonntag. Ferne Glocken klangen,
und Lichter gingen durch den Tann …
VI
Wir saßen beide in Gedanken
im Weinblattdämmer – du und ich –
und über uns in duftgen Ranken
versummte wo ein Hummel sich.
Reflexe hielten, bunte Kreise,
in deinem Haare flüchtig Rast …
Ich sagte nichts als einmal leise:
»Was du für schöne Augen hast.«
VII
Blondköpfchen hinter den Scheiben
hebt es sich ab so fein, –
sternt es ins Stäubchentreiben
oder zu mir herein?
Ist es das Köpfchen, das liebe,
das mich gefesselt hält,
oder das Stäubchengetriebe
dort in der sonnigen Welt?
Keins sieht zum andern hinüber.
Heimlich, die Stirne voll Ruh
schreitet der Abend vorüber …
Und wir? Wir sehn ihm halt zu. –
VIII
Die Liese wird heute just sechzehn Jahr.
Sie findet im Klee einen Vierling …
Fern drängt sichs wie eine Bubenschar:
die Löwenzähne mit blondem Haar
betreut vom sternigen Schierling.
Dort hockt hinterm Schierling der Riesenpan,
der strotzige, lose Geselle.
Jetzt sieht er verstohlen die Liese nahn
und lacht und wälzt durch den Wiesenplan
des Windes wallende Welle …
IX
Ich träume tief im Weingerank
mit meiner blonden Kleinen;
es bebt ihr Händchen, elfenschlank,
im heißen Zwang der meinen.
So wie ein gelbes Eichhorn huscht
das Licht hin im Reflexe,
und violetter Schatten tuscht
ins weiße Kleid ihr Kleckse.
In unsrer Brust liegt glückverschneit
goldsonniges Verstummen.
Da kommt in seinem Sammetkleid
ein Hummel Segen summen …
X
Es ist ein Weltmeer voller Lichte,
das der Geliebten Aug umschließt,
wenn von der Flut der Traumgesichte
die keusche Seele überfließt.
Dann beb ich vor der Wucht des Schimmers
so wie ein Kind, das stockt im Lauf,
geht vor der Pracht des Christbaumzimmers
die Flügeltüre lautlos auf.
XI
Ich war noch ein Knabe. Ich weiß, es hieß:
Heut kommt Base Olga zu Gaste.
Dann sah ich dich nahn auf dem schimmernden Kies,
ins Kleidchen gepresst, ins verblasste.
Bei Tisch saß man später nach Ordnung und Rang
und frischte sich mäßig die Kehle;
und wie mein Glas an das deine klang,
da ging mir ein Riss durch die Seele.
Ich sah dir erstaunt ins Gesicht und vergaß
mich dem Plaudern der andern zu einen,
denn tief im trockenen Halse saß
mir würgend ein wimmerndes Weinen.
Wir gingen im Parke. – Du sprachst vom Glück
und küsstest die Lippen mir lange,
und ich gab dir fiebernde Küsse zurück
auf die Stirne, den Mund und die Wange.
Und da machtest du leise die Augen zu,
die Wonne blind zu ergründen …
Und mir ahnte im Herzen: Da wärest du
am liebsten gestorben in Sünden …
XII
Die Nacht im Silberfunkenkleid
streut Träume eine Handvoll,
die füllen mir mit Trunkenheit
die tiefe Seele randvoll.
Wie Kinder eine Weihnacht sehn
voll Glanz und goldnen Nüssen, –
seh ich dich durch die Mainacht gehen
und alle Blumen küssen.
XIII
Schon starb der Tag. Der Wald war zauberhaft,
und unter Farren bluteten Zyklamen,
die hohen Tannen glühten, Schaft bei Schaft,
es war ein Wind, – und schwere Düfte kamen.
Du warst von unserm weiten Weg erschlafft,
ich sagte leise deinen süßen Namen:
Da bohrte sich mit wonnewilder Kraft
aus deines Herzens weißem Liliensamen
die Feuerlilie der Leidenschaft.
Rot war der Abend – und dein Mund so rot,
wie meine Lippen sehnsuchtheiß ihn fanden,
und jene Flammen, die uns jäh durchloht,
sie leckten an den neidischen Gewanden …
Der Wald war stille, und der Tag war tot.
Uns aber war der Heiland auferstanden,
und mit dem Tage starben Neid und Not.
Der Mond kam groß an unsern Hügeln landen,
und leise stieg das Glück aus weißem Boot.
XIV
Es leuchteten im Garten die Syringen,
von einem Ave war der Abend voll, –
da war es, dass wir voneinander gingen
in Gram und Groll.
Die Sonne war in heißen Fieberträumen
gestorben hinter grauen Hängen weit,
und jetzt verglomm auch hinter Blütenbäumen
dein weißes Kleid.
Ich sah den Schimmer nach und nach vergehen
und bangte bebend wie ein furchtsam Kind,
das lange in ein helles Licht gesehen:
Bin ich jetzt blind? –
XV
Oft scheinst du mir ein Kind, ein kleines, –
dann fühl ich mich so ernst und alt, –